Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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09.11.2012 Aufrufe

nicht-muslimisch positionierte, im Gruppengespräch Nancy, Nasi und Welat, die sich als muslimisch positionierten, »ob’s bei euch auch so was wie Lesben oder Schwule gibt« (Gruppe D5 [1692]). 12 Die Reaktion war zunächst eine klare Zurückweisung: Nancy, für die die Positionierung als Muslima von großer Bedeutung war, betonte, das »darf man nicht und gibt’s auch nicht« (Gruppe D5 [1697]). Im weiteren Verlauf wurde diese scheinbar eindeutige Gegenüberstellung jedoch verschoben: Hanna berichtete, dass ihre Mutter sie beinahe aus dem Fußballverein genommen hätte, als sie erfuhr, dass dort auch lesbische Spielerinnen seien (Gruppe D5 [1729]), und Nasi, Nancys Freundin, betonte einhellig mit den übrigen anwesenden Mädchen, dass ›die Schwulen‹ grundsätzlich besser gekleidet seien als ihre heterosexuellen Peers. Das Spektrum der Positionen verlief also von verallgemeinernden Positiv-Zuschreibungen – Schwule sind generell besser gekleidet als heterosexuelle Männer – bis zu strikter Ablehnung der Möglichkeit nicht-heteronormativer Lebensweisen. Dabei waren diese Gespräche davon gekennzeichnet, dass über nicht-heteronormative Positionen gesprochen wurde, diese aber nicht als eigene Position dargestellt wurden (bzw. werden konnten). Neben diesem über-andere-Sprechen gab es nur wenige, aber bezeichnende, Ausnahmen, wenn Schüler*innen die heteronormative Allgemeingültigkeit der eindeutigen Zuschreibungen nach Gender-Geschlecht-Sexualität hinterfragten. So berichtete die Neuntklässlerin Lolle vorsichtig, dass sie manchmal ›als Junge‹ wahrgenommen würde, hielt für sich ihre Selbstverortung nach Gender offen und wollte sich bewusst auch bezüglich ihrer Sexualität nicht festlegen. In ähnlicher Weise nannte sich die Neuntklässlerin Semra bisexuell und wollte damit weniger ihre romantische bzw. sexuelle Objektwahl beschrieben wissen, sondern festhalten, dass sie ihr eigenes Verhalten nicht als mädchen-typisch wahrnahm – weder legte sie großen Wert auf modische Kleidung noch schwärmte sie wie ihre Freundinnen für Jungen (Schmitt 2007). Manche Schüler*innen entwarfen also ihre eigenen Positionen jenseits der (scheinbar) diskursiv festgelegten Vorgaben. Dennoch zeigte sich, dass die heteronormativen Prämissen, die den Schulalltag prägten, wenig Denk- und Erfahrungsraum für Schüler*innen boten, um die binären Vorgaben der Institution Schule (als Reflexion gesamtgesellschaftlicher Strukturierungen) zu hinterfragen. Zwar wurden unterschiedliche Partnerschafts- und Familienmodelle diskutiert, von klassischen Vorstellungen von Ehe bis hin zur Entkopplung von Kinderwunsch und Partnerschaft. Doch die Möglichkeit, diese Vorstellungen zu diskutieren und auch Informationen über gelebte Modelle jenseits dessen, was als ›normal‹ angenommen wird, zu erhalten, war gering. Der Fokus lag auf der Aufgabe des »becoming heterosexual« (Frosh/Phoenix/Pattman 2002: 195). Dabei kann Schule als Ort und als Raum nicht nur als Teil gesellschaftlicher Realität normative Vorgaben re-produzieren, sondern auch durch alltägliche Aushandlungen diese Vorga- 12 Zu dieser Gesprächsgruppe gehörten die Neuntklässler*innen Gesa, Hanna, Josephine, Nasi, Nancy und Welat. 258

en verschieben. Forschung im Kontext Schule verhandelt auch die in der spezifischen Schule vorgefundenen Regelwerke und Umgangsweisen. 1.3. Institutionelle Rückkopplungen – Imaginierte und reale Reaktionen im Arbeitsumfeld Universität Neben den Folgen für die Forschung wird auch über mögliche Folgen für Forscher*innen nachgedacht. Im Vorwort zu dem 1986 von Evelyn Blackwood herausgegebenen Band über Ethnologie und Homosexualität vermerkt Joseph M. Carrier: »Additionally, graduate students of anthropology may still be reluctant to study homosexuality as a dissertation topic because of the problems it often brings with members of their graduate committees and because they fear it may limit their future employability.« (Carrier 1986: xii) 13 Carrier verweist auf zwei relevante und sich bedingende Ebenen: Sowohl die institutionellen Einschränkungen durch Professor*innen als auch die Furcht vor Nachteilen auf dem akademischen Arbeitsmarkt hielten Nachwuchswissenschaftler*innen häufig davon ab, sich mit der Untersuchung von Homosexualität zu befassen. 14 Über 20 Jahre später sollte diese Frage keiner Thematisierung mehr bedürfen. Oder etwa doch? Noch vor wenigen Jahren schreibt Haller: »Anthropologists who choose to study homosexuality put their careers in jeopardy. Bolton advises gay colleagues without tenure not to use the methodology of participant observation (1992: 138). When I started to plan my fieldwork in Seville, friends and family warned me not to do so and risk my academic career. However, after receiving my PhD and having worked as an anthropologist from then onwards, I have to admit that my assumptions about the discrimination I would face where not wholly accurate. Amongst my colleagues, as many have been supportive as unsupportive. […] But to my knowledge, there is not a single anthropologist in the U.S., in France or in any German speaking country who holds a job in academia and who worked in homosexuality before he/she reached his/her position.« (Haller 2001: 134) 15 13 »Zusätzlich zögern Graduierte in der Anthropologie unter Umständen, Homosexualität als Thema ihrer Dissertation zu untersuchen, wegen der Probleme mit Mitgliedern der Promotionskomitees, die dies oft mit sich bringt, und weil sie fürchten, dass es ihre zukünftige Einstellbarkeit einschränkt.« (Übersetzung IS). 14 Die generellen mehr oder weniger subtilen Stratifizierungen zu Ungunsten von Wissenschaftlerinnen im Kontext der Universität sind hinreichend bekannt und diskutiert, sollen hier aber zumindest noch einmal erwähnt werden. Siehe z. B. Zimmermann 2002. 15 »Anthropolog*innen, die sich entscheiden, Homosexualität zu erforschen, gefährden ihre Karrieren. Bolton rät schwulen Kollegen ohne Festanstellung, nicht die Methodologie der teilnehmenden Beobachtung zu verwenden (1992: 138). Als ich anfing meine Feldforschung in Sevilla zu planen, warnten mich Freund*innen und Familienmitglieder, es nicht zu tun und damit meine wissenschaftliche Karriere zu riskieren. Doch, nachdem ich meine Promotion erhalten und seitdem als Anthropologe gearbeitete habe, muss ich zugeben, dass meine Annahmen über die Diskriminierung, die ich erfahren würde, nicht ganz korrekt waren. Ebensoviele meiner Kolleg*innen waren unterstützend wie nicht-unterstützend. [...] Aber meines Wissens gibt es keine*n einzige*n Anthropolog*in in den USA, in Frankreich oder in einem der deutschsprachigen Ländern, der/die eine Stelle im Wissenschaftsbetrieb hat und der/die über Homosexualität gearbeitet hat, bevor er/sie seine/ihre Position erlangte.« (Übersetzung I. S.). 259

en verschieben. Forschung im Kontext Schule verhandelt auch die in der spezifischen<br />

Schule vorgefundenen Regelwerke und Umgangsweisen.<br />

1.3. Institutionelle Rückkopplungen – Imaginierte und reale Reaktionen<br />

im Arbeitsumfeld Universität<br />

Neben den Folgen für die Forschung wird auch über mögliche Folgen für Forscher*innen<br />

nachgedacht. Im Vorwort zu dem 1986 von Evelyn Blackwood<br />

herausgegebenen Band über Ethnologie und Homosexualität vermerkt Joseph<br />

M. Carrier: »Additionally, graduate students of anthropology may still be reluctant<br />

to study homosexuality as a dissertation topic because of the problems it often<br />

brings with members of their graduate com<strong>mit</strong>tees and because they fear it may<br />

li<strong>mit</strong> their future employability.« (Carrier 1986: xii) 13<br />

Carrier verweist auf zwei relevante und sich bedingende Ebenen: Sowohl die institutionellen<br />

Einschränkungen durch Professor*innen als auch die Furcht vor<br />

Nachteilen auf dem akademischen Arbeitsmarkt hielten Nachwuchswissenschaftler*innen<br />

häufig davon ab, sich <strong>mit</strong> der Untersuchung von Homosexualität zu<br />

befassen. 14 Über 20 Jahre später sollte diese Frage keiner Thematisierung mehr bedürfen.<br />

Oder etwa doch? Noch vor wenigen Jahren schreibt Haller: »Anthropologists<br />

who choose to study homosexuality put their careers in jeopardy. Bolton advises<br />

gay colleagues without tenure not to use the methodology of participant observation<br />

(1992: 138). When I started to plan my fieldwork in Seville, friends and family<br />

warned me not to do so and risk my academic career. However, after receiving<br />

my PhD and having worked as an anthropologist from then onwards, I have to<br />

ad<strong>mit</strong> that my assumptions about the discrimination I would face where not wholly<br />

accurate. Amongst my colleagues, as many have been supportive as unsupportive.<br />

[…] But to my knowledge, there is not a single anthropologist in the U.S., in France<br />

or in any German speaking country who holds a job in academia and who worked in<br />

homosexuality before he/she reached his/her position.« (Haller 2001: 134) 15<br />

13 »Zusätzlich zögern Graduierte in der Anthropologie unter Umständen, Homosexualität als Thema ihrer Dissertation<br />

zu untersuchen, wegen der Probleme <strong>mit</strong> Mitgliedern der Promotionsko<strong>mit</strong>ees, die dies oft <strong>mit</strong> sich bringt,<br />

und weil sie fürchten, dass es ihre zukünftige Einstellbarkeit einschränkt.« (Übersetzung IS).<br />

14 Die generellen mehr oder weniger subtilen Stratifizierungen zu Ungunsten von Wissenschaftlerinnen im Kontext<br />

der Universität sind hinreichend bekannt und diskutiert, sollen hier aber zumindest noch einmal erwähnt werden.<br />

Siehe z. B. Zimmermann 2002.<br />

15 »Anthropolog*innen, die sich entscheiden, Homosexualität zu erforschen, gefährden ihre Karrieren. Bolton rät<br />

schwulen Kollegen ohne Festanstellung, nicht die Methodologie der teilnehmenden Beobachtung zu verwenden<br />

(1992: 138). Als ich anfing meine Feldforschung in Sevilla zu planen, warnten mich Freund*innen und Familien<strong>mit</strong>glieder,<br />

es nicht zu tun und da<strong>mit</strong> meine wissenschaftliche Karriere zu riskieren. Doch, nachdem ich meine<br />

Promotion erhalten und seitdem als Anthropologe gearbeitete habe, muss ich zugeben, dass meine Annahmen<br />

über die Diskriminierung, die ich erfahren würde, nicht ganz korrekt waren. Ebensoviele meiner Kolleg*innen<br />

waren unterstützend wie nicht-unterstützend. [...] Aber meines Wissens gibt es keine*n einzige*n Anthropolog*in<br />

in den USA, in Frankreich oder in einem der deutschsprachigen Ländern, der/die eine Stelle im Wissenschaftsbetrieb<br />

hat und der/die über Homosexualität gearbeitet hat, bevor er/sie seine/ihre Position erlangte.«<br />

(Übersetzung I. S.).<br />

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