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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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setzung für eine verallgemeinerte Handlungsfähigkeit (Holzkamp 1990b). Der<br />

Versuch, die Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen zu erweitern, geht<br />

dann <strong>mit</strong> der Perspektive auf Verhältnisse, unter denen man sein Leben nicht auf<br />

Kosten anderer führen muss und »die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung<br />

für die freie Entwicklung aller« (Marx 1970: 68) ist, einher.<br />

4. Verwendung psychoanalytischer Methodik in der Ethnopsychoanalyse<br />

Die auf Georges Devereux, Fritz Morgenthaler, Paul Parin und Goldy Parin-Matthey<br />

zurückgehende Ethnopsychoanalyse (vgl. Krueger in diesem Band) vertritt<br />

den Anspruch, die psychoanalytische Innengerichtetheit zu überwinden und stattdessen<br />

den Einfluss gesellschaftlicher und kultureller Verhältnisse auf den Menschen<br />

zu untersuchen. Individualpathologische Erklärungen lehnt sie ab. Parin betont,<br />

dass »die Ethnopsychoanalyse insofern den Traditionen der Ethnologie folgt,<br />

als sie nicht nur den Gesetzmäßigkeiten und Kräften nachgeht, die den Gang der<br />

großen historischen Bewegungen und die Verhältnisse in den jeweiligen gesellschaftlichen<br />

Formationen bestimmen. Jedes gesellschaftliche Geschehen, alle<br />

Erscheinungen und Einrichtungen, angefangen von den intimsten Beziehungen<br />

zwischen Eltern und Kindern in der Familie, die sexuellen und die Gruppenverhältnisse<br />

und alle die Institutionen, Ideologien, Wertsysteme und Religionen, kurz<br />

die Basis und der sogenannte Überbau werden in die Untersuchung einbezogen<br />

und in ihrer psychologischen Auswirkung verfolgt.« (Parin 1980: 5)<br />

Seine Ethnopsychoanalyse sei also dialektisch, materialistisch und beziehe die<br />

Gesellschaft als Ganze <strong>mit</strong> ein (Parin 1999: 163). Während er in seinen früheren<br />

Schriften (z. B. Parin 1965) davon ausgeht, dass die menschliche Psyche <strong>mit</strong> all<br />

ihren Eigenschaften von Ödipuskomplex bis Ich-Bildung und Phylogenese überall<br />

gleich sei, man in den kulturell verschiedenen Charakterzügen einen »Volkscharakter«<br />

(ebd.: 312) erkennen könne, und er <strong>Methode</strong>n anwendet, in denen ein<br />

einzelner Charakterzug isoliert und die ihm zugrunde liegende Tendenz »erraten«<br />

wird (ebd.: 313), so wird er später zumindest insofern differenzierter, wenn er sich<br />

gegen Eurozentrismus ausspricht und betont, dass das »Leben der Anderen« eigene<br />

alte Denkweisen in Frage stellen kann und einen neuen Erfahrungshorizont<br />

bereitstellt (Parin 1999: 165 f.). Trotzdem hält er es für legitim, dieselben europäischen<br />

psychoanalytischen <strong>Methode</strong>n und Deutungen in seinen außereuropäischen<br />

Forschungen anzuwenden, da er und seine ForscherInnengruppe überall auf bestimmte<br />

Gefühlsregungen und Abwehrmechanismen träfen, die auf die Existenz<br />

jener psychodynamischen Prozesse hinwiesen (Parin 1993: 533). Psychoanalytische<br />

<strong>Methode</strong>n werden also angewandt und gegebenenfalls modifiziert. Im Ödipuskomplex,<br />

dessen Existenz an sich nicht in Frage gestellt wird, wird beispielsweise<br />

die Kastrationsangst als Angst vor dem Verlust der Frau gedeutet, weil jene<br />

die inzestuöse Triebbefriedigung versage (ebd.: 569 ff.).<br />

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