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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Ethnoanalyse ist grundsätzlich nicht auf eine bestimmte Form der Datenerhebung<br />

festgelegt. Die Forschung in Gesellschaften, in denen noch keine Individualisierung<br />

stattgefunden hat und das Kollektiv der Dorfgemeinschaft, der Familie<br />

oder des Clans eine sehr viel größere Rolle spielt, legte jedoch eine Erhebungsmethode<br />

nahe, in der die Einbindung des Einzelnen in diese Kollektive in deutlicherer<br />

Weise hervortritt. Die von Bosse bevorzugte Erhebungsmethode, die in der<br />

Anpassung an den Gegenstand zur Ethnoanalyse ausgearbeitet wurde, war daher<br />

das analytisch orientierte Gruppengespräch nach Foulkes.<br />

1.1. Das ethnoanalytische Gruppengespräch<br />

Im Gegensatz zur Ethnopsychoanalyse nach Parin/Parin-Mathey fokussiert Ethnoanalyse<br />

als sozialpsychologischer Ansatz stärker auf soziale Einheiten. Sie versucht,<br />

psychische Prozesse von Individuen speziell im Hinblick auf ihre Einbindung<br />

in kollektive Formationen zu verstehen und auf den »Zusammenhang zwischen<br />

dem Verhalten der Einzelnen in der Gruppe und der psychischen Gesamtkonstellation,<br />

die in einer Gruppe entsteht und sich durch die Interaktion der Mitglieder<br />

fortwährend verändert« (Sandner 1986: 26; Adler 1993: 148), hinzuweisen.<br />

Anknüpfend an die Gruppenanalyse soll in der Forschungssituation ein Raum<br />

zur Verfügung gestellt werden, in dem alle Themen, die die Gruppe beschäftigen,<br />

zur Sprache kommen können. Um dies zu ermöglichen, ist eine weitgehende Offenheit<br />

in der Gesprächsführung entscheidend. Dementsprechend sollte der oder<br />

die Forschende nach der Formulierung einer Eingangsfrage dem Gespräch und<br />

den behandelten Themen eher folgen, anstatt es zu leiten. Mit dieser Offenheit<br />

eignet sich die <strong>Methode</strong> nur <strong>mit</strong> Einschränkungen für die Verfolgung einer im<br />

Voraus formulierten Fragestellung – sie verlangt vielmehr nicht nur die ständige<br />

Reflexion der Vorannahmen, sondern auch eine Reflexion des institutionellen<br />

Charakters der Forschung und der eigenen Annäherung an den Gegenstand.<br />

Mit dem Gruppengespräch werden die Forschenden Teil einer Gruppe, die bestimmte<br />

Konflikte bearbeitet, einzelnen Mitgliedern Rollen zuweist und Themen<br />

bearbeitet oder abwehrt (etwa, weil sie zu bedrohlich sind). Oft handelte es sich in<br />

der ethnohermeneutischen Forschung um schon bestehende Gruppen, etwa Jugendgruppen.<br />

Anders als in der therapeutischen Gruppenanalyse geht es hier nicht<br />

darum, eine besonders heterogene neue Gruppe zusammenzustellen, um Differenzerfahrungen<br />

zu ermöglichen – die Differenzerfahrung entsteht vielmehr durch<br />

den Eintritt der Forscherin oder des Forschers in die Gruppe, deren oder dessen<br />

Vorhaben von der Gruppe in einer bestimmten Weise interpretiert wird, in der sich<br />

die zentralen Konflikte der Gruppe ausdrücken und vielleicht bewusster gemacht<br />

werden können, sofern es den Forschenden gelingt, eine Reflexion darüber anzustoßen.<br />

Die Anwendung psychoanalytisch orientierter Verfahren in der Sozialforschung<br />

kann und darf keine therapeutischen Ziele verfolgen. Gleichzeitig ist je-<br />

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