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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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und entsprechend einer Form-Inhalt-Analyse, auf Grundlage der oben erwähnten<br />

Affektprotokolle bzw. Forschungstagebücher und <strong>mit</strong> dem Fokus auf die Prozesse<br />

in dieser speziellen Gruppe erschlossen. Im Anschluss an Foulkes und seinen Begriff<br />

der Gruppenmatrix unterscheidet Bosse hierbei zwischen verschiedenen<br />

Matrizen, die gewissermaßen gruppenanalytische Entsprechungen der eben<br />

erwähnten Perspektiven sind: Mit Blick auf die Herkunftsmatrix wird beleuchtet,<br />

inwieweit in der Ausgestaltung der Forschungssituation Beziehungsmuster des<br />

Herkunftsmilieus der Teilnehmenden reproduziert werden bzw. eine Bearbeitung<br />

erfahren und neu ausgehandelt werden. 7 Dabei erscheint diese ethnographische<br />

Perspektive nicht unproblematisch, droht <strong>mit</strong> ihr doch eine Re-Ethnisierung, in<br />

der die Beforschten immer wieder unter das Herkunftsmilieu subsumiert werden,<br />

von dem sie sich unter Umständen gerade emanzipieren; »kulturelle Differenzen«<br />

würden da<strong>mit</strong> wissenschaftlich fortgeschrieben bzw. überhaupt erst konstruiert. 8<br />

Ethnohermeneutik begreift diese Operation der Re-Ethnisierung als einen durch<br />

Selbstreflexion aufzulösenden Abwehrmechanismus des forschenden Subjekts, in<br />

dem diejenigen eigenen Affekte, die »fremd« erscheinen und nicht zugelassen<br />

werden dürfen, auf die Beforschten projiziert werden: »Was am Fremden fremd<br />

bleibt, soll fremd bleiben, weil es droht, dem Forscher etwas über seine eigene<br />

Kultur, Rolle oder Person zu zeigen, das ihm selbst in einem bestimmten Sinne<br />

fremd ist.« (Bosse 1994: 15; Bosse 1997: 10.)<br />

Dies können nicht zuletzt die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den ForschungsteilnehmerInnen<br />

und die da<strong>mit</strong> verbundenen Strategien der Einzelnen zur<br />

Durchsetzung ihrer Interessen sein. Aus diesem Grund ist die Forschungssituation<br />

in der Ethnoanalyse aus der soziologischen Perspektive auch als Realsituation <strong>mit</strong><br />

sozialen Zwängen, Machtunterschieden und gegensätzlichen Interessen zu beleuchten;<br />

die eigenen Forschungsstrategien und Vorannahmen sind systematisch<br />

zu reflektieren und auszuweisen. Mit dem Begriff der institutionellen Matrix wird<br />

entsprechend das Arbeitsbündnis der Gruppe beleuchtet. Es geht sowohl um den<br />

institutionellen Rahmen, in dem die Forschung stattfindet, als auch um die »Institution<br />

Forschung« selbst, d. h. die Frage, welche Konzepte der Forschende von<br />

den akademischen Ausbildungsinstitutionen übernommen hat – oftmals geht es<br />

7 Als Forscher aus einem Industrieland in einem Land der Peripherie ist in diesem Zusammenhang der Begriff der<br />

»kulturellen Übertragung« von Bedeutung, den Maya Nadig in ihrer Forschung <strong>mit</strong> indigenen Bäuerinnen in<br />

Mexiko geprägt hat: Anfänglich begegneten ihr viele Gesprächspartnerinnen <strong>mit</strong> äußerstem Misstrauen, da sie in<br />

ihr eine Missionarin oder Regierungsvertreterin sahen – eine Auslegung, die Rückschlüsse über die sozialen<br />

Konflikte und die Strategien der Beforschten zuließ und in ihrer Auflösung neue Aspekte der Kultur erschlossen<br />

(Nadig 1986).<br />

8 Keval, die in ethnoanalytischen Gruppengesprächen <strong>mit</strong> deutschen Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus<br />

die Gründe für die weitgehende Blindheit der antifaschistischen Bewegung gegenüber der Besonderheit<br />

des Antise<strong>mit</strong>ismus erforschte, bevorzugt hier den Begriff der »historischen Matrix«, geht es hier doch letztlich<br />

um die biographischen Erfahrungen, die die Individuen in die Gruppe einbringen, und die in der<br />

dynamischen Matrix gewissermaßen in Bewegung kommen und nicht auf die »Herkunft« der Individuen reduziert<br />

werden können (Keval 1999: 66 ff.).<br />

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