09.11.2012 Aufrufe

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

werkstatt zuwenden. Neben einer methodologischen Herleitung und Beschreibung<br />

dieses Interpretations- bzw. Auswertungsverfahrens, möchte ich exemplarisch<br />

anhand eines Interviewausschnittes die praktische assoziative Arbeit verdeutlichen<br />

und den Status der <strong>Methode</strong> diskutieren.<br />

1. Die Ethnopsychoanalyse<br />

Die Ethnopsychoanalyse ist die Verbindung von Ethnologie und Psychoanalyse<br />

und analysiert die Lebensformen und Verhaltensweisen von Menschen in ihrer<br />

kulturellen Umgebung unter Berücksichtigung unbewusster Prozesse (vgl. Reichmayr<br />

1995). Sie geht auf den französischen Ethnologen und Psychoanalytiker Georges<br />

Devereux (1908-1985) zurück und entwickelte sich aus seiner <strong>Kritik</strong> am<br />

Objektivitätsideal der Sozialwissenschaften (Devereux 1967; Reichmayr 2003).<br />

Devereux belegte die Wirksamkeit unbewusster Verzerrungen in scheinbar objektiven<br />

Forschungsarbeiten, indem er an vielen Fallbespielen herausarbeitete, dass<br />

die Gestaltung der Forschungsbeziehung und das gegenseitige Einlassen Einfluss<br />

auf die Beschaffenheit der Information nimmt. Diese subjektiven, aktiven und vor<br />

allem unbewussten Einflüsse (bspw. Irritationen, Ängste, Abneigungen) sowie deren<br />

Interpretation und Darstellung, die den Forschungsprozess von beiden Seiten<br />

begleiten, nennt Devereux in Bezugnahme auf das klassische psychoanalytische<br />

Fachvokabular: Übertragung und Gegenübertragung. Während bei Übertragungsprozessen<br />

das befragte Gegenüber <strong>mit</strong> unbewussten Wiederholungen konflikthafter<br />

Beziehungsformen auf die Forschungsperson und seine Fragen reagiert, beschreibt<br />

die Gegenübertragung die unbewussten emotionalen Reaktionen des/der<br />

Forschenden auf sein/ihr Gegenüber. Devereux betrachtet diese subjektiven Reaktionen<br />

nicht als Störung, sondern vielmehr als Zugang zu Verstrickungen in der<br />

Forschungsbeziehung. Er forderte das Bewusstmachen der Übertragungs- und<br />

Gegenübertragungsreaktionen und ihre Einbeziehung in den Analyseprozess, um<br />

die Wahrnehmungen zu entzerren und so einen unverstellteren Zugang zum<br />

Untersuchungsgegenstand zu ermöglichen (Devereux 1967; Heizmann 2003).<br />

Devereux’ Erkenntnisse zur subjektiven Dimension im Forschungsprozess gelten<br />

nach wie vor als Basis ethnopsychoanalytischer Ansätze. 1<br />

Paul Parin, Goldy Parin-Matthèy und Fritz Morgenthaler haben in ihren Feldforschungen<br />

2 in den 1950er und -60er Jahren erstmals die psychoanalytische<br />

1 Devereux’ ethnopsychiatrische Ansätze wurden von seinem Schüler Tobie Nathan aufgegriffen und weiterentwickelt.<br />

Nathan propagierte allerdings radikal, dass ein Verständnis seiner Patienten nur unter Berücksichtigung<br />

ihres kulturellen Faktors zu erlangen sei. Diese Annahme brachte ihm den Vorwurf ein, er würde seine Patienten<br />

auf ihre kulturellen Normen reduzieren und so<strong>mit</strong> einem kulturalistischen Rassismus Vorschub leisten (siehe<br />

dazu auch: Sturm 2001, Saller 2003).<br />

128

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!