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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Im Kontakt <strong>mit</strong> den Mädchen fiel mir die 18-jährige Tania sofort auf: Sie war<br />

eine der ersten, die mich ansprachen und nahm auch in anderer Hinsicht die Rolle<br />

einer Anführerin ein. Sie sprach sehr eloquent Spanisch, was auch da<strong>mit</strong> zu tun<br />

haben mag, dass sie aus einer Gemeinde kam, die vor einigen Jahren kollektiv zu<br />

einer evangelikalen Sekte übergetreten war. Sie war zudem stellvertretende Präsidentin<br />

des »Rats der Jugend« der Kreisstadt und hatte schon an verschiedenen politischen<br />

Aktivitäten und Workshops, auch in der Hauptstadt, teilgenommen.<br />

In den Gesprächen in der Küche ergab es sich oft, dass die Mädchen sich gegenseitig<br />

neckten, etwa indem sie mir vor den Anderen deren vermeintliche Affären<br />

»petzten«: »Die da hat einen Freund, den Mario!«, worauf die »Beschuldigte« sich<br />

laut und gestikulierend zur Wehr setzte, die »Anklägerin« zu übertönen versuchte<br />

und mir lachend beteuerte, die Andere lüge, sie habe vielmehr selber etwas <strong>mit</strong><br />

diesem oder jenem gehabt. 18 In kurzer Zeit lernte ich auf diese Weise die Namen<br />

aller vermeintlichen oder tatsächlichen Freunde der Mädchen auswendig. Einmal<br />

fragte Tania mich die Namen der Freunde der Mädchen geradezu ab, so als legte<br />

sie großen Wert darauf. Sie war dabei auch die Einzige, die von Anfang an zu ihrer<br />

Beziehung <strong>mit</strong> einem Jungen stand bzw. stolz darauf schien; nur wenn ihr von<br />

den anderen dann spaßhaft ihre »Nebenaffären« und früheren Jungenfreundschaften<br />

vorgeworfen wurden, verteidigte sie sich lachend.<br />

Dieses Spiel belustigte mich, überraschte mich jedoch vor allem, da ich nicht erwartet<br />

hatte, so schnell in derart intime Angelegenheiten der Mädchen eingeweiht<br />

zu werden. Die Inszenierung hatte fast etwas Exhibitionistisches: Ich wurde zum<br />

Publikum der Offenbarung der »offenen Geheimnisse« des Internats gemacht.<br />

Diese Inszenierung kann als typisch adoleszent bezeichnet werden, geht es hier<br />

doch um ein erwachsenes Begehren, das jedoch noch als fremd und neu empfunden<br />

wird; man ist kein Kind mehr, aber auch noch keine Erwachsene. Die aufgeregte<br />

Inszenierung der Beschuldigungen zeigt, dass das erotische Begehren, insbesondere<br />

in diesem Kontext, noch etwas »Unerhörtes« und Ungewohntes ist. Gleichzeitig<br />

wird da<strong>mit</strong> jedoch selbstbewusst – bzw. ver<strong>mit</strong>telt über die absehbaren Schuldzuweisungen<br />

der anderen an die eigene Person – die eigene sexuelle Reife betont.<br />

King beschreibt in diesem Zusammenhang die peer group insbesondere für die<br />

weibliche Adoleszenz als entscheidenden Ort der gemeinsamen Aneignung der erwachsenen<br />

Sexualität und »sicheren Hafen für erotische Exkursionen« bzw. einen<br />

»Ort der diskursiven Vorbereitung, Einführung und ›teilnehmenden Beobachtung‹<br />

an den sexuellen, Liebes- und Beziehungserfahrungen der Peers, in diesem Sinne<br />

Ort und Medium der sexuellen und geschlechtlichen Initiation« (King 2002: 229).<br />

Doch trotz der recht guten und überraschend unbefangenen Beziehung, die sich zu<br />

den Mädchen herstellte, reagierten sie auf meinen Vorschlag eines Gruppengesprächs<br />

eher ausweichend. Mit der Zeit steigerte sich meine Befürchtung, das Pro-<br />

18 Dabei wurde <strong>mit</strong> zwei Begriffen jongliert, um die erotischen Beziehungen zu bezeichnen: Während <strong>mit</strong> »xul«,<br />

das auch »Tier« bedeutet, ein Partner in einem »unsauberen« Verhältnis bezeichnet wird, ist »xsum iwaam«, das<br />

als »Gefährte des Herzens« übersetzt werden kann, der Ausdruck für eine romantischere, »reine« Liebe.<br />

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