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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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ermöglichen, die die Reflexion über die unhinterfragten Normen und Abwehrmechanismen,<br />

die sie aus dem eigenen Herkunftsmilieu in diese Gruppe tragen, zulassen,<br />

und um zu einem bewussteren Umgang <strong>mit</strong> den Rollen zu finden, die sie<br />

in Gruppen allgemein übernehmen bzw. die an sie delegiert werden.<br />

Ausgehend von diesen Überlegungen entwickelte der Gruppenanalytiker Hans<br />

Bosse ab den 1970er Jahren die Ethnoanalyse bzw. Ethnohermeneutik, die im Folgenden<br />

vorgestellt werden soll. 2 In dieser <strong>Methode</strong> werden die Perspektiven von<br />

psychoanalytischen, ethnopsychoanalytischen und gruppenanalytischen Zugängen<br />

gewissermaßen gebündelt und die Forschungsbeziehung wird auf verschiedenen<br />

Reflexionsebenen analysiert.<br />

1. Ethnoanalyse und Ethnohermeneutik<br />

Der Gegenstand, dem sich die Ethnohermeneutik bzw. Ethnoanalyse in ihren Anfängen<br />

widmete, war die »innere Kolonisierung« in der »Dritten Welt« bzw. der<br />

Widerstand der Kolonisierten dagegen. Es ging um regional spezifische, kollektive<br />

Abwehrmechanismen in den jeweiligen Gesellschaften, die sich gegen eine<br />

Unterwerfung der Subjektivität der Kolonisierten unter die Kapitallogik richteten.<br />

3 Dabei war die zentrale Annahme in der Erforschung dieser Abwehrmechanismen,<br />

dass sich die Abwehr bzw. Ambivalenz gegenüber der Modernisierung<br />

auch in der Beziehung zwischen den Forschenden und Erforschten ausdrückt.<br />

Ethnohermeneutik versteht sich da<strong>mit</strong> auch als Theoriekritik, die die Einbettung<br />

der eigenen Forschung in die strukturellen Gewaltverhältnisse reflektiert. 4 Die<br />

Verweigerung gegenüber dem Repräsentanten einer Industrienation, die Auslegung<br />

seines Vorhabens durch die Erforschten und die Irritationen in ihrer Beziehung<br />

wurden da<strong>mit</strong> ebenso zum Gegenstand der Untersuchung, wie die professionellen<br />

Abwehrstrategien der Forschenden.<br />

2 Während Bosse die <strong>Methode</strong> in seinen frühen Schriften als »Ethno-Hermeneutik« (Bosse 1979) bezeichnet, fasst<br />

er später das »Gesamt seines Forschungsansatzes« als Ethnoanalyse und unterscheidet zwischen Ethnoanalyse<br />

im engeren Sinne als Erhebungsmethode und Ethnohermeneutik als Auswertungsmethode (Bosse 1991: 200).<br />

Die <strong>Methode</strong> wurde seit ihrer Entstehung in verschiedenen Forschungszusammenhängen weiterentwickelt, u. a.<br />

<strong>mit</strong> Vera King und Werner Knauss. Dabei spielt in den letzten Jahren insbesondere die Integration und Adaption<br />

der objektiv-hermeneutischen Interpretationsweise Oevermanns zur <strong>Methode</strong>ntriangulierung eine wichtige Rolle<br />

(Bosse 2004; Kerschgens 2008). Auf diese Entwicklung möchte ich hier nicht eingehen: Aufgrund des strukturell<br />

ähnlichen Forschungskontextes und -gegenstands – die Forschung <strong>mit</strong> Adoleszenten aus traditionalen Gemeinschaften<br />

in einem »Entwicklungsland« – stütze ich mich in diesem Beitrag im Wesentlichen auf die an der Gruppenanalyse<br />

und am szenischen Verstehen orientierten ethnohermeneutischen Schriften Bosses bis Ende der<br />

1990er Jahre, die sich thematisch <strong>mit</strong> Adoleszenz und Modernisierung in Papua-Neuguinea auseinandersetzen.<br />

3 Als entscheidende Phase für die »innere Kolonisierung« wurde dabei auf die Adoleszenz und die Subjektkonstitution<br />

im Bildungsbetrieb fokussiert. Bosse begleitete über Jahrzehnte die Lebenswege von BildungsmigrantInnen<br />

in Papua-Neuguinea, die als erste ihrer ländlichen Gemeinden eine moderne Karriere in einem Internat anstrebten.<br />

4 »Ethno-Hermeneutik arbeitet sich daran ab, daß ihre Begriffe die einer bestimmten Gesellschaftsformation sind;<br />

nicht nur die einer bestimmten Profession, einer Schicht und Klasse, sondern die einer bestimmten, eine ganze<br />

Lebensweise bestimmenden Produktionsweise, nämlich der fortgeschrittenen bürgerlichen.« (Bosse 1979, S. 21)<br />

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