09.11.2012 Aufrufe

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

von ausgehenden Wahrnehmung (vgl. Devereux 1967), d. h. wahlweise ist die<br />

Forschungsperson in ihrer Wahrnehmung z. B. spezifisch sensibilisiert oder eher<br />

resistent gegenüber bestimmten Sachverhalten (Nadig 1991: 10). Gleichzeitig sagen<br />

konkrete Reaktionen auf die Forschungssituation und die Begegnung auch etwas<br />

über die latenten Strukturen der untersuchten Verhältnisse aus (ebd.). Die Ethnopsychoanalyse<br />

geht davon aus, dass Individuum und Gesellschaft verwoben sind<br />

und subjektiv erscheinende Reaktionen immer auch einen Verweis auf kulturell<br />

objektive Handlungs- und Denkstrukturen sind. Der Gesellschaftsbezug stellt entsprechend<br />

einen weiteren bedeutenden Aspekt der ethnopsychoanalytischen Herangehensweise<br />

dar 3 .<br />

Auf der methodischen Ebene schaffen die explizite Einbeziehung emotionaler<br />

Regungen und die Aufdeckung der psychischen Strukturen und Vorgänge der Forschungsperson<br />

also zweierlei: die »Entzerrung« individueller Wahrnehmungsund<br />

Handlungsmuster (und dadurch möglicher manipulativer und suggestiver<br />

Elemente) und die Veranschaulichung von verinnerlichten gesellschaftlichen Normen<br />

und Werten.<br />

Die in der Gruppe geäußerten Eindrücke und Interpretationsversuche können,<br />

müssen aber keineswegs zu einer gemeinsamen Position oder einem geteiltem<br />

Textverständnis führen. Gerade die unterschiedlichen Wahrnehmungen helfen einen<br />

mehrdimensionalen, oder wie Nadig es nennt, »multiperspektivischen« Blick<br />

auf das Material zu entwickeln und repräsentieren oft auch die unterschiedlichen<br />

Erlebensmomente der InterviewpartnerInnen oder AkteurInnen des betrachteten<br />

Textes. Die Interpretation in der Gruppe kann beendet werden, wenn keine neuen<br />

Impulse mehr vorhanden sind oder sich Assoziationen eindrücklich wiederholen<br />

und keine Interpretationsvarianten mehr zulassen. Die gemeinsame Interpretationsarbeit<br />

ist da<strong>mit</strong> (fürs Erste) abgeschlossen.<br />

Natürlich kommt es in jedem assoziativen Gespräch vor, dass durch das »Ausschütten«<br />

spontaner Gedanken und Empfindungen vieles angesprochen wird, was<br />

für die konkrete Fragestellung des/der ForscherIn keine oder nur eine untergeordnete<br />

Bedeutung besitzt. In der Auswertungsphase werden die Assoziationen diesbezüglich<br />

dann noch einmal genauer betrachtet, angenommen oder auch nicht<br />

mehr berücksichtigt.<br />

Im Folgenden möchte ich nun zu meinem Fallbeispiel kommen.<br />

3 So nahm der Ethnopsychoanalytiker Paul Parin in den 1950er und 60er Jahren Bezug auf das marxsche Gesellschaftsverständnis,<br />

nachdem eine Gesellschaft nicht etwa eine Summe von Individuen ist, sondern vielmehr »die<br />

Summe der Beziehungen und der Verhältnisse, worin diese Individuen zueinander stehen« (Parin 1978: 42).<br />

Parin erklärt, dass menschliches Verhalten vor allem auf gesellschaftliche Verhältnisse und Beziehungen zurückzuführen<br />

ist und sich diese »gerade dort, wo das Individuum irrational oder unbewusst handelt« (ebd.), zeigen.<br />

131

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!