Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Wie Parin bezieht sich auch Mario Erdheim auf PsychoanalytikerInnen, die die<br />
Bedeutung der Adoleszenz für die individuelle Entwicklung betonen: Da in dieser<br />
Zeit gänzlich neue Erfahrungen gemacht werden durch die auf den außerfamiliären<br />
Bereich gerichtete Sexualität sowie durch Größen- und Allmachtsphantasien,<br />
wird die Neuinterpretation früherer Erfahrungen möglich. Wenn defizitäre<br />
Erlebnisse in der Familie nun durch Erfahrungen <strong>mit</strong> »Fremden« ausgeglichen<br />
werden können, so ist die Neuinterpretation erfolgreich; wenn nicht, wird das<br />
frühkindliche Trauma verfestigt. Durch die Wiederholung alter Erfahrungen bietet<br />
sich also die Chance für eine psychische Neustrukturierung von Erlebtem (Erdheim<br />
2007: 2). Maya Nadig betont außerdem die »gesellschaftliche[n] Bedingungen<br />
in der Phase der Loslösung von zuhause« (Nadig 2004: Abs. 29).<br />
Zentral ist bei Erdheim das Konzept des »Fremden«. Auch wenn z. T. eingestanden<br />
wird, dass die Konstruktion von Fremdheit gesellschaftlichen Ursprungs<br />
ist (und Parin auch die eigene Gesellschaft oder sich selbst als weißen Forscher<br />
als fremd bezeichnet), so sticht zunächst ins Auge, dass diese Konstruktion nicht<br />
überwunden wird, wenn die Begrifflichkeit »fremd« von Erdheim und Nadig perpetuiert<br />
wird. Aber eine Überwindung scheint auch nicht das Ziel zu sein, wenn<br />
das Bild der/des Fremden doch wieder universalisiert wird, indem es schon in<br />
frühester Kindheit entstehe; denn alles, was nicht die Mutter ist, sei fremd und<br />
könne bedrohlich, aber auch faszinierend sein. Das Verhältnis zum »Fremden« sei<br />
also immer ambivalent, und zwar als individualgenetische Grundkonstellation<br />
(Erdheim 1993: 166 f.).<br />
Auf die Diskussion über die ethnisierende Konstruktion von Fremdheit einzugehen,<br />
die für rassistische Zuschreibungen und Deutungsmuster zentral ist, würde<br />
hier zu weit gehen. Aber es soll zumindest darauf verwiesen werden, dass Stuart<br />
Hall auch dieses ambivalente Verhältnis zum Fremden (wie es sich bspw. im Bild<br />
des »Kannibalen« vs. »edlen Wilden« ausdrückt) als konstruiert, rassistisch und<br />
funktional für die Konstruktion des »zivilisierten Eigenen« bezeichnet. »Es war<br />
so, als ob alles, was die Europäer an den Eingeborenen als anziehend und<br />
verlockend darstellten, ebenso zur Repräsentation des genauen Gegenteils dienen<br />
konnte, ihres barbarischen und verdorbenen Charakters. […] Beide Versionen des<br />
Diskurses wirkten gleichzeitig. […] Beide waren Übertreibungen, gegründet auf<br />
Stereotypen, die sich gegenseitig speisten. Jede Seite setzte ihr Gegenteil voraus«<br />
(Hall 1994: 164).<br />
Das Verhältnis zum »Fremden« ist ein gesellschaftlich erzeugtes; keines, das<br />
seine Wirkmächtigkeit schon in der frühen Kindheit entfaltet. Nach Erdheim jedoch<br />
entwickelt sich dann diese Ambivalenz (und potentieller Antagonismus) auf<br />
der kulturellen Ebene zu Ambivalenz/Antagonismus zwischen Familie und Kultur.<br />
Kultur entstehe immer aus der Auseinandersetzung <strong>mit</strong> dem »Fremden« und<br />
behielte so<strong>mit</strong> auch immer ein Stückweit ihren fremden und unheimlichen Charakter<br />
(1993: 170). Der Nationalstaat schließlich entstehe, weil der ewige Kampf<br />
zwischen den verschiedenen »fremden Gruppen«, nun als Ethnien bezeichnet, nur<br />
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