Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Gegenteil dazu gezwungen werden. Dieser Mensch hätte weder »da<strong>mit</strong> beginnen<br />
können, seine Lebens<strong>mit</strong>tel gesellschaftlich zu produzieren, noch wäre es ihm<br />
möglich, durch seinen Beitrag das gesellschaftliche und da<strong>mit</strong> eigene Leben zu<br />
erhalten, er ist kein wirklicher materiell existenzfähiger Mensch, sondern bloßes<br />
idealistisches Hirngespinst.« (ebd.: 321, Hervh. entf.) Weniger drastisch ausgedrückt<br />
stellt sich die Frage, wie menschliche Vergesellschaftung, als dem Menschen<br />
äußerliche, die <strong>mit</strong> ihm anscheinend zunächst nichts zu tun hat, historisch je<br />
möglich (und nötig) wurde, wenn sie doch »dem Wesen des Menschen«, d. h. seinen<br />
unsublimierten Trieben, entgegensteht. Die gesellschaftliche Ver<strong>mit</strong>teltheit<br />
menschlichen Daseins wird verkannt, stattdessen »das« triebbestimmte Individuum<br />
»der« Wesenheit einer triebversagenden Gesellschaft gegenübergestellt.<br />
Freud analysiert zwar scharfsinnig die Verinnerlichung und Unbewusstwerdung<br />
äußerer Autoritäten, doch durch die von ihm vorgenommene Verallgemeinerung<br />
werden gesellschaftliche Verhältnisse, in denen die Gesellschaft wirklich als undurchschaubare<br />
und fremde dem Menschen gegenübersteht, nicht als historisch<br />
konkrete fassbar und so<strong>mit</strong> auch nicht veränderbar.<br />
Die Kritische Psychologie konzeptualisiert das Verhältnis zwischen Kind und<br />
Bezugsperson als kooperative Beziehung 15 : Die Eltern helfen beim Verständnis<br />
einer Gegenstandsbedeutung. Wird diese vom Kind verstanden und als lebenspraktisch<br />
übernommen, so ist keine Verallgemeinerung dieser Norm (z. B. Besteck<br />
zum Essen zu benutzen) durch weitere Hinweise oder Druckausübung notwendig,<br />
weil »die ›Verallgemeinerung‹ in den durch die Herstellung in Löffel und<br />
Teller vergegenständlichten allgemeinen gesellschaftlichen Zwecksetzungen<br />
selbst liegt und deshalb für das Kind sich ›aus der Sache‹ ergibt« (ebd.: 324).<br />
Die immer weitergehende Übernahme von Gegenstandsbedeutungen und das<br />
da<strong>mit</strong> einhergehende Erlangen von Unabhängigkeit und Umweltkontrolle kann<br />
als allmähliche kindliche Vergesellschaftung begriffen werden. Dabei wird sich<br />
das Kind in immer weiteren Lebensbereichen (wie Familie, Kindergarten, Schule)<br />
immer höheren gesellschaftlichen Anforderungen gegenüber sehen. Nur wenn es<br />
in diesen Anforderungen die Möglichkeit zur eigenen Verfügungserweiterung antizipieren<br />
kann, entwickelt es eine eigene Motivation zur Übernahme dieser Anforderungen;<br />
andernfalls muss die Übernahme durch inneren oder äußeren Zwang<br />
erfolgen. Die erhöhte Selbst- und Weltkontrolle des Kindes geht idealerweise <strong>mit</strong><br />
der schrittweisen Zurücknahme der Fremdkontrolle der Eltern einher. Die Beziehung<br />
zu ihnen entwickelt sich so zu einer kooperativen, indem das Kind nun auch<br />
eigene Beiträge zu der Beziehung leisten kann, was ihm eine höhere Kontrolle<br />
über die Beziehung, so<strong>mit</strong> emotionale Abgesichertheit und eine gewisse Unabhängigkeit<br />
bringt.<br />
15 Es handelt sich um ein Konzept, wie kindliche Verfügungserweiterung möglich wäre. Dem entsprechen die reell<br />
gegebenen Familienkonstellationen nicht unbedingt.<br />
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