Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Schon hier zeichnen sich verschiedene Entwürfe des Gesprächsführung ab, die<br />
im folgenden Gesprächsverlauf konfligieren werden, und in denen sich das Herkunftsmilieu<br />
der TeilnehmerInnen ausdrückt: auf der einen Seite meine in der<br />
akademischen Ausbildung erworbene Vorstellung eines »offenen, vertraulichen<br />
Gesprächs«, an dem sich alle Mädchen beteiligen – <strong>mit</strong> individuellen Beiträgen,<br />
wie mein Versuch zeigt, einen alleinigen Dialog <strong>mit</strong> Tania zu vermeiden (ich spreche<br />
die Mädchen konsequent als Gruppe an). Auf Seiten der Mädchen steht das<br />
leise Flüstern untereinander – auf Q’eqchi’ – den eloquenten Ausführungen Tanias<br />
auf Spanisch gegenüber. Tania wird offensichtlich von den anderen Mädchen<br />
delegiert, die Kommunikation <strong>mit</strong> dem Forscher zu übernehmen, sie selbst halten<br />
sich zurück. Geht man davon aus, dass Frauen von den öffentlichen Machtpositionen<br />
in den Gemeinden traditionellerweise ausgeschlossen sind bzw. zu schweigen<br />
haben, so würde das Schweigen der meisten Mädchen dieses Rollenmuster bestätigen,<br />
während Tania einen »moderneren« Umgang <strong>mit</strong> dem Fremden repräsentiert,<br />
indem sie sich eloquent und selbstbewusst <strong>mit</strong> ihm auseinandersetzt.<br />
Die Differenz des Herkunftsmilieus wird an verschiedenen Stellen indirekt angesprochen:<br />
Ich erwähne meine mangelnden Q’eqchi’-Kenntnisse; Tania scheint<br />
<strong>mit</strong> ihrem Witz auf Q’eqchi’ (»Aber ich werde nur auf Q’eqchi’ reden und die anderen<br />
übersetzen das dann.«) darauf Bezug zu nehmen: Sie thematisiert da<strong>mit</strong><br />
nicht nur die Schwierigkeiten der Verständigung, sondern auch meine Angewiesenheit<br />
auf die Mädchen. Gleichzeitig dreht dieser Witz das wirkliche Rollenverhältnis<br />
in der Gruppe um: Tanias ironische Weigerung, Spanisch zu sprechen,<br />
steht stellvertretend für die tatsächliche Verweigerung der anderen Mädchen, als<br />
deren »Übersetzerin« sie fungiert. Sie bezieht die Anderen da<strong>mit</strong> in mehrfacher<br />
Weise ein: Zum einen setzt sie sich zu ihrer tatsächlichen Rolle als Repräsentantin<br />
ironisch in Distanz, nimmt gewissermaßen den Platz der Verweigerung ein und<br />
demonstriert – vielleicht im Sinne einer Aufforderung, sich zu beteiligen –, dass<br />
es auch in der eigenen Muttersprache möglich ist, sich selbstbewusst und provokativ<br />
<strong>mit</strong> dem Fremden auseinanderzusetzen.<br />
Dabei geht es auch inhaltlich und explizit um die eigene Herkunft. In ihren<br />
Ausführungen beschreibt Tania das Leben in den Gemeinden: Sie zählt all die<br />
Mühsal auf, die <strong>mit</strong> dem dortigen Alltag verbunden ist, woraufhin Victoria lachend<br />
die rhetorische Frage stellt, was man dagegen schon tun könne: »Was<br />
machst du ... <strong>mit</strong> so vielen Mosquitos?« Die übrigen Mädchen spiegeln diese Bemerkung<br />
– fast wie ein Chor im Hintergrund einer Bühne – ironisch gebrochen<br />
wider: das Leben in den Gemeinden wird auf ein langgezogenes, klagend inszeniertes<br />
»Viele Mosquiiitos, viel Schlaaamm!« reduziert. Diese Inszenierung, in der<br />
das Ausgeliefertsein an »Naturkräfte« dargestellt wird, ver<strong>mit</strong>telt einen Eindruck<br />
von kaum veränderbaren Verhältnissen, über die man nur das immer gleiche,<br />
langweilige Jammern erheben kann, wozu die Mädchen sich nun lachend in Distanz<br />
setzen. Sie wirken froh und erleichtert darüber, die Gemeinden verlassen zu<br />
haben und scheinen ihre Freiheit im Internat und das Leben in der Gruppe zu ge-<br />
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