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bellum iustum" in der römischen Antike und zu Beginn des 21

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Das Verständnis <strong>des</strong> „<strong>bellum</strong> iustum“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>römischen</strong> <strong>Antike</strong> <strong>und</strong> <strong>zu</strong> Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>des</strong> <strong>21</strong>. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

von<br />

Stefan Thönissen, Pa<strong>der</strong>born<br />

„In the name of universal human morality, and fully conscious of the restrictions and<br />

requirements of a just war, we support our government`s and our society`s decision to use force<br />

of arms aga<strong>in</strong>st them.“ Es waren wahrsche<strong>in</strong>lich ebenjene Worte - im Februar 2002 von 60<br />

führenden <strong>in</strong>tellektuellen Amerikanern geäußert - die e<strong>in</strong>en entscheidenden Anstoß <strong>zu</strong>r Führung<br />

e<strong>in</strong>es Krieges gegen den Irak gegeben haben. Gut e<strong>in</strong> Jahr später wurde dieser schließlich<br />

durchgeführt – mit Folgen, die noch jetzt, im Jahr 2007, <strong>zu</strong> spüren s<strong>in</strong>d. Umso erstaunlicher ist es<br />

dabei, dass diese 60 <strong>in</strong>tellektuellen Amerikanern bei ihrem Aufruf <strong>zu</strong> diesem Krieg von den<br />

„E<strong>in</strong>schränkungen <strong>und</strong> Erfor<strong>der</strong>nissen e<strong>in</strong>es gerechten Krieges“ sprechen <strong>und</strong> damit den Irak-<br />

Krieg <strong>in</strong> das Licht e<strong>in</strong>es „gerechten Krieges“ br<strong>in</strong>gen wollen. Doch was me<strong>in</strong>en sie mit e<strong>in</strong>em<br />

gerechten Krieg Welche Kriterien liegen diesem <strong>zu</strong> Gr<strong>und</strong>e Wer bestimmt darüber Gibt es<br />

überhaupt e<strong>in</strong>heitliche Kriterien dafür Geht man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte etwas mehr als zweitausend<br />

Jahre <strong>zu</strong>rück, muss diese Frage mit e<strong>in</strong>em klaren Ja beantwortet werden. Der „iustum <strong>bellum</strong>“<br />

gehörte <strong>zu</strong>m politischen Alltag <strong>des</strong> „Global Player“ <strong>der</strong> damaligen Zeit: Rom. Folgerichtig kann<br />

man von e<strong>in</strong>er „Iustum-Bellum-Doktr<strong>in</strong>“ sprechen, die vor allem durch das Werk e<strong>in</strong>es Mannes<br />

begründet worden ist: Marcus Tullius Cicero. Die entscheidenden Aussagen über e<strong>in</strong>e „Iustum-<br />

Bellum-Doktr<strong>in</strong> f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er Hauptwerke, <strong>der</strong> „De Re Publica“, genauer gesagt im<br />

dritten Buch, <strong>in</strong> welchem nach <strong>der</strong> Rede <strong>des</strong> Philus Laelius die gr<strong>und</strong>sätzlichen Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong><br />

<strong>römischen</strong> Machtausübung verteidigen muss. Und unter ebenjene fallen vor allem die Richtl<strong>in</strong>ien<br />

<strong>zu</strong>r Führung e<strong>in</strong>es gerechten Krieges.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Vielschichtigkeit e<strong>in</strong>er jeden „Iustum-Bellum-Doktr<strong>in</strong>“ muss die Frage nach dem<br />

gerechten Krieg folgen<strong>der</strong>maßen konkretisiert werden:<br />

1. Welche Legitimation gibt es für e<strong>in</strong>en gerechten Krieg Was s<strong>in</strong>d „Iustae causae“<br />

2. Wer ist legitimiert, e<strong>in</strong>en solchen gerechten Krieg <strong>zu</strong> führen<br />

3. Was ist die Intention e<strong>in</strong>es solchen Krieges <strong>und</strong> welche Folgen zieht er nach sich<br />

Auf alle diese Fragen gibt Laelius e<strong>in</strong>e mehr o<strong>der</strong> m<strong>in</strong><strong>der</strong> ausreichende Antwort. So macht er<br />

direkt deutlich, wann e<strong>in</strong> Krieg legitimiert ist, das heißt, wann e<strong>in</strong> Krieg gerecht ist: „Iustum<br />

<strong>bellum</strong> est, quod ex praedicto <strong>in</strong>geritur de rebus repititis aut propulsandorum hostium causa.“ 1 Es<br />

ist offensichtlich, dass Laelius hierbei vor allem auf zwei Kriterien setzt, die e<strong>in</strong>en Krieg<br />

legitimieren: E<strong>in</strong> gerechter Krieg wird geführt, wenn er das Ziel hat, verlorene D<strong>in</strong>ge <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong><br />

gew<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> Fe<strong>in</strong>de <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>schlagen. Beide Kriterien implizieren, dass <strong>zu</strong>vor e<strong>in</strong> Aggressor<br />

1 Marcus Tullius Cicero, De Re Publica, Buch 3, §35


von außen kriegerische o<strong>der</strong> illegitime Handlungen begangen hat. Dies gibt e<strong>in</strong>en entscheidenden<br />

H<strong>in</strong>weis auf die Vorbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es gerechten Krieges, die erfüllt se<strong>in</strong> müssen: e<strong>in</strong> gerechter<br />

Krieg darf nur als Verteidigungskrieg geführt werden. Zugleich umfassen diese Aussagen auch<br />

das Kriterium <strong>der</strong> „<strong>in</strong>tentio recta“, das heißt, dass <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> diesen gerechten Krieg führt, die<br />

bestimmte Intention hat, verlorene D<strong>in</strong>ge wie<strong>der</strong><strong>zu</strong>gew<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Fe<strong>in</strong>de <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>schlagen.<br />

Zudem betont Cicero <strong>in</strong> <strong>der</strong> Passage, dass e<strong>in</strong> gerechter Krieg nur aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

vorangegangenen Ankündigung erfolgen kann. Zusätzlich <strong>zu</strong> den zwei oben genannten Kriterien<br />

kommt noch e<strong>in</strong> weiteres h<strong>in</strong><strong>zu</strong>, wenn angemerkt wird: „Extra (quam) ulciscendi aut<br />

propulsandorum hostium causam geri iustum nullum potest.“ 2 Laelius postuliert hier also, dass<br />

e<strong>in</strong> gerechter Krieg auch dann geführt wird, wenn es darum geht, sich <strong>zu</strong> rächen. Freilich geht<br />

dieser Punkt e<strong>in</strong>her mit den vorigen, die darauf bauen, dass e<strong>in</strong>e Aggression durch e<strong>in</strong>en<br />

Opponenten erfolgt ist. Schließlich konkretisiert Laelius nochmals die Kriterien e<strong>in</strong>es gerechten<br />

Krieges: „Nullum <strong>bellum</strong> suscipi a civitate optima nisi aut pro fide aut pro salute.“ 3 E<strong>in</strong> gerechter<br />

Krieg darf also entwe<strong>der</strong> geführt werden <strong>zu</strong>m Wohle <strong>des</strong> eigenen Volkes o<strong>der</strong> aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Bündnistreue, <strong>der</strong> sich Rom se<strong>in</strong>en „socii“ gegenüber verpflichtet. Als Kriterium für e<strong>in</strong>en<br />

gerechten Krieg ist es also ausreichend, dass selbst, wenn direkt gegen Rom ke<strong>in</strong>e Aggression<br />

erfolgt ist, e<strong>in</strong> Angriff auf die Bündnispartner durchgeführt wird. Ist dieses <strong>der</strong> Fall, ist Rom<br />

berechtigt, genauso <strong>zu</strong> verfahren, wie wenn gegenüber ihm selbst e<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d kriegerische<br />

Handlungen unternommen hat. Gleichzeitig beantwortet Cicero <strong>in</strong> dieser Passage auch die Frage<br />

nach <strong>der</strong> legitimierten Autorität. Legitimiert ist die „civitas optima“. Obwohl dies e<strong>in</strong>e relativ<br />

allgeme<strong>in</strong> gehaltene Aussage ist, wird schnell offenbar, wer damit nur geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> kann: Rom.<br />

Laelius macht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rede noch deutlich, <strong>in</strong>wiefern Rom aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>es von den Göttern<br />

gegebenen Status da<strong>zu</strong> berechtigt ist. Doch kommt dies auch e<strong>in</strong>deutig <strong>zu</strong>m Ausdruck <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zukunftsweisung <strong>des</strong> Anchises <strong>in</strong> Vergils Aeneis: „Tu regere imperio populos, Romane,<br />

memento.“ 4 Dabei wird gleichzeitig noch etwas offensichtlich. Die Kriterien <strong>und</strong> Intentionen<br />

e<strong>in</strong>es gerechten Krieges implizieren, dass Rom den dadurch erworbenen Besitz dauerhaft<br />

behalten darf <strong>und</strong> somit <strong>zu</strong>r Weltmacht „Nummer E<strong>in</strong>s“ wird. Auch Laelius geht darauf e<strong>in</strong>,<br />

wenn er konstatierend bemerkt: „Noster autem populus sociis defendendis terrarum iam omnium<br />

potitus est.“ 5 Dass dieses Verhalten Roms natürlich auch auf kritische Reaktionen stößt, ist<br />

selbstverständlich. E<strong>in</strong> „Global player“, <strong>der</strong> alle<strong>in</strong>e aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>es Status versucht, an<strong>der</strong>e<br />

Staaten <strong>zu</strong> beherrschen <strong>und</strong> sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Reich auf<strong>zu</strong>nehmen, kann nicht auf Gegenliebe hoffen. Er<br />

handelt lediglich nach se<strong>in</strong>en Maximen <strong>und</strong> Doktr<strong>in</strong>en <strong>und</strong> stellt diese dann als gottgegeben dar.<br />

Es ist also folgerichtig, wenn Critognatus, e<strong>in</strong> Führer <strong>der</strong> Gallier, se<strong>in</strong> Wort erhebt <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

heutigen Zeit darüber Auskunft gibt, was die Umset<strong>zu</strong>ng <strong>der</strong> „Iustum-Bellum-Doktr<strong>in</strong>“ <strong>in</strong> die<br />

2 ebd., §35<br />

3 ebd., §34<br />

4 Vergil, Aeneis, 6,851<br />

5 Cicero, De Re Publica, Buch 3, §35


Praxis bedeutete: perpetua, aeterna servitus 6 . Motiv hierfür ist die Herrschsucht Roms.<br />

Erschwerend kommt h<strong>in</strong><strong>zu</strong>, dass Critognatus nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfall ist. Es sei nur an die<br />

Rede von Calgacus <strong>in</strong> Tacitus Agricola er<strong>in</strong>nert.<br />

Demgegenüber steht <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Zeit e<strong>in</strong>e Ordnung, <strong>der</strong> nicht aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Sendungsbewusstse<strong>in</strong>s e<strong>in</strong>er Nation Geltung verschafft wird, son<strong>der</strong>n die durch die<br />

Übere<strong>in</strong>stimmung <strong>der</strong> Weltgeme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong> Rechtsnormen universalisierbar ist: die UN-Charta.<br />

Gemäß ihr gibt es auch e<strong>in</strong>e Institution, die die legitimierte Autorität ist, e<strong>in</strong>en gerechten Krieg <strong>zu</strong><br />

führen: <strong>der</strong> UN-Sicherheitsrat. Ihm obliegt es, im Namen <strong>der</strong> gesamten UN-Vollversammlung <strong>zu</strong><br />

entscheiden, wann e<strong>in</strong> Krieg geführt wird, das heißt, wann e<strong>in</strong> Krieg legitimiert ist<br />

beziehungsweise wann e<strong>in</strong> Krieg gerechtfertigt ist. Ihm obliegt die Entscheidungsgewalt, die<br />

nach römischer „Iustum-Bellum-Doktr<strong>in</strong>“ nur dem „Imperium Romanum“ <strong>zu</strong>kam. Ebenjene UN-<br />

Charta setzt auch die Kriterien fest, die <strong>zu</strong>m Führen e<strong>in</strong>es Krieges berechtigen. Im Wesentlichen<br />

s<strong>in</strong>d dies zwei Punkte: erstens heißt es <strong>in</strong> Artikel 43 <strong>der</strong> UN-Charta: „(Der Sicherheitsrat<br />

mandatiert militärische Maßnahmen) <strong>zu</strong>r Wahrung o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>des</strong> Weltfriedens <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Sicherheit.“ Zweitens wird <strong>in</strong> Artikel 51 formuliert: „(Je<strong>des</strong> Mitglied hat) das<br />

naturgegebene Recht <strong>zu</strong>r <strong>in</strong>dividuellen o<strong>der</strong> naturgegeben Selbstverteidigung, bis <strong>der</strong><br />

Sicherheitsrat die <strong>zu</strong>r Wahrung <strong>des</strong> Weltfriedens <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Sicherheit<br />

erfor<strong>der</strong>lichen Maßnahmen getroffen hat.“ Neben <strong>der</strong> legitimierten Autorität <strong>des</strong> UN-<br />

Sicherheitsrates tritt nun auch je<strong>des</strong> Mitglied <strong>der</strong> Weltgeme<strong>in</strong>schaft als berechtigter Kriegsführer<br />

auf, bis <strong>der</strong> UN-Sicherheitsrat entsprechende Sanktionen <strong>und</strong> Maßnahmen ergriffen hat. Freilich<br />

gilt dies nur im Falle <strong>der</strong> Selbstverteidigung. Hier lassen sich nun auch Parallelen <strong>zu</strong>r „Iustum-<br />

Bellum-Doktr<strong>in</strong>“ ziehen. Was Cicero noch mit dem Ausdruck „pro salute“ bezeichnete, wird <strong>in</strong><br />

Artikel 51 als „naturgegebenes Recht <strong>zu</strong>r Selbstverteidigung“ gewertet. Auch <strong>der</strong> Begriff „pro<br />

fide“ f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>e Entsprechung <strong>in</strong> <strong>der</strong> UN-Charta. Mit <strong>der</strong> Formulierung „<strong>zu</strong>r Wahrung (…) <strong>des</strong><br />

Weltfriedens“ ist nichts an<strong>der</strong>es geme<strong>in</strong>t, als denen <strong>zu</strong> Hilfe <strong>zu</strong> kommen, die durch an<strong>der</strong>e<br />

Mächte bedroht s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Aggressor ungeschützt ausgeliefert s<strong>in</strong>d. Doch gerade an diesem<br />

Punkt lassen sich entscheidende Unterschiede <strong>zu</strong>m Verständnis e<strong>in</strong>es gerechten Krieges <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>römischen</strong> <strong>Antike</strong> ausmachen. Wurde <strong>zu</strong> den Zeiten <strong>der</strong> <strong>römischen</strong> Herrschaft nur denen<br />

geholfen, die das Privileg hatten „socii“ genannt <strong>zu</strong> werden <strong>und</strong> somit unter <strong>römischen</strong> Schutz <strong>zu</strong><br />

standen, stehen heut<strong>zu</strong>tage alle Staaten, denen Unrecht wi<strong>der</strong>fährt, unter dem Schutz <strong>der</strong><br />

Staatengeme<strong>in</strong>schaft. Der Mensch, unabhängig davon, ob mit ihm e<strong>in</strong> Vertrag abgeschlossen<br />

worden ist o<strong>der</strong> nicht, hat e<strong>in</strong> Recht auf Leben <strong>und</strong> muss beschützt werden. Umso mehr<br />

illustrieren die Völkermorde Afrikas <strong>und</strong> nicht <strong>zu</strong>letzt die immer noch existierende Krise <strong>in</strong><br />

Darfur die Diskrepanz zwischen gutem Vorsatz <strong>und</strong> tatsächlichem Handeln.<br />

Trotz <strong>der</strong> oben genannten Parallelen <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> UN-Charta getroffenen Aussagen bezüglich e<strong>in</strong>es<br />

gerechtfertigten Krieges bestehen massive Unterschiede. E<strong>in</strong>e „auf dem Gewaltverbot gründende<br />

6 Gaius Julius Caesar, De Bello Gallico, VII, 77


Völkerrechtsordnung“ 7 war <strong>in</strong> Rom gänzlich unbekannt. All<strong>zu</strong> gut illustrieren dies die<br />

Schil<strong>der</strong>ungen Caesars aus se<strong>in</strong>em Werk „De Bello Gallico“. Doch auch den Kriterien, die Cicero<br />

mit „ulciscendi“ o<strong>der</strong> „de rebus repititis“ bezeichnet, ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> UN-Charta jegliche Gr<strong>und</strong>lage<br />

entzogen. So heißt es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bewertung ebenjener Rechtsordnung: „E<strong>in</strong> Verteidigungskrieg darf<br />

daher immer nur mit dem Ziel <strong>der</strong> Restauration <strong>des</strong> Status quo ante geführt werden; aber er darf<br />

nicht geführt werden, um e<strong>in</strong>en Aggressor <strong>zu</strong> bestrafen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en neuen Ordnungs<strong>zu</strong>stand <strong>zu</strong><br />

errichten.“ 8 Insbeson<strong>der</strong>e Letzteres steht <strong>in</strong> klarem Wi<strong>der</strong>spruch <strong>zu</strong> den Kriterien, die von Cicero<br />

hervorgebracht werden. E<strong>in</strong> auf Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Weltrechtsordnung geführter Krieg hat nicht <strong>zu</strong>m<br />

Ziel, den Aggressor <strong>zu</strong> bestrafen o<strong>der</strong> für die Macht, die diesen Krieg führt, Vorteile <strong>zu</strong> erhalten.<br />

Im Gegenteil, e<strong>in</strong> Krieg, <strong>der</strong> im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> UN-Charta geführt wird, hat <strong>zu</strong>m Ziel, den Weltfrieden<br />

wie<strong>der</strong>her<strong>zu</strong>stellen. E<strong>in</strong> Ausspruch, <strong>der</strong> dem <strong>des</strong> Laelius ähneln würde (sociis defendendis noster<br />

populus potitus est), ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Zeit <strong>und</strong>enkbar. Es ist ke<strong>in</strong>eswegs die Intention e<strong>in</strong>es<br />

durch den Sicherheitsrat legitimierten Krieges, e<strong>in</strong>er gewissen Macht e<strong>in</strong>en Herrschaftsanspruch<br />

<strong>zu</strong> ermöglichen. Zudem ist im Gegensatz <strong>zu</strong> dem unilateralen Vorgehen Roms als legitimierter<br />

Autorität <strong>in</strong> <strong>der</strong> UN-Charta ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e Unilateralität maßgeblich, son<strong>der</strong>n vielmehr e<strong>in</strong>e<br />

Multilateralität.<br />

Insgesamt stellt sich aber die Frage an die heutige Zeit: Gibt es e<strong>in</strong>en gerechten Krieg E<strong>in</strong>e<br />

Annäherung an diese Frage wird sicherlich durch e<strong>in</strong>en Rückblick auf die römische<br />

Argumentation deutlich. Gr<strong>und</strong>, Rechtfertigung <strong>und</strong> Ausgangspunkt für das Führen e<strong>in</strong>es<br />

gerechten Krieges war die Annahme, dass es e<strong>in</strong>e weltweite, natur- <strong>und</strong> göttergegebene<br />

Rechtslage gab, <strong>und</strong> diese Rechtslage war, dass Rom von den Göttern da<strong>zu</strong> bestimmt wurde, die<br />

Welt <strong>zu</strong> regieren. Das war im S<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Römer Gerechtigkeit. Wenn man sich das vor Augen hält,<br />

wird deutlich, dass es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er so pluralistischen Welt wie <strong>der</strong> heutigen ke<strong>in</strong>e „e<strong>in</strong>heitliche,<br />

universalisierbare Werteordnung gibt, die e<strong>in</strong>en gerechten Krieg objektiv legitimieren könnte.“ 9<br />

Natürlich ist die UN-Charta hierfür e<strong>in</strong> Ansatz, aber sicherlich ke<strong>in</strong>e Antwort. Bedenkt man nur<br />

die Zusammenset<strong>zu</strong>ng <strong>des</strong> Sicherheitsrates mit Mitglie<strong>der</strong>n wie Russland <strong>und</strong> Ch<strong>in</strong>a, wird schnell<br />

deutlich, dass dieser Ansatz - <strong>zu</strong>mal <strong>in</strong> <strong>der</strong> UN-Charta ja noch nicht e<strong>in</strong>mal von e<strong>in</strong>em gerechten<br />

Krieg die Rede ist – letztlich nur fragmentarisch bleibt. Umso verwun<strong>der</strong>licher ist das Ans<strong>in</strong>nen<br />

jener 60 führenden, amerikanischen Intellektuellen beim Irak-Krieg von e<strong>in</strong>em „just war“ <strong>zu</strong><br />

sprechen, <strong>der</strong> darauf basiert, dass man sich <strong>der</strong> „universal human morality“ bewusst ist. Fraglich<br />

bleibt die Universalisierbarkeit <strong>der</strong> „iustae causae“ <strong>und</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Kriterien, die für e<strong>in</strong>en<br />

gerechten Krieg vonnöten s<strong>in</strong>d.<br />

Abschließend stellt sich die Frage: Braucht die Menschheit im <strong>21</strong>. Jahrhun<strong>der</strong>t noch den<br />

„gerechten Krieg“ Führt das nicht <strong>in</strong> gewisser Weise <strong>zu</strong>rück <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e „Anarchie <strong>der</strong><br />

7 Gerhard Beestermöller, Krieg gegen den Irak – Rückkehr <strong>in</strong> die Anarchie <strong>der</strong> Staatenwelt, 2002, Stuttgart, 34<br />

8 ebd., 33<br />

9 ebd., 34


Staatenwelt“ 10 , von <strong>der</strong> man ausgehen muss, wenn man von <strong>der</strong> <strong>römischen</strong> <strong>Antike</strong> spricht<br />

Auswege s<strong>in</strong>d rar. E<strong>in</strong>er von jenen ist die <strong>in</strong> den letzten Jahren von <strong>der</strong> „Deutschen<br />

Bischofskonferenz“ vorgebrachte Argumentation e<strong>in</strong>es „gerechten Friedens“, für den gewisse<br />

Kriterien erfüllt se<strong>in</strong> müssen. Doch wie so oft lohnt sich <strong>der</strong> Blick <strong>zu</strong>rück <strong>in</strong> die <strong>Antike</strong>. Denn<br />

wenn Probleme <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Antike</strong> aufgetreten s<strong>in</strong>d, die vergleichbar s<strong>in</strong>d mit jenen aus <strong>der</strong> heutigen<br />

Zeit, kann man auch davon ausgehen, dass es Lösungen gab, die noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Zeit<br />

adäquat s<strong>in</strong>d. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist es ratsam, sich die Worte von August<strong>in</strong>us vor Augen <strong>zu</strong><br />

halten: „Quasi non (sapiens), si se hom<strong>in</strong>em mem<strong>in</strong>it, multo magis dolebit iustorum necessitatem<br />

sibi exstitisse bellorum, quia, nisi iusta essent, ei gerenda non essent ac per hoc sapienti nulla<br />

bella essent.“ 11 Doch, <strong>und</strong> so schließt August<strong>in</strong>us diesen Abschnitt resignierend: „Quae <strong>in</strong>iquitas<br />

utique hom<strong>in</strong>i est dolenda, quia hom<strong>in</strong>um est, etsi nulla ex ea bellandi necessitas nasceretur.“ 12<br />

August<strong>in</strong>us wendet sich vor allem gegen die von Cicero postulierte Notwendigkeit für e<strong>in</strong>en<br />

gerechten Krieg. Sicherlich, es gibt Situationen, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong> Krieg nach dem Ermessen <strong>der</strong><br />

Vernunft unausweichlich ist. Doch das darf ke<strong>in</strong>esfalls da<strong>zu</strong> führen, e<strong>in</strong>en gerechten Krieg <strong>zu</strong><br />

verabsolutieren <strong>und</strong> ihn <strong>zu</strong>r Handlungsmaxime <strong>zu</strong> erheben. Dann hat <strong>der</strong> Kriegsführende wohl<br />

vergessen, was er ist: e<strong>in</strong> Mensch.<br />

10 ebd., Titel<br />

11 August<strong>in</strong>us, De Civitate Die, XIX, 7<br />

12 ebd., XIX, 7

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