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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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viduum den erzwungenen Triebverzicht verarbeiten und aushalten kann, aber innerhalb<br />

dieser Schranken trotzdem eine gewisse Befriedigung findet.<br />

2. <strong>Kritik</strong> der freudschen Psychoanalyse durch die Kritische Psychologie<br />

Vor einer fundierten <strong>Kritik</strong> an der Psychoanalyse gilt es, ihren Gegenstandsbereich<br />

zu betrachten und zu klären, warum sie als eigene Disziplin, interdisziplinär<br />

und im Alltagsbewusstsein so wirkmächtig ist, welchen Erkenntnisgewinn sie<br />

verspricht.<br />

Indem ihr Gegenstand die un<strong>mit</strong>telbare Erfahrung der Menschen, die Anerkennung<br />

menschlicher Besonderheit bildet, erreicht sie gegenüber der Mainstream-<br />

Psychologie (welche geprägt ist von Funktionalismus, experimenteller Psychologie<br />

und Statistik) ein »neues Niveau ›subjektwissenschaftlicher‹ Begrifflichkeit«<br />

(Holzkamp 1990a: 55). Ihre Begriffe, die nicht über, sondern für Menschen gemacht<br />

sind, dienen der Klärung eigener Erfahrungen und Widersprüche, also einem<br />

Selbst-Verständnis (statt bloße Vorhersagen abgeben zu wollen). Diese<br />

Selbst-Klärung kann als Schlüssel für Unterdrückungsverhältnisse, für verborgene,<br />

objektive, allgemeine Zusammenhänge fungieren. Verallgemeinerungen<br />

werden dabei nicht durch bloße Häufigkeit, sondern durch den Aufstieg vom Einzelfall<br />

zu gesellschaftlichen Zusammenhängen erarbeitet; Abweichungen werden<br />

nicht ignoriert, indem sie aus der Normalverteilung herausfallen und »verschwinden«,<br />

sondern erklärbar durch Mechanismen der Abwehr u. a. (Holzkamp 1984a:<br />

27 f.). Der Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung, den die Psychoanalyse<br />

durch ihr Konzept vom Unbewussten postuliert, ist eine zentrale Kategorie in<br />

emanzipatorischen Theorien und wurde bereits von Karl Marx als Grundlage jeder<br />

Wissenschaft bezeichnet, denn »alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die<br />

Erscheinungsform und das Wesen der Dinge un<strong>mit</strong>telbar zusammenfielen« (Marx<br />

1989: 825).<br />

In der Psychoanalyse wird, entsprechend dem Anspruch kritischer Wissenschaften,<br />

der Widerspruch zwischen den Interessen des Subjekts und den gesellschaftlichen<br />

Verhältnissen betont. Aber, und das ist der wichtigste <strong>Kritik</strong>punkt an Freud,<br />

diese Parteinahme für das Subjekt ist gebrochen, da der Widerspruch, die gesellschaftliche<br />

Unterdrückung als unveränderlich und immer gegeben, nicht als historisch<br />

spezifische Gesellschaftsform gedacht wird – also eine Universalisierung von<br />

Unterdrückung stattfindet (Holzkamp 1990a: 61). Erklärtes Therapieziel ist es, das<br />

individuelle Leiden zu mindern, allerdings lediglich durch das Erkennen und die<br />

Akzeptanz von durch Triebe und Triebversagung entstandenen inneren Konflikten;<br />

nicht durch das Eingreifen in Verhältnisse, in denen dieses Leiden entsteht.<br />

»Einerseits wird so erst voll begreiflich, warum Freuds Prämissen von der genuinen<br />

Unvereinbarkeit subjektiver Lebensansprüche <strong>mit</strong> gesellschaftlichen Anforderungen<br />

nicht nur eine falsche Universalisierung bürgerlich-kapitalistischer<br />

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