Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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09.11.2012 Aufrufe

Die Metapher der Übersetzung stellt eine treffende Beschreibung der spezifischen Bedingungen des archäologischen Erkenntnisgewinns dar. Bei einer sprachlichen Übersetzung, bei der nicht immer das Wort mit der exakt gleichen Bedeutung gefunden werden kann, entsteht eine mehr oder weniger nuancierte Abweichung. Analog dazu werden im Akt der Materialisierung der archäologischen Daten manche Informationen sichtbar, andere hingegen nicht. Jede Methode der archäologischen Datengewinnung ermöglicht eine andere Übersetzung und greift damit auch in Form und Inhalt jeder Dokumentation ein. Welche Informationen sichtbar gemacht werden und welche nicht, hängt aber nicht nur von den Methoden ab, sondern wird auch von theoretischen Deutungsmustern, Konzepten und Annahmen gesteuert. Ein Beispiel für die Unsichtbarmachung von Informationen im Prozess der Übersetzung ist die Interpretation archäologischer Daten zur Existenz ethnischer Gruppen in der Vergangenheit. Trotz zahlreicher Kritik im Fach an der Möglichkeit, etwas über ethnische Gruppen herauszufinden, sind manche Archäologen bis heute der Ansicht, dass gleichartige kulturelle Ausdrucksformen auf eine einheitliche soziale Gruppierung hinweisen und dass diese als ›kulturelle Gemeinschaft‹ wie beispielsweise Ethnos oder Nation bezeichnet werden können (vgl. z. B. Beran 2000). Ähnlichkeiten der materiellen Hinterlassenschaften (z. B. gleiche Grabbeigaben, Siedlungsformen oder Keramikdekorationen) in einem bestimmten Raum werden als Beweise einer gemeinsamen Identifikation, d. h. einem Zusammengehörigkeitsgefühl der Hersteller und Benutzer der Funde übersetzt. Den Artefakten wird eine ›ethnische Identität‹ zugeschrieben, wodurch historische ›Ethnien‹, ›Völker‹ oder ›Stämme‹ rekonstruiert werden können und damit die Geschichte einer heutigen Ethnizitätskonstruktion verlängert wird, indem eine Kontinuität hergestellt wird. Explizite Anwendung fand dieses Konzept durch die Nationalsozialisten, die mit Hilfe von archäologischen Funden ihre Expansionspolitik legitimierten, indem sie Scherben- oder Grabfunde in Osteuropa zu ›germanischen Funden‹ und damit die Gebiete zu ›germanischen‹ Siedlungsgebieten erklärten, so dass ihre Eroberungsbestrebungen als vermeintliche Rückholung ›angestammter‹ Gebiete erklärt werden konnte. Auch heute noch wird archäologisches Wissen für eine Konstruktion von Identifikationen verwendet, beispielsweise von kroatischen Politikern bei der Beanspruchung von ›kroatischen‹ Territorium in den Kriegen der 1990er, aber auch in Form von regionalen Identifikationsangeboten. So wurde der Insasse eines reich ausgestatteten Grabes aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. auf dem Glauberg in Hessen, das Mitte der 1990er Jahre freigelegt wurde, von Archäologen als Angehöriger der eigentlich rein sprachlich definierten Gruppierung der Kelten identifiziert, wodurch Lokalpolitiker eine ›keltische‹ Vergangenheit der Region konstruieren konnten. Solche Argumente haben jedoch keine plausible Grundlage, denn die Gleichartigkeit eines Ensembles von Artefakten sagt noch nichts darüber aus, ob es ein Zusammengehörigkeitsgefühl der damaligen Hersteller und Benutzer gab, da Ähnlichkeiten der Artefaktgestaltung nicht automa- 274

tisch eine soziale Gruppierung mit einer gemeinsamen Identifikation beinhalten müssen. Diese wird vielmehr erst hergestellt, indem bestimmte Artefakte als Symbol einer gemeinsamen Identifikation konstruiert werden. Ethnische Zugehörigkeit kann nur auf der Basis einer mündlichen oder schriftlichen Selbstzuschreibung konstatiert werden und nicht allein aufgrund von materiellen kulturellen Merkmalen. Ohne eine Möglichkeit der Befragung der Akteure oder bei Fehlen von Schriftquellen, aus denen Identitätsdiskurse deutlich werden, bleibt die Identitätskonstruktion unbekannt. Archäologische Quellen können also eigentlich nichts über ethnische Gruppierungen aussagen. Die Suche nach ethnischen Gruppen in der Vergangenheit führte und führt bis heute dazu, dass Ähnlichkeiten der Objektgestaltung als ›typische‹ Muster einer bestimmten Gruppierung in einem bestimmten Territorium übersetzt werden. Andere Erklärungsmöglichkeiten der Ähnlichkeiten im Fundmaterial (z. B. dass sie Ausdruck einer anderen sozialen Gruppierung sein könnten) werden ausgeblendet. Auch werden Differenzierungen im Fundmaterial unsichtbar gemacht, indem beispielsweise eine klare Grenze zwischen Fundregionen gezogen wird, obwohl die tatsächlichen Verbreitungsflächen verschiedener Gestaltungsformen sich eigentlich überlappen oder keine klare Trennlinie erkennbar ist (vgl. z. B. Beran 2000a). 2. Aktanten Mit dem Begriff des Aktanten werden nicht nur die menschlichen Akteure, sondern auch alle Inskriptionen, Aussagen, Maschinen und erlernten Handlungsabläufe in den Herstellungsprozess gleichermaßen einbezogen (vgl. Latour 1987; Callon 1987). Der kanadische Wissenschaftstheoretiker Ian Hacking zählt zu diesen unter anderem »data, theory, experiment, phenomenology, equipment, data processing« (Hacking 1992: 55). 10 Auch ›nichtmenschliche‹ Elemente generieren Erkenntnis und strukturieren Wissen, werden durch diese aber ebenfalls geformt. Auch die Forschungs- und Analysemethoden werden damit zu Aktanten, da sie mit Hilfe ihrer Übersetzungen ebenfalls in den Herstellungsprozess wissenschaftlichen Wissens eingreifen. Der Aktant-Begriff drückt die Gleichbehandlung von menschlichen und nichtmenschlichen Elementen aus, ohne eine Trennung vorzunehmen. Manche halten diese symmetrische Behandlung von menschlichen und nichtmenschlichen Aktanten für problematisch (u. a. Collins/Yearley 1992: 311). Callon und Latour antworten auf diese Kritik mit dem Argument, dass die Forderung nach symmetrischer Betrachtung des Forschungsgegenstandes notwendigerweise auch auf das Vokabular auszudehnen sei. Das könne nun einmal am besten ausgedrückt werden, indem der gleiche Begriff sowohl für menschliche wie auch für nichtmenschliche Beteiligte verwendet werde (Callon/Latour 1992: 353). Der 10 »Daten, Theorie, Experiment, Phänomenologie, Ausstattung, Datenverarbeitung.« 275

Die Metapher der Übersetzung stellt eine treffende Beschreibung der spezifischen<br />

Bedingungen des archäologischen Erkenntnisgewinns dar. Bei einer<br />

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Bedeutung gefunden werden kann, entsteht eine mehr oder weniger nuancierte<br />

Abweichung. Analog dazu werden im Akt der Materialisierung der archäologischen<br />

Daten manche Informationen sichtbar, andere hingegen nicht. Jede <strong>Methode</strong><br />

der archäologischen Datengewinnung ermöglicht eine andere Übersetzung<br />

und greift da<strong>mit</strong> auch in Form und Inhalt jeder Dokumentation ein. Welche Informationen<br />

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den <strong>Methode</strong>n ab, sondern wird auch von theoretischen Deutungsmustern, Konzepten<br />

und Annahmen gesteuert.<br />

Ein Beispiel für die Unsichtbarmachung von Informationen im Prozess der<br />

Übersetzung ist die Interpretation archäologischer Daten zur Existenz ethnischer<br />

Gruppen in der Vergangenheit. Trotz zahlreicher <strong>Kritik</strong> im Fach an der Möglichkeit,<br />

etwas über ethnische Gruppen herauszufinden, sind manche Archäologen bis<br />

heute der Ansicht, dass gleichartige kulturelle Ausdrucksformen auf eine einheitliche<br />

soziale Gruppierung hinweisen und dass diese als ›kulturelle Gemeinschaft‹<br />

wie beispielsweise Ethnos oder Nation bezeichnet werden können (vgl. z. B. Beran<br />

2000). Ähnlichkeiten der materiellen Hinterlassenschaften (z. B. gleiche Grabbeigaben,<br />

Siedlungsformen oder Keramikdekorationen) in einem bestimmten Raum<br />

werden als Beweise einer gemeinsamen Identifikation, d. h. einem Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

der Hersteller und Benutzer der Funde übersetzt. Den Artefakten<br />

wird eine ›ethnische Identität‹ zugeschrieben, wodurch historische ›Ethnien‹,<br />

›Völker‹ oder ›Stämme‹ rekonstruiert werden können und da<strong>mit</strong> die Geschichte<br />

einer heutigen Ethnizitätskonstruktion verlängert wird, indem eine Kontinuität<br />

hergestellt wird. Explizite Anwendung fand dieses Konzept durch die Nationalsozialisten,<br />

die <strong>mit</strong> Hilfe von archäologischen Funden ihre Expansionspolitik legitimierten,<br />

indem sie Scherben- oder Grabfunde in Osteuropa zu ›germanischen<br />

Funden‹ und da<strong>mit</strong> die Gebiete zu ›germanischen‹ Siedlungsgebieten erklärten, so<br />

dass ihre Eroberungsbestrebungen als vermeintliche Rückholung ›angestammter‹<br />

Gebiete erklärt werden konnte. Auch heute noch wird archäologisches Wissen für<br />

eine Konstruktion von Identifikationen verwendet, beispielsweise von kroatischen<br />

Politikern bei der Beanspruchung von ›kroatischen‹ Territorium in den Kriegen<br />

der 1990er, aber auch in Form von regionalen Identifikationsangeboten. So wurde<br />

der Insasse eines reich ausgestatteten Grabes aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. auf<br />

dem Glauberg in Hessen, das Mitte der 1990er Jahre freigelegt wurde, von Archäologen<br />

als Angehöriger der eigentlich rein sprachlich definierten Gruppierung<br />

der Kelten identifiziert, wodurch Lokalpolitiker eine ›keltische‹ Vergangenheit<br />

der Region konstruieren konnten. Solche Argumente haben jedoch keine plausible<br />

Grundlage, denn die Gleichartigkeit eines Ensembles von Artefakten sagt noch<br />

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