Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
verwechseln, einem Ansichsein der Fakten, ihrer Un<strong>mit</strong>telbarkeit schlechthin,<br />
ihrem Fundamentalcharakter.« (Adorno 1971: 99)<br />
Durch das Einbeziehen unterschiedlicher gesellschaftstheoretischer Funktionsebenen<br />
versuche ich, die Einzelergebnisse meiner empirischen Untersuchung in<br />
ihren gesamtgesellschaftlichen Rahmen einzuordnen und das dezentrale Lagersystem<br />
als zentrale Form des bundesdeutschen institutionellen Rassismus zu verstehen.<br />
Die unterschiedlichen Bedingungen in den halboffenen dezentralen Lagern der<br />
einzelnen Bundesländer sind sowohl auf gesamtgesellschaftliche Strukturen<br />
zurückzuführen als auch eingebettet in die hegemonialen Produktionsweisen und<br />
Formen politischer Herrschaft, die immer auch von sozialen Kämpfen und Auseinandersetzungen<br />
beeinflusst sind. Gesetzliche Bestimmungen sind kodifizierte Formen<br />
der politischen Herrschaft und Auseinandersetzungen innerhalb der hegemonialen<br />
Diskurse und Debatten. Sie sind so<strong>mit</strong> sowohl Verdichtungen der Interessen<br />
des herrschenden Blocks als auch Kompromisse, die zur Herstellung der Hegemonie<br />
als Interessenblock an widersprechende Bündnisgruppen gemacht werden<br />
mussten. Ausgangspunkt der gesetzlichen Entrechtung ist das Parlament als gesetzgebende<br />
Institution. Als Verdichtung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und<br />
Kräfteverhältnisse ist innerhalb des parlamentarisch organisierten Staats (Poulantzas<br />
2002: 159) neben den Verwertungsinteressen der Wirtschaft die Inszenierung<br />
rassistischer Debatten als zentrales innenpolitisches Instrument der Herrschaft relevant.<br />
Soziale Kämpfe spielen vor allem in den außerparlamentarischen Kräftefeldern,<br />
die ver<strong>mit</strong>telt auf die Entscheidungen des Staates Einfluss nehmen, eine<br />
wichtige Rolle. Gesetze und die für ihre Umsetzung wesentlichen Ausführungsvorschriften<br />
und Auslegungsrichtlinien sind daher nicht als Faktum an sich, als ›reines‹<br />
Gesetz bzw. dessen Umsetzung in die lebensweltliche Praxis zu verstehen,<br />
sondern immer nur im Rahmen ihrer politischen Konstitutionsbedingungen und<br />
der sie begleitenden Begründungsdiskurse und Argumentationsmuster.<br />
Das bundesdeutsche Lagersystem ist eingebettet in die gesamtgesellschaftlichen<br />
kapitalistischen Produktionsweisen und ihre lokalen Diversitäten, also den<br />
regional vorhandenen Industrien, Arbeitsmarktsektoren und da<strong>mit</strong> zusammenhängenden<br />
offenen regulären wie irregulären Arbeitsplätzen. Während der empirischen<br />
Untersuchung wurde deutlich, dass die vorfindbaren Formationen in den<br />
konkreten Lagern nur durch diese (gesamtgesellschaftliche) ökonomische Einbettung<br />
erklärbar sind, daher kann das dezentrale Lagersystem als Scharnier zwischen<br />
regulären und irregulären Arbeitsmarktsegmenten verstanden werden. Das<br />
Unterbringungssystem produziert so<strong>mit</strong> in den Bundesländern <strong>mit</strong> einem hohen<br />
Arbeitskräftebedarf langfristig einsetzbare ArbeiterInnen, die weit unter dem üblichen<br />
Lohnniveau bezahlt werden können. So haben beispielsweise in Baden-<br />
Württemberg 2003 fast 40 Prozent (Pieper 2004: 448) der MigrantInnen und<br />
Flüchtlinge <strong>mit</strong> ungesichertem Aufenthaltsstatus eine reguläre, jedoch meist<br />
prekäre Arbeit ausgeübt. In den Bundesländern <strong>mit</strong> hohen Arbeitslosenquoten migrieren<br />
die BewohnerInnen der Lager soweit sie können in Richtung der Arbeit<br />
110