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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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nießen. Zwar gibt es hier »auch Probleme«, aber die werden zunächst nicht ausführlicher<br />

angesprochen. 20 Interessanterweise wird von Tania auch nicht erwähnt,<br />

was sie aus der Gemeinde vermissen würde. Die Stadt hingegen erscheint allgemein<br />

»gut«. Tania betont, dass sie vielleicht für einige Jahre zurück aufs Land gehen<br />

muss, jedoch langfristig in der Stadt leben möchte. Gegen Ende der Szene<br />

wechselt sie schließlich ins Q’eqchi’, sagt etwas für den Forscher Unverständliches<br />

und bricht in Lachen aus, die anderen fallen ein.<br />

5.3.2. Soziologische Interpretation<br />

Aus soziologischer Perspektive scheint es zunächst sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen,<br />

in welchem institutionellen Kontext die Forschung stattfindet, nämlich<br />

dem einer Schule, und dass das Arbeitsbündnis für dieses Gespräch erst <strong>mit</strong> der<br />

expliziten Aufforderung des Schulleiters zustande kam.<br />

Mein Eingangsmonolog beendet das Alltagsgespräch der Mädchen; er wirkt einerseits<br />

strukturierend, gleichzeitig jedoch etwas verwirrend: Ich inszeniere mich<br />

in gewisser Weise wie eine Autorität, gebe der Gruppe jedoch offensichtlich nicht<br />

die <strong>mit</strong> dieser Rolle verbundene Orientierung, wie etwa Tanias explizite Nachfrage<br />

nach dem erwünschten Ablauf deutlich macht. Eine Teilnehmerin der Interpretationsgruppe<br />

verglich mein Auftreten <strong>mit</strong> dem eines Referendars, dessen Autorität<br />

noch nicht geklärt sei. Dieser »Lehrerrolle« entspricht auch, dass ich auf<br />

Spanisch spreche, der Sprache, die die Mädchen vor allem im Unterricht benutzen;<br />

meine Frage, wer noch kommen werde, könnte in diesem Kontext auch als<br />

Überprüfung einer Anwesenheitsliste gelesen werden. Auch auf Seiten der<br />

Mädchen lässt sich ein Rollenangebot als Lehrer feststellen: Tania beendet ihre<br />

Ausführungen <strong>mit</strong> einem entschiedenen »Fertig!«, so wie man es etwa macht,<br />

wenn man gerade eine Aufgabe erfüllt hat. Wenn die Mädchen als Gruppe <strong>mit</strong> einem<br />

langgezogenen »Jaaa!« antworten, erinnert diese Inszenierung an eine Situation<br />

im Unterricht, in dem von der ganzen Klasse eine positive Antwort erwartet<br />

wird bzw. wie eine Persiflage darauf. Die spielerische Art, <strong>mit</strong> der es inszeniert<br />

wird, kann vielleicht auch als Ausdruck eines prinzipiell positiven, <strong>mit</strong>unter ironisch<br />

gebrochenen Verhältnisses der Mädchen zur Schule gelesen werden – sie<br />

stimmen sozusagen auch der Form nach dem zu, was Tania inhaltlich gesagt hat:<br />

»hier in der Stadt«, – da<strong>mit</strong> ist in diesem Fall wohl v.a. die Situation »hier im Internat«<br />

gemeint – gibt es auch Probleme, doch grundsätzlich stellt das Leben hier<br />

eine große Verbesserung dar.<br />

Tania wird von der Gruppe explizit delegiert, die Verantwortung für die Kommunikation<br />

<strong>mit</strong> mir zu übernehmen; darin bestätigt sich ihre Rolle und ihre da<strong>mit</strong><br />

verbundene Macht in der Gruppe – ihr Witz und ihr Auftreten lassen vermuten,<br />

dass diese ihr durchaus bewusst sind und sie souverän da<strong>mit</strong> umzugehen versteht.<br />

20 Die andere Möglichkeit wäre, dass dies tabuierte Themen sind, dass es dabei z. B. um Probleme in der Gruppe<br />

geht, die sie nicht ansprechen will und die den Forscher nichts angehen.<br />

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