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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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aufzusteigen, zu reagieren. In den 1970er Jahren wurde ratten-weibliches Sexualverhalten<br />

nicht mehr ignoriert und es erschien eine Vielzahl von Publikationen<br />

dazu. Anknüpfend an Arbeiten von J. Calhoun in den 1960er Jahren, betonte<br />

R. Doty 1974, dass auch das lange Zeit vernachlässigte ratten-weibliche Sexualverhalten<br />

komplex sei und Ratten-Weibchen sich aktiv am Sexualverhalten beteiligten.<br />

Beach stellte 1971 auch das Modell der pränatalen Androgen-Wirkung in<br />

Zweifel und vermutete, dass sich Sexualverhalten aus Beobachtung und Erfahrung<br />

entwickele – zu dieser Zeit war er jedoch lange Zeit die einzige Wissenschaftlerin,<br />

die das pränatale Hormonmodell in Zweifel zog. Letztendlich akzeptierte<br />

er es und beschrieb, dass Östrogene eine weibliche Entwicklung des<br />

Gehirns bewirken würden (1976).<br />

Beachs Studie hatte weiten Einfluss. So widmeten sich nachfolgend zahlreiche,<br />

auch und insbesondere weibliche Wissenschaftlerinnen der Untersuchung vor allem<br />

tier-/ratten-weiblichen Sexualverhaltens. Sie beobachteten die Wirkung von<br />

Hormonen auf verschiedene Hirnareale und fügten Läsionen zu, um einzelne Hirnareale<br />

zur Untersuchung der Hormon-Wirkung auszuschalten. Das alles sind<br />

›anerkannte Techniken‹ in der Neurobiologie. Das pränatale Hormonmodell<br />

wurde durch Beachs Ausführungen (1976) zunächst befestigt, in der Folge aber<br />

wiederholt <strong>mit</strong> beschriebenen Einflussfaktoren von Beobachtung und Erfahrung<br />

als wesentliche Elemente zur Ausprägung von Sexualverhalten konfrontiert (Wijngaard<br />

1995: 138-144; vgl. Fausto-Sterling 2000: 195-232).<br />

Dieses Fallbeispiel ist als prägnante Betrachtung der Herangehensweisen an<br />

biologische Fragestellungen angeführt. Ähnliche Ergebnisse zeigt A. Fausto-Sterlings<br />

Metastudie über Forschungsarbeiten zum Sexualverhalten von Rhesus-Affen.<br />

Auch in diesen gingen Wissenschaftlerinnen stets vom Rhesus-Affen-Männchen<br />

aus, betrachteten Rhesus-Affen-Weibchen lediglich als passiv reagierend<br />

und untersuchten Sexualverhalten zwischen zwei Rhesus-Affen-Männchen oder<br />

zwei Rhesus-Affen-Weibchen nicht (Fausto-Sterling 1995: 123-126; vgl. Bleier<br />

1984: 85-87; Ebeling 2002: 41-43). 15<br />

Ausgehend von Tieren werden in der Biologie ›Erkenntnisse‹ über den Menschen<br />

erzeugt. Dabei bildet das männliche Geschlecht den Ausgangspunkt, weibliches<br />

Geschlecht wird dem Experiment als passiv und reagierend hinzugefügt.<br />

Das zeigt sich – in ähnlicher Deutlichkeit wie in dem angeführten Fallbeispiel –<br />

auch an den chromosomalen und genetischen Modellen zur primären Geschlechtsausprägung,<br />

16 der Motilität der Keimzellen, unterschiedlicher Differenzierung von<br />

15 Fausto-Sterling arbeitet einen männlichen, heteronormativen Blickwinkel der Wissenschaftlerinnen heraus.<br />

(Die Begrifflichkeit ›Homosexualität‹ vermeide ich explizit, da ›Homosexualität‹ vielfältig und komplex sozial<br />

geprägte Verhaltensweisen des Menschen bezeichnet.)<br />

16 Das Y-Chromosom wurde lange Zeit, <strong>mit</strong> Abstufungen wird es noch immer, als Agent eines aktiven Prinzips betrachtet,<br />

das die weitere männliche Entwicklung, ausgehend von einer weiblichen Basis, darstelle. Für eine<br />

weibliche Entwicklung wurden lange Zeit keine aktiven Entwicklungsprozesse in Erwägung gezogen. Dies sei<br />

unabhängig von notwendiger weitergehender <strong>Kritik</strong> angeführt, die überdies die binär-geschlechtliche Ausrichtung<br />

solcher Modelle kritisieren müsste (vgl. Fausto-Sterling 2000: 195-205; Rieder 2003 [2000]: 105-122; im<br />

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