Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Haller reflektiert die Funktion heteronormativer Annahmen in der ethnologischen<br />
Arbeit. Die von ihm geäußerten Bedenken greifen Carriers Anmerkungen<br />
auf und ergänzen sie. So betont Haller, dass seine Furcht vor inter-universitärer<br />
Diskriminierung nur bedingt begründet war. 16 Die Annahme möglicher Nachteile<br />
ist also ein Faktor, der die (empirische) Arbeit ebenso beeinflussen kann wie<br />
tatsächliche Erfahrungen.<br />
In diesem Text beschreibt Haller allerdings auch, wie Kolleg*innen ihm 1994<br />
nach einem Vortrag gratulierten. Die Glückwünsche galten dabei nicht seinen<br />
interessanten Forschungsergebnissen, sondern seinem Mut, sich als schwul zu<br />
outen, obwohl der Vortrag nicht als outing intendiert war, sondern als Beitrag zu<br />
einer wissenschaftlichen Fachdiskussion.<br />
Ich las Hallers Text, den ich hier zitiere, bei der Vorbereitung eines Vortrags.<br />
Als ich meine methodologischen Fragen bei einem Fachkongress (und später<br />
auch in anderen Kontexten) zur Diskussion stellte, wurden sie in ähnlicher Weise<br />
auf mich als ›lesbische‹ Forscherin zurückgeführt. Meine Suche nach Lösungsansätzen<br />
zu der Frage, wie Gender-Geschlecht-Sexualität von Forscher*innen als<br />
sinnproduzierende Aspekte in der Forschung – vor allem <strong>mit</strong> Jugendlichen – ernst<br />
genommen und ein möglicher (sicherlich nicht der einzige) Ausgangspunkt kritischer<br />
Analysen werden könnte, war nicht ver<strong>mit</strong>telbar. Sie wurde als Zeichen eines<br />
individuellen Problems verstanden und <strong>mit</strong> Vorschlägen beantwortet, wie dieses<br />
individuelle Problem aus meinen Daten ›herausanalysiert‹ werden könnte.<br />
Da der Vortragsrahmen an sich kritisch und produktiv war, gab es zwei Erklärungen,<br />
warum meine Frage nach methodologischen Neukonzeptionalisierungen<br />
von Gender-Geschlecht-Sexualität für mich wenig produktiv beantwortet<br />
wurde. Möglicherweise waren die Zuhörer*innen von der Frage gelangweilt und<br />
sahen nicht, warum dies (noch) thematisiert werden sollte. Denn schließlich befassen<br />
sich die unterschiedlichsten Disziplinen seit langem <strong>mit</strong> Fragen der Geschlechtergerechtigkeit<br />
und den daraus resultierenden methodologischen Veränderungen.<br />
Die Einforderung von Selbstreflexivität in der Forschung ist weder neu<br />
noch überraschend.<br />
Möglich ist aber auch, und dies war mein Eindruck, dass sich in den sparsamen<br />
Kommentaren etwas anderes widerspiegelte: Während nicht-heteronormative Forscher*innen<br />
›als Personen‹ ebenso wie die Erforschung nicht-heteronormativer<br />
Subjektpositionen im Kontext der Universität inzwischen weitgehend anerkannt<br />
oder zumindest toleriert sind, bleibt die Frage nach der Rolle von Forscher*innen<br />
im Feld problematisch, sobald sie über ein allgemeines Statement über eine identitäre<br />
Position als ›Mann‹ oder ›Frau‹ hinausgeht. 17 Daher nehme ich die Reaktion<br />
auf meine Fragen als Hinweis auf notwendige Auseinandersetzungen.<br />
16 Für die Bundesrepublik Deutschland hat Frohn Diskriminierungserfahrungen am (nicht-universitären) Arbeitsplatz<br />
untersucht (2007).<br />
17 Dabei kommt die Erforschung von Gender-Geschlecht-Sexualität außerhalb der Geschlechter- oder Sexualforschung<br />
inzwischen wieder in eine Position des Sich-Erklären-Müssens.<br />
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