Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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äußert, dass sie diesen Abschnitt als äußerst belastend empfindet und die Familie<br />
auch aufgrund fehlender Selbstbestimmung als sehr bedürftig und Not leidend erlebt.<br />
Andere Gruppen<strong>mit</strong>glieder teilen diese Empfindung und tauschen sich über<br />
ihre Gefühle aus, finden noch andere Textstellen, in denen die Sorge und Not zum<br />
Vorschein tritt. So zitiert eine Teilnehmerin: »… ich denken, ich nicht will andere<br />
Junge kommt bei uns zusammen in meine Wohnung [...] vielleicht ist meine Kinder<br />
gehen Dusche und andere Leute auch gehen Dusche, das ist auch schwierig,<br />
verstehen Sie? Nur ein Toilet, nur eine Dusche, verstehen Sie?« und sagt, dass<br />
hier ganz expliziert Frau Seyans Ängste vor einer Öffnung der Wohnung zum<br />
Ausdruck kommen. »Ja, diese Wohnungsöffnung heißt auch, dass da ein fremder<br />
Mensch in den Familienrahmen aufgenommen werden muss, vielleicht sogar ein<br />
fremder Mann. Frau Seyan kann diese Person nicht einschätzen, hat Angst, dass<br />
von ihr Gefahr ausgehen könnte.« Ein anderer Teilnehmer assoziiert, dass Frau<br />
Seyan die Inti<strong>mit</strong>ät und den Schutz ihrer Kinder, vor allem ihrer älteren Tochter,<br />
garantieren möchte. Dadurch würde auch die kleinere Wohnung akzeptiert: »Das<br />
ist Probleme, ich denken, ich fragen meine Mann, ich weiß, ist klein, aber unten,<br />
dass ist besser, bisschen klein aber alleine. Nachher ich kommen unten.«<br />
An dieser Stelle äußern mehrere GruppenteilnehmerInnen ihr Verständnis für<br />
die Familie. Es werden anteilnehmende, solidarische Anmerkungen gemacht und<br />
festgestellt, wie sich der Zugang zum präsentierten Material im Laufe der Werkstatt<br />
verändert hat. Ein Teilnehmer sagt: »Anfangs fand ich das Interview ja eher<br />
lustig, aber seit wir darüber sprechen, merke ich, wie ich immer ernster werde.«<br />
Eine Teilnehmerin empfindet es ähnlich und erklärt, dass <strong>mit</strong> den Assoziationen<br />
eine erdrückende Atmosphäre entstanden ist. Eine weitere Teilnehmerin knüpft an<br />
und sagt, dass sie sich überfordert fühlt, sie wisse gar nicht mehr, was sie sagen<br />
solle: »Denen geht es so beschissen, das bleibt hängen und wirkt nach – schwierig,<br />
sich dann auch noch auf die anderen Dimensionen, wie zum Beispiel den Betreuungsaspekt,<br />
einzulassen, was ja eigentlich das Leitthema des Interviews war.«<br />
Durch diesen Austausch wird deutlich, dass alle Gruppen<strong>mit</strong>glieder ähnlich auf<br />
die Interviewsequenzen reagieren, sie resümieren, dass das Material einem Hilferuf<br />
nach Struktur und Sicherheit nahe kommt und die Not der AkteurInnen praktisch<br />
zwischen allen Zeilen spürbar ist. Dabei kommt die Frage nach der Position<br />
der Interviewerin auf und die TeilnehmerInnen berichten, dass sie die Interviewerin<br />
in verschiedenen Rollen erlebt haben. Über individuelle Einwürfe deuten die<br />
TeilnehmerInnen, dass sie als Gesprächsmoderatorin, Schlichterin und auch als<br />
Schiedsrichterin zwischen den Streitparteien agierte. »Ja und dadurch, dass sie<br />
immer wieder versucht, Herrn Seyan in das Gespräch einzubeziehen und sich zum<br />
Teil auch gegen den Redeschwall seiner Ehefrau durchsetzt, zeigt sich, dass sie<br />
versucht, beiden Personen einen Rederaum zu schaffen.« Darauf reagiert ein anderer<br />
Teilnehmer, sagt, dass dieses Verhalten an dieser Textstelle nicht explizit<br />
von den InterviewpartnerInnen eingefordert wurde, aber andere Interaktionsmomente<br />
zeigen, dass gerade Frau Seyan eine deutliche Erwartung an die Inter-<br />
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