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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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aber eigentlich ein zweifacher ist wegen der »kindlich-natürlichen Bisexualität«<br />

(Freud 1978: 187). Die ödipale Konstellation gilt für Freud als ein allgemeinmenschliches<br />

Modell, welches in jeder Familie durchlebt werden muss und phylogenetisch<br />

vererbt ist. D. h. die Erinnerungen an das Verhalten früherer Generationen<br />

bestimmen das Verhalten des Jungen. Ausschlaggebend ist die Erinnerung<br />

an die Urhorde, wiederum eine geschichtsphilosophische These Freuds: Brüder<br />

erschlagen ihren Urvater, woraufhin sie, wegen der ambivalenten Gefühle zu ihm,<br />

ein Schuldbewusstsein entwickeln und seine Regeln wiederaufrichten. So entstehen<br />

die zwei menschlich-zivilisatorischen Grundeigenschaften: die Schonung des<br />

Totemtiers und das Inzestverbot (Freud 1939 IX: 173 f.). Freud weist auf die<br />

Relevanz der Phylogenese für seine Theorie hin und kann »diesen Faktor in der<br />

biologischen Entwicklung nicht entbehren [...]. Wenn es anders ist, kommen wir<br />

weder in der Analyse noch in der Massenpsychologie auf dem eingeschlagenen<br />

Weg einen Schritt weiter.« (1939 XVI: 207 f.).<br />

Für eine angemessene Vergesellschaftung des Individuums, die die vollständige<br />

Ausbildung der drei Instanzen voraussetzt, muss der Ödipuskomplex untergehen,<br />

d. h. bewältigt werden, und sich ein Über-Ich bilden. Beim Jungen verläuft<br />

dies, indem er Kastrationsangst vor dem Vater entwickelt, da beide die Mutter<br />

wollen (auch das ist nach Freud eine phylogenetische Erinnerung an eine frühere<br />

Realität). Da das Interesse an seinem eigenen Penis größer ist als an der Mutter,<br />

wird die Objektbesetzung der Mutter aufgegeben zugunsten einer Fixierung auf<br />

die genitale (heterosexuelle) Sexualität und einer Identifizierung <strong>mit</strong> der väterlichen<br />

Autorität. Die Verbote und Normen der Eltern werden als eigene ins Ich hineingenommen.<br />

Diese Introjektion findet unbewusst statt, da<strong>mit</strong> die äußeren als innere<br />

Normen wahrgenommen und ihre Herkunft vergessen werden kann – die<br />

Funktion des Über-Ich bildet sich heraus. Das Mädchen hingegen hält sich für bereits<br />

kastriert und hat daher keinen Antrieb für eine Überwindung des Ödipuskomplexes.<br />

So bildet sie nur ein schwaches Über-Ich, wo<strong>mit</strong> Freud den vermeintlich<br />

schwachen weiblichen Charakter erklärt: » [...] Feministen hören es nicht<br />

gerne, wenn man auf die Auswirkungen dieses Moments für den durchschnittlichen<br />

weiblichen Charakter hinweist« (Freud 1939 XV: 138 f.). Das Über-Ich setzt<br />

sich so<strong>mit</strong> zusammen erstens aus dem Ich-Ideal, der ersten Identifizierung <strong>mit</strong><br />

dem Vater oder auch der Mutter, wenn ihr Penismangel noch unerkannt ist, vermischt<br />

<strong>mit</strong> dem Verbot aus dem Ödipuskomplex, nicht so sein zu dürfen wie die<br />

Eltern. Zweitens und hauptsächlich besteht es aus den äußeren Autoritäten und<br />

Normen, verkörpert von den Eltern (später von sämtlichen für die Sozialisation<br />

als zentral empfundenen Personen) als gesellschaftliche Instanzen. Seine Strenge<br />

speist sich aus versagten Aggressionstrieben; sein Schuldbewusstsein ist mächtig,<br />

da es nicht nur entdeckte Taten, sondern auch Gedanken sanktioniert, die ja aufgrund<br />

der Triebe des Es potentiell immer bestehen (Freud 1978: 186 ff.).<br />

Eine den (für Freud ahistorisch allgemeinen) gesellschaftlichen Ansprüchen<br />

angemessene Entwicklung ist in dieser Sichtweise dann gegeben, wenn das Indi-<br />

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