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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Hark fasst die Bedeutung dieser Vorgaben für den Alltag nicht-heteronormativer<br />

Jugendlicher knapp zusammen: »Junge Lesben und Schwule wählen deshalb sehr<br />

genau, wem sie sich wann offenbaren. Meist erfolgt das Coming-out erst nach einer<br />

unter Umständen Jahre dauernden Phase sorgfältigen sozialen Screenings, in<br />

der sie versuchen herauszufinden, welche Reaktionen zu erwarten sind.« (Hark<br />

2002: 54)<br />

Infolge dieser Vorsicht (die oft auch von nicht-heteronormativen Lehrer*innen<br />

gewählt wird) bleiben im Schulalltag bisexuelle, intersexuelle, lesbische, schwule<br />

und transsexuelle Jugendliche ›unsichtbar‹. In meiner Forschung wurden auch<br />

Jugendliche, die nicht der Vorstellung von ›richtiger‹ Weiblichkeit oder Männlichkeit<br />

entsprachen, häufig ›zu(recht)gewiesen‹ – in scheinbar scherzhaften<br />

Kommentaren wurde besonders von Gleichaltrigen des als gleich wahrgenommenen<br />

Genders hervorgehoben, dass ihr Auftreten nicht der Norm entsprach. 21<br />

Als ich im Gespräch <strong>mit</strong> den Achtklässlern Jan, Vinzent und Long fragte, ob sie<br />

an der Schule schwule oder lesbische Paare kennen, sagte Long: »Nee, die machen<br />

alle Selbstmord!« (Gruppe D 12 [1345]). Long wies auch darauf hin (ebenso wie<br />

andere Teilnehmer*innen), dass es an der Schule fast keine lesbischen und schwulen<br />

Schüler*innen gäbe. Dieser Hinweis war sogar <strong>mit</strong> etwas Bedauern verbunden,<br />

weil Long in Berlin, wo er früher lebte, einen mehrfach gemischten Freundeskreis<br />

hatte und dies in seinem neuen Umfeld vermisste. Die beiden Äußerungen –<br />

der Verweis auf die Suizidgefahr und den Hinweis auf mangelnde Anwesenheit<br />

bzw. weitgehende Unsichtbarkeit – lesen sich zusammengenommen in einer tragischen<br />

Logik: nicht-heteronormative Jugendliche sind unfreiwillig an der eigenen<br />

›Unsichtbarmachung‹ beteiligt.<br />

Homo- und auch Transphobie sind dabei Ausdruck von Normierungen, die für<br />

alle Jugendlichen gelten. Es sind also nicht allein nicht-heteronormative Jugendliche<br />

(und Lehrer*innen) ›unsichtbar‹, sondern vielmehr die grundlegende Essentialisierung<br />

der Produktion von Geschlechterpositionen. Allerdings verweisen sowohl<br />

Ignoranz als auch aktive Ausgrenzung auf die Brüchigkeit der scheinbar<br />

selbstverständlichen, ›normalen‹ Positionierungen (Butler 1993: 314). 22<br />

Dies verweist auch auf den zweiten Grund, den ich für einen reflektierteren<br />

Umgang <strong>mit</strong> der Positionierung von Forscher*innen anbringen möchte.<br />

21 Timmermanns beschreibt fünf Funktionen solcher Zuschreibungen: Normierungseffekt (Instrument der Kontrolle),<br />

Identitätsabsicherung (so tun als ob man weiß, was männlich/weiblich ist – Simulation von Sicherheit <strong>mit</strong><br />

der eigenen Position), Erklärungsfunktion (alles ›Fremde‹ und ›Verunsichernde‹ ist ›schwul‹), Schutzfunktion<br />

(wer zuerst ›schwul‹ ruft, schützt sich vor dem Stigma), Machtausübung (den/die andere zur Reaktion zwingen)<br />

(2003: 63 f., paraphrasiert durch I. S.).<br />

22 Haritaworn weist zurecht darauf hin, dass es nicht um einen vereinfachenden Diskurs der Angleichung schwullesbischer<br />

an heterosexuelle Rechte gehen kann: »Wenn dominante Schwule, Lesben und Bisexuelle Gleichstellung<br />

<strong>mit</strong> Heterosexuellen fordern, dann meinen sie nicht transsexuelle, behinderte, sexarbeitende oder ethnisierte<br />

Heterosexuelle, oder solche aus der Arbeiterklasse. Schwullesbische Kontexte definieren sich zentral gegen Heterosexismus<br />

und sind dennoch Schauplätze von Heterosexismus gegen Ethnisierte« (2007: 280 f.).<br />

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