Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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ses Konzept wurde im Rahmen der ... Problematik formuliert, dass die beteiligten Kinder ... mehr oder weniger permanent darauf bestanden, ›dasselbe‹ zu haben, auch in Fällen, in denen das objektiv ausgeschlossen ist: ›in der Mitte sitzen‹, identische Reproduktion von Brotscheibenrändern etc. In der Diskussion der dargestellten – eskalierenden – problematischen Szenen kristallisierte sich heraus, dass die zugrundeliegende Vorstellung der Mutter die eines abstrakten Gleichheitsprinzips war, dessen Realisierung die Funktion haben sollte, durch ›Gleichbehandlung‹ Konflikte zu präventieren oder zu lösen, wobei damit, wie sich aus einer Fülle von Tagebuch-Daten ergab, die Vorstellung einer quantitativ abrechenbaren Zuwendung verbunden war. Die restriktive Funktionalität der Gleichheitsregulation bestand in ihrer leicht zu ›handhabenden‹ Operationalisierbarkeit; ihre Problematik ergab sich daraus, dass auf Seiten der Kinder eine abstrakte Forderung nach Gleichbehandlung zur dominanten Artikulationsform wurde.« (ebd.: 109) Die dritte Instanz umfasst die »Umstrukturierung der Praxis der Betroffenen gemäß den in der Lösungskonzeption entwickelten Handlungsvorschlägen«, die vierte Instanz die »Rückmeldung über – möglicherweise auch intentionswidrige und fehlende – Effekte der (ggf. auch aus verschiedenen Gründen nicht wie intendiert geglückten) Umstrukturierung der Praxis an das Forschungsprojekt.« (Markard 2000, 234) Dass der Forschungsprozess in jeder Instanz scheitern kann – z. B. weil Mitforschende die Deutungen und Vorschläge als nicht angemessen ansehen bzw. diesen Widerstand entgegen setzen oder weil sich die problematische Lebenspraxis nicht umstrukturieren lässt, wird – sozusagen als »Kehrseite« der Entwicklungsfigur – als Stagnationsfigur (SF) bezeichnet. Damit wird konzeptionell solchen Konstellationen Rechnung getragen, in denen z. B. zunächst ein Forschungsbündnis mit globalen gemeinsamen Interessen von Forschenden/Mitforschenden zustande kommt, dieses aber im Prozessverlauf aus zu analysierenden Gründen zerfällt. Auch Stagnationsfiguren können empirisch und theoretisch erkenntnishaltig sein, z. B. weil sie zeigen, dass bestimmte Deutungen nicht angemessen sind oder umgekehrt: welche Dichtepunkte in einem Handlungsmodus existieren, der die subjektiv als problematisch empfundene Konstellation mit aufrechterhält. Mittlerweile ist die EF/SF konzeptionell erweitert worden, insbesondere um das Konzept der Bedingungs-Bedeutungsanalyse (BBA), mit dem die gesellschaftlich-sozialen Denk- und Praxisformen fassbar gemacht werden sollen, in denen individuelles Handeln sich vollzieht, und aus dem heraus es verständlich wird. Dies möchte ich am Beispiel meines Promotionsvorhabens kurz veranschaulichen, und damit auch exemplarisch zeigen, worin neben dem Praxisbezug der EF/SF ein weiterer kritischer Gehalt des dargestellten Forschungsansatzes besteht. 198

1.2. Veranschaulichung der EF(2): Antirassistische Bildungsarbeit In einem Forschungsbündnis mit anderen Bildungsarbeiter/innen 4 werde ich versuchen, antirassistische/interkulturelle Bildungsarbeit weiter zu entwickeln. Ansatzpunkt sind in diesem »Anwendungsfall« der EF/SF Bildungspraxen als eine Form der professionellen Handlungsfähigkeit von Bildungsarbeiter/innen, die diesen selbst problematisch erscheinen, und an deren Weiterentwicklung sie interessiert sind. Die inhaltliche Stoßrichtung der Forschung besteht darin, diese Praxen (regelmäßig benutzte Bildungsmodule/-methoden inklusive der konzeptionellen Vorannahmen) auf immanente Widersprüche zu analysieren und auszuloten, welche konzeptionell weitergehenden Handlungsmöglichkeiten nutzbar wären und was dem entgegen steht (restriktive/verallgemeinerte Handlungsfähigkeit). An den Widersprüchen, in denen Bildungsarbeit sich bewegt, sind ausgehend von dieser Handlungsproblematik drei Dimensionen hervorzuheben: (1) Gesellschaftliche Kräfteverhältnisse in Bezug auf Rassismus/Rechtsextremismus, damit vermittelte (2) vorherrschende wissenschaftlich-didaktische Konzepte der antirassistischen/interkulturellen Bildungsarbeit sowie (3) Notwendigkeiten der individuellen Reproduktion. Die Klärung dieser Dimensionen resultiert aus der Rezeption gesellschafts- und erziehungswissenschaftlicher Debatten, auf die sich Bildungsarbeit bezieht, und aus einem umfangreichen Praxiswissen. 5 Im Rahmen subjektwissenschaftlicher Forschung haben derartige soziologisch-politikwissenschaftliche Analysen die Funktion einer Bedeutungsanalyse. Ausgehend von einer konkreten Handlungsproblematik wird ein Verständnis jener institutionell-gesellschaftlichen Verhältnisse entwickelt, aus denen die jeweilige Handlungsproblematik verständlich ist. Auf diese Weise können Hypothesen darüber formuliert werden, in welchen (widersprüchlichen) Konstellationen z. B. (eine als unzureichend empfundene) Bildungsarbeit (als professionelle Form von Handlungsfähigkeit) begründet ist. Scheitern, Unzufriedenheit etc. von Bildungsarbeiter/innen werden in der Kritischen Psychologie also nicht personalisierend als Resultat irgendwelcher Persönlichkeitsmerkmale, Eigenschaften oder mangelnder Kompetenz gedacht, sondern als Resultat der Tätigkeit in widersprüchlichen gesellschaftlich-sozialen Verhältnissen. Die Bedingungs-Bedeutungs-Analyse kann hier nur in ihrer Richtung angedeutet werden. 6 Antirassistische und interkulturelle Trainings stellen einen wesentlichen Beitrag in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Rassismus/Rechtsextre- 4 Ich habe selbst für die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin Bildungsarbeit in verschiedenen Zusammenhängen und Formen praktiziert (thematische Fortbildungen für Bürger/innen, Pädagog/innen oder antirassistische Trainings mit Jugendlichen etc.); einige der dabei gewonnenen Erkenntnisse über Grenzen und Entwicklungsmöglichkeiten der gegenwärtigen Bildungsarbeit im Feld Rechtsextremismus/Rassismus habe ich einfließen lassen in ein Argumentationstraining gegen rechts(extrem)e Parolen (vgl. Reimer/Köhler 2007) 5 Einzelverweise würden hier den Rahmen sprengen, gemeint sind Beiträge zum Komplex (Anti)Rassismus/ Rechtsextremismus (Analysen, Beschreibungen, Einstellungsmessungen etc.) sowie Praxiswissen aus meiner Tätigkeit in einer der staatlich geförderten zentralen Maßnahmen (vgl. FN 4). 6 In Reimer (2007a, b i. E.) analysiere ich die widersprüchlichen Bedeutungskonstellationen, in denen antirassistische Bildungsarbeit sich bewegt, genauer. 199

1.2. Veranschaulichung der EF(2): Antirassistische Bildungsarbeit<br />

In einem Forschungsbündnis <strong>mit</strong> anderen Bildungsarbeiter/innen 4 werde ich versuchen,<br />

antirassistische/interkulturelle Bildungsarbeit weiter zu entwickeln. Ansatzpunkt<br />

sind in diesem »Anwendungsfall« der EF/SF Bildungspraxen als eine<br />

Form der professionellen Handlungsfähigkeit von Bildungsarbeiter/innen, die<br />

diesen selbst problematisch erscheinen, und an deren Weiterentwicklung sie interessiert<br />

sind. Die inhaltliche Stoßrichtung der Forschung besteht darin, diese Praxen<br />

(regelmäßig benutzte Bildungsmodule/-methoden inklusive der konzeptionellen<br />

Vorannahmen) auf immanente Widersprüche zu analysieren und auszuloten,<br />

welche konzeptionell weitergehenden Handlungsmöglichkeiten nutzbar wären<br />

und was dem entgegen steht (restriktive/verallgemeinerte Handlungsfähigkeit).<br />

An den Widersprüchen, in denen Bildungsarbeit sich bewegt, sind ausgehend<br />

von dieser Handlungsproblematik drei Dimensionen hervorzuheben: (1) Gesellschaftliche<br />

Kräfteverhältnisse in Bezug auf Rassismus/Rechtsextremismus, da<strong>mit</strong><br />

ver<strong>mit</strong>telte (2) vorherrschende wissenschaftlich-didaktische Konzepte der antirassistischen/interkulturellen<br />

Bildungsarbeit sowie (3) Notwendigkeiten der individuellen<br />

Reproduktion. Die Klärung dieser Dimensionen resultiert aus der Rezeption<br />

gesellschafts- und erziehungswissenschaftlicher Debatten, auf die sich Bildungsarbeit<br />

bezieht, und aus einem umfangreichen Praxiswissen. 5 Im Rahmen subjektwissenschaftlicher<br />

Forschung haben derartige soziologisch-politikwissenschaftliche<br />

Analysen die Funktion einer Bedeutungsanalyse. Ausgehend von einer konkreten<br />

Handlungsproblematik wird ein Verständnis jener institutionell-gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse entwickelt, aus denen die jeweilige Handlungsproblematik verständlich<br />

ist. Auf diese Weise können Hypothesen darüber formuliert werden, in welchen<br />

(widersprüchlichen) Konstellationen z. B. (eine als unzureichend empfundene)<br />

Bildungsarbeit (als professionelle Form von Handlungsfähigkeit) begründet<br />

ist. Scheitern, Unzufriedenheit etc. von Bildungsarbeiter/innen werden in der Kritischen<br />

Psychologie also nicht personalisierend als Resultat irgendwelcher Persönlichkeitsmerkmale,<br />

Eigenschaften oder mangelnder Kompetenz gedacht, sondern<br />

als Resultat der Tätigkeit in widersprüchlichen gesellschaftlich-sozialen<br />

Verhältnissen. Die Bedingungs-Bedeutungs-Analyse kann hier nur in ihrer Richtung<br />

angedeutet werden. 6<br />

Antirassistische und interkulturelle Trainings stellen einen wesentlichen<br />

Beitrag in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung <strong>mit</strong> Rassismus/Rechtsextre-<br />

4 Ich habe selbst für die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin Bildungsarbeit in verschiedenen Zusammenhängen<br />

und Formen praktiziert (thematische Fortbildungen für Bürger/innen, Pädagog/innen oder antirassistische<br />

Trainings <strong>mit</strong> Jugendlichen etc.); einige der dabei gewonnenen Erkenntnisse über Grenzen und Entwicklungsmöglichkeiten<br />

der gegenwärtigen Bildungsarbeit im Feld Rechtsextremismus/Rassismus habe ich<br />

einfließen lassen in ein Argumentationstraining gegen rechts(extrem)e Parolen (vgl. Reimer/Köhler 2007)<br />

5 Einzelverweise würden hier den Rahmen sprengen, gemeint sind Beiträge zum Komplex (Anti)Rassismus/<br />

Rechtsextremismus (Analysen, Beschreibungen, Einstellungsmessungen etc.) sowie Praxiswissen aus meiner<br />

Tätigkeit in einer der staatlich geförderten zentralen Maßnahmen (vgl. FN 4).<br />

6 In Reimer (2007a, b i. E.) analysiere ich die widersprüchlichen Bedeutungskonstellationen, in denen antirassistische<br />

Bildungsarbeit sich bewegt, genauer.<br />

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