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Aids im Operationssaal Seuche kommt mit dem Blut - Zfd-online.net

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satirisch<br />

justizhörig<br />

exper<strong>im</strong>entell<br />

wahrheitenliebend<br />

frei-volksherrschaftlich<br />

Freitag, 22.10.1993<br />

42. Kalenderwoche, 4. Jahrgang<br />

alle 14 TageT<br />

Nummer 56<br />

Einzelpreis 2,70 DM<br />

Postfach 10 11 01, 64211 Darmstadt, Telefon 0 6151/71 98 96<br />

offen<br />

bissig<br />

kritisch<br />

unabhängig<br />

überparteilich<br />

D 11485 D<br />

<strong>Aids</strong> <strong>im</strong> <strong>Operationssaal</strong><br />

<strong>Seuche</strong> <strong>kommt</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> <strong>Blut</strong><br />

Über die Geschäftemacherei <strong>mit</strong> <strong>Blut</strong> und<br />

die Zulassung der Behörden für das Verbreiten tödlicher Viren<br />

Gibt es in der Bundesrepublik einen<br />

<strong>Aids</strong>-Skandal, vergleichbar <strong>dem</strong> in<br />

Frankreich Wer am 6. Oktober Fernsehen<br />

sah oder tags darauf Zeitung las, war<br />

schockiert, zumindest verunsichert: Eine<br />

Liste von 373 Menschen, die sich durch<br />

<strong>Blut</strong>konserven <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> tödlichen HIV-<br />

Virus infiziert haben, war der Öffentlichkeit<br />

vorenthalten worden. Diese „Fälle“<br />

sollen <strong>dem</strong> Bundesgesundheitsamt (BGA)<br />

in Berlin schon länger bekannt gewesen<br />

sein; es gab diese Zahlen jedoch nicht weiter,<br />

sondern hielt sie in den Amtsschubladen<br />

versteckt. Dies ist zumindest die Version<br />

von Bundesgesundheitsminister<br />

Horst Seehofer (CDU). Bisherige Konsequenz<br />

dieser „Informationskrise“ – so<br />

nennt das BGA selbst den Skandal –: Präsident<br />

Dieter Großklaus und Manfred<br />

Steinbach, Leiter der Gesundheitsabteilung<br />

<strong>im</strong> Ministerium, wurden in den vor-<br />

Lückenlos würden alle <strong>Blut</strong>konserven<br />

in der Bundesrepublik auf HIV-Viren<br />

untersucht, will uns diese Broschüre<br />

der Bundeszentrale für gesundheitliche<br />

Aufklärung weismachen. Kein Wort<br />

von der „diagnostischen Lücke“, keins<br />

über das Restrisiko. Die Stelle sollte<br />

sich besser in „Bundeszentrale für<br />

gesundheitliche Verklärung“ umtaufen.vro<br />

Sie lesen<br />

zeitigen Ruhestand geschickt. Das Amt<br />

soll aufgelöst werden. Keine Rede von<br />

strafrechtlichen Konsequenzen, <strong>im</strong>merhin<br />

ist <strong>mit</strong> Menschenleben zumindest fahrlässig<br />

umgegangen worden.<br />

Wer zählt zur Dunkelziffer<br />

Ansonsten herrscht auch heute, zwei<br />

Wochen nach der Veröffentlichung, weitgehende<br />

Unklarheit. Da ist die Rede mal<br />

von nur fünf, dann sieben oder zwölf Menschen,<br />

die sich nach <strong>dem</strong> 1. Oktober 1985<br />

durch <strong>Blut</strong>konserven angesteckt haben<br />

sollen. Andererseits präsentierten die<br />

Medien vermehrt Einzelfälle, die zu einem<br />

späteren Zeitpunkt infiziert wurden, und<br />

zitierten Fachleute, die von viel höheren<br />

Zahlen und einer riesigen Dunkelziffer<br />

sprechen.<br />

Seit Anfang der achtziger Jahre sind offiziell<br />

an die 2.000 <strong>Blut</strong>er <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Virus infiziert<br />

worden, 400 sind schon gestorben.<br />

Sicher scheint auch, daß weder Ärzte noch<br />

das BGA je Nachforschungen angestellt<br />

haben, wer infiziertes Spenderblut erhalten<br />

hat. Das hätte zumindest bei denjenigen<br />

getan werden können und müssen, bei<br />

denen nachträglich bekannt wurde, daß<br />

eine best<strong>im</strong>mte Charge der Konserven verseucht<br />

war. Da dies unterblieb, ist davon<br />

ausgehen, daß viele Menschen, die irgendwann<br />

einmal in den letzten zehn Jahren<br />

<strong>Blut</strong> oder <strong>Blut</strong>plasma erhalten haben,<br />

möglicherweise infiziert sind – ohne dies<br />

zu wissen. Sie werden sterben und sind<br />

eine tödliche Gefahr für ihre PartnerInnen<br />

und ihren Nachwuchs.<br />

Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf ein<br />

untätiges Amt, auf die Macht der Pharmahersteller<br />

und ihr Millionengeschäft,<br />

sowie auf eine durch nichts zu entschuldigende<br />

und tödliche Verharmlosung und<br />

Vertuschung – wider besseres Wissen.<br />

Vereinzelt war in den Medien schon vor<br />

Monaten die Rede von einem <strong>Aids</strong>-Skandal:<br />

Margarete Schreinemaker präsentierte<br />

in „Schreinemakers Live“ (SAT 1) am 21.<br />

Mai Infizierte und beschuldigte die Firma<br />

„Immuno AG“ als Verursacher. „Frontal“<br />

(ZDF) berichtete am 3. August: 2.000 <strong>Blut</strong>er<br />

– und da<strong>mit</strong> jeder Dritte – hätten sich<br />

infiziert. Bereits ein Brief an das BGA<br />

vom Dezember 92 hätte erste Warnungen<br />

über die Risikogruppe <strong>Blut</strong>er und die<br />

Ansteckungswege enthalten, ohne Reaktion<br />

der Amtsherren. 1990 habe es eine Blu-<br />

2 Sind DarmstädterInnen infiziert worden Kliniken schweigen<br />

4 Schutzgesetze für die Presse fallen<br />

5 Die Frauenbeauftragte klagt: Zu viel Arbeit<br />

6 Verfassungsschutzbericht 1992: Gewalteskalation<br />

7 ✝ 40 Opfer rechter Gewalt<br />

8 Fremdenfeindliche Bundesrepublik – eine Liste des Grauens<br />

10 Gerhard Zwerenz über die Frankfurter Buchmesse<br />

11 Freizeit für Mittelschicht: Bessunger Knabenschule<br />

14 Briefe: Vertrauensvolles zwischen ZD und HEAG<br />

<strong>Aids</strong> Mit Kondomen sollen wir uns davor schützen – daran erinnert<br />

uns die Bundesregierung täglich in der Glotze. <strong>Aids</strong>, das<br />

Schreckgespenst aller Freigeister und vor allem junger Leute,<br />

sorgt für zunehmenden Rückzug in die eigenen vier Wände: Wer<br />

will davor nicht sicher sein Dann aber <strong>kommt</strong> der Hammer: Wer<br />

ins Krankenhaus geht, sich einer Operation unterziehen mußte<br />

und muß, erfährt plötzlich: auch er kann <strong>Aids</strong> bekommen. Ärzte<br />

setzen <strong>Blut</strong>konserven ein, die angeblich ein „geringes Restrisiko“<br />

haben – doch wen interessiert die Statistik, wenn er/sie plötzlich<br />

<strong>Aids</strong> hat<br />

Nächste Ausgabe: Freitag, 5.11.93<br />

terkatastrophe in Deutschland gegeben: elf<br />

Menschen hätten sich über Produkte der<br />

Firma „Biotest“ angesteckt, der Staatsanwalt<br />

er<strong>mit</strong>tle. Sie zeigten einen Zeugen,<br />

der aussagte, von dieser Firma unter Druck<br />

gesetzt worden zu sein: Er sei der einzige,<br />

<strong>dem</strong> das passierte; er solle <strong>mit</strong> eine Abfindung<br />

von 75.000 Mark – zwei Jahre Verdienstausfall<br />

und Bestattungskosten –<br />

zufrieden sein und den Mund halten.<br />

☛ Fortsetzung Seite 2<br />

Innenminister<br />

spielt rechte<br />

Gewalt runter<br />

Offiziell heißt es stets, <strong>im</strong> vergangenen<br />

Jahr seien 17 Menschen von Rechtsextremisten<br />

umgebracht worden. Statistiken<br />

sind <strong>im</strong>mer <strong>mit</strong> Vorsicht zu<br />

genießen, präsentieren sie doch stets nur<br />

das, was <strong>im</strong> Interesse der Auftraggeber<br />

liegt. Wir wollten genauer wissen, wieviele<br />

Opfer die Welle rechter Gewalt<br />

1992 gefordert hat. So werteten wir den<br />

Verfassungsschutzbericht, den Jahresbericht<br />

des Polizeipräsidiums Darmstadt<br />

und andere Presseinformationen<br />

aus. Die offiziellen Zahlen müssen nach<br />

oben korrigiert werden: Über 40 Todesopfer<br />

berichtete die freie Presse.<br />

In Darmstadt faßt der Polizeipräsident<br />

<strong>im</strong> Jahresbericht 1992 pauschal 28<br />

Anschläge auf „Asylunterkünfte“<br />

zusammen. Die Pressestelle hat nur<br />

einen Teil dieser Anschläge <strong>im</strong> Verlauf<br />

des Jahres 92 publiziert, und aus <strong>dem</strong><br />

jetzt vorliegenden Bericht geht auch<br />

nichts genaueres hervor, beispielsweise<br />

in welchem Ort, an welchem Tag, von<br />

welchen Tätern (bekannt oder unbekannt)<br />

etc.. Der Polizeipräsident enthält<br />

so<strong>mit</strong> der Öffentlichkeit diese Entwicklung<br />

vor. Werden solche Anschläge als<br />

Bagatellen betrachtet oder ist es politische<br />

Absicht Wir haben ihn angeschrieben<br />

und um Auskunft gebeten.<br />

Siehe auch Seiten 6, 7 und 8 dieser Ausgabe.<br />

red<br />

„Der hat die Zeitung für Darmstadt<br />

doch nur gegründet, weil er der SPD<br />

eins auswischen will“ – <strong>mit</strong> diesem<br />

Satz tritt eine Stadträtin an die Öffentlichkeit.<br />

Die Sicherheit, <strong>mit</strong> der sie ihre<br />

großartige tiefenpsychologische Erkenntnis<br />

verbreitet, findet Bestätigung<br />

bei vielen anderen GenossInnen – ich<br />

höre das <strong>im</strong>mer wieder.<br />

Die Stadtratin also weiß: Wer sich noch<br />

dazu in aller Öffentlichkeit versteigt,<br />

SPDlerInnen zu kritisieren, muß persönlich<br />

etwas gegen die Partei haben,<br />

wohlgemerkt nicht gegen den oder die<br />

GenossIn; zum Handeln ihrer Freund-<br />

Innen (das Gegenstand der Kritik ist)<br />

schweigt sie.<br />

Zu dieser Erkenntnis Vieler in der Partei<br />

gesellt sich, wie könnte es anders<br />

sein, die Behauptung, „was die (in der<br />

ZD, red.) schreiben, ist sowieso<br />

falsch“. Jetzt müßten wir als Schreiber-<br />

Innen zu tiefst getroffen sein, denn<br />

einen schärferen Vorwurf als den der<br />

Falschberichterstattung gibt es nicht.<br />

Offensichtlich glauben zumindest einige<br />

von ihnen fest daran, andere wissen<br />

es besser, behaupten es dennoch. Beispiel<br />

1: Eike Ebert, er formulierte eine<br />

Strafanzeige wegen Verleumdung und<br />

übler Nachrede, die Staatsanwaltschaft<br />

aber glaubte ihm nicht und stellte die<br />

Er<strong>mit</strong>tlungen ein.<br />

Beispiel 2: Volker Schmidt fiel auch<br />

nichts Besseres ein, als er gleichlautenden<br />

Strafantrag einreichte (die Er<strong>mit</strong>tlungen<br />

laufen noch), und er hängte<br />

gleich noch zwei Privatklagen dran. Da<br />

die Juristen noch <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Fall befaßt<br />

sind, können die ParteifreundInnen<br />

heute noch glauben, was sie wissen<br />

wollen: daß die ZD falsch berichte. Im<br />

Dezember spätestens werden ihnen die<br />

Juristen auch diesen Glauben nehmen.<br />

Die ZD berichtet nicht falsch!<br />

Das ist wahrlich ein schmerzlicher<br />

Lernprozeß, den die Sozial<strong>dem</strong>okrat-<br />

Innen durchmachen müssen. Hatten sie<br />

sich erst jahrelang unter der harten<br />

Faust ihres OB Metzger absolute Parteiloyalität<br />

aneignen und das Denken<br />

abnehmen lassen müssen, fällt <strong>dem</strong>nächst<br />

der Wunsch-Glaube: Daß ihre<br />

Partei <strong>mit</strong> Filz nichts zu tun habe und<br />

daß alle Kritik von außen doch nichts<br />

weiter als der „persönliche Haß“ eines<br />

Herausgebers sei.<br />

Seit einigen Jahren scheinen die Sozial<strong>dem</strong>okratInnen<br />

die Prügelknaben der<br />

ZD zu sein. Das ist aus Sicht eines kritischen<br />

Journalismus barer Unsinn:<br />

Der Abneigung ihres früheren Oberbürgermeisters<br />

(der nur knapp der<br />

Strafjustiz entronnen ist und als Privat-<br />

Kläger mindestens einmal unterlegen<br />

war) gegenüber je<strong>dem</strong> kritischen Ton<br />

fühlten sich Darmstadts Sozis derart<br />

verpflichtet, daß sie eine undurchdringliche<br />

Front und Feindschaft gegen die<br />

ZD aufbauten: Informationen gabs nur,<br />

wenn es das Gesetz verord<strong>net</strong>e, und<br />

selbst dann oft nicht. Während viele<br />

SPD-feindlich<br />

laut ihre Hoffnung verbreiteten, das<br />

Blatt möge bald aus wirtschaftlichen<br />

Gründen wieder eingehen, sahen sie<br />

sich zunehmend getrogen: Es lebte<br />

weiter.<br />

Zeitungen leben von und <strong>mit</strong> Nachrichten,<br />

sonst taugt ein Blatt nicht viel und<br />

es geht wieder ein – soweit hatten die<br />

Sozis recht. Doch sie übersahen, daß es<br />

auch eine Opposition gab, und die war<br />

recht fleißig <strong>im</strong> Weitergeben von Informationen,<br />

wie sich das in einer funktionierenden<br />

Demokratie auch gehört.<br />

Deshalb äußerten Darmstadts SPD-<br />

LerInnen sehr bald: „Die ZD ist ein<br />

Grünen-Blatt“ und übersahen schon<br />

wieder, daß auch die CDU Nachrichten<br />

lieferte – das wiederum paßte nicht in<br />

das Feind-Bild, die ZD sollte doch in<br />

der Chaoten-Ecke stehen.<br />

Von unabhängigem Journalismus, der<br />

<strong>im</strong> Interesse der Sache und nicht gegen<br />

oder für Parteiinteressen schreibt, hatten<br />

Darmstadts Sozis offensichtlich<br />

noch nichts gehört oder gelesen – bis<br />

heute nicht, dabei ist Lesen gerade in<br />

der Politik sehr wichtig.<br />

So wurden sie zwangsläufig zu Prügelknaben<br />

in der Öffentlichkeit, denn die<br />

ZuträgerInnen der anderen Parteien<br />

gaben ja auch nur das weiter, was der<br />

SPD schaden sollte – natürlich nicht<br />

ihnen selbst. Und Darmstadts Sozis<br />

schwiegen, enthielten weiter Informationen<br />

vor, mauerten sich selbst ein,<br />

führten einen Kleinkrieg <strong>mit</strong> einer kleinen<br />

Zeitung, hofften und mußten neue<br />

Gründe finden, weshalb dieses Blatt<br />

<strong>im</strong>mer nur sie kritisierte: Also fanden<br />

sie heraus, daß der Herausgeber einen<br />

persönlichen Haß auf sie haben müsse.<br />

Die Aufgabe der Presse besteht darin,<br />

den an der Macht sitzenden Politikern<br />

zuerst auf die Finger zu sehen. Und<br />

alles, was regiert, muß sich von allem,<br />

was redigiert, gefallen lassen, unter die<br />

prüfende Lupe der Gesetzestreue<br />

genommen zu werden – dies zu verhindern,<br />

ist bekanntlich erstes und wichtigstes<br />

Ziel totalitärer, (sollte aber)<br />

nicht Ansinnen <strong>dem</strong>okratischer<br />

(SPD)PolitikerInnen sein.<br />

Als ob jemand eine Partei derart wichtig<br />

nehmen könnte, daß er, allein um<br />

ihr zu schaden, eine Zeitung aus der<br />

Taufe heben würde – welche Arroganz<br />

spiegelt sich in solch egozentrisch<br />

banaler Weltschau einer Partei. Da ich<br />

als Herausgeber selbst da<strong>mit</strong> angesprochen<br />

bin: Ihr Darmstädter SPD-<br />

Genoss-Innen könnt ganz getrost sein,<br />

nichts läge mir ferner, als irgendein<br />

Gefühl an die SPD zu verschwenden,<br />

weder <strong>im</strong> Positiven noch <strong>im</strong> Negativen.<br />

Noch <strong>im</strong>mer kommen keine Informationen<br />

– außer ihren Parte<strong>im</strong>eldungen.<br />

Wo <strong>im</strong>mer sie in Amt und Würden sitzen,<br />

enthalten sie Anzeigen vor und<br />

hoffen weiter auf das Ableben des Blattes.<br />

Doch den Gefallen tun wir ihnen<br />

nicht.<br />

In der Öffentlichkeit ist so in der Tat<br />

ein falscher Eindruck entstanden. Da<br />

die ZD <strong>im</strong> Gegensatz zu „unserem<br />

Darmstädter Echo“ Informationen<br />

ohne parteifreundliche Vorauswahl<br />

verbreitet, könnten die LeserInnen<br />

glauben, nur in der SPD wucherten<br />

Filz, Vorteilnahme und wie die häßlichen<br />

Dinge der persönlichen Bereicherung<br />

alle heißen, das ist sicher nicht der<br />

Fall: Nur Darmstadts SPD schweigt –<br />

noch, wie lange noch Vielleicht<br />

braucht sie weitere vier oder mehr Jahre,<br />

um irgendwann zu lernen: Wer<br />

Informationen vorenthält, schadet<br />

letztlich sich selbst.<br />

Wenn der erste Bericht in der ZD über<br />

die Vorteilnahmen von PolitikerInnen<br />

anderer Parteien Premiere hat, ist das<br />

Zeichen: einer oder haben mehrere in<br />

der SPD haben dazugelernt. Der neue<br />

Oberbürgermeister jedenfalls meinte,<br />

die Presse solle künftig gleich behandelt<br />

werden – doch das müssen seine<br />

ParteifreundInnen erst einmal praktizieren.<br />

Der Herausgeber


☛ Fortsetzung von Seite 1<br />

Impressum<br />

Verleger und Herausgeber:<br />

Michael Gr<strong>im</strong>m<br />

Unser Team :<br />

Uta Sch<strong>mit</strong>t<br />

Eva Bredow<br />

Sanne Borghia<br />

Nicole Schneider<br />

Peter J. Hoffmann<br />

Gerhard Kölsch<br />

Ludwig v. Sinnen<br />

und freie AutorInnen<br />

Anzeigen:<br />

verantwortlich Peter Horn,<br />

Heiner Schäfer<br />

Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 5<br />

Postanschrift:<br />

Zeitung für Darmstadt<br />

Postfach 10 11 01, 64211 Darmstadt<br />

Telefon 06151/719896<br />

Telefax 06151/719897<br />

Bankverbindungen:<br />

Volksbank Darmstadt<br />

BLZ 508 900 00, Konto 14 111301<br />

Spendenkonto:<br />

Postgiroamt Frankfurt<br />

BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601<br />

Druck:<br />

Caro Druck<br />

Kasseler Straße 1a, 6000 Frankfurt 1<br />

Durchschnittliche Auflage:<br />

10.000<br />

Abonnement:<br />

jährlich DM 60,00 incl. 7% MWSt.<br />

Nachdruck und Vervielfältigungen sind nur <strong>mit</strong><br />

Genehmigung des Verlages gestattet.<br />

Für namentlich gekennzeich<strong>net</strong>e Artikel oder<br />

Presseberichte von Parteien, Verbänden und<br />

Vereinen übernehmen die jeweiligen AutorInnen<br />

die presserechtliche Verantwortung. Sie sind kein<br />

Spiegel für die Meinung der Redaktion.<br />

Personenbezogene Daten werden<br />

elektronisch gespeichert, ausschließlich intern<br />

für die Verwaltung eingesetzt und nach Ende<br />

des Zeitungsbezugs umgehend gelöscht.<br />

InformantInnen bleiben gemäß gesetzlicher<br />

Grundlage auf Wunsch anonym.<br />

Text und Bild sind <strong>mit</strong> „QuarkXPress“<br />

auf Apple Macintosh gesetzt und unter Omnis 5 -<br />

Verlagverwaltung organisiert.<br />

Redaktionsschluß<br />

für die nächste Ausgabe: 30.10.93<br />

So dauerte es in der Bundesrepublik weitere<br />

drei Jahre, bis <strong>Aids</strong>-Tests bei den <strong>Blut</strong>spendern<br />

zwingend angeord<strong>net</strong> wurden –<br />

was das Risiko zwar nicht völlig ausschließt,<br />

aber doch wesentlich verringert.<br />

Drei Jahre, die vielen Menschen das Leben<br />

kosteten. 2.000 <strong>Blut</strong>er sollen in jenen Jahren<br />

infiziert worden sein, wieviele sich bei<br />

Operationen ansteckten, weiß niemand.<br />

Daß das hier keine öffentliche Empörung<br />

verursachte, liegt daran, daß <strong>Blut</strong>er keine<br />

Lobby haben. Daran, daß <strong>Aids</strong> gerade in<br />

den frühen 80er Jahren als Schwulen-<br />

Krankheit gebrandmarkt war. Aus Angst<br />

vor Öffentlichkeit prozessieren <strong>Aids</strong>kranke<br />

kaum. 1.300 wurden bisher abgefunden,<br />

viele <strong>mit</strong> nicht mehr als 30.000 Mark.<br />

Der französische <strong>Aids</strong>-Skandal<br />

Die 1.500 <strong>Blut</strong>er, denen in Frankreich wissentlich<br />

– darin besteht der Unterschied<br />

zur BRD – aidsverseuchte <strong>Blut</strong>konserven<br />

verabreicht worden waren, lagen die Verantwortlichkeiten<br />

des Skandals klarer:<br />

Dort läuft das <strong>Blut</strong>spendewesen unter<br />

staatlicher Regie, vier Männer wanderten<br />

ins Gefängnis. Die Opfer erhielten je eine<br />

Abfindung von 500.000 Mark.<br />

Seehofer hat vergangene Woche angekündigt,<br />

für die deutschen <strong>Blut</strong>opfer einen<br />

Fonds einzurichten: 10 Millionen Mark.<br />

Rechnerisch macht das nach heutigem<br />

Kenntnisstand über die Zahl an Infizierten<br />

für jeden 5.000 Mark.<br />

50 private <strong>Blut</strong>firmen<br />

Neben <strong>dem</strong> Deutschen Roten Kreuz<br />

(DRK) gibt es weitere 50 private <strong>Blut</strong>-<br />

Pharmahersteller. Doch die in Deutschland<br />

gesammelte <strong>Blut</strong>menge deckt nicht<br />

den Bedarf. Deshalb werden Konserven<br />

aus den USA und <strong>dem</strong> Ostblock <strong>im</strong>portiert.<br />

Vereinzelt heißt es, kämen auch aus<br />

Südamerika Konserven, wo es überhaupt<br />

keine Kontrollen auf <strong>Aids</strong>, Hepatitis oder<br />

sonstige Virenerkrankungen geben soll.<br />

Das gesammelte <strong>Blut</strong> wird in großen Mengen<br />

zusammengemischt und dann in<br />

500ml-Beuteln abgepackt. Da es dafür keine<br />

Poolbildungsgrenzen gibt (ein weiteres<br />

Versäumnis des BGA), werden bis zu<br />

20.000 Liter (laut „Spiegel“ sogar 70.000)<br />

in einer Charge zusammengefaßt. Ein einziger<br />

HIV-infizierter Spender genügt, um<br />

diese gesamte Menge zu verseuchen.<br />

Da das BGA nicht vorschreibt (wieder ein<br />

Versäumnis), wie die <strong>Blut</strong>konserven zu<br />

reinigen, das heißt die Viren abzutöten<br />

sind (Fachausdruck: Inaktivierungsverfahren),<br />

beschränken sich viele Hersteller auf<br />

die Kaltsterilisation. Ein unzulängliches<br />

Verfahren. Wie der „Spiegel“ schreibt,<br />

waren deshalb 1990 2.000 PPSB-Flaschen<br />

(ein <strong>Blut</strong>gerinnungsfaktor) der Firma<br />

„Biotest“ verseucht: in Bonn infizierten<br />

sich so sechs, in Frankfurt drei Menschen,<br />

in Göttingen einer. Helfen könnte auch ein<br />

zehn Stunden langes Erhitzen bei 60 Grad,<br />

was viele Unternehmen aber aus Kostengründen<br />

ablehnen.<br />

Obwohl das BGA vorschreibt, Risikogruppen<br />

– wie Fixer, Homosexuelle, Prostituierte<br />

– von den <strong>Blut</strong>spendern auszuschließen,<br />

hat etwa die Firma „Immuno“<br />

eine Spendestelle nahe <strong>dem</strong> Hamburger<br />

Hauptbahnhof, wo Fixer zu Dauerkunden<br />

zählen. Einer von ihnen ist Karlheinz<br />

Schmidt, der laut Immuno-Spenderakte<br />

insgesamt 373 Mal dabei war, weiß der<br />

„Spiegel“. Gerade diese Risikogruppen<br />

können die 30 bis 50 Mark, die pro Spende<br />

gezahlt werden, gut gebrauchen. Das BGA<br />

versäumte, solche Geschäftspraktiken<br />

unter Strafe zu stellen.<br />

<strong>Blut</strong>: ein riesiges Geschäft<br />

In Frankfurt werden allein täglich 220 bis<br />

280 <strong>Blut</strong>konserven gebraucht. Das DRK<br />

zapft jährlich 4,3 Millionen Menschen an.<br />

Auf bis zu 1 Milliarde Mark wird der Jahresumsatz<br />

der <strong>Blut</strong>branche geschätzt. Für<br />

viele Menschen ist eine <strong>Blut</strong>spende überlebenswichtig<br />

und es finden sich zu wenig<br />

Spender. Daraus läßt sich ein riesiges<br />

Geschäft machen.<br />

Die <strong>Blut</strong>firmen schrecken auch vor Bestechung<br />

nicht zurück, um ihre Plasmaprodukte<br />

an den Mann zu bringen. Einem<br />

Bonner Oberarzt waren von der Kölner<br />

Handelsfirma „Pro Plasma“ fast 2,5 Millionen<br />

Mark Schmiergeld auf ein Schweizer<br />

Nummernkonto überwiesen worden.<br />

Er wurde erwischt. Seine Strafe: 22 Monate<br />

Gefängnis auf Bewährung und 600.000<br />

Mark Geldbuße.<br />

Ein <strong>Blut</strong>er sagte (am 9.10., „Spiegel-TV“)<br />

aus: Nach<strong>dem</strong> er erfahren hatte, was seine<br />

Ärzte von den Lieferanten kassierten, habe<br />

er dieses Geschäft selbst gemacht. Er<br />

bezog das Plasma direkt vom Hersteller<br />

und erhielt in nur einem Jahr einen Fernseher,<br />

eine Videokamera und Geld.<br />

Das BGA verläßt sich noch <strong>im</strong>mer auf<br />

anonyme Meldungen von Pharmakonzernen<br />

über HIV-infizierte <strong>Blut</strong>konserven.<br />

Der Pharmakritiker Ulrich Moebius rech<strong>net</strong><br />

<strong>mit</strong> 2.800 Fällen, die deshalb nie aktenkundig<br />

geworden sein sollen. Der Siegener<br />

Rechtsanwalt Schulte-Hillen hat bisher 15<br />

Fälle von PPSB-Infektionen verfolgt.<br />

Auch er <strong>kommt</strong>, hochgerech<strong>net</strong> auf die<br />

gesamte BRD, auf Zahlen von über 2.000<br />

Menschen, die <strong>Aids</strong> durch <strong>Blut</strong>konserven<br />

bekommen haben, die aber in keiner Statistik<br />

auftauchen und um ihre Abfindung<br />

klagen müssen. Viele fordern deshalb nun<br />

eine Umkehr der Beweislast: Die Hersteller<br />

müßten beweisen, daß der HIV-Virus<br />

nicht durch ihre <strong>Blut</strong>packungen übetragen<br />

wurde.<br />

Die BGA-Vertuschungsbehörde<br />

Seit Jahren ist das BGA eine Skandalbehörde:<br />

Dioxin, Asbest, Formaldehyd,<br />

Holzschutz<strong>mit</strong>tel – <strong>im</strong>mer hat sie vertuscht,<br />

wenn überhaupt, zu spät gehandelt.<br />

Stets wog das Interesse der Industrie<br />

schwerer. Eine unheilvolle Allianz zwischen<br />

Herstellern, Ärzten und – <strong>im</strong> Fall<br />

<strong>Aids</strong> – den <strong>Blut</strong>-Pharmaproduzenten. Hat<br />

die Behörde je was gegen die Hersteller<br />

der verseuchten <strong>Blut</strong>produkte unternommen<br />

Bislang ist nichts bekannt geworden.<br />

Seehofer muß sich – wie seine Vorgänger<br />

Geißler und Süßmuth – vorwerfen lassen,<br />

auf die Mahnungen des Pharmakritikers<br />

Ulrich Moebius nicht reagiert zu haben,<br />

der schon vor zwei Jahren das BGA der<br />

Untätigkeit beschuldigt hatte. Die Auslieferung<br />

der von Biotest verseuchten <strong>Blut</strong>konserven<br />

<strong>im</strong> Jahr 1990 hätte so verhindert<br />

werden können, wenn das BGA Inaktivierungsverfahren<br />

verbindlich angeord<strong>net</strong><br />

hätte. Wegen dieses Falls ist am Dienstag<br />

(19.) ein weiterer Beamte des BGA entlassen<br />

worden. Er soll über die aidsverseuchten<br />

Konserven von einem „ernstzunehmenden<br />

Wissenschaftler“ informiert<br />

gewesen sein, gab diese Informationen<br />

jedoch nicht weiter. Moebius geht so weit,<br />

zu sagen: Mit Absicht habe das BGA seine<br />

Verdachtsfälle in Schuhkartons gesammelt<br />

und unter der Decke gehalten, um die<br />

Hersteller der verseuchten <strong>Blut</strong>proben zu<br />

schützen („Spiegel“).<br />

Welche DarmstädterInnen sind<br />

möglicherweise <strong>mit</strong> HIV-kontaminierten<br />

<strong>Blut</strong>konserven behandelt<br />

worden und können, ohne davon zu<br />

wissen, ihre Freunde, Freundinnen<br />

und Kinder möglicherweise infizieren<br />

Dies war der Grund für einen<br />

Fragenkatalog, den wir allen Darmstädter<br />

Kliniken zugestellt hatten,<br />

<strong>mit</strong> der Bitte um Antwort. Wir<br />

wollten wissen:<br />

1. Sind <strong>Blut</strong>konserven der Firmen „Behring“,<br />

„Immuno“, „Travenol“, „Cutter“,<br />

„Pro Plasma“, „Biotest“ und vom<br />

„Deutschen Roten Kreuz“ in Ihrer Klinik<br />

eingesetzt worden. Werden sie weiterhin<br />

eingesetzt<br />

2. Sind in Ihrer Klinik auch <strong>Blut</strong>konserven<br />

aus Südamerika zur Behandlung<br />

eingesetzt worden<br />

3. Wie hoch waren Provisionen und<br />

welche Werbegeschenke sind Ihrer<br />

Klinik oder behandelnden Ärzten angeboten<br />

und bezahlt worden<br />

4. Sind Ihnen Warnungen über mögliche<br />

HIV-Kontaminationen der <strong>Blut</strong>konserven<br />

zugekommen<br />

5. Wenn ja, wann sind Ihnen erste Warnungen<br />

zugegangen und von wem<br />

6. Hat die Berichterstattung über die<br />

<strong>Aids</strong>-Fälle in Frankreich in Ihrer Klinik<br />

zu irgendwelchen Konsequenzen geführt<br />

7. Nach<strong>dem</strong> Ihnen bekannt war, daß<br />

HIV-verseuchte Konserven <strong>im</strong> Umlauf<br />

waren, haben Sie Ihre damaligen und<br />

auch heutigen PatientInnen davon informiert<br />

und gegebenfalls zu einer Nachuntersuchung<br />

bestellt<br />

8. Wieviele PatientInnen sind in Ihrer<br />

Klinik <strong>mit</strong> HIV-verseuchten <strong>Blut</strong>konserven<br />

behandelt worden<br />

Da eine schnelle Beantwortung der Fragen<br />

möglicherweise <strong>dem</strong> Übertragen<br />

des HIV-Virus ehemaliger PatientInnen<br />

vorbeugen könnten, die nichts davon<br />

ahnen, daß sie <strong>im</strong> Krankenhaus infiziert<br />

worden sind, baten wir in unserem<br />

Schreiben vom 11.10. um Antwort bis<br />

zum 14.10. und kündigten bei üblichem<br />

Schweigen Anträge auf einstweilige<br />

Anordnungen des Verwaltungsgerichtes<br />

an. Zwei Kliniken reagierten (siehe<br />

unten) so, daß wir uns gezwungen<br />

sahen, die Informationen auf <strong>dem</strong><br />

Rechtsweg einzuholen. Die Schreiben<br />

an das Verwaltungsgericht gingen nach<br />

vergeblichen Versuchen, die Antworten<br />

telefonisch einzuholen, am 15.10. an<br />

das Gericht. Bis zum Druck dieser Ausgabe<br />

konnten die Antworten auch<br />

gerichtlich nicht durchgesetzt werden.<br />

In der nächsten Ausgabe der ZD hoffen<br />

wir Entwarnung geben zu können, doch<br />

das Schweigen der Kliniken st<strong>im</strong>mt<br />

bedenklich.<br />

„Wie kommen Sie dazu,<br />

so zu fragen“<br />

Die erste Reaktion kam vom Marienhospital.<br />

Eine „Schwester Liberata“<br />

meldete sich telefonisch am 14.10.,<br />

erregte sich über die „Form Ihres<br />

Anschreibens, das ist ja unglaublich“<br />

und meinte, „<strong>dem</strong> Darmstädter Echo<br />

habe ich ja schon alles gesagt“. Woraufhin<br />

wir entgeg<strong>net</strong>en: „Der wesentliche<br />

Teil unserer Fragen war aber <strong>im</strong> Echo<br />

gar nicht angesprochen: Ob möglicherweise<br />

infizierte PatientInnen informiert<br />

worden sind“. Liberata: „Wo bleibt da<br />

der Datenschutz“ Sie forderte die<br />

Gesetzesauszüge an, aufgrund derer wir<br />

unsere Fragen beantwortet wissen wollten.<br />

Und wir hakten nach: „Sind Sie<br />

denn nicht auch daran interessiert, möglichst<br />

schnell Ihre PatientInnen davon<br />

Ausgabe 56 22.10.1993 · Seite 2<br />

<strong>Aids</strong> <strong>im</strong> <strong>Operationssaal</strong> – <strong>Seuche</strong> <strong>kommt</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> <strong>Blut</strong><br />

Untaugliche <strong>Aids</strong>-Tests<br />

Hinzu gesellte sich <strong>im</strong>mer wieder Skepsis<br />

an den <strong>Aids</strong>-Tests. Der Virus hat eine<br />

Inkubationszeit von sechs Wochen bis hin<br />

zu Monaten. Ein Test allein genügt also<br />

nicht, denn er sagt nichts über eine mögliche<br />

Infektion in den letzten Wochen aus.<br />

Die Experten nennen dies „diagnostisches<br />

Fenster“. „Die Woche“ publizierte am 5.<br />

August einen Artikel unter der Überschrift:<br />

„<strong>Aids</strong>-Tests: untauglich“. Die australische<br />

Medizin-Physikerin Eleni Papadopulos-Eleopulos<br />

vom Royal Perth Hospital<br />

sammelte weltweit <strong>Aids</strong>-Test-Ergebnisse<br />

und verglich sie <strong>mit</strong>einander. Ihr<br />

Ergebnis: sie sind höchst unsicher: „1990<br />

hatten in Rußland 20.000 Menschen einen<br />

positiven Elisa-Befund (dieser Test wird<br />

in Deutschland jährlich rund sechs Millionen<br />

Mal gemacht, red.). Der als Kontrollstandard<br />

verwandte „Western Blot“<br />

bestätigte dieses Test-Ergebnis nur 112<br />

mal.“ Bei eigenen Untersuchungen fand<br />

sie angeblich HIV-Infizierte, die gesund<br />

sind, Fälle <strong>mit</strong> negativen Ergebnissen bei<br />

akut <strong>Aids</strong>kranken und sogar solche, bei<br />

denen das <strong>Blut</strong> an einem Tag HIV-positiv<br />

und am anderen Tag HIV-negativ reagiert<br />

haben soll. Auf all diese Meldungen reagierte<br />

das BGA <strong>mit</strong> Nichtstun und Verharmlosung.<br />

Seit <strong>dem</strong> 1. Oktober 1985<br />

werden alle <strong>Blut</strong>spender einem HIV-Test<br />

unterzogen, nur einem. Offiziell wurde<br />

seit<strong>dem</strong> stets verkündet, das schließe alle<br />

Risiken aus (siehe Abbildung Seite 1). Ein<br />

Irrtum, wie wir spätestens jetzt wissen und<br />

worüber wir viel früher hätten Gewißheit<br />

erlangen können, wären die vielen Warnungen<br />

ernstgenommen worden.<br />

Drei verlorene Jahre<br />

Bereits 1982 erkannte etwa die BGA-Wissenschaftlerin<br />

Johanne L’age-Stehr die<br />

Gefahr der Übertragung durch <strong>Blut</strong>konserven<br />

bei <strong>Blut</strong>ern. Doch der damalige<br />

Gesundheitsminister Heiner Geißler und<br />

seine Nachfolgerin Rita Süßmuth (beide<br />

CDU) wollten das nicht hören. Der Wissenschaftlerin<br />

wurde (laut „Spiegel“<br />

41/93) ein Maulkorb verpaßt, seit<strong>dem</strong> darf<br />

sie nicht mehr über <strong>Aids</strong> forschen, sondern<br />

muß sich um Gelbfieber kümmern – das es<br />

in Deutschland gar nicht gibt.<br />

Der Skandal, wie er vor zwei Wochen in<br />

die Öffentlichkeit gelangte, ist ziemlich in<br />

sich zusammengebrochen. Von den 373<br />

Infizierten blieben sieben übrig, die nach<br />

1985 infiziert worden sind. Diese Zahl 373<br />

war <strong>dem</strong> Gesundheitsministerium<br />

bekannt. Sie stand aber auch auf einer<br />

Extra-Computerliste aus <strong>dem</strong> „Arzne<strong>im</strong>ittelinformationssystem“.<br />

Das erfaßt alle<br />

Nebenwirkungen von Medikamenten, die<br />

Ärzte und Hersteller melden. Diese <strong>Aids</strong>-<br />

Liste ist Teil der <strong>dem</strong> BGA offiziell<br />

gemeldeten Fälle. Nur konnte dieses<br />

Mißverständnis am Mittwoch (5.) be<strong>im</strong><br />

Treff <strong>im</strong> Bundesgesundheitsministerium<br />

niemand aufklären. Das brachte das Faß<br />

zum Überlaufen, der Minister handelte<br />

endlich. Insofern hat das BGA recht, wenn<br />

es sagt, der Skandal sei lediglich eine<br />

Informationskrise.<br />

Der eigentliche Skandal<br />

Andererseits brachten diese Ereignisse ein<br />

erneutes Nachdenken und -forschen über<br />

die gängigen Praktiken der <strong>Blut</strong>spendeorganisationen.<br />

Und dort findet sich dann<br />

auch der eigentliche Skandal.<br />

Seehofers Ankündigung, eine sechsmonatige<br />

Quarantänelagerung des <strong>Blut</strong>es anzuordnen<br />

und die Spender dann nochmals zu<br />

untersuchen, ist ein Schritt in die richtige<br />

Richtung. Doch das alleine reicht nicht<br />

aus.<br />

Es müssen nun endlich strikte Regeln<br />

beschlossen und durchgesetzt werden:<br />

• Überwachung der <strong>Blut</strong>spendedienste<br />

• Verzicht auf Importe<br />

• Vorgeschriebene Inaktivierungsverfahren<br />

zur Abtötung der Viren<br />

• Sechsmonatige Quarantänepflicht der<br />

Spenden und nochmaliger <strong>Aids</strong>-Test bei<br />

den Spendern<br />

• Umkehr der Beweislast<br />

• Meldepflicht der <strong>Blut</strong>-Hersteller über<br />

verseuchte Konserven<br />

• Unverzügliche Meldung an die Krankenhäuser<br />

und Ärzte, an die die Konserven<br />

ausgeliefert wurden<br />

• Unverzügliche öffentliche Bekanntgabe<br />

der Chargen-Nummern<br />

• Abfindung aller Opfer <strong>mit</strong> mindestens<br />

500.000 Mark (oder ist ein deutsches<br />

Leben weniger wert als ein französisches)<br />

Restrisiko<br />

Noch <strong>im</strong>mer wird von offizieller Seite<br />

beteuert, das Restrisiko, sich bei einer<br />

<strong>Blut</strong>infusion <strong>mit</strong> <strong>Aids</strong> zu infizieren, liege<br />

unverändert bei 1 zu 1 Million. Das mag<br />

niemand mehr recht glauben. Allianz zwischen<br />

<strong>Blut</strong>-Konzernen und BGA und die<br />

Meldepraxis der Hersteller sprechen eindeutig<br />

dagegen. Auch der Fall, der am<br />

14.10. publik wurde: In Fulda wurden<br />

zwei Patienten infiziert, <strong>im</strong> Frankfurter<br />

Nordwestkrankenhaus einer. Die Warnungen<br />

von „UB-Plasma“ erreichte die Krankenhäuser<br />

zu spät. Dem Unternehmen war<br />

eine Infizierung auch nur deshalb aufgefallen,<br />

weil der Spender nach der Entnahme<br />

<strong>im</strong> Februar noch gesund schien, <strong>im</strong><br />

April erneut spenden wollte und damals<br />

der Befund HIV-positiv war. Gegen die<br />

Firma er<strong>mit</strong>telt nun die Staatsanwaltschaft<br />

(wegen des Verdachts auf Verstoß gegen<br />

das Arzne<strong>im</strong>ittelgesetz und gefährliche<br />

Körperverletzung).<br />

Die Geschäfte…<br />

Der jüngste <strong>Aids</strong>-Skandal veranlaßte viele<br />

Bürger, schon angesetzte Operationen zu<br />

verschieben. Wer will es ihnen verdenken<br />

Jetzt ist die Pharma-Industrie am Zug, sie<br />

muß alles tun, da<strong>mit</strong> wir wieder sicher sein<br />

können.<br />

Die Eigenblut-Spende (oder die von Familienangehörigen)<br />

ist noch <strong>im</strong>mer die<br />

Methode <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> geringsten Risiko, sie<br />

geht jedoch nicht bei Notfällen. Alle<br />

Darmstädter Kliniken bieten sie <strong>mit</strong>tlerweile<br />

an (siehe nächste Seite). Doch oft<br />

sieht es in der Praxis anders aus: Den Ärzten<br />

ist dies zu mühsam, der Patient muß bis<br />

zu sechs Mal in die Klinik, sein <strong>Blut</strong> abgelagert<br />

und konserviert werden, auch ist es<br />

teurer („FAZ“), als <strong>Blut</strong> zu kaufen, außer<strong>dem</strong><br />

gibt es dann keine Geschenke. Oft<br />

verweisen sie auf die <strong>Aids</strong>-Tests, die ein<br />

Risiko ausschließen würden. Darauf kann<br />

sich heute aber (noch) niemand verlassen.<br />

Eva Bredow<br />

Sind DarmstädterInnen<br />

infiziert worden<br />

PatientInnen zur Nachuntersuchung bestellt<br />

Die (Nicht-) Reaktionen der Kliniken<br />

auf mögliche <strong>Aids</strong>-Infizierung durch <strong>Blut</strong>konserven<br />

zu informieren, da<strong>mit</strong> sie sich untersuchen<br />

lassen können“ Schwester Liberata<br />

antwortete: „Ja, auch, aber jetzt<br />

gehen Sie aufs Inhaltliche; ich wollte<br />

nur wissen, wie Sie dazu kommen, so zu<br />

fragen.“ „Das haben wir Ihnen doch<br />

gesagt, wir möchten Ihre PatientInnen<br />

informieren und Sie wollen das auch,<br />

also können Sie die Antworten doch<br />

gleich telefonisch erteilen.“ Das aber<br />

wollte sie nicht und beendete das<br />

Gespräch.<br />

Ein zweiter Anruf von Schwester Liberata,<br />

keine 5 Minuten später: „Ich erteile<br />

Ihnen keine Genehmigung, über unser<br />

Gespräch zu berichten. Das verbiete ich<br />

Ihnen! Wenn Sie das tun… “ Darauf<br />

hingewiesen, daß die Presse auch Kontrollfunktionen<br />

ausübt, hatte sie nur den<br />

Kommentar übrig: „Davon habe ich<br />

noch nie etwas gehört“. Sie drohte <strong>mit</strong><br />

juristischen Folgen und sagte schließlich<br />

zu, sie wolle die Fragen binnen acht<br />

Tagen beantworten, allerdings müsse<br />

sie erst noch rechtlich überprüfen, ob sie<br />

dazu überhaupt verpflichtet sei.<br />

„Ein sehr geringes Risiko“<br />

Der kaufmännische Direktor, Dr.<br />

Röhrig, des Alice-Hospitals vom Deutschen<br />

Roten Kreuz gab bereitwillig<br />

Auskunft und erklärte, „in unserer Klinik<br />

werden pro Jahr nur zwischen 100<br />

bis 150 <strong>Blut</strong>konserven gebraucht, da wir<br />

keine Notfälle aufnehmen und Patient-<br />

Innen für größere Operationen weiter<br />

überweisen.“ Er bestätigt, daß „unsere<br />

Klinik ausschließlich <strong>Blut</strong>konserven<br />

des Roten Kreuzes einsetzt“. Röhrig<br />

beschreibt, daß es für die behandelnden<br />

Ärzte „keinen Ausweg zum Einsatz von<br />

<strong>Blut</strong>konserven gibt“, da noch keine<br />

Prüfmethode entwickelt worden ist.<br />

☛ Fortsetzung auf Seite 3


☛ Fortsetzung von Seite 2<br />

Sind DarmstädterInnen…<br />

„Bed-side“ (neben <strong>dem</strong> Krankenbett)<br />

prüfen, „wäre das Beste“. Die „diagnostische<br />

Lücke“, die darin besteht, daß<br />

der <strong>Blut</strong>spender sich kurz vor der Entnahme<br />

infiziert hat (der Virus ist nicht<br />

erkennbar), „könnte nur geschlossen<br />

werden, wenn derselbe Spender sechs<br />

Monate später noch einmal untersucht<br />

und das <strong>Blut</strong> solange nicht freigegeben<br />

wird“, erklärt Dr. Röhrig. „Das <strong>Blut</strong><br />

müßte für einen Test zuvor erwärmt<br />

werden, und dann wäre es nicht mehr<br />

haltbar, deshalb geht die Untersuchung<br />

nur nach Ablauf der Inkubationszeit<br />

wieder am Patienten.“ Warum dies nicht<br />

längst gemacht wird Auf die Frage antwortet<br />

der Arzt: „Wenden Sie sich an<br />

den <strong>Blut</strong>spendedienst. Ich kann nur<br />

allen Patienten empfehlen, sich das<br />

eigene <strong>Blut</strong> vorher entnehmen zu lassen.<br />

Davon wird viel zuwenig Gebrauch<br />

gemacht. Legen Sie das den Leuten<br />

ganz besonders nahe“.<br />

Schriftlich antwortete Röhrig (am<br />

18.10.) auf unsere Anfrage: „Alice-Hospital<br />

und Eleonoren-Kinderklinik beziehen<br />

ausschließlich <strong>Blut</strong>konserven vom<br />

<strong>Blut</strong>spendedienst des Deutschen Roten<br />

Kreuzes. Uns ist, wie allen anderen<br />

Krankenhäusern auch, bekannt, daß<br />

infolge der „diagnostischen Lücke“, die<br />

zwischen Infektion <strong>mit</strong> HIV und <strong>dem</strong><br />

Nachweis entstehen kann, ein, wenn<br />

auch geringes, Risiko besteht.<br />

Seit Kenntnis dieser Tatsache, etwa<br />

1985, werden die Patienten von unseren<br />

Belegärzten auf dieses Risiko und,<br />

soweit dies vom Krankheitsbild des<br />

Patienten möglich ist, auf die Eigenblutspende<br />

hingewiesen.<br />

Im übrigen ist unser Hospital als Belegkrankenhaus<br />

nur in sehr geringem<br />

Umfang auf den Einsatz von <strong>Blut</strong>konserven<br />

angewiesen. Bis heute sind uns<br />

jedenfalls keine Fälle in unserem Hause<br />

bekannt geworden, die auf eine HIV-<br />

Infektion durch <strong>Blut</strong>konserven hinweisen.“<br />

Peinliche Beschwichtigung<br />

Ein besonders blamables Beispiel für<br />

journalistische Abwiegelung gab das<br />

Echo <strong>mit</strong> seinem Bericht am Samstag<br />

(9.) „Eigenblutspende <strong>im</strong>mer beliebter“.<br />

Ebenfalls in Reaktion auf den Bonner<br />

Skandal hatte die Zeitung bei den Kliniken<br />

angefragt, die für PatientInnen interessanten<br />

Fragen geschickt vorenthalten,<br />

und wußte von der angeblich üblichen<br />

Praxis der Selbstentnahme des <strong>Blut</strong>es<br />

bei Kranken zu berichten. Die Frage, ob<br />

frühere PatientInnen von den Kliniken<br />

informiert worden sind, wegen einer<br />

Nachuntersuchung, unterblieb wohlweislich.<br />

Es soll nicht unterstellt werden,<br />

daß der Bericht absichtlich die<br />

DarmstädterInnen beschwichtigen sollte,<br />

doch die Folge ist zumindest schweigend<br />

in Kauf genommen worden.<br />

Telefonisch erreichten wir Klaus Neudenberger<br />

vom Hessischen <strong>Blut</strong>spendedienst,<br />

er ist dort Leiter der Werbeabteilung<br />

und meinte: Seit Juli 85, drei Monate<br />

vor <strong>dem</strong> Gesetz, untersuche der <strong>Blut</strong>spendedienst<br />

alle <strong>Blut</strong>konserven<br />

regelmäßig auf <strong>Aids</strong>. Zwölf Entnahmedienste<br />

zapfen 4.500 Konserven pro<br />

Woche in Hessen, 245.000 <strong>im</strong> Jahr ab.<br />

Das eingesammelte <strong>Blut</strong> werde am<br />

nächsten Morgen in Frankfurt auf <strong>Aids</strong><br />

und Hepatitis untersucht und nur das<br />

<strong>Blut</strong> von zwei Spendern zusammengemischt.<br />

Um das sogenannte „diagnostische Fenster“<br />

zu schließen, müßten zu<strong>dem</strong> alle<br />

Spender einen Fragebogen ausfüllen,<br />

der sie nach ihrer Krankheitsgeschichte,<br />

nach Medikamenten, physischem<br />

Gesundheitszustand und „nach Kontakten<br />

zu Afrikanern“, so Neudenberger,<br />

befragt. In einem weiteren Ausschlußbogen<br />

kreuzen sie an, ob sie in den letzten<br />

sechs Wochen einen risikoreichen<br />

Geschlechtsverkehr hatten und können<br />

angeben, daß ihre Spende nicht weiterverwendet<br />

werden soll. „Das sind Einzelfälle“,<br />

weiß Neudenberger, aber in<br />

solch einem Fall würde die Spende vernichtet.<br />

Diese freiwillige, durch nichts<br />

zu überprüfende Angabe kann kein<br />

Ersatz dafür sein, die Spender nach<br />

sechs Monaten nochmals zum <strong>Aids</strong>-Test<br />

zu rufen. Neudenberger: „Dem <strong>Blut</strong>spendedienst<br />

ist von keinem Fall bekannt,<br />

daß durch seine Konserven irgendjemand<br />

angesteckt wurde.“<br />

Auch der „Darmstädter <strong>Aids</strong>hilfe“ ist<br />

kein Fall von PatientInnen bekannt, die<br />

sich in einer der örtlichen Kliniken infiziert<br />

haben, sagt Inge Schwieger. „Wir<br />

fragen nicht danach, wie sich jemand<br />

angesteckt hat.“<br />

M. Gr<strong>im</strong>m<br />

„Wohnungen statt Parkplätze“ stand auf <strong>dem</strong> Transparent der BUND-Jugend am<br />

8.10. über der Einfahrt des TH-Parkhauses zu lesen. Im Verein <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> „Öko-Referat“<br />

des AStA der TH blockierten sie die Zufahrt und bauten <strong>dem</strong>onstrativ eine kleine<br />

Mauer, arrangierten Tisch, Stühle und Vorhänge – „wie eben so ein Studenten-<br />

Z<strong>im</strong>mer eingerichtet ist“, beschrieb eine der Aktionistinnen. Sie trauten sich nicht,<br />

ihren ursprünglichen Plan umzusetzen: Die Zementier-Aktion unterblieb, weil<br />

gleich vier TH-Bedienstete als Aufpasser abgestellt waren. Bastian Ripper ärgerte<br />

sich darüber: „Das Echo hat unsere Ankündigung nicht veröffentlicht, aber der<br />

Redakteur meinte, sobald eine Presse<strong>mit</strong>teilung da sei, sei sie auch schon öffentlich<br />

– das ist doch nicht fair, wenn die Presse so eine Rolle als Zuträger spielt.“ Entsprechend<br />

wenig sympathisierende ZuschauerInnen waren denn auch gekommen. Eine<br />

halbe Stunde dauerte die Demonstration „gegen Verkehr und für mehr Wohnungen“,<br />

dann packten die jungen Leute Ihre Steine und Möbel wieder ein. Und das Transparent<br />

Eigentlich wollten sie es hängen lassen, doch ein TH-Bediensteter meinte,<br />

„Wenn Ihr das hängen laßt, mach ich es ab.“<br />

Angesprochen auf die seit mehr als zwei Jahren hängenden Protest-Transparente von<br />

Professor Lauterborn (ZD Ausgabe 26) kam nur, „Ja der!“<br />

Auf die vier Geschosse der Tiefgarage <strong>mit</strong> ihren rund 300 Parkplätzen verteilten sich<br />

zu der Uhrzeit wie zumeist einige wenige Fahrzeuge, genau neun Stück. Es bleibt<br />

abzuwarten, bis wann und wie es der TH gelingen wird, den 10,7 Millionen-Bau<br />

doch noch seiner umweltschädlichen Best<strong>im</strong>mung zuzuführen und Autos hineinzubekommen.<br />

mg / Foto Heiner Schäfer<br />

Ein rechtes Wort zur rechten Zeit<br />

Es wurde Zeit, daß der Kanzler das<br />

endlich mal sagt: „Wir sind kein<br />

Freizeitpark, sondern eine Industrie-Nation“,<br />

geäußert auf <strong>dem</strong><br />

CSU-Parteitag in München. Wie<br />

konnten wir das vergessen Wie<br />

konnten wir das verwechseln: Freizeitpark,<br />

Industrienation, Freizeitindustrie<br />

und Parknation, Nationalpark<br />

und Industriefreizeit. Welch<br />

unsägliche Verwirrung der Begriffe<br />

hat unser Volk an den Rand eines<br />

Disneylands gebracht<br />

Kein Freizeitpark, eine Industrienation!<br />

Dies mußte den fröhlich durch<br />

die Kirmesstadt Oberhausen lärmenden<br />

Stahlkochern einmal<br />

gesagt werden. Denn Hand aufs<br />

Sparbuch: uns geht es zu gut.<br />

Während ein paar hundert rechtschaffene<br />

Abgeord<strong>net</strong>e nach wie<br />

vor davon träumen, ihr Hobby zum<br />

Beruf zu machen, haben Millionen<br />

ArbeitnehmerInnen ihren Beruf<br />

zum Hobby gemacht. Ein Freizeitpark,<br />

keine Industrienation!<br />

Gestern erst mußte ich wieder<br />

einen Penner in der Innenstadt<br />

sehen, der auf seinem Pappschild<br />

„obdachlos“ <strong>mit</strong> „p“ geschrieben<br />

hatte. Ist das einer Industrienation<br />

würdig Unser Volk braucht richtiges<br />

Deutsch, richtige Deutsche<br />

und den Einsatz der GSG-9 gegen<br />

falschnationale Elemente. Die<br />

Freizeiten tamilischer, kurdischer<br />

oder anderer Negerfolklore aus<br />

Steuergeldern sind vorbei; wir<br />

fackeln nicht mehr lange, jetzt wird<br />

nicht gekleckert, jetzt wird gekotzt.<br />

Wir sind eine Industrienation! Industriearbeit<br />

ist harte Arbeit. Harte<br />

Arbeit ist Männerarbeit. Die harte<br />

Männerarbeit am Aufschwung ist<br />

keine Achterbahnfahrt <strong>im</strong> Freizeitpark,<br />

die Konjunktur gleicht vielmehr<br />

einem Riesenrad, in <strong>dem</strong> die<br />

deutsche Gondel unumstößlich<br />

und fortwährend nach oben steigt.<br />

Dazu müssen wir Ballast abwerfen.<br />

Wer nicht mehr selber laufen kann,<br />

der soll zu Hause bleiben. Wer<br />

nichts leistet, braucht auch nichts<br />

zu essen. „Wir sind kein Freizeitpark,<br />

sondern eine Industrienation.“<br />

Das war ein rechtes Wort zur<br />

rechten Zeit. Boss einer Industrienation<br />

oder An<strong>im</strong>ateur <strong>im</strong> Freizeitpark<br />

– der Kanzler hat sich entschieden.<br />

P. J. Hoffmann<br />

In der Ausgabe 49 hatten wir einen offenen Brief von Philipp Benz an die<br />

Grünen veröffentlicht. Er wies daraufhin, daß unter Oberbürgermeister<br />

Engel die „Georg-Fröba-Anlage“ 1960 in „Buxbaumanlage“ umbenannt<br />

worden war. In <strong>dem</strong> heute in der He<strong>im</strong>stättensiedlung so benannten „Fröbaweg“<br />

fehlte unter <strong>dem</strong> Schild der Hinweis darauf, daß es sich bei Fröba<br />

um einen Widerstandskämpfer gehandelt hat. Die Stadtverwaltung hat<br />

reagiert und den Zusatz unter <strong>dem</strong> „Fröba-Weg“ siehe Foto angebracht.<br />

Foto Heiner Schäfer<br />

IN KÜRZE<br />

Ausgabe 56 · 22.10.1993 · Seite 3<br />

Wir schreiben nicht ab<br />

Unfall bei Röhm am 19.10. um 18.30 Uhr, meldete das Echo tags<br />

drauf. Die ZD ist wieder einmal nicht informiert worden - weder von<br />

der Feuerwehr noch von der Polizei. Wir schreiben die Behörden an<br />

und werden berichten. Bornierte Sturköpp. sb<br />

Salmonellen in Kita<br />

Bei einem Kind und einer Betreuerin des Janusz-Korczak-Hauses in<br />

Kranichstein hat das Gesundheitsamt am Mittwoch (20.) Salmonellen<br />

festgestellt.<br />

Dezernent Gerd Grünewaldt hat deshalb die Schließung dieser Kindertagesstätte<br />

für Donnerstag und Freitag (21./22) angeord<strong>net</strong>. Für<br />

diese Tage mußten die Eltern der insgesamt 99 Kinder die Betreuung<br />

selbst organisieren.<br />

Die Stadt meldete in einer Pressemeldung: „Die Schließung geschieht<br />

aus Fürsorge den Kindern und Betreuerinnen gegenüber, um eine<br />

Übertragung zu verhindern, wie die Leiterin der Sozialverwaltung,<br />

Dr. Wilma Mohr, bestätigt, da die Salmonellenvergiftung nicht in der<br />

gemeinsam benutzten Küche der Kindertagesstätte entstanden ist,<br />

wie das Gesundheitsamt bestätigt hat. Die Schließung ist bis zum<br />

Wochenende befristet. Bis dahin erhofft sich die Stadt, so Dr. Wilma<br />

Mohr, weitere Informationen über Ursache und Umfang der Vergiftung<br />

vom Gesundheitsamt.“ Die Stadt versprach, über gegebenenfalls<br />

weitere erforderliche Maßnahmen die Eltern und die Öffentlichkeit<br />

rechtzeitig zu unterrichten. Volker Rinnert, Presseamt<br />

Kongreß Jugendumweltbewegung<br />

„Überverbandliche Zusammenarbeit statt Konkurrenzdenken“ lautet<br />

das Motto des ersten Kongresses der hessischen Jugendumweltbewegung.<br />

Er findet vom 22. bis 26.Oktober in der Walldorfschule in<br />

Darmstadt-Eberstadt, Arndtstraße 6, statt.<br />

Etwa 100 Jugendliche wollen vier Tage lang verschiedenste ökologische<br />

Themen diskutieren – wie Ökopsychologie, Gentechnik,<br />

AutoFrei-Kampagne… – und sich auch <strong>mit</strong> sozialen Themen wie<br />

Politikverdrossenheit und Gewalt auseinandersetzen. Jeder ist willkommen,<br />

anmelden kann man sich be<strong>im</strong> Verein zur Förderung der<br />

Jugendumweltarbeit (718238) oder direkt am Freitag zwischen 16<br />

und 19 Uhr in der Waldorfschule. Am Montag Nach<strong>mit</strong>tag wollen die<br />

Jugendlichen eine Aktion auf <strong>dem</strong> Luisenplatz veranstalten. red.<br />

Postalisches<br />

Es muß doch außerordentlich schwierig sein, ein Paket von einer<br />

Stelle der Republik zur anderen zu befördern. Am 12.10. ging uns <strong>mit</strong><br />

mehrtägiger Verspätung ein Paket zu, das, obwohl sehr ordentlich <strong>mit</strong><br />

Absender und Adressat versehen, in Darmstadts Postamt für unendliche<br />

Verwirrung sorgte: Die Post ließ es <strong>dem</strong> „Magistrat, Stadtbauverwaltung“<br />

zustellen, als ob dieser eine Nebenstelle der „Zeitung für<br />

Darmstadt“ sei.<br />

Am gleichen Tag wieder viel Lärm um nichts. Greenpeace telefonierte<br />

hinter einem Paket her, das wir schon längst abgeholt hatten. Der<br />

Grund, die Post hatte Greenpeace einen Zettel geschickt: „Empfänger<br />

verweigert Annahme“.<br />

Wußten Sie übrigens – in den neuen „Service-Informationen“ (Stand<br />

1.9.93) steht zu lesen: „Legen Sie bitte be<strong>im</strong> Einkauf einer größeren<br />

Menge verschiedener Briefmarken eine aufgerech<strong>net</strong>e Zusammenstellung<br />

bei …“ Befürchtet der Postminister, daß seine Beamten nicht<br />

rechnen können sb<br />

46 Kandidaten für Ausländerbeirat<br />

Für die Wahl des Ausländerbeirats der Stadt Darmstadt am 7.November<br />

bewerben sich 46 Kandidaten, darunter zehn Frauen, um die 21<br />

Sitze. Stadtkämmerer Otto Blöcker loste die Reihenfolge der Liste<br />

aus: 1. Assalem (Jordanien), 2. Internationale Liste Freundschaft in<br />

Frieden und Freiheit, 3. Afghan, 4. Jadran, 5. Roja Kurdistan, 6. Islamische<br />

Gemeinschaft, 7. Kroatische Bürger der Stadt Darmstadt und<br />

8. Türk Islam Dernekleri Birligi.<br />

„Die Liste „Insieme“ (Italien) mußte wegen fehlender Unterstützungsunterschriften<br />

ebenso zurückgewiesen werden wie die Liste<br />

„Spanische Mitbürger Sin Fronteras“, die die Unterstützungsunterschriften<br />

bereit vor der Mitgliederversammlung einholte, in der der<br />

Kandidat aufgestellt wurde“. Lisette Nichtweiss, Presseamt<br />

Besserer Schutz für Gewässer<br />

„Immer wieder <strong>kommt</strong> es be<strong>im</strong> Umgang <strong>mit</strong> Öl, Benzin, Chemikalien<br />

oder sonstigen wassergefährdenden Stoffen zu Zwischenfällen, durch<br />

die Oberflächengewässer oder das Grundwasser gefährdet werden.<br />

Die seit Anfang Oktober geltende neue Anlagenverordnung des Hessischen<br />

Umweltministeriums soll durch verschärfte Sicherheitsmaßnahmen<br />

den Gewässerschutz verbessern“, schreibt das Ministerium.<br />

Die Verordnung stützt sich auf einen Musterentwurf der Länderarbeitsgemeinschaft<br />

Wasser und geht darüber hinaus. Demnach sind<br />

unterirdische Behälter <strong>mit</strong> nur einer Wand oder einwandige unterirdische<br />

Rohrleitungen nur noch ausnahmsweise erlaubt. Höhere Anforderungen<br />

gibt es auch für Anlagen oberirdischer Gewässer. Eignungsfeststellungen<br />

können nun durch die un<strong>mit</strong>telbare Einbindung<br />

von Sachverständigen beschleunigt werden. Be<strong>im</strong> Ministerium gibt<br />

es ein Merkblatt: 0611/8151022. Presseinfo Umweltministerium<br />

„Sparsam und umweltbewußt“<br />

„Ein Kompl<strong>im</strong>ent macht die Südhessische Gas und Wasser AG ihren<br />

Kunden: Sie gehen sorgsam und bewußt <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Lebens<strong>mit</strong>tel Wasser<br />

um und haben auch in jüngster Zeit ihren Wasserverbrauch eingeschränkt.<br />

Jahrelange in unzähligen Gesprächen und gezielten Veröffentlichungen<br />

geleistete Aufklärungsarbeit trugen gewiß dazu bei.<br />

Für das regionale Versorgungsunternehmen ist das ein Indiz dafür,<br />

daß es auch ohne Zwangsmaßnahmen geht, die Bürger sind mündig,<br />

ihren Wassergebrauch umweltbewußt selbst zu best<strong>im</strong>men.“ So ein<br />

PR-Bericht vom 16.10..<br />

Erst kürzlich erging eine Verfügung des Regierungspräsidenten, die<br />

das Unternehmen zu sparsamerem Umgang <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Wasser zwingt.<br />

Das Unternehmen verbreitet weiter: „Mit der seit Jahren erfolgreich<br />

betriebenen Grundwasseranreicherung <strong>mit</strong> Rheinwasser hat die Südhessische<br />

Maßstäbe auf <strong>dem</strong> Gebiet der Wasserversorgung gesetzt.<br />

Gemeinsam <strong>mit</strong> ihren Kunden, die bewiesen haben, daß sie sorgsam<br />

<strong>mit</strong> unserem Lebens<strong>mit</strong>tel Nummer Eins umzugehen wissen, trägt<br />

das Darmstädter Unternehmen also dazu bei, daß die regionalen Wasserressourcen<br />

bei voller Berücksichtigung des Umwelt- und Naturschutzes<br />

für Generationen gesichert bleiben.“<br />

Greenpeace erstellt derzeit eine umfangreiche Studie über den Wassermangel,<br />

das fallende Grundwasser und die Risiken, die <strong>mit</strong> der<br />

Rheinwasserentnahme verbunden sind. Nur unterschiedliche Interpretationen<br />

sb


Nepper, Schlepper, Bauernfänger:<br />

Auf Kundenfang <strong>mit</strong> falschen Anzeigen<br />

Beschwerde wegen „unlauteren Wettbewerbs“ und was die IHK macht<br />

Guten Tag Herr Beckers, am Montag<br />

(19.7.) las ich <strong>im</strong> „Darmstädter Echo“<br />

folgende Anzeige von „Heydorn und<br />

Hönig“.<br />

Ich rief dort telefonisch zwei Mal an,<br />

sagte genau, um welche Geschirrspülmaschine<br />

es sich handelt, fragte nach<br />

Größe und ob sie unsere alte Maschine<br />

zurücknehmen. Alles schien zu klappen.<br />

Dann fuhr ich in den Laden in der Heidelberger<br />

Straße.<br />

Dort angekommen, sagte mir ein Verkäufer,<br />

daß die Anzeige falsch sei, von<br />

Bauknecht gebe es keine Maschine für<br />

599 Mark. Auf meine Rückfrage, ob es<br />

denn eine andere Maschine zu <strong>dem</strong> Preis<br />

gebe, antwortete mir der Verkäufer,<br />

nein, es gebe nur eine für 699 Mark, ein<br />

No-Name-Fabrikat, keine Öko-<br />

Geschirrspülmaschine.<br />

Ich beschwerte mich, der Mann redete<br />

herum, das „Echo“ hätte eine falsche<br />

Anzeige geschaltet, die erst für nächsten<br />

Montag gelten sollte. Da antwortete ich,<br />

na das ist ja fein, dann kaufe ich die Bauknecht<br />

für 599 Mark eben nächsten<br />

Montag. Daraufhin druckste der Verkäufer<br />

wieder herum: Nein, nein, die<br />

Anzeige sei völlig falsch, diese Maschine<br />

gebe es auch nicht nächste Woche.<br />

Dies läßt vermuten, daß die gleiche<br />

falsche Anzeige nächsten Montag wieder<br />

<strong>im</strong> „DE“ stehen wird. Vielleicht<br />

können Sie der Sache mal nachgehen<br />

Ich fand es eine Unverschämtheit, daß<br />

mir nicht wenigstens sofort am Telefon<br />

gesagt worden war, daß das Angebot gar<br />

nicht existiert. Geschweige der vielen<br />

Ausreden dann dort <strong>im</strong> Laden. Werde<br />

ich über den Ausgang meiner Beschwerde<br />

benachrichtigt<br />

Vielen Dank und <strong>mit</strong> freundlichen<br />

Grüßen. Eva Bredow<br />

Vor diesem Brief stand ein Anruf bei<br />

der Verbraucherschutz-Beratung.<br />

Dort verwies man mich an die Industrie-<br />

und Handelskammer (IHK):<br />

Herr Beckers sei für Beschwerden<br />

wegen „unlauteren Wettbewerbs“<br />

zuständig.<br />

Eine Woche später rief seine<br />

Sekretärin bei mir an, die Firma<br />

„Heydorn und Hönig“ habe sich<br />

wegen der falschen Anzeige entschuldigt.<br />

Mehr sei in dieser Angelegenheit<br />

nicht zu machen.<br />

Am 30. August inserierte die gleiche<br />

Firma erneut. Wir starteten einen zweiten<br />

Versuch, über den wir die IHK am<br />

1.9. wiederum unterrichteten:<br />

Sehr geehrter Herr Beckers, wie Sie sich<br />

sicher erinnern können, schrieb ich<br />

Ihnen schon einmal (am 19.7.) wegen<br />

einer Anzeige der Firma „Heydorn und<br />

Hönig“ <strong>im</strong> Darmstädter Echo. Damals<br />

war ein Bauknecht Öko-Geschirrspüler<br />

für 599 Mark inseriert, den es nicht gab.<br />

Eine Ihrer Mitarbeiterinnen kümmerte<br />

sich damals um den Fall, teilte mir dann<br />

telefonisch <strong>mit</strong>, daß sich die Firma Heydorn<br />

und Hönig deshalb entschuldigt<br />

hätte, da sei ein Fehler bei der Anzeigenaufnahme<br />

be<strong>im</strong> Darmstädter Echo<br />

geschehen. Weiteres könne Sie und die<br />

IHK Darmstadt in diesem Fall nicht tun.<br />

Nun stand am Montag, 30. August 1993<br />

wiederum folgende Anzeige der oben<br />

genannten Firma <strong>im</strong> „DE“ (ebenso eine<br />

Woche vorher <strong>mit</strong> gleichlauten<strong>dem</strong><br />

Text): Öko-Geschirrspüler, Sparpreis<br />

nur 599 Mark.<br />

Unser Mitarbeiter, Herr Schäfer, suchte<br />

die Firma am Dienstag, 31. August, auf.<br />

Was sagte ihm der Verkäufer „Die<br />

Maschine haben wir nicht mehr, das war<br />

ein Sonderangebot.“ Normalerweise<br />

koste diese „Respekta“-Maschine 999<br />

Mark, sie sei derzeit aber nicht auf<br />

Lager.<br />

So ködert man wohl Kunden <strong>mit</strong><br />

falschen Anzeigen. Meiner Ansicht<br />

nach wiederholt ein eindeutiger Fall von<br />

unlauterem Wettbewerb. Wir möchten<br />

unsere LeserInnen gerne von diesem<br />

Fall unterrichten.<br />

Mit Bitte um baldige Antwort und <strong>mit</strong><br />

freundlichem Gruß Eva Bredow<br />

Doch Herr Beckers, Leiter der<br />

Rechtsabteilung bei der IHK, antwortete<br />

nicht. Sein Mitarbeiter Weber<br />

teilte zwei Wochen später telefonisch<br />

<strong>mit</strong>, er sei über den Fall nicht unterrichtet,<br />

wolle sich dessen aber annehmen.<br />

Als ihm meine Schreiben vorlagen,<br />

äußerte er: „Das ist eindeutige<br />

Irreführung. Daß die sagen, das ist<br />

nicht auf Lager, ist ja dumm. Normalerweise<br />

heißt es in solchen Fällen<br />

wenigstens: vom Laster gefallen.“ Er<br />

werde das Unternehmen anschreiben,<br />

und zur Stellungnahme auffordern.<br />

Abmahnen könne die IHK nicht,<br />

denn sie hätte eine ver<strong>mit</strong>telnde<br />

Funktion. „Heydorn und Hönig“ bezog<br />

am 14.10. Stellung gegenüber der IHK<br />

(Abdruck unverändert!):<br />

Betr.: Verbraucherbeschwerde/Unlauterer<br />

Wettbewerb<br />

Sehr geehrter Herr Weber, den Ausführungen<br />

der Beschwerdeführerin können<br />

wir nicht teilen.<br />

Bei der ersten Werbung am 19.7.93 war<br />

unserer Werbeabteilung tatsächlich ein<br />

Fehler unterlaufen. Wir möchten jedoch<br />

darauf aufmerksam machen, daß jedes<br />

Angebot (auch wenn ausverkauft) in<br />

kurzer Zeit nachbestellt werden kann.<br />

Dies wird in einem solchen Fall <strong>dem</strong><br />

Kunden auch <strong>mit</strong>geteilt. Ware, die <strong>mit</strong><br />

„solange Vorrat“ gekennzeich<strong>net</strong> ist, ist<br />

nach Ausverkauf nicht mehr bestellbar.<br />

Sollte die Beschwerdeführerin den Öko-<br />

Spüler für DM 599,- haben wollen, bitten<br />

wir um Nachricht. Wir werden diesen<br />

kurzfristig zur Abholung bereit halten.<br />

Wir hoffen Ihnen hier<strong>mit</strong> gedient zu<br />

haben.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Heydorn und Hönig hat reagiert,<br />

wenn auch <strong>mit</strong> Unwahrheiten. Kein<br />

Mal ist erklärt worden, daß die Ware<br />

in kurzer Zeit nachbestellt werden<br />

kann.<br />

Wir Kunden sind die Dummen. Was<br />

die IHK so schön als „ver<strong>mit</strong>telnde<br />

Funktion“ beschreibt, heißt <strong>im</strong> Klartext:<br />

Außer einem Briefwechsel passiert<br />

nichts. Wann wohl der nächste<br />

„Öko-Spüler“ für 599 DM <strong>im</strong> Echo<br />

inseriert wird<br />

vro<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 4<br />

Dieses Motiv ist aus einer Postkartenedition zur Plakatausstellung<br />

„Reaktion – Studenten der FH Darmstadt gegen Fremdenhaß“, die zu<br />

Beginn des Jahres <strong>im</strong> Luisencenter zu sehen war und von der wir in der<br />

ZD etliche Entwürfe abgedruckt hatten. Die Edition besteht aus 32<br />

meist mehrfarbigen Karten, Auflage: 2.000 Stück. Sie ist für 20 Mark<br />

<strong>im</strong> Praktikantenamt des Fachbereichs Gestaltung der Fachhochschule<br />

Darmstadt, Olbrichweg 10 (geöff<strong>net</strong> montags bis freitags vor<strong>mit</strong>tags),<br />

oder in der Georg-Büchner-Buchhandlung in Darmstadt, Lauteschlägerstraße<br />

18, zu haben.<br />

In einer Mitteilung der FH heißt es: „Die Postkartenedition … hat ihr<br />

Entstehen – wie die Ausstellung selbst – der Unterstützung von Sponsoren<br />

(unter anderem auch <strong>dem</strong> „Darmstädter Echo“, das auf Ver<strong>mit</strong>tlung<br />

von Max Bach den kostenlosen Druck übernommen hat) zu verdanken.“<br />

red<br />

Wie einfach wäre es doch, könnte die<br />

Zunft der Schreiberlinge auf ihre<br />

Art <strong>mit</strong> Druckerschwärze gegen staatliche<br />

Zensur offen zu Felde ziehen und laut<br />

anklagen: „Das Ende der Pressefreiheit<br />

ist gekommen“. Eine Regierung Kohl ist<br />

gewitzter, da <strong>kommt</strong> keine Verordnung,<br />

die der freien Presse vorschreibt, dekretiert<br />

gar verbietet. Heutzutage passiert<br />

alles subtiler: Da fallen das „Rabattgesetz“<br />

und die „Zugabeverordnung“. Ein<br />

Trick, der an Hinterhältigkeit nichts zu<br />

wünschen übrig läßt, der nur machtgewachsenen,<br />

der Intrige geübten Politiker<br />

einfallen kann. Medien wie Fernsehanstalten<br />

und Rundfunksender <strong>im</strong> Verein<br />

<strong>mit</strong> den Großen unter den Zeitungen,<br />

ohnehin staatstreu, zuverlässig, ausgewogen:<br />

sie haben nichts zu befürchten. Nicht<br />

gegen sie fallen die Gesetze, heute noch<br />

für ihr Geschäft. Endlich können sie, was<br />

bislang a bisserl schamhaft verdeckt<br />

betrieben wurde, offen anpreisen: Die<br />

Verknüpfung von redaktionellem Text<br />

<strong>mit</strong> Anzeigen. Was bislang als Zugabe<br />

zum Anzeigenauftrag rechtlich unter<br />

Verdikt stand, darf nun offen betrieben<br />

werden. Für die Großen Platzvorteil sondersgleichen:<br />

Ihre Zuschauer- und LeserInnen<br />

sind sowieso schon gewohnt,<br />

beschönigende Industriehofnachrichten<br />

als Wirklichkeit verdauen zu dürfen, da<br />

ist die redaktionelle Direktwerbung nur<br />

noch ein kleiner Schritt zu kräftig wachsenden<br />

Zahlen auf Verlagskonten.<br />

Redigierstuben der Nation<br />

Nicht so bei kleinen Verlagen. Sie haben<br />

weder die Kapazitäten vom Umfang her,<br />

noch die vielen Anzeigenwerber und<br />

Redakteure, die dafür <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Schreibstift<br />

in der Hand gleichsam als Klingelbeutel<br />

die Türklinken der Industriekapitäne<br />

putzen könnten. Ganz abgesehen<br />

davon, daß die Konzerne endlich ihre gut<br />

geschulten Pressesprecher und Produktanpreiser<br />

direkt in den Dienst willfähriger<br />

Zeitungshäuser stellen können. So<br />

ver<strong>kommt</strong> der Journalismus noch weiter,<br />

wird die Schar der Ja-SchreiberInnen<br />

noch größer.<br />

Schweigende Zeitungen und die Langeweile<br />

Bonn beseitigt Schutzgesetze der Pressefreiheit<br />

Lassen wir doch die Unternehmen unsere<br />

Zeitungsartikel formulieren: Die Zeitungsredakteure<br />

als direkte Brötchennehmer<br />

der Anzeigenauftraggeber. Das<br />

ist unternehmerische „Freiheit, die wir<br />

meinen“ (CDU-Wahlslogan von anno<br />

dazumal). Hoechst, RWE, Benz und wie<br />

sie alle heißen, als Redigierstuben der<br />

Nation, als die Rotstift-Regenten über<br />

Schreiberlinge – das verbirgt sich hinter<br />

<strong>dem</strong> Fallen der Gesetze. Erinnern wir uns<br />

an die Hoechst-Unfall-Serie: Dieses Jahr<br />

noch stand durchaus Kritisches in allen<br />

Zeitungen zu lesen, künftig schickt<br />

Hoechst die eigenen Berichte verbunden<br />

<strong>mit</strong> einem Inserat und droht offen <strong>mit</strong><br />

Anzeigenentzug, wenn anderes gedruckt<br />

wird; Merck handelt schon heute so.<br />

Druck<strong>mit</strong>tel Anzeigenauftrag<br />

Kleine Verlage haben da nichts mehr zu<br />

vermelden: Entweder sie schreiben, was<br />

den Herren Anzeigenauftraggebern genehm,<br />

oder sie bekommen (wie heute<br />

schon meist der Fall) keine Anzeigenaufträge<br />

(siehe ZD-Anzeigenseiten). Der<br />

Kampf kleiner anspruchsvoller Zeitungen<br />

gegen die Forderungen der Anzeigenauftraggeber<br />

– „wenn Sie einen Artikel<br />

schreiben, den möchte ich aber vor<br />

Abdruck lesen, dann können wir auch<br />

über ein Inserat verhandeln“ – ist verloren.<br />

Demnächst werden die Journalistenschulen<br />

unisono die Ausbildung von „PR-<br />

Fachkräften für Wirtschaft oder Redaktion“<br />

offerieren, denn wozu braucht’s noch<br />

gestandener Redakteure, wenn dieses<br />

Metier von Proplagiatoren, von Bauchrutschern<br />

der Inserenten besetzt wird, die<br />

ohnehin nichts anderes zu verbreiten<br />

haben, als das, was ihnen als vorzensiert<br />

überlassen, und nur noch in wohlklingender<br />

Stilübung zu belanglosem Geschwafel<br />

gerät<br />

Betrug in freiem Wettbewerb<br />

Halten Sie es für richtig, daß Groß-Kunden<br />

niedrigere Inseraten-Preise zahlen als<br />

Privatleute, die Heirat oder Tod bekannt<br />

geben wollen Halten Sie es für richtig,<br />

daß Ihre Zeitung ein Produkt über den<br />

grünen Klee lobt, bloß weil sie dafür eine<br />

Anzeige be<strong>kommt</strong> Nüchtern besehen ist<br />

das Betrug an den LeserInnen – nach<br />

Beschluß der Bundesregierung aber heutige<br />

Wirklichkeit, unter <strong>dem</strong> Deckmantel<br />

des „freien Wettbewerbs“. Unsere Bonner<br />

Politiker tragen unter ihren hausbacken-bürgerlichen<br />

Anzügen, die stählernen<br />

Kettenhemden der Vorkämpfer<br />

wider Demokratie und Meinungsfreiheit.<br />

Zensoren kommen heute nicht mehr <strong>mit</strong><br />

<strong>dem</strong> Rotstift, nicht mehr <strong>mit</strong> der Schere,<br />

nicht mehr <strong>mit</strong> Polizeigewalt daher, es<br />

sind unsere gewählten „Volksvertreter“.<br />

Eine Behörde, einen Zensur-Beamten –<br />

das sind wenigstens offene Gegner. Und<br />

eine CDU/SPD/FDP/CSU, die unsere<br />

Gesellschaft zunehmend verarmen und<br />

unsere Grundrechte beschneiden<br />

Frühkapitalistische Erpresser<br />

Wie steht es doch, bar jeder Schnörkel, so<br />

schön fest verankert in unserer Verfassung:<br />

„Jedermann hat das Recht, seine<br />

Meinung frei und öffentlich zu äußern …<br />

und niemand darf ein Nachteil widerfahren,<br />

wenn er es ausübt“. Die solches festschrieben,<br />

wußten sehr wohl, daß dies die<br />

wesentliche Garantie für eine freiheitlich<br />

organisierte Gesellschaft <strong>im</strong> Wettbewerbs–Markt<br />

ist. Ab sofort erfährt jeder,<br />

der eben diese Freiheit in Anspruch<br />

n<strong>im</strong>mt, finanzielle Nachteile, weil die<br />

Schutzgesetze gefallen sind.<br />

Pressekodex und Gerichte wachten bislang<br />

(soweit sich ein Kläger fand) über<br />

das Ausufern frühkapitalistischer Erpressermethoden<br />

und geboten solcher Ellenbogen-Manier<br />

Einhalt durch Rabattgesetz<br />

und Zugabeverordnung. Dies soll<br />

nicht mehr sein. Objektivität, der unter<br />

Presseleuten heute wie auch <strong>im</strong>mer verstandene<br />

Wahrheitsbegriff, zugeschnitten<br />

auf die Ausgewogenheit der braven<br />

„Allen-wohl-und-niemand-wehe-Regel“,<br />

fällt als letzte Bastion journalistischen<br />

Freiheitsgrades.<br />

Kreischende Sensationen<br />

„Regulierungen abbauen“ will unsere<br />

Bonner Regierung durch die Aufhebung<br />

der Schutzgesetze und das Ändern des<br />

Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb,<br />

„um es von seinen nicht mehr<br />

gerechtfertigten Einschränkungen der<br />

unternehmerischen Gestaltungsfreiheit<br />

zu befreien“ (Bericht der Bundesregierung<br />

zur Zukunftssicherung des Standortes<br />

Deutschland, S. 75).<br />

Was sich ändern wird Die Zeitungen,<br />

die heute schon viele Seiten zählen, werden<br />

noch mehr Seiten haben. Die Headlinies,<br />

die Schlagzeilen, die Nachrichten<br />

werden auch weiterhin für kreischende<br />

Sensationen sorgen, ebenso wie unmerklich<br />

Deutsch-Nationalismen, Tennisspieler,<br />

Fußballer, Fürstenhäuser und bunte<br />

Bilder <strong>im</strong>mer mehr die vorderen Seiten<br />

<strong>mit</strong> Informationen füllen, die keine sind.<br />

Erst haben die Behörden ihre Zensur ausgebaut<br />

und in unglaublich arroganter<br />

Machtausübung unbotmäßige Presse<br />

durch Vorenthalten von Informationen<br />

und Inseraten behindert – die Stadt<br />

Darmstadt beispielsweise schaltet seit<br />

mehr als drei Jahren keine einzige Anzeige<br />

in der ZD. Und ab sofort schneidet<br />

noch die Industrie-Zensur he<strong>im</strong>lich, lautlos<br />

und unbemerkt die unerwünschten<br />

Texte weg.<br />

Die lange Langeweile<br />

Die LeserInnen sehen nur, was gedruckt<br />

ist, nicht was vorenthalten wird. Für sie<br />

ändert sich scheinbar nichts, ihre Wirklichkeit<br />

ist best<strong>im</strong>mt durch ständig zunehmende<br />

Werbung. Den Verlust an Substanz<br />

und Kritik merkt nur, wer zufällig direkt<br />

Betroffene/r ist. Zeitungen können nur<br />

nach <strong>dem</strong> beurteilt werden, was sie drukken,<br />

nicht nach <strong>dem</strong>, was sie verschweigen<br />

– wollen oder müssen.<br />

Schon heute treibt behördliche und industrielle<br />

Zensur so scharf ab, daß viele<br />

Informationen die Öffentlichkeit nicht<br />

mehr erreichen. Wer hinter den Kulissen<br />

in der Presse arbeitet, der sieht und er ist<br />

ohnmächtig. Einen kleinen Ausgleich<br />

schaffen LeserInnen, beschäftigt in Behörden<br />

oder Firmen, die ihr Wissen weitergeben,<br />

getragen von <strong>dem</strong> Mut des Kampfes<br />

für eine frei informierte und dadurch vor<br />

Willkür und Machtmißbrauch geschützte<br />

Gesellschaft. Ohne sie wird die Presse<br />

zum Hofberichterstatter wider Willen der<br />

Herren in Politik und Industrie.<br />

Der Presse entgleitet stückchenweise, mal<br />

da, mal dort, die erbetene Information.<br />

Jedes Mal die Gerichte einschalten, jedes<br />

Mal den Rechtsanwalt beauftragen, über<br />

jedes aktuelle Thema um Wochen, Monate,<br />

teils Jahre verspätet berichten Finanzierbar<br />

ist das nicht, heute aber bereits<br />

Wirklichkeit. Die von der ZD bei allen<br />

zuständigen Behörden bis zum Umweltminister<br />

angeforderten Informationen über<br />

die etwa 200 „Verdachtsflächen“ (nicht<br />

beseitigte Altdeponien) in Darmstadt, sind<br />

– obendrein gegen richterliche Anordnungen<br />

– bis heute nicht zugestellt worden;<br />

die Recherche dauert bereits mehr als drei<br />

Jahre.<br />

So schrumpft die Pressefreiheit langsam<br />

<strong>im</strong>mer mehr, wird da angenagt, dort eingeengt.<br />

Irgendwann wundern sich die Leser-<br />

Innen, warum die Blätter <strong>im</strong>mer langweiliger<br />

werden, warum <strong>im</strong>mer weniger Interessantes<br />

gedruckt steht, warum sie von den<br />

eigentlich bewegenden und wichtigen<br />

Ereignissen ihrer Zeit nichts mehr erfahren…<br />

Eine ähnliche Entwicklung, allerdings in<br />

fortgeschrittenerem faschistischem Stadium,<br />

beschrieb Carl von Ossietzky am 29.<br />

März 1932, in <strong>dem</strong> Artikel, „Das Ende der<br />

Pressefreiheit“ – Ähnlichkeiten sind den<br />

Wirklichkeiten entnommen.<br />

M. Gr<strong>im</strong>m


Seite 5<br />

„So geht das nicht weiter,<br />

das ist nicht länger<br />

machbar“<br />

Trautel Baur: Ein Jahr Frauenbeauftrage der Stadt Darmstadt<br />

Seit einem Jahr, genauer seit <strong>dem</strong> 1. Oktober 1992, ist Trautel Baur Frauenbeauftragte<br />

der Stadt Darmstadt. Was ist in diesem Jahr für Frauen passiert, was nicht<br />

Eva Bredow führte <strong>mit</strong> ihr <strong>im</strong> Frauenbüro ein Gespräch über ihre Arbeit, ihre Probleme,<br />

Aufgaben und Ziele.<br />

Ihr Resümee, klingt ernüchtert und hoffnungsvoll<br />

zugleich: „Es ist sehr viel eingerichtet<br />

worden. Auch über das An-Denken<br />

hinaus, wurden einige Projekte gestartet.<br />

Aber richtige Erfolge sind kaum da: Die<br />

Frauenkommission gibt es noch nicht,<br />

ebensowenig einen weiblichen Planungsbeirat.<br />

Es fehlt an der Umsetzung all unserer<br />

Forderungen, die ja zum Teil auch in der<br />

rot-grünen Koalitionsvereinbarung enthalten<br />

sind.“<br />

Das Frauenbüro ist in der Luisenstraße 12,<br />

<strong>im</strong> Stadthaus II, Z<strong>im</strong>mer 252, untergebracht:<br />

ein kleines Vorz<strong>im</strong>mer, ein etwas<br />

größerer Raum für Trautel Baur selbst.<br />

Unser Gespräch beginnt morgens um 7.30<br />

Uhr, ab 7 Uhr ist sie täglich da. Drei bis vier<br />

Mal die Woche arbeitet sie fünfzehn bis<br />

sechzehn Stunden, am Wochenende erledigt<br />

sie zu Hause den Papierkram. Sie klagt:<br />

„So geht das nicht weiter, das ist für mich<br />

gesundheitlich nicht länger machbar!“<br />

Den Kaffee trinken wir aufgehellt <strong>mit</strong> Milchpulver<br />

– einen Kühlschrank gibt es nicht,<br />

ebensowenig ein Faxgerät, das ihre Arbeit<br />

erheblich vereinfachen würde.<br />

Am 7. September hat Trautel Baur <strong>dem</strong><br />

Gleichstellungsausschuß des Magistrats<br />

ihren Jahresbericht vorgelegt. Auf diesen<br />

12 Seiten sind weitere Ausstattungsmängel<br />

aufgelistet: Unterstützt wird die Frauenbeauftragte<br />

– vor ein paar Jahren gab es in<br />

Darmstadt noch zwei – von einer Jahrespraktikantin,<br />

die jedoch nur vier Tage die<br />

Woche und zehn Monate <strong>im</strong> Jahr zur Verfügung<br />

steht (und eigentlich ausgebildet werden<br />

soll), sowie seit <strong>dem</strong> 1. September von<br />

einer 30-Stunden-Kraft. Den Idealzustand<br />

hat Baur auch gleich beschrieben:<br />

Mädchenbeauftragte, Fachreferentin, Jahrespraktikantin,<br />

Verwaltungsangestellte,<br />

Schreibkraft, Blockpraktikantin für vier bis<br />

sechs Wochen, sowie eine Begleitpraktikantin,<br />

vier Stunden wöchentlich.<br />

„Wenn ich diese Stellen nicht <strong>im</strong> nächsten<br />

Jahr kriege, dann werde ich öffentlich<br />

bekanntgeben, welche Teilbereiche<br />

meiner Arbeit ich künftig einstellen muß.“<br />

Auch finanziell sieht es für das Frauenbüro<br />

mager aus: 3.000 Mark für Geschäftliches,<br />

600 Mark für Dienstreisen, 20.000 Mark für<br />

Sachkosten. „Diese Zahl wird noch mal um<br />

20 Prozent gekürzt, das entspricht den<br />

Einsparungen von Haushaltsdezernent<br />

Blöcker.“ Sie fordert für diese Posten<br />

6.000, 2.500 und 50.000 Mark. „Die Vergabe<br />

von Geldern“, sagt sie, „ist eine Sache<br />

der Prioritätensetzung“, und fordert eine<br />

Umschichtung des Haushalts. Wegen des<br />

geringen Etats für Dienstreisen hat sie den<br />

an sie angetragenen Posten <strong>im</strong> Bundesvorstand<br />

der Frauenbeauftragten abgelehnt.<br />

Ihre Aufgabe als „externe“ Frauenbeauftragte<br />

ist es, die Situation der Frauen in<br />

allen Lebensbereichen zu verbessern, als<br />

„interne“ (dafür gab es früher eine zweite<br />

Beauftragte) muß sie für die Umsetzung der<br />

Dienstvereinbarung zur Frauenförderung in<br />

allen städtischen Behörden – dazu zählen<br />

auch die Städtischen Kliniken – sorgen, das<br />

heißt, alle Bewerbungen begleiten und<br />

erforderlichenfalls einschreiten, wenn Frauen<br />

diskr<strong>im</strong>iniert und zu wenige eingestellt<br />

werden.<br />

Sie ist Ansprechpartnerin für alle 77.035<br />

in Darmstadt lebende Frauen (Stand: Juli<br />

93) – und das in allen nur denkbaren Problemlagen.<br />

In ihrem Jahresbericht hat sie aufgelistet, in<br />

welchen Fällen sie beistand. Ein Auszug:<br />

Wiedereinstieg in den Beruf, Konflikte am<br />

Arbeitsplatz, sexuelle Belästigung, Teamberatung,<br />

Mutter- und Frauenarbeitsschutz,<br />

Schwangerschaftsproblematik und -beratung,<br />

Obdachlosigkeit, finanzielle Notlagen,<br />

Mißhandlung und Vergewaltigung, sexueller<br />

Mißbrauch, Probleme von Ausländerinnen,<br />

Frauen vor Gericht, Unterhaltszahlungen<br />

…<br />

Dazu kommen Veranstaltungen – wie etwa<br />

Personalversammlung <strong>mit</strong> den Schreibkräften<br />

der Stadtverwaltung, <strong>mit</strong> den Parteien,<br />

der „Sefo“, <strong>dem</strong> Aktionsbündnis „Sleep<br />

out“, Studientage Rassismus –, Zusammenarbeit<br />

<strong>mit</strong> den städtischen Ämtern –<br />

Wohnungsamt, Jugendamt … – und <strong>mit</strong><br />

Gruppen, Verbänden, Projekten – wie <strong>dem</strong><br />

„Kommunalen Präventionsrat“, <strong>dem</strong><br />

„Arbeitskreis gegen sexuellen Mißbrauch“,<br />

der „Initiative frauengerechte Stadt“, „Wildwasser“,<br />

„Pro Familia“, „Graue Panther“,<br />

Frauenkommunikationszentrum, Mädchenarbeitskreis<br />

und und und…<br />

„Jeden Tag erhalte ich unzählige Anrufe,<br />

auch von Frauen in absoluten Notsituationen<br />

– da ist es schwer, abends abzuschalten.“<br />

Oft wenden sich obdachlose Frauen an sie,<br />

aber Trautel Baur kann auch keine Wohnungen<br />

aus <strong>dem</strong> Ärmel schütteln. Sie wendet<br />

sich dann ans Wohnungsamt, legt bei<br />

Amtsleiter Binstadt ein gutes Wort ein,<br />

doch oft hilft auch das nicht. Dann ist sie<br />

machtlos. Noch allzu oft werden städtische<br />

Wohnungen bevorzugt an Mutter-Vater-<br />

Kind-Familien vergeben. „Diese Kriterien<br />

ändern sich langsam, aber noch <strong>im</strong>mer<br />

wird die Vergabe nicht offengelegt“, klagt<br />

sie. „Gerade bei der Wohnungsnot werden<br />

frauenrelevante Verletzungen deutlich.<br />

Frauen brauchen dringend Wohnungen aus<br />

anderen Gründen als Männer, denn sie<br />

müssen oft vor männlicher Gewalt die<br />

Flucht ergreifen.“<br />

Als Frauenbeauftragte ist sie direkt Oberbürgermeister<br />

Peter Benz (SPD) unterstellt:<br />

„Das ist auch gut so, sonst gäbe es strukturellen<br />

Murks.“<br />

Ihre Stelle hat viele Pflichten und wenig<br />

Rechte.<br />

In ihrem Jahresbericht fordert sie: Mitwirkung<br />

an Haushaltsberatungen und eine<br />

Beteiligung an Entscheidungsverfahren<br />

über frauenrelevante Anträge be<strong>im</strong> Magistrat.<br />

Sie will bei allen Grundsatzentscheidungen,<br />

die PolitikerInnen fällen, dabei<br />

sein, um für die Frauen Verbesserungen zu<br />

erzielen. „Ich stehe zwischen allen<br />

Stühlen“, sagt sie. Im konkreten Einzelfall –<br />

etwa wenn eine Frau dringend eine Wohnung<br />

braucht, oder wenn es um einen Fall<br />

sexueller Belästigung am Arbeitsplatz geht<br />

– „zeigen sich die Dezernenten kooperativ.<br />

Aber sie wenden sich nur selten von sich<br />

aus an mich“. Sie wünscht sich eine engere,<br />

bessere institutionelle Zusammenarbeit.<br />

Laut Koalitionsvereinbarung soll es bald ein<br />

Zufluchtshaus für mißhandelte Mädchen<br />

geben. „Doch das kann nicht alles sein“,<br />

sagt sie. „Mädchenarbeit ist die Basis für<br />

Frauenarbeit.“ Deshalb fordert sie eine<br />

Mädchenbeauftragte. Ein Schritt Mädchenpolitik<br />

ist in Darmstadt <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> „Mädchenarbeitskreis“<br />

seit Mai ’92 getan. 24 Institutionen<br />

kommen dort monatlich zusammen.<br />

Im November veranstalten sie einen Fachtag.<br />

„Diese Fachfrauen müssen auch <strong>im</strong><br />

Kinder- und Jugendhilfe-Ausschuß sitzen<br />

(Foto: Heiner Schäfer)<br />

und gehört werden. Dringlichst notwendig<br />

sind auch Vertrauenslehrerinnen an allen<br />

Schulen und eine Koordinatorin.“ Darüber<br />

führt sie <strong>dem</strong>nächst ein Gespräch <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

Schulamt.<br />

„Wir müssen Probleme geschlechtsspezifisch<br />

analysieren und verarbeiten. Die<br />

Frauenforschung hat gute Vorarbeit geleistet<br />

und Benachteiligungs- und Gewaltstrukturen<br />

aufgedeckt. Die Inhalte sind<br />

da, wir müssen sie nur noch nutzen.“<br />

Das ist ihre Max<strong>im</strong>e. Dafür kämpft sie,<br />

bewältigt ihr enormes Arbeitspensum.<br />

Am 26.9.91 hat die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

das „Grundsatzpapier frauengerechte<br />

Stadt“ beschlossen. Es enthält ausschließlich<br />

Soll-Best<strong>im</strong>mungen: „Kriterien<br />

zur frauen- und kindergerechten Stadtplanung<br />

sollen in … der Planung einfließen“,<br />

es soll „ … bei Ausschreibungen und Wettbewerben<br />

… eingehen“, „Expertinnen …<br />

sollen bei der Bauleitung … einbezogen<br />

werden …“. Wie allzu oft bei solchen<br />

Wischi-Waschi-Beschlüssen, hapert es an<br />

der Umsetzung, bleibt es bei bloßen Willensbekundungen.<br />

Von all den Forderungen,<br />

die in der Broschüre „Darmstadt auf<br />

<strong>dem</strong> Weg zu einer frauengerechten Stadt“<br />

benannt sind, ist bislang ein Punkt erfüllt:<br />

Hell beleuchtete Frauenparkplätze in den<br />

Tiefgaragen.<br />

Trautel Baur verlangt, „ein Forum oder<br />

einen runden Tisch, der viermal <strong>im</strong> Jahr<br />

öffentlich tagt und Arbeitsgruppen zu<br />

Grundrissen von Neubauten, Stadtteilentwicklung,<br />

Öffentlichem Nahverkehr benennt.<br />

Sie sollen <strong>dem</strong> Planungsbeirat zuarbeiten,<br />

ihre Ergebnisse gehört und beachtet<br />

werden. Seit langem schon haben Fachfrauen<br />

Kriterien erarbeitet, die die Stadt<br />

nicht nur frauen- sondern insgesamt menschenfreundlicher<br />

machen würden. Diese<br />

gilt es jetzt auch umzusetzen.“ Und sie fügt<br />

hinzu: „Was Michael Siebert in seiner Antrittsrede<br />

(als Bürgermeister, red.) zur<br />

Stadtteilentwicklung sagte (s. ZD 55, red.),<br />

über die Reaktivierung des öffentlichen<br />

Raums, der Sicherheit geben könnte. Das<br />

sind die eingeforderten Frauenkriterien, die<br />

wir in der Arbeitsgruppe Kranichstein erarbeitet<br />

haben.“<br />

Frauen sind, viel mehr als Männer, auf den<br />

Öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Schon<br />

seit längerem existiert bei der Frauenbeauftragten<br />

dazu eine Arbeitsgruppe. Die HEAG<br />

hat angekündigt, einen Fahrgastbeirat zu<br />

installieren. Baur bekräftigte in einem Brief<br />

an den Vorstand, daß dieser Beirat zu 50<br />

Prozent <strong>mit</strong> Frauen besetzt sein sollte, und<br />

benannte zwei ihrer Gruppe als Beteiligte.<br />

Eine Antwort bekam sie noch nicht.<br />

Auch wartet sie noch auf die angekündigte<br />

Frauenkommission, die auf Magistratsebene<br />

angesiedelt sein soll:<br />

„Die Frauenkommission hätte Möglichkeiten,<br />

Frauen, die politisch, aber nicht<br />

parlamentarisch tätig sind, Einfluß zu verschaffen.<br />

Dieser Transmissionsriemen<br />

zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer<br />

Arbeit ist dringend<br />

notwendig.“<br />

Trautel Baur unterstützt das Projekt von<br />

drei Frauen, die eine Ver<strong>mit</strong>tlungsstelle für<br />

Tagesmütter aufbauen wollen. „Ab 96 gibt<br />

es ein Recht auf einen Kindergartenplatz,<br />

den die Kommune nicht einlösen kann. Die<br />

Verhandlungen <strong>mit</strong> Betrieben waren wenig<br />

fruchtbar. Also ist so eine Stelle unverzichtbar.<br />

Die Stadt muß das finanziell unterstützen<br />

und auch bei der Suche nach einem<br />

Raum helfen.“<br />

Frauen als Arbeitnehmerinnen, so weiß sie,<br />

sind doppelt benachteiligt: als Frauen, und<br />

aufgrund ihrer Funktion in zumeist untergeord<strong>net</strong>en<br />

Positionen. „Als Lehrerin, Organisationsberaterin<br />

und Therapeutin, habe ich<br />

ein Modell für die Verwaltung erarbeitet,<br />

das ich Bürgermeister Benz auch schon<br />

erläutert habe. Ich will bei der anstehenden<br />

Verwaltungsreform beteiligt sein.“<br />

Vom Land Hessen gibt es finanzielle Unterstützung<br />

für ein Projekt „Frauengerechtes<br />

Wohnen“. Sie selbst ist Preisrichterin der<br />

Auslobungsjury. Bisher hat sich die Stadt<br />

an diesem Wettbewerb noch nicht beteiligt,<br />

was Baur zu ändern sucht. Die Auswahl an<br />

Grundstücken ist nicht groß, doch hofft sie,<br />

bei der Neubebauung Helfmannstraße oder<br />

in Kranichstein K 6 eine Hälfte abknapsen<br />

zu können.<br />

All dies sind konkrete Fälle, in denen die<br />

Frauenbeauftragte versucht, Einfluß zu nehmen,<br />

Veränderungen einzuleiten; bei denen<br />

sie von der bloßen Bewußtmachung des<br />

Frauenproblems den Schritt zur Umsetzung<br />

herbeiführen will.<br />

Doch wie schon festgestellt: Sie hat viele<br />

Aufgaben und wenig Rechte und so<strong>mit</strong><br />

wenig Macht bzw. Einfluß. So bleibt ihr<br />

nur, sich <strong>im</strong>mer wieder zu Wort zu melden,<br />

sich Gehör zu verschaffen, und so<br />

langsam, Schritt für Schritt zu überzeugen.<br />

Wir wünschen ihr viel Kraft!<br />

Eva Bredow<br />

Aufruf zu einem Frauenstreiktag<br />

Erster Treff <strong>im</strong> Frauenzentrum Kyritzschule: Wer macht <strong>mit</strong><br />

Liebe Frauen,<br />

auf <strong>dem</strong> Kongreß des Unabhängigen Frauenverbandes<br />

und auf anderen Veranstaltungen<br />

wurde zu einem FrauenStreikTag am 8. März<br />

1994 aufgerufen. Inzwischen hat sich ein<br />

bundesweites Streikko<strong>mit</strong>ee gebildet und in<br />

vielen Städten wurden regionale und lokale<br />

Ko<strong>mit</strong>ees ins Leben gerufen, die den Frauen-<br />

StreikTag vorbereiten.<br />

Warum ein FrauenStreikTag<br />

Der Abbau der Sozialleistungen trifft vor<br />

allem Frauen:<br />

– Alleinerziehende und Rentnerinnen<br />

rutschen unter das Existenzmin<strong>im</strong>um<br />

– Keine Würdigung von Hausarbeit und<br />

Kindererziehung<br />

– Der Arbeitsplatzabbau trifft vor allem<br />

Frauen<br />

– Staatliche und ärztliche Bevormundung<br />

jeder Frau bei der Frage des Schwangerschaftsabbruchs<br />

– Die Sparmaßnahmen der Stadt und des<br />

Staates gefährden Frauenprojekte, in Darmstadt<br />

müssen inzwischen alle Frauenprojekte<br />

um ihre Existenz bangen<br />

– Frauenlöhne liegen <strong>im</strong>mer noch zu dreißig<br />

Prozent unter denen der Männer<br />

Die Gewalt gegenüber Frauen n<strong>im</strong>mt zu:<br />

– Sexuelle Übergriffe erfahren Frauen täglich<br />

und hautnah<br />

– Vergewaltigung in der Ehe wird in Deutschland<br />

<strong>im</strong>mer noch nicht bestraft, etc.<br />

Wir müssen bundesweit Zeichen setzen!<br />

1975 und 1985 streikten die Isländerinnen,<br />

1981 die Niederländerinnen und 1991 die<br />

Schweizerinnen. Der Streik bedeutet nicht<br />

unbedingte Arbeitsniederlegung, sondern es<br />

sollen verschiedene Aktionen <strong>mit</strong> Phantasie<br />

und vielen Ideen durchgeführt werden.<br />

Für das Streikko<strong>mit</strong>ee werden Frauen<br />

gesucht, die die Koordinierung innerhalb<br />

Darmstadts und <strong>im</strong> Umkreis übernehmen.<br />

Deshalb wollen wir uns am 27.10.93 um 19<br />

Uhr treffen. Vorläufige Tops für die Gründungsversammlung<br />

sind:<br />

1. Begrüßung, Protokollantin, Rundlauf, weitere<br />

Tops<br />

2. Warum streiken wir Was wollen wir in<br />

Darmstadt sowie auf Landesebene erreichen<br />

3. Organisationsformen des Streikko<strong>mit</strong>ees<br />

4. Flugblatt und Presseerklärung<br />

5. Termin für ein neues Treffen<br />

Laßt Euch Aktionen für den FrauenStreikTag<br />

einfallen. Wir brauchen auch noch ein Motto<br />

für unsere Region.<br />

Wir hoffen auf zahlreiches Erscheinen und<br />

rufen alle Frauen auf, sich <strong>mit</strong> ihrer Kreativität,<br />

Vielfalt und eigenen Ideen an Aktionen<br />

und Diskussionen zu beteiligen.<br />

Christa, Eva, Susanne,<br />

Initiatorinnen des regionalen Streikko<strong>mit</strong>ees


NEOFASCHISMUS I<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 6<br />

Verfassungsschutzbericht 1992:<br />

Gewalteskalation bisher nicht gekannten Ausmaßes<br />

Aktivitäten rechter und linker Extremisten<br />

in der BRD und in Darmstadt<br />

Wer erinnert sich nicht der grauenvollen<br />

Sensationsnachrichten aus Hoyerswerda<br />

(September 1991) als <strong>dem</strong> Beginn<br />

einer Serie von Morden und Brandstiftungen,<br />

begangen durch eine zunehmend gewalttätige<br />

Rechte Wer damals hoffte, dies sei nur<br />

ein Einzelfall, eine Ausnahme, wurde bald<br />

einer schrecklicheren Wirklichkeit belehrt:<br />

Rostock (August 1992), Mölln (November<br />

1992) und in diesem Jahr der Mordanschlag<br />

von Solingen lassen darauf schließen, daß<br />

die Rechte weiter wächst und <strong>mit</strong> ihrem<br />

zunehmenden Einfluß unschuldige Menschen<br />

sterben müssen, nur weil sie fremd<br />

sind, weil sie nicht Deutsche sind, denn<br />

„Rassenmischung ist Völkermord“ („Deutsche<br />

Alternative“, Bremen). Die feige Mörderbrut<br />

sucht in fanatischem Wahn ihre<br />

Opfer unter Männern, Frauen und Kindern<br />

„…wir müssen zusammen gegen diese Brut<br />

kämpfen“ (NS-Organ „Volkstreue“, Recklinghausen).<br />

Längst sind die Gewalttaten<br />

zum Alltag geworden – wie sieht das die<br />

Bundesregierung, welche Entwicklung<br />

beschreibt der Verfassungsschutz 1992 und<br />

was wird der Staat dagegen unternehmen<br />

„Gesamtpotential<br />

nur wenig verändert“<br />

„Schuldzuweisungen und Vorwürfe über<br />

angebliche Versäumnisse in der Vergangenheit<br />

wegen des Anstiegs dieser grausamen<br />

und uns alle beschämenden Vorfälle<br />

sind überflüssig“, kommentiert Bundesinnenminister<br />

Manfred Kanther (CDU) den<br />

Verfassungsschutzbericht 1992. Und er<br />

wertet die Zahlen aus: „Das politisch-extremistische<br />

Gesamtpotential hat sich 1992<br />

gegenüber den Vorjahren nur wenig verändert.“<br />

Dies steht in krassem Gegensatz zu den<br />

Zahlen, die der Bericht und andere Quellen<br />

über Anschläge der Rechten ausweisen:<br />

1991 listet der Verfassungsschutz 3.884<br />

Straftaten auf, darunter drei Todesopfer<br />

und 1992 einen Anstieg auf 7.121, wobei<br />

die Zahlen der schweren Straftaten wie<br />

Mord-, Brandanschläge (681 auf Flüchtlingsunterkünfte)<br />

und Körperverletzungen<br />

wesentlich stärker anstiegen <strong>im</strong> Vergleich<br />

zu beispielsweise den schon früher zu<br />

beobachtenden Hitlergrüßen, Flugblatt-<br />

Aktionen u.ä.. 17 Menschen, Ausländer,<br />

Deutsche, Obdach- und Arbeitslose starben<br />

laut Verfassungsschutz bei Brandanschlägen<br />

oder nach schwersten Körperverletzungen.<br />

Die Zahlen geben die Wirklichkeit nur<br />

annähernd wieder, denn nicht alle Straftaten<br />

der Rechten sind von den Verfassungsschützern<br />

auch als solche registriert (siehe<br />

auch nächste Seite).<br />

Lückenhafter Bericht<br />

In <strong>dem</strong> Bericht fehlt eine Übersicht über die<br />

Anschläge, fehlen Einzelbeschreibungen,<br />

fehlen Auswertungen der Er<strong>mit</strong>tlungen,<br />

steht nicht verzeich<strong>net</strong>, ob und wer von der<br />

Staatsanwaltschaft angeklagt und letztlich<br />

verurteilt worden ist; ebenso fehlt die Quote<br />

der Aufklärung der erfaßten Straftaten. Der<br />

Einblick bleibt so<strong>mit</strong> bruchstückhaft, und<br />

die Auswertung läßt keine klare Aussage<br />

darüber zu, ob der Staatsapparat die erstarkende<br />

Rechte unter Kontrolle hat: den<br />

widersprüchlichen Auswertungen und der<br />

vielen Lücken halber ist eher anzunehmen,<br />

daß der Staat versagt – versagen will<br />

Lediglich, dann wenn eindeutige Hinweise<br />

auf politisch rechtsgerichtete Aktivitäten<br />

vorlagen, fanden sie Eingang in die Statistik.<br />

Eine Trennung in Straftaten, die rechten<br />

Gewalttätern sicher zugeord<strong>net</strong> werden<br />

können und solchen, bei denen es nur vermutet<br />

werden kann, fehlt ebenfalls. Dennoch<br />

weist der Verfassungsschutzbericht<br />

bereits eine Zunahme von 74 Prozent<br />

gegenüber 1991 aus, <strong>im</strong> Vergleich zu den<br />

letzten zehn Jahren vom 22fachen.<br />

Organisierte Rechte<br />

Während der Innenminister verbreiten läßt,<br />

„Eine systematische Ver<strong>net</strong>zung rechtsextremistischer<br />

Organisationen … ist nach<br />

wie vor nicht erkennbar“, wissen seine<br />

Beamten anderes zu berichten: „Es konnte<br />

festgestellt werden, daß einige Anschläge<br />

planmäßig vorbereitet wurden, was auf eine<br />

zunehmende Organisierung der Szene hindeutete.“<br />

Dies belegt der Verfassungsschutz<br />

in einer Vielzahl von Einzelbeispielen.<br />

Das fängt an <strong>mit</strong> der Orientierung vieler<br />

Neu-Organisationen in den neuen Bundesländern<br />

an <strong>dem</strong> Programm des Neofaschisten<br />

Michael Kühnen (gestorben an <strong>Aids</strong><br />

25.4.91), der das „Vierte Reich“ errichten<br />

wollte, geht über den Nachweis personeller<br />

Beziehungen unter den NS-Organisationen<br />

bis hin zu internationalen Treffen und den<br />

Einfluß der österreichisch-spanischen<br />

Faschisten in der „Circulo Español de Amigos<br />

de Europa“ (CEDADE) auf die deutsche<br />

Neofaschisten-Szene.<br />

Nur Männer von 16 bis 30<br />

Schwerpunkte sehen die Verfassungsschützer<br />

in Nordrhein-Westfalen <strong>mit</strong> 641<br />

Gewalttaten, in Relation zu den Einwohnerzahlen<br />

stehen jedoch Mecklenburg-Vorpommern<br />

und Brandenburg an der Spitze.<br />

Die Täter, soweit sie er<strong>mit</strong>telt werden konnten,<br />

sind „ausschließlich Männer <strong>im</strong> Alter<br />

von 16 bis 30 Jahren“. Der Anteil der<br />

Arbeitslosen unter den rechten Gewalttätern,<br />

bislang als besonders hoch angenommen,<br />

beträgt lediglich 9%. Insgesamt<br />

42.700 Rechtsextremisten in 82 Organisationen<br />

hat der Verfassungsschutz verzeich<strong>net</strong>,<br />

3.000 mehr als <strong>im</strong> Jahr zuvor, die<br />

25.000 Mitglieder der „Republikaner“ sind<br />

nicht eingerech<strong>net</strong>, ebenso fehlen Unorganisierte<br />

oder in den bürgerlichen Parteien<br />

verzeich<strong>net</strong>e Mitglieder. Auch erfaßt der<br />

Verfassungsschutz anonyme Geldgeber<br />

aus der Industrie und Altnazis nicht, die in<br />

Politik, Justiz oder in anderen gehobenen<br />

Stellungen tätig sind. Es ist weder in <strong>dem</strong><br />

Bericht noch in der Mitteilung des Bundesinnenministers<br />

ein Hinweis enthalten,<br />

daß die 2318 Beamten des Verfassungsschutzes<br />

und die (nach <strong>dem</strong> Ende des kalten<br />

Krieges arbeitslos gewordenen) 1.751<br />

„Bediensteten des Militärischen Abschirmdienstes“<br />

(MAD) künftig in solchen Kreisen<br />

nach „Verfassungsfeinden … zur Erhaltung<br />

unseres <strong>dem</strong>okratischen Gemeinwesens“<br />

suchen sollten.<br />

Der millionenschwere Dr. Frey<br />

Die stärkste rechtsextreme Organisation<br />

stellt laut diesem Bericht die „Deutsche<br />

Volks Union“ (DVU) <strong>mit</strong> 26.000 Mitgliedern<br />

dar. „Diese Partei konnte ihre Wahlerfolge<br />

in Bremen und Schleswig-Holstein – jeweils<br />

rund 6% der St<strong>im</strong>men – dadurch erringen,<br />

daß sie die Asylrechtsproblematik gezielt in<br />

den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes gestellt<br />

hatte“, befinden die Verfassungsschützer –<br />

wie bei CDU und CSU. „Die CDU muß für<br />

Republikaner wählbar sein“, erklärte Innenminister<br />

Kanther in der Öffentlichkeit.<br />

Einen unglaublich hohen Etat von 13 Millionen<br />

Mark pro Jahr weist Dr. Frey, Vorsitzender<br />

der DVU, aus, der zu Spenden aufruft,<br />

um den Wahlkampf 1994, „der von<br />

entscheidender Bedeutung für Deutschland<br />

und die DVU sei“, zu finanzieren. Die Hetzblätter<br />

der DVU kennt fast jede/r, allein<br />

1992 deckte Frey alle bundesdeutschen<br />

Haushalte <strong>mit</strong> drei Freiexemplaren unter<br />

Vertriebshilfe der Post ein. Eine Strafanzeige<br />

wegen Volksverhetzung vom Herausgeber<br />

der ZD wurde vom Hessischen Justizminister<br />

nach München abgegeben und<br />

dort eingestellt. Eine Beschwerde dagegen<br />

lehnte der dortige Generalstaatsanwalt ab;<br />

Frey konnte ungestört weiter Volksverhetzung<br />

betreiben. Heute erzielen die rechten<br />

Publikationen (jährlich ohne Buchverlage)<br />

ca. 65 Millionen Druckexemplare, durch die<br />

Wurfsendungen von Dr. Frey erhöht sich<br />

diese Zahl 1992 allerdings auf geschätzte<br />

200 Millionen. Frey verfügt über zwei Wochenzeitungen<br />

<strong>mit</strong> einer Auflage von rund<br />

85.000 Druckexemplaren und ist da<strong>mit</strong> der<br />

Größte in der neofaschistischen Szene.<br />

„Gefährlichste<br />

Terrororganisation“<br />

Traditionell ist der Bericht eingeleitet <strong>mit</strong><br />

„linksextremistischen Bestrebungen“. Die<br />

Bedrohung der inneren Sicherheit … durch<br />

linksextremistische Terroristen bestand<br />

auch 1992 fort, wenngleich … Anschläge<br />

der … RAF … ausgeblieben sind.“ Dennoch<br />

steht zu lesen: „Die RAF blieb … die gefährlichste<br />

Terrororganisation“ – für wen<br />

28.000 Linksextremisten, 2.000 mehr als <strong>im</strong><br />

Vorjahr, zählen die Verfassungsschützer<br />

und 1.203 Straftaten, darunter auch Delikte<br />

wie Hausfriedenbruch (131), Landfriedensbruch<br />

(160) und Widerstand gegen die<br />

Staatsgewalt (32), die interessanterweise<br />

bei der Statistik über Rechtsextremisten<br />

nicht zu finden sind. Ein Todesopfer<br />

schreibt der Verfassungsschutz den Berliner<br />

Autonomen 1992 zu: Am 4.4. ist der<br />

Funktionär der rechtsextremen „Deutschen<br />

Liga“, Gerhard Kaindl, in Berlin überfallen<br />

und getötet worden.<br />

Aufgaben unverändert<br />

Obwohl die Zahlen, so bereinigt, siebenmal<br />

mehr Straftaten von rechten Straftätern<br />

ausweisen, zieht der Innenminister sein<br />

Resümee: „1993 haben sich die Aufgabenschwerpunkte<br />

des Verfassungsschutzes<br />

nicht verändert“.<br />

Das sehen seine Beamten anders: Unter<br />

„Rechtsextremistische Bestrebungen“ berichten<br />

sie: „Die Bundesrepublik erlebte<br />

1992 eine Gewalteskalation bisher nicht gekannten<br />

Ausmaßes … National<strong>dem</strong>okraten<br />

kleiden ihre völkisch-kollektivistischen Systemvorstellungen<br />

in Begriffe wie Volksgemeinschaft<br />

und Volksganzes und agitieren<br />

gegen Ausländer. National-Freiheitliche<br />

agitieren darüber hinaus so aggressiv<br />

gegen <strong>dem</strong>okratische Institutionen, … daß<br />

sie da<strong>mit</strong> zeigen, diese in Wirklichkeit<br />

abschaffen … zu wollen.“<br />

„Neben allgemein rechtsextremistischen<br />

Straftaten (i.d.R. Schmieren von Hakenkreuzen,<br />

SS-Runen, „Heil Hitler“ etc. an Privathäusern<br />

und öffentlichen Einrichtungen),<br />

die in der Häufigkeit in etwa <strong>im</strong> Trend<br />

der Vorjahre liegen, wurde verstärkt ein<br />

Versenden/Verteilen von Flugblättern <strong>mit</strong><br />

rechtsextremistischem/ausländerfeindlichem<br />

Inhalt festgestellt. Auch Klebezettel<br />

und Schmierereien <strong>mit</strong> ausländerfeindlichen<br />

Parolen nahmen zu.<br />

Gegen die jüdische Gemeinde Darmstadt<br />

richteten sich 4 Vorkommnisse (Klebezettel,<br />

anonyme Schreiben und Anrufe <strong>mit</strong> z.T.<br />

massiven volksverhetzerischen Besch<strong>im</strong>pfungen<br />

und Beleidigungen).<br />

Asylbewerberunterkünfte waren in insgesamt<br />

28 Fällen Ziele von Straftaten. Hierbei<br />

handelte es sich in der Regel um Sachbeschädigungen<br />

(Einwerfen von Fensterscheiben,<br />

Zerstechen von Pkw-Reifen,<br />

Werfen von Steinen, Flaschen, Holzstücken<br />

gegen Unterkünfte), Rufen ausländerfeindlicher<br />

Parolen und Werfen von pyrotechnischen<br />

Gegenständen.<br />

In vier Fällen wurden schwere Straftaten<br />

verübt:<br />

Verbot für 650<br />

Rechtsextremisten<br />

In <strong>dem</strong> 264 Seiten starken Bericht, n<strong>im</strong>mt<br />

der Teil über die Rechtextremen <strong>mit</strong> 95 Seiten<br />

den stärksten Part ein, der Linken sind<br />

66 Seiten gewidmet, in den Rest teilen sich<br />

Spionageabwehr und Gewalttaten von Ausländern,<br />

die ihre nationalen Probleme in der<br />

Bundesrepublik austragen wie beispielsweise<br />

Kroaten und Serben oder ein<br />

Anschlag auf vier Kurden, die am 17.9.92 in<br />

Berlin „wahrscheinlich vor staatsterroristischem<br />

Hintergrund“ ermordet wurden.<br />

Der Bericht beinhaltet umfangreiche Listen<br />

rechter und linker Publikationen und Parteien,<br />

die Mitgliederzahlen und, soweit, bekannt<br />

die Finanzierungen. Die Verfassungsschützer<br />

haben die Zahlen zwar (unvollständig)<br />

verzeich<strong>net</strong> aber nicht ausgewertet.<br />

Der Bundesinnenminmister begeg<strong>net</strong>e der<br />

wachsenden Gewalt von rechts <strong>mit</strong> <strong>mit</strong> den<br />

Verboten der Parteien „Nationalistische<br />

Front“ (27.11.92), „Deutsche Alternative“<br />

(10.12.92) und „Nationale Offensive“<br />

(22.12.92). Deren Mitgliederzahlen betrugen<br />

laut Verfassungsschutz rund 650 – von<br />

insgesamt 42.700 aller registrierten neofaschistischen<br />

Organisationen. Wehrsportkampfgruppen,<br />

Verlage und Parteien, die<br />

offen verfassungsfeindliche Publikationen<br />

und Ziele verfolgen (vielfach zitiert <strong>im</strong><br />

Bericht) können unbehelligt weiter volksverhetzende,<br />

verfassungsfeindliche Schriften<br />

verbreiten.<br />

In einigen Bundesländern werden die<br />

Straftäter, soweit er<strong>mit</strong>telt, sehr schnell<br />

verurteilt: Darmstadt rangiert wegen der<br />

schnellen und harten Urteile an besonderer<br />

Stelle – als rühmliche Ausnahme <strong>im</strong><br />

Bericht.<br />

Gewalt von der Rechten<br />

„Wieviele Gerichtsverfahren nach §129 und<br />

129a StGB wurden seit 1.1.91 gegen<br />

rechtsextreme Akteure durchgeführt … “<br />

wollte die PDS-Abgeord<strong>net</strong>e Ulla Jelpke<br />

von der Bundesregierung am 1.7.93 wissen.<br />

Die Antwort: „Keine“. Im Verfassungsschutzbericht<br />

fehlen Zahlen über die<br />

Erfolgsquoten der Strafverfolgungsbehörden<br />

und über die Anzahl der verurteilten<br />

Rechtsextremisten. So<strong>mit</strong> gibt der Bericht<br />

29.7.92: Mehrere Molotowcocktails wurden<br />

gegen die gemauerte Außenwand einer<br />

Unterkunft in Grieshe<strong>im</strong> geworfen. Am<br />

Gebäude entstand Rußschaden, ein davor<br />

geparkter Pkw eines Bewohners wurde<br />

beschädigt.<br />

29.8.92: Auf die Container einer Asylbewerberunterkunft<br />

in Groß-Bieberau wurden<br />

mehrere Schüsse aus einer großkalibrigen<br />

Waffe abgegeben, die die Wände durchschlugen.<br />

Von den Bewohnern wurde niemand<br />

verletzt.<br />

26.9.92: Brandanschlag durch mehrere<br />

Molotowcocktails auf die Container von<br />

Asylbewerbern in Erzhausen und Anzünden<br />

eines polnischen Reisebusses in Wixhausen.<br />

Die drei Täter wurden festgenommen, Haftbefehl<br />

erlassen. Die Staatsanwaltschaft hat<br />

Anklage u.a. wegen Verdachts des versuchten<br />

Mordes und Brandstiftung erhoben.<br />

25.11.92: Die Außenfassade eines noch<br />

nicht bezogenen Neubaus für Asylbewerber<br />

in Erzhausen wurde <strong>mit</strong> Benzin übergossen<br />

und angezündet. Das Feuer erlosch von<br />

selbst. Es entstand geringer Sachschaden.<br />

auch keinen Überblick darüber, ob der Staat<br />

der vielen Rechtsextremisten Herr werden<br />

kann. In Cottbus beispielsweise wie auch in<br />

Lichtenhagen und Rostock bestand entweder<br />

ein nur eingeschränktes oder gar kein<br />

Verfolgungsinteresse: Die Anschläge wiederholten<br />

sich über Wochen und nahmen<br />

an Intensität zu ohne daß die Sicherheitsbehörden<br />

dies unterbunden haben. Erinnern<br />

wir uns an die Zeiten der Fahndung<br />

nach RAF-Mitgliedern Autobahnen wurden<br />

überwacht, <strong>mit</strong> Maschinenpistolen<br />

bewaff<strong>net</strong>e Polizisten kontrollierten serienweise<br />

Fahrzeuge. Oder Wackersdorf: Die<br />

Baustelle war noch vor Eintreffen der<br />

DemonstrantInnen von Hundertschaften<br />

hermetisch abgeriegelt. Die Zahl der Polizisten<br />

ist seit<strong>dem</strong> erhöht worden. Wo waren<br />

und sind sie heute, wenn Rechtsextremisten<br />

in teils tagelangen Angriffen Flüchtlingen<br />

nach <strong>dem</strong> Leben trachten<br />

Der Bericht untersucht nicht, wie es in vielen<br />

Orten dazu kommen konnte, daß die Polizei<br />

untätig zusah und die Rechtsextremisten<br />

gewähren ließ. Rostock war kein Einzelfall.<br />

Die neue<br />

Vergangenheitsbewältigung<br />

So zieht Kanther denn auch nur politische,<br />

keine sachbezogenen Schlüsse aus <strong>dem</strong><br />

Bericht, wenn er schärfere Gesetze und den<br />

Lauschangriff fordert – um wen zu überwachen<br />

Die Rechtsextremisten sicher nicht.<br />

Deren Publikationen und Mitglieder sind<br />

bekannt.<br />

Eine Analyse der Ursachen für die wachsende<br />

Gewalt unter der Bevölkerung, die an<br />

vielen Orten der Jagd auf AusländerInnen<br />

beifallklatschend zusah, und den Jugendlichen,<br />

die zunehmend brutaler werden (siehe<br />

nächste und übernächste Seite) leistet<br />

der Verfassungsschutz ebensowenig wie<br />

der Innenminister. Da<strong>mit</strong> ist das Jahr 1992<br />

<strong>mit</strong> 40 oder mehr Todesopfern zu den<br />

behördlichen Akten gelegt und Bestandteil<br />

neudeutscher Vergangenheit, die unter<br />

<strong>dem</strong> Blickwinkel der Vergangenheitsbewältigung<br />

Eingang in die Diskussionsrunden<br />

der besseren Gesellschaft finden wird. Zum<br />

Thema Gewalt siehe ZD Ausgabe 55.<br />

Michael Gr<strong>im</strong>m<br />

Der Bericht kann angefordert werden be<strong>im</strong><br />

Bundesminister des Innern,<br />

Graurheindorfer Straße 198, 53117 Bonn.<br />

Polizeipräsidium Darmstadt: Jahresbericht 1992<br />

Rechtsextremistische / ausländerfeindliche Straftaten<br />

Linksextremistische Straftaten:<br />

Im März wurden in <strong>dem</strong> Vorgarten eines in<br />

Darmstadt wohnenden Mitgliedes der IGfM<br />

(Intemationale Gesellschaft für Menschenrechte)<br />

5 Personen vorläufig festgenommen,<br />

die eine größere Menge Unkrautvernichtungs<strong>mit</strong>tel,<br />

zwei Äxte, etliche <strong>mit</strong> Farbe<br />

gefüllte Eier und eine vorbereitete<br />

Schriftschablone <strong>mit</strong> sich führten. Offensichtlich<br />

sollten in <strong>dem</strong> Anwesen massive<br />

Sachbeschädigungen erfolgen.<br />

Hintergrund: Mitte März fand in Benshe<strong>im</strong><br />

ein Kongreß der IGfM statt, gegen den <strong>im</strong><br />

autonomen Spektrum bereits <strong>im</strong> Vorfeld<br />

auf breiter Basis mobilisiert wurde. Die<br />

IGfM wurde in diesem Zusammenhang u.a.<br />

als faschistisch bezeich<strong>net</strong>.<br />

Im Oktober wurden unter den beiden Fahrzeugen<br />

eines Bürgers in Seehe<strong>im</strong>-Jugenhe<strong>im</strong><br />

Brandsätze gelegt, die jedoch nicht<br />

funktionierten. In Bekennerschreiben wurde<br />

der versuchte Anschlag <strong>mit</strong> der leitenden<br />

Tätigkeit des Betroffenen bei <strong>dem</strong> Bau der<br />

als „Isolationsknast“ bezeich<strong>net</strong>en Justizvollzugsanstalt<br />

Weiterstadt begründet.“<br />

Polizeipräsidium Darmstadt


NEOFASCHISMUS II<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 7<br />

40<br />

Todesopfer<br />

rechter<br />

Gewalt<br />

Unbekannt, 4. Januar, Augsburg: Ein 27 Jahre<br />

alter Flüchtling aus Nigeria stirbt nach der Einlieferung<br />

ins Krankenhaus, er war schwerverletzt<br />

in der Asylunterkunft aufgefunden worden.<br />

Vorangegangen war eine Auseinandersetzung<br />

<strong>mit</strong> Türstehern einer Diskothek – Unbekannt,<br />

11. Januar, Hannover: Der Bewohner<br />

eines Flüchtlingwohnhe<strong>im</strong>es wird von einem<br />

Bundeswehrsoldaten so schwer mißhandelt,<br />

daß er am darauffolgenden Tag stirbt. – Vater,<br />

Mutter, Kind, 31. Januar, Lamperthe<strong>im</strong>: Die<br />

Familie aus Sri Lanka stirbt bei einem Brand in<br />

einem Flüchtlingswohnhe<strong>im</strong>. – Matthias Knabe,<br />

4. März, Gifhorn: Der 23jährige stirbt an<br />

schweren Hirnverletzungen, die ihm <strong>im</strong> Mai<br />

1991 bei einem Überfall von 15 Skinheads<br />

zugefügt worden waren. – Unbekannt, 6.<br />

März, Reilingen: In einer Diskothek bei Mannhe<strong>im</strong><br />

fallen 10 Skinheads über zwei Türken her.<br />

Einer wird erstochen, sein Freund schwer verletzt.<br />

– Dragomir Christinel (18), 14. März,<br />

Saal: 25 bewaff<strong>net</strong>e Jugendliche überfallen, wie tags zuvor angekündigt, das Asylbewerberhe<strong>im</strong> nahe Rostock und prügeln den achtzehnjährigen Rumänen zu Tode. Die Polizei trifft zu spät<br />

ein, weil es „Probleme <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Telefon<strong>net</strong>z“ gegeben habe. – Gustav Schneeclaus (53), 18. März, Buxtehude: Zwei Skinheads erschlagen den Kapitän, weil er Hitler als Verbrecher<br />

bezeich<strong>net</strong> hatte. – Unbekannt, März, Brandenburg: Am 6. April wird <strong>im</strong> Wald ein bulgarischer Flüchtling gefunden, er ist erstochen worden. – Ingo Finkern, 19. März, Flensburg: Der 31<br />

Jahre alte Obdachlose wird von Skinheads zusammengeschlagen und in das Hafenbecken geworfen. Er ertrinkt. – Unbekannt, 4. April, Hörstel: Bei einem Anschlag auf ein Flüchtlingswohnhe<strong>im</strong><br />

in Nordrhein-Westfalen stirbt ein dort untergebrachter Deutscher. – Nguyen Van Tu (29), 24. April, Berlin: Vor den Augen zahlreicher Passanten wird der Vietnamese <strong>im</strong> Berliner<br />

Stadtteil Marzahn von einem 21jährigen Deutschen erstochen. – Torsten Lamprecht, 9. Mai, Magdeburg: Bei einem Überfall von 50 <strong>mit</strong> Eisenstangen bewaff<strong>net</strong>en Skinheads auf<br />

eine Punk-Gaststätte trifft ihn ein einschlägig bekannter Skinhead aus Wolfsburg am Kopf. Zwei Tage später stirbt Lamprecht an den Folgen. – Unbekannt, 25. Mai, Wünsdorf: Ein russischer<br />

Flüchtling wird auf <strong>dem</strong> Gelände der Westgruppe der ehemals sowjetischen Streitkräfte in Brandenburg <strong>mit</strong> Stichverletzungen tot aufgefunden. – Emil Wendland (50), 1. Juli, Neuruppin:<br />

Der Obdachlose wird von einer Gruppe Skinheads in Brandenburg zusammengeschlagen; ein 20jähriger ersticht ihn. – Zwei Männer, 5. Juli, Pasewalk: Von einer Gruppe illegaler<br />

Einwanderer aus Rumänien, die über die deutsch-polnische Grenze kommen, werden zwei von Schüssen tödlich getroffen; die Polizei n<strong>im</strong>mt zwei Jäger unter <strong>dem</strong> Verdacht der „fahrlässigen<br />

Tötung“ fest. – Sadri Berisha (55), 8. Juli, Ostfildern-Kemnat: Skinheads überfallen ein Arbeiterwohnhe<strong>im</strong> <strong>im</strong> Kreis Esslingen und schlagen auf zwei Jugoslawen ein. Berisha stirbt am<br />

Tatort, sein Begleiter wird <strong>mit</strong> schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus gebracht. – Unbekannt, 28. Juli, Erzhausen: In einem Wald <strong>im</strong> Kreis Darmstadt-Dieburg wird ein 23jähriger<br />

Türke erstochen aufgefunden. – Klaus Dieter Klein (49), 1. August, Bad Breisig: Zwei Skinheads stechen den Obdachlosen in Rheinland-Pfalz nieder und trampeln ihn zu Tode. – Jreneusz<br />

Szyderski (24), 3. August, Stotternhe<strong>im</strong>: Zwei Skinhead-Ordner einer Diskothek in Thüringen treten den Polen zu Tode. – Unbekannt, Berlin: In den Grünanlagen am Fernsehturm<br />

in Berlin stirbt ein Pole bei einer Auseinandersetzung <strong>mit</strong> zwei unbekannten Männern durch Messerstiche in den Bauch. – Frank Bönisch, 14. August, Koblenz: Ein 23 Jahre alter Skinhead<br />

schießt blindwütig in eine Gruppe feiernder Personen. Bönisch stirbt und vier weitere Personen werden schwer verletzt. – Günter Schwannicke (58), 29. August, Berlin: Der Obdachlose<br />

wird von zwei Skinheads in Berlin-Charlottenburg tödlich verletzt. – Unbekannt, 24. September, Berlin: Ein 27jähriger Israeli wird in Berlin-Kreuzberg in einem Hausflur niedergesto-<br />

O<br />

ffizielle Statistiken und der<br />

Verfassungsschutzbericht<br />

weisen unterschiedlich hohe<br />

Zahlen von Mordanschlägen<br />

Rechtsradikaler <strong>im</strong> Jahr 1992 aus.<br />

Die Unvollständigkeit der Zahlen<br />

läßt sich aus Presseberichten,<br />

„Spiegel“, „FAZ“, „Taz“,<br />

„Konkret“, PDS-Pressespiegel,<br />

Anfragen an die Bundesregierung<br />

und anderen Dokumenten nachvollziehen.<br />

Die Bilanz<br />

der Untaten einer völkischnationalistischen<br />

Rechtsextremen<br />

können wir nur in Auszügen<br />

wiedergeben.<br />

Auf Anfrage der PDS vom<br />

1.7.1993, „Wieso wird der am<br />

17.12.1992 in Berlin-Mitte auf<br />

offener Straße erschossene<br />

Ägypter nicht in der Statistik der<br />

rechtsextrem motivierten<br />

Straftaten/Tötungsdelikte<br />

aufgeführt“ erklärte die<br />

Bundesregierung: „Aus <strong>dem</strong><br />

Er<strong>mit</strong>tlungsverfahren ergeben<br />

sich keine Hinweise für einen<br />

politischen Hintergrund“.<br />

Geklärt wurde der Fall nicht.<br />

chen. Er stirbt trotz sofortiger Operation. –<br />

Unbekannt, 17. Oktober, Berlin: Mitten in der<br />

Stadt, nahe des Kurfürstendamms, wird ein 37-<br />

jähriger Peruaner von mehreren Männern zusammengeschlagen<br />

und erstochen. – Rolf<br />

Schulze (51), 7. November, Lehnin: Drei rechtsradikale<br />

Jugendliche mißhandeln den Obdachlosen<br />

in ihrem Auto, übergießen ihn <strong>mit</strong> Benzin<br />

und zünden ihn an. – Karl-Hans Rohn (53), 13.<br />

November, Wuppertal: Bei einer Auseinandersetzung<br />

in einer Kneipe verletzen zwei<br />

Skinheads Rohn durch Tritte lebensgefährlich,<br />

übergießen ihn <strong>mit</strong> Schnaps und zünden ihn an.<br />

Das sterbende Opfer transportieren sie <strong>im</strong><br />

Wagen des Wirts in die Niederlande, wo die Leiche<br />

am nächsten Morgen gefunden wird. – Silvio<br />

Meier (27), 21. November, Berlin: Im Stadtteil<br />

Friedrichshain wird er bei einem Streit zwischen<br />

drei Jugendlichen und fünf Rechtsradikalen<br />

erstochen. Die beiden anderen Jugendlichen<br />

überleben schwer verletzt. – Bahide Arslan<br />

(51), Ayse Yilmaz (14), Yeliz Arslan (10), 23.<br />

November, Mölln: Bei einem Brandanschlag auf<br />

zwei Wohnhäuser in Schleswig-Holstein starben<br />

die Türkin und die zwei Kinder, neun weitere<br />

Menschen wurden verletzt. – Unbekannt, 23.<br />

November, Wiesbaden: In der Toilette des<br />

Hauptbahnhofs wird ein 27jähriger Türke von<br />

einem Unbekannten niedergestochen. – Unbekannt,<br />

29. November, Köln: Der Türsteher einer<br />

Kölner Diskothek erschießt einen 24 Jahre alten<br />

Türken, der angeblich Hausverbot hatte, <strong>mit</strong><br />

einer abgesägten Schrotflinte, als er <strong>mit</strong> Freunden<br />

unschlüssig auf der Straße stand. – Akif<br />

Dogan (27), 4. Dezember, Felsberg: Der Türke<br />

aus München wird <strong>mit</strong> Messerstichen in Brust,<br />

Bauch und Rücken neben der Landstraße in<br />

Felsberg tot aufgefunden. – Unbekannt, 6.<br />

Dezember, Jänschwalde: Brand in einem Achtfamilien-Wohnhaus<br />

in Brandenburg. Ein<br />

28jähriger kroatischer Gastarbeiter stirbt in <strong>dem</strong><br />

Feuer. Die Staatsanwaltschaft Cottbus geht von<br />

einem Schwelbrand aus, der durch ein Stromkabel<br />

entstanden sein könnte. – Bruno Kappi (57),<br />

15. Dezember, Siegen: Der blinde und geistig<br />

behinderte Lagerarbeiter wird von Neofaschisten<br />

überfallen und <strong>mit</strong> Springerstiefeln zu Tode<br />

getreten. – Gamal Hegab, 17. Dezember, Berlin:<br />

Im Bezirk Mitte wird der 35jährige Ägypter<br />

auf der Straße erschossen. – Unbekannt, 30.12.,<br />

Berlin: Ein 38 Jahre alter Libanese wird <strong>im</strong><br />

Hausflur erschossen, die Polizei schließt rechtsextremistische<br />

Motive nicht aus. – Unbekannt<br />

bedeutet nicht, daß den Strafverfolgungsbehörden<br />

die Namen der Opfer nicht bekannt<br />

seien. Sie wurden nicht publiziert.<br />

1992<br />

In der nebenstehenden Liste<br />

sind eine Reihe<br />

ungeklärter Fälle, bei denen die<br />

Umstände jedoch<br />

rechtsextremistische Motive<br />

wahrscheinlich sein lassen.<br />

Die Zahlen sind wie jede Statistik<br />

<strong>mit</strong> Vorsicht zu behandeln,<br />

denn wie viele andere Mordfälle<br />

es gibt, die ungeklärt sind,<br />

dennoch aber von Antise<strong>mit</strong>en<br />

oder Neofaschisten verübt<br />

wurden, bleibt <strong>im</strong> Dunkel.


Montag, 6.1.<br />

• Brandanschlag auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Waldkirch bei Freiburg/Breisgau.<br />

Ein Libanese wird lebensgefahrlich verletzt,<br />

weitere 20 Asylbewerher werden <strong>mit</strong><br />

Rauchvergiftungen in ein Krankenhaus<br />

eingeliefert.<br />

Samstag/Sonntag, 11/12.1.<br />

• Auf ein Ausländerwohnhe<strong>im</strong> in Salzhausen/Kreis<br />

Harburg werden zwei Anschläge<br />

verübt.<br />

Dienstag, 14.1.<br />

• Brand in einem Flüchtlingshe<strong>im</strong> in Trier.<br />

Ein Bewohner wird schwer verletzt, als er<br />

bei der Flucht vor <strong>dem</strong> Feuer aus <strong>dem</strong><br />

zweiten Stock springt, ein weiterer erleidet<br />

schwere Rauchvergiftungen.<br />

Dienstag, 28.1.<br />

• In Kassel/Hessen überfallen drei junge<br />

Männer ein iranisches Lokal. Die Wirtin<br />

wird mißhandelt und beraubt, das Lokal<br />

angezündet, die Inhabnerin muß auf die<br />

Intensivstation.<br />

Mittwoch, 29.1.<br />

• Ein 37jähriger Rumäne wird in Berlin<br />

Pankow in der Nähe eines Flüchtlingswohnhe<strong>im</strong>s<br />

niedergestochen.<br />

Mittwoch, 19.2.<br />

• Brand in der zentralen Anlaufstelle für<br />

Asylbewerber in München. Die Regierung<br />

Oberbayerns geht von Brandstiftung aus.<br />

• In Neu-Isenburg/Hessen <strong>kommt</strong> es zu<br />

einer Massenschlägerei zwischen<br />

Skinheads und Ausländern. Eine unbeteiligte<br />

Frau wird angeschossen.<br />

Samstag, 29.2.<br />

• In Plankstadt/Baden-Württemberg<br />

<strong>kommt</strong> es bei einer türkischen Hochzeit zu<br />

einer mehrstündigen Massenschlägerei<br />

zwischen 150 Skinheads und rund 350<br />

Hochzeitsgästen.<br />

Donnerstag, 5.3.<br />

• Die britischen Behörden lassen den<br />

Asylantrag eines Sudanesen zu, der wegen<br />

ausländerfeindlicher Angriffe in Deutschland<br />

nach London geflohen war.<br />

Donnerstag, 26.3.<br />

• In Bremen wird ein Polizeirevier auf<br />

richterliche Anordnung hin durchsucht.<br />

Mehrere nigerianische Asylbewerber hatten<br />

einem Anwalt berichtet, sie seien von<br />

Beamten mißhandelt worden. Ein 14 Jahre<br />

alter Junge aus Kurdistan mußte nach seiner<br />

Festnahme <strong>mit</strong> gebrochener Schulter<br />

und zwe<strong>im</strong>al gebrochenem Arm ins Krankenhaus;<br />

ein 22 Jahre alter Asylbewerber<br />

aus Gambia erlitt einen Schock.<br />

Samstag, 28.3.<br />

• In Worms wird ein fünfzehnjähriger Türke<br />

von zwei Jugendlichen <strong>mit</strong> Naziabzeichen<br />

auf der Straße niedergestochen und<br />

<strong>kommt</strong> schwer verletzt ins Krankenhaus.<br />

Dienstag, 14.4.<br />

• Im Berliner Stadtteil Friedrichshain<br />

schlagen mehrere junge Männer auf eine<br />

Vietnamesin ein. Kurz darauf prügeln sie<br />

auf einen togoischen Staatsbürger ein und<br />

stoßen ihn auf die Straße, wo er von einem<br />

Auto angefahren wird. Ein Sudanese erleidet<br />

eine Platzwunde, als sie ihm einen<br />

Stein an den Kopf werfen.<br />

Samstag/Sonntag, 9./10.5.<br />

• In Wendisch Rietz/Brandenburg bedroht<br />

eine Gruppe von Skinheads einen Nigerianer<br />

in einer Diskothek <strong>mit</strong> einer Gaspistole,<br />

schlägt ihn zusammen und wirft ihn<br />

bewußtlos in einen See. Der Nigerianer,<br />

der von einem Ordner der Diskothek aus<br />

<strong>dem</strong> Wasser gerettet und in ein Krankenhaus<br />

gebracht wurde, schwebt in Lebensgefahr.<br />

Montag, 25.5.<br />

• Ein Sudanese wird in Potsdam von<br />

Skinheads zusammengeschlagen. Er<br />

<strong>kommt</strong> <strong>mit</strong> Verdacht auf schwere Kopfverletzungen<br />

in ein Krankenhaus.<br />

Donnerstag, 11.6.<br />

• In Freiburg bei Dresden sowie <strong>im</strong> Kreis<br />

Flöhe und in Frankenberg stürmen 90<br />

Polizeibeamte drei Asylbewerberhe<strong>im</strong>e.<br />

Dabei fallen Rufe wie „Scheißasylanten“<br />

und „Raus hier“. Die Bewohner, die an<br />

einen Überfall von Neonazis glauben, versuchen<br />

die Türen verschlossen zu halten.<br />

Nach Zeugenaussagen <strong>kommt</strong> es zu<br />

gewalttätigen Übergriffen durch die Polizisten.<br />

Freitag, 12.6.<br />

• Brand in einem Asylbewerberwohnhe<strong>im</strong><br />

in Isen/Kreis Erding. Das Gebäude brennt<br />

bis auf die Außenmauern ab, Personen<br />

werden nicht verletzt. Die Polizei schließt<br />

Brandstiftung aus.<br />

Montag, 22.6.<br />

• In Erding/Bayern erleidet ein 25jähriger<br />

Asylbewerber aus Indien einen Oberschenkeldurchschuß,<br />

als er bei seiner<br />

Festnahme zu fliehen versucht. Nach Polizeiangaben<br />

löste sich der Schuß versehentlich.<br />

Donnerstag, 9.7.<br />

• In Fürstenwalde wird ein russischer Aylbewerber<br />

zusammengeschlagen und<br />

beraubt. Der Verletzte erleidet ein Schädelhirntrauma.<br />

Auswahl rechtsextremistischer Anschläge 1992<br />

• In Herborn/Lahn-Dill-Kreis werden<br />

zwei 18 und 20jährige Männer aus Pakistan<br />

von drei Unbekannten <strong>mit</strong> Eisenstangen<br />

niedergeschlagen und <strong>mit</strong> Messerstichen<br />

verletzt.<br />

Donnerstag, 16.7.<br />

• Im Leipziger Stadtteil Süd-Ost überfallen<br />

fünf maskierte Männer die Wohnung<br />

eines vietnamesischen Ehepaars. Die <strong>mit</strong><br />

Schrotflinten und Baseballschlägern<br />

bewaff<strong>net</strong>en Männer dringen in das<br />

Schlafz<strong>im</strong>mer ein und mißhandeln den <strong>im</strong><br />

Bett liegenden Mann schwer.<br />

Sonntag, 26.7.<br />

• In Jena werden drei Ausländer auf <strong>dem</strong><br />

Markt von Rechtsradikalen angegriffen<br />

und verletzt, einer von ihnen <strong>mit</strong> einer<br />

Stichwunde.<br />

Donnerstag, 30.7.<br />

• Brandanschlag auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Grieshe<strong>im</strong>/ Kreis Darmstadt-<br />

Dieburg.<br />

Sonntag, 2.8.<br />

• Das Asylbewerberhe<strong>im</strong> in Jessern/Kreis<br />

Lübben wird erneut von 20 bis 30 teilweise<br />

vermummten Personen angegriffen.<br />

Samstag/Sonntag, 8.8./9.8.<br />

• In Dergentin/Kreis Perleberg in Brandenburg<br />

dringen etwa 50 maskierte und<br />

<strong>mit</strong> Knüppeln und Schlagringen bewaff<strong>net</strong>e<br />

Personen in ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

ein und <strong>dem</strong>olieren das Gebäude. Zehn<br />

Asylbewerber werden verletzt, einer<br />

schwer.<br />

Samstag/Sonntag, 15.8/16.8.<br />

• In Grieshe<strong>im</strong>/Kreis Darmstadt-Dieburg<br />

überfallen mehrere junge Männer<br />

einen Wohnhe<strong>im</strong>komplex für Asylbewerber<br />

und bewerfen diesen <strong>mit</strong> Steinen<br />

und leeren Flaschen.<br />

Samstag, 22.8.<br />

• In Rostock greifen 150 bis 200 Jugendliche<br />

die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber<br />

<strong>im</strong> Stadtteil Lichtenhagen <strong>mit</strong><br />

Steinen, Molotowcocktails und Feuerwerkskörpern<br />

an. Die Polizei kann ein<br />

Eindringen verhindern. Es <strong>kommt</strong> zu einer<br />

dreizehnstündigen Straßenschlacht, bei<br />

der die Jugendlichen <strong>im</strong>mer wieder von<br />

etwa 1.000 Anwohnern, die ausländerfeindliche<br />

Parolen rufen, angefeuert werden.<br />

Die Polizei vermutet eine überregionale<br />

Planung und Steuerung des Angriffs.<br />

Sonntag, 23.8.<br />

• In Lichtenhagen/Rostock greifen etwa<br />

200 Jugendliche erneut <strong>mit</strong> Steinen und<br />

Molotowcocktails die Zentrale Aufnahmestelle<br />

an.<br />

Montag, 24.8.<br />

• In Lichtenhagen wird ein Teil der<br />

Flüchtlinge evakuiert. Am späten Abend<br />

stürmen faschistische Banden das He<strong>im</strong>,<br />

nach<strong>dem</strong> sich die Polizei zurückgezogen<br />

hat, und setzen das Erdgeschoß in Brand.<br />

Die Feuerwehr wird am Löschen gehindert.<br />

In den oberen Geschossen befinden<br />

sich mehr als 100 Personen, überwiegend<br />

Vietnamesen, die sich über das Dach in<br />

Sicherheit bringen können.<br />

• Der in Hamburg ansässige „Chaos Computer<br />

Club“ hat bei den Rechtsradikalen<br />

ein mo<strong>dem</strong>es Informationssystem <strong>mit</strong><br />

Datenbanken und elektronischen Mailboxen<br />

ausgemacht, <strong>mit</strong> dessen Hilfe sie zu<br />

schnellen und überraschenden Aktionen<br />

fähig seien.<br />

Dienstag, 25.8.<br />

• In Lichtenhagen <strong>kommt</strong> es nach Polizeiangaben<br />

zu den bisher schwersten gewalttätigen<br />

Auseinandersetzungen.<br />

Mittwoch, 26.8.<br />

• Aus Angst vor Überfällen fliehen etwa<br />

40 Ausländer aus einer Gemeinschaftsunterkunft<br />

bei Rostock, mehrere Kilometer<br />

von Lichtenhagen entfernt.und verstecken<br />

sich <strong>im</strong> Wald.<br />

Donnerstag, 27.8.<br />

• Weitere gewalttätige Auseinandersetzungen<br />

in Lichtenhagen/Rostock. Nach<br />

Erkenntnissen des BKA waren die Krawalle<br />

in Rostock organisiert und gesteuert.<br />

Samstag, 29.8.<br />

• In Sömmerda und in Eisenach (beides<br />

Thüringen) verhin<strong>dem</strong> Polizeikräfte den<br />

Angriff von <strong>mit</strong> Molotowcocktails<br />

bewaff<strong>net</strong>en Neonazis auf Asylbewerberhe<strong>im</strong>e.<br />

Sonntag, 30.8.<br />

• Brandanschlag auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Hanau.<br />

• In Cottbus sammeln sich 180 Randalierer<br />

vor <strong>dem</strong> Asylbewerberhe<strong>im</strong>. Durch<br />

starken Polizeieinsatz kann ein Angriff<br />

verhindert werden.<br />

• In Groß-Bieberau/Kreis Darmstadt-<br />

Dieburg werden etwa fünfzehn Schüsse<br />

auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong> abgegeben.<br />

Dienstag, 1.9.<br />

• Japanische Geschäftsleute befürchten, in<br />

Ostdeutschland <strong>mit</strong> Asylbewerbern verwechselt<br />

zu werden. Mitarbeiter von Berliner<br />

Vertretungen werden belehrt, wie sie<br />

sich kleiden und wo sie sich aufhalten sollen.<br />

Mittwoch, 2.9.<br />

• In Neuholland/Kreis Oranienburg durchsucht<br />

die Polizei in einem Großeinsatz ein<br />

Asylbewerberhe<strong>im</strong> und stellt mehrere<br />

Waffen und waffenähnliche Gegenstände<br />

sicher. Auslöser für diesen Einsatz war<br />

eine anonyme Drohung, daß das He<strong>im</strong><br />

angezündet werde.<br />

Donnerstag, 3.9.<br />

• Brandanschlag auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Ketzin/ Brandenburg. Das Gebäude<br />

brennt völlig aus; zwei Tatverdächtige<br />

werden festgenommen.<br />

Freitag, 4.9.<br />

• Etwa 40 bis 60 Jugendliche versuchen,<br />

das Zentrale Aufnahmelager für Asylbewerber<br />

in Eisenhüttenstadt zu stürmen. Es<br />

<strong>kommt</strong> zu einer mehrstündigen Straßenschlacht<br />

<strong>mit</strong> der Polizei.<br />

Samstag, 5.9.<br />

• In Gelnhausen/Hessen verhindert die<br />

Polizei einen Brandanschlag auf eine<br />

Asylbewerberunterkunft.<br />

Sonntag, 6.9.<br />

• Brandanschlag auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Engelsberg/Kreis Traunstein.<br />

Drei He<strong>im</strong>bewohner werden verletzt.<br />

• In Pritzier/Kreis Hagenow schießen etwa<br />

30 <strong>mit</strong> Knüppeln bewaff<strong>net</strong>e Jugendliche<br />

vor einem Flüchtlingshe<strong>im</strong> Feuerwerkskörper<br />

ab und werfen Molotowcocktails.<br />

Die Bewohner waren bereits evakuiert.<br />

Donnerstag, 10.9.<br />

• In Quedlinburg/Sachsen-Anhalt greifen<br />

100 Jugendliche <strong>mit</strong> Steinen und<br />

Brandsätzen ein Asylbewerberhe<strong>im</strong> an.<br />

200 AnwohnerInnen sehen zu und klatschen<br />

Beifall. Es ist die dritte ausländerfeindliche<br />

Nacht in Folge. Am Morgen<br />

werden Schüsse auf die Unterkunft abgegeben.<br />

Freitag, 11.9.<br />

• Das Asylbewerberhe<strong>im</strong> in Quedlinburg/Sachsen-Anhalt<br />

wird erneut von<br />

Rechtsradikalen angegriffen.<br />

Samstag, 12.9.<br />

• In Dippoldiswalde bei Dresden attackieren<br />

20 bis 40 Personen die Asylbewerberunterkunft<br />

un d stürmen das Gebäude. Die<br />

Flüchtlinge hatten sich rechtzeitig in den<br />

nahen Wald gerettet.<br />

• In Hemsbach bei Heidelberg werden<br />

zwei Kinder bei einem Brandanschlag auf<br />

eine Asylbewerberunterkunft verletzt.<br />

Montag, 14.9.<br />

• Eine Rohrbombe in einem Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Saarlouis wird nach anonymer<br />

Warnung kurz vor der Explosion entschärft.<br />

Die Bombe <strong>mit</strong> knapp einem Kilo<br />

gewerblichem Sprengstoff gefüllt hätte<br />

die gesamte Unterkunft sprengen können.<br />

• Die in Quedlinburg untergebrachten<br />

Asylbewerber werden nach mehreren<br />

Nächten ausländerfeindlicher Krawalle an<br />

einen unbekannten Ort umquartiert.<br />

Dienstag, 15.9.<br />

• In Mückeln/Sachsen-Anhalt dringen<br />

zwei Männer in die Wohnung einer jugoslawischen<br />

Familie ein und mißhandeln<br />

drei Kinder unter „Ausländer raus“ -Rufen<br />

<strong>mit</strong> Fußtritten.<br />

Mittwoch, 16.9.<br />

• Bombenanschlag auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Bad Waldsee bei Ravensburg.<br />

• In Wismar wird das Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

erneut angegriffen.<br />

Donnerstag, 17.9.<br />

• Generalbundesanwalt Alexander von<br />

Stahl sieht trotz der Gewaltwelle Rechtsradikaler<br />

derzeit keine Gefahr für den<br />

Staat durch rechtsterroristische Vereinigungen.<br />

Freitag, 18.9.<br />

• Brandanschlag auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Nußloch/Rhein-Neckar-Kreis.<br />

Samstag, 19.9.<br />

• Mehrere hundert Rechtsradikale greifen<br />

das Asylbewerberhe<strong>im</strong> in Wismar an, der<br />

sechste und brutalste Angriff in Folge.<br />

• In Altlandsberg/Brandenburg wird ein<br />

Brandanschlag auf ein von einem Türken<br />

geführtes Lebens<strong>mit</strong>telgeschäft verübt.<br />

Der Verkäufer erleidet Verbrennungen<br />

dritten Grades.<br />

Sonntag, 20.9.<br />

• In Urberach/Rödermark werden die Fensterscheiben<br />

eines Hotels, in <strong>dem</strong> Asylbewerber<br />

untergebracht sind, eingeworfen.<br />

Dienstag, 22.9.<br />

• Das Asylbewerberhe<strong>im</strong> in<br />

Wismar/Mecklenburg-Vorpommern wird<br />

geräumt, die rund 200 Asylbewerber verlegt.<br />

Samstag, 26.9.<br />

• In Erzhausen bei Darmstadt werden<br />

sechs Brandsätze auf das Gelände der<br />

Asylbewerberunterkunft geworfen. Die<br />

gleichen Tätern zünden einen polnischen<br />

Reisebus an.<br />

Sonntag, 27.9.<br />

• In Obernkirchen , Niedersachsen wird<br />

eine l9jährige Rumänin am Kopf verletzt,<br />

als Steine durch die Fenster einer Asylbewerberunterkunft<br />

geworfen werden.<br />

Dienstag, 29.9.<br />

• In Wiesbaden wird ein 25jähriger Asylbewerber<br />

aus Bangladesh von vier Männern<br />

zwischen 23 und 25 Jahren aus einer<br />

Telefonzelle gezerrt und getreten.<br />

Mittwoch, 30.9.<br />

• Brandanschlag auf die Gedenkstätte des<br />

ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen.<br />

Die „Jüdische Baracke“ brennt<br />

nieder.<br />

Donnerstag, 1.10.<br />

• In Leipzig sammeln sich etwa fünfzehn<br />

bis 20 Jugendliche vor einem Behindertenwohnhe<strong>im</strong><br />

für Kinder. Sie drohen: „Zu<br />

Hitlers Zeiten gab es sowas nicht“.<br />

Dienstag, 6.10.<br />

• Zwischen Waldhe<strong>im</strong> und<br />

Massanei/Sachsen wird das Denkmal für<br />

die Opfer des Todesmarsches vom KZ<br />

Coditz nach Freiberg <strong>mit</strong> Hakenkreuzen<br />

beschmiert.<br />

Mittwoch, 7.10.<br />

• In Köthen bei Magdeburg wird ein Deutscher<br />

von Skinheads zusammengeschlagen<br />

und <strong>mit</strong> Messerstichen verletzt, weil<br />

sie ihn für einen Ausländer halten.<br />

• In Frankfurt/Main wird ein Marokkaner<br />

bei der Überprüfung seiner Personalien<br />

durch die Schutzpolizei mißhandelt.<br />

Sonntag, 11.10.<br />

• Ein 28jähriger Iraner wird <strong>im</strong> Kölner<br />

Vorort Porz brutal zusammengeschlagen.<br />

Die sofort von seiner Freundin alarmierte<br />

Polizei macht keine Anstalten, die Täter<br />

zu verfolgen.<br />

Montag, 12.10.<br />

• An der Autobahn-Anschlußstelle<br />

Ortrand der A 13 werden zwei schlafende<br />

Polen in ihrem Kleintransporter überfallen<br />

und brutal mißhandelt.<br />

Donnerstag, 15.10.<br />

• In Saarbrücken greift eine Gruppe<br />

Rechtsradikaler einen 50jährigen Italiener<br />

an und verletzen ihn erheblich.<br />

• Ein schleswig-holsteinischer Polizist<br />

wird wegen Mißhandlung eines estnischen<br />

Asylbewerbs vom Dienst suspendiert. Er<br />

soll in der Nacht zum 3.Oktober den Mann<br />

geschlagen und <strong>mit</strong> der Waffe bedroht<br />

haben.<br />

Samstag, 17.10.<br />

• In Thale/Sachsen-Anhalt überfallen etwa<br />

zehn Rechtsradikale ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

und dringen ein. Die Polizei kann die<br />

Vergewaltigung einer Vietnamesin gerade<br />

noch verhin<strong>dem</strong>, drei Frauen wurden<br />

sexuell genötigt.<br />

Mittwoch, 21.10.<br />

• Brandanschlag auf die Gedenkstätte <strong>im</strong><br />

ehemaligen Frauenkonzentrationslager<br />

Ravensbrück.<br />

• In Gelnhausen/Hessen wird eine 43jährige<br />

Ausländerin in ihrer Wohnung überfallen<br />

und <strong>mit</strong> Tränengas besprüht.<br />

Donnerstag, 22.10.<br />

• Brandanschlag auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Adenstedt/Niedersachsen. Zwei<br />

libanesische Kinder <strong>im</strong> Alter von zwei<br />

Wochen/acht Monaten müssen <strong>mit</strong> Rauchvergiftungen<br />

ins Krankenhaus.<br />

• Brandanschlag auf ein türkisches<br />

Restaurant in Hameln/Niedersachsen.<br />

Zehn Kinder von Asylbewerbern, die in<br />

den Stockwerken über der Gaststätte<br />

untergebracht waren, werden verletzt.<br />

Samstag/Sonntag, 24/25.10.<br />

• In Greifswald/Vorpommern greifen<br />

Rechtsradikale in der fünften Nacht in<br />

Folge das Wohnhe<strong>im</strong> für ausländische<br />

Studenten an.<br />

• Ebenfalls in Greifswald überfallen vermummte<br />

und zum Teil bewaff<strong>net</strong>e Täter<br />

einen vorwiegend von ausländischen Studenten<br />

besuchten Klub. Ein sechzehnjähriges<br />

Mädchen wird schwer verletzt.<br />

Mittwoch, 28.10.<br />

• In Frankfurt/Main sticht ein 52jähriger<br />

seinen 29 Jahre alten Nachbarn aus der<br />

Türkei nieder.<br />

Donnerstag, 29.10.<br />

• Brand in einer Asylbewerberunterkunft<br />

in Neckarstein/Kreis Bergstraße. Die Polizei<br />

schließt Brandstiftung nicht aus.<br />

Samstag, 31.10.<br />

• In Erlensee/Hessen schießt ein Unbekannter<br />

auf ein Hotel, in <strong>dem</strong> Asylbewerber<br />

leben.<br />

Sonntag, 1.11.<br />

• Brandanschlag auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Dolgenbrodt/Brandenburg. Das<br />

fertig eingerichtete He<strong>im</strong> brennt bis auf<br />

die Grundmauem ab.<br />

Donnerstag, 5.11.<br />

• In Wolgast/Vorpommern mißhandeln<br />

zwei Jugendliche einen 22 Jahre alten<br />

Südafrikaner schwer.<br />

Dienstag, 10.11.<br />

• Drei Marineoffiziere und ein Offiziersanwärter<br />

werfen eine Übungsgranate vor<br />

eine Flüchtlingsunterkunft in Kiel/Holtenau.<br />

Die Granate explodiert <strong>mit</strong> doppeltem<br />

Kanonenschlag und Lichtblitz. Sie wurden<br />

vom Dienst suspendiert.<br />

Donnerstag, 12.11.<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 8<br />

• Nach Angaben der Kripo Heppenhe<strong>im</strong><br />

und der Staatsanwaltschaft Darmstadt<br />

wurde der Brand in einem Asylbewerberwohnhe<strong>im</strong><br />

in Lamperthe<strong>im</strong> am 31.<br />

Januar 92, bei <strong>dem</strong> eine Familie aus Sri<br />

Lanka ums Leben gekommen war,<br />

durch fahrlässige Brandstiftung verursacht.<br />

Die Täter seien geständig, die Tat<br />

habe keinen politischen Hintergrund.<br />

Samstag, 14.11.<br />

• In Berlin-Hellersdorf versuchen drei<br />

Rechtsradikale <strong>mit</strong> vorgehaltener Pistole,<br />

einen 38jährigen zur Erwiderung des Hitlergrußes<br />

zu zwingen. Der Mann wird<br />

schwer mißhandelt.<br />

Freitag, 20.11.<br />

• Brandanschlag auf ein Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

in Kassel, drei Bewohner erleiden<br />

Rauchvergiftungen.<br />

Dienstag, 24.11.<br />

• Im lippischen Bad Salzuflen wird ein 49<br />

Jahre alter Türke von etwa zehn maskierten<br />

Männern zusammengeschlagen.<br />

Mittwoch, 25.11.<br />

• Die Außenfassade eines noch nicht<br />

bezogenen Neubaus für Asylbewerber<br />

in Erzhausen wird <strong>mit</strong> Benzin übergossen<br />

und angezündet.<br />

Sonntag, 29.11.<br />

• In Marktredwitz/Oberfranken wird ein<br />

junger Türke von einem 38jährigen Deutschen<br />

<strong>mit</strong> einem Messer verletzt.<br />

• In Northe<strong>im</strong>/Niedersachsen verletzen<br />

drei Skinheads zwei Männer schwer.<br />

Montag, 30.11.<br />

• In Butzbach/Hessen randalieren mehrere<br />

angetrunkene Jugendliche vor einer Asylbewerberunterkunft.<br />

Donnerstag, 3.12.<br />

• In Leipzig werden zwei rumänische<br />

Asylbewerber von zehn bis fünfzehn<br />

Skinheads zusammengeschlagen.<br />

• Ein halbes Jahr nach seiner öffentlichen<br />

Drohung, „ein <strong>Blut</strong>bad unter Ausländern“<br />

anzurichten, wurde der Dresdner Stadtkämmerer<br />

Günther Rühlemann aus seinem<br />

Amt entlassen.<br />

Samstag, 5.12.<br />

• Brandanschläge in Urberach auf zwei<br />

überwiegend von Ausländern bewohnte<br />

Mehrfamilienhäuser.<br />

Samstag/Sonntag, 5./6.12.<br />

• Brand in einem zum Teil von Asylbewerbern<br />

bewohnten Hochhaus in Sindelfingen/Baden-Württemberg.<br />

Vier Personen<br />

werden verletzt.<br />

Dienstag, 8.12.<br />

• Drei unbekannte junge Männer überfallen<br />

in Bamberg eine indische Studentin<br />

auf offener Straße, mißhandeln und berauben<br />

sie.<br />

• In Treuchtlingen überfallen rechtsradikale<br />

Jugendliche einen 37jährigen Syrer<br />

in seiner Wohnung. Sie schlagen ihn<br />

bewußtlos und fesseln ihn an die Heizung.<br />

Samstag, 12.12.<br />

• In Wiesbaden überfallen fünf oder sechs<br />

Unbekannte einen 35jährigen Türken, rauben<br />

ihm seine Brieftasche, mißhandeln<br />

ihn und übergießen ihn <strong>mit</strong> Benzin, das sie<br />

nicht anzünden.<br />

Montag, 14.12.<br />

• Wie die Polizei in Postdam <strong>mit</strong>teilt, wurde<br />

ein Mann festgenommen, der in Schulzendorf<br />

bei Königs-Wusterhausen eine<br />

Kurdin besch<strong>im</strong>pft und vorsätzlich <strong>mit</strong><br />

seinem Auto angefahren hatte.<br />

Donnerstag, 17.12.<br />

• Eine junge Griechin wird in Düsseldorf<br />

<strong>im</strong> Stadtpark von drei Rechtsradikalen<br />

angegriffen, die ihr <strong>mit</strong> einem Messer ein<br />

Hakenkreuz in die Stirn ritzen.<br />

Freitag, 25.12.<br />

• Brand in einem Asylbewerberhe<strong>im</strong> in<br />

Essen. Das Feuer kann gelöscht werden.<br />

Sonntag, 27.12.<br />

• In Frankfurt/Main wird ein 28jähriger<br />

Straßenbahnfahrer von zwei Skinheads<br />

schwer mißhandelt, weil er zwei Türken<br />

freundlich Auskunft gegeben hatte. Er<br />

wird <strong>mit</strong> einer schweren Rückgratverletzung<br />

und Lähmungserscheinungen in die<br />

Uni-Klinik gebracht.<br />

Dienstag, 29.12.<br />

• Im Stadtteil Niedereschbach in Frankfurt/Main<br />

überfällt ein 23jähriger<br />

Skinhead ein Ehepaar in der Wohnung.<br />

Beide werden verletzt. Nachbarn hörten<br />

die Hilferufe der beiden und können den<br />

Skinhead überwältigen und der Polizei<br />

übergeben.<br />

Donnerstag/Freitag, 31.12.92/1.1.93<br />

• In Kaiserslautern werden bei einer Massenschlägerei<br />

zwischen 50 Rockern und<br />

Skinheads zehn Menschen verletzt, davon<br />

einige schwer.<br />

Mehr als 7.000 zum Teil übereinst<strong>im</strong>mender<br />

Straftaten der Rechten hat der<br />

Verfassungsschutz er<strong>mit</strong>telt, jedoch nicht<br />

<strong>im</strong> einzelnen publiziert. Diese und weitere<br />

etwa <strong>dem</strong> Fünffachen entsprechenden<br />

Anschläge entstammen der freien Presse.<br />

Die vollständigen Listen können bei der<br />

ZD eingesehen werden.


Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 9<br />

Das Ende der UNO<br />

und ihrer Ziele<br />

Sie sollte eher gegen deutsche Rüstungskonzerne losschlagen<br />

als gegen irakischen Flüchtlinge<br />

Bei der laufenden Sitzungsperiode der<br />

UNO-Vollversammlung steht unter<br />

anderem eine tiefgreifende Strukturreform<br />

auf der Tagesordnung. Unter den Schwindeletiketten<br />

„Demokratisierung“ und „Entprivilegierung“<br />

beschreibt eine krude Koalition<br />

unter Führung der ehemaligen Achsenmächte<br />

nichts weniger als die inhaltliche<br />

Zerstörung der Weltorganisation. Wie<br />

schon einmal 1926 erhebt Deutschland die<br />

Forderung nach einer Sonderbehandlung<br />

und zeigt da<strong>mit</strong> überdeutlich, daß der ethische<br />

Anspruch einer Organisation, die <strong>dem</strong><br />

Frieden unter den Völkern dienen sollte, zu<br />

einem politischen Geschäft wird, zu einem<br />

Poker um Mitsprache, um Weltmacht.<br />

Gegen Atomwaffensperrvertrag<br />

Klaus Kinkels schwäbisches Englisch ist<br />

<strong>im</strong>mer für eine Lachnummer gut. So wird<br />

es auch am 8. Juli dieses Jahres gewesen<br />

sein, als er be<strong>im</strong> G7-Gipfel in Tokio zusammen<br />

<strong>mit</strong> seinem japanischen Amtskollegen<br />

vor die Presse trat und <strong>mit</strong> der Erklärung<br />

aufwartete, „Tschöhrmäny änd Tschäpähn“<br />

strebten als ständige Mitglieder in den<br />

Weltsicherheitsrat der UNO und wollten<br />

künftig ihre diesbezüglichen Bemühungen<br />

koordinieren.<br />

Das Lachen wird der versammelten Weltprominenz<br />

aber schnell vergangen sein: Am<br />

gleichen Tag brachte Kinkels neuer Bundesgenosse<br />

die G7-Resolution zur Verlängerung<br />

des Atomwaffensperrvertrages zu<br />

Fall. Japan sei dagegen, so Außenminister<br />

Muto, weil es sich einer atomaren Bedrohung<br />

durch Nordkorea gegenübersehe und<br />

weil eine „nationale Debatte“ zum Thema<br />

noch nicht abgeschlossen sei. Aus seinem<br />

Beraterstab hörte man Klagen, der Nichtverbreitungsvertrag<br />

sei „selbstsüchtig“ und<br />

„unfair“, denn er schreibe die Privilegien<br />

der Nachkriegsordnung auf ewig fest und<br />

nehme die ständigen Sicherheitsrats<strong>mit</strong>glieder<br />

USA, Frankreich, England, Rußland<br />

und China von der Verpflichtung zur atomaren<br />

Abrüstung aus. 1<br />

Macht durch pünktliche Schecks<br />

Ob Mutos Vorstoß <strong>mit</strong> Kinkel, wie vorher<br />

von beiden verkündet, abgesprochen wurde<br />

Die Deutschen begründen ihre UNO-<br />

Ambitionen jedenfalls weniger plump. Für<br />

die königlich-preußische Opposition jammerte<br />

ihr Sprecher Verheugen, die bisherigen<br />

EG-Sicherheitsrats<strong>mit</strong>glieder England<br />

und Frankreich seien leider nicht bereit, ihre<br />

Mandate als „EG-Mandate“ zu verstehen,<br />

will heißen: sich von Bonn dreinreden zu<br />

lassen. 2 Die Regierung betonte, man sei<br />

schließlich der drittgrößte Beitragszahler<br />

der Vereinten Nationen. 3 Mit diesem Köder<br />

und ähnlich süßen Argumenten – money<br />

makes the word go around – wurde in den<br />

letzten zwei Jahren eine Lobby für den<br />

deutschen Sitz <strong>im</strong> Sicherheitsrat zusammengekauft:<br />

Zunächst Ungarn, das schon<br />

seit langem am deutschen Tropf hängt<br />

(Januar 1992), 4 dann Generalsekretär<br />

Boutros-Ghali, der für seine ehrgeizigen<br />

UNO-Missionen auf die pünktlichen<br />

Schecks aus Frankfurt angewiesen ist<br />

(Februar 1992), 5 dann China, das Kinkel<br />

für seine Fürsprache noch etwas schuldete<br />

(September 1992); 6 Rußland war wegen<br />

seiner bekannten Abhängigkeit von deutschen<br />

Care-Paketen ohnehin kein Problem.<br />

Der Durchbruch kam <strong>mit</strong> einem zust<strong>im</strong>menden<br />

Brief von US-Präsident Clinton <strong>im</strong><br />

Juni 93. Frankreich und England äußerten<br />

zwar noch bis kurz vor <strong>dem</strong> Tokiogipfel<br />

Bedenken, 7 knickten dort aber ein, als Kinkel<br />

und Muto ihre Forderungen zum ersten<br />

Mal gemeinsam präsentierten. Vermutlich<br />

hatten die alten Achsenmächte <strong>mit</strong> Zuckerbrot<br />

und Peitsche gearbeitet: ein bißchen<br />

<strong>mit</strong> Atomwaffen und Handelskrieg winken,<br />

ein bißchen <strong>mit</strong> GATT-Vereinbarungen und<br />

GUS-Krediten locken – dann war die Sache<br />

<strong>im</strong> Kasten.<br />

„Nicht Mitarbeit <strong>im</strong><br />

Verein aller Nationen,<br />

sondern<br />

Mitbest<strong>im</strong>mung<br />

<strong>im</strong> Rat der Großen,<br />

das ist die deutsche<br />

Völkerbundsparole.<br />

Was ein Friedensfest<br />

sein könnte,<br />

wird zur Machtprobe <strong>mit</strong><br />

Paukenschlag und<br />

Trompetengeschmetter.“<br />

Carl v. Ossietzky 31.8.1926<br />

Ziel: Fall des Veto-Rechts<br />

Die Deutschen hat man entweder auf den<br />

Knien oder an der Gurgel – die Klugheit dieses<br />

Sprichwortes 8 sollte sich in den folgenden<br />

Wochen erweisen. Bis zum G7-Gipfel<br />

hatte die Bonner Diplomatie nämlich<br />

katzbuckelnd und devot agiert, jedenfalls in<br />

der Öffentlichkeit: „Ich will es nicht“, erklärte<br />

Kohl zu Beginn der Kampagne. „Wir wollen<br />

auf keinen Fall die Initiative ergreifen“,<br />

balzte Kinkel letzten Herbst vor der UNO-<br />

VV, und selbst <strong>im</strong> Juni säuselte der Kanzler<br />

noch fromm, man wolle nicht drängeln.<br />

Kaum waren die letzten Kritiker des deutschen<br />

Vorstoßes jedoch verstummt, sattelte<br />

die Bundesregierung drauf und verlangte<br />

ult<strong>im</strong>ativ, das deutsche Sicherheitsratsmandat<br />

auch <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Veto-Recht auszustatten.<br />

Da<strong>mit</strong> könnte die BRD unliebsame<br />

Beschlüsse, z.B. Sanktionen gegen ihr Ziehkind<br />

Kroatien, auch aus einer krassen Minderheitenposition<br />

heraus zu Fall bringen.<br />

Eigentlich gehen die Bonner Pläne aber<br />

noch weiter: 9 Das Veto-Recht soll generell<br />

abgeschafft werden, die „Privilegierung“<br />

der fünf „alten“ Weltmächte <strong>im</strong> Sicherheitsrat<br />

wäre da<strong>mit</strong> zu Ende, und seine künftig<br />

21 Mitglieder könnten <strong>mit</strong> einfacher Mehrheit<br />

über Blockaden und Embargos, Peace-<br />

Keeping und Peace-Making entscheiden.<br />

Man muß kein Freund der <strong>dem</strong>okratisch<strong>im</strong>perialistischen<br />

Staaten sein, um angesichts<br />

der Vorstellung zu erbleichen, daß<br />

sich der UNO-Sicherheitsrat dann in eine<br />

Spielwiese von Gorilla- und Mufti-Diktaturen<br />

verwandeln würde: UNO-Militärschlag<br />

unter Führung der Türkei gegen Jugoslawien<br />

Operation Wüstensturm unter Führung<br />

des Iran gegen Israel Nichts wäre unmöglich.<br />

Deutschland selbst hätte von diesen<br />

Gangstermehrheiten nichts zu befürchten:<br />

Im Vergleich zu den klassischen Kolonial-<br />

staaten hat sich die BRD <strong>im</strong> Trikont nur<br />

wenig unbeliebt gemacht, ihr völkisch-antiwestlicher<br />

Nationalismus ist <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> in der<br />

arabischen Welt und in Osteuropa weitgehend<br />

identisch, und angesichts der Liquidität<br />

von Bundesbank und Großkonzernen<br />

müßten aufmüpfige Despoten nicht<br />

bekriegt werden, sondern man könnte sie<br />

einkaufen.<br />

Gegen deutschen Militarismus<br />

Auch ohne dieses worst-case-Szenario<br />

bedeutet der Einzug Deutschlands und<br />

Japans in den Sicherheitsrat das Ende der<br />

UNO. Unter gleichem Label wird künftig<br />

eine Organisation arbeiten, die von den Zielen<br />

und Idealen ihrer Gründerväter weiter<br />

weg ist als die SPD von denen Karl Marx’.<br />

Roosevelt, Churchill und Stalin hatten am<br />

1. Januar 1942 <strong>mit</strong> 23 weiteren Staatschefs<br />

die „Erklärung der Vereinten Nationen“ verabschiedet,<br />

die das Ziel der „endgültigen<br />

Zerstörung der Nazityrannei“ über den<br />

2. Weltkrieg hinaus proklamierte. Die Jalta-<br />

Deklaration der „Großen Drei“ präzisierte<br />

dann, was <strong>mit</strong> „endgültig“ gemeint war: „Es<br />

ist unser unbeugsamer Wille, den deutschen<br />

Militarismus und Nationalismus zu<br />

zerstören und dafür Sorge zu tragen, daß<br />

Deutschland nie wieder <strong>im</strong>stande ist, den<br />

Weltfrieden zu stören. Wir sind entschlossen,<br />

alle deutschen Streitkräfte zu entwaffnen<br />

und aufzulösen; den deutschen Generalstab,<br />

der wiederholt die Aufrichtung des<br />

deutschen Militarismus zuwege gebracht<br />

hat, für alle Zeiten zerschlagen.“ Nie wieder…<br />

für alle Zeiten… In der UNO-Charta<br />

materialisierte sich dieser Antifaschismus<br />

in der sogenannten „Feindstaaten-Klausel“,<br />

wonach kriegerische Maßnahmen gegen<br />

die früheren Achsenmächte auch ohne<br />

UNO-Beschluß jederzeit möglich sind.<br />

Wende zum Schlechten<br />

Man kann sich darüber streiten, ab wann<br />

das nur noch leere Versprechungen waren.<br />

Mit <strong>dem</strong> Tod von Roosevelt und der Entmachtung<br />

der Morgenthau-Boys Mit der<br />

neu erstarkten Wirtschaftsmacht BRD und<br />

ihrer Mitgliedschaft in der NATO Mit der<br />

Wahl von Kurt Waldhe<strong>im</strong> zum Generalsekretär,<br />

ohne daß dessen Nazivergangenheit<br />

überprüft worden war Andererseits<br />

wurden die beiden deutschen Staaten erst<br />

1973 in die UNO aufgenommen und hatten<br />

dort während des Kalten Krieges kaum<br />

etwas zu melden.<br />

Wahrscheinlich brachte erst der Golfkrieg<br />

die Entscheidung zum schlechten. Amos Oz<br />

berichtet von kritischen St<strong>im</strong>men aus der<br />

israelischen Friedensbewegung, die UNO-<br />

Militärmaschine hätte eher gegen die deutschen<br />

Rüstungskonzerne losschlagen sollen<br />

als gegen ihre irakischen Filialen. Eine<br />

berechtigte Kritik, schließlich waren es die<br />

in die BRD hinübergeretteten Nazi-Trusts,<br />

die Saddams Vernichtungsphantasien<br />

gegen Israel überhaupt erst zu einer reellen<br />

Gefahr gemacht hatten. Wann wäre die<br />

Anwendung der Feindstaaten-Klausel verständlicher<br />

gewesen als gerade in jenen<br />

Wochen, als deutsche Experten daran<br />

arbeiteten, Jerusalem und Tel Aviv durch<br />

die Germanisierung von Scud-Raketen in<br />

die Reichweite von deutschem Giftgas zu<br />

bringen Stattdessen begann <strong>mit</strong> scheinheiliger<br />

Unterstützung durch die BRD ein<br />

Ersatzkrieg – und deswegen war jener<br />

16. Januar 1991 der point of no return für<br />

die UNO, der Anfang vom Ende.<br />

Jürgen Elsässer<br />

Von Jürgen Elsässer ist 1992 das Buch „Antise<strong>mit</strong>ismus<br />

– das alte Gesicht des neuen Deutschland“<br />

erschienen (Dietz Verlag Berlin). – Der Artikel ist eine<br />

aktualisierte Fassung des Autoren von einem Artikel<br />

für „Konkret“<br />

1) Uwe Sch<strong>mit</strong>t, Spekulationen in Japan über eine<br />

„nukleare Option des Landes, in: FAZ, 14.7.1993,<br />

2) lt. Welt, 24.9.1992, 3) lt. FAZ, 5.8.1992,<br />

4) lt. SPIEGEL 7/92, 5) lt. SPIEGEL 7/92,<br />

6) lt. Welt, 24.9.1993, 7) lt. SZ, 12./13.6.1993,<br />

8) von Churchill, 9)lt. SPIEGEL 28/1993<br />

„Seppl bleibt“ – Seppl<br />

it <strong>dem</strong> 5. Programm setzt Kabba-<br />

konsequent den Weg fort, den<br />

„Mratz<br />

es in den vergangenen Programmen auch<br />

nicht gefunden hat.“ Diese wuchtige Aussage<br />

aus <strong>dem</strong> Info-Blatt der Darmstädter<br />

Kabarettgruppe „Kabbaratz“ zu ihrem neuen<br />

Programm „Seppl bleibt“ trifft – ohne<br />

die vorhergehenden Programmen mindern<br />

zu wollen – zumindest bezüglich der aktuellen<br />

Produktion den Nagel auf den Kopf. Es<br />

war schon eine wilde Mischung, die <strong>dem</strong><br />

Publikum <strong>im</strong> gut halbvollen Saal der Bessunger<br />

Knabenschule geboten wurde. Manfred<br />

Fleck und Fritz Zurek versuchten sich<br />

zu Beginn als große hessische Lausbuben,<br />

die in dumpfer deutscher Normalität und<br />

<strong>mit</strong> der Bierflasche fest in der Hand mal<br />

eben einen polnischen Bus abfackeln. Mehr<br />

als schade, schon fast gefährlich, daß hier<br />

entschieden zu dick aufgetragen wurde.<br />

Wie man diese Art Typen vorführt, hat Gerhard<br />

Polt in seiner Schäferhunde-Nummer<br />

beklemmend klargemacht. Bei Polt eine<br />

Gänsehaut, bei Kabbaratz eine halbe Lachnummer<br />

über einen <strong>mit</strong>tlerweile massenhaft<br />

verbreiteten, äußerst gefährlichen<br />

Typus des „braven“ Mitbürgers. Dafür dann<br />

ziemlich schnell eine enge Kurve in Richtung<br />

exper<strong>im</strong>entelles Theater, maßgeblich<br />

von Evelyn Wendler getragen. Meine<br />

Begleitern, eigentlich sehr helle, blickte<br />

mich danach verunsichert an. Erst als ich<br />

bestätigte, ich hätte auch nichts verstanden,<br />

war ihre Welt wieder in Ordnung. Und<br />

das war eigentlich schade, war es doch –<br />

<strong>mit</strong> einer Ausnahme – der einzige Block, der<br />

nicht an Aufführungen anderer Kabarettisten<br />

gemahnte. Die ellenlange Telefontour<br />

des verlassenen Liebhabers, als runnig gag<br />

gnadenlos durchgezogen, war zu Beginn<br />

für jüngere Besucher best<strong>im</strong>mt sehr lustig,<br />

vielleicht sogar in der Mitte noch. Aber den<br />

scheiternden Selbstmordversuch (natürlich<br />

vor den laufenden Kameras eines namhaften<br />

privaten TV-Senders) gegen Ende konnte<br />

man nun be<strong>im</strong> besten Willen nicht mehr<br />

verkraften; hier wurde es schlicht peinlich.<br />

Älteren Besuchern dürfte <strong>mit</strong> Sicherheit<br />

Konstantin Weckers Stück „Meine Frau<br />

wollte heute ausgehen“ eingefallen sein, in<br />

<strong>dem</strong> das Thema männliche Eitelkeit zu kurz,<br />

knapp und äußerst prägnant abgehandelt<br />

wurde.<br />

Wunderschön dagegen das Stück von Evelyn<br />

Wendler und Peter Hoffmann als Therapiegenießer<br />

neuen Typs, die voller Naivität<br />

die tiefste Seele der Vollwertgeneration<br />

nach außen kramten. „Du gute Frau Du,<br />

wenn Du mal nicht mehr bist, dann tu ich<br />

Dich in den gelben Sack.“ Gott als der große<br />

Recycler, und die sanft therapierten Jünger<br />

genießen die herrlichen Farben der sterbenden<br />

Wälder – präzise auf den Punkt<br />

gebracht.<br />

Überhaupt: Auf Kabbaratz dürfte eine<br />

mathematische Banalität zutreffen. Daß<br />

nämlich zwei mal zwei vier ergibt und nicht<br />

eins. Denn die Gruppe gibt eher das Bild<br />

zweier <strong>mit</strong>einander lose verbandelter<br />

Grüppchen ab denn das der Homogenität.<br />

Und da offensichtlich jede Untergruppe ihre<br />

Vorlieben auf der Bühne ausspielen will,<br />

sind Längen kaum zu vermeiden. Schade,<br />

scheint doch das private schauspielerische<br />

Potential jedes einzelnen Mitglieds gut bis<br />

sehr gut. Peter Hoffmann z. B. würde <strong>mit</strong><br />

Sicherheit einen hervorragenden und witzigen<br />

Moderator abgeben. Aber zusammen<br />

wird’s halt nicht besser, sondern schlechter.<br />

Mein Tip: entschieden straffen, das<br />

Ganze.<br />

Peter Edelmann<br />

Kleine Zeitschrift<br />

<strong>mit</strong> großem Anspruch<br />

„estonia“: neues Blatt für estnische Literatur und Kultur<br />

Es gibt sie noch: Verleger, die ihren<br />

Betrieb nicht wie eine Kaufhauskette<br />

führen, sondern den Verlag als Anstalt für<br />

Bildung und mei<strong>net</strong>halben sittliche Erbauung<br />

verstehen. dipa in Frankfurt am Main<br />

gehört dazu: dort haben kleine Literaturen<br />

der Welt ihren Platz. Man kann da<strong>mit</strong> Dank<br />

und Anerkennung, vor allem in den Herkunftsländern,<br />

ernten; die Umsätze werden<br />

sich wohl in Grenzen halten.<br />

Ein neues Projekt des Verlags heißt „estonia<br />

– Zeitschrift für estnische Literatur und<br />

Kultur“; die zweite Nummer ist gerade<br />

erschienen. Die Redaktion besteht aus einer<br />

Ostberliner und einer holländischen Übersetzerin<br />

sowie einem Göttinger Finnougristen<br />

(Fachmann oder -frau für finnougrische<br />

Sprachen, deren Sprecher heute auf<br />

der finnischen Halbinsel, <strong>dem</strong> nordwestlichen<br />

Sibirien und der ungarischen Steppe<br />

behe<strong>im</strong>atet sind, red.). So erscheint die 60<br />

Seiten starke Halbjahresschrift überwiegend<br />

in deutscher Sprache. Als Estland<br />

noch Sowjetestland hieß, gab es bereits ein<br />

Blättchen gleichen Namens, von Hamburg<br />

und Helsinki aus redigiert. Damals enthielt<br />

es Texte in estnisch, finnisch, deutsch und<br />

englisch zu etwa gleichen Teilen.<br />

Für die der Landessprache kundigen Estland-Fans<br />

– und deren gibt es <strong>im</strong>mer noch<br />

und schon wieder einige in Deutschland;<br />

die alten baltischen Wurzeln kräftigen sich<br />

nach und nach – besteht jetzt natürlich die<br />

Möglichkeit, estnische Periodika zu beziehen;<br />

sich aus erster Hand über neue Kunst<br />

und Literatur zu unterrichten. „estonia“<br />

aber könnte Bindeglied zu Mitteleuropa und<br />

dessen Verkehrssprache Deutsch werden:<br />

neue literarische Texte, kundig übersetzt,<br />

übergreifende Essays zur baltischen<br />

Geschichte, Buchkritiken, Informationen<br />

und Nachbetrachtungen über estnische<br />

Kulturveranstaltungen in Deutschland.<br />

Heft 1/93 bietet von all <strong>dem</strong> etwas. Der<br />

Schauspieler Juhan Viiding bringt eine persönliche<br />

Betrachtung über das – ehemals<br />

deutsche – Tallinner Schauspielhaus, der<br />

PEN-Sekretär Mati Sirkel schreibt in einem<br />

tiefgründigen Vortrag über die gegenwärtige<br />

Normalisierung des Stellenwerts, den<br />

Literatur zu Sowjetzeiten hatte – vergleichbar<br />

<strong>mit</strong> der Situation in der DDR. Die Lyrikerin<br />

Debora Vaarandi stellt sich <strong>mit</strong> Gedichten<br />

auf estnisch und deutsch vor; zu Recht<br />

ziemlich kritisch werden deutsche Bildbände<br />

über Estland betrachtet. Romanen von<br />

Mati Unt und Viivi Luik gelten freundliche<br />

Besprechungen. Schließlich werden Veranstaltungen<br />

<strong>im</strong> Literarischen Colloquium<br />

Berlin in Hamburg und Bielefeld gewürdigt<br />

bzw. angekündigt.<br />

Die Mittellage des Heftes zwischen literarhistorischer<br />

Schrift und Vereinszeitung<br />

mag den Erstleser befremden – für zwei<br />

Zeitschriften wäre jedoch vermutlich weder<br />

der Markt, noch die verlegerische Kraft vorhanden.<br />

Wir sollten froh sein, daß es diese<br />

eine „estonia“ gibt.<br />

Redakteurin Marianne Vogel zitiert in einem<br />

Beitrag über die Situation der Literaturkritik<br />

und deren Podien: „Es wird in Estland einfach<br />

nicht genug gutes Material produziert,<br />

und wer wird sich auf die Dauer die teuren<br />

Zeitschriften leisten können“ Eine Frage,<br />

die sich für „estonia“ und deren Frankfurter<br />

Verlag hoffentlich nicht stellt. Es wäre doch<br />

gelacht, wenn das jetzt vereinte Deutschland<br />

weniger Interesse an seinem kleinen<br />

nördlichen Nachbarn hätte als früher jeder<br />

Landesteil für sich genommen. Doch es<br />

gibt eine Erbkrankheit großer Mächte: man<br />

interessiert sich <strong>im</strong>mer viel weniger fürs<br />

Fremde als fürs Eigenleben.<br />

Matthias Biskupek<br />

INTERNAT. TAPETEN<br />

DARMSTADT<br />

ROSSD–RFER PLATZ


FEUILLETON I<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 10<br />

„Das erfindet bei uns keiner,<br />

das gibt’s<br />

Ein Gang über die<br />

Frankfurter<br />

Buchmesse<br />

<strong>mit</strong> Gerhard Zwerenz<br />

Nach mehrjähriger Abwesenheit von der<br />

Buchmesse wird ein Besuch zur Reise<br />

in ein unbekanntes Land. Wo früher eine<br />

Straße langführte, stehen Paläste aus Glas<br />

und Beton, es gibt Treppen, Überführungen,<br />

labyrinthische Keller und gänzlich neue verkehrslose<br />

Straßen, deren Sinn <strong>im</strong> Dunkeln<br />

bleibt. Immerhin findet, wer aufpaßt wie ein<br />

Luchs, sein gesuchtes Ziel, wenn auch über<br />

lange Korridore <strong>mit</strong> rollenden Laufstegen,<br />

Rolltreppen, Kehren – und endlich die seit<br />

Jahrzehnten vertraute Luft der Hallen, ein<br />

Gemisch von Staub, Schweiß, Wärme und<br />

vergeblicher Kl<strong>im</strong>atisierung <strong>mit</strong> Frischluftzufuhr<br />

von draußen, wo sie längst schon verbraucht<br />

an<strong>kommt</strong>. Die gute schlechte Stadtluft.<br />

Die Buchmesse besteht aus Büchern<br />

und Menschen, die davon zu leben beabsichtigen.<br />

Soweit es ihnen gelingt, sind sie Händler<br />

und sehen von Jahr zu Jahr stattlicher aus<br />

in ihren korrekten Anzügen von Boss und<br />

Kostümen von Jil Sander. Die weniger<br />

Erfolgreichen sind an ihren weniger erfolgreichen<br />

Gesichtern kenntlich. Jede Buchmesse<br />

versammelt so viele Pleitegeier wie<br />

die Autoindustrie erst neuerdings in der Krise.<br />

In der Bücherwelt herrscht <strong>im</strong>mer Krise,<br />

wovon die einen gut leben und die anderen<br />

es versuchen, in<strong>dem</strong> sie aus der gerade<br />

erreichten unteren Ebene des fortschreitenden<br />

Niedergangs eine Kulturkrise machen.<br />

Seit Spengler den Untergang<br />

des Abendlandes konstatierte,<br />

folgt gehorsam eine Krise der<br />

anderen, und auf der Frankfurter<br />

Buchmesse 1993 wurde der<br />

Rekordtiefpunkt erreicht,<br />

das heißt, es gibt viele Pleiten,<br />

doch die Geschäfte florieren.<br />

So steht’s in der Zeitung, die trotz sinkender<br />

Auflage auch bestens floriert, und wer was<br />

anderes behauptet, kann wegen Geschäftsschädigung<br />

angeklagt und verurteilt werden.<br />

Bilanzen nämlich werden nicht mehr<br />

gefälscht, höchstens frisiert, was ihnen die<br />

schönste Lockenpracht verleihen kann, und<br />

nur der Dumme steht plötzlich <strong>mit</strong> Glatze da.<br />

Tatsächlich blühen manche Sparten. Das<br />

Sachbuch geht gut, Religiöses und Antireligiöses,<br />

Astrologie und Technik, Ratgeber,<br />

Reise- wie Kochbücher finden reißenden<br />

Absatz. Bleibt die Belletristik, voran der<br />

Roman, das ewig kranke Kind, denn der<br />

deutsche Roman bleibt in der Entwicklung<br />

deutlich zurück, da klagen die Verleger und<br />

das Feuilleton wundert sich. Kritiker, die jahrelang<br />

junge Autoren, die inzwischen das<br />

Halbjahrhundert erreichten, zu überlebensgroßen<br />

Genies aufbliesen und kraft ihres<br />

Platzes in auflagenstarken Zeitungen den<br />

Leser von Enttäuschung zu Enttäuschung<br />

trieben, weil die heißempfohlenen Meisterwerke<br />

sich als dünnblütige, langweilige Konstrukte<br />

erwiesen, Werke der Leser-<br />

Abschreckung, diese tüchtigen Kritiker also<br />

läuteten diesmal die Buchmesse nicht <strong>mit</strong><br />

<strong>dem</strong> gewohnten Feiertagsgedröhn ein, nein,<br />

sie läuteten eher das Sterbeglöcklein.<br />

Es war als würde der<br />

deutsche Roman nun endgültig<br />

totgesagt und begraben.<br />

Der Generalfeuilletonist, der das in der einen<br />

Zeitung klugsinnig <strong>mit</strong> niedlichen Zitaten von<br />

Adorno bis Walter Benjamin konstatierte,<br />

warnte zum bösen Ende die deutschen Autoren<br />

davor, nun etwa unreflektiert einfach ins<br />

volle Leben greifend loszuerzählen, dies sei<br />

die falsche Schlußfolgerung aus <strong>dem</strong> Desaster.<br />

Und so werden die folgsamen Dichter,<br />

die so gern die Kritiken, die sie erhalten, zum<br />

ästhetischen Gerüst ihres nächsten Romans<br />

machen, so wie Fassbinder einmal von<br />

einem neuen Alexander-Kluge-Werk behauptete,<br />

der habe die Kritiken seines letzten<br />

Films verfilmt, so werden unsere deutschen<br />

Autoren also weiter Bücher ohne Publikum<br />

und nur zum Vorlesen und fürs Feuilleton<br />

produzieren, was aber gelesen wird, <strong>kommt</strong><br />

aus den beiden Amerika. Als Beweis wurde<br />

am Messedonnerstag bekannt, den Nobelpreis<br />

für Literatur habe Toni Morrison erhalten,<br />

eine bei uns weithin unbekannte und bisher<br />

kaum geschätzte Autorin aus Amerika,<br />

die fortan nicht unbekannt bleiben wird,<br />

denn ihre Bücher bei Rowohlt müßten künftig<br />

vom Leser verschlungen werden, auch<br />

wenn die Kritik nicht sonderlich erfreut reagieren<br />

dürfte, handelt es sich doch weniger<br />

um avantgardistische oder zumindest ästhetisch<br />

hochstehende Prosa – nein – hier<br />

schreibt eine schwarze Amerikanerin <strong>mit</strong> der<br />

Erfahrung doppelter Unterdrückung.<br />

Ihre Literatur ist geradezu klassisch zu nennen,<br />

es wird erzählt wie <strong>im</strong>mer erzählt worden<br />

ist, von Menschen für Menschen, mag<br />

sein, unsere Literaturkritik wird das Toni<br />

Morrison verzeihen, zumal sie eine Farbige<br />

ist und in den Augen der hohen Herrschaften<br />

einen gewissen Nachholbedarf hat.<br />

Schließlich darf sich<br />

unser J.M. S<strong>im</strong>mel<br />

nach vier Jahrzehnten<br />

feuilletonistischer Verachtung<br />

neuerdings sogar<br />

<strong>im</strong> Lichte edler Rezensenten-<br />

Anerkennung sonnen,<br />

und er ist doch gar keine<br />

schwarze Frau aus den USA.<br />

Kommt Zeit, bleibt Erfolg, <strong>kommt</strong> Anerkennung.<br />

Allerdings kam am Buchmessendonnerstag<br />

auch ein klassisch-realistischer<br />

deutscher Roman heraus, der für Aufsehen<br />

sorgt. Die Story geht so: Der tüchtige Nazijurist<br />

Dr. Maunz bringt es in der Bundesrepublik<br />

schnell wieder zu Ansehen und Ehren<br />

und wird bayerischer Kultusminister, welches<br />

Amt er aufgibt, weil seine Vergangenheit<br />

<strong>im</strong> Dritten Reich ein wenig bekannt wird,<br />

was die ansonstige Karriere des hochangesehenen<br />

Staatsrechtlers nicht hemmt, dessen<br />

Grundgesetzkommentare ganzen Generationen<br />

von Jurastudenten zum Unterricht<br />

dienen.<br />

Warum auch nicht, der Mensch ist wandelbar,<br />

warum soll ein Nazijurist nicht zum<br />

hochrenommierten Staatsrechtler der Demokratie<br />

werden Nun läßt unser Romanautor<br />

seine Figur aber am 10. September 1993<br />

kurzerhand sterben, und daraufhin druckt<br />

der Dr. Frey, Vorsitzender der rechtsextremistischen<br />

Deutschen Volksunion, in seiner<br />

„National-Zeitung“ in Faks<strong>im</strong>ile auflagensteigernde<br />

handschriftliche Briefe des eben<br />

friedlich Verschiedenen an den Dr. Frey ab.<br />

Da hat der Prof. jur. Maunz über viele Jahre<br />

hinweg die rechtsextreme DVU juristisch<br />

beraten, ihren Vorsitzenden freundschaftlich<br />

begleitet und anonym Artikel für die „National-Zeitung“<br />

verfaßt. Es ist sonnenklar, daß<br />

dieser Roman weder viele Leser findet noch<br />

den Beifall der Kritik, die <strong>dem</strong> Autor a) politische<br />

Hetze und b) überschießende Phantasie<br />

attestiert, zumal der Schriftsteller zu allem<br />

Überfluß in bösartiger <strong>dem</strong>agogischer<br />

real“<br />

Absicht auch noch behauptet, der Rechtsprofessor<br />

und vormalige Bonner Verteidigungsminister<br />

Rupert Scholz habe den<br />

he<strong>im</strong>lich-unhe<strong>im</strong>lichen Rechtsextremismus<br />

seines verstorbenen Freundes Prof. Maunz<br />

<strong>im</strong> Fernsehen bagatellisiert. Soweit die<br />

Roman-Story, wobei die Story echt, der<br />

Roman aber nicht geschrieben worden ist,<br />

denn welcher deutsche Schriftsteller wagte<br />

sich schon an so ein Politikum heran, das ihn<br />

bei der Kritik Kopf und Kragen sowie Renommee<br />

kosten kann, ganz abgesehen davon,<br />

daß kein Verleger den billigen Agitprop<br />

drucken würde. Nein, das ist keine Literatur,<br />

sondern konkrete Tatsache, am Messedonnerstagabend<br />

vom Fernsehmagazin<br />

„Panorama“ herausgebracht.<br />

P<br />

eter Rühmkorf, so hoffe ich, wird eine<br />

Entschuldigung akzeptieren. Eine Entschuldigung<br />

deshalb, weil er vom Autor dieser<br />

Zeilen in der vergangenen Ausgabe unserer<br />

Zeitung als zu leicht befunden wurde, „den<br />

Büchner-Preis“ der Deutschen Aka<strong>dem</strong>ie für<br />

Sprache und Dichtung würdig und guten<br />

Gewissens entgegenzunehmen. Hat doch die<br />

Rede des Preisträgers gezeigt, daß dieser ohne<br />

Wenn und Aber, vor allem aber auch ohne<br />

Rücksicht auf den jeweils wehenden Zeitgeist<br />

für die Freiheit und die Brüderlichkeit eintritt.<br />

Die Vorgeschichte: Die Deutsche Aka<strong>dem</strong>ie<br />

für Sprache und Dichtung hatte, ohne über<br />

die jüngste und blamable Verleihung des<br />

Preises an den Kriegshetzer Biermann überhaupt<br />

nur zu reden, geschweige denn Selbstkritik<br />

zu üben, Peter Rühmkorf aufs Schild<br />

gehoben. Und Peter Rühmkorf als neuer<br />

Preisträger wurde in diesem unrühmlichen<br />

Zusammenhang hart beurteilt. Gewiß nicht<br />

In Deutschland zumindest<br />

schreibt das Leben die besten<br />

Romane. Die irrsten Dinge<br />

passieren tatsächlich,<br />

die Dichter lassen sich das<br />

nicht einmal träumen.<br />

Da stehen wir also wieder mal als die Blamierten<br />

da. Es sieht ganz so aus als trauten sich<br />

deutsche Schriftsteller nicht mehr etwas anderes<br />

als ihre individuellen Schwierigkeiten be<strong>im</strong><br />

Schreiben, Leben und Lieben bzw. Nichtlieben<br />

zu literarisieren.<br />

Wir wundern uns auch gar nicht mehr, wie es<br />

<strong>kommt</strong>, daß die rechtsextremistischen Blätter<br />

und Bücher des rechtsextremen DVU-Frey-<br />

zu hart, gewiß nicht ungerecht. Aber eben<br />

doch in diesem Zusammenhang.<br />

Die Verleihung: Peter Rühmkorf erwies sich<br />

in seiner Rede, und dies in je<strong>dem</strong> Moment,<br />

des Namensgebers dieses Preises würdig.<br />

Ohne ihn jetzt <strong>im</strong> einzelnen zitieren zu wollen,<br />

stellte er sich unprätentiös in die lange Reihe<br />

deutscher Demokraten, die nicht einmal int<strong>im</strong>e<br />

Feinde zum Scheitern brauchen, da sie ja<br />

allzu gute Freunde hatten. Seine Abhandlung<br />

für die 68er-Bewegung, die er als „Pate“ und<br />

nicht als Kind der „Revolution“ erlebte, hätte<br />

einige der damaligen Protagonisten verlegen<br />

machen können – wären sie nur dagewesen.<br />

Das war voller <strong>Blut</strong>, Leidenschaft und Feuer,<br />

als er die kurze, heftige, sehnsüchtige Liebe<br />

des Literaten zum neuen Aufbruch schilderte.<br />

Und es war wiederum voller Lebenskraft,<br />

als Rühmkorf die kläglichen Gründe des<br />

Scheiterns benannte. Als da wären: Die neuen<br />

Scheidewasser der baren Wahrheit, die<br />

Imperiums so prächtig gedeihen wie juristisch<br />

unbelangt bleiben.<br />

Das hatte ein tüchtiger Altnazijurist und Neu<strong>dem</strong>okrat<br />

sowie he<strong>im</strong>licher Neonazifreund<br />

sachkundig beigetragen. Natürlich dürfen wir<br />

auch keineswegs vermuten, dies sei nur die<br />

Spitze des braunen Eisbergs, der aus <strong>dem</strong><br />

Meer von Scheiße herausrage, nach<strong>dem</strong> DVU-<br />

Frey nach <strong>dem</strong> Tode seines juristischen Kameraden<br />

die beiderseitige Tarnung hohnlachend<br />

beiseite zog. Aber ja doch, der Fall des<br />

so alt – wie neunazistischen Staatsrechtlers<br />

Prof. Dr. Maunz ist genau so ein Einzelfall wie<br />

die Skinmörder es sind, die Kanzler Kohl<br />

mehrmals ausdrücklich Einzeltäter nannte.<br />

Diese deutsche Science-fiction-Ebene der Realität<br />

ist es offenbar, die verhindert, daß sowas<br />

Roman wird. Wer mag denn auch die häßliche<br />

Wirklichkeit in die Literatur hinein verdoppeln,<br />

wo bekanntlich das Wahre/ Schöne und Gute<br />

gezeigt werden soll. So steht nun der tote<br />

Prof. Maunz als Idealbild vor uns, <strong>mit</strong> Bonner<br />

Orden behängt, und der Dr. Frey lacht sich ins<br />

Fäustchen für die nächsten Wahlen.<br />

Der höchstangesehene Bonner Jurist nicht<br />

nur Altnazi, sondern offiziell Demokrat und<br />

he<strong>im</strong>lich Neonazifreund. Das erfindet bei uns<br />

keiner, das gibt’s real. Wie sagt der Volksmund:<br />

oben hui und unten pfui.<br />

Gerhard Zwerenz<br />

„Freidenker, Literat, Freund <strong>im</strong> Geist“<br />

Eine Entschuldigung an Büchnerpreisträger Peter Rühmkorf<br />

„Büchner-Preis an eine<br />

würdigere Institution abgeben“<br />

Heinrich Schirmbeck gegen Preisverleihung durch Aka<strong>dem</strong>ie<br />

I<br />

n der Ausgabe 23 der ZD vom 25.10.1991<br />

protestierte Heinrich Schirmbeck öffentlich<br />

gegen die Verleihung des Büchnerpreises<br />

an Wolf Biermann und forderte die Aka<strong>dem</strong>ie<br />

zur Selbstkritik auf. Biermann hatte in<br />

der „Zeit“ vom 1.2.91 publiziert: „Ich bin für<br />

diesen Krieg!“ Er meinte da<strong>mit</strong> den Golf-<br />

Krieg. Schirmbeck, ein engagierter Vorkämpfer<br />

für den Frieden und selbst Mitglied<br />

der Aka<strong>dem</strong>ie, führte damals den Nachweis,<br />

daß die USA <strong>im</strong> Verlaufe des Krieges gegen<br />

geltendes Völkerrecht verstoßen hatten.<br />

Trotz seines öffentlichen Protestes gegen die<br />

Preisverleihung an „Golfkriegs-Hetzer Biermann“<br />

hielt es die „Aka<strong>dem</strong>ie für Sprache<br />

und Dichtung“ bis heute nicht für erforderlich,<br />

auf die Kritik zu reagieren, weshalb er<br />

seinen Artikel in diesem Jahr nachdrucken<br />

und bei der Preisvergabe <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> u.a. Zusatz<br />

verteilen ließ. Ein Reprint von Schirmbecks<br />

Anklage kann bei <strong>dem</strong> Autoren angefordert<br />

werden.<br />

Der Herausgeber<br />

Warum dieses Flugblatt<br />

Die erneute Präsentation dieses Pamphlets<br />

gegen die Verleihung des „Büchnerpreises“<br />

an den Golfkriegs-Hetzer Wolf Biermann vor<br />

zwei Jahren ist kein Griff in die Mottenkiste,<br />

sondern ein notwendiger Akt, weil die<br />

„W<br />

ir verbreiten nur unsere Meinung in öffentlichem<br />

Raum, das kann doch wohl nicht verboten<br />

sein“ meinte einer von den jungen Leuten, die<br />

Schirmbecks Aufruf verteilten, als er von einem ca.<br />

Fünfzigjährigen <strong>mit</strong> Halbglatze angesprochen wurde.<br />

Er hatte sich nicht vorgestellt, aber er war es,<br />

Dr. Gerhard Dette, Generalsekretär der Aka<strong>dem</strong>ie für<br />

Sprache und Dichtung. Dette war <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Verteilen (wie<br />

könnte es anders sein) nicht einverstanden und antwortete<br />

<strong>dem</strong> Verteiler: „Aber nicht hier <strong>im</strong> Theater. Wir werden<br />

Herrn Schirmbeck das <strong>mit</strong>teilen.“ Dann entdeckte er<br />

unseren Fotografen, setzte schnell ein freundliches<br />

Presselächeln auf und ging eiligen Schritts davon.<br />

Schauplatz: Foyer des Staatstheaters am 16.10.93.<br />

Heiner Schäfer<br />

„Deutsche Aka<strong>dem</strong>ie für Sprache und Dichtung“<br />

bisher <strong>mit</strong> keinem einzigen Wort auf<br />

diese fundamentale und bis ins letzte Detail<br />

begründete Kritik ihrer damalgien Handlungsweise<br />

reagiert hat.<br />

Das ist entweder eine arrogant-schnoddrige<br />

Geste der Mißachtung des Verfassers, der<br />

als langjähriges Mitglied (seit 1962) seine<br />

Kritik aus Verantwortungsgefühl für die<br />

Reinhaltung der Integrität dieser Aka<strong>dem</strong>ie<br />

und ihrer Aufgaben vorbrachte, oder ein<br />

stummes Eingeständnis ihrer schwerwiegenden<br />

Verfehlung, die ans Mark ihrer Substanz<br />

greift. Im letzteren Falle sollte die Aka<strong>dem</strong>ie<br />

ehrlicherweise die Konsequenz aus<br />

diesem Verstoß gegen die ethischen Normen<br />

ihrer Best<strong>im</strong>mung und Funktion ziehen und<br />

die Verleihung des Büchnerpreises für die<br />

Zukunft an eine dieser Aufgabe würdigere<br />

und unbescholtenere Institution abgeben.<br />

An <strong>dem</strong> Geist Georg Büchners, <strong>mit</strong> dessen<br />

Namen sie ihren Preis schmückt, hat sie sich<br />

schwer versündigt. Ein Akt der Buße täte ihr<br />

gut und läge <strong>im</strong> Interesse der nationalen und<br />

internationalen Bewertung des deutschen<br />

Kulturlebens, das alles tun sollte, um die<br />

letzteren Narben einer zwielichtigen Vergangenheit<br />

loszuwerden.<br />

Heinrich Schirmbeck (Aka<strong>dem</strong>ie Mitglied),<br />

Park Rosenhöhe 13, Darmstadt<br />

schnell, in nahezu beliebiger Anzahl und je<br />

nach Geschmack und Gusto alsbald wohlfeil<br />

erhältlich, den erhofften Aufbruch gründlich<br />

wieder in die Nähe jener Scheiterhaufen<br />

drängten, die zu bekämpfen sie einst angetreten<br />

waren. „Die Revolution fraß ihre<br />

Paten, bevor sie ihre Kinder fraß“.<br />

Als „linker Patriot“, der kurz vor der Neuvereinigung<br />

<strong>mit</strong> seinem „Lyrik- und Jazzprogramm“<br />

durch die „ehemalige Ex-DDR“<br />

(Gert Köster) tourte und nicht müde ward zu<br />

erklären, daß ihm „bei uns“ die Gleichheit<br />

und „bei ihnen“ die Freiheit fehlte, war sein<br />

Lagebericht zur Einheit wohl erwartbar, mindestens<br />

aber erhoffbar. Er enttäuschte nicht.<br />

Erwartbar allerdings nicht in dieser Länge,<br />

Ausführlichkeit, Deutlichkeit. Rühmkorfs<br />

Rede zur Preisverleihung war parteiisch, einseitig,<br />

politisch, subjektiv. Er sang ein politisch<br />

Lied, das für einige Prominente <strong>im</strong><br />

Auditorium offensichtlich ein garstig Lied<br />

war. „Deutschland, ein Lügenmärchen“, so<br />

zum Beispiel sprach der Preisträger Rühmkorf,<br />

„bis schließlich hin zu jenem von unserem<br />

Kanzler in die Arena getriebenen Ochsi<br />

von Präsidentenanwärter, der angeblich sagt<br />

was er denkt, aber das ist schon keine richtige<br />

Truggestalt mehr, sondern der am Nasenring<br />

vorgeführte Offenbarungseid.“<br />

Und einige durchaus prominente Darmstädter<br />

verließen <strong>dem</strong>onstrativ den Ort des<br />

Geschehens. Und unsereins wunderte sich<br />

über deren Dünnhäutigkeit. Denn geprügelt<br />

wurden doch auch und gerade jene, die ihre<br />

„linke“ Karriere in diversen Kaderparteien<br />

kaum ausgestanden hatten und knapp, aber<br />

unwillentlich an der erträumten Allmacht<br />

vorbeigeschrammt waren, sich nun in diversen<br />

<strong>mit</strong>tlerweile etablieren „Protestparteien“<br />

ein neues Nest gebaut haben und – selbstverständlich<br />

ohne ein Wort von Selbstkritik –<br />

schon wieder als Landesfürsten ihrer jeweiligen<br />

Gruppierung allergnädigst zu grüßen<br />

geruhen. So man sie gewähren läßt.<br />

Rühmkorf sprach <strong>mit</strong> gelebtem Recht über<br />

seine Zeit als deutscher Demokrat und Linker<br />

– wie <strong>im</strong>mer man dies zu definieren geruht.<br />

Er sprach über seine und unsere Generation.<br />

Vor allem: Er sprach die Sprache des Denkenden,<br />

Ringenden, aber <strong>im</strong>mer um Aufklärung<br />

bemühten Menschen, der, aller<br />

Rückschläge, Dummheiten, erfundener Einfachheiten<br />

zum Trotz seine Familie liebt, die<br />

er auch haßt, eben weil es seine unverständige<br />

Familie ist: Die Menschen. Die Demokraten.<br />

Und: Die Deutschen.<br />

Die Aka<strong>dem</strong>ie hat allen Demokraten und sich<br />

selbst <strong>mit</strong> der Nominierung Rühmkorfs<br />

einen großen Verdienst erwiesen. Unabhängig<br />

von durchaus diskussionswürdigen<br />

Aspekten <strong>im</strong> Gesamtwerk des Preisträgers<br />

stand hier ein Mann, der wie sein Patron,<br />

unabhängig von zugedachten Denkmalssockeln<br />

oder gar eines Unfehlbarkeitsanspruchs<br />

als Freidenker, Literat, Freund <strong>im</strong><br />

Geist und unbequeme Erscheinung tiefsten<br />

Respekt verdient.<br />

Trotz<strong>dem</strong> und gerade deshalb: Die überfällige<br />

Selbstkritik der Aka<strong>dem</strong>ie „wg. Biermann“<br />

wird da<strong>mit</strong> um so dringlicher.<br />

Peter Edelmann


Theater, Tanz, Rock,<br />

Jazz, Krabbelstuben …<br />

Geschichte des soziokulturellen Zentrums:<br />

10 Jahre Bessunger Knabenschule<br />

Zehn Jahre sind es <strong>im</strong> November, daß die<br />

Stadt Darmstadt <strong>dem</strong> „Trägerverein<br />

Bessunger Knabenschule“ die Nutzung des<br />

1878 erbauten Gebäudes überließ. „Die<br />

waren sich sicher, daß wir binnen eines<br />

Jahres dicht machen, sonst hätten wir den<br />

Laden nicht gekriegt“, erzählt Bernd Breitwieser,<br />

neben Jürgen Barth von den Anfängen<br />

an dabei. Der Magistrat unter <strong>dem</strong><br />

damaligen OB Günther Metzger gewährte<br />

einen Zuschuß in Höhe der Jahresmiete von<br />

24.000 Mark – das war’s. Der Schreibtisch<br />

für das Büro stammte aus einer Betriebsauflösung,<br />

die Schreibmaschine wurde <strong>im</strong><br />

Pfandhaus besorgt.<br />

Die Akzeptanz der Einrichtung seitens der<br />

Kommune und der Bessunger Bevölkerung<br />

lag bei null; als herauskam, daß CDU-Mitglied<br />

Otti Geschka, <strong>mit</strong>tlerweile Oberbürgermeisterin<br />

von Rüsselshe<strong>im</strong>, dort einen<br />

Yogakurs besucht, fühlte sich die arme<br />

Frau genötigt, sich öffentlich von der „Ideologie“<br />

der Bessunger Knabenschule zu<br />

distanzieren. „Damals ging hier politisch<br />

viel mehr ab“, erinnert sich Bernd Breitwieser.<br />

Damals hatten sich die Leute an ihren<br />

Kanzler Kohl noch nicht gewöhnt – und<br />

damals war auch die Zeit, als <strong>mit</strong> den Pershings<br />

die Sitzblockaden kamen.<br />

Mittelschichtorientiertes<br />

Freizeitverhalten<br />

Breitwieser erinnert an zwei Friedensgruppen,<br />

die sich mindestens zwe<strong>im</strong>al die<br />

Woche trafen und großen Zulauf hatten. Die<br />

gibt es auch heute noch: „Deutsche Friedensgesellschaft<br />

/ Vereinigte Kriegsdienstgegner“,<br />

„Frauen für den Frieden“ und die<br />

„Darmstädter Initiative für Frieden und<br />

Abrüstung“. Sie nutzen die Räume der Knabenschule<br />

eher vierzehntägig. Natürlich<br />

gibt es auch noch die „Solidaritätswerkstatt<br />

e. V.“, die sich der praktischen Unterstützung<br />

von 3. Welt-Projekten – speziell in<br />

Kuba – widmet und die „Darmstädter Initiative<br />

für die Abschaltung aller Atomanlagen“,<br />

aber das Angebot der über dreißig<br />

Kurse, die pro Woche in den 20 Räumen<br />

der Knabenschule laufen, wird von jenen<br />

dominiert, die Breitwieser <strong>mit</strong> „<strong>mit</strong>telschichtorientiertem<br />

Freizeitverhalten“ etikettiert.<br />

Yoga, Tai Chi Chuan, Bio-Energetik,<br />

Feldenkrais, Afrodance, Salsa, Bauchtanz,<br />

Steptanz, Flamenco und Ausdruckstanz, die<br />

Liste ließe sich verlängern.<br />

Sechzig Gruppen<br />

Die Knabenschule kassiert von den KursleiterInnen<br />

10 Mark pro Stunde, nicht kommerziell<br />

orientierte Turnusgruppen zahlen<br />

die Hälfte. Die Nachfrage übersteigt bei weitem<br />

das Angebot. Im Parterre des Schulgebäudes<br />

hat der „Verein für nichtrepressive<br />

Erziehung e.V.“ zum Quadratmeterpreis von<br />

6 Mark Räume für seine zwei Krabbelstuben,<br />

die Kinderwerkstatt und das Schülerhaus<br />

angemietet und beschäftigt dort sechs<br />

hauptamtliche pädagogische BetreuerInnen.<br />

Da diese Kindertagesstätten vom<br />

Landesjugendamt anerkannt sind, gewährt<br />

die Stadt Darmstadt einen 45-prozentigen<br />

Personalkostenzuschuß. Angebote für Kinder<br />

organisieren daneben der „Bund deutscher<br />

PfadfinderInnen“ (BDP), „Musik und<br />

Bewegung für Kinder“ und „Children’s<br />

International Summer Villages“ (CISV). Insgesamt<br />

sind es an die sechzig Gruppen, die<br />

die Räumlichkeiten mehr oder weniger<br />

regelmäßig nutzen. Zwischen <strong>dem</strong> „Deutschen<br />

Amateur-Radio-Club“ unter <strong>dem</strong><br />

Dach und den sechs Probenräumen <strong>mit</strong><br />

Tonstudio <strong>im</strong> Keller für Rockgruppen bieten<br />

sich in der Knabenschule die einzigen Probemöglichkeiten<br />

für die Theatergruppen<br />

„Theater <strong>im</strong> Hof“, „Creme frech“, „Sekt oder<br />

Selters“, „Al dente“, „Kabbaratz“ und andere.<br />

Die Öffentlichkeit identifiziert das Kulturzentrum<br />

vor allem <strong>mit</strong> der ehemaligen Turnhalle.<br />

1992 fanden in der 250 Personen fassenden<br />

Halle 113 Veranstaltungen statt. In<br />

diesem Oktober sind es 15, davon neunmal<br />

Theater und sechsmal Musik <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

Schwerpunkt Jazz. Jürgen Wuchner organisiert<br />

dort auch seine Workshops.<br />

Finanzen sind <strong>im</strong> Keller<br />

50.000 Mark gibt das Hessische Kultusministerium<br />

jährlich für Kulturveranstaltungen<br />

ca. 100.000 Mark kommen von der<br />

Stadt für Personalkosten, Betriebskosten<br />

und Kultur. Die restlichen 300.000 Mark<br />

werden von der Knabenschule erwirtschaftet.<br />

Sie langen nicht, um den in zehn Jahren<br />

auf 60.000 Mark angewachsenen Schuldenberg<br />

abzutragen. Sie langen nicht, um<br />

beispielsweise die Halle technisch angemessen<br />

auszustatten oder die Toiletten zu<br />

renovieren Sie langen auch nicht, um die<br />

vier Mitarbeiter Jürgen Barth, Bernd Breitwieser,<br />

Detlef Gollasch und Hans-Joach<strong>im</strong><br />

Seitz auch nur halbwegs gerecht zu bezahlen.<br />

Zwei Dreißig- und zwei Zwanzigstun-<br />

(Foto: Heiner Schäfer)<br />

denstellen stehen ihnen zur Verfügung. Der<br />

Arbeitsaufwand erforderte das Doppelte.<br />

Seit 1987 ist die Knabenschule als Zivildienststelle<br />

anerkannt; wenn Bernd Breitwieser<br />

auf das letzte Jahrzehnt zurückblickt,<br />

wundert er sich selbst, daß sie es<br />

doch <strong>im</strong>mer wieder – auch dank der Spendenaktion<br />

1990 – geschafft haben. Für die<br />

Zukunft hofft er, den Status des ewigen<br />

Provisoriums ablegen zu können. „Es gibt<br />

kein Sanierungskonzept für das 2.300 Quadratmeter<br />

große Areal.“ Mal werden zwei<br />

Außenwände des Hauptgebäudes gestrichen,<br />

dann gibt es ein paar feuerfeste Türen<br />

für das Dachgeschoß; Dank „Wüstenrot“,<br />

die nebenan am Kuhschwanzeck noble<br />

Eigentumswohnungen gebaut haben, wird<br />

der Kinderspielplatz neu gestaltet. Aber der<br />

Ärger <strong>mit</strong> den neuen Nachbarn wegen<br />

Lärmbelästigung ist auch schon programmiert.<br />

Das Kulturzentrum Darmstadts<br />

Die Akzeptanz der Knabenschule in Bessungen<br />

ist gewachsen, das Exoten-Image<br />

schmilzt langsam dahin. Breitwieser wundert<br />

sich, daß in Bezug auf seine Arbeitsstätte<br />

noch <strong>im</strong>mer von Stadtteilkultur geredet<br />

wird. Die wenigsten der KursteilnehmerInnen<br />

sind Bessunger, die wenigsten<br />

KünstlerInnen, die dort auftreten, sind<br />

aus Bessungen und auch <strong>im</strong> Publikum sitzen<br />

nur wenige Bessunger. Es gibt auch<br />

kein anderes Zentrum in Darmstadt, so ist<br />

die Bessunger Knabenschule das Kulturzentrum.<br />

Eine mögliche Konkurrenz sieht<br />

Breitwieser in den HEAG-Hallen allerdings<br />

nicht, wenn die Planer das bestehende Verhältnis<br />

von kultureller Nutzung zu städtischer<br />

Unterstützung zum Maßstab nehmen.<br />

Als stillschweigende Anerkennung<br />

des Knabenschulen-Konzepts wertet er,<br />

daß das Modell eines Trägervereins, in <strong>dem</strong><br />

die Stadt selbst nicht vertreten ist, nun auch<br />

für das JuKuz Oetinger Villa übernommen<br />

wird. Auf Landesebene arbeitet die Knabenschule<br />

in der „Landesarbeitsgemeinschaft<br />

soziokultureller Zentren“ <strong>mit</strong>. Im November<br />

haben die Zentren „Station-17“, eine<br />

Musikgruppe von geistig Behinderten, eingeladen.<br />

Am 15.11. treten sie in der Knabenschule<br />

auf. Eine Feier zum zehnjährigen<br />

des Kulturzentrums Bessunger Knabenschule<br />

wird es nicht geben. Kein Geld.<br />

P. J. Hoffmann<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 11<br />

„An einer solchen Blume<br />

fehlt’s jetzt <strong>im</strong> Revier“<br />

Nach-Ruf des Autoren Matthias Biskupek auf „Die Weltbühne“<br />

Da ist sie <strong>im</strong> 88. Jahr ihres Zeitschriftendaseins<br />

unter Mediengerassel eingeschläfert<br />

worden. Die Untersuchungsorgane<br />

haben das Bulletin noch nicht freigegeben:<br />

War es fahrlässige oder böswillige Tötung<br />

Ist das Blättchen aus Angst vor eigener Courage<br />

gestorben Hat man den Schierlingsbecher<br />

selbst genommen In der letzten Nummer<br />

veröffentlichte die Augsburgerin Eva<br />

Leipprand einen Text über das modische<br />

Spiel Achtundsechzig: „Ein Scheißspiel“.<br />

Das, scheint mir, klingt <strong>net</strong>t, zukunftweisend,<br />

angemessen.<br />

Ich habe der ins Schulheftformat gekleideten<br />

Wochenschrift fast auf den Tag genau vierzehn<br />

Jahre treulich, täppisch und viel zu brav<br />

als freier Mitarbeiter gedient. Am 10. Juli<br />

1979 stand da mein erstes Textchen über ein<br />

Suhler Amateurtheater, dann kamen ein paar<br />

hundert weitere Glossen, Reportagen, Porträts<br />

und am 22. Juni 1993 wurde meine<br />

letzte Auslassung, über das von einem Autorenkollektiv<br />

verfaßte Ratgeberbuch, genannt<br />

„Katechismus der katholischen Kirche“,<br />

gedruckt. So habe ich zehn Jahre lang DDR-<br />

Zensur kennengelernt, ein Jahr freien, anarchischen<br />

Journalismus und drei Jahre Dümpelei<br />

in der Einheitssoße eines bundesweit,<br />

an Beliebigkeit leidenden Zeitschriften-Flachlands.<br />

Die „Weltbühne“ hatte sich in den letzten<br />

Monaten rapide zum Sprachrohr schwäbischen<br />

Professorengebrabbels entwickelt,<br />

war als Fußnoten-Organ für „Zeit“ und „konkrekt“-Autoren<br />

beliebt geworden. Das war<br />

wiederum DDR-Zeiten vergleichbar, nur<br />

sächselten damals die Professoren und die<br />

Über-Organe hießen „Einheit“ und „horizont“.<br />

Wäre das Projekt einer weiterführenden<br />

„Wildbiene“ gelungen, hatte sich noch<br />

der Bierzeitungs-Touch hinzugesellt, <strong>dem</strong><br />

wörterwälzende Intellektuelle gern aufsitzen.<br />

Sie treten jetzt alle auf den Plan: die Widerstandskämpfer<br />

der DDR, die <strong>im</strong> Blättchen<br />

einen Hort des Stalinismus sahen, weil man<br />

grade ihre Texte dort nicht druckte. Denn<br />

eine böse Eigenschaft ist der Neid.<br />

Die „Weltbühne“ machte natürlich allen<br />

Unfug, der von Zensoren ausgestreut wurde,<br />

<strong>mit</strong>. Es gelang ihr nur hin und wieder,<br />

best<strong>im</strong>mte Jubelthemen nicht zu behandeln.<br />

Der wohlangepaßte und gutmütige Chefredakteur<br />

in den letzten beiden DDR-Jahrzehnten,<br />

Peter Theek, versuchte manchmal, frech<br />

unterm Tisch hervorzugucken, wurde aber<br />

oft genug zurückgepfiffen, wenn nicht von<br />

hauptamtlichen Zensoren, dann von vorauseilend<br />

Gehorsamen in seiner Redaktion.<br />

Was mir die Arbeit möglich machte: Man<br />

konnte in seinem eigenen Ton schreiben,<br />

mußte nicht in parteigestanzten Fertigteilen<br />

reden, wie weithin üblich. So schrieb ich<br />

über Rednergesten oder Theaterstücke, über<br />

Wanderpfade und Hochseilfamilien und versuchte<br />

da<strong>mit</strong>, bißchen Eigenes zu transportieren.<br />

Kampf um den kritischen Halbsatz<br />

hieß das nervende Spiel.<br />

Vielleicht war die „Weltbühne“ ein Hort der<br />

jetzt entlarvten Sklavensprache der DDR.<br />

Mag sein. Mir will aber nach wie vor nicht in<br />

den Kopf, warum der plumpe, angeblich<br />

direkt und klar aussagende Stil, ob nun wieder<br />

bieder für die Hinterwaldmutti wie bei<br />

„Bild“ oder ziseliert für den Vorderhausdezernenten<br />

wie be<strong>im</strong> „Spiegel“, die Welt<br />

richtig erklären kann. Texte sollten <strong>im</strong>mer<br />

auch sprachspielerisch Zusammenhänge<br />

aufdecken, die sonst nicht un<strong>mit</strong>telbar, also<br />

oberflächlich, sichtbar sind. Diesem Lehrsatz<br />

wußte die „Weltbühne“ manchmal zu genügen.<br />

Und an einer solchen Blume fehlt’s jetzt<br />

<strong>im</strong> Revier.<br />

Andere Zeitschriften wurden von festangestellten<br />

Redakteuren gemacht. Die „Weltbühne“<br />

war Bühne ihrer freien Mitarbeiter.<br />

Um derentwillen sie gelesen wurde. Kunstkritiker<br />

Lothar Lang, umstritten, war Argument<br />

für Weltbühne-Lektüre. Günther<br />

Cwojdraks bildhafte Theaterkritiken wurden<br />

besch<strong>im</strong>pft und – gelesen. Christian Neef<br />

berichtete vorsichtig wahrheitsgemäß – aus<br />

<strong>dem</strong> Zentrum der Perestroika, aus Moskau.<br />

Der Zürcher Theo Pinkus und der Frankfurter<br />

Altkommunist Emil Carlebach sorgten <strong>mit</strong><br />

anderer Tonart gelegentlich für Verwirrung.<br />

Fries und Christ und Konrad Weiß schrieben<br />

dort. Aufbau-Cheflektor Caspar kritisierte als<br />

Kaspar Borz Bücher. Und ein Mann, der wie<br />

kaum ein anderer über vierzig Jahre bis fast<br />

zum Schluß, <strong>mit</strong> Witz und Geist, ohne politischen<br />

Dröhn-Ton, sondern <strong>mit</strong> Nebenbei-<br />

Bemerkungen die „Weltbühne“ <strong>mit</strong>best<strong>im</strong>mte,<br />

der Feuilletonist Lothar Kusche, hatte für<br />

seine Dauer-Glosse über deutsche Sprachverwirrung<br />

einen hellseherischen Titel: Kohl.<br />

Natürlich, es gab sie auch zur Genüge: Nationalratspräsidenten,<br />

christliche Blockflöten,<br />

wichtig-betuliche Professoren, die Ergebenheitsadressen<br />

drucken ließen. Die wurden<br />

billig(end) – das Blättchen kostete 50 Pfennige<br />

– in Kauf genommen.<br />

Die Zeitschrift erschien bis vor einem dreiviertel<br />

Jahr <strong>mit</strong> allen ruhmreichen Vorfahren<br />

auf der Titelseite: Jacobsohn, Tucholsky,<br />

Ossietzky. Und dann kam merkwürdig anmutend<br />

nach diesen Namen: „Seit Dezember<br />

1989 herausgegeben von Helmut Reinhardt“.<br />

Vielleicht sollte es assoziieren, daß<br />

nun ein neuer noch unbekannter Revolutionär<br />

das Ruder ergriffen – aber Reinhardt<br />

war alter Stellvertreter, Chef Theek ohnehin<br />

Rentner geworden. Gewiß, die alte Redaktionsmannschaft<br />

hatte ihren Vizechef gewählt<br />

– und darauf mehrheitlich das sinkende<br />

Schiff verlassen. Reinhardt versuchte, seine<br />

Bühne allen zu öffnen. So wurde wahllos ins<br />

Blatt gekippt, was auf die Redaktionstische<br />

flatterte. Viel Weinerlichkeit, viel PDS-Nachhakelei,<br />

endlose Selbstbezichtigungen, aber<br />

auch neue, in Westdeutschland wohlbekannte,<br />

Autoren: Peer Maiwalds exzellente<br />

Sprachspiele: Otto Köhlers radikal linke Aufklärungen;<br />

Fülberths knappe Zeitanalysen.<br />

Dafür bekam ein Jürgen Kuczynski in der<br />

,,Weltbühne“, kein Podium mehr, da die Leitung<br />

ihn als Altlast ansah: Neuer, vorauseilender<br />

Gehorsam.<br />

Alles, was ich in diesen Wendewirren <strong>dem</strong><br />

Blättchen anbot, wurde gedruckt. Unter allerlei<br />

Pseudonymen. Nicht mal meine falschen<br />

Kommas wurden geändert. Das hätte mich<br />

mißtrauisch machen sollen. Als der Frankfurter<br />

Immobilienhändler Bernd F. Lunkewitz<br />

den Verlag aufkaufte, änderte sich zunächst<br />

nichts. Auch das hätte mir das<br />

nahe Ende anzeigen müssen.<br />

Allmählich aber überkam das<br />

Blatt jener gesamtdeutsche Zeilentripper,<br />

der anspruchsvoll<br />

sein wollenden Wochen- und<br />

Monatsblättern eigen ist. Was<br />

kurz und knapp und originell<br />

formuliert werden müßte –<br />

wozu man als Schreiber Geduld<br />

brauchte – wurde zeitsparend in<br />

die Länge geschrieben. In der<br />

DDR war zu wenig Papier da.<br />

Jetzt mußte Papier wirtschaftsfördernd<br />

verbraucht werden. Da<br />

zu<strong>dem</strong> das Schreiber-Einkommen<br />

von jener Fähigkeit<br />

abhängt, eine Beobachtung,<br />

einen Gedanken, eine Einsicht<br />

über viele Zeilen dehnen zu können,<br />

konnte sich auch die „Weltbühne“<br />

diesem kapitalistischen<br />

Diktat nicht verweigern. Und so<br />

dehnten sich nun die professoralen<br />

Artikel und zogen<br />

Fäden, wie gebackener Käse …<br />

Für das schnelle Ende ist vielleicht<br />

doch zu danken.<br />

Ich danke also.<br />

RAUMGESTALTUNG<br />

DARMSTADT<br />

ROSSD–RFER PLATZ


Lese-,<br />

Bücher-,<br />

Schreib-,<br />

und Brief-Lust<br />

Frankfurter Schirn entwirft geglücktes<br />

Panorama niederländischer Malerei<br />

Martin Weskott, Pfarrer aus Katlenburg<br />

bei Göttingen, rettete von 1991 an fast<br />

eine halbe Million Bücher vor der Vernichtung.<br />

Die Bücher stammten aus DDR-Verlagen<br />

und landeten nach der Währungsunion<br />

auf ehemaligen Braunkohlenkippen bei Leipzig.<br />

Für seinen Einsatz ist Martin Weskott<br />

zum Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen<br />

worden.<br />

Zum diesjährigen Münchner Kirchentag hielt<br />

Weskott einen Gottesdienst über „Die Geister<br />

– die wir riefen“. Die Veranstaltung in<br />

der Kapernaum-Kirche in München-Lerchenau<br />

trug den Untertitel: „Die vergessenen<br />

Bücher – Wider einen Prozeß der Vernichtung<br />

und des Wegwerfens“. Matthias Biskupek,<br />

einer der betroffenen Autoren, verfaßte<br />

diesen Text:<br />

Die Abenteuer des Buches<br />

Ich hatte einem Verlag viele Jahre redlich<br />

gedient. Vier Bücher von mir waren dort<br />

schon erschienen. In glänzenden Pappbänden.<br />

Zum alsbaldigen Verbrauch best<strong>im</strong>mt.<br />

Weißt Du, sprach daraufhin der Verlagsleiter,<br />

jetzt ist es soweit. Jetzt kannst Du ein richtiges<br />

Buch bekommen, in echtes Ganzgewebe<br />

gebunden. Mit wirklich weißem Papier und<br />

Schutzumschlag und Dichterphoto.<br />

Solcherart waren die Auszeichnungen, die<br />

man in <strong>dem</strong> fernen Staate DDR bekam, wenn<br />

man zwar frech unter <strong>dem</strong> Tisch vorguckte,<br />

aber eben nicht zu frech. Ei, freute ich mich.<br />

Ein Buch wie ein richtiger deutscher Romancier.<br />

Ich will es „Die Abenteuer der andern“<br />

heißen, drin sollen freundliche Geschichten<br />

stehen, über Sehnsüchte, die wir haben und<br />

tiefschwarze Stellen, die ich, wie andere<br />

Menschen auch, in mir versteckt halte. Das<br />

Buch war also ein satirisches Werklein.<br />

Und kaum hatte ich das Manuskript abgegeben,<br />

und kaum waren zwei Jahre vergangen,<br />

FEUILLETON III<br />

Der eingängige Titel mag Interesse<br />

wecken und zugleich abwegigen Ideen<br />

Nahrung geben – „Leselust“ in der Frankfurter<br />

Schirn ist keine Promotions-Veranstaltung<br />

der Mainzer „Stiftung Lesen“ und<br />

auch sonst keine kulturelle Begleiterscheinung<br />

der Buchmesse, die gerade dieses<br />

Jahr Flandern und die Niederlande als<br />

Schwerpunkt präsentierte. „Leselust“<br />

bezeich<strong>net</strong> eine glückliche Neusichtung der<br />

niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts,<br />

verstanden nicht als repräsentativbeliebiger<br />

Flug über die Epoche unter einem<br />

Titel wie „Von Rembrandt bis Vermeer“<br />

oder als isoliert angelegte Gattungsuntersuchung<br />

„Holländische Genremalerei des<br />

Goldenen Zeitalters“. Die Ausstellung<br />

betrachtet stattdessen eine Epoche, in<strong>dem</strong><br />

sie das Motiv des Buches, des Briefes, des<br />

Lesens und des Schreibens über das ganze<br />

Jahrhundert hinweg und durch Vergleiche<br />

„Sie hat sich doch noch zum Guten<br />

gewendet, diese seltsame Wende“<br />

da hatte man das Buch schon genehmigt.<br />

Denn <strong>im</strong> fernen Staate DDR mußten Bücher<br />

genehmigt werden. Darüber murrten wir<br />

natürlich allzeit. Natürlich allzeit ganz brav.<br />

So wurde mir gesagt…<br />

Und kaum war ein weiteres Jahr ins Deutsch-<br />

Land gegangen, war das Buch schon<br />

gedruckt, auf – naja – fast weißes Papier,<br />

wohlgesetzt und gebunden in Ganzgewebe.<br />

Ich schloß mein Beleg-Exemplar verzückt in<br />

die Arme. Es war später Frühling und ein paar<br />

Tage weiter, <strong>im</strong> frühen Sommer, wurde unser<br />

Spielgeld in Echtgeld getauscht. Siehe, dieses<br />

aber heißet man Währungsunion.<br />

In den Auslagen tummelte sich heiße West-<br />

Ware. In den Buchläden ebenso. Mein Abenteuer<br />

hatten dort nichts verloren; darein hatte<br />

man nämlich noch einen DDR-Preis<br />

gedruckt. Sechs Mark und fünfzig. Sechs<br />

Mark und fünfzig aber sind unlauterer Wettbewerb,<br />

in einem Land, in <strong>dem</strong> die Erstauflagen<br />

von Hardcover-Büchern 29, 39 oder 49<br />

Mark kosten. So wurde mir gesagt. Doch wo<br />

meine fertigen Buch-Abenteuer sein könnten,<br />

wußte niemand in <strong>dem</strong> ganzen und<br />

großen Verlag.<br />

Bis eines schönen Tages ein schöner Brief<br />

aus <strong>dem</strong> schönen Katlenburg bei mir eintraf.<br />

Zweitausend Exemplare gerade dieses<br />

Buches waren gefunden worden. Dort, wo<br />

man viel früher Braunkohle gefunden hatte.<br />

So lagen meine „Abenteuer der andern“ <strong>mit</strong><br />

andern Lese-Abenteuern jetzt wohlverwahrt<br />

<strong>im</strong> Bücherspeicher der Katlenburger Kirchgemeinde.<br />

Und weil das eine fröhliche Geschichte sein<br />

soll, will ich kein Ossi-Wehgeschrei, wie<br />

schl<strong>im</strong>m man doch <strong>mit</strong> uns und unseren Geistesprodukten<br />

umginge, anst<strong>im</strong>men, sondern<br />

erleichtert aufseufzen: Sie hat sich doch<br />

noch zum Guten gewendet, diese seltsame<br />

Wende.<br />

Zwei Verliebte <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Kontrabaß zeigt die als<br />

„Offiziersbesuch“ betitelte Szene des<br />

Amsterdamer Malers Willem Duyster,<br />

Öl auf Holz, 58 x 45 cm,<br />

aus <strong>dem</strong> Kopenhagener Statens Museum for<br />

Kunst.<br />

(Foto: Kunsthalle Schirn)<br />

Und weil wir <strong>im</strong> Gotteshaus sind, will ich ein<br />

bißchen Gott und ein bißchen mehr <strong>dem</strong><br />

Pastor Weskott danken. Und <strong>mit</strong> ein bißchen<br />

biblischer Anspielung will ich schließen: Der<br />

Herrgott freut sich mehr über einen verlorenen<br />

Sohn, der zu ihm zurückkehrt, als über<br />

<strong>im</strong>mer und ewig Rechtschaffene. Und so finde<br />

ich dieses Buch der anderen Abenteuer auf<br />

einmal wichtiger, als andere meiner Bücher.<br />

Denn ich hatte es schon abgeschrieben – nun<br />

aber weiß ich, daß dieser neudeutsch-kaufmännische<br />

Ausdruck für <strong>im</strong>mer und für die<br />

Ewigkeit ist. Ich verkneife mir das Amen an<br />

dieser Stelle.<br />

Matthias Biskupek<br />

Die Firma<br />

Etwas merkwürdig ist die Anwalts-Firma<br />

in Memphis ja schon, für die sich Mitch<br />

Mc Deere entschieden hat: Dort arbeiten<br />

nur weiße, verheiratete Männer. Aber der<br />

junge Yuppie – die Hauptrolle spielt der<br />

amerikanische Strahlemann und Kassenknüller<br />

Tom Cruise – ist geblendet von den<br />

protzigen Annehmlichkeiten, die ihm geboten<br />

werden: ein schönes Haus, ein Mercedes-Cabrio<br />

und ein sechsstelliges Jahresgehalt.<br />

Das lockt den Mann aus armen Verhältnissen<br />

und achtlos wischt er die Bedenken<br />

seiner Frau Abby (Jeanne Tripplehorn)<br />

beiseite. Wenn sich eine Firma als Familie<br />

bezeich<strong>net</strong>, ist höchste Vorsicht geboten,<br />

das weiß doch jedes Fernsehkind. Nur<br />

Mitch, der will es nicht wissen. Dann erfährt<br />

verschiedener Bildtypen <strong>mit</strong>einander verfolgt.<br />

Daß es der Schirn dabei in einer Vorbereitungszeit<br />

von gut drei Jahren gelungen<br />

ist, eine wahre Anhäufung von Spitzenwerken<br />

der Malerei an den Main zu holen,<br />

sollte für sich sprechen und jegliche Diskussion<br />

um die Aufgabe des Hauses als<br />

eigenständiges Institut schamvoll verstummen<br />

lassen.<br />

Das Faszinosum der niederländischen<br />

Malerei mag sicherlich in den verschiedenen<br />

Möglichkeiten liegen, sich ihr<br />

anzunähern. Bei einem ersten Gang durch<br />

die Bildersäle ließe frau/mann sich vielleicht<br />

allein von der malerischen Könnerschaft<br />

und Delikatesse der Werke leiten und begeistern,<br />

könnte die Lichtführung und den<br />

skizzenhaften Stil bei Rembrandt und seiner<br />

Schule bewundern und die sch<strong>im</strong>mernden<br />

Seidenstoffe bei Vermeer und Gerard<br />

ter Borch betrachten. Ob das Wesen dieser<br />

Malerei tatsächlich nur eine nüchterne<br />

„Kunst der Beschreibung“ darstellt, wie es<br />

eine Fraktion der neueren Kunstwissenschaft<br />

sieht, oder vielmehr doch in einem<br />

vielschichtiges System aus Symbolen und<br />

Andeutungen besteht, kann der Besucher in<br />

der Schirn exemplarisch überprüfen, etwa<br />

an den Stilleben. Da liegen <strong>im</strong>mer wiederkehrende<br />

Requisiten auf einem rohen Holztisch<br />

oder vor neutralem Hintergrund. Ein<br />

Totenschädel, die erloschene Kerze, eine<br />

verwelkende Blume und die in einem Brief<br />

oder einem Buch konservierten Worte<br />

geben die sichtbare Realität ebenso in penibler<br />

Weise wieder wie sie den ermahnenden<br />

Gedanken eines memento mori, der steten<br />

Erinnerung an die Vergänglichkeit und den<br />

Tod, aussprechen. Dieser Grundgedanke<br />

wird <strong>im</strong>mer wieder variiert, es erscheint<br />

bald ein lorbeerumkränzter Totenkopf zwischen<br />

antiken Skulpturen bei David de<br />

Heem und so<strong>mit</strong> das Zeichen des künstlerischen<br />

Ruhms, der vielleicht den Tod überdauert,<br />

oder sogar ein symbolisches Portrait<br />

des Flottenführers und Volkshelden<br />

Admiral Tromp, das Pieter Steenwijk nach<br />

dessen Tod 1653 schuf. Hier gibt das Titelblatt<br />

der Gedenkrede auf den Helden <strong>dem</strong><br />

Betrachter eine lesbare Auskunft über die<br />

Darstellung, während das Stilleben aus<br />

Totenkopf <strong>mit</strong> übergestülptem Federbarett<br />

und <strong>dem</strong> Degen des Admirals in geistvoller<br />

Weise die abwesende Person charakterisiert.<br />

Zu Beginn der Ausstellung haben<br />

BesucherInnen jedoch erst eine entwicklungsgeschichtliche<br />

Lektion absolviert und<br />

an Werken wie den „Vier Evangelisten“ des<br />

Utrechter Malers Jan van Bijlert von 1625<br />

gesehen, in welchem Maße die niederländische<br />

Malerei von ganz traditionellen, katholisch<br />

geprägten Vorbildern ausging. Der<br />

Entwicklungssprung von dieser in klaren,<br />

hellen Farben gehaltenen Darstellung hin zu<br />

Rembrandts Gemälde „Alte lesende Frau“<br />

von 1631 ist beeindruckend – eine gebückte<br />

Greisin liest angestrengt in einem riesigen<br />

Folianten, umgeben von undefinierter<br />

Dunkelheit und zugleich erhellt von einem<br />

auf sie gerichteten Lichtstrahl, der die kostbaren<br />

roten, goldenen und braunen Töne<br />

des Bildes aufglühen läßt. Ist es Rembrandts<br />

Mutter, wie oft vermutet wurde<br />

Oder handelt es sich doch um eine Darstellung<br />

der frommen Prophetin Hannah aus<br />

<strong>dem</strong> Neuen Testament Den lesenden Propheten,<br />

Heiligen und Einsiedlern ist ein<br />

ganzes Kapitel der Ausstellung gewidmet,<br />

das die Spannweite dieses Bildthemas von<br />

Godfried Schalkens inbrünstig-erotischer,<br />

lesender „Büßenden Magdalena“ bis hin zur<br />

fast grotesken Komik des von allerlei Unge-<br />

er, daß niemand je die Firma verlassen hat,<br />

es sei denn, er ist gestorben. Und schon ist<br />

er <strong>mit</strong>tendrin <strong>im</strong> Strudel der Mafia und des<br />

FBI.<br />

Sidney Pollack verfilmte diese Geschichte<br />

nach <strong>dem</strong> Bestseller von John Grisham<br />

etwas schleppend und <strong>mit</strong> zweieinhalb<br />

Stunden viel zu lang. Die Liebesgeschichte<br />

des jungen Ehepaares ist gar keine, die Rollen<br />

bleiben in Stereotypen hängen: dort das<br />

blasse He<strong>im</strong>chen am Herd <strong>mit</strong> weiblichen<br />

Intuitionen, da der Erfolgssüchtige, der<br />

zum Allein-Kämpfer wird. Im letzten Drittel<br />

wird es dann doch noch spannend, aber arg<br />

konstruiert zugleich. Tom Cruise hat <strong>mit</strong><br />

diesem Film wieder mal eine gute Arbeit<br />

hingelegt, solides Handwerk, das aber nicht<br />

vom Hocker reißt. Was man Sidney Pollack<br />

dagegen kaum attestieren kann: insgesamt<br />

fünf Mal lugte von oben ein Mikro in das<br />

Bild – Illusion ade! vro<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 12<br />

heuern bedrängten „Heiligen Antonius“ des<br />

David Teniers offenbart.<br />

Die Bibel und das Bibelstudium spielten in<br />

der protestantischen, oft kalvinistisch<br />

geprägten und so<strong>mit</strong> wortgläubigen Bürgerkultur<br />

der Niederlande eine wichtige<br />

Rolle. Daß daneben die Buchproduktion<br />

einen nie gekannten Höhepunkt erreichte<br />

und das städtische Bürgertum eine<br />

erstaunlich breite Kenntnis des Lesens und<br />

Schreibens besaß, gehört zu den in der<br />

Ausstellung aufgearbeiteten Themen. Zum<br />

Bestseller wurden neben der religiösen<br />

Erbauungsliteratur und zahlreichen Fortsetzungsromanen<br />

die Gedichte eines Herrn<br />

Jacob Cats, durch und durch moralisierende<br />

Werke, die die Werte und Tugenden<br />

einer geord<strong>net</strong>en, bürgerlichen Lebensweise<br />

widerspiegeln.<br />

Wen wundert’s, daß auch die Malerei diese<br />

Welt reflektiert, wenn van der Neer seine<br />

„Leserin“ andächtig über das Gelesene aus<br />

einem Emblembuch reflektieren läßt oder<br />

Jan van der Heyden die geord<strong>net</strong>en Weltwunder<br />

einer großbürgerlichen Kunstkammer<br />

in fast surrealistisch-klarer Weise wiedergibt<br />

Es gehört aber zugleich zum<br />

Wesen dieser Malerei, Moral und Maßstab<br />

ironisch oder subtil zu unterlaufen und zu<br />

kommentieren, wie dies Samuel van<br />

Hoogstraten in „Die Pantoffeln“, <strong>dem</strong> vielleicht<br />

beachtenswertestem Werk der Ausstellung<br />

tut. Neben <strong>dem</strong> Durchgang einer<br />

Tür hängt ein Handtuch und steht der<br />

Besen nach getaner Hausarbeit, man blickt<br />

über einen schmalen Flur durch die gerade<br />

geöff<strong>net</strong>e Tür in die gute Stube des Hauses,<br />

die Pantoffeln der Dame bleiben säuberlich<br />

vor der Schwelle stehen, eine erloschene<br />

Kerze und ein abgegriffenes Buch auf <strong>dem</strong><br />

Tisch zeugen von der unterbrochenen Lektüre.<br />

Erst ein Gemälde <strong>im</strong> Gemälde gibt uns<br />

den Schlüssel zu Verständnis der menschenleeren,<br />

doch von einem Lebenshauch<br />

noch warmen Szenerie – ter Borchs „Bordellszene“<br />

weist auf die explizit nicht darstellbaren<br />

erotischen Freuden der Hausleute<br />

hin. Daß diese privat bleibende Sphäre<br />

der Eheleute in helles Licht getaucht wird,<br />

während die Zeugen der Hausarbeit <strong>im</strong> Vordergrund<br />

verschattet bleiben, mag jeden<br />

Betrachter zu seiner eigenen Bildinterpretation<br />

anregen.<br />

Die diskrete Bildsprache kehrt bei den briefelesenden<br />

und briefeschreibenden Damen<br />

und Herren wieder, die ein letztes Kapitel<br />

der Ausstellung bilden. Dem Brief kam <strong>im</strong><br />

17. Jahrhundert nicht nur eine Rolle als<br />

weithin einzigem Kommunikations<strong>mit</strong>tel<br />

zu, sondern auch die Symbolik als Botschaft<br />

einer meist amourösen Beziehung.<br />

Hier glaubt man zu spüren, daß trotz der<br />

breiten Lese- und Schreibkenntnis diese<br />

Tätigkeiten stets <strong>im</strong> Bewußtsein ihrer<br />

besonderen Bedeutung für den Menschen<br />

ausgeübt wurden, daß Bücher und Briefe<br />

noch als wahre Kulturträger galten und<br />

noch nicht durch eine <strong>im</strong>mer schnellere<br />

Massenkommunikation entwertet waren.<br />

Es scheint, als hätte Gerard ter Borch einen<br />

Offizier in diesem Bewußtsein seinen Brief<br />

schreiben lassen, während ein Trompeter<br />

wartet, die Depeche zu über<strong>mit</strong>teln; und<br />

eine feine Dame dann die Botschaft bei<br />

einem Glas Wein liest, während bei Frans<br />

van Mieris bereits ein Arzt die offenbar liebeskranke<br />

Leserin ernsthaft zur Vernunft<br />

ermahnt. Diese stillen Bilder stehen zwar<br />

stets in einem Bezug zu der Sprachwelt der<br />

restlichen niederländischen Malerei, ohne<br />

daß sich jedoch das Denken oder Handeln<br />

ihrer Protagonisten ganz erschließen ließe.<br />

Von diesen zurückhaltend agierenden, auch<br />

in der Gesellschaft allein wirkenden Personen<br />

geht ein eigentümlicher Reiz aus, der<br />

sich bei Jan Vermeer aus Delft noch in einer<br />

Weise steigert, die <strong>dem</strong> Maler seit rund<br />

hundert Jahren eine geradezu kultische<br />

Verehrung zukommen läßt. Ein ruhiger<br />

Blick auf sein „briefeschreibendes<br />

Mädchen“ (aus Washington ausgeliehen)<br />

allein mag den Weg nach Frankfurt lohnen<br />

– auch wenn die ansonsten so ansprechende<br />

Gestaltung der Ausstellung gerade diesem<br />

Meisterwerk den gräßlichen Kontrast<br />

zwischen <strong>dem</strong> zarten Zitronengelb des pelzbesetzten<br />

Kleides und einem entschieden<br />

zu kräftigen Strohgelb der Wände zumutet.<br />

Dagegen mögen ein Leseraum <strong>mit</strong> weiterführender<br />

Literatur und ein kleines<br />

Führungsheftchen, das jeder Ausstellungbesucher<br />

erhält, der Lust am vergnüglichen<br />

Entdecken dieser Bilderwelten lehrreichen<br />

Vorschub gewähren.<br />

Gerhard Kölsch<br />

„Leselust“, Frankfurter Schirn-Kunsthalle,<br />

bis zum 2. Januar 1994; Mo 14 - 18, Di - Fr 10 - 22,<br />

Sa und So 10 - 19 Uhr, Katalog 49 Mark.


BRIEFE AN DIE REDAKTION I<br />

In eigener Sache: „Eine unerhörte Anmaßung“ „Sich gemeinsam wehren“<br />

Bauverein für Arbeiterwohnungen verweigert außer Informationen auch Inserate<br />

Der Gesetzgeber hat zum Schutz der Pressefreiheit<br />

auch die wirtschaftliche Seite nicht<br />

außer Acht gelassen. Was würde eine verfassungsrechtliche<br />

Garantie der Pressefreiheit<br />

nutzen, wenn die Behörden und Institutionen,<br />

die in öffentlichem Eigentum stehen<br />

(wie der Bauverein), einer Zeitung gezielt<br />

Anzeigen vorenthalten, um sie auszuhungern<br />

Dies geschieht seit dreieinhalb Jahren<br />

konsequent <strong>mit</strong> der Zeitung für Darmstadt.<br />

Unter fortwähren<strong>dem</strong> Verstoß gegen geltendes<br />

Recht sind bis zu der Ausgabe 55 keine<br />

Anzeigen in Auftrag gegeben worden. Manche<br />

Institutionen wie der Bauverein enthalten<br />

auch Informationen konsequent vor – das<br />

bezeich<strong>net</strong> man als Zensur. Bauvereinsdirektor<br />

Heinz Reinhard und eine ganze Reihe<br />

Vertreter anderer Behörden und behördengleicher<br />

Institutionen haben wir deshalb<br />

nach dreijährigem Boykott angeschrieben,<br />

denn wir denken, die Herren hatten lange<br />

genug Zeit, die Zeitung kennenzulernen und<br />

sich zu überlegen, ob sie auch weiterhin<br />

gesetzeswidrig handeln wollen. Nach<strong>dem</strong><br />

wir erst Mitte Juli freundlich angefragt hatten<br />

und ohne Antwort geblieben waren, mahnten<br />

wir am 29.9. <strong>mit</strong> Setzen einer Frist ab; da erst<br />

bequemte sich Reinhard zu einer Antwort.<br />

Eine zweite, wieder befristete Abmahnung ist<br />

gesetzlich vorgeschrieben, bevor wir die<br />

Juristen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Überprüfen der Gesetzestreue<br />

des Bauvereinsdirektors beauftragen<br />

können. Ob er einlenken wird Im Folgenden<br />

veröffentlichen wir die Korrespondenz:<br />

Sehr geehrter Herr Reinhard,<br />

am 15.7.1993 hatten wir Sie angeschrieben<br />

und gebeten, auch unsere LeserInnen bei Informationen<br />

zu berücksichtigen, die Sie über<br />

Inserate verbreiten lassen. Leider haben Sie<br />

bis heute auf unser Anschreiben nicht geantwortet.<br />

Wir bitten Sie deshalb wiederholt um<br />

eine Antwort.<br />

Sollten Sie sich inzwischen zu einer Gleichbehandlung<br />

der ortsansässigen Zeitungen<br />

entschlossen haben, reicht das Erteilen von<br />

Aufträgen, denn anhand der Publikationen<br />

sind wir über die Tätigkeit Ihres Hauses informiert.<br />

In diesem Falle bitte ich Sie, den<br />

Sachbearbeitern die Telefonnummer von<br />

Herrn Schäfer (719896) weiterzugeben.<br />

Nehmen Sie nach wie vor Abstand von einem<br />

Inserieren in der „Zeitung für Darmstadt“,<br />

bitte ich Sie um Begründung und darf mir dafür<br />

den 22.10.93 vormerken. Da der Gesetzgeber<br />

ausdrücklich ein wettbewerbswidriges<br />

Verhalten der Behörden durch einseitiges<br />

Bevorteilen gerade bei neu auf den Markt<br />

hinzutretenden Verlagen ausschließt, betrachten<br />

Sie dieses Anschreiben bitte als erste<br />

Abmahnung <strong>im</strong> Sinne juristischer Formvorschriften.<br />

Mit Dank <strong>im</strong> voraus und freundlichem Gruß<br />

Darmstadt, den 29.9.93<br />

M. Gr<strong>im</strong>m<br />

Sehr geehrter Herr Reinhard,<br />

Dank für Ihren Brief vom 7.10.. Ihrer Aufforderung<br />

bin ich gerne nachgekommen und<br />

habe Ihre Objektivität nachzuvollziehen versucht.<br />

Mit meinem Schreiben hatte ich Sie gebeten,<br />

Stellung zu einem wieder einmal unbeantworteten<br />

Schreiben (15.7.) zu beziehen. Ich<br />

verstehe ja, daß Sie nicht gerne schreiben –<br />

das ist wohl objektiv richtig. Inwieweit meine<br />

Schreiben objektiv besehen eine „Anmaßung“<br />

darstellen, vermag ich nicht zu erkennen,<br />

denn <strong>im</strong>merhin ist es der Gesetzgeber,<br />

der eine Gleichbehandlung der Presse vorschreibt.<br />

Da Sie in Lohn und Sold aus öffentlichen Mitteln<br />

stehen, der Bauverein ist eine 100-Prozent-Tochter<br />

der Stadt, haben Sie ebenso<br />

wie alle anderen Behörden den Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

zu beachten. Sowohl<br />

was Informationen anbelangt als auch Anzeigen,<br />

von denen Sie vergangene Woche wieder<br />

einmal eine überflüssig große <strong>im</strong> „Echo“<br />

geschaltet und da<strong>mit</strong> der Förderung fremden<br />

Wettbewerbs gedient haben. Wie lange dauert<br />

es denn noch, bis auch Sie akzeptieren,<br />

daß Darmstadt eine zweite Zeitung braucht<br />

Noch einmal drei Jahre Ohne Anzeigen und<br />

Informationen ist es objektiv außerordentlich<br />

schwer, eine zweite Zeitung aufzubauen –<br />

oder sollten Sie gar etwas gegen die Presse<br />

<strong>im</strong> allgemeinen haben Wenn sich Ihre Zensur<br />

der „Zeitung für Darmstadt“ gegen die<br />

Weibliche Idole,<br />

20.000 Jahre alt und jünger<br />

Liebe Damen und Herren des Teams<br />

und besonders lieber Herr Kölsch,<br />

da habe ich mich doch sehr gefreut, daß<br />

Herr Kölsch nach Wiesbaden ins Frauenmuseum<br />

gefahren ist und über die wichtige<br />

Ausstellung, „Die Sprache der Göttin“, ein<br />

so großer und gut plazierter Artikel von ihm<br />

in der Zeitung für Darmstadt erschien.<br />

Weniger richtig fand ich, daß meine Zeichnung<br />

ohne meinen Namen erschien. Es ist<br />

sicher ein Phänomen, daß ein männlicher<br />

Zeitungsbericht dann doch wenigstens die<br />

Hälfte der Länge Infragestellung sein muß.<br />

Die Frage nach der wissenschaftlichen<br />

Methodik, so scheinbar zierlich gestellt,<br />

läßt sich doch leicht bei den 200 wissenschaftlichen<br />

Aufsätzen von Frau Prof. Marija<br />

D<strong>im</strong>butas nachlesen (es gibt einen sehr<br />

informativen Artikel in „Ab 40“, 4/1993,<br />

✁<br />

Briefe:<br />

An die<br />

Postfach: 10 11 01<br />

64211 Darmstadt<br />

Telefax: 06151 - 71 98 97<br />

einer Zeitschrift von, für und über Frauen)<br />

oder in den veröffentlichten Büchern. Auch<br />

deutsche Autorinnen wie Frau Göttner-<br />

Abendrot oder Jutta Voss wären zu nennen.<br />

Oder wie wär es <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Besuch irgendeines<br />

Museums <strong>im</strong> südosteuropäischen<br />

Raum, da gibt es in je<strong>dem</strong> neolithische Funde<br />

zu sehen. Im Augenblick kann ich bis<br />

Ende des Monats auch die Fotodokumentation<br />

der Ausgrabungen aus Anatolien/Türkei,<br />

Catal Höyük – „Auf den Spuren der Göttin“<br />

<strong>im</strong> Frauenmuseum Bonn empfehlen.<br />

Diese vorpatriarchale Kultur war keine<br />

Frauenherrschaft über Männer, wie Sie sich<br />

leicht überzeugen können, vielleicht n<strong>im</strong>mt<br />

Ihnen das etwas von Ihrer Angst und<br />

Abwehr, Herr Kölsch. Sie haben sich in die<br />

Auseinandersetzung erst einmal hineinbegeben,<br />

das ist lobenswert. Vielleicht wollen<br />

Sie wirklich Ihren Fragen nachgehen und<br />

das ist nicht nur so ein Redaktionsstil von<br />

Ihnen. Ich wünsche Ihnen viele neue<br />

Erkenntnisse, sie werden auch mehr über<br />

sich dabei erfahren können.<br />

Es grüßt Sie herzlich,<br />

Prof. Dr. Gunhild Langosch<br />

Zur Ausstellung: „Weibliche Idole, 20000 Jahre alt<br />

und jünger“ <strong>im</strong><br />

Frauenmuseum<br />

Wiesbaden bis<br />

April 1994<br />

von mir gedruckten Inhalte richten sollte,<br />

warum schreiben Sie dann nicht Publizität<br />

ist Ihnen zugesichert.<br />

Anscheinend paßt die so einfache gesetzliche<br />

Regelung des Gleichbehandlungsgrundsatzes<br />

nicht in die Köpfe einiger DarmstädterInnen.<br />

Was bleibt uns als Zeitungsmachern<br />

dann anderes übrig, als die Gesetzeslage <strong>im</strong>mer<br />

und <strong>im</strong>mer wieder anzumahnen – die Alternative<br />

dazu ist das Einstellen der Zeitung.<br />

Wollen Sie das Wir jedenfalls denken nicht<br />

an ein Einstellen und fordern Sie deshalb wiederholt<br />

auf, die Gesetze einzuhalten und uns<br />

bei der Vergabe sowohl von Informationen<br />

als auch von Anzeigen, die Sie an andere Zeitungen<br />

weiterleiten, zu berücksichtigen.<br />

In diesem Sinne betrachte ich dieses Anschreiben<br />

als zweite juristische Abmahnung<br />

und erwarte, daß Sie mir bis zum 22.10.<br />

schriftlich Bescheid geben, ob Sie diese, meine<br />

objektive Sicht <strong>mit</strong> mir teilen und künftig<br />

für die Gleichbehandlung sorgen werden.<br />

In der neuesten Ausgabe der ZD finden Sie<br />

übrigens noch keine vergleichende Berechnung<br />

für die Bebauung des Ruthsplatzes, da<br />

Sie mir die Informationen darüber nicht zugestellt<br />

haben. Deshalb bitte ich Sie wiederholt<br />

um die Berechnungsunterlagen.<br />

Mit einem freundlichen<br />

Guten Morgen für Darmstadt<br />

Darmstadt, den 8.10.93<br />

M. Gr<strong>im</strong>m<br />

Gesetzwidrige<br />

Tierversuche<br />

Rückhaltlose Informationen über Tierversuche<br />

an der Universitätsklinik in Frankfurt/<br />

Main haben Tierschützer von der hessischen<br />

Landesregierung verlangt. Gesundheitsministerin<br />

Iris Blaul (Grüne) soll <strong>mit</strong>teilen, ob<br />

<strong>dem</strong> Klinikum bis zum Jahr 1995 insgesamt<br />

50 Exper<strong>im</strong>ente an mindestens 33.000 Tieren<br />

genehmigt wurden. Das forderte der<br />

„Bund gegen Mißbrauch der Tiere“ in einem<br />

Schreiben an die Ministerin.<br />

Der Geschäftsführer der Tierschutzorganisation,<br />

Ilja Weiss, will <strong>mit</strong> der Anfrage auch<br />

erfahren, ob es zutrifft, daß die gesetzlich<br />

vorgeschriebene Funktion des betrieblichen<br />

Tierschutzbeauftragten an der Frankfurter<br />

Universitätsklinik seit längerer Zeit nicht<br />

besetzt ist. „In einem solchen Fall würde sich<br />

die Frage stellen, wie es möglich ist, daß <strong>dem</strong><br />

Klinikum überhaupt Tierversuche erlaubt<br />

werden, obwohl das Tierschutzgesetz die<br />

Mitwirkung des betrieblichen Beauftragten<br />

fordert“, stellte Weiss fest.<br />

Eine Frankfurter Tierschutzgruppe hatte<br />

berichtet, aus Unterlagen der Universitätsklinik<br />

gehe hervor, daß dort bis 1995 in 50 Versuchsvorhaben<br />

mindestens 33.000 Tiere<br />

verbraucht werden sollen. Für die bereits<br />

genehmigten Exper<strong>im</strong>ente seien außer Hunden,<br />

Katzen, Meerschweinchen, Hühnerküken<br />

und Schweinen auch Exoten wie Ka<strong>im</strong>ane<br />

und Wachteln vorgesehen.<br />

Jutta Breitwieser, Vorsitzende des<br />

Bundes gegen Mißbrauch der Tiere e. V.<br />

„Was kann eine Mieterinitiative tun und<br />

bewegen“ war das Thema eines Informationsabends<br />

der Mieterinitiative Kranichstein<br />

am Dienstag, den 5. Oktober.<br />

Ulrich Strohecker, Mitglied des Mieterausschusses<br />

des Mannhe<strong>im</strong>er Stadtteils<br />

Vogelstang, berichtete von den vielfältigen<br />

Aktivitäten gegen den Verkauf und die<br />

Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen<br />

in diesem Mannhe<strong>im</strong>er Stadtteil.<br />

Neben monatlichen Broschüren, einer<br />

Stadtteilzeitung zur Information der Bürgerinnen<br />

und Bürger berichtete Herr Strohecker<br />

auch von vielen Aktivitäten zur Herstellung<br />

von Öffentlichkeit. Ein Höhepunkt<br />

war eine Fahrt nach Bonn in den Bundestag<br />

<strong>mit</strong> anderen Initiativen zusammen, wo zeitgleich<br />

die Beratung einer Gesetzesvorlage<br />

zur Wohnungspolitik stattfand. Herr Strohecker<br />

führte die darin beschlossene Verlängerung<br />

der Frist, nach Anspruch auf<br />

Eigenbedarf bei der Umwandlung von Mietin<br />

Eigentumswohnungen geltend gemacht<br />

werden kann, auch auf den massiven Druck<br />

von Mieterinitiativen zurück.<br />

Im Laufe der Diskussion wurde deutlich,<br />

daß es viele Gemeinsamkeiten die Situation<br />

der Mieterinnen und Mieter in Kranichstein<br />

und in Mannhe<strong>im</strong>-Vogelstang betreffend<br />

gibt.<br />

Weitere Themen an diesem Abend waren<br />

die von vielen Mieterinnen und Mietern vorgetragenen<br />

Probleme bei der Mängelbeseitigung<br />

und Instandhaltung vieler Wohnungen,<br />

insbesondere der GWH. Viele klagten<br />

über feuchte Wände, undichte Fenster und<br />

die ungenügende Abstellung dieser Mängel.<br />

Hier wird die Mieterinitiative weiter am<br />

Ball bleiben und die Mieterinnen und Mieter<br />

gezielt informieren.<br />

Weitere Punkte waren die hohen Nebenkosten,<br />

die Forderung nach Wasseruhren in<br />

den einzelnen Wohnungen und ein Notruftelefon<br />

zur besseren Erreichbarkeit in Notfällen.<br />

Die Mieterinitiative will sich <strong>mit</strong> den Wohnungsbauunternehmen<br />

in Verbindung setzen<br />

und Gespräche führen. Der Mieterverein<br />

soll hierbei einbezogen werden und das<br />

noch ausstehende Gespräch baldmöglichst<br />

durchgeführt werden. Leider wurde auch<br />

versucht, einen Mieter von seiten des Vermieters<br />

her unter Druck zu setzen. Der<br />

betroffenen Familie wurde die fristlose Kündigung<br />

angedroht, falls sie weiterhin das<br />

Vertrauensverhältnis zwischen Mieter und<br />

Vermieter belasten würden. Hintergrund<br />

war ein Nachbarschaftsbrief, in <strong>dem</strong> die<br />

Familie ihre Mitbewohner aufforderte, sich<br />

gemeinsam zu wehren. Die Mieterinitiative<br />

weist solche Einschüchterungsversuche<br />

zurück und wird der betroffenen Familie zur<br />

Seite stehen.<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 13<br />

Mieterinitiative Kranichstein<br />

gegen Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen<br />

Das nächste Treffen der Mieterinitiative<br />

wird Ende November stattfinden und über<br />

einen konkreten Forderungs- und Aktivitätenkatalog<br />

beraten. Weiterhin soll Kontakt<br />

zum Förderverein Kranichstein aufgenommen<br />

und weitere Mängel in Kranichsteiner<br />

Wohnungen aufgedeckt und öffentlich<br />

gemacht werden. Wer weitere Informationen<br />

über die Mieterinitiativen haben oder<br />

<strong>mit</strong>machen will, wer Probleme bei der Mängelbeseitigung<br />

hat, wende sich an:<br />

Heinz und Hei<strong>dem</strong>arie Thielmann,<br />

Tel.: 71 23 29 oder<br />

Rainer Keil, Tel.: 71 39 96<br />

Sitzblockaden in Mutlangen<br />

waren keine Nötigung<br />

Freispruch für Klaus Vack und seine Töchter<br />

Mit Beschluß vom 30.9.93 hat das Amtsgericht<br />

Schwäbisch Gmünd nach siebeneinhalb<br />

Jahren das Strafverfahren wegen Nötigung<br />

anläßlich pazifistisch begründeter<br />

Sitzblockaden in Mutlangen - gegen Klaus<br />

Vack, dessen Töchter Aicha und Sonja<br />

sowie Ingmar Reichert eingestellt. Ebenfalls<br />

eingestellt wurde vom Landgericht Ellwangen<br />

ein Strafverfahren am 17.9. gegen<br />

Christel Eifert , die <strong>im</strong> September1986<br />

gleichfalls in Mutlangen an einer Sitz<strong>dem</strong>onstration<br />

gegen Pershing-Raketen teilgenommen<br />

hatte.<br />

Im Familienprozeß Vack begründete das<br />

Gericht die Einstellung <strong>mit</strong> der langen Verfahrensdauer,<br />

die in keinem Verhältnis stehe<br />

zu der dreijährigen Bewährungsfrist.<br />

Das Gericht wies daraufhin, daß sich <strong>im</strong><br />

Laufe der Jahre die Rechtsauffassung zum<br />

Nötigungsparagraphen geändert habe.<br />

Durch <strong>im</strong>mer mehr Obergerichte erfolgten<br />

entweder Freisprüche oder würden für eine<br />

Verurteilung Voraussetzungen erhoben, die<br />

nach so langer Zeit nicht mehr nachgeprüft<br />

werden könnten .<br />

P.E.N.<br />

protestiert gegen<br />

Kontakte <strong>mit</strong><br />

Gehe<strong>im</strong>dienst<br />

Äußerst schockiert äußerst sich das P.E.N.-<br />

Zentrum der BRD über die engen Kontakte<br />

Bonns zum iranischen Gehe<strong>im</strong>dienst.<br />

Die zweitägigen Verhandlungen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

Chef des iranischen Gehe<strong>im</strong>dienstes, Minister<br />

Fallahian, wenige Tage nach <strong>dem</strong><br />

Attentat auf den norwegischen Verleger von<br />

Salman Rushdie in Oslo, nennt der P.E.N.<br />

eine Ungeheuerlichkeit. Mit diesen<br />

Gesprächen und der gleichzeitig bekannt<br />

gewordenen bereits zweijährigen engen<br />

Zusammenarbeit der Dienste beider Länder<br />

habe sich die Bundesregierung auch innerhalb<br />

der Europäischen Gemeinschaft isoliert.<br />

Offenbar spreche man in Bonn <strong>mit</strong><br />

zwei Zungen. Wer verbal für Rushdie eintrete<br />

und gleichzeitig <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> iranischen<br />

Gehe<strong>im</strong>dienst verhandele, riskiere seine<br />

Glaubwürdigkeit.<br />

Wörtlich heißt es: „Bonn weigert sich, das<br />

Treffen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> iranischen Minister zu<br />

kommentieren“. Aber <strong>dem</strong> Gast der Bundesregierung<br />

aus Teheran selbst verdanken<br />

wir die Information, daß es Konfliktpunkte<br />

nicht gab und von Menschenrechten nicht<br />

die Rede war. Auch das Todesurteil gegen<br />

einen <strong>im</strong> Iran verhafteten Deutschen und<br />

die Ermordung von vier iranischen Kurden<br />

auf deutschem Boden <strong>im</strong> September 1992<br />

standen offenbar nicht zur Debatte. Seit<br />

1989 sind in Westeuropa insgesamt 21 iranische<br />

Dissidenten ermordet worden. Daß<br />

der dafür verantwortliche iranische<br />

Gehe<strong>im</strong>dienst sich darauf berufen kann, <strong>mit</strong><br />

Bundeskanzleramt, BND und Verfassungsschutz<br />

vertrauensvoll zusammenzuarbeiten,<br />

verdient festgehalten zu werden.<br />

P.E.N.-Zentrum<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

Der erste Prozeß in dieser Sache gegen<br />

Klaus Vack und seine Angehörigen, der<br />

über fünf Verhandlungstage ging und<br />

Kosten von zirka 12.000 Mark verursachte<br />

hatte, führte am 19.2.87 zu einer Verurteilung.<br />

Diese wurde jedoch vom Oberlandesgericht<br />

Stuttgart zurückverwiesen, weil der<br />

damalige Amtsrichter, der heutige Gerichtspräsident<br />

des Amtsgerichts Schwäbisch<br />

Gmünd Dr. Werner Offenloch, zwar ausdrücklich<br />

die lauteren Motive und die Friedlichkeit<br />

der Demonstration in seinem<br />

schriftlichen Urteil hervorgehoben hatte,<br />

die Blockade gegen Raketen jedoch als verwerflich<br />

eingestuft hatte.<br />

In allen Fällen erfolgte die Einstellung auf<br />

Kosten der Staatskasse. Da<strong>mit</strong> kommen<br />

diese Einstellungen sämtlich einem Freispruch<br />

gleich.<br />

Klaus Vack sieht in diesen und vielen anderen<br />

Fällen von Einstellungen keinen ausreichenden<br />

Anlaß zur Zufriedenheit: „Be<strong>im</strong><br />

Nötigungsparagraphen ist die Justiz zum<br />

Büttel der Politik geworden, und es ist eine<br />

Schande, daß der Nötigungsparagraph, der<br />

über zehn Jahre <strong>mit</strong> großer Schärfe angewandt<br />

wurde, nicht längst zugunsten der<br />

friedlichen Demonstranten reformiert worden<br />

ist. Das Ko<strong>mit</strong>ee für Grundrechte und<br />

Demokratie wird sich auch weiter politisch<br />

und juristisch gegen den §240 StGB wenden,<br />

denn er wird frühestens dann wieder<br />

in Aktion gesetzt, wenn es zu neuen, gleichgelagerten<br />

Konflikten <strong>kommt</strong>.<br />

Hanne Vack<br />

DESIGNERTEPPICHE<br />

DARMSTADT<br />

ROSSD–RFER PLATZ


Im Stundentakt von Ort zu Ort<br />

VCD fordert „Integralen Taktfahrplan“ <strong>im</strong> Kreis<br />

Eine komplette Überarbeitung<br />

des öffentlichen Nahverkehrs <strong>im</strong> Kreis Darmstadt-Dieburg<br />

hat der Verkehrsclub Deutschland<br />

(VCD) gefordert. Nach Ansicht des VCD<br />

soll ein „Integraler Taktfahrplan“ es in naher<br />

Zukunft ermöglichen, <strong>im</strong> Stundentakt von<br />

je<strong>dem</strong> Ort <strong>im</strong> Kreis jeden anderen Ort zu<br />

erreichen, ohne lange auf den Anschluß warten<br />

zu müssen. Für den Schienenverkehr läßt<br />

der Rhein-Main-Verkehrsbund bereits eine<br />

entsprechende Untersuchung erstellen.<br />

Be<strong>im</strong> integralen Taktfahrplan setzt der<br />

umweltbewußte Verkehrsclub auf die Koordination<br />

der heutigen Bahn- und Buslinien. Diese<br />

müßten „intelligent ver<strong>net</strong>zt“ werden. An<br />

den Knotenpunkten sollen alle Nahverkehrslinien<br />

zu gleicher Zeit eintreffen und abfahren.<br />

So könnten opt<strong>im</strong>ale Anschlüsse in alle Richtungen<br />

sichergestellt werden. Ein derartiger<br />

Taktknoten ist in Darmstadt bereits der Luisenplatz,<br />

<strong>im</strong> Ostkreis der Dieburger Bahnhof.<br />

Als weitere Knoten stellt sich der VCD unter<br />

anderem den Bahnhof Bickenbach und eine<br />

zentrale Bushaltestelle in Modautal-Ernsthofen<br />

vor.<br />

Allein durch die Ver<strong>net</strong>zung und den effektiven<br />

Einsatz der vorhandenen Fahrzeuge<br />

erwartet der VCD mehr Fahrgäste von rund<br />

10 Prozent. „Diese Zahl wurde uns von fortschrittlichen<br />

Nahverkehrsplanern genannt“,<br />

meint Uwe Schuchmann, Sprecher des VCD.<br />

Die Linienstruktur muß nach Ansicht des<br />

VCD dabei „komplett überdacht werden“. So<br />

sollte z.B. die Schnellbuslinie Groß-Umstadt<br />

– Darmstadt mindestens jede Stunde über<br />

den Dieburger Bahnhof führen, um opt<strong>im</strong>ale<br />

Anschlüsse aus der Weininsel in Richtung<br />

Rodgau herzustellen.<br />

In den integralen Taktfahrplan soll „auf jeden<br />

Fall“ der heutige Schulbusverkehr eingebaut<br />

werden; Schulbeginn und -ende sollen sich<br />

am Fahrplan orientieren. So können heute<br />

ineffektiv gebundene Finanz<strong>mit</strong>tel statt für<br />

Schulbusse für einen attraktiven Nahverkehr<br />

verwendet werden. „Zur Zeit gibt der Kreis<br />

mehr Geld für die Schülerbeförderung aus als<br />

für den öffentlichen Nahverkehr“, weiß<br />

Schuchmann. Angesichts der heutigen<br />

Finanz<strong>mit</strong>telknappheit müsse „jegliche Ressource“<br />

zur Finanzierung des Nahverkehrs<br />

erschlossen werden.<br />

Uwe Schuchmann<br />

„Die Erkenntnis lautet: Es gibt nur ein Interesse<br />

der <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Fall befaßten Juristen:<br />

Das Verfahren gegen Anton Malloth zu verhindern.“<br />

„Dabei erschien auf <strong>dem</strong> Bildschirm auch<br />

der Dortmunder Oberstaatsanwalt Klaus<br />

Schacht: Ein emotionsloser Ochsenfrosch,<br />

<strong>dem</strong> die Untat ins Gesicht geschrieben<br />

stand.“<br />

Diese beiden Sätze schrieb Ralph Giordano<br />

in seiner Rezension des Buches „Haus<br />

Deutschland oder die Geschichte eines<br />

ungesühnten Mordes“ von Peter Finkelgruen,<br />

die am 9.1.1993 in der „Frankfurter<br />

Rundschau“ erschien. In <strong>dem</strong> Buch wird<br />

die Geschichte von Finkelgruens Großvater<br />

rekonstruiert und wie dieser Opfer eines<br />

Verbrechens, begangen durch den SS-Aufseher<br />

Anton Malloth, wurde. Das Verhältnis,<br />

das Politik und Justiz dieses Landes<br />

nach <strong>dem</strong> Krieg zu Opfern und Tätern entwickelt<br />

haben, wird an den in diesem dargestellten<br />

Personen exemplarisch aufgezeigt<br />

– einschließlich des Oberstaatsanwalts<br />

Klaus Schacht, der die Anklage gegen einen<br />

bereits als Mörder Überführten und Verurteilten<br />

abgelehnt hat.<br />

Im folgenden veröffentlichen wir einen<br />

Briefwechsel zwischen der HEAG und der<br />

ZD, der Einsicht gibt, warum in der Berichterstattung<br />

über einige fremdenfeindliche<br />

Vorfälle nichts über Konsequenzen zu lesen<br />

war. Die HEAG enthält auf Vorstandsbeschluß<br />

der Öffentlichkeit die Informationen<br />

vor und beschwert sich darüber, daß in der<br />

ZD, Ausgabe 55, der folgende Absatz publiziert<br />

war: „Die HEAG präsentierte werbewirksam<br />

ihre Aktion, ‚Stoppt alten Haß und<br />

neue Schläger‘, verschwieg jedoch<br />

Schmäh- und Drohbriefe, die daraufhin<br />

zuhauf eingegangen sein sollen – auch eine<br />

Anfrage der ZD blieb bis heute unbeantwortet“.<br />

Auf <strong>dem</strong> „Fachtag des Kommunalen<br />

Präventionsrates“ war eindeutig festgehalten<br />

worden: Gewalt wird unterstützt, wenn<br />

sie geduldet wird.<br />

BRIEFE AN DIE REDAKTION II<br />

Eine Mark für Kinder <strong>im</strong> Krieg<br />

Vertrauliches zwischen Hessischer Elektrizitäts AG und ZD<br />

Wie Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten werden<br />

Traudel Damjanic hofft auf Spenden und auf Weihnachtspäckchen<br />

Die schrecklichen Kriegsbilder aus <strong>dem</strong><br />

ehemaligen Jugoslawien gehören seit<br />

Monaten zum bundesrepublikanischen<br />

Fernsehalltag und haben durch negativen<br />

Gewöhnungseffekt zwangsläufig an ihrer<br />

eindringlichen Kraft verloren, die noch vor<br />

Wochen starke Hilfsbereitschaft und Spendenfreude<br />

ausgelöst hatte. „Jetzt dürfen wir<br />

nicht aufhören, das unsagbare Leid der<br />

Kriegskinder zu lindern.“<br />

Traudel Damjanic organisiert und begleitet<br />

Staatsanwalt: Beleidigung und üble Nachrede<br />

P.E.N.-Schriftsteller solidarisieren sich <strong>mit</strong> Ralph Giordano<br />

Am 26.4.93 teilte der Frankfurter Staatsanwalt<br />

Rauchhaus Ralph Giordano <strong>mit</strong>, daß<br />

gegen ihn ein Er<strong>mit</strong>tlungsverfahren wegen<br />

„Beleidigung und übler Nachrede zum<br />

Nachteil des Oberstaatsanwalts Klaus<br />

Schacht“ eingeleitet worden sei. Am 6.8.93<br />

hat Rauchhaus be<strong>im</strong> Amtsgericht Frankfurt<br />

Anklage erhoben. Statt den Kollegen<br />

Schacht auf den Weg der Privatklage zu<br />

verweisen, den seinerzeit auch Heinrich<br />

Böll gegen Matthias Walden beschreiten<br />

mußte, hat der Frankfurter Staatsanwalt<br />

beschlossen, Ralph Giordano <strong>im</strong> Interesse<br />

der Öffentlichkeit, d.h. des Staates, anzuklagen.<br />

Nach <strong>dem</strong> Feuertod dreier Türkinnen in<br />

Mölln am 23.11.92 hatte Giordano, angesichts<br />

des Passivität des Staates, gegen die<br />

rechten Gewalttäter an Helmut Kohl<br />

geschrieben, Juden in Deutschland würden<br />

ihren Schutz nun selber in die Hände nehmen.<br />

Zwei Tage später erklärte Bundeskanzler<br />

Kohl <strong>im</strong> Plenum des Deutschen<br />

Bundestages: „Das Gewaltmonopol des<br />

Staates darf nicht angetastet werden. Wer<br />

dies versucht, muß die ganze Härte des<br />

Staates zu spüren bekommen.“ Kurz<br />

Sehr geehrter Herr Methlow,<br />

Ihr Schreiben vom 15.10. darf ich berichtigen.<br />

Zum einen hatten nicht Sie mir „vertraulich“<br />

<strong>mit</strong>geteilt, daß auf Ihre Aktion „Stoppt alten<br />

Haß und neue Schläger“ Droh- und Schmähbriefe<br />

eingegangen sind, zum anderen hatten<br />

sie am 6.9. zugesagt, <strong>mit</strong>zuteilen, ob der Vorstand<br />

die Informationen freigibt. Nach Ihrer<br />

Auskunft wollte der Vorstand die Schmähbriefe<br />

in der darauffolgenden Woche sichten<br />

und dann entscheiden, ob die HEAG da<strong>mit</strong> an<br />

die Öffentlichkeit treten wolle. Ich warte seit<strong>dem</strong><br />

vergebens auf Ihren Rückruf.<br />

Dann trat die HEAG <strong>mit</strong> der Aktion auf <strong>dem</strong><br />

Fachtag des kommunalen Präventionsrates<br />

am 29.9. öffentlich werbewirksam auf und<br />

verschwieg die ausländerfeindlichen Reaktionen.<br />

Hatten Sie erwartet, daß wir unseren<br />

LeserInnen ebenso eine scheinbar heile<br />

Darmstädter Wirklichkeit vorspiegeln<br />

Der Vorstand der HEAG, nach Ihrer Auskunft<br />

bestehend aus Ihnen, Horst Blechschmidt<br />

und Dr. Siegfried Bittner, hat offensichtlich<br />

beschlossen, die Öffentlichkeit nicht zu informieren;<br />

dürfen wir wohl daraus schließen,<br />

daß wir nichts mehr von Ihnen gehört haben.<br />

Eine Informationssperre gilt wohl auch für<br />

die Resolution des AStA der Technischen<br />

Hochschule: Sie erinnern sich Aufgrund der<br />

Zeugenaussage eines Studenten waren die<br />

Fahrkartenkontrolleure Ihres Frankfurter<br />

Subunternehmens beschuldigt worden, offen<br />

ausländerfeindlich aufgetreten zu sein.<br />

Angeblich wollte die HEAG dringlichst den<br />

Zeugen sprechen und konnte ihn – so war<br />

uns <strong>mit</strong>geteilt worden – nicht erreichen.<br />

Nach<strong>dem</strong> wir Ihnen die Adresse des Studenten<br />

<strong>mit</strong>geteilt hatten, war er nach eigener<br />

Aussage bei Ihnen – doch Sie behaupteten<br />

gegenüber der ZD, er sei nicht erreichbar<br />

gewesen. Auch ein Vorstandsbeschluß<br />

Nehmen Sie dies bitte als erste schriftliche<br />

Frage, auf deren Beantwortung unsere LeserInnen<br />

ebenso neugierig sind wie wir. Übrigens:<br />

unseren LeserInnen ist es sicher<br />

gleichgültig, wie die Informationen an die ZD<br />

gelangen, ob telefonisch oder schriftlich,<br />

Hauptsache, die Fragen werden beantwortet.<br />

Und da möchten wir gleich den Anfang <strong>mit</strong><br />

den folgenden Fragen machen:<br />

1. Wieviele Droh- bzw. Schmähbriefe sind<br />

der HEAG auf Ihre Aktion „Stoppt alten Haß<br />

… “ zugegangen<br />

2. Sind Sie bereit, der Öffentlichkeit die<br />

Drohbriefe zugänglich zu machen<br />

<strong>im</strong> dritten Jahr regelmäßig Hilfstransporte<br />

(bisher 27) in Lager an der dalmatinischen<br />

Küste und überwacht die Verteilung der<br />

Güter an Ort und Stelle. Kinder, die die<br />

Flucht und Vertreibung aus ihren He<strong>im</strong>atorten<br />

in Bosnien-Herzegowina und Kroatien<br />

überlebt haben, sind hier in Lagern und<br />

ehemaligen Hotels untergebracht. Krank an<br />

Körper und Seele aus einer Alptraumwelt<br />

kommend, leben sie in Not und Hunger.<br />

„Die Kinder leiden stark, die Babynahrung<br />

danach hat der Dortmunder Oberstaatsanwalt<br />

Schacht bei seinen Frankfurter Kollegen<br />

Anzeige gegen Giordano erstattet.<br />

Wir, die Unterzeichnenden, übernehmen<br />

die inkr<strong>im</strong>inierten Sätze als eigene und<br />

äußern sie hier<strong>mit</strong> öffentlich:<br />

Jurek Becker, Katja Behrens, Henryk Broder,<br />

Wibke Bruhns, Eva Demski, Dr. Christa<br />

Dericum, Peter Finkelgruen, Uwe Friesel,<br />

Jürgen Fuchs, Max von der Grün, Gerd Heidenreich,<br />

Dieter Hildebrandt, Ursula Krechel,<br />

Manfred Krug, Günter Kunert, Dr. Jea<strong>net</strong>te<br />

Lander, Siegfried Lenz, Monika<br />

Maron, Helmut Ortner, Prof. Dr. Adalbert<br />

Podlech, Peter Schneider, Wilfried Schoeller,<br />

Gertrud Seehaus, Adam Seide, Johannes<br />

Mario S<strong>im</strong>mel, Günter Wallraff, Eva<br />

Weissweiler, Gerhard Zwerenz<br />

PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren<br />

<strong>im</strong> Ausland, Fritz Beer, London<br />

Weitere Unterschriften und Solidaritätsbekundungen<br />

werden begrüßt. Schreiben Sie<br />

an:<br />

ISRADOK, 50937 Köln, Postfach 420 248<br />

Wenn nein, warum nicht<br />

3. Soweit die Drohbriefe strafbaren Inhaltes<br />

waren, hat die HEAG gegen die Autoren<br />

Strafanzeige gestellt<br />

4. Warum hat die HEAG die Aktion als vorbildlich<br />

in der Öffentlichkeit dargestellt und<br />

die Reaktionen verschwiegen<br />

5. Sind der HEAG weitere fremdenfeindliche<br />

Aktionen bekannt geworden, die sie der<br />

Öffentlichkeit nicht bekannt machen will<br />

Wenn ja, wieviele und welche<br />

Der HEAG war eine Resolution des AStA der<br />

Technischen Hochschule zugeleitet worden,<br />

wegen rassistischer Äußerungen von Fahrkartenkontrolleuren.<br />

1. Warum ist der ZD trotz Anfrage nicht <strong>mit</strong>geteilt<br />

worden, daß zwischen <strong>dem</strong> Zeugen<br />

und der HEAG ein Gespräch stattfand und<br />

was dabei herausgekommen ist<br />

2. Beschäftigt die HEAG das Unternehmen<br />

weiterhin Wenn ja, warum<br />

3. Ist es richtig, daß unter den Angestellten<br />

des Fahrkartenkontrollunternehmens Vorbestrafte<br />

und Mitglieder rechter Organisationen<br />

beschäftigt sind<br />

4. Würde die HEAG ein Unternehmen, das in<br />

Ihrem Auftrag arbeitet und offen fremdenfeindlich<br />

auftretende Angestellte beschäftigt<br />

auch als fremdenfeindlich bezeichnen<br />

Wenn nein, warum nicht<br />

Für die Finanzplanung würde uns die Beantwortung<br />

der folgenden Fragen gelegen kommen:<br />

a. Warum vergibt die HEAG keine Anzeigenaufträge<br />

mehr an die ZD<br />

b. Kann es sein, daß die Vergabe der Aufträge<br />

<strong>mit</strong> der Berichterstattung zusammenhängt<br />

c. Warum fördert die HEAG fremden Wettbewerb<br />

durch das Inserieren in anderen Zeitungen<br />

Da unseren LeserInnen gleich ist, ob die<br />

Auskünfte schriftlich oder mündlich erteilt<br />

werden, würde es uns freuen, wenn Sie uns<br />

die Informationen bis zum 30.10. zukommen<br />

lassen würden, denn wir sichern Ihnen<br />

Publizität in der nächsten Ausgabe der ZD,<br />

die am 5.11. erscheint, zu.<br />

Mit freundlichem Gruß,<br />

der Herausgeber<br />

PS: Wir sichern der HEAG zu, Ihre Mitteilungen<br />

künftig auf Wunsch <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Zusatz<br />

„vertraulich“ zu versehen.<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 14<br />

aus den Hilfstransporten reicht längst nicht<br />

aus, Medikamente fehlen.“<br />

In diesem Jahr hat die Flüchtlingskinder-<br />

Hilfe bereits <strong>mit</strong> einer spektakulären Aktion<br />

in der Öffentlichkeit auf das Elend der<br />

Kriegskinder hinweisen können. „Der Krieg<br />

in meinen Augen“ war das Thema einer<br />

Ausstellung <strong>mit</strong> Bildern, Gedichten und<br />

Texten der jungen Kriegsopfer, deren Arbeiten<br />

– unüberhörbare Hilferufe – nicht nur<br />

<strong>im</strong> Hessischen Landesmuseum in Darmstadt<br />

oder <strong>im</strong> Plenarsaal des Bundestages<br />

in Bonn gezeigt wurden, sondern auch weiterhin<br />

als Wanderausstellung in Deutschland<br />

präsentiert wird – <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Ziel, die<br />

Hilfsbereitschaft erneut zu wecken und wieder<br />

zu stärken. Mit Hilfe dieser eindringlichen<br />

und stark berührenden Ausstellung<br />

will Traudel Damjanic zu<strong>dem</strong> erreichen, daß<br />

den Flüchtlingskindern sowohl medizinische<br />

als auch psychotherapeutische Hilfe<br />

geleistet werden kann. „Uns fehlt leider<br />

Geld.“<br />

Die Helferin, <strong>mit</strong> einem Kroaten verheiratet<br />

und Mutter zweier Söhne von 15 und 19<br />

Jahren, hat jetzt <strong>mit</strong> einer neuen Aktion<br />

„Eine Mark für Kinder <strong>im</strong> Krieg“ wieder den<br />

Versuch gestartet, auch Schulkinder zu<br />

motivieren, für ihre Altersgenossen in Not<br />

zu spenden. Damjanic : „Ich bin den Schülerinnen<br />

und Schülern sehr dankbar für die<br />

Hilfe, die sie in der Vergangenheit geleistet<br />

haben, besonders in Darmstadt. Für die<br />

jetzt anlaufende Weihnachts-Sammelaktion<br />

braucht die Flüchtlingskinder-Hilfe dringend<br />

Unterstützung.<br />

Jede Spende hilft,<br />

helfen Sie bitte <strong>mit</strong><br />

Dringend benötigt werden folgende Sachspenden<br />

:<br />

Nahrung: Reis, Nudeln, Mehl, Kartoffelprodukte,<br />

Milchpulver, Haferflocken, Margarine,<br />

Öl, Zucker, Kakao, Tee, Fertigsuppen,<br />

Brotaufstrich.<br />

Aus <strong>dem</strong> medizinischen Bereich: Insulin,<br />

Verbandsmaterial, Injektionen für Zahnmedizin<br />

(Anästhesie), Läusepulver, Rollstühle.<br />

Hygienische Artikel: Seife, Waschpulver,<br />

Monatshygiene, Windeln, Babyöl, Wundschutzcreme,<br />

Zahnpasta und -bürsten.<br />

Darüberhinaus werden gebraucht: Stromaggregate,<br />

Geräte zur Brandbekämpfung –<br />

so ein gebrauchtes Feuerwehrauto,<br />

Taschenlampen (Batterien), Kerzen,<br />

Streichhölzer, Kopiergeräte, um Schulbücher<br />

zu vervielfältigen.<br />

Sachspenden nach telefonischer Absprache<br />

an Traudel Damjanic, Telefon 716547.<br />

Für Geldspenden wird eine gültige Spendenbescheinigung<br />

zur Vorlage be<strong>im</strong> Finanzamt<br />

ausgestellt.<br />

Spendenkonto: 20 00 130,<br />

Sparkasse Darmstadt (BLZ 50 850 150),<br />

Kennwort „Flüchtlingshilfe“, Dekanat<br />

Darmstadt HST 037<br />

Weihnachtspäckchen für die<br />

Kriegskinder<br />

Über die laufende Versorgung <strong>mit</strong> Hilfsgütern<br />

aller Art hinaus soll den Kindern zu<br />

Weihnachten eine persönliche Freude<br />

gemacht werden.<br />

Traudel Damjanic und ihre Helferinnen und<br />

Helfer hatten bereits in den vergangenen<br />

Jahren zur Weihnachtszeit die Kriegskinder<br />

in den Lagern beschenken können. Wie bisher<br />

sollen kleine Weihnachtspakete (angestrebt<br />

sind mindestens 3.000 Stück), die<br />

einen Wert von etwa zehn Mark haben.<br />

Hierfür werden folgende – auch gebrauchte<br />

– Dinge gesammelt: Kleine Plüschtiere,<br />

Spielzeugautos, Schulmaterial, Süßigkeiten<br />

jeder Art.<br />

Diese Sachspenden werden nach telefonischer<br />

Absprache von Traudel Damjanic entgegengenommen.<br />

Bis Ende November 1993 werden sie<br />

gesammelt, in einzelne Päckchen verteilt<br />

und in der ersten Dezemberwoche zu den<br />

Kindern transportiert.<br />

Jede Spende hilft und schenkt Freude. Helfen<br />

Sie bitte <strong>mit</strong>.<br />

Traudel Damjanic<br />

Die Zeitung für Darmstadt<br />

!<br />

druckt Briefe an die Redaktion<br />

grundsätzlich unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und<br />

Grammatikfehler sowie Wiederholungen. Für Kürzungen wird<br />

die Zust<strong>im</strong>mung der AutorInnen eingeholt. Inhaltliche, auch<br />

politische, Änderungen werden nicht angebracht und auch<br />

nichts hinzugefügt. Die Briefe geben nicht die Meinung der<br />

Redaktion wieder.


PARTEIEN - STANDPUNKTE I<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 15<br />

Zur Tiefgarage <strong>im</strong><br />

HEAG-Block<br />

„Wir wollen nicht nur <strong>im</strong>mer<br />

weiter über eine neue Verkehrspolitik reden,<br />

sondern <strong>dem</strong> Reden auch Taten folgen lassen“,<br />

sagt Günter Mayer, Fraktionsvorsitzender<br />

der Grünen, zur Kritik der Industrie- und<br />

Handelskammer an den Überlegungen der<br />

Koalition, die geplante Tiefgarage <strong>im</strong> HEAG-<br />

Block auf zwei Stockwerke zu verringern und<br />

die Zahl der Parkplätze drastisch zu reduzieren.<br />

„Das ist auch kein fauler Kompromiß, weil<br />

die beiden Ebenen für die Erschließung und<br />

die Lkw-Andienung wohl notwendig sind.“<br />

Die geplante Zufahrt von der zweiten Ebene<br />

der Luisencenter-Tiefgarage in die vierte<br />

Ebene der Heag-Hallen-Tiefgarage wäre<br />

außer<strong>dem</strong> unübersichtlich und eine richtige<br />

Angströhre. Schon aus diesem Grund muß<br />

der Bau dieser unterirdischen Stockwerke<br />

abgelehnt werden.<br />

Es ist der politische Wille der Koalition, die<br />

erheblichen Belastungen zu verringern, die<br />

der Autoverkehr verursacht. „Die Schaffung<br />

weiterer Parkplätze in der Innenstadt und die<br />

Reduzierung des Autoverkehrs schließen<br />

sich aber gegenseitig aus“, so Günter Mayer<br />

weiter.<br />

In der Innenstadt gibt es genug Parkraum in<br />

öffentlichen Parkhäusern und Tiefgaragen.<br />

Nur parken dort zu 40 Prozent Dauerparker,<br />

hauptsächlich Berufspendler. Die Zahl derjenigen,<br />

die <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Auto zur Arbeit nach<br />

Darmstadt fahren, muß verringert werden.<br />

Das wird durch die Umwandlung von Langzeitparkplätzen<br />

in Kurzzeitparkplätze und<br />

durch die Förderung des Öffentlichen Nahverkehrs<br />

(ÖPNV) erreicht.<br />

Dazu gehört auch, daß die Parkgebühren<br />

deutlich angehoben werden. Parken <strong>im</strong> Zentrum<br />

von Nürnberg zum Beispiel kostet 5<br />

Mark in der Stunde. Durch eine kommunale<br />

Steuer oder eine Abgabe auf Gebühren in<br />

innerstädtischen privaten Parkhäusern<br />

könnten die Mehreinnahmen durch die<br />

Gebührenerhöhung abgeschöpft werden.<br />

Zur Zeit werden nämlich diejenigen bestraft,<br />

die sich ökologisch vernünftig verhalten und<br />

Busse und Bahnen benutzen. Denn die Preise<br />

für den ÖPNV sind oft höher als die Parkgebühren.<br />

Solange man in Darmstadt so<br />

günstig parken kann, steigt niemand auf<br />

öffentliche Verkehrs<strong>mit</strong>tel um. Das ist auch<br />

der Grund, warum viele Darmstädter aus<br />

den Stadtteilen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Auto wenige Kilometer<br />

in die Stadt fahren.<br />

Durch diese Maßnahmen würde nicht nur<br />

die Belastung durch den Autoverkehr verringert,<br />

sondern in der Innenstadt würden auch<br />

Parkplätze für Besucher aus <strong>dem</strong> Umland<br />

frei.<br />

Der Verzicht auf den Bau zweier Etagen der<br />

geplanten HEAG-Block-Tiefgarage vereinfacht<br />

außer<strong>dem</strong> die Baumaßnahmen erheblich<br />

und verkürzt die Bauzeit. „Auch das ist<br />

ein Gewinn für die Innenstadt“, so die Grünen<br />

weiter.<br />

Der Bau eines Tiefgaragen-Parkplatzes<br />

kostet ca. 70.000 Mark. „HEAG“ ist in Darmstadt<br />

auch ein Symbol für Öffentlichen Personennahverkehr.<br />

Da müssen sich die Verantwortlichen<br />

wirklich fragen lassen, ob sie<br />

<strong>mit</strong> soviel Geld eine Politik unterstützen wollen,<br />

die <strong>dem</strong> Autoverkehr nutzt und <strong>dem</strong><br />

ÖPNV schadet.<br />

B 3-Umgehung:<br />

die unendliche<br />

Geschichte<br />

Der zügige Weiterbau der B 3-<br />

Umgehung Arheilgen entwickelt sich nach<br />

Meinung des FDP-Ortsverbandes Arheilgen/Wixhausen<br />

zu einer Stillstandsphase<br />

<strong>mit</strong> unabsehbarem Fertigstellungstermin.<br />

Seit Beginn der neuen Koalition von<br />

SPD/Grünen <strong>im</strong> Darmstädter Stadtparlament<br />

ist ein Stillstand <strong>im</strong> Weiterbau der B 3 festzustellen,<br />

obwohl die Straßenbauverwaltung<br />

als auch der Hessische Minister für Wirtschaft<br />

und Verkehr die Stadt zu einer Äußerung<br />

über ihre Haltung zu den diskutierten<br />

Planungsänderungen drängen. Eine Koordinationsentscheidung<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> S-Bahn-Bau<br />

Frankfurt/Darmstadt wird als dringend notwendig<br />

angesehen.<br />

Die von SPD/Grünen anvisierten Änderungen,<br />

wie Verzicht auf eine Anbindung der<br />

Weiterstädter Straße an die B 3, Unterführung<br />

statt Überführung der Anbindung Virchowstraße<br />

sowie Verlagerung der Anbindung<br />

Virchowstraße an die B 3 nach Süden<br />

und <strong>dem</strong> Bau von Fußgänger- und Radfahrerquerungen<br />

an Weiterstädter- und Ötterstädterweg<br />

verteuern die Baumaßnahme um<br />

einen zweistelligen Millionenbetrag und verhindern<br />

eine zügige Realisierung bis 1995,<br />

da außer<strong>dem</strong> der bestehende Bebauungsplan,<br />

<strong>mit</strong> all den daraus resultierenden Folgeerscheinungen,<br />

grundlegend geändert werden<br />

muß, wie der Hessische Wirtschaftsminister<br />

unmißverständlich klarstellte.<br />

Dabei würde die neue Unterführung der<br />

Virchowstraße allein Mehrkosten von 10<br />

Millionen Mark beinhalten, die die Stadt<br />

allein tragen müßte, da der Bund keine Notwendigkeit<br />

für diese Umplanungsmaßnahme<br />

sieht. Zum anderen wäre die Deutsche Bundesbahn<br />

dann Bauträger und würde so<strong>mit</strong><br />

den baulichen Zeitplan best<strong>im</strong>men. Ein<br />

Abhängen der Weiterstädter Straße schneidet<br />

die Verbindungen zum Westgebiet<br />

Arheilgens ab; ein direkter Weg zum Gewerbegebiet<br />

ist dann nicht mehr gegeben,<br />

obwohl die Stadt dort weiterhin Gewerbe<br />

ansiedelt, wie auch Wohngebiete <strong>im</strong> südlichen<br />

Teil. Auch der direkte Weg zum neuen<br />

Grillplatz ist nur über Umwege zu erreichen.<br />

Die Landwirte müßten ebenfalls in Zukunft<br />

über die Virchowstraße zu ihren Feldern fahren,<br />

wie der gesamte Verkehr, der dann als<br />

Ausweichmöglichkeit den Bereich der<br />

Römer-/Wechslerstraße n<strong>im</strong>mt. Die Anwohner<br />

dieser Straßen werden über diese verkehrliche<br />

Lösung wenig glücklich sein, insbesondere<br />

die Belästigung für die dortigen<br />

Altenhe<strong>im</strong>bewohner wird kaum erträglich<br />

sein.<br />

Darum seien, so der Vorsitzende des Ortsverbandes<br />

und Stadtverord<strong>net</strong>e Dieter Balzer,<br />

die Vorschläge der neuen Koalition<br />

abzulehnen. Der derzeitige Bebauungsplan<br />

sei so zu belassen, und da<strong>mit</strong> ein zügiger<br />

Weiterbau zu gewährleisten. Balzer erwartet<br />

von der SPD, daß sie diesen Alternativvorschlägen<br />

nicht zust<strong>im</strong>mt, zumal sie den vorliegenden<br />

Bebauungsplan in allen Phasen<br />

einst<strong>im</strong>mig <strong>mit</strong>getragen hat. Jede abweichende<br />

SPD-Haltung bedeutet für Arheilgen<br />

auf lange Zeit weiterhin die enormen Verkehrsbelastungen,<br />

insbesondere für die<br />

Anwohner der Frankfurter Landstraße; diese<br />

werden es der SPD sicherlich „danken“.<br />

Lern- und Spielstube<br />

vor <strong>dem</strong> Aus<br />

Eine seit Jahren in Darmstadt<br />

bewährte Einrichtung, die Lern- und Spielstube<br />

des Sozialkritischen Arbeitskreises in<br />

der Frankfurter Straße, kämpft ums Überleben.<br />

Es droht die Kündigung der Räume in<br />

der Frankfurter Straße, Ersatz ist nicht in<br />

Sicht.<br />

Die sozialpolitische Sprecherin der CDU,<br />

Walburga Jung, wirft <strong>dem</strong> zuständigen Sozialdezernenten<br />

Gerd Grünewaldt mangelndes<br />

Engagement für die Lern- und Spielstube<br />

vor. Zunächst sei der Ankauf des Hauses in<br />

der Frankfurter Straße geplant gewesen, um<br />

der Einrichtung ein Bleiberecht zu sichern.<br />

Ein entsprechender Magistratsantrag sei<br />

aber stillschweigend „beerdigt“ worden, obwohl<br />

der Ankauf zu vertretbaren Bedingungen<br />

möglich gewesen wäre. Grünewaldt dazu:<br />

„Aufgrund der drohenden Kündigungsgefahr<br />

… ist für die Einrichtung ein unsicherer<br />

Zustand entstanden. Eine Garantie für<br />

kontinuierliche Arbeit besteht aus diesen<br />

Gründen leider nicht“. Wer so schnell aufgebe,<br />

müsse sich fragen lassen, ob ihm die<br />

Arbeit <strong>mit</strong> ausländischen Kindern und Familien<br />

so wenig bedeute. Hier offenbare sich<br />

ein beschämender Widerspruch zwischen<br />

<strong>dem</strong> Versprechen des Koalitionspapier von<br />

SPD und Grünen („offene Kinder- und<br />

Jugendarbeit wird ausdrücklich unterstützt“)<br />

und der Praxis des Sozialdezernenten.<br />

Über dreißig ausländische Kinder hätten hier<br />

ein zweites Zuhause gefunden, ihre Familien<br />

hätten Vertrauen zu der dort angebotenen<br />

Bürgerberatung gefaßt. Nach Einschätzung<br />

der CDU dürfe die Arbeit, die ein Beitrag zu<br />

partnerschaftlichem Umgang von Deutschen<br />

und Ausländern sei, nicht einfach kaputtgehen.<br />

Grünewaldts<br />

Schwarzer-Peter-<br />

Spiel<br />

„Ein Stück Volksverdummung“,<br />

will der Sozialdezernent Gerd Grünewaldt<br />

betreiben, wenn er glaubt <strong>mit</strong> Schuldzuweisungen<br />

an die Bundesregierung Politik<br />

machen zu können, stellt die CDU-Fraktion<br />

fest.<br />

Beispiel Altenhilfe: der Landeswohlfahrtsverband,<br />

der diese Aufgabe jetzt auf die<br />

Gemeinden verlagert hat, ist ein Gremium<br />

aus mehrheitlich sozial<strong>dem</strong>okratischen<br />

Kommunalpolitikern. Grünewaldts Kollegen<br />

aus den Kreisen und Städten sind dort in der<br />

Verantwortung, die gleichen, die dann in<br />

Bonn protestieren wollen. Daß die Altenhilfe<br />

ständig teurer wird, liegt nicht an „den Politikern“<br />

sondern an steigenden Fallzahlen,<br />

(8 Prozent) und an besserer Bezahlung der<br />

Pflegekräfte (ebenfalls 8 Prozent). „Wir wissen<br />

seit langem, daß die große Zahl hochbetagter<br />

Menschen eine sozialpolitische<br />

Herausforderung darstellt“, erinnert Walburga<br />

Jung, „neben einer Entlastung durch die<br />

Pflegeversicherung müssen auch vor Ort<br />

Strategien zur Problemlösung gefunden<br />

werden“.<br />

Eine seltsame Hilflosigkeit beweist auch die<br />

Leiterin der Sozialverwaltung, Dr. Wilma<br />

Mohr, wenn sie die Verwaltung zusammenbrechen<br />

sieht, weil Asylbewerber statt Bargeld<br />

Warengutscheine bekommen sollen,<br />

da<strong>mit</strong> Mißbrauch verringert wird.<br />

Die Zeitung für Darmstadt druckt Parteienmeldungen<br />

grundsätzlich unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und<br />

Grammatikfehler sowie Wiederholungen. Inhaltliche auch<br />

politische Änderungen werden nicht angebracht und auch<br />

nichts hinzugefügt. Die Briefe geben nicht die Meinung der<br />

Redaktion wieder.<br />

Kindergartenplätze sind sinnvolle soziale<br />

Angebote, um die Familien in ihrer Erziehungsarbeit<br />

zu stärken, und kein Holzhammer<br />

zur Vernichtung der Städte. „Es gehört<br />

schon ein Stück Unverfrorenheit dazu, in<br />

<strong>dem</strong> Augenblick, wo das Land Hessen bei<br />

den Kindergärten 11 Millionen Mark gekürzt<br />

hat, <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Finger nach Bonn zu zeigen“,<br />

kritisiert die sozialpolitische Sprecherin der<br />

CDU. Das Klagelied sei kein Ersatz für eigene<br />

Ideen und eigenen Sparwillen. Magere Jahre<br />

ließen sich durch gemeinsame Anstrengungen<br />

leichter bewältigen als durch Jammern<br />

und Einfallslosigkeit. Grünewaldt müsse<br />

sich die Frage gefallen lassen, ob es in<br />

Darmstadt zukünftig keine neuen Kindergärten<br />

mehr geben solle oder ob die Altenpflege<br />

zurückgefahren werden solle, weil soziale<br />

Dienstleistungen hohe Kosten verursachen.<br />

Arbeitsamt<br />

beschlagnahmt<br />

Presseinfo<br />

Am 28. September war die<br />

DKP Darmstadt <strong>mit</strong> einem Infostand vor<br />

<strong>dem</strong> Arbeitsamt Darmstadt präsent und verteilte<br />

unter anderem eine Presseinformation<br />

des Arbeitsamtes über die Arbeitsmarktentwicklung<br />

<strong>im</strong> Juli 1993 <strong>im</strong> Raum Starkenburg.<br />

Besagte Presseinformation wurde aber von<br />

der Pressesprecherin (!) der Behörde sofort<br />

beschlagnahmt und eine Verteilung untersagt.<br />

Diese eigenartige Vorgehensweise<br />

kann nun verschiedentlich interpretiert werden,<br />

zumal man sich <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> „Verbot“ ohne<br />

jede Erklärung begnügte:<br />

– Geht das Amt davon aus, daß seine Presse<strong>mit</strong>teilungen<br />

ohnehin nicht veröffentlicht<br />

werden, und wenn ja, sie nicht von Betroffenen<br />

gelesen werden<br />

– Fürchtet das Amt, daß Arbeitslose anhand<br />

der Statistik ihre Situation anders begreifen,<br />

als persönliches Schicksal bzw. eigene<br />

Unfähigkeit<br />

– Fürchtet das Amt unvorhergesehene Reaktionen<br />

angesichts der drastisch zugenommenen<br />

Arbeitslosigkeit <strong>im</strong> Raum Starkenburg<br />

in nahezu allen Branchen Reaktionen,<br />

die etwa zum Austausch der Betroffenen<br />

untereinander führen, zur gegenseitigen<br />

Verständigung über ihre Lage<br />

– Fürchtete das Amt, daß das Konkurrenz-<br />

verhalten bei der Arbeitssuche aufgebrochen<br />

wird, wenn die Betroffenen das wahre Ausmaß<br />

der Arbeitslosigkeit erfahren Daß<br />

Arbeitslose sich nicht mehr nur <strong>mit</strong> Schlangestehen<br />

um Lohn und Brot begnügen, sondern<br />

versuchen, auch auf andere – z. B. politische!<br />

– Weise wieder handlungsfähig zu<br />

werden<br />

Diese und andere Fragen kann und muß man<br />

sich stellen, wenn eine Behörde, die gesetzlich<br />

verpflichtet ist, regelmäßig ihre Daten zu<br />

veröffentlichen, diese den Betroffenen und<br />

da<strong>mit</strong> der Öffentlichkeit bei passender Gelegenheit<br />

ohne jede Rechtsgrundlage vorenthält!<br />

Die DKP Darmstadt kündigt hier<strong>mit</strong> an, daß<br />

sie am 2. November wieder <strong>mit</strong> einem<br />

Kaffee- und Infotisch vorm Arbeitsamt stehen<br />

und die jüngsten freigegebenen Presseinformationen<br />

der Behörde verteilen wird,<br />

sich diesmal allerdings gegen eine<br />

Beschlagnahme zu wehren weiß.<br />

i. A. Andrea Schön<br />

Schikanöse<br />

Vorschriften für<br />

öffentliche Bäder<br />

Eine Bedrohung der Existenz<br />

der städtischen Schw<strong>im</strong>mbäder erblickt der<br />

stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion,<br />

Walter Schmidt, in einer geplanten<br />

neuen Industrienorm für die Gewässergüte<br />

in öffentlichen Schw<strong>im</strong>mbädern. Die Bundesrepublik<br />

Deutschland sei jetzt schon das<br />

Land <strong>mit</strong> den strengsten Vorschriften für<br />

solche Gewässer. Sollte diese Norm Vorschrift<br />

werden, seien umfangreiche technische<br />

Investitionen zur Verbesserung der<br />

Wasserqualität erforderlich, wobei der<br />

Hessische Städte- und Gemeindebund darauf<br />

hinweise, daß viele der dann notwendigen<br />

Apparaturen erst in Laborversuchen<br />

getestet worden seien.<br />

Die Stadt Darmstadt, aber nicht nur sie, so<br />

Schmidt, werde nicht in der Lage sein, die<br />

Millionen aufzubringen, um solche Investitionen<br />

zu finanzieren. Zu bedenken sei auch,<br />

daß die neue höherwertige Technologie<br />

einen höheren Wartungs- und da<strong>mit</strong> Personalaufwand<br />

erforderlich mache. Dies sei der<br />

Stoff, aus <strong>dem</strong> die finanzielle Notlage der<br />

Kommunen gemacht werde. Irgendwelche<br />

Bürokraten in irgendwelchen übergeord<strong>net</strong>en<br />

Bundesanstalten oder Ministerien hätten<br />

offensichtlich nichts anderes zu tun, als<br />

Städte und Gemeinden <strong>mit</strong> neuen kostenträchtigen<br />

Vorschriften zu quälen.<br />

Ähnliches Beispiel seien die Standards und<br />

Normen be<strong>im</strong> Sozialen Wohnungsbau und<br />

be<strong>im</strong> Bau von Einrichtungen für Kinder. Über<br />

die Erhöhung letzterer werde gegenwärtig<br />

<strong>im</strong> Landesjugendamt beraten. So, als ob<br />

Geld für weitere Verteuerungen vorhanden<br />

wäre und die Städte und Gemeinden in der<br />

Lage wären, auf diese Weise das vom Bundesgesetzgeber<br />

avisierte Ziel, 1996 für jedes<br />

Kind einen Kindergartenplatz zu schaffen,<br />

sicherzustellen. Auf den Rat der CDU-<br />

Politikerin Jung eingehend, meint Schmidt,<br />

daß auch in CDU-regierten Städten bisher<br />

keine Ideen bekannt geworden seien, die zu<br />

wundersamen Geldvermehrungen geführt<br />

hätten und CDU-regierte Städte meist noch<br />

höher verschuldet seien als die, in denen die<br />

Sozial<strong>dem</strong>okraten das Sagen hätten. Im<br />

übrigen sei die Darmstädter CDU <strong>mit</strong> solchen<br />

Aussagen bundesweit isoliert, weil sie<br />

sich außerhalb der Solidarität der Städte und<br />

Gemeinden stelle, die gemeinsam gegen<br />

<strong>im</strong>mer weiter zunehmende soziale und sonstige<br />

finanzielle Anforderungen kämpfen.<br />

Radfahrer frei<br />

Viele Radwege in Darmstadt<br />

haben ihren Namen eigentlich gar nicht verdient.<br />

Denn oft werden lediglich Gehwege<br />

durch das Aufstellen der blauen Schilder <strong>mit</strong><br />

<strong>dem</strong> Symbol „Radweg“ zu kombinierten<br />

Geh- und Radwegen umgewidmet.<br />

Nach Ansicht von Georg Bartenschlager,<br />

Stadtverord<strong>net</strong>er der Grünen, <strong>kommt</strong> es<br />

deshalb häufig zu Konfrontationen zwischen<br />

Radfahrern und Fußgängern. „Radfahrer<br />

sind viermal so schnell wie Fußgänger. Es ist<br />

offensichtlich, daß es da zu Problemen kommen<br />

muß, wenn Radfahrer und Fußgänger<br />

die gleichen Wege benutzen. Den Fußgängern<br />

sind die Radler viel zu schnell. Sie<br />

fühlen sich deshalb auf ihren Wegen nicht<br />

mehr sicher. Die Radfahrer werden durch<br />

Fußgänger in ihrer Fahrt gebremst und<br />

behindert.“<br />

Georg Bartenschlager beantragt deshalb in<br />

der nächsten Sitzung der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung,<br />

daß auf kombinierten Fuß-<br />

/Radwegen, die keine eigene Fahrspur für<br />

Räder besitzen, die Benutzungspflicht für<br />

RadfahrerInnen aufgehoben werden soll.<br />

Diese Wege sollen statt dessen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

blauen Fußgängerschild <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Zusatzzeichen<br />

„Radfahrer frei“ versehen werden.<br />

Georg Bartenschlager verspricht sich einige<br />

Vorteile von dieser Regelung. Denn die<br />

Gruppe der Radfahrer ist nicht homogen. Es<br />

gibt Radler, die jeden Tag <strong>mit</strong> ihrem Fahrrad<br />

unterwegs sind, sich <strong>dem</strong>entsprechend<br />

sicher <strong>im</strong> Straßenverkehr bewegen und<br />

möglichst schnell unterwegs sein wollen.<br />

Durch die Aufhebung der Benutzungspflicht<br />

haben diese „schnelleren“ Radler die Möglichkeit,<br />

die Fahrbahn <strong>mit</strong>zubenutzen, und<br />

ungehindert ihr Fahrziel zu erreichen.<br />

„Langsamere“ Radler dagegen, Kinder,<br />

Senioren können weiterhin den Fußweg <strong>mit</strong>benutzen,<br />

wobei den Fußgängern aber eindeutig<br />

Vorrang eingeräumt wird.<br />

„Durch diese Maßnahme wird den unterschiedlichen<br />

Interessen der Radfahrer Rechnung<br />

getragen. Das hat zur Folge, daß die<br />

Attraktivität des umweltfreundlichsten Verkehrs<strong>mit</strong>tels<br />

gesteigert wird“, so Georg Bartenschlager<br />

abschließend. Das sei ganz <strong>im</strong><br />

Sinn einer ökologisch orientierten Verkehrspolitik.<br />

Kurs der Bürgernähe<br />

begrüßt<br />

Die Aussage von Stadtrat<br />

Heino Swyter, Oberbürgermeister Peter<br />

Benz und Bürgermeister Michael Siebert<br />

sollten lieber den Kontakt zur Wirtschaft<br />

suchen, „um den Standort Darmstadt zu retten.<br />

Das ist wichtiger als Bürgersprechstunden,<br />

in denen man erfährt, welche Laterne<br />

kaputt ist“, wird vom stellvertretenden Vorsitzenden<br />

der SPD-Fraktion, Walter Schmidt,<br />

als „unglaublich arrogant“ zurückgewiesen.<br />

Diese Aussage, so Schmidt, mache deutlich,<br />

welchen Stellenwert das Bürgergespräch für<br />

Stadtrat Swyter habe und warum die Klagen<br />

von Bürgern z.B. über die Geruchsbelästigung<br />

durch die Bio-Kompostanlage in Kranichstein<br />

bei ihm so verzögerlich und lange<br />

keinen Erfolg gehabt hätten. Abgesehen<br />

davon, daß der Oberbürgermeister in einem<br />

ständigen Dialog <strong>mit</strong> der Wirtschaft stehe,<br />

sei es für Darmstadts Bevölkerung wichtig,<br />

einen „Oberbürgermeister zum Anfassen“ zu<br />

haben, der auch die alltäglichen Anliegen<br />

von Bürgern ernst nehme, wenn er auch<br />

nicht in allen Fällen helfen könne. Im übrigen<br />

sei es bezeichnend, daß der Stadtrat die Bürger<br />

so einschätze, als hätten sie nur läppische<br />

und unwichtige Anliegen vorzubringen.<br />

Die SPD-Fraktion begrüße den Kurs der Bürgernähe<br />

von Oberbürgermeister Peter Benz<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Wissen, daß dieser sowohl <strong>mit</strong> den<br />

Großen der Wirtschaft und Gesellschaft wie<br />

auch <strong>mit</strong> den Kleinen <strong>im</strong> Gespräch stehe.<br />

Jugendamt<br />

soll Tagesmütter<br />

ver<strong>mit</strong>teln<br />

Etwas zu schnell war die<br />

Frauenbeauftragte Trautel Baur nach Meinung<br />

der F.D.P.-Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion<br />

bereit, den Antrag von drei arbeitslosen<br />

Frauen zu unterstützen, <strong>mit</strong> rund 100.000<br />

Mark aus <strong>dem</strong> Stadtsäckel eine Tagesmütterberatung<br />

und -ver<strong>mit</strong>tlung einzurichten.<br />

Die Liberalen, die das Tagesmütter-Modell<br />

als Alternative zum Kindergarten seit langem<br />

favorisieren und eine Ver<strong>mit</strong>tlung und Beratung<br />

durch das Jugendamt bzw. z. B. durch<br />

die Familienbildungsstätte für sinnvoll<br />

☛<br />

Fortsetzung folgende Seite<br />

NEPAL-TEPPICHE<br />

DARMSTADT<br />

ROSSD–RFER PLATZ


PARTEIEN - STANDPUNKTE II<br />

Nummer 56 · 22.10.1993 · Seite 16<br />

halten, wollen von der Stadt zuerst einmal<br />

wissen, ob das Jugendamt Tagesmütter ver<strong>mit</strong>telt,<br />

und wenn nein, warum nicht. Außer<strong>dem</strong><br />

verlangt die Fraktion Auskunft darüber,<br />

welche Kosten entstehen, wenn das Jugendamt<br />

diese Aufgabe <strong>mit</strong> übern<strong>im</strong>mt. In ihrer<br />

Kleinen Anfrage verweist Theo Ludwig auch<br />

auf das Hanauer Tagesmütter-Modell, das<br />

nur rund die Hälfte des von den drei Frauen<br />

geforderten Beitrages kosten würde, nämlich<br />

50.000 Mark.<br />

Rechtsextremismus<br />

Der SPD Ortsverein Mitte<br />

beschäftigte sich auf der letzten Vorstandssitzung<br />

u. a. <strong>mit</strong> den vielen faschistischen<br />

und ausländerfeindlichen Taten der vergangenen<br />

Zeit, durch die sich der auch in<br />

Deutschland verstärkt auftretende Rechtsextremismus<br />

hervortat. Es wurde bemängelt,<br />

daß von den Politikern zwar „tiefe Betroffenheit“<br />

an den Tag gelegt wird, aber … nichts<br />

geschieht! Der SPD Ortsverein Mitte würde<br />

es sehr begrüßen, wenn sich die SPD endlich<br />

<strong>mit</strong> „Strategien gegen rechts“ an die<br />

Öffentlichkeit wenden und echte Alternativen<br />

allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aufzeigen<br />

würde. Unseren ausländischen Mitbürgerinnen<br />

und Mitbürgern muß klar gezeigt<br />

werden, daß sie ein Teil unserer Gesellschaft<br />

sind. Außer<strong>dem</strong> muß die Politik des Sozialabbaus<br />

verhindert werden, denn eine gute<br />

Sozialpolitik ist die beste antifaschistische<br />

und antirassistische Arbeit. Die Politik der<br />

Bundesregierung, die die Länder und<br />

Gemeinden finanziell ausbluten läßt, muß<br />

durch ein einheitliches Vorgehen der SPD-<br />

Länder und Gewerkschaften gestoppt werden.<br />

Die Ausländerfeindlichkeit hat ihre<br />

Wurzeln nicht in den Vorurteilen gegenüber<br />

Fremdheit, sondern viemehr in den Ängsten<br />

der Menschen um ihre materielle Existenz.<br />

Der SPD Ortsverein Mitte wird seine Arbeit<br />

zu diesem Thema sowohl durch interne als<br />

auch durch öffentliche Veranstaltungen fortsetzen.<br />

Sabine Mürdter<br />

Was kostet ein<br />

Kindergartenplatz<br />

„Bevor Entschlüsse gefaßt<br />

werden, muß man genau wissen, was<br />

eigentlich verhandelt wird.“ So die F.D.P.-<br />

Stadtverordentenfraktion in ihrer Pressemeldung<br />

zum vieldiskutierten Thema Kindergartenbeiträge<br />

und zur Absicht des Magistrats,<br />

die Eltern nun stundenweise bezahlen zu lassen.<br />

In einer Großen Anfrage verlangen die<br />

Liberalen jetzt exakte Zahlen zu Plätzen in<br />

öffentlichen und privaten Kindergärten, Horten<br />

und Krippen, zum Bedarf und zu den<br />

Kosten vom Magistrat. Der Kranichsteiner<br />

Stadtverord<strong>net</strong>e Theo Ludwig kritisierte in<br />

diesem Zusammenhang, daß aus <strong>dem</strong><br />

Jugendamt keine aussagefähigen Zahlen<br />

z. B. zu den tatsächlichen Kosten eines Kindergartenplatzes<br />

zu erfahren gewesen seien.<br />

Ohne eine solide Zahlenbasis müßten aber<br />

alle Versuche, über Beitragsstaffeln zu diskutieren,<br />

scheitern.<br />

Aus diesem Grund fragt die Fraktion u. a.<br />

auch nach <strong>dem</strong> derzeitigen Kosten-Prozentsatz,<br />

der <strong>mit</strong> Elternbeiträgen gedeckt wird<br />

und nach den Kriterien, die bei der Festlegung<br />

der Beiträge angewandt wurden. Die<br />

Liberalen hoffen, <strong>mit</strong> einer soliden und nachvollziehbaren<br />

Zahlenbasis, in der auch die<br />

Zuschüsse des Landes und die Zuschüsse<br />

der Stadt an private Träger berücksichtigt<br />

sind, die sehr emotionsgeladene Debatte<br />

über Beitragsstaffeln versachlichen zu können.<br />

Eine runde Sache, so die<br />

sozialpolitische Sprecherin der CDU Walburga<br />

Jung, seien die Vorschläge des Jugendamtes<br />

für die Kindergartengebühren. Da<strong>mit</strong><br />

seien die „Mondpreise“ des SPD-Fraktionsvorsitzenden<br />

Knechtel vom Tisch, der die<br />

Eltern <strong>mit</strong> 600 Mark zur Kasse bitten wollte.<br />

Der SPD-Vorschlag habe zu erheblicher<br />

Unruhe unter den Kindergarteneltern<br />

(gemeint: Kindergartenkindereltern, red.)<br />

geführt. Deshalb sollte die neue Regelung<br />

rasch eingeführt werden, da<strong>mit</strong> wieder Ruhe<br />

einkehre. Die CDU hält eine maßvolle Anpassung<br />

der Elternentgelte für vertretbar. Der<br />

derzeitige Satz von 80 Mark stamme aus<br />

einer Zeit, wo ein Platz pro Jahr 4.000 Mark<br />

gekostet habe. Heute koste ein Kindergartenplatz<br />

etwa 7.500 Mark. Der Elternanteil sei<br />

unter 20 Prozent gesunken. Die CDU werde<br />

darauf achten, daß Rabatte für Mehrkinderfamilien<br />

gewährt würden und daß alle Kindergärten<br />

in Darmstadt gleiche Elternbeiträge<br />

erheben. „Es ist beispielsweise in Kranichstein<br />

von Eltern <strong>im</strong>mer wieder kritisiert worden,<br />

daß sie in einem Kindergarten mehr<br />

bezahlen müßten als <strong>im</strong> anderen“, weiß Walburga<br />

Jung. Unterschiedliche Gebühren, je<br />

nach<strong>dem</strong> ob ein Kind halbtags oder ganztags<br />

betreut werde, leuchteten den Familien ein,<br />

weil für den ganzen Tag mehr Personal benötigt<br />

werde. Die CDU werde über Kindergartengebühren<br />

<strong>mit</strong> den Eltern und den Mitarbeiterinnen<br />

sprechen. Die Vorstellungen der<br />

CDU sollen am einem Info-Stand am 23.10.<br />

von 10 bis 13 Uhr auf <strong>dem</strong> Luisenplatz der<br />

Öffentlichkeit vorgestellt werden. „Wir erkennen<br />

an, daß bei der vorgeschlagenen Lösung<br />

die wichtige familienergänzende Arbeit des<br />

Kindergartens <strong>im</strong> Vordergrund gestanden<br />

hat und nicht die leere Kasse des Kämmerers“,<br />

freut sich Walburga Jung.<br />

Vor der eigenen Tür<br />

kehren<br />

Die CDU-Landtagsabgeord<strong>net</strong>e<br />

Otti Geschka hat sich erstaunt<br />

darüber gezeigt, daß der SPD-Kämmerer<br />

Otto Blöcker und die SPD-Fraktion nicht<br />

müde werden, die finanzielle Belastung<br />

Darmstadts durch die Bundesregierung<br />

anzuprangern. „Kehren Sie doch zuerst mal<br />

vor Ihrer eigenen Haustür“, forderte die<br />

CDU-Politikerin angesichts der erdrutschartigen<br />

Einbrüche <strong>im</strong> Sozialbereich, die in Hessen<br />

anstünden und die voll auf die Kommunen<br />

durchschlagen würden. „Dieser rot-grüne<br />

Sozialabbau ist hausgemacht“, kritisiert<br />

Otti Geschka, denn die Einschnitte würden<br />

vorgenommen, obwohl die Kasse des Landes<br />

gegenüber 1991 um 4,1 Mrd. besser<br />

ausgestattet sei. Frau Geschka verwies zur<br />

Begründung auf die massiven Kürzungen<br />

be<strong>im</strong> Bau von Kindergärten, wo 1994 um 42<br />

Prozent gekürzt werde. Die verfügbaren Gelder<br />

hätten sich von 110 Mio. Mark auf 64<br />

Mio. Mark verringert. In der Altenhilfe werde<br />

um 25 Prozent gekürzt, obwohl ein Antragsstau<br />

von mehreren Jahren zu bewältigen sei.<br />

Auch der soziale Wohnungsbau müsse<br />

„kräftig Federn lassen“, das Wohnungsbauprogramm<br />

werde um 120 Mio. Mark zurückgefahren.<br />

„Wo ist der Aufschrei der SPD-<br />

Kommunalpolitiker gegen diesen in der<br />

Geschichte Hessens einmaligen Sozialabbau“,<br />

fragt die CDU-Abgeord<strong>net</strong>e. Geschka<br />

verwies darauf, daß Hessen bisher bei den<br />

Belastungen durch den Solidarpakt günstiger<br />

weggekommen sei. Man habe <strong>mit</strong> Belastungen<br />

von 3 Mrd. Mark gerech<strong>net</strong>,<br />

tatsächlich seien aber nur 1,7 Mrd. angefallen.<br />

Statt die ersparten 1,3 Mrd. als Vorsorge<br />

zurückzulegen, wurde das Geld <strong>im</strong> Nachtragshaushalt<br />

verpulvert. Dabei zeige sich<br />

einmal mehr, daß rot-grüne Politiker nicht<br />

<strong>mit</strong> Geld umgehen könnten.<br />

Auf den Spuren von<br />

Sabais<br />

Bevor Heinz Winfried Sabais<br />

1954 in Darmstadt sein Amt als Kulturreferent<br />

und 1971 als Oberbürgermeister antrat,<br />

war er in We<strong>im</strong>ar u. a. <strong>mit</strong> der Vorbereitung<br />

der Veranstaltungen zum 200. Geburtstag<br />

Goethes beauftragt. Was sonst weiß der<br />

Darmstädter über das Wirken dieses unvergessenen<br />

Oberbürgermeisters in der Stadt<br />

Goethes und Schillers fragte Ruth Wagner,<br />

MdL und Stadtverord<strong>net</strong>e der F.D.P., bei<br />

ihrem letzten Besuch in We<strong>im</strong>ar. Schon nach<br />

kurzen Recherchen stieß sie auf interessante<br />

und in Darmstadt weitgehend unbekannte<br />

Tatsachen – z. B. die, daß es Heinz Winfried<br />

Sabais war, der 1948/49 Thomas Mann zum<br />

Goethejahr und zur Einweihung des Nationaltheaters<br />

nach We<strong>im</strong>ar geholt hatte.<br />

Nach Gesprächen <strong>mit</strong> verschiedenen Wissenschaftlern<br />

in We<strong>im</strong>ar stellte sich außer<strong>dem</strong><br />

heraus, daß in den verschiedenen<br />

Archiven und Bibliotheken der Stadt noch<br />

zahlreiche Unterlagen zur Tätigkeit des 1981<br />

verstorbenen Darmstädter Oberbürgermeisters<br />

zu finden sind. Diese Dokumente<br />

zusammenzustellen und der Darmstädter<br />

Öffentlichkeit z. B. in einer Ausstellung <strong>im</strong><br />

Staatsarchiv zu präsentieren, schlug die<br />

engagierte Kulturpolitikerin nach ihrer Rückkehr<br />

aus We<strong>im</strong>ar den Darmstädter Kollegen<br />

vor. Sowohl Prof. Eckhart Franz, Leiter des<br />

Staatsarchivs, als auch Kulturamtsleiter<br />

Roland Dotzert haben bereits Bereitschaft<br />

signalisiert, das Projekt zu unterstützen. In<br />

einem Brief hat Ruth Wagner jetzt OB Peter<br />

Benz vom Stand der Dinge unterrichtet und<br />

zugleich die Bereitschaft der We<strong>im</strong>arer<br />

betont, aktiv an der Dokumentation <strong>mit</strong>zuarbeiten.<br />

Plan für Baugebiet<br />

A 24 prüfen<br />

Die Koalition aus Grünen und<br />

SPD hat <strong>im</strong> Umweltausschuß nochmals den<br />

Magistrat angemahnt, das auf Grund eines<br />

Prüfantrags vom Juni letzten Jahres ausstehende<br />

Planungskonzept für das Baugebiet<br />

A24 – Ötterstädter Weg vorzulegen.<br />

Jener Antrag enthält den Auftrag zu prüfen,<br />

auf welche Weise ein Blockheizkraftwerk, ein<br />

Ringbus und Zisternen zur Regenwassergewinnung<br />

für ein Brauchwassersystem verwirklicht<br />

werden können.<br />

Mit der Planung dieses Baugebiets waren<br />

der ehemalige Oberbürgermeister G. Metzger,<br />

der Baudezernent Dr. W. Rösch und der<br />

ehemalige Umweltdezernent, heute Schuldezernent,<br />

H. Swyter, befaßt. Alle drei haben<br />

es nicht geschafft, diesen Prüfantrag binnen<br />

eines Jahres zu bearbeiten.<br />

Anzeige<br />

Die Stadtverord<strong>net</strong>en der Koalition sind über<br />

diese Verzögerung seitens der da<strong>mit</strong> befaßten<br />

Dezernenten verärgert. „Es hat den<br />

Anschein als versuche man, eine vernünftige,<br />

zukunftsweisende und umweltverträgliche<br />

Planung <strong>im</strong> Sande verlaufen zu lassen<br />

und gleichzeitig den Befürwortern die<br />

Schuld dafür zu geben, den Bau von Wohnungen<br />

in Arheilgen zu verzögern“, so Klaus<br />

Jahn, der umweltpolitische Sprecher der<br />

Grünen-Fraktion und Einwohner des Stadtteils<br />

Arheilgen.<br />

Der <strong>dem</strong> Ausschuß beiwohnende Bürgermeister<br />

Michael Siebert, der seit kurzer Zeit<br />

Umwelt- und Planungsdezernent ist, hat<br />

<strong>dem</strong> Ausschuß zugesagt, den Antrag bis zur<br />

nächsten Ausschußsitzung bearbeitet und<br />

ein Konzept vorgelegt zu haben.<br />

Trotz dieser Zusage fordert die CDU, ohne<br />

Kenntnis des von der Stadt vorzulegenden<br />

Konzepts, daß ein unabhängiges Ingenieurbüro<br />

<strong>mit</strong> der konkreten Planung von<br />

Straßenführungen und Grünflächen beauftragt<br />

werden soll.<br />

Ein solches Vorgehen hätte zur Folge, daß<br />

eine für den Bus zügig zu bewältigende und<br />

trotz<strong>dem</strong> für die Anwohner sichere Straßenführung<br />

sowie Freiflächen für die Versickerung<br />

überschüssigen Regenwassers wahrscheinlich<br />

entfielen. Buslinie und Zisternen<br />

wären dann nur noch äußerst schwierig zu<br />

verwirklichen.<br />

Die Wirtschaft fördern<br />

Zum ersten Mal in dieser<br />

Legislaturperiode trafen sich die F.D.P.-<br />

Fraktionen aus <strong>dem</strong> Landkreis Darmstadt-<br />

Dieburg und aus Darmstadt zu einer<br />

gemeinsamen Sitzung. Erstes Ergebnis der<br />

Besprechung „aus <strong>dem</strong> gleichen Oppositionsboot<br />

heraus“: <strong>mit</strong> gleichlautenden<br />

Anträgen will man <strong>im</strong> Stadtparlament bzw.<br />

<strong>im</strong> Kreistag eine Initiative zur Wirtschaftsförderung<br />

in Bewegung setzen. Ziel ist, so die<br />

Fraktionsvorsitzenden Klaus-Jürgen Hoffie<br />

STADTVERORDNETENFRAKTION<br />

und Dr. Dierk Molter, die Einrichtung von<br />

Wirtschaftskommissionen, die den Magistrat<br />

und den Kreisausschuß zu Wirtschafts,<br />

Arbeitsmarkt- und Infrastrukturfragen regelmäßig<br />

informieren und beraten. Hoffie: „Zu<br />

allen Themen gibt es Ausschüsse und Kommissionen,<br />

nur zum Thema Wirtschaft<br />

nicht!“ Gerade jetzt aber sei eine stärkere<br />

Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und<br />

Politik dringend notwendig. In die Kommissionen<br />

sollen deshalb Vertreter der IHK, der<br />

Handwerkskammern, der Gewerbevereine,<br />

der Gastronomie und des Einzelhandels, der<br />

Arbeitgeber, der Gewerkschaften und des<br />

Arbeitsamtes berufen werden.<br />

Ein hohes Maß von Gemeinsamkeit stellten<br />

die beiden Fraktionen auch zum Problem der<br />

Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV) fest,<br />

<strong>dem</strong> der Landkreis nun auch beitreten wird.<br />

Zwar wisse noch niemand, <strong>mit</strong> welchen<br />

Kosten die Kommunen be<strong>im</strong> RMV zu rechnen<br />

haben – Stadtrat Heino Swyter: „Das<br />

gibt die zweite Haushaltskatastrophe“ –,<br />

trotz<strong>dem</strong> begrüßten die Liberalen einmütig<br />

die Bereitschaft des Landes, Verantwortung<br />

zu übernehmen und den RMV <strong>mit</strong> seinem<br />

deutlich verbesserten Verkehrsangebot vor<br />

allem in der Fläche <strong>mit</strong> 35 Millionen<br />

zunächst einmal zu finanzieren. Allerdings<br />

kritisierte MdL Ruth Wagner, daß die Mittel<br />

<strong>dem</strong> kommunalen Finanzausgleich entnommen<br />

würden und da<strong>mit</strong> an anderer Stelle<br />

fehlen.<br />

Be<strong>im</strong> Thema Schule gelang es den Darmstädtern,<br />

die Sorgen der Landkreis-Liberalen<br />

zu zerstreuen. Stadtverord<strong>net</strong>er Dieter Balzer:<br />

Für den 4. Riegel der Berufsschule in<br />

Darmstadt sei in absehbarer Zeit kein Geld<br />

vorhanden, da<strong>mit</strong> bleibe die Dieburger<br />

Berufsschule in ihrem Bestand ungefährdet.<br />

Unterstützung fand Inge Slabon, schulpolitische<br />

Sprecherin der Landkreis-F.D.P., auch<br />

bei ihrer Absicht, <strong>im</strong> Landkreis Sonderschul-<br />

Abteilungen an Regelgrundschulen einzurichten.<br />

Die beiden Fraktionen wollen sich künftig<br />

häufiger zu gemeinsamen Sitzungen treffen,<br />

um Probleme zu besprechen, die sowohl die<br />

Stadt als auch den Landkreis Darmstadt-<br />

Dieburg betreffen. Für die nächste Fraktionssitzung<br />

stehen zwei Themen schon fest: der<br />

Regionale Raumordnungsplan und die<br />

Finanzierung des Staatstheaters.<br />

Ludwigshöhstraße 55 · 6100 Darmstadt · Tel. 0 6151/6 1430 oder 614 90 · Fax 614 01<br />

en…die Grünen informieren…die Grünen informieren…die Grünen informi<br />

In die hier aufgeführten Anträge und Kleinen Anfragen der Fraktion DIE GRÜNEN sowie<br />

in die kleine Auswahl von Magistratsvorlagen kann <strong>im</strong> Grünen-Büro Einsicht genommen werden.<br />

Magistratsvorlagen:<br />

913 vom 22.9.93<br />

Bericht zum Abfallwirtschaftskonzept (Stand 93)<br />

917 vom 22.9.93<br />

Ehemalige Mühltalschule, PCB-Sanierung<br />

918 vom 22.9.93<br />

Bebauungsplan E 22.1, Villenkolonie, Eberstadt<br />

919 vom 22.9.93<br />

Neubau einer zweiten Schule in Kranichstein<br />

931 vom 22.9.93<br />

Einstellung des Umlegungsverfahrens U-D 38,<br />

Hammelstrift/Jägertorstraße<br />

935 vom 22.9.93<br />

Stadion am Böllenfalltor, hier: Mieteinnahmen<br />

936 vom 22.9.93<br />

Bebauungsplan N 25.1, Magdalenenplatz<br />

954 vom 29.9.93<br />

Satzung des Jugendamtes<br />

969 vom 29.9.93<br />

Frauen-Kommunikationszentrum, Kyritzschule<br />

970 vom 29.9.93<br />

Die Schnelle 9<br />

971 vom 29.9.93<br />

Bebauungsplan E 33.5, Modau/Bauerngarten<br />

972 vom 29.9.93<br />

Satzungsänderung für Ausländerbeirat<br />

9573 vom 29.9.93<br />

Landschaftsplan Darmstadt<br />

994 vom 29.9.93<br />

Gebührenordnung für den städtischen<br />

Wochenmarkt<br />

Kleine Anfragen:<br />

– zu Arbeit statt Sozialhilfe<br />

– zu Fußgänger-Anforderungsampeln<br />

– zur Tiefgarage <strong>im</strong> Jagdhofkomplex<br />

– zur Planung für den Karolinenplatz nach<br />

Fertigstellung des Mollerbaus<br />

– zu Möglichkeiten des Wohnungsbaus in der<br />

Löffelstraße (Martinsviertel)<br />

– zur Gestaltung des Randbereichs der<br />

Rüdeshe<strong>im</strong>er Straße<br />

– zu Radverkehrs<strong>net</strong>z und Radwegeausbauprogramm<br />

– zur Bürgerberatung des SKA<br />

Anträge:<br />

– zu Fußgängerampeln an der Kasino-/Pallaswiesenstraße<br />

– zur geplanten Stillegung des Bundesbahn-<br />

Ausbesserungswerks Darmstadt<br />

– zur PCB-Sanierung der Lichtenbergschule<br />

– (<strong>mit</strong> SPD) Konzept zur Vermeidung von<br />

Obdachlosigkeit<br />

– zum Friedensplatz<br />

– (<strong>mit</strong> SPD) zu Kranichstein Südwest<br />

(Bebauungsplan K6)<br />

– zu kombinierten Fuß-/Radwegen<br />

– zum Verkehrskonzept Mathildenplatz<br />

– (<strong>mit</strong> SPD) zur Änderung der<br />

Einstellplatzsatzung<br />

Die GRÜNEN wollen, daß ein Konzept zur verkehrlichen Neuordnung des<br />

Mathildenplatzes und der Bismarckstraße unter best<strong>im</strong>mten Zielsetzungen<br />

und unter Einbeziehung der HEAG, von VCD, ADFC u. a. erstellt wird.<br />

Auszug aus einem Antrag zur nächsten Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung am 21. 10.93

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