Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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2.2. Grund 2: Methodologische und forschungsethische Genauigkeit –<br />
Sichtbarmachen und Dezentrieren heteronormativer Prämissen – auch durch<br />
heterosexuelle Forscher*innen<br />
»No research is carried out in a vacuum. The very questions we ask are always informed<br />
by the historical moment we inhabit – not necessarily directly or unambiguously,<br />
but in more subtle ways.« (McRobbie 1991: 64) 23<br />
Forschung findet in spezifischen historischen Kontexten statt und hat da<strong>mit</strong><br />
auch Anteil an der Re-Produktion unterschiedlichster gesellschaftlicher Vorgaben.<br />
Dabei muss stärker berücksichtigt werden, welche Bedeutungen/Zuschreibungen<br />
durch die Positionierung von Forscher*innen in die Forschung eingebracht werden.<br />
An dieser Stelle wird deutlich, dass meine Frage über die Nabelschau von<br />
Forscher*innen hinausweist. Wenn den Teilnehmer*innen bestimmte Informationen<br />
vorenthalten werden, weil sie in der Wahrnehmung von Forscher*innen einer<br />
bestimmten gesellschaftlichen ›Gruppe‹ angehören und aufgrund dieser Einschätzung<br />
bestimmte Reaktionen erwartet werden, werden diskursive Homogenisierungen<br />
deutlich. Den Teilnehmer*innen werden dann Eigenschaften zugeschrieben,<br />
bevor sie Gelegenheit hatten, sich zu äußern. Zwar wurde in meiner<br />
Forschung die implizite Annahme aufgelöst, muslimische Schüler*innen wären<br />
generell eher homophob bzw. homophober als nicht-muslimische Schüler*innen,<br />
wie beispielsweise das Gruppengespräch <strong>mit</strong> Hanna zeigt. 24 Dennoch müssen solche<br />
und andere implizite Vorannahmen sichtbar gemacht werden.<br />
Marco Atlas schreibt anhand eigener Forschungserfahrungen von der doppelten<br />
Annahme von Heterosexualität in der Forschung, wenn Forscher*innen ihre<br />
Sexualität (zunächst) verschweigen: »Erstens nahmen andere in ihren Fragestellungen<br />
nach meinem Familienstand an, ich sei heterosexuell. Zweitens nahm ich<br />
Heterosexualität an, indem ich sie in diesen Situationen performierte. Aus Angst<br />
vor Stigmatisierung verschwieg ich meine Partnerschaft und verbarg mein<br />
Schwulsein. Ich ließ mich als »normale«, heterosexuelle Person einordnen. Ich<br />
ging als heterosexuell durch. Da<strong>mit</strong> untermauerte ich die Heteronormativität meiner<br />
Umgebung.« (Atlas 2000: 25)<br />
Ich möchte dies um zwei weitere Aspekte ergänzen: Dieser Prozess des Untermauerns<br />
heteronormativer Annahmen bestärkt die Tendenz, die Forschungsteilnehmer*innen<br />
wiederum als heterosexuell wahrzunehmen. Zusätzlich erschwert<br />
es den Forschungsteilnehmer*innen, sich in der Forschung als nicht-heteronormativ<br />
darzustellen. Die diskursive Untermauerung heteronormativer Prämissen hat<br />
da<strong>mit</strong> direkt und indirekt Einfluss auf die Forschungsbeziehungen und die Ergebnisse.<br />
23 »Forschung geschieht nie in einem Vakuum. Allein die Frage,n die wir fragen, sind immer von dem historischen<br />
Moment, den wir bewohnen, beeinflusst – nicht unbedingt direkt oder eindeutig, sondern auf subtilere Weise.«<br />
(Übersetzung IS)<br />
24 Mein Vorgehen, die Teilnehmer*innen nicht im Vorfeld auf spezifische Positionen festzulegen, sondern die Positionierungen<br />
der Jugendlichen zu übernehmen, hat dazu sicherlich beigetragen.<br />
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