Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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09.11.2012 Aufrufe

wissen für empirisches Vorgehen an die Hand gibt. Der Artikel führt in die grundlegenden Schritte einer empirischen Diskursanalyse á la DISS ein, und expliziert diesen ›Leitfaden‹ an im Forschungsprozess konkret zu treffenden Entscheidungen und Materialinterpretationen. Die AutorInnen kritisieren dabei einige Undeutlichkeiten in der Terminologie Siegfried Jägers und erarbeiten eine eigene Systematik der Stufen und jeweiligen Ziele des Forschungsprozesses. Matthias Leanza stellt die Objektive Hermeneutik Ulrich Oevermanns vor. Ihr kritisches Potenzial sieht der Autor in der Herausarbeitung latenter Regelstrukturen von Sozialität und in dem Aufweis ihres kontingenten Charakters unter weitgehendem Verzicht auf subjekttheoretische Annahmen. Dies demonstriert Leanza durch eine Sequenzanalyse der Sinnstruktur eines Zeitungsartikels zur Arbeitszeitdebatte aus der ZEIT. Die Analyse arbeitet heraus, dass die zunächst sehr balanciert wirkende Position sich dem klugen Einsatz rhetorischer Mittel verdankt und zentral durch eine neoliberale Standortlogik gekennzeichnet ist, die arbeitnehmerInnenunfreundlich ist. Während im ersten Teil soziale Strukturen das Zielobjekt der kritischen Methoden darstellten, widmet sich der zweite Teil den Subjekten und Subjektivierungsprozessen, die in ihrem sozialen Kontext aus psychologischer (aber immer auch sozialwissenschaftlich angereicherter) Perspektive rekonstruiert werden. Tobias Pieper beschäftigt sich mit der sozialen Positionierung von MigrantInnen und Flüchtlingen durch deren Internierung in Lagern und Abschiebegefängnissen in der BRD. Dieser sozial engagierte Ansatz weist auf methodische Fallstricke der Forschung mit sozial unsichtbar gemachten Menschen hin. Aufgrund der Exklusion dieser Personengruppe aus der ›Mehrheitsgesellschaft‹ müssen auch die Methoden – eben gegenstandsadäquat – dieser besonderen Lage angepasst werden. Die Hürden, welche errichtet wurden, um Migrantinnen und Flüchtlingen aus dem gesellschaftlichen ›Normalbetrieb‹ auszuschließen, müssen auch vom Forscher bzw. der Forscherin überwunden werden. Wie dies geschieht und was dies über den Gegenstand und dessen Positionierung innerhalb der gesellschaftlichen Totalität aussagt, ist Teil der Reflexionen dieses Beitrages. Antje Krueger stellt in ihrem Beitrag die Ethnopsychoanalyse und die darin anknüpfenden Methoden vor und zeigt anhand eines konkreten Beispiels die Brauchbarkeit für eine kritische Rekonstruktion von sozial eingebetteten Subjektbildungsprozessen. Die Ethnopsychoanalyse, als Kombination von Ethnologie und Psychoanalyse, hat den Anspruch, Dynamiken im gesellschaftlichen Feld zu erkennen, zu reflektieren und methodisch auszuwerten. Dabei fokussiert sie vor allem die unbewussten Strukturen, die der Begegnung zwischen Forschenden und dem interessierenden Gegenüber inhärent sind. Krueger zeigt, wie die Analyse des »subjektiven Faktors« methodisch mit der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt (Maya Nadig) umgesetzt werden kann. Der Beitrag von Christoph H. Schwarz stellt mit der Ethnoanalyse einen psychoanalytisch orientierten Ansatz in den Sozialwissenschaften vor, in dem Über- 14

legungen der Gruppenanalyse und Ethnopsychoanalyse zusammengeführt werden. Eine kritische Erforschung des Sozialen und der Einbindung des Individuums in kollektive Formationen kommt aus dieser Perspektive nicht ohne eine systematische Reflexion der Forschungsbeziehung und der darin auftretenden Affekte und Irritationen aus. Ziel des Beitrags ist es, die methodischen Implikationen dieses Ansatzes vorzustellen als auch die Relevanz der aus dieser Perspektive ausgearbeiteten Ergebnisse für die Sozialforschung aufzuzeigen. Janne Mende kritisiert die eklektizistische Verwendung psychoanalytischer Methoden und fordert, sie eingebettet in ihrem theoretischen Rahmen zu betrachten. So lassen sich die Grenzen des kritischen Potentials psychoanalytischer Herangehensweisen herausarbeiten, insbesondere die Vorstellungen des Mensch-Welt- Zusammenhangs und der menschlichen Entwicklung betreffend. Auf der Grundlage Kritisch-psychologischer Forschung stellt Mende demgegenüber Konzepte vor, die den Menschen als Teil und Produzenten gesellschaftlicher Verhältnisse begreifen und in denen sich eine Person bewusst zu den ihr gegebenen Bedingungen verhalten kann. Am Beispiel der Ethnopsychoanalyse soll kurz aufgezeigt werden, welche Implikationen die Benutzung psychoanalytischer Methoden mit sich bringt. Katrin Reimer verdeutlicht, ebenfalls auf der Grundlage der Kritischen Psychologie, dass Gegenstandverständnis und Methodik eng zusammenhängen und gegenstandsadäquat zu entwickeln sind. An einem Forschungsprojekt über Rechtsextremismus stellt sie die methodische Herangehensweise einer Kritisch-psychologisch fundierten Forschung vor, indem sie vom Konzept der Entwicklungs/Stagnationsfigur als idealtypischer Form subjektwissenschaftlicher Forschung ausgeht, welches Wissenschaftlichkeit und Gesellschaftskritik jenseits von experimentellen und qualitativen Anordnungen ermöglicht. Der dritte und vierte Teil des Buches verlassen den Bereich der Auseinandersetzung mit einzelnen Methoden. Der dritte Teil wendet sich wissenschafts- und besonders methodenkritisch einzelnen Feldern der existierenden Normalwissenschaft zu, um deren Methodenanwendungen nach ihren ausschließenden und ideologischen Effekten zu durchleuchten. Der Beitrag von Ulrike Freikamp wirft die Frage auf, inwiefern kritisches Forschen spezielle Qualitäts- und Gütekriterien braucht. Die Grundlage der Diskussion bildet das Verständnis qualitativer Methoden und Methodologien und der qualitativen Forschung zugrunde liegender konstruktivistischer Positionen. Darauf aufbauend werden die verschiedenen Grundpositionen über die Gültigkeit und Konsequenzen qualitativer Forschung diskutiert. Die Entwicklung eigener Bewertungskriterien für die qualitative Sozialforschung wird, unter Beachtung ihrer speziellen Grundlagen, auf eine mögliche Beliebigkeit wissenschaftlicher Forschung befragt. So werden zwei bekannte Konzepte spezieller Gütekriterien für die qualitative Forschung vorgestellt und hinsichtlich ihres Beitrags für die Qualitätssicherung qualitativer und kritischer Sozialforschung analysiert. 15

legungen der Gruppenanalyse und Ethnopsychoanalyse zusammengeführt werden.<br />

Eine kritische Erforschung des Sozialen und der Einbindung des Individuums<br />

in kollektive Formationen kommt aus dieser Perspektive nicht ohne eine systematische<br />

Reflexion der Forschungsbeziehung und der darin auftretenden<br />

Affekte und Irritationen aus. Ziel des Beitrags ist es, die methodischen Implikationen<br />

dieses Ansatzes vorzustellen als auch die Relevanz der aus dieser Perspektive<br />

ausgearbeiteten Ergebnisse für die Sozialforschung aufzuzeigen.<br />

Janne Mende kritisiert die eklektizistische Verwendung psychoanalytischer<br />

<strong>Methode</strong>n und fordert, sie eingebettet in ihrem theoretischen Rahmen zu betrachten.<br />

So lassen sich die Grenzen des kritischen Potentials psychoanalytischer Herangehensweisen<br />

herausarbeiten, insbesondere die Vorstellungen des Mensch-Welt-<br />

Zusammenhangs und der menschlichen Entwicklung betreffend. Auf der Grundlage<br />

Kritisch-psychologischer Forschung stellt Mende demgegenüber Konzepte<br />

vor, die den Menschen als Teil und Produzenten gesellschaftlicher Verhältnisse<br />

begreifen und in denen sich eine Person bewusst zu den ihr gegebenen Bedingungen<br />

verhalten kann. Am Beispiel der Ethnopsychoanalyse soll kurz aufgezeigt<br />

werden, welche Implikationen die Benutzung psychoanalytischer <strong>Methode</strong>n <strong>mit</strong><br />

sich bringt.<br />

Katrin Reimer verdeutlicht, ebenfalls auf der Grundlage der Kritischen Psychologie,<br />

dass Gegenstandverständnis und Methodik eng zusammenhängen und<br />

gegenstandsadäquat zu entwickeln sind. An einem Forschungsprojekt über Rechtsextremismus<br />

stellt sie die methodische Herangehensweise einer Kritisch-psychologisch<br />

fundierten Forschung vor, indem sie vom Konzept der Entwicklungs/Stagnationsfigur<br />

als idealtypischer Form subjektwissenschaftlicher Forschung ausgeht,<br />

welches Wissenschaftlichkeit und Gesellschaftskritik jenseits von experimentellen<br />

und qualitativen Anordnungen ermöglicht.<br />

Der dritte und vierte Teil des Buches verlassen den Bereich der Auseinandersetzung<br />

<strong>mit</strong> einzelnen <strong>Methode</strong>n. Der dritte Teil wendet sich wissenschafts- und<br />

besonders methodenkritisch einzelnen Feldern der existierenden Normalwissenschaft<br />

zu, um deren <strong>Methode</strong>nanwendungen nach ihren ausschließenden und<br />

ideologischen Effekten zu durchleuchten.<br />

Der Beitrag von Ulrike Freikamp wirft die Frage auf, inwiefern kritisches Forschen<br />

spezielle Qualitäts- und Gütekriterien braucht. Die Grundlage der Diskussion<br />

bildet das Verständnis qualitativer <strong>Methode</strong>n und Methodologien und der<br />

qualitativen Forschung zugrunde liegender konstruktivistischer Positionen. Darauf<br />

aufbauend werden die verschiedenen Grundpositionen über die Gültigkeit und<br />

Konsequenzen qualitativer Forschung diskutiert. Die Entwicklung eigener Bewertungskriterien<br />

für die qualitative Sozialforschung wird, unter Beachtung ihrer<br />

speziellen Grundlagen, auf eine mögliche Beliebigkeit wissenschaftlicher Forschung<br />

befragt. So werden zwei bekannte Konzepte spezieller Gütekriterien für<br />

die qualitative Forschung vorgestellt und hinsichtlich ihres Beitrags für die Qualitätssicherung<br />

qualitativer und kritischer Sozialforschung analysiert.<br />

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