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Susa und die sieben Plagen der Endzeit

Einen Menschen, den ich liebe, erkenne ich immer als wunderschön. Da siehst du die Schönheit dann noch umfänglicher. Siehst auch die schöne Seele, das Gute im Menschen, das Schöne und das Gute, Kalós Kagathós.“ erklärte Mari. „Aha, schön und edel, so siehst du mich also auch. Das ist gut, dann bin ich wenigstens nicht mehr die einzige.“ meinte ich dazu. Mari lachte, umfing mich und wollte küssen. „Stopp, du musst mir zuerst noch eine andere Frage beantworten.“ bremste ich ihn. „Dass du mich magst und liebst ist ja klar, aber sag mal, begehrst du mich auch, hast du Lust auf mich, bist du lüstern?“ wollte ich wissen. Mari lachte sich wieder schief. „Lüstern, das hat eine Konnotation, die nicht passt, aber Lust aufeinander haben wir ja beide, sonst würden wir uns doch gar nicht treffen.“ erklärte er. „Nein, ich meine schon etwas anderes. Ob du bei mir erotische Empfindungen hast, ob du ein Verlangen verspürst?“ präzisierte ich. „Susa, ich habe dich vom ersten Moment an als Frau gesehen, aber das tut ja jeder. Meistens nimmst du es gar nicht wahr. Das war aber für mich bei dir nicht so. Ich sah fast nach den ersten Sätzen in dir eine wundervolle Frau, die auch mein Begehren erweckte. Wodurch sollte sich das bis heute geändert haben?“ antwortete Mari. „Armer Mari, leider muss dein Verlangen nach mir immer unerfüllt bleiben. Aber das ist doch auch nicht schlimm. Die Begierde und das Verlangen vermitteln doch das wundervolle Gefühl, wenn sie befriedigt sind, ist das herrliche Gefühl futsch.“ tröstete ich Mari. „Du meinst, die Freude auf den Schokoladenpudding ist das Schöne. Wenn du ihn gegessen hast, ist die Freude dahin. Daher am besten den Pudding nie essen.“ verstand mich Mari. „Ich bin aber nicht dein Schokoladenpudding.“ hielt ich fest. Marian und Susanna redeten nicht nur über Schokoladenpudding, sonst hätte es nicht dazu kommen können, was Susa vorher für eine der schlimmsten Plagen der Endzeit gehalten hätte.

Einen Menschen, den ich liebe, erkenne ich immer als wunderschön. Da siehst du die Schönheit dann noch umfänglicher. Siehst auch die schöne Seele, das Gute im Menschen, das Schöne und das Gute, Kalós Kagathós.“ erklärte Mari. „Aha, schön und edel, so siehst du mich also auch. Das ist gut, dann bin ich wenigstens nicht mehr die einzige.“ meinte ich dazu. Mari lachte, umfing mich und wollte küssen. „Stopp, du musst mir zuerst noch eine andere Frage beantworten.“ bremste ich ihn. „Dass du mich magst und liebst ist ja klar, aber sag mal, begehrst du mich auch, hast du Lust auf mich, bist du lüstern?“ wollte ich wissen. Mari lachte sich wieder schief. „Lüstern, das hat eine Konnotation, die nicht passt, aber Lust aufeinander haben wir ja beide, sonst würden wir uns doch gar nicht treffen.“ erklärte er. „Nein, ich meine schon etwas anderes. Ob du bei mir erotische Empfindungen hast, ob du ein Verlangen verspürst?“ präzisierte ich. „Susa, ich habe dich vom ersten Moment an als Frau gesehen, aber das tut ja jeder. Meistens nimmst du es gar nicht wahr. Das war aber für mich bei dir nicht so. Ich sah fast nach den ersten Sätzen in dir eine wundervolle Frau, die auch mein Begehren erweckte. Wodurch sollte sich das bis heute geändert haben?“ antwortete Mari. „Armer Mari, leider muss dein Verlangen nach mir immer unerfüllt bleiben. Aber das ist doch auch nicht schlimm. Die Begierde und das Verlangen vermitteln doch das wundervolle Gefühl, wenn sie befriedigt sind, ist das herrliche Gefühl futsch.“ tröstete ich Mari. „Du meinst, die Freude auf den Schokoladenpudding ist das Schöne. Wenn du ihn gegessen hast, ist die Freude dahin. Daher am besten den Pudding nie essen.“ verstand mich Mari. „Ich bin aber nicht dein Schokoladenpudding.“ hielt ich fest. Marian und Susanna redeten nicht nur über Schokoladenpudding, sonst hätte es nicht dazu kommen können, was Susa vorher für eine der schlimmsten Plagen der Endzeit gehalten hätte.

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Carmen Sevilla<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7<br />

<strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong><br />

Mari, bist du lüstern<br />

Erzählung<br />

«Wenn wir lieben, sind wir zeitlos, liegen bei den tiefsten Feuern,<br />

Sehen dann von Ferne bloß, dass <strong>die</strong> Lebensst<strong>und</strong>en sich erneuern.»<br />

Max Dauthendey<br />

„Aber eins musst du mir noch sagen. Ich dachte, es wäre selbstverständlich,<br />

dass ein Mann einer Frau etwas dazu sagt, aber du hast noch kein Wort<br />

darüber verloren. Du musst mir sagen, ob du mich für schön hältst, ich meine,<br />

ob du findest, dass ich gut aussehe.“ erklärte ich. Banale Komplimente<br />

machen, das zerbrach Mari <strong>die</strong> Zunge. Trotzdem hatte er mir schon viel Liebes<br />

<strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erndes gesagt. Mari lachte. „Denkst du, mit einer hässlichen Frau<br />

würde ich mich befassen“ sprach er, was wohl witzig sein sollte. „Sag es<br />

richtig, Mari.“ for<strong>der</strong>te ich ihn auf. „<strong>Susa</strong>, schön, schön, was für ein dummes<br />

Allerweltswort. Das Wetter ist schön , mein Auto finde ich schön, es war eine<br />

schöne Geschichte an einem schönen Abend. Alles ist schön, wenn man's nicht<br />

genauer benennen kann.“ erklärte Mari. „Was windest du dich Traust du dich<br />

nicht, weil du an mir etwas auszusetzen hast, o<strong>der</strong> ist es dir peinlich, mir zu<br />

sagen, dass du mich schön findest Es gibt durchaus schöne <strong>und</strong> weniger<br />

schöne Frauen. Sie werden sogar zu Schönheitsköniginnen gewählt. Also los,<br />

sag schon.“ drängte ich Mari. „Mag ja sein, dass es allgemeine<br />

Schönheitskriterien gibt. Harmonisch Wirkendes, das dem goldenen Schnitt<br />

entspricht, wird meistens als schön empf<strong>und</strong>en, aber es sind immer subjektive<br />

Gefühle beteiligt. Einen Menschen, den ich liebe, erkenne ich immer als<br />

w<strong>und</strong>erschön. Da siehst du <strong>die</strong> Schönheit dann noch umfänglicher. Siehst auch<br />

<strong>die</strong> schöne Seele, das Gute im Menschen, das Schöne <strong>und</strong> das Gute, Kalós<br />

Kagathós.“ erklärte Mari. „Aha, schön <strong>und</strong> edel, so siehst du mich also auch.<br />

Das ist gut, dann bin ich wenigstens nicht mehr <strong>die</strong> einzige.“ meinte ich dazu.<br />

Mari lachte, umfing mich <strong>und</strong> wollte küssen. „Stopp, du musst mir zuerst noch<br />

eine an<strong>der</strong>e Frage beantworten.“ bremste ich ihn. „Dass du mich magst <strong>und</strong><br />

liebst ist ja klar, aber sag mal, begehrst du mich auch, hast du Lust auf mich,<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 1 von 52


ist du lüstern“ wollte ich wissen. Mari lachte sich wie<strong>der</strong> schief. „Lüstern, das<br />

hat eine Konnotation, <strong>die</strong> nicht passt, aber Lust aufeinan<strong>der</strong> haben wir ja<br />

beide, sonst würden wir uns doch gar nicht treffen.“ erklärte er. „Nein, ich<br />

meine schon etwas an<strong>der</strong>es. Ob du bei mir erotische Empfindungen hast, ob du<br />

ein Verlangen verspürst“ präzisierte ich. „<strong>Susa</strong>, ich habe dich vom ersten<br />

Moment an als Frau gesehen, aber das tut ja je<strong>der</strong>. Meistens nimmst du es gar<br />

nicht wahr. Das war aber für mich bei dir nicht so. Ich sah fast nach den ersten<br />

Sätzen in dir eine w<strong>und</strong>ervolle Frau, <strong>die</strong> auch mein Begehren erweckte.<br />

Wodurch sollte sich das bis heute geän<strong>der</strong>t haben“ antwortete Mari. „Armer<br />

Mari, lei<strong>der</strong> muss dein Verlangen nach mir immer unerfüllt bleiben. Aber das ist<br />

doch auch nicht schlimm. Die Begierde <strong>und</strong> das Verlangen vermitteln doch das<br />

w<strong>und</strong>ervolle Gefühl, wenn sie befriedigt sind, ist das herrliche Gefühl futsch.“<br />

tröstete ich Mari. „Du meinst, <strong>die</strong> Freude auf den Schokoladenpudding ist das<br />

Schöne. Wenn du ihn gegessen hast, ist <strong>die</strong> Freude dahin. Daher am besten<br />

den Pudding nie essen.“ verstand mich Mari. „Ich bin aber nicht dein<br />

Schokoladenpudding.“ hielt ich fest. Marian <strong>und</strong> <strong>Susa</strong>nna redeten nicht nur<br />

über Schokoladenpudding, sonst hätte es nicht dazu kommen können, was<br />

<strong>Susa</strong> vorher für eine <strong>der</strong> schlimmsten <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> gehalten hätte.<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 2 von 52


<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> - Inhalt<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sieben <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong>.....................................................4<br />

Klassenarbeit.........................................................................................4<br />

Herr Neuber..........................................................................................4<br />

Du bist zu faul Mari.................................................................................6<br />

Katharina <strong>und</strong> Manuel.............................................................................8<br />

Der kleine Frauenhasser..........................................................................9<br />

Heimlicher Verehrer..............................................................................10<br />

Ernst des Lebens..................................................................................12<br />

Love a woman correctly.........................................................................13<br />

Komplexität <strong>der</strong> Liebe............................................................................14<br />

Weihnachtsfeier....................................................................................16<br />

Maris Fre<strong>und</strong>in.....................................................................................17<br />

Brautwerbung......................................................................................18<br />

Stilles Glück.........................................................................................21<br />

An<strong>der</strong>e Weise menschlichen Daseins........................................................23<br />

<strong>Susa</strong>s Liebhaber...................................................................................24<br />

<strong>Susa</strong> küssen <strong>und</strong> sterben.......................................................................25<br />

Rollenerwartungen o<strong>der</strong> Lebensrausch.....................................................30<br />

Alle Himmel öffnen ihre Tore..................................................................32<br />

Das Schweigen <strong>der</strong> Weisen.....................................................................36<br />

Welch ein W<strong>und</strong>er.................................................................................40<br />

Liebe älter als Denken...........................................................................46<br />

Gefühle <strong>und</strong> Leidenschaften...................................................................47<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 3 von 52


<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sieben <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong><br />

Klassenarbeit<br />

Unter <strong>die</strong> <strong>sieben</strong> <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> konnte man es nur schwerlich subsumieren,<br />

was mich quälte, aber ich litt jetzt <strong>und</strong> nicht erst beim Weltuntergang. Im<br />

Gr<strong>und</strong>e war es ja eine Lappalie, alle mussten es machen, aber ich bin kein<br />

Mensch, dessen Wahrnehmung sich durch ritualisierte Wie<strong>der</strong>holung verän<strong>der</strong>t.<br />

Es war <strong>und</strong> blieb eine dreistufige Wi<strong>der</strong>lichkeit, <strong>die</strong> mir jedes mal <strong>die</strong> Lust am<br />

Tage raubte. Ich habe an <strong>der</strong> Universität eine akademische Ausbildung erhalten<br />

<strong>und</strong> bin nicht zum Polizeih<strong>und</strong> dressiert. Mit Argusaugen st<strong>und</strong>enlang aufpassen,<br />

dass keiner mogelt, kotzte mich bei den Klassenarbeiten an. Am<br />

schlimmsten war es, wenn man jemanden erwischen musste. „Max, was soll<br />

ich denn jetzt machen Soll ich dir „Täuschungsversuch: Ungenügend“ unter<br />

deine Arbeit schreiben Es mag ja sein, dass ich ein gutmütiger Mensch bin,<br />

aber wenn du mich für völlig blöd hältst, können wir keine Fre<strong>und</strong>e mehr sein.“<br />

machte ich dem Jungen klar. Er fing an zu plappern <strong>und</strong> sich zu entschuldigen.<br />

„Max, hör auf zu palavern, du fängst gleich an zu weinen. Ich will das nicht hören.<br />

Dass alle Jungs eigentlich gute Jungs sind, das weiß ich doch, nur manchmal<br />

klappt das eben nicht so richtig. Wir stellen das Lexikon jetzt auf <strong>die</strong> Fensterbank<br />

neben dir, als Warnung, damit du nie wie<strong>der</strong> auf so dumme Gedanken<br />

kommst.“ ermahnte ich. Den Kin<strong>der</strong>n Englisch beibringen sollte ich, aber nicht<br />

solche Spielchen machen. Das war nicht meine Profession. An Ödheit <strong>und</strong> quälen<strong>der</strong><br />

Langeweile war das Korrigieren <strong>der</strong> Klassenarbeiten nicht zu überbieten.<br />

Trotzdem musste ich immer hoch konzentriert sein. Ich übersah ja bei mir<br />

selbst alle Fehler. Bei <strong>der</strong> Rückgabe <strong>der</strong> Arbeiten musste man über sadistische<br />

Ambitionen verfügen, wenn man Gefallen daran finden sollte, den Kin<strong>der</strong>n ihre<br />

schlechten Ergebnisse unter <strong>die</strong> Nase zu reiben. Ich fühlte mit ihnen <strong>und</strong> litt<br />

vielleicht vielmehr selbst, als das Mädchen, das eine mangelhafte Arbeit zurückbekam.<br />

Ich mochte <strong>die</strong> Kids. Kin<strong>der</strong> beim Aufwachsen erleben zu dürfen,<br />

ist ein großes Glück, das gilt für meine eigenen <strong>und</strong> für <strong>die</strong> in <strong>der</strong> Schule nicht<br />

weniger. Ihr Zutrauen, ihre offene, direkte Art, sich <strong>die</strong> Welt anzueignen <strong>und</strong><br />

ihre nicht selten verqueren Vorstellungen <strong>und</strong> Ideen bereichern <strong>und</strong> beglücken<br />

meine Tage. Ob ich Lehrerin bin o<strong>der</strong> nicht, spielt dabei keine Rolle. Nicht wenige<br />

Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen halten Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler für eine beson<strong>der</strong>e<br />

Spezies unserer Gattung <strong>und</strong> vermuteten eher, dass es sich bei ihnen um<br />

<strong>die</strong> in <strong>der</strong> Apokalypse nicht aufgeführte, achte Plage <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> handeln könnte.<br />

Herr Neuber<br />

Geschafft! Erst mal wie<strong>der</strong> für einige Zeit Pause. Ich hatte <strong>die</strong> Arbeiten zurückgegeben.<br />

Frei, locker, entspannt fühlte ich mich, aber ich konnte ja nicht tanzen.<br />

Vor allem, was hätte <strong>der</strong> junge Kollege wohl gedacht, <strong>der</strong> neben mir an<br />

<strong>der</strong> Kaffeemaschine stand. Ich kannte ihn gar nicht, hatte von <strong>der</strong> Vorstellung<br />

damals nur behalten, dass er bei uns seine Referendarausbildung machte. „Na,<br />

heute schon tüchtig ausgebildet“ pflaumte ich ihn an. „Oh, ja, doch, das kann<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 4 von 52


man schon sagen.“ antwortete er <strong>und</strong> lachte dabei. Jetzt sah er richtig süß aus,<br />

wenn er sprach <strong>und</strong> lachte. Nein, Quatsch, Männer sehen nicht süß aus.<br />

Aufgeweckt, lebendig wirkte er, <strong>und</strong> seine Mimik strahlte warme Fre<strong>und</strong>lichkeit<br />

aus. Sonst zeigte sie eher triste, lethargische Züge. Ich fragte ihn, bei wem er<br />

denn in <strong>der</strong> Ausbildung sei. Wir stellten uns mit dem Kaffee ans Fenster. „Und,<br />

alles in Ordnung, keine Probleme“ fragte ich. „Nein, ist schon alles o. k. so.“<br />

antwortete er lapidar. Bestimmt gäbe es da Unstimmigkeiten. Frau Stegmüller,<br />

seine Ausbildungslehrerin, galt unter Kollegen nämlich nicht als eine Person,<br />

<strong>die</strong> beson<strong>der</strong>en Liebreiz versprühte. „Sie sind so ein kräftiger, junger Mann,<br />

aber sie machen immer eine Mine, als ob sie sich eher schlapp fühlten <strong>und</strong> von<br />

Problemen gequält wären.“ sagte ich mal einfach leicht provozierend. Der<br />

junge Mann lachte auf. „Kräftig mag ich ja sein, aber ich bin nicht stark.“<br />

verkündete er. Mein fragendes Gesicht for<strong>der</strong>te ihn auf, es zu erläutern. „Wer<br />

an<strong>der</strong>e besiegt hat Kraft. Stark ist, wer sich selbst besiegt.“ erklärte er <strong>und</strong><br />

lachte. Ich musste auch lachen, obwohl es ja gar nicht lächerlich war. „Aber ein<br />

Philosoph sind sie, da seien sie doch froh. Das zählt heute ja viel mehr als<br />

physische Stärke.“ wusste ich dazu. „Frau …, sie müssen mir helfen, ich habe<br />

ihren Namen vergessen. Ich höre nur, dass <strong>die</strong> an<strong>der</strong>en sie alle <strong>Susa</strong> nennen.“<br />

begann <strong>der</strong> junge Mann. „Genau, <strong>Susa</strong>, das ist richtig, <strong>und</strong> das reicht. So heiße<br />

ich.“ machte ich deutlich. Der junge Mann stutzte leicht <strong>und</strong> meinte: „O. k.,<br />

dann heiße ich Māri.“ „Wie das Marie ist doch ein typischer Frauenname.“<br />

wand ich ein. „Nein, nicht doch Marie mit Betonung auf dem Dehnungs ie. Māri<br />

mit Betonung auf dem a. Es ist eine Abkürzung für Marian, so heiße ich<br />

offiziell, aber solange ich weiß, nennen mich alle nur Māri. Vielleicht habe ich<br />

mir als kleines Kind den Namen selbst gegeben.“ erläuterte Mari. „O<strong>der</strong> <strong>die</strong><br />

Mami hat gesagt: „Ei du, mein süßer, kleiner Mari.““ schlug ich vor <strong>und</strong> lachte.<br />

Mari grinste, aber was in dem tiefen Blick lag, den er mir schenkte, wusste er<br />

wahrscheinlich selbst nicht genau. Einen Drang, meine Befreiung von <strong>der</strong><br />

Klassenarbeitsqual körperlich durch tanzen ausagieren zu wollen, verspürte ich<br />

zwar nicht mehr, aber irgendeine Art von Lust, jetzt nicht total ernst <strong>und</strong><br />

geschäftig zu sein, existierte schon noch. „Mari, du hast mir noch nicht erklärt,<br />

warum du dich nicht stark fühlst.“ wünschte ich Erläuterndes. „Um physische<br />

Stärke geht’s doch nicht, das ist Kraft. Mentale, psychische Stärke, ein klarer,<br />

starker Wille, das ist das Entscheidende.“ Mari dazu. „Und du hast dich selbst<br />

nicht in <strong>der</strong> Gewalt. Wieso, was machst du denn, trinkst du, nimmst du<br />

Drogen, o<strong>der</strong> kannst du nur nicht aufhören zu rauchen“ erk<strong>und</strong>igte ich mich.<br />

Mari lachte laut. „Sie lachen mich aus.“ beschwerte ich mich. „Du!“ sagte Mari.<br />

„Wieso, was ist“ ich verstand nicht. „Du lachst mich aus.“ korrigierte Mari.<br />

„Ja, das auch.“ reagierte ich <strong>und</strong> lachte. Warum Schrecklich lustig war das<br />

Gespräch eigentlich gar nicht, aber es schwebte eine Atmosphäre zwischen<br />

uns, als ob sowohl meins als auch Maris Zwerchfell darauf wartete, aktiv<br />

werden zu dürfen. „Dann sag doch, was dich quält, o<strong>der</strong> ist das zu intim. Du<br />

musst es ja nicht sagen.“ for<strong>der</strong>te ich Mari auf. „Alles, nein, es ist mein Beruf.<br />

Lehrer will ich eigentlich gar nicht sein. Den Kin<strong>der</strong>n <strong>die</strong> Welt erklären, <strong>und</strong><br />

ihnen sagen, wie sie sich darin zu verhalten haben, das kann nicht meine<br />

Lebensaufgabe sein. Nur ich bin eben nicht stark genug, mich zu entscheiden.“<br />

erklärte Mari. „Du hast dich aber doch schon entschieden. Warum hast du's<br />

dann gemacht Was hättest du denn lieber machen wollen“ fragte ich ihn.<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 5 von 52


„Alles Mögliche hätte ich machen können. Aber das ist ja <strong>die</strong> Krux mit <strong>die</strong>sem<br />

ganzen wi<strong>der</strong>natürlichen Berufesystem.“ Mari darauf. „Was Das musst du mir<br />

aber noch erklären, mit den wi<strong>der</strong>natürlichen Berufen. Nur müssen wir wie<strong>der</strong><br />

rein. Bist du gleich noch da Treffen wir uns dann wie<strong>der</strong> hier“ fragte ich ihn.<br />

Son<strong>der</strong>bar, ich fühlte mich schon erlöst nach <strong>der</strong> Klassenarbeit, aber das<br />

beschwingte Gefühl hielt an. Ich hatte Lust auf Jux <strong>und</strong> Albernheiten. Bestimmt<br />

würde ich gleich Schüler veräppeln wollen. „Aber Frau Rebmann!“ würden sie<br />

mich ermahnen. Eine Stu<strong>die</strong>nrätin hat ernst <strong>und</strong> vernünftig zu sein. Als<br />

verantwortungsvolle, erwachsene Frau darf man keine Lust auf Jux <strong>und</strong><br />

Quatsch haben Was machen sie denn im Karneval Auch wenn mir das<br />

eigentlich gar nicht lag. Die Klassenarbeit wäre längst vergessen, es musste<br />

mit <strong>der</strong> Pause zu tun haben. Es war ja nichts geschehen. Ich hatte Mari<br />

kennengelernt <strong>und</strong> mit ihm ein paar Worte gewechselt. Warum es bei mir so<br />

eine wohlige Stimmung hinterließ, kann ich gar nicht benennen. Na ja, süß,<br />

nein angenehm war mir Mari schon vorgekommen. Er hatte sich auf meine<br />

launige Gefühlslage eingelassen <strong>und</strong> konnte sich freuen <strong>und</strong> lachen.<br />

Du bist zu faul Mari<br />

„Frau Rebmann sind sie, nicht wahr, <strong>Susa</strong>nna Rebmann“ begrüßte mich Mari,<br />

als ich in <strong>der</strong> nächsten Pause wie<strong>der</strong> ins Lehrerzimmer kam. „Ist das Teil deiner<br />

Ausbildung, so einen Unsinn zu erforschen Habe ich dir nicht gesagt, wie<br />

ich heiße Reicht das nicht“ reagierte ich möglichst ernst, aber so absolut<br />

ernst, das ging gar nicht. „Entschuldigung, ich werde nichts Weiteres mehr erforschen.“<br />

erklärte Mari lachend, „Für Frau Stegmüller bin ich immer <strong>der</strong> Herr<br />

Neuber, auch wenn sie sich mit an<strong>der</strong>en Kolleginnen duzt. Herrin <strong>und</strong> Knecht<br />

haben wahrscheinlich immer <strong>die</strong> Form zu wahren.“ „Du hast gesagt, <strong>die</strong> Berufe<br />

seien alle wi<strong>der</strong>natürlich. Das musst du erklären.“ for<strong>der</strong>te ich Mari auf. „Nein,<br />

nicht alle Berufe sind wi<strong>der</strong>natürlich, son<strong>der</strong>n das System. Schau mal, wenn<br />

ein Elefantenbaby geboren wird, gibt es nur <strong>die</strong> eine Perspektive, Elefant zu<br />

werden. Nirgendwo im Tierreich, auch nicht unter unseren nächsten Verwandten,<br />

den Menschenaffen, gibt es so etwas wie Berufe, <strong>und</strong> unsere Ur-Ur-Vorfahren,<br />

<strong>die</strong> Frühmenschen kannten auch keine Berufe.“ erklärte Mari. „Und was<br />

meinst du, wie ist das Übel <strong>der</strong> Berufe in <strong>die</strong> Welt gekommen“ wollte ich von<br />

ihm wissen. „Na ja, <strong>die</strong> einen sind fischen <strong>und</strong> jagen gegangen, sie mussten für<br />

das Eiweiß sorgen. Das waren <strong>die</strong> Männer. Und <strong>die</strong> an<strong>der</strong>en sammelten Obst<br />

<strong>und</strong> Gemüse. Das waren <strong>die</strong> Frauen.“ erläuterte Mari. Kurios war es ja schon,<br />

was Mari sagte, aber auch wie er es sagte. Immer begleitet von einem Lächeln,<br />

als ob er es selbst nicht ernst nahm. „Da meinst du, ist schon ganz zu Anfang,<br />

zu Urzeiten <strong>der</strong> Unterschied in Berufen für Frauen <strong>und</strong> Männer festgelegt worden.<br />

Ist das denn auch evolutionär genetisch so verankert“ erk<strong>und</strong>igte ich<br />

mich. „Eine schlimme Entwicklung nahm es ja erst, als <strong>die</strong> Leute sesshaft wurden.<br />

Da konnte plötzlich jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> das eine o<strong>der</strong> das an<strong>der</strong>e beson<strong>der</strong>s<br />

gut.“ fuhr Mari fort. „Ja, ich verstehe, für <strong>die</strong> Schläge mit dem Hammer als<br />

Schmied war <strong>der</strong> kräftige Mann besser geeignet, <strong>und</strong> als Putzmacherin für <strong>die</strong><br />

eleganten Hüte <strong>der</strong> Damen eignete sich <strong>die</strong> Frau besser.“ kommentierte ich<br />

<strong>und</strong> konnte mich vor Lachen nicht halten. „Heute ist alles durcheinan<strong>der</strong>. Jede<br />

<strong>und</strong> je<strong>der</strong> kann alles werden. Es gibt überhaupt keinen irgendwie gearteten na-<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 6 von 52


türlichen Bezugspunkt mehr.“ meinte Mari. Ich schaute ihn mir tief prüfend an.<br />

Wir grinsten beide. Mari schien etwas zu ahnen. „Sag mal, ist dir eigentlich bewusst,<br />

was für einen absoluten Schwachsinn du redest“ fragte ich, <strong>und</strong> lachte<br />

schon. Sein „Wieso“ hatte sicher nicht <strong>die</strong> Funktion, das von mir Gesagte<br />

anzuzweifeln. Maris Intonation <strong>und</strong> <strong>die</strong> begleitende Mimik signalisierten eher,<br />

dass es im Spaß machte. „Mari, wie kommst du eigentlich darauf, dass<br />

ausgerechnet ich <strong>und</strong> ausgerechnet heute an so etwas Gefallen finden<br />

könnte“ wollte ich von ihm wissen. „Das weiß ich doch auch nicht, <strong>Susa</strong>. Ich<br />

kenne dich doch gar nicht. Es wird sich intuitiv mit Wechselwirkungen so<br />

entwickeln. Wenn du etwas sagst, dann nehme ich dich auf mit allem, was sich<br />

mir zu erkennen gibt <strong>und</strong> versuche einfühlend darauf zu reagieren. Bei dir wird<br />

es ähnlich laufen. Aber das geht alles intuitiv, gedacht o<strong>der</strong> geplant habe ich<br />

nichts dabei. Bei Frau Stegmüller wäre es sicher niemals zu so einem Gespräch<br />

gekommen.“ erklärte es Mari. „Aber <strong>die</strong> <strong>Susa</strong>, hast du gespürt, dass ist so eine<br />

alte Juffernnudel, <strong>der</strong> kann man so einen Blödsinn erzählen.“ mutmaßte ich.<br />

„<strong>Susa</strong>! Bitte, sprich nicht so. Ich halte dich für eine …. Nein, das sag ich nicht.<br />

Ich kenne dich doch überhaupt nicht.“ ermahnte Mari mich, aber sein warmer,<br />

fre<strong>und</strong>licher Blick <strong>und</strong> seine wohlig lächelnde Mimik übermittelten das<br />

Kompliment, das er nicht aussprechen wollte. Offensichtlich gefiel es ihm, mit<br />

mir so reden zu können. „Aber, dass du eigentlich gar nicht Lehrer sein willst,<br />

das stimmt doch, o<strong>der</strong> Willst du da denn mal ernsthaft etwas zu sagen, o<strong>der</strong><br />

ist dir das eigentlich gar nicht so wichtig“ fragte ich. „Doch, doch, weißt du,<br />

ich habe mich für so vieles interessiert, Philosophie, Kunst, Musik, Literatur<br />

<strong>und</strong> Schauspiel <strong>und</strong> Theater. Das war mein Leben, meine Liebe. Jetzt soll ich<br />

mich plötzlich entscheiden, <strong>und</strong> mein Leben lang nur noch eins machen.<br />

Insofern ist das schon unnatürlich.“ erklärte Mari. „Du hättest es lieber gehabt<br />

wie beim Elefantenbaby. Als Lehrerkind geboren, <strong>und</strong> damit wäre alles klar<br />

gewesen.“ legte ich Mari nahe. Der zog eine Grinseschnute <strong>und</strong> immer <strong>die</strong>ser<br />

Blick, <strong>der</strong> einerseits mein Zwerchfell kitzelte, aber gleichzeitig auch fre<strong>und</strong>lich,<br />

sanft war <strong>und</strong> Wohlempfinden vermittelte. „Nein, ich hatte mich am<br />

intensivsten mit Literatur <strong>und</strong> Drama befasst, <strong>und</strong> was stu<strong>die</strong>rst du dann<br />

Germanistik.“ erklärte Mari. „Aber was ist denn daran wi<strong>der</strong>natürlich, <strong>und</strong><br />

warum hast du's getan“ erk<strong>und</strong>igte ich mich weiter. „Das Studium war doch<br />

auch zum größten Teil absolut interessant, nur was hast du denn hier damit zu<br />

tun Die winzige Spitze eines riesigen Eisbergs gebrauchst du hier davon, <strong>und</strong><br />

das an<strong>der</strong>e wird unwi<strong>der</strong>ruflich mit <strong>der</strong> Zeit dahin schmelzen. Du wirst zum<br />

Pauker, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Germanist verschwindet.“ erläuterte Mari. „Dann hättest du<br />

nicht in <strong>die</strong> Schule gehen dürfen.“ meinte ich dazu. „Als frei schaffen<strong>der</strong><br />

Germanist Tolle Perspektiven erwarteten dich da.“ reagierte Mari. Ich kannte<br />

Mari ja wirklich nicht, <strong>und</strong> auch, wenn ich ihn mir genau anschaute, erschloss<br />

sich mir nicht alles. „Alle Menschen möchten gern glücklich sein, na klar, aber<br />

sie haben auch noch etwas an<strong>der</strong>es. Sie verspüren eine Art energetisches<br />

Drängen, möchten etwas erreichen. Ich sage mal, sie haben so etwas wie eine<br />

Art Biss. Darüber verfügst du aber nicht, nein“ erk<strong>und</strong>igte ich mich. Mari<br />

lachte sich schief. „<strong>Susa</strong>, was soll das Was willst du“ fragte er. „Schau mal,<br />

<strong>die</strong> Welt ist voller Germanisten. Du musst ja nicht eine Praxis eröffnen mit<br />

einem Schild am Hauseingang „Marian Neuber, Germanist, dritte Etage“.<br />

Überall sind Germanisten beschäftigt, vielleicht draußen viel mehr als in <strong>der</strong><br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 7 von 52


Schule. Regisseure <strong>und</strong> Dramaturgen am Theater sind meistens Germanisten.<br />

In den Sen<strong>der</strong>n wimmelt es von Germanisten <strong>und</strong> auch <strong>die</strong> Redakteure in den<br />

arrivierten Zeitungen haben meistens ein Germanistikstudium absolviert. Bei<br />

den Verlagen sind viele Germanisten beschäftigt, <strong>und</strong> wenn du Geschichten,<br />

Erzählungen <strong>und</strong> Romane schreiben willst, ist ein Germanistikstudium sehr zu<br />

empfehlen.“ machte ich Mari klar. Mari wi<strong>der</strong>sprach dem nicht. Er formte nur<br />

eine skeptisch, zweifelnde Mimik. „Lehramt ist am bequemsten <strong>und</strong> sichersten,<br />

nicht wahr Du bist zu faul, Mari, das ist es.“ diagnostizierte ich. Mari lachte<br />

wie<strong>der</strong>. „Wenn das ganze Kollegium nur aus <strong>Susa</strong>s bestünde, könnte mir<br />

Schule vielleicht doch Spaß machen.“ konstatierte er.<br />

Katharina <strong>und</strong> Manuel<br />

Ob wir es beide nicht ernst meinten, was wir sagten Doch, im Gr<strong>und</strong>e schon,<br />

aber um eine nüchterne, ernste Diskussion handelte es sich auch nicht. Mit<br />

wem redete ich denn sonst so Von den Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen mit niemandem.<br />

Mit Hellen, meiner Fre<strong>und</strong>in, konnte es auch schon mal dazu kommen,<br />

dass wir alberten, aber das war sehr selten <strong>und</strong> ganz an<strong>der</strong>s. Mit den Kin<strong>der</strong>n<br />

kam es auch öfter zu Jux <strong>und</strong> Albernheiten, aber mit <strong>der</strong> Gesprächssituation<br />

zwischen Mari <strong>und</strong> mir war das nicht zu vergleichen. „Mami, dir geht’s gut,<br />

nicht wahr“ vermutete Katharina o<strong>der</strong> Kathi, meine Tochter, als ich nach Hause<br />

kam. Beim Schmusen als kleines Kind hatte ich sie mal meine kleine Raubkatze<br />

genannt. Wir hatten über den Unterschied zwischen H<strong>und</strong> <strong>und</strong> Katze gesprochen,<br />

<strong>und</strong> ich hatte ihr empfohlen, dass eine Frau immer wie eine Raubkatze<br />

sein müsse. Seitdem hörte sie es gern, wenn ich sie Katze nannte, <strong>und</strong><br />

bei manchen Fre<strong>und</strong>innen, <strong>die</strong> aber gar nicht wussten warum, hieß sie auch so.<br />

„Schon möglich. Ich weiß nicht.“ reagierte ich. „Worüber freust du dich denn“<br />

wollte Kathi wissen. „Das weiß man doch meistens nicht. Die Glückshormone<br />

machen das.“ erklärte ich. „Das sind keine Hormone. Neurotransmitter heißen<br />

<strong>die</strong>.“ machte Kathi mir klar. „Oh! Ich dachte, ich sei so eine kluge Frau, aber<br />

Katze weiß alles.“ staunte ich. „Hast du Lust auf 'nen Tee Sollen wir uns einen<br />

Tee machen“ schlug ich vor. „War's heute gut in <strong>der</strong> Schule, hast du was<br />

Schönes erlebt“ fragte Kathi nach. „Stell dir vor, ich habe heute bei uns an<br />

<strong>der</strong> Schule einen Lehrer kennengelernt, <strong>der</strong> gar kein Lehrer sein will, lustig<br />

nicht“ erzählte ich. „Selbst Schuld.“ kommentierte Kathi nüchtern. Lustig war<br />

es ja auch gar nicht. Ich fand Mari lustig. Offensichtlich hatte das Gespräch mit<br />

Mari meine Stimmung anhaltend aufgehellt. „Die ist immer leicht unterschiedlich,<br />

<strong>die</strong> Gefühlslage, aber miesepetrig bin ich doch nie, o<strong>der</strong>“ meinte ich. Kathi<br />

schüttelte den Kopf. „So vieles kann auf <strong>die</strong> Produktion <strong>der</strong> Neurotransmitter<br />

Einfluss haben, selbst das Wetter.“ fügte ich hinzu. „Ja, <strong>und</strong> zum Beispiel<br />

Marathonläufer sind nachher völlig erschossen aber total glücklich.“ steuerte<br />

Kathi bei. „Und, soll ich dir mal was verraten“ begann ich geheimnisvoll,<br />

„Beim Sex ist das so ähnlich.“ Kathi sagte nichts. Sie schmunzelte nur <strong>und</strong><br />

schenkte mir einen tiefen, bedeutungsschweren Blick. „Aber darum geht’s ja<br />

nicht. Darüber haben wir ja schon öfter gesprochen.“ fügte ich hinzu. Kathi war<br />

elf Jahre alt. Mit ihr konnte ich vertraulich <strong>und</strong> offen über Sex <strong>und</strong> Liebe reden.<br />

Mit Manuel, ihrem Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> zwei Jahre älter war, sprach ich natürlich auch<br />

darüber, aber es war nicht so selbstverständlich, frei, offen <strong>und</strong> vertraulich. Für<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 8 von 52


den kleinen Jungen schien es schon unbewusst nicht bedeutungslos zu sein,<br />

dass ich eine Frau war, <strong>und</strong> er sich als kleiner Mann fühlte. Das wird bei den<br />

Jungs wahrscheinlich im Kin<strong>der</strong>garten schon beginnen, dass sie anfangen, sich<br />

mit ihrer Männerrolle zu identifizieren. Da werden sie schon spüren, das es lukrativer<br />

ist, ein Junge zu sein. Dirk, mein Mann, hatte sich sehr unter Kontrolle<br />

<strong>und</strong> zeigte keinesfalls machohafte Züge, aber seine Rollenidentifikation als<br />

Mann war fest <strong>und</strong> unverbrüchlich. Bei Mari heute, war mir das gar nicht<br />

bewusst geworden. Das fiel mir erst jetzt auf. Natürlich hatte ich gesehen,<br />

dass er ein Mann war, aber er war mir eher in <strong>der</strong> Rolle eines Spielkameraden<br />

erschienen.<br />

Der kleine Frauenhasser<br />

„Gleich wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Pause“ fragte Mari nach <strong>der</strong> Begrüßung, als ich ihn vor<br />

Unterrichtsbeginn traf. Wieso das denn Hatten wir etwas zu besprechen vergessen<br />

Aber warum nicht Sonst würde ich mit jemand an<strong>der</strong>s irgendwelches<br />

Schulgewäsch austauschen, über Schüler o<strong>der</strong> <strong>die</strong> eigenen Kin<strong>der</strong> sprechen.<br />

Im Gr<strong>und</strong>e jeden Tag <strong>der</strong> gleiche bedeutungslose Smalltalk. Das war mir noch<br />

gar nicht bewusst geworden. Es war eben so. Belangloses Gewäsch bei einer<br />

Tasse Kaffee in ritualisierter Form. Was Mari mir wohl erzählen wollte Wahrscheinlich<br />

ging er einfach davon aus, dass ihm <strong>der</strong> Kaffee mit mir besser<br />

schmecken würde als mit einer an<strong>der</strong>en Kollegin o<strong>der</strong> einem an<strong>der</strong>en Kollegen.<br />

„Und, schon viel stärker geworden“ fragte ich ihn, als er in <strong>der</strong> Pause neben<br />

mir Platz nahm. „Was meinst du“ sagte sein Blick. „Na, hast du schon zugenommen<br />

an Entscheidungsfreude, Entschlusskraft <strong>und</strong> Willensstärke, zum Beispiel.“<br />

erläuterte ich. Was zur Folge hatte, dass Mari erst mal wie<strong>der</strong> lachte,<br />

aber das reichte mir ja schon. Sein Lachen klang nicht nur warm <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich,<br />

mir gefiel auch sein lachendes Gesicht mit <strong>die</strong>ser leichten Andeutung von<br />

Grübchen auf den Wangen. Aber das ist ja gr<strong>und</strong>sätzlich so, dass dich lachende<br />

Gesichter von Menschen selbst erfreuen. Warum tun sie es nur so selten<br />

„<strong>Susa</strong>, wenn ich mit dir zusammen bin, ist mir meine Stärke völlig Wurscht.<br />

Dann fühl ich mich einfach wohl <strong>und</strong> stark bestimmt auch. Ich glaube, ich mag<br />

dich.“ erklärte Mari. Ich musste zuerst mal verw<strong>und</strong>ert <strong>die</strong> Luft brausend ausblasen.<br />

„Mari, geht das nicht zu weit Aber an<strong>der</strong>erseits entscheidest du ja<br />

schon beim ersten Blick, ob du den an<strong>der</strong>en magst o<strong>der</strong> nicht. Insofern mag<br />

ich dich auch, sonst hätte ich mich ja nicht mit dir unterhalten.“ erklärte ich.<br />

„Du betrachtest dein Leben von außerhalb, was gestern war <strong>und</strong> morgen sein<br />

wird. Unbedeutend wird das nicht sein, aber was dich emotional bewegt, ist,<br />

was hier <strong>und</strong> jetzt geschieht. Da kann dich eine erfreuliche Kommunikation mit<br />

einem an<strong>der</strong>en Menschen viel stärker bewegen, als alle deine Lebensperspektiven.“<br />

erklärte Mari. „Genau, am stärksten ist es, wenn es sich um Liebe handelt,<br />

dann vergisst du alles an<strong>der</strong>e.“ bestätigte ich ihn. „Das Emotionale ist das<br />

Primäre, meinst du, <strong>und</strong> nicht das Rationale.“ vermutete Mari. „So platt würde<br />

ich das nicht einfach unterschreiben. O<strong>der</strong> meinst du, wir wären völlig willenlos<br />

unseren Gefühlen ausgeliefert“ entgegnete ich. „Die Neurowissenschaftler haben<br />

doch herausgef<strong>und</strong>en, dass unser sogenannter freier Wille erst nach <strong>der</strong><br />

erfolgten Entscheidung zum Zuge kommt.“ wusste Mari. „Ich glaube, das ist<br />

ein weites Feld, aber deine Entscheidungen erfolgen doch nicht ausschließlich<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 9 von 52


auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Gefühlslage.“ gab ich zu bedenken, „Emotionale Beteiligung ist<br />

sicher immer gegeben, <strong>und</strong> da ist <strong>die</strong> Beziehung zu an<strong>der</strong>en Menschen das<br />

Stärkste, da stimme ich dir schon zu.“ „Ich müsste einen Intendanten gut kennen<br />

o<strong>der</strong> mich in eine Dramaturgin verlieben, dann würde ich sicher lebenslang<br />

am Theater bleiben wollen. Hast du dich denn in einen Lehrer verliebt“ wollte<br />

Mari wissen. Ich musste schrecklich lachen. Die Vorstellung war mir noch nie in<br />

den Sinn gekommen. Im Gr<strong>und</strong>e mochte ich Schule auch nicht. Das ganze<br />

System korrelierte nicht mit meinem Naturell. Aber das störte mich nicht. Ich<br />

konzentrierte mich auf <strong>die</strong> Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler <strong>und</strong> im Übrigen<br />

dominierte mein Privatleben. „Ich habe eine gr<strong>und</strong>sätzliche Stütze für mein<br />

Ego. Viele Frauen stu<strong>die</strong>ren Lehramt, weil ihnen sonst nichts einfällt, o<strong>der</strong> weil<br />

das für eine Frau eben ein typischer Beruf ist, zu denen gehöre ich nicht, eine<br />

von denen bin ich nicht. Ich bin allerdings auch nicht in <strong>der</strong> Schule, weil mich<br />

<strong>der</strong> pädagogische Eros erfasst hätte, aber mit Liebe hat es schon zu tun. Ich<br />

hatte in <strong>der</strong> Schule einen englischen Tick, war total anglophil. England <strong>und</strong><br />

Großbritannien, das war für mich eine w<strong>und</strong>ervolle, großartige Geschichte. Ich<br />

kannte <strong>und</strong> wusste alles. Meine Gasteltern bei einem Austausch staunten<br />

immer nur, was ich ihnen für tolle Geschichten über ihr Land erzählen konnte.<br />

Dass ich Anglistik stu<strong>die</strong>rte, war natürlich selbstverständlich. An Schule habe<br />

ich gar nicht gedacht. Mit Sicherheit hätte ich promoviert. Und dann geschieht<br />

das Unfassbare. Du lernst einen Mann kennen, <strong>und</strong> es dauert nicht lange, bis<br />

sich das Leben mit ihm an <strong>die</strong> erste Stelle deiner Gedanken zu deinem<br />

weiteren Leben schiebt. Am besten ließe sich das realisieren, wenn ich in <strong>die</strong><br />

Schule ginge.“ erklärte ich. „Und deine Dissertation hast du völlig vergessen“<br />

fragte Mari. „Konkrete Pläne gab es ja noch nicht, aber du hast schon Recht.<br />

Für meinen Mann hat sich nichts verän<strong>der</strong>t. Wahrscheinlich ist es so, dass<br />

Frauen <strong>die</strong> Liebe stärker empfinden, dass sie für sie bedeutsamer ist als für<br />

Männer, o<strong>der</strong> was meinst du“ fragte ich. „Ich kann da gar nichts zu sagen. Ich<br />

meine, das man Liebe schon stark empfinden müsste. Drei mal hatte ich schon<br />

eine Fre<strong>und</strong>in, <strong>und</strong> da war das eben bei keiner so. Evelyn zum Beispiel war ja<br />

ganz nett, aber <strong>die</strong> Vorstellung, dass sie jetzt für den Rest meines Lebens bei<br />

mir sein würde, machte mir Angst.“ erklärte Mari, „Aber ich weiß nicht, das<br />

trifft bei mir, glaube ich, für alle Frauen zu. Vielleicht habe ich eine misogyne<br />

A<strong>der</strong>.“ „Ach so, <strong>und</strong> warum gefällt es dir dann, dich mit mir zu unterhalten,<br />

mein kleiner Frauenhasser“ wollte ich wissen. „Nein, das ist ja Unsinn, aber<br />

du wirkst auch irgendwie ganz an<strong>der</strong>s.“ Mari darauf. Ganz an<strong>der</strong>s Was war<br />

das denn Wann sagt man denn jemandem, dass er ganz an<strong>der</strong>s sei. Meine<br />

hochgezogenen Brauen <strong>und</strong> mein skeptischer Blick for<strong>der</strong>ten Mari auf, sich<br />

näher zu erklären. „Na ja, ich meine, so ein bisschen wie eine englische Lady<br />

wirkst du schon.“ sah er es, was mich losprusten ließ. „Das mit den englischen<br />

La<strong>die</strong>s, das musst du mir aber noch erklären. Bist du gleich noch da“ fragte<br />

ich. Englische Lady War ich so ein wenig etepetete Näselte ich vielleicht<br />

Englisch Ladys haben doch auch oft etwas Gouvernantenhaftes, zeigte ich das<br />

auch Englische Lady, so ein Blödsinn.<br />

Heimlicher Verehrer<br />

„Englische La<strong>die</strong>s sind dick, englische La<strong>die</strong>s sind dünn, sie sind groß, sie sind<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 10 von 52


klein, klug o<strong>der</strong> dumm sind sie. Englische Lady, was soll das Englische La<strong>die</strong>s<br />

können alles sein. Was für eine bin ich denn deiner Ansicht nach“ erklärte ich<br />

als wir uns in <strong>der</strong> nächsten Pause trafen. „<strong>Susa</strong>, hat dich das gestört Ich meine<br />

doch nur das ganz simple, primitive Klischee, das man so hat. Ein bisschen<br />

edel, so wirken deine Gesichtszüge schon. Und auch ein Anflug von distinguiertem<br />

Verhalten, aber menschlich bist du völlig an<strong>der</strong>s.“ erläuterte Mari. Schon<br />

wie<strong>der</strong> war ich völlig an<strong>der</strong>s, jetzt an<strong>der</strong>s als <strong>die</strong> englische Lady. „Persönlich,<br />

menschlich bin ich eher eine schnoddrige Schlampe, meinst du“ schlug ich<br />

vor. Mari lachte sich krumm. Sein Blick starrte mir tief in <strong>die</strong> Augen. Was er da<br />

wohl erkennen wollte Die schnoddrige Schlampe bestimmt nicht. Son<strong>der</strong>bar,<br />

ich hatte es gern, gewiss nicht, weil seine Mimik dabei einen Hauch von<br />

Lächeln zeigte. Sonst mag ich das überhaupt nicht, halte es für ungezogen.<br />

Der an<strong>der</strong>e meint, dich zu durchschauen o<strong>der</strong> etwas zu entdecken, was du ihm<br />

verschweigst. Wenn Kathi <strong>und</strong> ich uns intensiv anschauen, gleicht das<br />

allerdings einem kleinen Liebesspiel. Ihr Blick kommt direkt bei mir im Herzen<br />

an <strong>und</strong> bringt ganz viel Liebe mit. Es kommt mir vor als ob ihr Blick sagte, dass<br />

sie sich am liebsten dort einnisten würde. Aber da wohnt sie ja schon.<br />

Vielleicht gefällt es dir, mit jemandem tiefe Blicke zu wechseln, wenn du sicher<br />

bist, dass <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e nichts Schlechtes über dich denken wird. Bei Mari Das<br />

konnte ich doch nicht wissen, aber spürte ich es vielleicht, ohne dass es mir<br />

bewusst wurde. „Mari, du sagst immer 'ganz an<strong>der</strong>s'. Das heißt nichts, es kann<br />

alles sein. Du musst schon konkret sagen, was du meinst.“ for<strong>der</strong>te ich ihn auf.<br />

„Hach, <strong>Susa</strong>, du quälst mich. Ich kenne dich doch gar nicht. Was soll ich denn<br />

sagen, irgendwelche Plattitüden wie: „Du bist fre<strong>und</strong>lich, du bist nett o<strong>der</strong> so<br />

etwas“ jammerte Mari. „Du hast mir doch ganz tief in <strong>die</strong> Augen geschaut <strong>und</strong><br />

nichts erkannt An<strong>der</strong>e blicken einem einmal in <strong>die</strong> Augen <strong>und</strong> erkennen sofort<br />

den gesamten Charakter, aber du hast nichts gesehen.“ monierte ich. „Das ist<br />

ja Unsinn.“ erklärte Mari, „Du kannst nur das sehen, was du kennst <strong>und</strong> was<br />

du zu sehen erwartest. Ich denke schon, dass du ein guter Mensch bist. Mit<br />

caritativer Spendenlust hat das nichts zu tun. Das wirklich Menschliche steht<br />

bei dir im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Du bringst dich selbst persönlich ein. Zum Beispiel in<br />

unserem Gespräch, auch wenn es gar nicht beson<strong>der</strong>s wichtig ist, aber das<br />

lebst du selbst, bist voll involviert. Da spreche ich nicht mit einer Schablone,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Rolle <strong>der</strong> Stu<strong>die</strong>nrätin Frau Rebmann spielt. Ich finde das schon toll. So<br />

etwas erlebst du nicht oft. Was ich noch gesehen habe, das verrate ich nicht.“<br />

erklärte Mari. Ich sollte ganz authentisch mich selbst leben Nein, nein, so war<br />

das nicht. Aber für <strong>die</strong> Unterhaltung mit Mari traf es schon zu. Es hatte sich<br />

automatisch von selbst so entwickelt. An<strong>der</strong>s hätte das Gespräch auch nicht zu<br />

Stande kommen können. Es stimmte, in Gesprächen mit an<strong>der</strong>en Kollegen<br />

o<strong>der</strong> Fremden war ich das gar nicht selbst. Da spielte eine Frau Rebmann<br />

meine Rolle. Es gefiel mir, was Mari gesagt hatte. Ich hätte ihm gern einen<br />

Kuss auf <strong>die</strong> Wange gedrückt, aber so weit durfte das wirklich Menschliche ja<br />

nun doch nicht gehen. Am liebsten hätte ich natürlich gewusst, was er nicht<br />

verraten wollte. Etwas Schlechtes, Unangenehmes, das er deshalb nicht<br />

verraten wollte Nein, das konnte Mari nicht denken, das hätte er ja auch nicht<br />

sehen wollen. Irgendwelche bew<strong>und</strong>ernden Komplimente, <strong>die</strong> ihm peinlich<br />

gewesen wären Das ich <strong>die</strong> schönste Frau <strong>der</strong> Welt sei Warum sollte er mir<br />

das nicht sagen, aber das wusste ich ja auch sowieso, allerdings nur ich selbst.<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 11 von 52


Er musste etwas für mich empfinden, das er sich nicht traute, auszusprechen.<br />

Was sollten das an<strong>der</strong>es sein als Gefühle von Zuneigung Dass er mich<br />

mochte, war ja klar, wenn ich ganz an<strong>der</strong>s war als <strong>die</strong> Frauen, <strong>die</strong> er alle nicht<br />

mochte. „Ich liebe dich, küss mich, ich will mit dir ins Bett.“ so würde Mari<br />

nicht denken, aber vielleicht würde er von amourösen Momenten mit mir<br />

träumen. Ich hatte einen heimlichen Liebhaber. Hi, hi! Das hatte ich ja noch<br />

nie gehabt. Aber wenn man sagt, <strong>die</strong> Frau hat einen Liebhaber, drückte das<br />

nicht aus, dass sie von einem an<strong>der</strong>en Mann als ihrem Partner etwas wollte<br />

So war es ja nicht. Vielleicht sollte man sagen, ich hätte einen heimlichen<br />

Verehrer. Aber auch das fand ich toll <strong>und</strong> lustig. Am liebsten hätte ich es allen<br />

erzählt, nur in Wirklichkeit wusste ich ja überhaupt nichts. Mari hatte mich ja<br />

noch nicht mal mit verliebten Augen angeschaut, aber das waren ja auch<br />

Kin<strong>der</strong>eien. Trotzdem fühlte ich mich beschwingt <strong>und</strong> meine Stimmung lag auf<br />

einem höheren Level.<br />

Ernst des Lebens<br />

Was sollte <strong>die</strong>ser ganze Unsinn Was hatte ich denn davon, wenn ich vermutete,<br />

Mari sei mein heimlicher Bew<strong>und</strong>erer. Trotzdem glichen wir unsere Anwesenheitszeiten<br />

ab, damit wir wussten, wann wir uns in den Pausen im Lehrerzimmer<br />

treffen konnten. Es machte einfach mehr Spaß, sich mit Mari zu unterhalten.<br />

Bei an<strong>der</strong>en Kollegen war auch das Unbedeutendste von einer aufgelegten<br />

Atmosphäre <strong>der</strong> Ernsthaftigkeit getragen. Man hatte eben als ernsthafter<br />

Mensch zu wirken. Mit Mari verlief es genau umgekehrt. Wir sprachen über<br />

zum Teil persönlich sehr bedeutsame Themen, hatten aber ständig Lust, zu lachen.<br />

„Du bist noch nicht richtig erwachsen geworden. Daran liegt das.“ erklärte<br />

ich Mari. Ein erwachsener Mann war Mari auch nicht. Natürlich war er ein<br />

Mann <strong>und</strong> <strong>der</strong> Altersunterschied zwischen ihm <strong>und</strong> mir war uns noch nie bewusst<br />

geworden. Aber auch, wenn <strong>die</strong> hergebrachten Klischees über Männer in<br />

weiten Bereichen überholt sein mögen, <strong>und</strong> natürlich je<strong>der</strong> Mann unterschiedlich<br />

ist, hat <strong>die</strong> Sozialisation allen <strong>die</strong> sich in unserer Kultur als Mann definieren,<br />

in ihrem Denken etwas Dominantes vermittelt, das sich auch in ihrer Verhaltenspraxis<br />

äußert. Wenn bei Dirk etwas Entsprechendes durchbrach, war er<br />

immer einsichtig <strong>und</strong> leicht zu bremsen. Mari schienen aber <strong>der</strong>artige Denkweisen<br />

<strong>und</strong> Verhaltensambitionen völlig zu fehlen. Es passte auch gar nicht zu<br />

ihm. Es hätte mich schrecklich amüsiert, wenn er sich so hätte aufführen wollen.<br />

Wie konnte es so etwas geben Vielleicht war er nur mit Frauen aufgewachsen<br />

Aber spätestens in <strong>der</strong> Schule wurde er doch damit konfrontiert, wie<br />

er sich als Junge <strong>und</strong> späterer Mann zu verhalten hätte. „Ich meine, als erwachsener<br />

Mensch ist es deine vorrangige Aufgabe, dich selbständig um <strong>die</strong><br />

Gewährleistung deiner Lebensbedingungen zu kümmern. Das ist für jede <strong>und</strong><br />

jeden selbstverständlich.“ erklärte ich. „Du meinst, dann beginnt <strong>die</strong> Ernsthaftigkeit<br />

<strong>und</strong> Härte des Lebens“ fragte Mari nach. „Na ja, <strong>die</strong> kindlichen Spielereien<br />

sind vorbei. Gleichgültig, ob es dir Spaß macht o<strong>der</strong> nicht, du musst<br />

einen Beruf ausüben, um deinen Lebensunterhalt zu ver<strong>die</strong>nen. Du würdest<br />

wahrscheinlich lieber fischen <strong>und</strong> jagen gehen.“ vermutete ich. „Habe ich beides<br />

noch nie gemacht. Müsste ich mal ausprobieren. Nein, nein, es geht um<br />

<strong>die</strong> Auffassung, dass das Leben primär aus Mühe <strong>und</strong> Qual bestünde <strong>und</strong> eine<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 12 von 52


äußerst ernsthafte Angelegenheit sei. Eine total verquere Einstellung, <strong>die</strong><br />

wahrscheinlich auf <strong>der</strong> jahrh<strong>und</strong>ertelangen Ansicht von Kirche <strong>und</strong> Adel beruht,<br />

dass <strong>die</strong> einfachen Leute sich auf Erden zu quälen hätten, um später im Himmel<br />

das Glück zu finden. Total abstrus, ich habe nur das eine Leben, <strong>und</strong> ich<br />

will hier glücklich sein, auch mit meiner Arbeit.“ erklärte Mari. „Ein Epikureer,<br />

ein Hedonist bist du, nicht wahr“ suchte ich Bestätigung. Mari lachte wie<strong>der</strong>.<br />

„Nein, ein Hedonist bin ich nicht, aber Epikur hat doch eine Menge sehr vernünftiger<br />

Worte gesagt. Nur war es den Griechen auch schon früher klar, dass<br />

nicht Furcht <strong>und</strong> Hoffnung das Leben bestimmen dürften. Schon Demokrit hat<br />

eine heitere, gelassene Stimmung gefor<strong>der</strong>t, seine Euthymia, <strong>die</strong><br />

Wohlgemutheit. Erst <strong>die</strong> christliche Religion, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Religion <strong>der</strong> Liebe sein<br />

wollte, hat alles menschenfeindlich mit Angst <strong>und</strong> Drohungen <strong>und</strong> Strafen<br />

durchsetzt. Nicht wenige Menschen wollen mehr Glück <strong>und</strong> Freude, doch sie<br />

wählen oft den falschen Weg <strong>und</strong> wissen nicht wie. „Man muss versuchen, den<br />

nächsten Tag immer besser zu machen, als den vorangegangenen, um dann in<br />

gleichmäßiger Freude zu sein.“ das stammt von Epikur.“ erläuterte Mari.<br />

Love a woman correctly<br />

Natürlich, besser machen wollte ich schon mal etwas, aber unzufrieden <strong>und</strong><br />

schlecht gelaunt war dich doch nicht. Nur es sich jeden Tag zu überlegen, wäre<br />

vielleicht keine schlechte Idee. Allerdings wenn Mari <strong>und</strong> ich uns unterhalten<br />

hatten, kam es mir immer vor, als ob ich dadurch ein zusätzliches Wohlempfindensquantum<br />

erhalten hätte, als ob <strong>die</strong> Solen meiner Psyche mit Schwingelementen<br />

ausgestattet worden wären. Eigentlich brauchte ein Mensch so etwas<br />

doch, o<strong>der</strong> Was <strong>die</strong> Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen wohl dachten, wenn ich in den<br />

Pausen immer mit Mari zusammen saß Eine junge Kollegin hat mal direkt gefragt:<br />

„Hast du was mit dem Neuber“ „Nein, nein, wir verstehen uns nur gut<br />

<strong>und</strong> unterhalten uns gern.“ lautete meine Antwort. Die an<strong>der</strong>en Kolleginnen<br />

<strong>und</strong> Kollegen zogen es vor zu schweigen o<strong>der</strong> untereinan<strong>der</strong> darüber zu reden.<br />

„Sag mal, Mari, bei deinen Fre<strong>und</strong>innen konntest du dir eine langfristige Beziehung<br />

nicht vorstellen, <strong>und</strong> bei den Frauen, wie war es da, meinten <strong>die</strong>, du seist<br />

etwas für's Leben“ wollte ich wissen. Mari lachte sich wie<strong>der</strong> schief. Eine kuriose<br />

Frage „Meine Fre<strong>und</strong>innen! Ich habe drei mal eine mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

gute Bekanntschaft mit einer Frau gehabt. Das war jedes mal ein individuell<br />

unterschiedliches Ereignis. Soll ich dir jetzt eine Historie meines Liebeslebens<br />

ausbreiten“ fragte Mari. „Quatsch, ich wollte nur wissen, wie du dich verhalten<br />

hast. Ob du <strong>die</strong> Frau fortgeschickt hast, obwohl sie's gern länger gewollt hätte.“<br />

erk<strong>und</strong>igte ich mich. „<strong>Susa</strong>, was hast du denn für Vorstellungen So läuft<br />

das doch nicht. Du kommst doch nicht mit einem Mann o<strong>der</strong> einer Frau zusammen,<br />

weil du was für's Leben suchst. Mag sein, dass manche es so machen. Es<br />

ist doch einfach so, dass du dich ganz nett findest, <strong>und</strong> dann intensiviert es<br />

sich. Im Prinzip ist doch immer alles offen <strong>und</strong> jede Entwicklung möglich, nur<br />

du stellst ja irgendwann für dich fest, wie du es empfindest <strong>und</strong> ob du dir das<br />

für immer vorstellen könntest. Wir haben uns niemals im Streit getrennt, es<br />

hat noch nicht mal Ansätze von Auseinan<strong>der</strong>setzungen gegeben, aber wie gesagt,<br />

es war jedes mal ganz an<strong>der</strong>es.“ erläuterte Mari. „Ich glaube, eine Frau<br />

denkt immer an <strong>die</strong> Perspektive. Wenn sie glücklich empfindet, wird sie das<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 13 von 52


doch nicht aufgeben wollen. Für Männer gilt es eher als uncool, sich von leidenschaftlichen<br />

Gefühlen abhängig zu machen. Sie wollen ihre Beziehungen<br />

immer rational, nüchtern handlen können.“ meinte ich dazu. „Ich weiß es auch<br />

nicht. Es muss da etwas Beson<strong>der</strong>es geben. Mein Bru<strong>der</strong> <strong>und</strong> ich zum Beispiel,<br />

wir sind absolut unterschiedlich, aber auch mein weiteres Leben mit ihm zusammen<br />

zu sein, da sähe ich überhaupt keine Probleme. Ben ist absoluter<br />

Sportfan <strong>und</strong> auch selbst aktiv. Er war schon mal in <strong>der</strong> Olympiaauswahl als<br />

Zehnkämpfer. Sein ganzes Leben besteht aus Sport <strong>und</strong> Training. Sport <strong>und</strong><br />

alles was damit in jedwe<strong>der</strong> Form zu tun hat, ist für mich wie Musik, <strong>die</strong> meinen<br />

Ohren weh tut. Vielleicht habe ich mich als Gegensatz zu ihm entwickelt,<br />

o<strong>der</strong> meine Mutter hat mir schon als Baby Platons Diotima vorgelesen.<br />

Verstanden habe ich es zwar nicht, aber es ist bei <strong>der</strong> Gehirnentwicklung<br />

unauslöschlich mit mir verwachsen. Ich denke auch, dass meine Mutter mit mir<br />

einen an<strong>der</strong>en Jungen haben wollte, als Ben.“ erklärte Mari. „Vielleicht wollte<br />

sie auch gar keinen Jungen, son<strong>der</strong>n hätte lieber ein Mädchen gehabt, <strong>und</strong> das<br />

hieß jetzt eben Mari.“ vermutete ich. „Ich sei verweiblicht, meinst du <strong>Susa</strong>,<br />

was für ein Unsinn. Sokrates war begeistert von den Berichten <strong>und</strong><br />

Erklärungen <strong>der</strong> Diotima <strong>und</strong> beschloss sich stärker in <strong>der</strong> Huldigung des Eros<br />

zu üben, weil er den Menschen dazu dränge, das Schöne in Kunst <strong>und</strong><br />

Wissenschaft, das Schöne allgemein, erkennen zu wollen.“ kritisierte mich<br />

Mari. „Und was hat das jetzt mit deinen Beziehungen zu tun“ hakte ich nach.<br />

„Das ist doch das Verrückte, mit meinem völlig unterschiedlichen Bru<strong>der</strong><br />

könnte ich mir gut vorstellen zusammenzuleben, aber mit Beate, <strong>die</strong> ich ganz<br />

nett fand, nicht.“ erklärte Mari. „Das wird etwas an<strong>der</strong>es sein. Dass dein<br />

Bru<strong>der</strong> sportbegeistert ist <strong>und</strong> du <strong>die</strong> schönen Künste liebst, sind im Gr<strong>und</strong>e<br />

Äußerlichkeiten, <strong>die</strong> nicht dein wirkliches Menschsein betreffen. In allem lebt<br />

ihr von klein auf zusammen. Ihr steht morgens gemeinsam auf <strong>und</strong> frühstückt<br />

zusammen, in allem erlebt ihr euch gemeinsam. Dein Bru<strong>der</strong> ist Teil deines<br />

Lebens, dass er einen Sporttick hat, ist seine Sache, <strong>die</strong> eure Verb<strong>und</strong>enheit<br />

nicht betrifft. Bei jungen H<strong>und</strong>en zum Beispiel ist das nicht an<strong>der</strong>s, <strong>die</strong> fragen<br />

auch nicht nach dem Charakter <strong>und</strong> den vollbrachten Taten des an<strong>der</strong>en, <strong>die</strong><br />

fühlen sich einfach als zusammengehörend.“ versuchte ich zu erklären. „Und<br />

wie kann es mit einer fremden Frau zu <strong>die</strong>ser Art von<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl kommen, was meinst du“ wollte Mari wissen.<br />

Ich musste lachen. „Mari, was willst du Soll ich dir Nachhilfeunterricht in <strong>der</strong><br />

Kunst <strong>der</strong> Liebe erteilen „How to love a woman correctly“, wie man eine Frau<br />

richtig liebt“ scherzte ich. „Oh ja, bitte, aber auf jeden Fall mit praktischen<br />

Übungen, sonst bleibt es wirkungslos.“ Mari darauf lachend. Es war ja nur ein<br />

Scherz, aber Assoziationen lassen sich trotzdem nicht vermeiden. Sie gefielen<br />

mir, <strong>und</strong> ich fand es lustig.<br />

Komplexität <strong>der</strong> Liebe<br />

Ich hielt mich für eine gebildete, offene Frau, <strong>die</strong> sich keinesfalls im Mainstream<br />

angesiedelt sah, son<strong>der</strong>n sich eher für nonkonformistisch hielt. Mari,<br />

<strong>der</strong> seine fehlende Stärke beklagt hatte, war ein ganz an<strong>der</strong>er Mensch. Dass er<br />

gebildet <strong>und</strong> offen war, konnte man allgemein auch sagen, aber er war mehr<br />

als das. Ich hielt ihn für weitaus nachdenklicher <strong>und</strong> kritischer als mich. Er hat-<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 14 von 52


te sich nicht nur mit Philosophie beschäftigt, son<strong>der</strong>n lebte sein Wissen im Alltag,<br />

er war ein Philosoph. Von seinen an<strong>der</strong>en Lieben zur Literatur, Kunst <strong>und</strong><br />

Musik würde ich demnächst hoffentlich noch mehr erfahren. Ich hielt mich<br />

zwar auch für kulturell interessiert, aber Mari wüsste bestimmt viel mehr. Im<br />

ersten Moment, als wir uns kennenlernten, war mir Mari ziemlich hilflos erschienen,<br />

jetzt konnte ich ihn nur bew<strong>und</strong>ern. Er brauchte sich nicht als dominanter<br />

Mann aufzuspielen, was er ja auch gar nicht konnte, ihm wäre alles erlaubt,<br />

abschlagen würde ich ihm nichts. „Mari, du wirst letzten Endes nicht umhin<br />

können, wirst neue Sichtweisen entwickeln <strong>und</strong> neue Wege finden. Du wirst<br />

dich daran gewöhnen. Das ist nun mal so in unserem christlichen Abendland,<br />

dass <strong>die</strong> Menschen in Berufen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu ver<strong>die</strong>nen.“<br />

versuchte ich ihm klar zu machen. „Christliches Abendland, das ist <strong>die</strong><br />

Standardfloskel. Das sagen sie alle immer. Die Christen haben sich zwar zweitausend<br />

Jahre hier ausgetobt, aber in Wirklichkeit sind wir durch <strong>und</strong> durch<br />

Griechen <strong>und</strong> keine Jünger von Nazareth. Unser gesamtes Denken, unsere Kultur,<br />

unsere Politik, <strong>die</strong> Wissenschaften <strong>und</strong> <strong>die</strong> Philosophie sowieso basieren<br />

auf griechischen Wurzeln.“ erläuterte Mari. „Aber so viele Götter haben wir<br />

nicht.“ wand ich scherzend ein. „Ja, schade, nicht wahr“ Mari darauf. „Aber<br />

konnten <strong>die</strong> denn nicht auch böse werden“ vermutete ich. „Ich weiß nicht,<br />

schon möglich, <strong>die</strong> waren ja total menschlich. Der Mann von Aphrodite war mal<br />

stinksauer, weil seine Gattin ihn immer betrog. Alle an<strong>der</strong>en Götter hat er gebeten,<br />

ihm zu helfen.“ wusste Mari. „Und wie haben sie ihm geholfen“ wollte<br />

ich wissen. „Gar nicht, sie haben ihn tierisch ausgelacht. Das ist sogar zum<br />

feststehenden Begriff geworden.“ so Mari. „Das Lachen <strong>der</strong> Götter“ vermutete<br />

ich. „Nein, weil Homer es aufgeschrieben hat, bezeichnet man nicht enden wollendes<br />

Lachen als 'Homerisches Gelächter'.“ erläuterte Mari. „Ah ja, so, so, <strong>die</strong>se<br />

Götter lachen den betrogenen Ehemann einfach aus.“ w<strong>und</strong>erte ich mich.<br />

„Mari, du weiß so viel <strong>und</strong> denkst so tief, nur bei deinen Liebschaften bist du<br />

ziemlich oberflächlich gewesen.“ erklärte ich. „So Woher weißt du das denn<br />

Wie kommst du denn auf so etwas Es war zwar jedes mal an<strong>der</strong>s, aber ernst<br />

war es, glaube ich, schon.“ Mari darauf entrüstet. „Nein, oberflächlich ist das<br />

falsche Wort. So meine ich das auch nicht. Du hast dich bei deinen Beziehungen<br />

an <strong>der</strong> Oberfläche <strong>der</strong> Allgemeinheit bewegt. Du hast das Verhalten von<br />

Beate, o<strong>der</strong> wie immer sie hieß, ganz nett gef<strong>und</strong>en, weil man so ein Verhalten<br />

eben allgemein hin für ganz nett hält.“ korrigierte ich mich. „Ich weiß nicht, so<br />

banal war es doch nicht, es war schon intensiver.“ wi<strong>der</strong>sprach Mari. „Das bestreite<br />

ich doch auch gar nicht. Nur du wirst ihr Verhalten nach Bil<strong>der</strong>n aus deiner<br />

Klischeekiste bewertet haben, <strong>und</strong> dann zeigt sie Verhaltensweisen, <strong>die</strong> dir<br />

nicht so zusagen. Da ist dir klar, dass sie kein Versprechen für zukünftiges<br />

Glück bietet. Genauso wenig wie all <strong>die</strong> Mitschülerinnen aus deiner früheren<br />

Klasse. Wahrscheinlich wird es immer nach deinem gewohnten Muster verlaufen,<br />

wenn du dich dabei so an <strong>der</strong> Oberfläche bewegst.“ begründete ich. „Und<br />

wie hätte ich mich nicht an <strong>der</strong> Oberfläche bewegt Hätte ich mir mehr Gedanken<br />

über Beate machen sollen“ wollte Mari wissen. „Da wäre wahrscheinlich<br />

nichts an<strong>der</strong>es bei herausgekommen. Ich denke, du wirst Beate gar nicht gekannt<br />

haben, kanntest nur <strong>die</strong> Bewertungen nach deinen Klischeevorstellungen,<br />

in ihrer Komplexität hast du sie nicht erfasst.“ vermutete ich. „Was meinst<br />

du damit“ wollte Mari wissen. „Deinen Bru<strong>der</strong>, zum Beispiel, den kennst du<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 15 von 52


über Jahre aus den vielfältigsten gemeinsamen Erlebnissen, du kennst ihn in<br />

tausend Facetten, <strong>und</strong> da ist sein Sporttick nur eine Marginalien. In deiner<br />

Sicht von ihm als Mensch ist sie unbedeutend. Die Beziehung zu deinem Bru<strong>der</strong><br />

wird eine sehr komplexe Basis haben. Ich glaube, bei mir versuchst du, so<br />

etwas zu entwickeln. Wenn wir uns unterhalten, <strong>und</strong> ich rede, komme ich mir<br />

vor, als ob ich auf <strong>der</strong> Bühne stünde. Du fixierst mich, als ob du alles von mir<br />

erfassen wolltest, saugst mich auf. Mir gefällt das. So intensiv hört mir sonst<br />

niemand zu. Wenn wir uns noch weiter unterhalten, wird es nicht lange dauern,<br />

bis du mich besser kennst als ich mich selbst. Ich denke, so intensiv wirst<br />

du dich auf deine Fre<strong>und</strong>innen nicht eingelassen haben, hast nicht versucht,<br />

sie in ihrer Komplexität zu erfassen, son<strong>der</strong>n bist an <strong>der</strong> Oberfläche geblieben.“<br />

erläuterte ich. Mari dachte nach. „Du meinst, Liebe müsste von höchst möglicher<br />

Komplexität getragen sein.“ hatte mich Mari verstanden. „Na klar, was<br />

macht denn <strong>die</strong> Liebe aus Du willst immer mehr von dem an<strong>der</strong>n, möchtest so<br />

viel wie möglich von ihm in dich aufnehmen, damit es zu dir gehört. Du<br />

brennst darauf, dich mit ihm auszutauschen, um immer mehr von ihm zu erleben.“<br />

gab ich zu verstehen. Jetzt war ich doch zur Liebesberaterin geworden.<br />

„Ich will nichts abstreiten von dem, was du gesagt hast. Ich stimme dem zu,<br />

nur ich denke, es bedarf auch eines Impulses. Nur sich nett finden ist zu wenig.<br />

Die Frau muss etwas in dir entzünden.“ bemerkte Mari. „Mag sein, das es<br />

vielleicht schon mal hilfreich ist, aber du solltest nicht vergessen, dass es sich<br />

um deine Visionen handelt, bei denen du dich auch sehr irren kannst. Aber erfor<strong>der</strong>lich<br />

für <strong>die</strong> Liebe sind <strong>der</strong>artige Impulse keineswegs. Wo <strong>und</strong> wann hat<br />

es denn bei deinem Bru<strong>der</strong> den Impuls gegeben Deine Mutter liebst du doch<br />

sicherlich auch, kannst du dich bei ihr an so etwas wie einen Impuls erinnern“<br />

lautete meine Ansicht. Mari schmunzelte <strong>und</strong> blickte mich dabei tief an. Ich<br />

glaube, <strong>die</strong>smal wollten seine Augen auch bei mir ins Herz gelangen.<br />

Weihnachtsfeier<br />

Früher war Weihnachten ein Fest, heute scheint es sich eher zu einer Jahreszeit<br />

entwickelt zu haben. Im Frühherbst kamen schon <strong>die</strong> Weihnachtskataloge.<br />

Bei uns an <strong>der</strong> Schule hielt es sich aber in Grenzen. Zum Glück hatte ich in <strong>die</strong>sem<br />

Jahr keine Klasse, in <strong>der</strong> ich Christmas Carols durchnehmen musste, obwohl<br />

Dickens mit seinem Ebenezer Scrooge gefiel mir ja ganz gut, aber das<br />

wahr ja auch etwas an<strong>der</strong>es als 'Once in royal Davids city' <strong>und</strong> <strong>der</strong>gleichen.<br />

Auch wenn bei uns Weihnachten direkt keine Rolle spielte, war doch alles<br />

durchdrungen von dem Dunst, <strong>der</strong> eine Atmosphäre freudig, sentimentalen<br />

Weihnachtsglücks vermitteln sollte. Dem konntest du dich gar nicht entziehen,<br />

o<strong>der</strong> du hättest dich schon drei Monate tief im Dschungel am Amazonas verstecken<br />

müssen, <strong>und</strong> wahrscheinlich hättest du dann doch irgendwann <strong>die</strong> „Jingle<br />

bells, jingle bells, Jingle all the way“ erklingen gehört. Am vorletzten Tag<br />

vor den Weihnachtsferien wurde bei uns in <strong>der</strong> Schule immer eine Weihnachtsfeier<br />

zelebriert, morgens für <strong>die</strong> Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler <strong>und</strong> abends gab's<br />

ein Bankett für's Kollegium. Die Gerichte hatten <strong>die</strong> Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen<br />

selbst zubereitet. Wer das nicht wollte, zahlte etwas in einen Fond, von dem<br />

dann weitere Gerichte bei einem Catering Service bestellt wurden. Ich koche<br />

ganz gern, <strong>und</strong> verzehre das Zubereitete anschließend mit den Kin<strong>der</strong>n, mei-<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 16 von 52


nem Mann o<strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>en. Das Kochen ist Teil des kommunikativen Prozesses<br />

<strong>der</strong> Malzeit. Hier einfach einen Topf hinzustellen <strong>und</strong> noch nicht mal zu wissen,<br />

wer es auffrisst, das mochte ich nicht. Mari zahlte auch in den Fond, aber vornehmlich,<br />

weil er gar nicht kochen konnte. Weihnachtliches kam an dem Abend<br />

nicht vor. Es handelte sich nur um Fressen mit Unterhaltung. Als <strong>die</strong> Zeit fortgeschritten<br />

war, meinte ich nach Hause fahren zu können. Ich fragte Mari, ob<br />

wir gehen sollten. Warum eigentlich Wir waren ja auch allein gekommen, aber<br />

Mari wollte auch. Wir gingen zum Parkplatz. Am Heck meines Wagens blieben<br />

wir stehen. Grinsend blickten wir uns an. Jetzt sich <strong>die</strong> Hand zu reichen <strong>und</strong><br />

sich „Aufwie<strong>der</strong>sehen“ zu sagen, das wäre unmöglich, aber umarmt hatten wir<br />

uns noch nie. Unschlüssig grinsend zögerten wir. Ich ging einen Schritt vor,<br />

griff Maris Kopf, zog ihn zu mir, sodass sich unsere Lippen berührten. Warum<br />

ich das tat, <strong>und</strong> wieso ich dazu kam, habe ich nie erfahren. Überrascht aber<br />

auch glücklich lächelnd blickten wir uns stumm an. Was sollte man dazu auch<br />

sagen Ich verkündete aber: „Das war zum Abschied, <strong>und</strong> jetzt noch einmal für<br />

<strong>die</strong> Ferien.“ Es zog sich, na, <strong>die</strong> Ferien dauerten ja auch länger. Maris<br />

Gesichtszüge glänzten wonnedurchtränkt, seine Mimik verkündete, dass ihn <strong>die</strong><br />

Eudaimonia persönlich voll ausfüllen müsse. „<strong>Susa</strong>“ sagte er milde <strong>und</strong> sanft,<br />

als er mit seinen Fingerkuppen zart <strong>die</strong> Haut meiner Wange befühlte. Er<br />

musste einen Engel geküsst haben. „By, Mari.“ <strong>und</strong> „By, <strong>Susa</strong>.“ sagten wir nur<br />

knapp, als wir uns trennten. Gab es denn Wörter, <strong>die</strong> wichtiger sein könnten,<br />

als das, was wir soeben mit unseren Lippen <strong>und</strong> Zungen kommuniziert hatten<br />

Mari würde bestimmt <strong>die</strong> Flügel seiner Seele ausbreiten <strong>und</strong> beschwingt nach<br />

Hause gleiten, <strong>und</strong> ich Ich war verwirrt. Trotzdem empfand mein Bauch, dass<br />

meine Gefühle auf einer Wolke schwebten.. Das wollte ich genießen. Gedanken<br />

würde ich mir später machen, da käme jetzt sowieso nichts bei heraus.<br />

Maris Fre<strong>und</strong>in<br />

Ich wollte mich nicht ständig mit Grübeleien quälen. Ein Kuss, was war das<br />

denn schon Aber in den Weihnachtsferien tauchte es immer wie<strong>der</strong> in meinen<br />

Gedanken auf. War ich jetzt verliebt Hatte ich einen Liebhaber Aber das wollte<br />

ich doch gar nicht. Ich wollte doch nichts von Mari, nur bei den Küssen schien<br />

es, als ob wir alles voneinan<strong>der</strong> gewollt hätten. Wie auch immer ich es bewertete,<br />

dass es ein w<strong>und</strong>erbares Gefühl gemacht hatte, wäre durch keine<br />

nachträgliche Missbilligung zu än<strong>der</strong>n. Was ich da gemacht hatte, ob es Konsequenzen<br />

haben würde, stand für mich völlig in den Sternen. Ich wusste ja noch<br />

nicht einmal, warum ich es getan hatte. Zunächst ist <strong>die</strong> Berührung mit den<br />

Lippen sicher das deutlichste Zeichen für Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> Zuneigung. Vielleicht<br />

lag da auch <strong>die</strong> Motivation, aber dann hatte es sich ganz an<strong>der</strong>s entwickelt,<br />

eher so, als ob ich direkt mit Mari ins Bett wollte. Ich verstand das alles<br />

nicht. Ich suchte doch keinen zusätzlichen Mann. Meine alltägliche Gefühlslage<br />

war von einem Schleier <strong>der</strong> Verwirrtheit durchwoben. Am besten wäre es,<br />

wenn es das alles nicht gegeben hätte, aber was ich am Abend <strong>der</strong> Weihnachtsfeier<br />

empf<strong>und</strong>en hatte, wollte ich auch auf keinen Fall missen. Weihnachten<br />

war längst vergessen. Ein paar Scherze über das neue Jahr, in dem<br />

Mari seine Prüfung abzulegen hätte, als wir uns nach den Ferien zum ersten<br />

mal trafen. „Mari, es bleibt alles so wie immer, klar“ legte ich sofort fest. Mari<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 17 von 52


schwieg, was ich als Einverständnis deutete. Wahrscheinlich blickte er aber<br />

tiefer als ich, <strong>die</strong> es so oberflächlich handhaben wollte. Wie immer Das ging<br />

gar nicht. Die Atmosphäre war eben eine an<strong>der</strong>e. Hatten sich <strong>die</strong> zwei Menschen<br />

durch einen Kuss verän<strong>der</strong>t Offensichtlich. Den Mari von früher gab es<br />

nicht mehr. Das Attribut des Küssenden <strong>und</strong> Geküssten war nicht wegzudenken.<br />

Wir waren ja nicht miteinan<strong>der</strong> im Bett gewesen, aber das Gefühl einer<br />

tiefen, gemeinsamen Intimität existierte immer. Ob wir uns durch <strong>die</strong> Küsse<br />

nur sehr viel näher gekommen waren Ich empfand es eher so, als ob Mari<br />

jetzt auch teilweise zu mir gehörte. Unseren Worten kam ein an<strong>der</strong>es Gewicht<br />

<strong>und</strong> eine an<strong>der</strong>e Interpretation zu. Wir wussten es, spürten es beim Sprechen,<br />

wir sprachen mit jemand an<strong>der</strong>s als damals. „Mari, alles ist nur eine Frage <strong>der</strong><br />

Einstellung. Ich weiß, dass du gern mit einer Frau glücklich sein möchtest. Mit<br />

deinen Misogynie Gedanken, schlag dir solch dumme Vermutungen aus dem<br />

Kopf. Du hast nur Fehler gemacht, <strong>und</strong> <strong>die</strong> brauchst du ja nicht zwanghaft zu<br />

wie<strong>der</strong>holen. Nur du musst dich auch mal darum kümmern. Zum Beispiel <strong>die</strong><br />

junge Frau Stenner finde ich doch äußerst nett, <strong>und</strong> attraktiv ist sie auch<br />

sogar.“ versuchte ich Mari klar zu machen. Ganz ernst konnte ich dabei nicht<br />

bleiben, aber als völlig lustig empfand ich es auch nicht. Ja, Mari müsste eine<br />

Fre<strong>und</strong>in finden, das wäre <strong>die</strong> ideale Lösung. Wäre ich dann vielleicht<br />

eifersüchtig Nein, er würde mich ja weiterhin lieben. Seine Fre<strong>und</strong>in wäre<br />

dann in seinen Liebesempfindungen so etwas wie <strong>die</strong> Zweitfrau. Übermütig<br />

verrückt war ich. Warum nur „Die ist schon vergeben.“ erklärte Mari lapidar<br />

zu <strong>der</strong> Kollegin Stenner. „Und ich bin erst recht vergeben.“ antwortete ich<br />

darauf. Mari grinste breit <strong>und</strong> ich konnte auch nicht an<strong>der</strong>s. Unsere tiefen<br />

Blicke wirkten ähnlich wie <strong>der</strong> Kuss am Abend <strong>der</strong> Weihnachtsfeier. Verliebte<br />

Ich weiß nicht, jedenfalls Verbündete mit einem ganz tiefen Verständnis<br />

füreinan<strong>der</strong>. „Mari, es gibt Millionen w<strong>und</strong>ervolle Frauen. Eine, <strong>die</strong> nicht<br />

vergeben ist, wird für dich mit Sicherheit dabei sein. Mein Töchterchen, das<br />

wäre <strong>die</strong> richtige Frau für dich. Sie würde dir <strong>die</strong> Welt schon erklären.“ scherzte<br />

ich. „Ich dachte, sie wäre noch ganz jung. Hat sie alles von dir geerbt“<br />

erk<strong>und</strong>igte sich Mari. „Ist sie auch. Sie weiß schon, was sie will, aber sie ist<br />

auch unendlich neugierig <strong>und</strong> für alles Unbekannte offen. Komm doch mal zu<br />

uns, dann kannst du sie kennenlernen. Ja, mach das doch. Komm uns mal<br />

besuchen. Wir laden dich zum Abendessen ein. Willst du“ fragte ich. Mari<br />

schmunzelte zögernd. „Ja, warum eigentlich nicht. Ich würde mich freuen.“<br />

reagierte er schließlich.<br />

Brautwerbung<br />

Ich hatte nichts gezaubert. Ein Menu, von dem ich wusste, dass <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Dirk, mein Mann, es gerne aßen, hatte ich zubereitet, als Mari kam. Die Kin<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Mari halfen beim Auftragen. „Das ist Herr Neuber, ein ganz armer, gequälter<br />

Mann. Er muss Lehrer sein, obwohl es ihm überhaupt nicht in <strong>die</strong> Wiege gelegt<br />

worden ist.“ stellte ich Mari vor <strong>und</strong> fügte hinzu, „Herr Neuber, das bricht<br />

mir <strong>die</strong> Zunge. Vom ersten Moment an waren wir Mari <strong>und</strong> <strong>Susa</strong>. Warum sollten<br />

wir das hier än<strong>der</strong>n Nicht wahr, Mari“ Der signalisierte mit seiner Mimik<br />

Einverständnis. „Und dir, Mami, ist es dir denn in <strong>die</strong> Wiege gelegt worden,<br />

Lehrerin zu sein“ wollte Manuel wissen. „Nein, Dirk hat es mir später ins Bett<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 18 von 52


gelegt.“ antwortete ich. „<strong>Susa</strong>, bitte, ich habe dich doch nicht gezwungen, in<br />

<strong>die</strong> Schule zu gehen.“ protestierte <strong>der</strong>. „Nein, das stimmt. Ich habe Manu <strong>und</strong><br />

Kathi gesehen <strong>und</strong> gedacht: „Die beiden will ich unbedingt haben.“ Die konnte<br />

ich aber nur bekommen, wenn ich in <strong>die</strong> Schule ging <strong>und</strong> Lehrerin wurde. Und<br />

das war es mir auf jeden Fall wert.“ erläuterte ich. Manuel <strong>und</strong> Kathi schmunzelten.<br />

„Und was hättest du gemacht, wenn du nicht in <strong>die</strong> Schule gegangen<br />

wärst“ wollte Kathi wissen. „Ich weiß nicht. Vielleicht wäre ich dann heute<br />

auch Professorin für Anglistik o<strong>der</strong> so etwas.“ antwortete ich. „Und wir armen<br />

Kin<strong>der</strong> hätten keine Mami.“ jammerte Kathi scherzend, „Nein, da ist es schon<br />

besser so. Mami, du bist unsere aller, aller Liebste, nicht Manta“ Manuel nickte<br />

Einverständnis. Ich musste Kathi einen Kuss auf <strong>die</strong> Wange drücken. „Ist<br />

das nicht eine süße Familie“ sagte ich lachend an Mari gewandt. „Familie, das<br />

ist doch ein Luftwort. Das bedeutet doch heute nichts mehr. Allenfalls, dass<br />

wenigstens ein Erwachsener <strong>und</strong> ein Kind zusammen leben. Was besagt das<br />

denn schon. Sonst ist alles möglich <strong>und</strong> ist ja auch in <strong>der</strong> Wirklichkeit so. Überall<br />

ist es individuell ganz unterschiedlich.“ erklärte Manuel. „Das sehe ich nicht<br />

so. Ich denke, dass man schon von Familie sprechen sollte. Immer ist es <strong>die</strong><br />

Frau, <strong>die</strong> sich um <strong>die</strong> Familie <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> kümmert. Sie steckt bis über beide<br />

Ohren in Arbeit <strong>und</strong> weiß über kurz o<strong>der</strong> lang nicht mehr, wer sie selbst eigentlich<br />

ist.“ entgegnete ich. „Ist das bei uns denn auch so“ wollte Kathi wissen.<br />

Schmunzelnd erklärte ich: „Nein, nicht ganz so, ihr helft mir ja. Aber<br />

schau doch zum Beispiel mal Dirk, Dirk das geht jetzt nicht gegen dich, <strong>der</strong> hat<br />

doch nie Zeit, allenfalls mal am Wochenende. Der könnte doch allein gar keine<br />

Familie aufrecht erhalten.“ „Paps, ist dir das denn in <strong>die</strong> Wiege gelegt worden,<br />

dass du mal Onkel Doktor werden solltest“ erk<strong>und</strong>igte sich Manuel. „Sehr spät<br />

erst, in <strong>der</strong> Oberstufe, aber das waren dumme Vorstellungen. Zum Glück hat<br />

sich das alles sehr schnell geän<strong>der</strong>t, während des Studiums schon. Aber so ein<br />

dummes Sprichwort ist das mit dem 'in <strong>die</strong> Wiege gelegt' gar nicht. Es bedeutet,<br />

dass du schon sehr früh etwas gelernt hast, während sich dein Gehirn noch<br />

entwickelte, <strong>und</strong> da haben sich dann Bahnen o<strong>der</strong> Zentren angelegt, <strong>die</strong> immer<br />

mit dir physiologisch verb<strong>und</strong>en sind. Zum Beispiel Mozart ist Musik in <strong>die</strong> Wiege<br />

gelegt worden, könnte man sagen.“ erläuterte Dirk. „Und Manta ist ein<br />

Taktstock in <strong>die</strong> Wiege gelegt worden, <strong>der</strong> hat nämlich 'nen Dirigenten Tick.“<br />

wusste Kathi. Ich erklärte Mari, dass Manta eine Koseform unter den beiden<br />

sei, <strong>die</strong> Manuel offensichtlich ganz gern höre. „Wenn ich in einem Konzert bin,<br />

dann höre ich es auch wie <strong>der</strong> Dirigent, meine ich wenigstens.“ berichtete Mari<br />

<strong>und</strong> lachte. Das musste er natürlich erläutern. „Ruth, eine Fre<strong>und</strong>in meiner<br />

Mutter, war Violinistin bei den Philharmonikern. Ich war fasziniert von ihr. Als<br />

ob <strong>die</strong> Geige ein Körperteil von ihr sei. Wenn ich mit Mutter ins Konzert ging,<br />

wollte ich unbedingt Ruth spielen hören. Manchmal gelang das auch. Du passt<br />

absolut konzentriert auf <strong>und</strong> siehst dabei nicht nur, ob Ruth ihren Bogen bewegt<br />

<strong>und</strong> versuchst ihre Klänge zu erkennen, du siehst <strong>und</strong> erkennst alles. Die<br />

Welt existiert für dich nicht mehr, du bist absolut versunken in das Orchester,<br />

so hört <strong>der</strong> normale Besucher das Konzert nicht. Anschließend kommt es dir<br />

vor, als ob das Konzert in dir wäre, zu dir gehörte. Wenn du eine CD davon<br />

hast, <strong>die</strong> kannst du wegwerfen. Die hörst du dir doch nie wie<strong>der</strong> an. Da meinst<br />

du, so ähnlich müsse es <strong>der</strong> Dirigent auch hören, beziehungsweise aufnehmen.“<br />

erklärte Mari. „Das machst du aber nicht nur im Konzert, nicht wahr Es<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 19 von 52


gibt auch an<strong>der</strong>e Situationen, in denen du dich mit deiner gesamten Person<br />

darauf einlässt.“ vermutete ich <strong>und</strong> schmunzelte. Mari hatte verstanden <strong>und</strong><br />

grinste ebenfalls. Nach dem Essen musste Mari unbedingt mit zu Manuel kommen.<br />

Er hatte eine beachtliche Sammlung von DVDs mit allen möglichen Aufnahmen.<br />

Er bew<strong>und</strong>erte <strong>die</strong> Dirigenten <strong>und</strong> wollte ihre Kunst <strong>und</strong> ihre Tricks<br />

erforschen. Am liebsten hätte er sie Mari bestimmt alle gezeigt. Am meisten<br />

bew<strong>und</strong>erte er Claudio Abado. „Wenn du mal ein berühmter Dirigent werden<br />

willst, brauchst du aber noch einen Künstlernamen. Manuel ist schon ganz<br />

gut.“ schlug Kathi vor, „Manuel Domingo Rebmanta, das wäre doch klasse.“ erklärte<br />

sie <strong>und</strong> lachte sich schief. „Was gefällt dir denn nicht am Lehrersein<br />

Dass <strong>die</strong> Schüler so frech sind, nicht wahr.“ fragte Kathi, als wir bei ihr im<br />

Zimmer waren. „Nein, nein, darum geht’s nicht. Ich finde <strong>die</strong> Art, wie gelernt<br />

wird, wi<strong>der</strong>natürlich. Ich sage den Schülern, wer Heinrich Heine ist <strong>und</strong> wie sie<br />

ihn zu verstehen haben, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Schüler sollen's nachplappern. So geht lernen<br />

nicht.“ erklärte Mari. „Son<strong>der</strong>n“ wollte Kathi wissen. „Erforschend <strong>und</strong> suchend<br />

müssen <strong>die</strong> Schüler es selbst herausfinden.“ Mari dazu. „Dann würde<br />

keiner was tun. Die machen doch alle nur, was ihnen aufgetragen ist.“ wusste<br />

Kathi. „Ja, ist das nicht schlimm. Die Menschen wollen ja lernen, sie sind total<br />

neugierig. Schau mal, <strong>die</strong> ganz kleinen Kin<strong>der</strong>, denen sagt keiner, was <strong>und</strong> wie<br />

sie lernen müssen. Sie wollen alles wissen <strong>und</strong> fragen dir Löcher in den Bauch.<br />

Aber auch <strong>die</strong> Wissenschaftler <strong>und</strong> Forscher, <strong>die</strong> sehen etwas, staunen <strong>und</strong><br />

wollen <strong>die</strong> Zusammenhänge <strong>und</strong> Hintergründe durchschauen können.“<br />

erläuterte Mari. „Du meinst <strong>die</strong> Schüler müssten selbst forschen, <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Lehrer würden nur helfen <strong>und</strong> Impulse geben.“ hatte es Kathi verstanden.<br />

„Impulse, ja vor allem Impulse. Das ist Mari ganz wichtig, nicht wahr“ meinte<br />

ich dazu. Ich hätte je<strong>der</strong>zeit über alles lachen können. Ich fühlte mich mit<br />

allem, was mich umgibt relativ wohl <strong>und</strong> hatte allgemein ein leicht glückliches<br />

Hintergr<strong>und</strong>gefühl. Wenn liebe Fre<strong>und</strong>e kamen, o<strong>der</strong> ich sie besuchte, hob das<br />

<strong>die</strong> Qualität des Lebensgefühls auf einen an<strong>der</strong>en Level. Meine Persönlichkeit<br />

<strong>und</strong> mein Selbst, das war meine Kommunikation mit lieben Fre<strong>und</strong>en. Bei Mari<br />

verhielt es sich nicht an<strong>der</strong>s, nur <strong>die</strong> Begegnung mit ihm vermittelte mir noch<br />

etwas Zusätzliches. Vielleicht hatte seine Eudaimonia ja eine Aura, <strong>die</strong> auf<br />

mich ausstrahlte, jedenfalls bewirkte seine Anwesenheit ein zusätzliches,<br />

beschwingtes Glücksempfinden, das ich sonst nicht kannte. Es enthielt auch<br />

immer einen leichten Kitzel mit Lust zum Übermut. Ich suhlte mich in<br />

wonnigem Glück. Gleichzeitig musste ich aber auch leicht wehmütig daran<br />

denken, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich Mari in jungen Jahren<br />

kennengelernt hätte. Total chaotisch bestimmt. Aber Mari war doch kein<br />

bisschen chaotisch. Nur wir beide zusammen, jung <strong>und</strong> verliebt Aber als<br />

junge Frau hätte ich Mari gar nicht kennenlernen können. Ich hätte ihn gar<br />

nicht gesehen, ihn überhaupt nicht erkennen können. Er hätte mich nicht<br />

interessiert. War ich also mit zunehmendem Alter nicht nur bie<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

angepasster geworden, son<strong>der</strong>n hatte ich auch etwas dazu bekommen Hatte<br />

sich mein Horizont erweitert, mein Durchblick vertieft Konnte ich jetzt<br />

menschliche Wesenszüge <strong>und</strong> Eigenschaften erkennen <strong>und</strong> wertschätzen, <strong>die</strong><br />

mir als junge Frau verborgen geblieben wären Bestimmt. Ich konnte also Mari<br />

nur in fortgeschrittenem Alter erkennen, nur so konnte er mein Geliebter sein.<br />

Gaga war ich, <strong>und</strong> hätte am meisten über mich selbst gelacht. „Weißt du,<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 20 von 52


Kathi, <strong>der</strong> Mari hat noch ein an<strong>der</strong>es ganz großes Problem, nicht nur <strong>die</strong><br />

Schule. Er ist nämlich ganz allein, hat keine Liebste, <strong>die</strong> bei ihm ist.“ erklärte<br />

ich. Ein erschrockenes „Oh!“ entfuhr Kathi. Das schien allerdings ein<br />

wesentliches Problem zu sein. „Bisher nur Misserfolge, jede Liebe gescheitert.“<br />

fügte ich ergänzend hinzu. Kathi schien zu überlegen, wie sie da wohl helfen<br />

könne. „Was suchst du denn für eine Fre<strong>und</strong>in“ fragte sie, „Wäre es dir am<br />

wichtigsten, dass sie sehr schön ist, also ich meine gut aussieht O<strong>der</strong> wäre dir<br />

Geld wichtig, dass sie zum Beispiel gut betuchte Eltern haben müsste O<strong>der</strong><br />

wäre es dir am wichtigsten, dass sie klug <strong>und</strong> gebildet ist“ Mari versuchte den<br />

Eindruck zu erwecken, als ob er überlege, schmunzelte allerdings dabei. Dann<br />

erklärte er: „Also, wild, verwegen <strong>und</strong> heißblütig müsste sie sein.“ Kathi<br />

grinste mit zusammengekniffenen Lippen. Sie schaute zur Decke <strong>und</strong> hatte <strong>die</strong><br />

Augenbrauen dabei hochgezogen. Dann blickte sie Mari an. Ihre Mimik bestand<br />

aus einer Mischung von amüsiertem Grinsen <strong>und</strong> mokant, despektierlicher<br />

Verachtung. „So, so!“ hub sie an, „So einer bist du also.“ <strong>und</strong> zu mir gewandt,<br />

„Mami, ich glaube <strong>der</strong> Mari könnte ganz lustig sein, nicht wahr“ „Ja, ich habe<br />

ihm schon geraten, er solle doch ein paar Jahre warten, dann könne er dich<br />

heiraten.“ erklärte ich. „Oh, das geht doch nicht. Ich heirate doch schon Manu.<br />

Wenn ich so alt bin, ist das bestimmt erlaubt.“ verkündete Kathi. „Denken<br />

Mädchen in deinem Alter immer ans Heiraten“ wollte Mari wissen. „Pah!“ fuhr<br />

Kathi entrüstet auf, „Mag sein, dass es welche gibt, <strong>die</strong> das tun, ich denke da<br />

nie dran. Wahrscheinlich werde ich gar nicht heiraten. Das ist doch ein<br />

antiquiertes, bedeutungsloses Ritual. Darauf kommt es doch nicht an.“ „Worauf<br />

kommt es dann an“ wollte Mari wissen. „Du Schlaumeier, worauf wohl, auf <strong>die</strong><br />

Liebe, was sonst“ Kathi dazu <strong>und</strong> weiter, „Wenn du mich schon heiraten willst,<br />

musst du aber auch um mich werben. Öfter mal kleine Geschenke vorbei<br />

bringen, um <strong>die</strong> Braut fre<strong>und</strong>lich zu stimmen. Aber, ja, Mari, ganz im Ernst,<br />

mach das doch. Komm doch mal öfter vorbei, das würde dir bestimmt gut tun.<br />

Mami hilft das auch bei ihren Qualen mit <strong>der</strong> Schule, dass sie uns hat. Das<br />

würde dich auf ganz an<strong>der</strong>e Gedanken bringen als immer nur Schule, Schule.“<br />

Mari schenkte Kathi sein wonnevollstes Lächeln. „Du bist eine sehr kluge,<br />

junge Frau, Kathi. Ich bedanke mich bei dir für <strong>die</strong> Einladung.“ sagte Mari. Mit<br />

generösem Lächeln quittierte es Kathi. Junge Frau, so wurde sie gemein hin<br />

nicht tituliert. Sonst galt sie immer nur als das Mädchen. „Das stimmt, Mari,<br />

Kathi hat Recht. Warum kommst du nicht einfach mal öfter vorbei Wir<br />

könnten es in <strong>der</strong> Schule absprechen, o<strong>der</strong> du rufst an, ob es mir auskommt.<br />

Manuel würde sich sicher freuen. Du könntest ja auch mal life mit ihm ins<br />

Konzert gehen, <strong>und</strong> deine Zukünftige hat dich ja persönlich eingeladen.“<br />

machte ich Mari klar. Der schmunzelte <strong>und</strong> überlegte. Er wollte es sich<br />

nochmal durch den Kopf gehen lassen.<br />

Stilles Glück<br />

Montags war Mari nicht in <strong>der</strong> Schule. „Willst du wohl aufhören. Ich bedanke<br />

mich doch auch nicht bei dir, weil du so fre<strong>und</strong>lich warst, zu kommen. Lassen<br />

wir so einen Quatsch. Es war ein Abend <strong>der</strong> uns allen Freude gemacht hat.<br />

C'est tout.“ herrschte ich Mari an, als er sich überschwänglich für den schönen<br />

Abend bei uns bedanken wollte. „Und, warst du so stark, dass du dich zu einer<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 21 von 52


Entscheidung durchringen konntest, ob du uns in Zukunft öfter mal besuchen<br />

willst“ versuchte ich zu erfahren. Mari scherzte <strong>und</strong> nannte einen Termin.<br />

„Was machst du denn alles Dringliches in deiner Freizeit, dass du erst in <strong>der</strong><br />

nächsten Woche einen Termin finden konntest“ fragte ich erstaunt. „Nichts<br />

Beson<strong>der</strong>es, alles Mögliche, was man in <strong>der</strong> Freizeit so macht, außer zum<br />

Sportplatz gehen natürlich. Ich lese sehr viel <strong>und</strong> träume gern.“ erklärte Mari.<br />

„Von mir, nicht wahr“ vermutete ich. Mari lachte schallend <strong>und</strong> umfing mich<br />

dabei. Ich lachte auch. Das war am besten, wenn Mari mich im Lehrerzimmer<br />

umschlang. „<strong>Susa</strong>, du kannst vielleicht mit irgendetwas beginnen, aber dann<br />

kommen <strong>die</strong> Traumimpressionen doch, wie es ihnen passt. Das ist doch das<br />

Schöne am Träumen. Aber ich denke sehr oft an dich. Das ist schon so.“ sagte<br />

Mari. „Das ist gut.“ lautete mein Kommentar. Maris Augen erwarteten wohl<br />

eine Erläuterung. „Na, das ist doch immer schön, wenn du weißt, es gibt jemanden,<br />

<strong>der</strong> denkt an dich. Das macht doch immer ein gutes Gefühl.“ erklärte<br />

ich. Nur so allgemein wollte Mari es wohl nicht hören. Er blödelte: „Na klar, da<br />

fühlst du dich nicht so einsam <strong>und</strong> allein. Es tut immer gut zu wissen: „Jesus<br />

denkt an dich.““ Einen Boxhieb hätte er jetzt ver<strong>die</strong>nt, aber im Lehrerzimmer<br />

ging das ja nicht. Nur sonst hätte er wohl auch keinen bekommen. Rangeln<br />

<strong>und</strong> Boxen das gab's doch bei uns gar nicht, überhaupt keine Körperkontakte<br />

bis auf den einen extraordinären nach <strong>der</strong> Weihnachtsfeier. „Du bist immer gut<br />

gelaunt, immer glücklich, <strong>Susa</strong>.“ war Mari aufgefallen, „Du bist mit <strong>der</strong> Welt,<br />

<strong>die</strong> dich umgibt zufrieden, <strong>und</strong> das macht dich glücklich, bist eine Hedonistin.“<br />

Normalerweise gab's nur Freude mit Mari, aber das machte mich böse. „Was<br />

kann es sein, das dich motiviert, so etwas über mich zu sagen Ist es nur<br />

deine Lust daran, mich zu ärgern“ wollte ich wissen. „Du hast es selbst mal so<br />

gesagt.“ entgegnete Mari. „Seit wann hältst du mich für blind. Natürliche sehe<br />

ich all das Unrecht <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gräueltaten, <strong>die</strong> man oft für menschenunmöglich<br />

halten würde. Aber für Menschen scheint es nichts zu geben, was<br />

menschenunmöglich ist. Aber auch unsere wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen<br />

Verhältnisse finden keineswegs meine Zustimmung, nur werde ich damit nicht<br />

permanent in meinem Tagesablauf konfrontiert. Da treten <strong>die</strong> Schüler, <strong>die</strong><br />

Nachbarn <strong>und</strong> <strong>die</strong> Verkäuferin auf, <strong>und</strong> mit denen habe ich keine Probleme.<br />

Womit ich im Alltag konfrontiert werde, damit bin ich zufrieden. Es gibt keinen<br />

Stress, das ist prima <strong>und</strong> befriedigend. Deshalb fühle ich mich wohl. Mit<br />

Hedonismus hat das nichts zu tun.“ machte ich Mari klar. Melancholische<br />

Anwandlungen waren mir zwar absolut fremd, allerdings so gut aufgelegt, wie<br />

Mari mich erlebte, war ich sonst nicht. Schlechte Laune kannte ich kaum, aber<br />

dass ich jetzt immer so eine leichte Hochstimmung hatte, lag an Mari, nur<br />

konnte ich ihm das ja nicht erzählen. Warum das Zusammensein mit Mari mir<br />

<strong>der</strong>artiges Glücksempfinden bereitete, konnte ich gar nicht benennen.<br />

Natürlich wollte er jeden Tag ein wenig glücklicher werden, aber er trug es<br />

keineswegs nach außen <strong>und</strong> spielte den Sonnyboy. Allgemein würde man ihn<br />

eher für leicht introvertiert halten. Aber was war es denn, das ich bei Mari<br />

spürte War es vielleicht gar nicht Maris Verhalten, das mir gefiel, son<strong>der</strong>n<br />

mich erfreute unser Verhältnis Liebe konnte, sollte <strong>und</strong> durfte es ja nicht sein.<br />

Allerdings war ich mir seit meinem Verhalten nach <strong>der</strong> Weihnachtsfeier bei<br />

nichts mehr sicher. „Ich grüble ja auch nicht ständig über <strong>die</strong> Missstände <strong>die</strong>ser<br />

Welt, aber das du alles ausblendest, <strong>und</strong> sagst: „Mit meinem Alltag hat das<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 22 von 52


nichts zu tun.“, darüber würde ich gern noch mal mit dir reden.“ erklärte Mari.<br />

„O. k., das können wir ja tun, wenn du zu uns kommst. Ich freue mich darauf.“<br />

reagierte ich.<br />

An<strong>der</strong>e Weise menschlichen Daseins<br />

Als Mari kam, musste er zunächst mal mithelfen. Ich war gerade vom Einkaufen<br />

zurück, <strong>und</strong> Mari sollte helfen, alles auszupacken <strong>und</strong> einzuräumen. Es<br />

dauerte zwar viel länger, als wenn ich es schnell allein gemacht hätte, aber so<br />

machte es mehr Spaß. Mari stellte ein Wesen aus einer Zwischenwelt dar. Er<br />

gehörte nicht zu den Eltern <strong>und</strong> ihrer Generation, war aber an<strong>der</strong>erseits auch<br />

älter als <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong>. Die fanden beson<strong>der</strong>es Interesse an ihm, <strong>und</strong> besprachen<br />

mit Mari alles Mögliche aus <strong>der</strong> Schule. Mit mir war Schule nur selten Thema,<br />

außer wenn es nötig war. Mari kam jetzt immer öfter. Mit Manuel war er auch<br />

schon im Konzert gewesen. Felix Mendelssohn Bartholdy, Violinkonzert e-Moll.<br />

Manuel war fasziniert, von <strong>der</strong> bezaubernden, jungen Violinistin aber auch dem<br />

ganzen Orchester. Vor allem, wie er es nach Maris Hinweisen erlebt hatte, dabei<br />

hatte er den Dirigenten fast vergessen. Das musste wie<strong>der</strong>holt werden. Mir<br />

erklärte Mari, dass er es für eine sentimentale Schnulze halte, aber das sagte<br />

er Manuel natürlich nicht. Für mich war Mari <strong>der</strong> ideale Ehemann. Was hatte<br />

ich nur falsch gemacht, dass mir so etwas bei Dirk damals nicht gelungen war.<br />

Alles, was es im Haushalt zu tun gab, machte Mari mit großer Freude. Es war<br />

nicht das Müllraustragen an sich, das Maris Herz erfreute. Er tat mir einen<br />

Gefallen damit, <strong>und</strong> nichts machte ihn glücklicher. Warum freute sich Dirk<br />

nicht, den Abwasch machen zu dürfen, wenn es doch unsere Liebe stärkte Zu<br />

<strong>die</strong>ser Sichtweise war er nie gelangt. Jetzt war es dafür zu spät. Ich hatte Mari<br />

bei mir im Zimmer etwas gezeigt. Als wir wie<strong>der</strong> gehen wollten, standen wir<br />

uns hinter meinem Schreibtisch gegenüber. Mit einer Mischung aus Grinsen<br />

<strong>und</strong> fragend hoffendem Lächeln blickten wir uns an. Um's Händeschütteln<br />

ging's jetzt nicht. „Mari, mach <strong>die</strong> Tür zu.“ sagte ich nur. „Du würdest nie<br />

aufhören wollen, Liebster.“ vermutete ich, als ich Mari stoppte. Nach sanftem<br />

Wangenstreicheln verließen wir mein Arbeitszimmer. Erklären konnte ich das<br />

nicht, nur beschreiben. Die Küsse Weihnachten sollten ein einmaliges,<br />

außergewöhnliches Erlebnis bleiben, das sich nie wie<strong>der</strong>holte. Warum waren<br />

alle Vorsätze, Beschlüsse <strong>und</strong> Absichten plötzlich verschw<strong>und</strong>en, als wir uns<br />

lächelnd anblickten. Es musste etwas in mir geben, das ich nicht kannte <strong>und</strong><br />

nicht erklären konnte. Was sollte das bedeuten Ich brauchte keinen weiteren<br />

Mann. Abgesehen davon galt Mari für mich ja auch gar nicht als Mann. Bei den<br />

Küssen empfand ich ihn allerdings keineswegs als Neutrum o<strong>der</strong> etwa als Frau.<br />

Ich brauchte doch keinen Liebhaber. An Liebe fehlte es mir keineswegs. Mein<br />

Mann, <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong>, meine Fre<strong>und</strong>in Hellen, sogar von einigen Schülerinnen<br />

würde ich sagen, dass sie mich liebten. Was sollte mir denn fehlen, das ich in<br />

Mari zu finden meinte. Es kommt ja nicht selten vor, dass Menschen<br />

verborgene Gelüste haben, <strong>die</strong> sie aber absolut beherrschen, o<strong>der</strong> Triebimpulse<br />

des Es, <strong>die</strong> sie verdrängen, so dass sie ihnen gar nicht bewusst werden. Bei<br />

<strong>der</strong> Nachforschung darüber, welche das mit Bezug auf Mari bei mir wohl sein<br />

könnten, kam ich aus dem Lachen nicht heraus. Mari begeisterte mich schon,<br />

sein Leben <strong>und</strong> seine Art zu leben. Er war ein völlig an<strong>der</strong>er Mensch mit einer<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 23 von 52


ganz an<strong>der</strong>en Entwicklungsgeschichte. Keineswegs sah ich mein Leben <strong>und</strong><br />

meine Entwicklung als min<strong>der</strong>wertig an. Im Gegenteil, ich war stolz darauf.<br />

Etwas Beson<strong>der</strong>es hatte ich schon als junges Mädchen in mir gesehen. Über<br />

meinen England Tick amüsierten sich nicht wenige, für mich war mein<br />

Interesse jedoch etwas Großartiges <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erbares. Schließlich hatte ich mir<br />

ja auch schon eine Unmenge an Wissen <strong>und</strong> Kenntnissen angeeignet. Das<br />

Entscheidende aber war, dass ich in meinem Leben einen Inhalt, eine Aufgabe<br />

sah, <strong>und</strong> nicht wie <strong>die</strong> an<strong>der</strong>en Mädchen jeden Tag so lebten, nach dem, was<br />

sich gerade so ergab. Auch wenn ich nicht mehr an <strong>der</strong> Uni bin <strong>und</strong> <strong>die</strong> Spitze<br />

des Eisbergs in <strong>der</strong> Schule pflege, gilt allem in <strong>und</strong> über Großbritannien mein<br />

starkes Interesse, <strong>und</strong> das ist viel komplexer als reine Anglistik. Es schließt<br />

Politik, Philosophie <strong>und</strong> <strong>die</strong> gesamte Entwicklung <strong>und</strong> Lebensweise ein. Und<br />

doch ist alles auf Großbritannien <strong>und</strong> seine Zusammenhänge bezogen. Als<br />

Fachidiotin sehe ich mich allerdings keineswegs. Bei Dirk würde ich das schon<br />

eher so sehen. Die Klink bildet für ihn das Zentrum seines Lebens. Auch wenn<br />

ihm vieles an<strong>der</strong>e wichtig ist, steht das Leben an sich außerhalb <strong>der</strong> Arbeit erst<br />

auf Platz zwei. Bei Mari schien es so, als ob das Leben an sich in seiner ganzen<br />

Fülle, seinem Reichtum <strong>und</strong> seiner Schönheit schon von klein auf das Zentrum<br />

seiner Entwicklung gebildet hätte. Vielleicht hatte er ja schon immer danach<br />

gesucht, weil er spürte, dass das Glück des Lebens an<strong>der</strong>swo als im Sport zu<br />

suchen sein müsse. Vielleicht hatte ihm seine Mutter ja tatsächlich das<br />

Gespräch zwischen Aristoteles <strong>und</strong> Diotima vermittelt, wonach alles Drängen<br />

<strong>und</strong> Verlangen des Menschen durch den Eros bewirkt sei, <strong>und</strong> letztendlich in<br />

<strong>der</strong> Suche nach dem Schönen in Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> dem Schönen<br />

allgemein gipfelte. Mari verkörperte mehr von dem, was Leben eigentlich<br />

ausmacht. In seinem Leben steckte mehr Leben, es war deutlich fulminanter<br />

als meins. Keineswegs sah ich mich dem Mainstream o<strong>der</strong> Common Sense<br />

verpflichtet, aber gegenüber Mari konnte ich für mein Leben eine gewisse<br />

Eindimensionalität nicht leugnen. Vielleicht sah er meine Vorstellungen vom<br />

Glück ja so <strong>und</strong> wollte mir klar machen, das meine Zufriedenheit letztendlich<br />

gewolltes Produkt von Täuschungen, Lügen <strong>und</strong> falschen Versprechungen sei,<br />

<strong>die</strong> uns benebelten, damit wir nicht auf dumme Gedanken kämen, etwas<br />

än<strong>der</strong>n zu wollen. Vielleicht wollte er mir ja nahe legen, revolutionär aktiv zu<br />

werden. Maris Leben passte eigentlich nicht in unsere technologisierte<br />

Alltagswelt, ich sah in ihm eine an<strong>der</strong>e Weise menschlichen Daseins, wenn das<br />

hier <strong>und</strong> jetzt überhaupt möglich sein sollte. Die Schule hatte nicht gestört,<br />

<strong>und</strong> das Studium hatte ihm ja Spaß gemacht, aber ein ordinärer, bie<strong>der</strong>er<br />

Lehrerjob, das passte nicht zu Mari. Da hatte er schon Recht, <strong>und</strong> ein an<strong>der</strong>er<br />

Job, <strong>der</strong> <strong>die</strong>sem System verhaftet war, eigentlich auch nicht. Als Aussteiger in<br />

<strong>der</strong> Toscana hätte er leben müssen, aber er konnte ja nix, konnte nicht malen<br />

<strong>und</strong> keinen Schmuck drechseln. Allerdings <strong>der</strong> Manager des Autokonzerns<br />

konnte vorher auch keinen Wein anbauen. Nein, Mari sollte auch lieber hier<br />

bleiben. Er könnte ja sein komplexes Leben mit meiner Hilfe auch hier<br />

realisieren.<br />

<strong>Susa</strong>s Liebhaber<br />

Wenn Mari jetzt kam, hatten wir fast immer bei mir im Zimmer kurz etwas zu<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 24 von 52


esprechen. Außerhalb vermieden wir aber jegliche Liebeleien <strong>und</strong> Zärtlichkeiten.<br />

Im Einzelnen kann ich es nicht benennen, wahrscheinlich war es das Ensemble<br />

alles Wahrnehmbaren, was dazu führte, dass Mari schon bald nicht<br />

mehr nur als ein befre<strong>und</strong>eter Kollege, son<strong>der</strong>n von Kathi <strong>und</strong> Manuel als mein<br />

Liebster angesehen wurde. Ich hatte es ja wi<strong>der</strong>sinnig vor mir selbst zu leugnen<br />

versucht, aber das Bedürfnis, einen netten Bekannten zu küssen, zumal<br />

noch so intensiv <strong>und</strong> impulsiv, hatte ich in meinem Leben noch nie verspürt.<br />

Ich hatte Mari ja auch unbewusst, instinktiv 'Liebster' genannt. Untereinan<strong>der</strong><br />

hatten <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> sicher darüber gesprochen, aber uns gegenüber schwieg man<br />

dazu. Bis Kathi eines Tages erklärte: „Manu <strong>und</strong> ich, wir mögen Mari ja auch,<br />

aber weiß Paps denn davon“ „Ach, Kathi, ich muss, will <strong>und</strong> werde selbstverständlich<br />

mit Dirk darüber sprechen, nur habe ich es bislang an jedem Tag auf<br />

den nächsten verschoben.“ entschuldigte ich mich. „Wird er sich dann scheiden<br />

lassen, wenn er davon erfährt“ wollte Kathi wissen. Sie hatte Angst, ich musste<br />

sie drücken. „Ich weiß zwar nicht genau, was in Dirks Kopf vorgehen wird,<br />

aber zwischen uns ist doch nichts gewesen. Es ist doch alles so, wie es immer<br />

war. Dirk liebt mich doch. Ich kann nicht sehen, welches Interesse er haben<br />

sollte, mich verlieren zu wollen.“ erklärte ich. „Ich meinte ja nur.“ sagte Kathi<br />

lapidar, obwohl sie sich sicher große Sorgen gemacht hatte, „Dann ist es ja o.<br />

k.“ Ich stand mittlerweile zu meiner Beziehung mit Mari. Es war ja keine Spielerei<br />

<strong>und</strong> ich wusste, wie es sich entwickelt hatte. Von außerhalb würde man<br />

das wahrscheinlich nicht nachvollziehen können, würde nach den gängigen<br />

Klischees urteilen. „Die Schlampe hat sich selbst nicht im Griff. Lässt sich zu<br />

unverantwortlichen amourösen Spielereien hinreißen.“ Dirk müsste mich<br />

verstehen können, aber wie konnte es jemand von außen nachempfinden.<br />

Würde er auch eher mein Verhalten klischeehaft bewerten Davor hatte ich<br />

Angst. Wir setzten uns am Esszimmertisch zusammen, weil ich etwas ganz<br />

Wichtiges mit ihm zu besprechen hätte. In meinen nicht enden wollenden<br />

Elogen über <strong>die</strong> Unbegreiflichkeit für mich selbst <strong>und</strong> meine Versuche es zu<br />

vermeiden unterbrach mich Dirk. „<strong>Susa</strong>nna, seit wann hältst du mich für blind<br />

<strong>und</strong> taub, dass du meinst, es hätte mir bisher verborgen bleiben können. Ich<br />

werde jetzt Dirk herausfor<strong>der</strong>n <strong>und</strong> meinen Rivalen im Kampfe töten,<br />

verlangen meine Gene. Nein, das ist ja Unsinn. Evolutionär ist das<br />

Besitzdenken über <strong>die</strong> Frau keinesfalls verankert. Das ist eine kulturelle<br />

Errungenschaft, <strong>die</strong> sich erst viel später entwickelt hat. Glücklich macht mich<br />

das natürlich trotzdem nicht, aber du weist, was du mir bedeutest, <strong>und</strong> ich will<br />

versuchen, es zu verstehen. Geht ihr denn auch miteinan<strong>der</strong> ins Bett“<br />

erk<strong>und</strong>igte sich Dirk. „Oh my Lord! Wo denkst du hin“ musste ich zur<br />

Bekräftigung <strong>die</strong> oberste Instanz anrufen. Dirk schmunzelte. Dass er mir nicht<br />

glaubte, sah ich darin nicht. Wir unterhielten uns noch lange darüber, was ich<br />

in Mari sähe. Letztendlich war es jedoch ein Gespräch über uns <strong>und</strong> unser<br />

Leben. Es herrschte eine w<strong>und</strong>ervolle Atmosphäre, <strong>die</strong> uns eine<br />

außergewöhnliche Nähe spüren ließ. Ähnliche Gespräche gab es ja in <strong>der</strong><br />

üblichen Alltagsroutine nur höchst selten.<br />

<strong>Susa</strong> küssen <strong>und</strong> sterben<br />

Frau Stegmüller hatte etwas an Maris Unterricht auszusetzen <strong>und</strong> sein me-<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 25 von 52


thodisches Vorgehen kritisiert. „Das ist alt, überholt <strong>und</strong> völliger Stuss, was sie<br />

erzählt.“ erklärte Mari, „aber ich werde doch mit ihr nicht diskutieren.“ „Aber<br />

Mari, wo sind denn deine Stärke <strong>und</strong> deine Kraft, wenn du es nicht einmal versuchst,<br />

deine Vorstellungen durchsetzen zu wollen“ w<strong>und</strong>erte ich mich. „Frau<br />

Stegmüller ist nicht mein Feind, den ich besiegen müsste.“ Mari darauf. „Sie ist<br />

deine Fre<strong>und</strong>in, nicht wahr“ ironisierte ich. „Aber <strong>Susa</strong>, <strong>die</strong> Feinde liegen für<br />

mich ganz woan<strong>der</strong>s. Wahrscheinlich verkörpert Frau Stegmüller auch einen<br />

Teil davon, aber du letzten Endes auch, wenn auch in einem viel geringerem<br />

<strong>und</strong> völlig an<strong>der</strong>em Maße.“ antwortete Mari. „Und was ist es, das Frau Stegmüller<br />

<strong>und</strong> mich in deiner Feindschaft vereint“ wollte ich es genauer wissen.<br />

„Da müsste ich weiter ausholen. Sollen wir das nicht lieber bei euch besprechen“<br />

schlug Mari vor, „O<strong>der</strong> nein, du warst noch nie bei mir. Komm du mich<br />

doch mal besuchen. Da haben wir dann auch längere Zeit nur für uns allein.“<br />

Gab es etwas, was dagegen sprach Mir fiel nichts ein.<br />

Mari bereitete einen Tee zu. In einer kleinen Teezeremonie, wobei er sich über<br />

das Wesen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Wirkung des Tees ausließ. „Ja, <strong>und</strong> im Dunst über <strong>der</strong><br />

Schale mit dampfendem Tee befindet sich dann das Dao.“ kommentierte ich.<br />

Mari schmunzelte. „Das ist China, im Daoismus <strong>der</strong> Name für das Nichtseiende,<br />

das alles ist, in Japan ist <strong>der</strong> Zen, <strong>der</strong> hat zwar schon chinesische Wurzeln,<br />

aber ein Dao gibt es da nicht.“ korrigierte mich Mari. „Ich könnte dir immer zuhören.<br />

Ob das, was du sagst wichtig o<strong>der</strong> eher unbedeutend ist, weiß ich oft<br />

gar nicht. Je<strong>der</strong> Satz, jedes Wort, das du sprichst, ist nicht nur das im Kopf Erdachte,<br />

das du mit deinen Sprechwerkzeugen laut werden lässt, es spricht immer<br />

<strong>der</strong> ganze Mari mit allem, was er ist. Deine Mimik, deine Augen, <strong>der</strong> Klang<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Melo<strong>die</strong>, aber auch deine Gestik <strong>und</strong> sogar deine Körperhaltung lässt<br />

du mitsprechen. Sie sagen etwas über dich, <strong>und</strong> das ist meistens interessanter,<br />

als <strong>der</strong> Inhalt deiner Worte. Es ist ein Film über Mari in immer neuen Szenen.<br />

Das könnte ich mir ständig anschauen.“ erklärte ich. „Dann brauche ich dir ja<br />

bald nichts mehr über mich zu sagen. Du hast ja alles längst gesehen.“ folgerte<br />

Mari. „Aber eins musst du mir noch sagen. Ich dachte, es wäre selbstverständlich,<br />

dass ein Mann einer Frau etwas dazu sagt, aber du hast noch kein<br />

Wort darüber verloren. Du musst mir sagen, ob du mich für schön hältst, ich<br />

meine, ob du findest, dass ich gut aussehe.“ erklärte ich. Banale Komplimente<br />

machen, das zerbrach Mari <strong>die</strong> Zunge. Trotzdem hatte er mir schon viel Liebes<br />

<strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erndes gesagt. Durch <strong>die</strong> Blume versuchte er es nicht, mir zu vermitteln,<br />

er erklärte es schon direkt. Jetzt war bei mir nicht alles an<strong>der</strong>s, son<strong>der</strong>n<br />

es war 'wie bei sonst keiner'. Als ich Dirk fragte, ob er meine Finger auch<br />

so elegant, wie bei sonst keiner Frau fände, hat sich <strong>der</strong> Schelm totgelacht.<br />

Mari lachte auch. „Denkst du, mit einer hässlichen Frau würde ich mich befassen“<br />

sprach er, was wohl witzig sein sollte. „Sag es richtig, Mari.“ for<strong>der</strong>te ich<br />

ihn auf. „<strong>Susa</strong>, schön, schön, was für ein dummes Allerweltswort. Das Wetter<br />

ist schön , mein Auto finde ich schön, es war eine schöne Geschichte an einem<br />

schönen Abend. Alles ist schön, wenn man's nicht genauer benennen kann.“<br />

erklärte Mari. „Was windest du dich Traust du dich nicht, weil du an mir etwas<br />

auszusetzen hast, o<strong>der</strong> ist es dir peinlich, mir zu sagen, dass du mich schön<br />

findest Es gibt durchaus schöne <strong>und</strong> weniger schöne Frauen. Sie werden sogar<br />

zu Schönheitsköniginnen gewählt. Also los, sag schon.“ drängte ich Mari.<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 26 von 52


„Mag ja sein, dass es allgemeine Schönheitskriterien gibt. Harmonisch Wirkendes,<br />

das dem goldenen Schnitt entspricht, wird meistens als schön empf<strong>und</strong>en,<br />

aber es sind immer subjektive Gefühle beteiligt. Einen Menschen, den ich liebe,<br />

erkenne ich immer als w<strong>und</strong>erschön. Da siehst du <strong>die</strong> Schönheit dann noch<br />

umfänglicher. Siehst auch <strong>die</strong> schöne Seele, das Gute im Menschen, das Schöne<br />

<strong>und</strong> das Gute, Kalós Kagathós.“ erklärte Mari. „Aha, schön <strong>und</strong> edel, so<br />

siehst du mich also auch. Das ist gut, dann bin ich wenigstens nicht mehr <strong>die</strong><br />

einzige.“ meinte ich dazu. Mari lachte, umfing mich <strong>und</strong> wollte küssen. „Stopp,<br />

du musst mir zuerst noch eine an<strong>der</strong>e Frage beantworten.“ bremste ich ihn.<br />

„Dass du mich magst <strong>und</strong> liebst ist ja klar, aber sag mal, begehrst du mich<br />

auch, hast du Lust auf mich, bist du lüstern“ wollte ich wissen. Mari lachte<br />

sich wie<strong>der</strong> schief. „Lüstern, das hat eine Konnotation, <strong>die</strong> nicht passt, aber<br />

Lust aufeinan<strong>der</strong> haben wir ja beide, sonst würden wir uns doch gar nicht treffen.“<br />

erklärte er. „Nein, ich meine schon etwas an<strong>der</strong>es. Ob du bei mir erotische<br />

Empfindungen hast, ob du ein Verlangen verspürst“ präzisierte ich.<br />

„<strong>Susa</strong>, ich habe dich vom ersten Moment an als Frau gesehen, aber das tut ja<br />

je<strong>der</strong>. Meistens nimmst du es gar nicht wahr. Das war aber für mich bei dir<br />

nicht so. Ich sah fast nach den ersten Sätzen in dir eine w<strong>und</strong>ervolle Frau, <strong>die</strong><br />

auch mein Begehren erweckte. Wodurch sollte sich das bis heute geän<strong>der</strong>t haben“<br />

antwortete Mari. „Armer Mari, lei<strong>der</strong> muss dein Verlangen nach mir immer<br />

unerfüllt bleiben. Aber das ist doch auch nicht schlimm. Die Begierde <strong>und</strong><br />

das Verlangen vermitteln doch das w<strong>und</strong>ervolle Gefühl, wenn sie befriedigt<br />

sind, ist das herrliche Gefühl futsch.“ tröstete ich Mari. „Du meinst, <strong>die</strong> Freude<br />

auf den Schokoladenpudding ist das Schöne. Wenn du ihn gegessen hast, ist<br />

<strong>die</strong> Freude dahin. Daher am besten den Pudding nie essen.“ verstand mich<br />

Mari. „Ich bin aber nicht dein Schokoladenpudding.“ hielt ich fest. „Deine Küsse<br />

schmecken auch tausendmal besser, als je<strong>der</strong> Schokoladenpudding schmecken<br />

könnte.“ bemerkte Mari. „Küsse Küssen ist ein Genuss <strong>der</strong> sich aus <strong>der</strong> gegenseitigen<br />

Berührung <strong>der</strong> taktil hoch sensiblen Lippen ergibt. Was hat das<br />

denn mit uns zu tun Was wir machen entspricht eher einem kleinen Geschlechtsverkehr<br />

ohne Beteiligung <strong>der</strong> Genitalien.“ deutete ich es. „Du meinst,<br />

eher coitus labialis.“ so Mari, <strong>der</strong> laut lachte. „Ja, du hast damit nach <strong>der</strong> Weihnachtsfeier<br />

direkt angefangen, <strong>und</strong> seitdem können wir gar nicht mehr an<strong>der</strong>s.“<br />

beschuldigte ich Mari. „Ich“ fuhr <strong>der</strong> entrüstet auf, „Ich kannte bisher<br />

so etwas gar nicht. Nur bie<strong>der</strong>, zivilisiertes Küssen, wie du es beschrieben<br />

hast.“ „Aber ich doch erst Recht nicht. Woher sollte ich denn so etwas kennen.<br />

Vielleicht ist es so: Wenn wir beide zusammenkommen, haben <strong>die</strong> engen Grenzen<br />

<strong>der</strong> heutigen Zivilisation keine Bedeutung mehr, <strong>und</strong> es gefällt uns, sie zu<br />

überwinden. Ach nein, das ist doch Quatsch. Du symbolisierst für mich volles,<br />

pralles, enthusiastisches Leben, bist immer absolut involviert. So wie du es von<br />

deinem Konzert hören beschrieben hast. Ich bew<strong>und</strong>ere das <strong>und</strong> möchte es<br />

auch. Vielleicht leben wir es so beim Küssen, sind voll versunken, denken <strong>und</strong><br />

empfinden nichts an<strong>der</strong>es mehr.“ versuchte ich eine Erklärung. „Du würdest<br />

sagen, wenn wir gemeinsam einen Pfannkuchen backen, dann geht es primär<br />

um unser zusammen enthusiastisch erlebtes Liebesszenario, wobei <strong>der</strong> Pfannkuchen<br />

nebenbei auch noch fertig wird“ sah es Mari. „Genau, in unendlich vielen<br />

liebevollen Erlebnissen haben wir uns schon gemeinsam erfahren, nicht<br />

bloß beim Küssen, was doch wohl wirklich lüsterne Züge hat.“ bestätigte ich<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 27 von 52


Mari. Eine ausdauernde Kussorgie ließ sich nicht länger hinausschieben. Wie<br />

Mari es wohl empfand, aber daran dachte ich beim Küssen nicht. „Mari, liegt es<br />

an deiner Kraft o<strong>der</strong> an deiner Stärke, aber ich brauche unbedingt mal eine<br />

kleine Pause zum Luft holen“ scherzte ich <strong>und</strong> Mari schmunzelte. Es war doch<br />

ein kleiner Geschlechtsverkehr, denn wie unterschiedlich wir es auch empfinden<br />

mochten, nach dem Küssen drängte es uns beide, beson<strong>der</strong>s sanft <strong>und</strong><br />

zärtlich zueinan<strong>der</strong> zu sein. Wir schienen gemeinsam versunken gewesen <strong>und</strong><br />

jetzt vorsichtig wie<strong>der</strong> an Land zu kommen. Mari wollte mir <strong>die</strong> Bluse öffnen.<br />

„M,m, das nicht.“ wehrte ich ab, „Mein Hals ist doch auch ganz schön. Also, mir<br />

gefällt es, wenn du mich dort küsst <strong>und</strong> streichelst. Das muss reichen.“ Meine<br />

Gefühle hätten ja nichts dagegen gehabt. Da hätte Mari mich ganz ausziehen<br />

<strong>und</strong> überall küssen <strong>und</strong> streicheln können, aber ins Bett mit Mari, das kam<br />

nicht in Frage. „In Japan ist <strong>der</strong> Tee ja nicht nur ein Getränk, son<strong>der</strong>n eine Philosophie,<br />

eine Lebenseinstellung. Auf alles wirkt sich <strong>der</strong> Teeismus aus. Aber<br />

du hast ja noch nichts von meiner Residenz in Augenschein genommen.“ bemerkte<br />

Mari. „Ja natürlich, zeig mir alles. Ich will alles von deiner Behausung<br />

sehen.“ scherzte ich. Na ja, wir lebten natürlich zu viert <strong>und</strong> hatten ein bisschen<br />

mehr Knete als Mari, aber als Studentin hätte ich von einer Wohnung in<br />

Maris Größe nur träumen können, <strong>und</strong> ich hatte mich in meinen beengten Verhältnissen<br />

trotzdem wohl gefühlt. Auch wenn <strong>die</strong> Latif<strong>und</strong>ien noch so weitläufig<br />

sind, das macht es nicht aus. Mari hatte seine Bücher, sehr viel Bücher, in allen<br />

Zimmern verteilt. Bücher strahlen, so meine ich, immer schon eine gewisse<br />

Wärme für <strong>die</strong> Atmosphäre aus. Er zeigte wir, was er beson<strong>der</strong>s liebte <strong>und</strong> was<br />

ihm wertvoll war. „Hier, „Die acht Gesichter vom Biwasee“ das musst du unbedingt<br />

lesen. Nimm es mit. Von Max Dauthendey ist das, ein deutscher Dichter<br />

<strong>und</strong> Japanfan. Er war schon Anfang vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts dort. Viele schöne<br />

Gedichte hat er geschrieben. Komm, das nehmen wir mal mit.“ sagte Mari <strong>und</strong><br />

nahm ein kleines Buch mit. Liebesgeschichten waren es vom Biwasee. Sonst<br />

hätte ich so etwas gar nicht lesen können. Natürlich, Liebe kommt immer irgendwo<br />

vor, aber Liebesleben als zentraler Inhalt, das hätte mich eher gelangweilt.<br />

Jetzt war ich ganz gespannt. Weil es ein Buch von Mari war Wohl weniger.<br />

Ich freute mich auf <strong>die</strong> zu erwartenden Ereignisse <strong>und</strong> <strong>die</strong> damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Assoziationen. Gedanken <strong>und</strong> Träume von Liebe hatten für mich einen<br />

an<strong>der</strong>en Stellenwert bekommen. Ich konnte sie in einer an<strong>der</strong>en Welt sehen<br />

als bislang. Keineswegs empfand ich mich als rau o<strong>der</strong> grob, aber das Nüchterne,<br />

Coole dominierte schon in meinen Bewertungen. Ich hatte mich mit Mari<br />

verän<strong>der</strong>t, als ob ich mit ihm den Wert des Sensitiven, Gefühlvollen erst richtig<br />

kennen <strong>und</strong> schätzen gelernt hätte. „Wohlig, warm <strong>und</strong> doch lebendig kommt<br />

mir dein ganzes Environment vor.“ erklärte ich. „Ein Kunstwerk ist mein Gehöft,<br />

so sehe ich das auch.“ kommentierte Mari <strong>und</strong> lachte. „Und warum flüchtest<br />

du dann so oft zu uns Kommst du denn überhaupt noch zum Lesen <strong>und</strong><br />

Träumen“ wollte ich scherzend wissen. „Beim Träumen bin ich mir oft nicht<br />

mehr sicher, ob es Wirklichkeit ist o<strong>der</strong> nur ein Traum war, aber das Lesen ist<br />

tatsächlich viel weniger geworden. Meistens abends im Bett, aber da komme<br />

ich dann schnell ins Träumen über das Erlebte, weil es mich so intensiv beschäftigt.<br />

Doch wir können ja mal gemeinsam etwas lesen.“ schlug Mari vor.<br />

„Hast du nicht <strong>die</strong> Befürchtung, dass dann unsere Gemeinsamkeit im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong><br />

stehen könnte, <strong>und</strong> wir den Text gar nicht mitbekämen.“ gab ich zu Be-<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 28 von 52


denken. Mari schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Das zum Beispiel“ sagte er <strong>und</strong><br />

las ein Gedicht von Max Dauthendey vor:<br />

hat es dir gefallen Und das:<br />

„Die Herzensfrau<br />

Der Mittag liegt mit mir im Gras,<br />

Die Wolken ziehn tiefblaue Straß,<br />

Die Welt ist grün <strong>und</strong> weiß <strong>und</strong> blau,<br />

Zu mir setzt sich <strong>die</strong> Herzensfrau.<br />

"Rot," spricht sie, "ist <strong>die</strong> ganze Welt,<br />

Wenn man zum Kuss den M<strong>und</strong> hinhält."<br />

„Sanft legte dich <strong>die</strong> Liebe auf mein Bett<br />

Sanft legte dich <strong>die</strong> Liebe auf mein Bett<br />

In deinem schönsten Kleid aus Scham <strong>und</strong> Blöße,<br />

Und draußen kam <strong>die</strong> Nacht auf atemlosen Schnee,<br />

Und auch Gottvater kam in atemloser Größe.<br />

Mit vollem Auge hat <strong>der</strong> Gott geweint, gelacht.<br />

Du hast dein Herz <strong>und</strong> deinen Leib<br />

Zur Krone <strong>die</strong>ser Nacht gemacht.“<br />

„So ein Ferkel.“ kommentierte ich <strong>und</strong> lachte. „<strong>Susa</strong>, bitte.“ bekam ich als Reaktion<br />

zu hören. Wir lasen noch mehr von Max Dauthendey. Mir gefiel es außerordentlich.<br />

Wenn ich mit Mari zusammenlebte, würden wir uns immer gegenseitig<br />

etwas vorlesen. Aber auch <strong>die</strong>ser Dauthendey. Ich hatte noch nie etwas<br />

von ihm gehört, darum würde ich mich demnächst mal kümmern. Ich war<br />

schon ein wenig stolz auf meine Bibliothek. Dirk hatte nur Fachbücher, einige<br />

Ausstellungskataloge <strong>und</strong> ein paar Romane, aber Mari schien alles zu lesen <strong>und</strong><br />

gelesen zu haben. Sehr viel Philosophie <strong>und</strong> an Literatur alles, was man kennen<br />

konnte <strong>und</strong> mehr. Man würde vermuten, das jemand, <strong>der</strong> so viel wie Mari<br />

gelesen hatte, ein vergeistigter Mensch wäre, aber <strong>die</strong> griechischen Philosophen<br />

waren ja auch keineswegs vergeistig, außer Diogenes vielleicht, <strong>der</strong> Alexan<strong>der</strong><br />

dem Großen als einzigen Wunsch erklären konnte, er möge ihm ein wenig<br />

aus <strong>der</strong> Sonne gehen. Vor allem <strong>die</strong> Eudaimonia suchte ja nicht durch<br />

Meditieren im erweiterten Bewusstsein <strong>die</strong> Erleuchtung zu finden. Sie basierte<br />

ja auf radikaler Diesseitigkeit aller Strebungen <strong>und</strong> wollte Lust <strong>und</strong> Genuss des<br />

Lebens im Hier <strong>und</strong> Jetzt finden. „Mari, du wirkst nach außen sehr beherrscht<br />

<strong>und</strong> besonnen, aber du willst doch jeden Tag ein wenig zu deiner Lustmaximierung<br />

beitragen. Worin könnte denn für dich das größte Lebensglück bestehen“<br />

wollte ich von ihm wissen. Mari grinste <strong>und</strong> meinte: „Was wohl Das<br />

größte Lebensglück ist, wenn <strong>Susa</strong> <strong>und</strong> ich uns küssen. <strong>Susa</strong> küssen <strong>und</strong> sterben.<br />

Das war mein Leben. Ein glücklicheres kann es nicht geben.“ Noch eine<br />

Kussorgie Nein, Mari bekam einen Boxhieb. „„Von dem, was <strong>die</strong> Weisheit für<br />

<strong>die</strong> Glückseligkeit des gesamten Lebens bereitstellt, ist das weitaus Größte <strong>der</strong><br />

Erwerb <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>schaft.“ sagt Epikur. Ich kann ihm darin nur folgen. Du etwa<br />

nicht“ fragte Mari. Von dem, was Frau Stegmüller <strong>und</strong> mich in <strong>der</strong> Feindschaft<br />

zu Mari verband, wollte ich jetzt nichts mehr wissen.<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 29 von 52


Rollenerwartungen o<strong>der</strong> Lebensrausch<br />

„Ich habe dich gefragt, ob du mich für schön hältst. Dir habe ich es auch noch<br />

nicht gesagt. Willst du es gar nicht wissen“ fragte ich Mari als er wie<strong>der</strong> bei<br />

uns war. Ein lakonisches „Nein.“ bekam ich als Antwort. Meine Mimik sagte ihm<br />

aber, dass ich mehr hören wollte. „Suche dir zweih<strong>und</strong>ert hässliche Männer<br />

aus. Du lernst einen von ihnen kennen, nach einer Woche siehst du nichts<br />

mehr von seiner Hässlichkeit. Und wenn du ihn gern magst, wird er dir sogar<br />

noch als schön vorkommen.“ erklärte Mari. „Das kann schon sein. Eine Nase ist<br />

ja an sich nicht schön, aber wenn ich deine Nase betaste, habe ich immer das<br />

Gefühl, es ist Mari, <strong>und</strong> deine Nase ist w<strong>und</strong>erschön, weil du es bist. Du meinst<br />

also, sicher sein zu können, dass ich dich schön finde, weil ich dich liebe Ich<br />

glaube aber eher, Männer halten sich gr<strong>und</strong>sätzlich für attraktiv <strong>und</strong> schön,<br />

weil sie ein Mann sind, unabhängig davon, ob sie geliebt werden o<strong>der</strong> nicht.“<br />

lautete meine Ansicht. „Vielleicht meinen sie, dass ihre Schönheit in <strong>der</strong> Kraft<br />

<strong>und</strong> Stärke liegt, meinen <strong>die</strong> Schönheit des Siegers <strong>und</strong> Gewinners, <strong>die</strong> ihnen<br />

Anerkennung <strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erung vermittelt.“ vermutete Mari. Alles Tinnef. Ich<br />

weiß überhaupt nicht, ob es sinnvolle, verallgemeinernde Unterschiede zwischen<br />

Mann <strong>und</strong> Frau gibt. Die unterschiedlichen Sozialisationen <strong>und</strong> Rollenvorgaben<br />

will ich ja gar nicht leugnen, aber letztendlich ist jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> doch<br />

ein Individuum, das du nur erkennen kannst, wenn du den einzelnen Menschen<br />

tiefgreifend siehst <strong>und</strong> verstehst. Die Klischees <strong>und</strong> Rollenvorstellungen liegen<br />

hauptsächlich bei dir, dem Betrachtenden von außerhalb.“ erklärte ich. „Mann<br />

o<strong>der</strong> Frau, das ist beliebig, das sagt nicht viel, meinst du. Das Entscheidende<br />

ist <strong>der</strong> Mensch.“ verstand mich Mari. „So wird es sein.“ pflichtete ich Mari bei,<br />

„Nur bin ich mir da manchmal nicht ganz sicher.“ Mari wünschte Erläuterndes.<br />

„Wenn wir uns küssen, zum Beispiel, ist <strong>der</strong> Mensch an sich gewiss auch da,<br />

aber es kommt mir so vor, dass er dann nicht entscheidend im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong><br />

steht.“ erläuterte ich. Mari schmunzelte. „Der Geschlechtstrieb, es ist <strong>der</strong><br />

Geschlechtstrieb, <strong>der</strong> dir dann sagt, was du sehen <strong>und</strong> wahrnehmen willst.“<br />

wusste Mari. „Der Geschlechtstrieb, <strong>der</strong> Geschlechtstrieb!“ fuhr ich auf, „Ich<br />

bin doch keine rattige Elster, <strong>die</strong> scharf auf Sex ist. Sollen wir <strong>die</strong>s alberne<br />

Küssen nicht mal sein lassen. Wenn wir es immer machen, geht das Beson<strong>der</strong>e<br />

sowieso verloren.“ Mari sagte nichts. Er lächelte zwar, aber seine Augen<br />

blickten mich starr an. „Na, einmal im Vierteljahr vielleicht.“ räumte ich ein.<br />

Maris Blick blieb unverän<strong>der</strong>t. „O<strong>der</strong> einmal im Monat.“ korrigierte ich mich.<br />

„Was soll das denn mit dem Geschlechtstrieb Mein Geschlechtstrieb hat sich<br />

mein ganzes Leben lang sehr zivilisiert verhalten. Keine Bedürfnisse nach<br />

Eskapaden. Na ja, Sex ist nicht schlecht, das finde ich ja auch, aber ich kann<br />

auch gut mal darauf verzichten.“ erklärte ich. Maris Blick hatte sich wie<strong>der</strong><br />

normalisiert. „Ich glaube auch nicht, dass du von plötzlich aufgetretenen<br />

sexuellen Wallungen getrieben wirst.“ meinte er. „Was ist es dann, meinst du“<br />

sollte er erklären. „Es gibt nicht einen Mainstream, <strong>der</strong> für alle gilt.“ begann<br />

Mari, „Die Bildzeitungsleser <strong>und</strong> RTL Zuschauer mögen zwar recht zahlreich<br />

sein, aber was sie denken <strong>und</strong> welche Vorstellungen sie haben, ist nicht <strong>die</strong><br />

Allgemeinheit. Es gibt unterschiedliche Allgemeinheiten. Du hast eine eigene,<br />

deine Allgemeinheit sind <strong>die</strong> Vorstellgen <strong>und</strong> Sichtweisen einer gebildeten,<br />

arrivierten, mo<strong>der</strong>nen Frau. Das ist deine Welt, so siehst du dich. Es umfasst<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 30 von 52


alles bei dir, <strong>und</strong> bedeutet ein rationales, distinguiertes, mo<strong>der</strong>ates Leben.<br />

Exaltiertheit <strong>und</strong> Auswüchse kommen da nicht vor. Wenn dein Leben <strong>die</strong>sem<br />

gemäßigten Bild entspricht, fühlst du dich wohl, dann bist du zufrieden. Nur<br />

lei<strong>der</strong> kommst du selbst persönlich mit deinen wirklichen Bedürfnissen,<br />

Wünschen, Gelüsten <strong>und</strong> Gefühlen in <strong>die</strong>sem Bild auch nicht vor. Die kannst<br />

du gar nicht erkennen, hältst <strong>die</strong> aus dem Bild übernommenen für deine<br />

eigenen. Du hast aber festgestellt, dass es jenseits davon auch etwas an<strong>der</strong>es,<br />

dass es mehr geben kann. Das pralle Leben hast du es genannt. Du willst auch<br />

mehr vom Leben, willst es in seiner ganzen Fülle. Willst dich in das, was du<br />

tust, versenken, willst dich voll selbst erfahren. Das ist es, was du erlebst,<br />

wenn wir uns küssen. Dass du dich dabei auch erotisch angeregt fühlst, mag ja<br />

sein, aber das ist nicht das Entscheidende. Du bist begeistert davon, dich so<br />

voll involviert <strong>und</strong> enthusiastisch zu erfahren.“ erläuterte Mari. Jetzt bekam er<br />

doch einen Kuss auf <strong>die</strong> Wange <strong>und</strong> ein Streicheln übers Haar. So etwas<br />

vermieden wir außerhalb meines Zimmers gewöhnlich. Ich betätschelte Dirk<br />

o<strong>der</strong> <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> ja auch nicht permanent, <strong>und</strong> Teenager im Liebesrausch zu<br />

spielen, daran lag uns keinesfalls. Ich glaubte Mari immer. Selbstverständlich,<br />

er würde mich ja nicht belügen. Aber ich denke schon, dass es Menschen gibt,<br />

denen man gerne glaubt. Jesus war bestimmt auch so einer. Aber, dass bei<br />

unserem Küssen das Berauschende <strong>der</strong> Erfahrung des prallen Lebens im<br />

Mittelpunkt stehen sollte <strong>und</strong> nicht Mari, <strong>der</strong> Mann, das musste ich erst noch<br />

verarbeiten. Das Übrige, was Mari gesagt hatte, beschäftigte mich allerdings<br />

viel mehr. Im Gr<strong>und</strong>e stimmte ich Mari zu. Das war schon durch <strong>die</strong><br />

Sozialistionsbedingungen meines Elternhauses vorgegeben, das es in<br />

irgendeiner Form darauf hinauslaufen würde. Nur wie hätte <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>nrätin<br />

Rebmann, <strong>die</strong> fest an ihre entsprechenden Rollenvorgaben geb<strong>und</strong>en war,<br />

denn Interesse an einem Menschen wie Mari finden sollen. Solche Typen<br />

kamen darin gar nicht vor. Und außerdem, wer war denn <strong>die</strong> authentisch<br />

wirkende Frau, mit <strong>der</strong> Mari gesprochen hatte, wenn es nur <strong>die</strong> an ihre<br />

Rollenvorgaben gefesselte Ische gab Ich wüsste gern, welches Spektrum an<br />

Rollenvorgaben <strong>der</strong> Allgemeinheit Mari sich den angeeignet hatte. Waren es <strong>die</strong><br />

<strong>der</strong> Philosophen Nein, Philosophie spielte zwar in Maris Denken <strong>und</strong> Handeln<br />

eine wesentliche Rolle, aber er führte nicht das Leben eines Philosophen.<br />

Liebhaber <strong>der</strong> schönen Künste konnte das ein Rollenbild für Mari abgeben<br />

O<strong>der</strong> war es <strong>die</strong> Welt <strong>der</strong> Leseratten, in <strong>der</strong> er lebte Alles Unsinn. Es gab<br />

keine Kategorie <strong>der</strong> Allgemeinheit, <strong>der</strong> sich Mari zuordnen ließ. Aber auf<br />

irgendeine Art hatte sich doch jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> unser kulturelles Erbe <strong>und</strong> unser<br />

allgemeines Denken angeeignet. Vielleicht hatte er schon früh an seinem<br />

Bru<strong>der</strong> erkannt, dass <strong>die</strong> Unterordnung unter einen festen Rahmen nicht das<br />

Glück vermitteln kann, hatte wie Platons Diotima den Eros als immer weiteres<br />

Drängen, Suchen <strong>und</strong> Fragen nach einer höheren Stufe <strong>und</strong> tieferen Erkenntnis<br />

von Schönheit, Glück <strong>und</strong> Freude verstanden. Hatte Mari gezielt vermieden,<br />

sich irgendwelchen Rollenvorgaben unterzuordnen <strong>und</strong> sah sein Leben als<br />

Prozess des unvoreingenommenen Suchens <strong>und</strong> Fragens Ein schönes Bild. Ich<br />

beneidete ihn darum, aber ich hätte auch Angst gehabt. Hatte mich so an<br />

meinen Rahmen gewöhnt, dass ich mich ohne völlig verunsichert gefühlt hätte.<br />

Alle hatten sie ja ihre Rollenmuster. Einerseits entwickelte es sich automatisch<br />

unbewusst, vielleicht auch wegen <strong>der</strong> Sicherheit, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser Rahmen den<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 31 von 52


Einzelnen vermittelte. Ich hatte nie bewusst nach meinen wirklichen<br />

Bedürfnissen <strong>und</strong> Gefühlen gesucht, aber ganz verloren <strong>und</strong> völlig in meiner<br />

Rolle aufgegangen war ich wohl nie. In <strong>der</strong> Rolle des Mädchens aus<br />

gutbürgerlichem Hause wuchst ich schon auf, aber meine Faszination für<br />

England kam in <strong>die</strong>ser Rolle nicht vor. Die gehörte mir alleine, das war ich<br />

persönlich. Diese mir eigene Identität habe ich immer aufrecht zu halten<br />

versucht, das war ich neben den Anpassungen an <strong>die</strong> Rollenerwartungen.<br />

Alle Himmel öffnen ihre Tore<br />

Jetzt hatte Kathi doch ein langes Interview mit Mari geführt. Er berichtete mir<br />

bruchstückhaft davon. Sie habe zwar alles genauestens von Anfang an wissen<br />

wollen, aber es sei Mari vorgekommen, dass es ihr darum ginge, <strong>die</strong> Liebe allgemein<br />

in ihrem Wesen zu erkennen <strong>und</strong> zu verstehen. Sie hätten auch über<br />

an<strong>der</strong>e Bereiche, <strong>die</strong> nicht mit unserer Beziehung zusammenhingen, ausführlich<br />

gesprochen. Mari war durch <strong>die</strong>ses Gespräch zu Kathis intimstem Seelenfre<strong>und</strong><br />

geworden. Welchen an<strong>der</strong>en Mann sollte sie da denn mal heiraten<br />

Wenn Mari da war, bekam er immer einen Knuff o<strong>der</strong> Klaps, <strong>und</strong> Mari wusste<br />

auch immer etwas Launiges, das Kathi zum Lachen brachte. Reine Liebe. Der<br />

arme Mari, was hatte er für Pech mit Frauen, <strong>die</strong> eine war viel zu alt für ihn<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> an<strong>der</strong>e viel zu jung. Meine Achtung <strong>und</strong> Anerkennung war durch das<br />

Gespräch auch kräftig gestiegen. Natürlich war ich <strong>die</strong> Erwachsene <strong>und</strong> verantwortliche<br />

Mutter, aber wir verstanden uns als Team, als Crew, zu <strong>der</strong> auch ich<br />

gehörte. Ich weiß nicht, was Mari über mich erzählt hat, aber augenscheinlich<br />

hatte es mir eine Art Glorienschein verliehen. Mit beson<strong>der</strong>er Fre<strong>und</strong>lichkeit<br />

<strong>und</strong> ausgesuchter Zuvorkommenheit behandelte Kathi mich, sodass es mir<br />

manchmal schon peinlich war. Das Staatsexamen stand kurz bevor. Mari hatte<br />

mit seiner Examensarbeit begonnen <strong>und</strong> war immer beschäftigt, sodass er<br />

nicht mehr so oft zu uns kommen konnte. Wir trafen uns zwar immer in den<br />

Pausen in <strong>der</strong> Schule, aber das war ja mit den Besuchen nicht zu vergleichen.<br />

Maris Anwesenheit verbreitete immer ein allgemeines Wohlempfinden <strong>und</strong> es<br />

gab meistens viel zu lachen. Mari war in <strong>der</strong> ganzen letzten Woche nicht bei<br />

uns gewesen. Am Montag rief ich ihn an <strong>und</strong> fragte, ob er ein wenig Zeit hätte,<br />

ich würde gern kurz zu ihm kommen. „Oh, das ist aber eine sichere Rüstung.<br />

Da kann ich ja nicht auf dumme Gedanken kommen <strong>und</strong> deine Bluse<br />

aufknöpfen wollen.“ empfing mich Mari, als ich meine Jacke auszog. „Mari! Du<br />

bist wi<strong>der</strong>lich!“ fuhr ich ihn an, „Ich kann ja gleich wie<strong>der</strong> fahren.“ Die<br />

Verrückte war ich. Natürlich achtete ich bei meiner Kleidung darauf, dass es<br />

mir gefiel <strong>und</strong> ich meinte so gut auszusehen, aber für einen Mann etwas<br />

angezogen, weil ich meinte, ihm dadurch zu gefallen, das hatte ich in meinem<br />

ganzen Leben noch nicht getan. So etwas lehnte ich prinzipiell ab. Jetzt war es<br />

geschehen. Mir gefiel <strong>der</strong> Pullover mit dem Superrollkragen äußerst gut. Er war<br />

ein wenig extravagant <strong>und</strong> ich kam mir darin jung <strong>und</strong> vielleicht ein bisschen<br />

verwegen vor. Zur Schule konnte ich den nicht anziehen. Als ich zu Mari fahren<br />

wollte, meinte ich, auch Mari darin zu gefallen. So etwas Dummes, am liebsten<br />

wäre ich nach Hause gefahren <strong>und</strong> hätte ein dunkelgraues Sweatshirt<br />

angezogen. „Mari, soll ich dir mal was sagen, ich bin ein total dummes Huhn.<br />

Ich finde den Pullover schön <strong>und</strong> gefalle mir gut darin. Ich habe ihn<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 32 von 52


angezogen, weil ich dir so auch gefallen wollte. Ich schäme mich für meine<br />

Doofheit. Hast du kein Oberhemd für mich Dann ziehe ich den dämlichen<br />

Pullover aus.“ erläuterte ich. „Oh, oh, oh,“ stöhnte Mari auf, umschlang mich<br />

<strong>und</strong> ließ sich mit mir nach hinten auf <strong>die</strong> Couch fallen, sodass ich breitbeinig<br />

auf seinem Schoß saß, „dass du <strong>die</strong> schönste Frau bist, <strong>die</strong> meine Augen in<br />

<strong>die</strong>sem Universum sehen können, das weißt du. Und deinen Pullover, das ist<br />

jetzt kein Schmu, finde ich absolut geil. Ich kenne keine Frau mit einem so<br />

tollen Pullover. Aber das Größte ist, <strong>und</strong> es rührt mich zu Tränen, dass du dich<br />

extra für mich chic machen wolltest. Ich Idiot bin so in meiner Alltagsroutine<br />

gefangen, dass ich mir dummes Blech aus dem M<strong>und</strong> fallen lasse <strong>und</strong> gar nicht<br />

sehe, worauf es ankommt. Du musst mich ganz lieb haben, dann zeigst du,<br />

dass du mir verziehen hast.“ Nach <strong>der</strong> ausführlichen Kussorgie redeten <strong>und</strong><br />

scherzten wir über den Pullover <strong>und</strong> an<strong>der</strong>es Kleidungsverhalten. So direkt vor<br />

Mari auf dem Schoß gesessen hatte ich noch nie. Es gefiel mir. Wir waren<br />

lustig uns ging's gut. Mari hatte mir immer über den Rücken gestreichelt. Jetzt<br />

merkte ich, wie er seine Hand unter den Pullover schob, das Camisole aus <strong>der</strong><br />

Hose zog, <strong>und</strong> seine Hand <strong>die</strong> Haut meines Rückens berührte. Sollte ich ihm<br />

sagen: „Lass das.“ Warum denn Was war denn schon dabei Wenn er mir<br />

den Rücken mit Sonnencreme einrieb, das wäre doch auch ganz normal<br />

gewesen. Aber als normal konnte ich es gar nicht wahrnehmen. Es war nicht<br />

einfach <strong>die</strong> Haut <strong>der</strong> Innenfläche seiner Hand, <strong>die</strong> ich auf <strong>der</strong> Haut meines<br />

Rückens spürte. Ich meinte den ganzen Mari in seiner Hand zu spüren.<br />

Vielleicht machten es <strong>die</strong> Handaufleger ja so, dass sie durch <strong>die</strong> aufgelegte<br />

Hand ihre ganze Persönlichkeit übertrugen. Aber es lag wohl mehr daran, was<br />

<strong>die</strong> Person in <strong>der</strong> aufgelegten Hand spüren wollte. Von Maris Heilkräften spürte<br />

ich nichts, wohl aber all seine Liebe, seine Lust <strong>und</strong> sein Verlangen. Wir<br />

schmusten <strong>und</strong> scherzten dabei, obwohl ich es lieber andächtig genossen<br />

hätte. Mari hakte mir den BH auf. „Nein, Mari.“ sagte ich halblaut, aber<br />

hin<strong>der</strong>te Mari auch nicht daran, es doch zu tun. Im Gr<strong>und</strong>e war es ja nichts<br />

Beson<strong>der</strong>es, aber ich erlebte es, als ob mir solche Wohltaten noch nie in<br />

meinem Leben zu Teil geworden wären. Der dicke Kragen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ärmel<br />

störten. „Willst du den Pullover nicht ausziehen“ fragte Mari plötzlich. „Nein,<br />

auf keinen Fall.“ sagten <strong>die</strong> Gedanken meines rationalen Bewusstseins. Meine<br />

Lust orientierte Gefühlswelt sah das völlig entgegengesetzt. „Auf jeden Fall.“<br />

sagte sie. Weil ich bei Mari war, dem zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt sowieso alle meine<br />

Gefühle gehörten, war ich einverstanden. „Dann musst du aber auch dein<br />

Hemd ausziehen.“ for<strong>der</strong>te ich noch. In meinem Alter <strong>und</strong> nach zwei Kin<strong>der</strong>n<br />

waren meine Brüste ein wenig ins Hängen gekommen. Mari bestaunte sie wie<br />

Goldbirnen, als ob er noch nie <strong>die</strong> nackten Brüste einer Frau gesehen hätte.<br />

Aber ich war ja auch <strong>Susa</strong>, ein feminines Wesen zwar, aber zu den ordinären<br />

Frauen unserer Spezies gehörte ich wohl nicht. „Nimm mal deine ganze Hand,<br />

das fühlt sich gut an.“ for<strong>der</strong>te ich Mari auf, <strong>der</strong> schüchtern kaum wagte meine<br />

Brüste zu berühren. Mari streichelte <strong>und</strong> drückte leicht meine Brüste, wobei er<br />

mich ständig küsste. Ich merkte, wie es mich erregte. Wie ein Blitz durchfuhr<br />

es mich. Nein, das wollte ich doch auf keinen Fall. Ich sprang auf. „Was tun wir<br />

hier eigentlich Das ist doch komplett idiotisch. Wohin soll das denn führen<br />

Ich brauche keinen zweiten Mann, <strong>und</strong> ich will auch keinen Gigolo. Absoluter<br />

Schwachsinn ist das, was wir hier machen.“ deklamierte ich enragiert. Mari war<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 33 von 52


erschrocken, verblüfft <strong>und</strong> staunte. Seine Mimik hatte sehr ernste Züge. Er<br />

griff an meinen Unterarm <strong>und</strong> zog mich neben sich auf <strong>die</strong> Couch. „<strong>Susa</strong>nna,“<br />

begann er fast gravitätisch, „was ist in dich gefahren. Dass es mir nicht<br />

gefallen hat, kannst du dir denken. Nur wenn du vorhast, weiterhin so zu<br />

reden, wird es tatsächlich besser sein, wenn du dich wie<strong>der</strong> anziehst <strong>und</strong> gehst<br />

<strong>und</strong> deinen Gigolo nie wie<strong>der</strong> besuchen kommst.“ „Mari, Mari,“ ich war wie<strong>der</strong><br />

auf seinen Schoß gesprungen, „sprich nicht so. So darfst du nicht reden. Die<br />

dummen Wörter, <strong>die</strong> ich gesagt habe, hatten mit dir nichts zu tun. Es ist meine<br />

Rage, mein Kampf mit mir selbst. Weißt du, in mir wohnen nämlich zwei<br />

Frauen, <strong>und</strong> <strong>die</strong> eine will genau das Gegenteil von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Ständig<br />

kämpfen sie miteinan<strong>der</strong>, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Qualen <strong>der</strong> Gefechte muss ich ertragen.<br />

Gerade ist es zur Explosion gekommen. Da hat <strong>die</strong> eine laut geschrien, aber ich<br />

bin das nicht. Versuche doch, bitte, so gut wie möglich, zu vergessen, was du<br />

gehört hast. Für mich bist du nur mein Liebster <strong>und</strong> nichts an<strong>der</strong>es. Du warst<br />

es <strong>und</strong> wirst es sein. Alles an<strong>der</strong>e, was du hörst stimmt nicht, ist falsch o<strong>der</strong><br />

gelogen.“ Mari schmunzelte. Natürlich würde es einen ausführlichen<br />

Versöhnungskuss geben, aber zunächst mussten wir uns liebevoll betasten, als<br />

ob wir uns wie<strong>der</strong>entdeckt hätten. Jetzt war sowieso alles zu spät. Als mir das<br />

plötzlich bewusst wurde, bin ich aus <strong>der</strong> Haut gefahren. Wäre es mir ruhig klar<br />

geworden, hätte ich vielleicht noch etwas än<strong>der</strong>n können. Aber wie konnte ich<br />

überhaupt meinen Pullover ausziehen Ich hätte Mari schon seine Hand<br />

wegnehmen müssen. Aber ich stand heute anscheinend insgesamt ein wenig<br />

neben mir selbst, nicht nur das mit dem Pullover. Ich hatte Bedarf nach Mari<br />

<strong>und</strong> wollte mich mit ihm freuen. Jetzt saß ich wie<strong>der</strong> mit nacktem Oberkörper<br />

vor ihm auf seinem Schoß <strong>und</strong> schmuste mit ihm. Hätte ich aufstehen, mich<br />

anziehen <strong>und</strong> sagen sollen: „Mari, es war schön mit dir, aber jetzt muss ich<br />

gehen.“ Der Gedanke ließ mich lachen. Die Atmosphäre ließ nur noch ein<br />

Mehr <strong>und</strong> Weiter zu. „Soll ich das auch ausziehen“ fragte ich, als ich an <strong>der</strong><br />

Gürtelschnalle meiner Hose nestelte. Mari sagte nichts, grinste nur <strong>und</strong> begrub<br />

sein Gesicht zwischen meinen Brüsten. „O<strong>der</strong> wird das zuviel heute“ fragte<br />

ich. Eine Antwort bekam ich nicht, aber offensichtlich überwältigte es Mari.<br />

Nach einer kleinen Pause schlug er zaghaft vor: „Aber sollen wir uns dann nicht<br />

lieber auf's Bett legen Das ist doch bequemer.“ „Du hast auch deine<br />

Vorstellungen <strong>der</strong> Allgemeinheit, worum es sich da handelt, wenn ein Mann<br />

<strong>und</strong> eine Frau gemeinsam fast nackt auf dem Bett liegen. Normalerweise wird<br />

dann <strong>der</strong> Mann aktiv, weil er ficken will. Du kannst das nicht <strong>und</strong> willst das<br />

nicht. Vergiss all den Sch<strong>und</strong> <strong>und</strong> denke nur an uns beide.<br />

„Du <strong>und</strong> ich<br />

Du <strong>und</strong> ich!<br />

Wunschlose Seligkeit<br />

Strömt deine Nähe über mich.<br />

Der Alltag wird zur Sonntagszeit,<br />

Unsterblich schlingt das Leben sich<br />

Um uns. Und Menschengöttlichkeit<br />

Fühl′ ich bei dir durch dich.“<br />

hat Max Dauthendey gesagt. Mir geht es auch nicht darum, dass ich Sex will,<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 34 von 52


aber deine Nähe schon, so nah <strong>und</strong> intensiv wie möglich.“ erklärte ich. Freud<br />

hatte ja bei seiner Libido sich ausführlich mit Sexualität befasst <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sublimierung<br />

relativ schnoddrig behandelt, für Platons Diotima drängte <strong>der</strong> Eros<br />

den Menschen nach immer höheren Formen <strong>der</strong> Erkenntnis. Die höchste Stufe<br />

war es, das Schöne in Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst erkennen zu wollen. Darüber<br />

stand nur noch das Schöne allgemein <strong>und</strong> das göttlich Schöne. Das Schöne in<br />

Wissenschaften <strong>und</strong> Künsten suchten wir zweifellos, auf <strong>die</strong>ser hohen Stufe befanden<br />

wir uns schon, aber an<strong>der</strong>erseits war es nicht zu leugnen, dass wir auch<br />

das körperliche Drängen, das <strong>die</strong> unterste Stufe bildete, verspürten. Über eine<br />

mögliche Gleichzeitigkeit auf unterschiedlichen Ebenen hatte Diotima sich nicht<br />

geäußert. Vielleicht würde Mari ja dadurch befähigt, das göttlich Schöne erkennen<br />

zu können. Göttlich kamen wir uns beide schon jetzt vor, eigentlich für <strong>die</strong><br />

unterste Stufe des Drängens <strong>und</strong> Begehrens viel zu schade, aber nach langer<br />

gegenseitiger Bew<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> Verehrung kam es doch dazu. Auf den Ellenbogen<br />

gestützt lag Mari an mir <strong>und</strong> wischte mit einem Finger den Schweiß über<br />

meinen Augenbrauen. Er sprach als erster wie<strong>der</strong>: „Du bist doch eine Göttin,<br />

bist Aphrodite. Sie hat sich von dem Schmied scheiden lassen <strong>und</strong> jetzt den<br />

richtigen Mann gef<strong>und</strong>en.“ „Mari, sprich nicht solche harschen, hölzernen Worte.<br />

Sie schmerzen in meinen Ohren. Da höre ich nur das Wogen des Meeres, in<br />

dessen unendliche Tiefen wir versunken waren. Eine Große Krake hielt uns umschlungen<br />

<strong>und</strong> wehrte mit ihren Armen alles ab, was aus <strong>die</strong>ser Welt hätte zu<br />

uns dringen <strong>und</strong> uns stören können.“ stellte ich es dar. Alles Wonnewohlwollen<br />

hatte Maris Gesichtszüge erfasst. Nach einer Pause sagte er sanft <strong>und</strong> halblaut:<br />

„O<strong>der</strong> waren wir gar nicht auf <strong>die</strong>ser Erde Schwebten im Orbit <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sphärenklänge<br />

hatten uns umgarnt wie einen Kokon, <strong>der</strong> nichts von außen zu uns<br />

ließ“ „O<strong>der</strong> so.“ lächelte ich butterweich, „Und wo sind wir jetzt wie<strong>der</strong> aufgetaucht<br />

In einem an<strong>der</strong>en Land Wäre doch möglich. Aber nein, es hat uns in<br />

<strong>die</strong>se alte, gottverdammte Welt mit ihrer technologisierten Alltagsroutine zurück<br />

geworfen, <strong>die</strong> mich ankräht: „<strong>Susa</strong>, du müsstest längst zu Hause sein.“.<br />

Das kann man doch nicht machen, uns jetzt einfach auseinan<strong>der</strong> reißen.“ „Soll<br />

ich mit zu dir kommen“ schlug Mari vor. „Das wäre, glaube ich, nicht gut. Ich<br />

nehme deine Gefühle mit <strong>und</strong> lasse dir meine Gefühle hier. Du musst dich nur<br />

sehr intensiv hineinzufühlen versuchen, dann werden sie sich dir schon<br />

offenbaren.“ erklärte ich lachend. Was fühlte ich denn auf <strong>der</strong> Fahrt nach<br />

Hause Alles nur Chaos. Ich wollte mir vorstellen, dass es so wäre, als ob ich<br />

gerade aus <strong>der</strong> Schule zurückkäme. Aber versuch mal, deine Gedanken <strong>und</strong><br />

Gefühle zu disziplinieren, sie sind das ungezogenste Pack, das in mir wohnt<br />

<strong>und</strong> auch noch meine Identifikation mit ihnen for<strong>der</strong>t. Immer wie<strong>der</strong> <strong>die</strong>se<br />

Szenen, als ob es sich ständig wie<strong>der</strong>holte. Bis an mein Lebensende würde ich<br />

keine Sek<strong>und</strong>e davon vergessen. Meine Gedanken <strong>und</strong> Emotionen waren<br />

gefangen, als ob ich nicht bei Mari gewesen wäre, son<strong>der</strong>n an <strong>der</strong> letzten<br />

Schlacht bei Armageddon teilgenommen hätte. Immer lief es vor meinen<br />

inneren Augen ab, auch als ich zu Hause war. Einen vernünftigen, klaren<br />

Gedanken konnte ich nicht fassen. Kalt duschen sollte ich, das würde auch<br />

meine Gefühlswallungen abkühlen. Hatte Kneip das nicht empfohlen Es sollte<br />

das Fieber vertreiben. Etwas Besseres konnte ich mir doch gar nicht wünschen.<br />

Allerdings wurde es mir anschließend sehr warm, aber trotzdem schien ich<br />

wie<strong>der</strong> nüchtern zu sein. Ratlos war <strong>und</strong> blieb ich aber doch. Zum Glück wurde<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 35 von 52


ich von den dümmsten Vorwürfen: „Wie konnte so etwas nur passieren Das<br />

hattest du doch auf keinen Fall gewollt.“ verschont. Nur wenn ich mir früher<br />

vorgestellt hätte, <strong>und</strong> ich hatte es mir nicht vorgestellt, weil es <strong>und</strong>enkbar war,<br />

einen Liebhaber zu haben, mit dem ich auch noch ins Bett ginge, hätte ich<br />

gesagt, das sei ich nicht, das könnte ich nicht sein. War ich denn jetzt eine<br />

an<strong>der</strong>e Ich hatte es zwar nicht gewollt, aber wenn es im Nachhinein<br />

ungeschehen zu machen wäre, das ließe ich für nichts auf <strong>der</strong> Welt zu. Kathi<br />

<strong>und</strong> Manuel musste ich liebkosend streicheln. Vielleicht ein Beleg für mich<br />

selbst, dass ich doch immer noch <strong>die</strong> <strong>Susa</strong> von immer war. Kathi glänzte<br />

immer für jedes Zeichen von Zuneigung, Manuel hätte gut sagen können:<br />

„Mami, was soll das“. Jetzt lächelte er aber auch fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> mild. Ob er<br />

mich verstand Aber was denn Vielleicht lag es in meiner Mimik, <strong>die</strong> seine<br />

Zuneigung herausfor<strong>der</strong>te. Nach dem Abendbrot rief ich Mari an. Wenigstens<br />

seine Stimme musste ich noch einmal hören. „Na, mein Liebster, haben sich<br />

meine Gefühle dir schon offenbart“ fragte ich. „Ja, sie umschlingen mich alle<br />

wollen mich <strong>und</strong> schwelgen in dem Glück mich zu lieben <strong>und</strong> von mir geliebt zu<br />

werden.“ erklärte Mari. „Das kann ich mir gut denken, ich habe mich dir auch<br />

mit allem was zu <strong>Susa</strong> gehört gegeben <strong>und</strong> wollte alles von dir. Ich glaube, das<br />

war Leben so intensiv, wie Leben nur sein kann.“ meinte ich dazu. „Ich denke,<br />

es war mehr. So ist Leben bei uns gar nicht möglich. Wir befanden uns in<br />

einem an<strong>der</strong>en Bewusstseinszustand, waren in einer Art Trance.“ erklärte Mari.<br />

„Das denke ich auch. Wir haben uns gemeinsam gegenseitig so vollständig<br />

erlebt, wie es uns nur möglich war. Meinst du, dass dabei <strong>die</strong> Beteiligung <strong>der</strong><br />

Genitalien überhaupt von Bedeutung war“ Mari bekam sich gar nicht wie<strong>der</strong><br />

ein vor Lachen, weil ich es ganz trocken <strong>und</strong> nüchtern gesagt hatte, als ob es<br />

mir völlig ernst wäre. „<strong>Susa</strong>, ich werde heute Nacht von dir träumen, nur von<br />

dir, <strong>die</strong> ganze Nacht werde ich von dir träumen <strong>und</strong> morgen auch noch. Du<br />

wirst es in <strong>der</strong> Schule an meinen verträumten Augen sehen.“ sagte Mari. „Ich<br />

weiß es nicht, aber es könnte gut sein, dass sich unser Erlebtes im Traum<br />

immer <strong>und</strong> immer wie<strong>der</strong>holen wird. Das kommt ja vor, wenn dich etwas<br />

emotional außerordentlich bewegt hat. Hoffentlich rufe ich nicht im Schlaf laut<br />

deinen Namen. Nein, ich weiß etwas Besseres. Deine Gefühle werde ich mir<br />

öffnen <strong>und</strong> mich beim Einschlafen darin suhlen. So werde ich bestimmt auf<br />

Wolke <strong>sieben</strong> schlummern.“ wollte ich mir vornehmen. „Tu das, <strong>Susa</strong>, <strong>die</strong> Tore<br />

aller Himmel werden sich dann für dich öffnen.“ wusste Mari dazu bevor wir<br />

uns für <strong>die</strong> Nacht verabschiedeten.<br />

Das Schweigen <strong>der</strong> Weisen<br />

Die Welt war schon eine an<strong>der</strong>e geworden <strong>und</strong> ich war in ihr nicht mehr identisch<br />

mit <strong>der</strong> <strong>Susa</strong>, bevor sie mit Mari im Bett gewesen war. Menschen, <strong>die</strong> du<br />

liebst, von denen du sagen würdest, dass sie in deinem Herzen wohnen, gehören<br />

zu dir. Sie stellen einen wichtigen Teil deiner Persönlichkeit dar, sie bilden<br />

das Wichtige, das Wertvolle, was dein Leben ausmacht. Ohne Liebe wärst du<br />

arm, karg <strong>und</strong> welk. Zu denen, <strong>die</strong> in meinem Herzen wohnten, gehörte Mari<br />

natürlich auch. So einfach war es jetzt nicht mehr. Selbstverständlich hatte<br />

jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> meiner Liebsten eine spezielle Position, <strong>die</strong> nur mit ihr o<strong>der</strong> ihm<br />

verb<strong>und</strong>en war, aber mit Mari hatte ich gemeinsam eine Reise unternommen,<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 36 von 52


war in einem Land gewesen, das ich noch nie erlebt hatte. War es meine ergreifendste<br />

Erfahrung überhaupt Schon möglich. Ein rauschhaftes Erlebnis,<br />

wie ich es bisher noch nie hatte, war es auf jeden Fall. Das war in mir, so war<br />

Mari in mir. Es wäre immer gegenwärtig, wenn ich an Mari dächte o<strong>der</strong> ihn träfe.<br />

Befre<strong>und</strong>et Natürlich, das blieben wir, aber wir gehörten uns auch gegenseitig,<br />

hatten unser tiefstes, intimstes Leben miteinan<strong>der</strong> geteilt. Keine fulminante<br />

Begrüßung, als wir uns am nächsten Morgen in <strong>der</strong> Schule begegneten.<br />

So einen Zirkus brauchten wir doch nicht. Ein Blick <strong>und</strong> eine leichte Berührung<br />

an den Händen, das sagte alles. Es war ja Unsinn, aber Mari kam mir so selbstverständlich<br />

<strong>und</strong> nah vor, als ob ich noch mit ihm im Bett läge. Würde ich<br />

demnächst immer, wenn ich Mari sähe, mich mit ihm im Bett wähnen „Na,<br />

wie stets mit den Prüfungsvorbereitungen, Herr Neuber, alles zum Besten“<br />

fragte ich als wir uns in <strong>der</strong> Pause im Lehrerzimmer trafen <strong>und</strong> lachte dabei.<br />

„<strong>Susa</strong>, was redest du für einen Schwachsinn“ Mari darauf. „Was sollen wir uns<br />

denn hier erzählen Sollen wir allen berichten, was wir gestern gemacht haben.<br />

Alles wie immer, alles wie früher Wie geht das denn Was sagst du denn<br />

da“ erklärte ich. „Du hast Recht. Wir können hier nicht mehr miteinan<strong>der</strong> reden.<br />

So wie früher, das wäre verkrampft <strong>und</strong> lächerlich. Lass uns in <strong>die</strong> Bibliothek<br />

gehen, da ist sowieso nie jemand.“ schlug Mari vor. In <strong>der</strong> Bibliothek redeten<br />

wir auch nicht. Über Eck saßen wir an einem Tisch gegenüber, ich legte<br />

meine linke auf Maris rechte Hand, wir blickten uns an <strong>und</strong> lächelten. „Und<br />

worüber reden wir jetzt“ wollte Mari wissen. „Reden Worüber sollen wir<br />

schon reden Haben wir den Zustand, dass wir miteinan<strong>der</strong> reden müssen,<br />

nicht längst überw<strong>und</strong>en“ lautete meine Ansicht dazu. „Du meinst, <strong>die</strong>ser herben,<br />

rational erdachten Formulierungen in klanglicher Form bedürften wir für<br />

unsere Kommunikation gar nicht mehr Wir würden uns viel umfänglicher ohne<br />

Worte zu reden verstehen Du könntest Recht haben. „Der Weise redet nicht,<br />

<strong>der</strong> Redende weiß nicht.“ lautet eine alte chinesische Weisheit. Das ist Daoismus<br />

<strong>und</strong> schon weit über zweitausend Jahre alt.“ erklärte Mari <strong>und</strong> lachte.<br />

„Aber wenn du nichts sagst, dann lachst du auch nicht, <strong>und</strong> deine Stimme höre<br />

ich auch nicht. Es ist doch gleichgültig, was <strong>der</strong> Redende sagt, es kommt doch<br />

darauf an, dass <strong>der</strong> Zuhörer weise ist.“ monierte ich. „So ist es. Auf deine<br />

Stimme möchte ich auch nicht verzichten. Sie klingt schon seit unserem ersten<br />

Gespräch wie Musik in meinen Ohren, <strong>und</strong> Mari begann zu singen: „<strong>Susa</strong> Diva,<br />

che inargenti. Göttin <strong>Susa</strong> im silbernen Glanze.“ Casta Diva aus Bellinis Norma<br />

in <strong>Susa</strong>form. Jetzt hätte ich ihn doch gern geküsst. „Sag mal, Mari, ein<br />

Zündholz braucht nur ganz wenig Reibung <strong>und</strong> schon entzündet sich eine<br />

leuchtende Flamme. Nur man muss es rasch wie<strong>der</strong> löschen, sonst verbrennt<br />

man sich <strong>die</strong> Finger. Was meinst du, haben wir uns <strong>die</strong> Finger verbrannt“<br />

wollte ich wissen. „Wenn du dir <strong>die</strong> Finger verbrennst, das tut doch weh, das<br />

schmerzt doch. Empfindest du denn Qualen deiner Seele“ fragte Mari. Ich<br />

schüttelte nur den Kopf. „Ein Zündholz ist ja auch nicht das Licht an sich, es ist<br />

ja nur Mittel zum Zweck, um ein größeres Licht zum Leuchten zu bringen o<strong>der</strong><br />

ein Feuer zu entflammen. Ist uns das mit dem Zündholz denn gelungen“<br />

fragte Mari. Eine Antwort war nicht nötig. Mein Lächeln sagte ihm, dass ich es<br />

so sähe. „Kommst du nach <strong>der</strong> St<strong>und</strong>e mal, bitte, in meine Klasse“ bat ich<br />

Mari. Einmal küssen mussten wir uns doch wenigstens. Als <strong>die</strong> letzte Schülerin<br />

den Raum verlassen hatte, schloss ich vorsichtshalber <strong>die</strong> Tür zu. So etwas<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 37 von 52


wollte ich ja eigentlich nicht, aber was sollte ich denn machen Nach <strong>der</strong><br />

Schule mit zu Mari fahren So ein Unsinn. Ein wenig musste ich doch heute<br />

schon Maris Nähe spüren. Sich leidenschaftlich zu küssen war schon<br />

verbindend <strong>und</strong> erregend, aber 'pralles Leben' <strong>und</strong> 'kleiner Geschlechtsverkehr'<br />

<strong>die</strong>se Vorstellungen hatten sich doch stark relativiert. Dass Mari am<br />

Nachmittag kam, war fast selbstverständlich. Beim Kaffee saßen wir am<br />

Küchentisch <strong>und</strong> hatten wie<strong>der</strong> <strong>die</strong> Hände aufeinan<strong>der</strong> gelegt. Was <strong>die</strong>se Geste,<br />

<strong>die</strong> wir fast automatisch ausführten wohl symbolisieren sollte Im<br />

Unbewussten schienen wir sie aber beide zu verstehen. „Mari, was wird denn<br />

jetzt Ich habe niemals darüber nachgedacht, was wäre, wenn so etwas<br />

passieren würde. Wie rede ich Es ist nichts 'passiert' <strong>und</strong> 'so etwas' schon gar<br />

nicht. Alles was war, haben wir persönlich selbst gemacht, <strong>und</strong> zwar nicht 'so<br />

etwas', wir haben zusammen gelebt, so intensiv wie möglich. Mich hat es<br />

tiefgreifend erfasst <strong>und</strong> etwas in mir verän<strong>der</strong>t. Und wie ist es für dich Wirst<br />

du nächste Woche denken: „War ein schöner Nachmittag. Hat Spaß gemacht,<br />

mit <strong>Susa</strong> zu ficken.“ “ sagte ich. „<strong>Susa</strong>!“ schrie Mari auf, „Zum Glück weiß ich,<br />

dass du nicht so denkst, aber wie kannst du so etwas sagen“ „Neckische<br />

Provokation, das ist ein Zeichen von Liebe.“ entschuldigte ich mich. „In meinen<br />

Ohren hat es nur hässlich, abscheulich <strong>und</strong> wi<strong>der</strong>lich geklungen. Von Liebe<br />

konnte ich keinen Ton hören.“ Mari darauf. „Entschuldigung, Mari, mein<br />

Liebster. Ich werde es aus deinen Ohren wie<strong>der</strong> entfernen. Sagen wollte ich dir<br />

nämlich gar nichts, ich wollte nur von dir etwas hören, wie du es denn siehst,<br />

was du denn meinst, was jetzt wird.“ erklärte ich. „<strong>Susa</strong>, ich habe nur<br />

geträumt, ich möchte, dass es immer so wäre, wie gestern. Immer, wenn ich<br />

meine Augen aufschlage, sehe ich <strong>Susa</strong>. Ja, ich wünsche mir, immer das<br />

Gefühl zu haben, dass du mit deiner Haut meine berührst.“ erläuterte Mari<br />

seine Träume. „Da sieht's aber böse aus, Mari, von deiner Kraft <strong>und</strong> Stärke<br />

bleibt da wohl nicht viel. Du bist doch ein ziemlicher Weichling, wenn du immer<br />

deine Schmusekatze bei dir haben willst.“ bemerkte ich scherzend. „Ein Mann<br />

brauchte eher einen heißen Ofen, meinst du. Das ist zwar nicht meine Diktion,<br />

aber könntest du den denn nicht auch symbolisieren, o<strong>der</strong> liege ich da völlig<br />

falsch.“ wollte Mari wissen. „Ach, Mari, was redest du für einen Blödsinn. Sag<br />

mal lieber ein gescheites Wort für gestern Nachmittag. Wir umschreiben es<br />

immer mit: 'Haben intensiv zusammen gelebt', 'Waren gemeinsam versunken'<br />

<strong>und</strong> so etwas. Die gebräuchlichen Benennungen sind schal o<strong>der</strong> Slang. Fällt dir<br />

nichts Treffendes ein“ for<strong>der</strong>te ich Mari auf. „Es gibt in unserer Sprache keine<br />

treffende Benennung dafür. Wir waren doch in einer an<strong>der</strong>en Welt, in <strong>der</strong> unser<br />

Alltag nichts gilt <strong>und</strong> auch unsere Sprache wertlos ist. Wir könnten dem einen<br />

Namen geben, <strong>der</strong> nur uns gehört. Wie wäre es denn mit unserem<br />

gemeinsamem Nirwana“ schlug Mari vor. „Ich weiß nicht, ob das so passend<br />

wäre Wir sind ja schließlich nicht meditierend gemeinsam zur Erleuchtung<br />

gelangt.“ kritisierte ich. „Ich habe ja gesagt, dass ich währenddessen das<br />

göttlich Schöne in dir erkannt habe, <strong>Susa</strong>-Aphrodite.“ bemerkte Mari. „Du<br />

meinst, wir sollten es das göttlich Schöne nennen Das könnte schon passen.<br />

Ich habe dich auch als absolut göttlich empf<strong>und</strong>en.“ lautete meine Meinung.<br />

„O<strong>der</strong> wir nennen es schlicht: „Das Göttliche““ bot Mari an. „Au ja, das wäre<br />

gut <strong>und</strong> würde genau passen. So haben wir uns doch auch gefühlt, nicht<br />

wahr“ kommentierte ich. „Du hast mir von deinen Träumen <strong>und</strong> Wünschen<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 38 von 52


erzählt, aber wie du unsere Zukunft siehst, nachdem wir das Göttliche erkannt<br />

haben, dazu hast du noch nichts gesagt.“ monierte ich. „Da werden wir das<br />

Fatum fragen müssen.“ erklärte Mari, „Ich habe das Fatum am Nachmittag<br />

nachdem wir uns kennengelernt haben gefragt, was denn jetzt würde. „Du<br />

wirst dich in <strong>die</strong> Frau verlieben <strong>und</strong> sie sich in dich, <strong>und</strong> schließlich werdet ihr<br />

beide gemeinsam ins Bett gehen.“ hat es gesagt. Dir habe ich nichts davon<br />

erzählt, weil ich befürchtete, du würdest mich einen Idioten nennen, ich solle<br />

nicht so ein dummes Zeug reden, <strong>und</strong> du wolltest nichts mehr mit mir zu tun<br />

haben. Die Botschaften des Fatums sind oft brutal, inakzeptabel <strong>und</strong><br />

unverständlich. Deshalb befragt man es besser nicht. Du kannst dir etwas<br />

wünschen, beabsichtigen, vornehmen, aber was sein wird, das kannst du nicht<br />

wissen. Du weißt nur, was in deinem Kopf ist, <strong>und</strong> da ist nur das, was schon<br />

geschehen ist. Morgen <strong>und</strong> was sein wird ist immer neu, <strong>und</strong> du kannst es<br />

niemals vorher wissen.“ Danke schön, Herr Lehrer, aber ich brauche deine<br />

Belehrungen nicht.“ reagierte ich, „Ich will dir mal sagen, was ich meine. Dass<br />

sich mein Leben weitgehend nach den Rollenvorgaben <strong>der</strong> Allgemeinheit für<br />

eine Frau wie mich abspielt, da stimme ich dir schon zu. Irgendwo ran<br />

orientiert sich schließlich jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong>. Aus <strong>der</strong> freien Luft hast du schließlich<br />

nichts, <strong>und</strong> was du selbst aus dir kreierst, kann immer nur relativ wenig sein.<br />

Aber ich war mit <strong>die</strong>sem Leben zufrieden <strong>und</strong> glücklich, vor allem, weil ich mich<br />

nicht starr an etwas gefesselt fühlte, mir viele Freiheiten genommen habe, <strong>die</strong><br />

nicht in das Rollenklischee passten, <strong>und</strong> vor allem habe ich mich selbst <strong>und</strong><br />

meine wirklichen Gefühle nicht verloren o<strong>der</strong> nachgemachten aus meiner Rolle<br />

geopfert. Das ist mein Leben <strong>und</strong> damit bin ich zufrieden. Dann kamst du. Du<br />

passtest da nicht hinein. Aber ich habe gemerkt, dass unsere Beziehung es<br />

nicht zerstört, son<strong>der</strong>n eine Bereicherung darstellst. So ist das jetzt nicht<br />

mehr. Du bist nicht mehr nur eine Bereicherung meines ursprünglich<br />

gewachsenen Lebens. Unsere Beziehung hat für mich den Charakter eines<br />

eigenen Lebens bekommen. Es gibt nicht mehr nur <strong>die</strong> <strong>Susa</strong> mit Kin<strong>der</strong>n,<br />

Mann, Familie, es gibt auch <strong>die</strong> <strong>Susa</strong>nna mit Marian.“ „in dir leben zwei<br />

Menschen, zwei Persönlichkeiten, deine Persönlichkeit ist also gespalten.“ hatte<br />

Mari es verstanden <strong>und</strong> lachte. „Ja, aber ich leide nicht darunter. Die eine weiß<br />

immer genau, was <strong>die</strong> an<strong>der</strong>e getan hat. Und du wünscht dir, dass <strong>die</strong> eine<br />

immer für dich da sein möchte.“ antwortete ich. „Da ginge natürlich ein Traum<br />

in Erfüllung. Ich hoffe aber gar nicht darauf, dass er irgendwann in Erfüllung<br />

gehen könnte, weil er so absolut unrealistisch ist. Ich denke auch, dass unsere<br />

Beziehung dann eine an<strong>der</strong>e wäre, wenn nur wir beide zusammen wären. Ich<br />

liebe <strong>die</strong> <strong>Susa</strong> so wie sie jetzt ist, <strong>und</strong> dazu gehören Kin<strong>der</strong>, Mann <strong>und</strong> Familie.<br />

Ob ich eine <strong>Susa</strong>-Solo auch lieben würde, das weiß ich gar nicht. Das wäre ja<br />

dann auch eine ganz an<strong>der</strong>e Frau.“ erklärte Mari. „Aha, du liebst also meine<br />

Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> meinen Mann, ob du mich persönlich, solo liebst, das weißt du gar<br />

nicht so genau.“ erk<strong>und</strong>igte ich mich. „Nein, Quatsch, was rede ich für einen<br />

Unsinn. Ich wollte nur verdeutlichen, dass es mir so gefällt <strong>und</strong> ich dich so<br />

liebe, wie du bist.“ antwortete Mari. „Aber hat sich denn durch gestern für dich<br />

nichts verän<strong>der</strong>t“ wollte ich nochmal erfahren. „Aber, <strong>Susa</strong>, unsere Beziehung<br />

hat sich verän<strong>der</strong>t. Mein Kostbarstes <strong>und</strong> Liebstes warst du schon, aber für<br />

Beziehungen gibt es eine Art Stufenleiter, <strong>und</strong> ich empfinde es so, dass wir den<br />

Summit erreicht haben.“ stellte Mari es dar. „Und was machen wir damit<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 39 von 52


Immer ein Gipfelfest feiern, wenn wir uns treffen“ legte ich nahe. „Nein, wir<br />

sind uns tiefer <strong>und</strong> inniger verb<strong>und</strong>en. Du bist in mir immer da. Wir brauchen<br />

kein großes Theater <strong>und</strong> Festtänze. Du siehst es, wir legen nur unsere Hände<br />

aufeinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> wissen, dass wir uns verb<strong>und</strong>en sind <strong>und</strong> uns verstehen.“<br />

erklärte Mari. „Ja, <strong>die</strong> Hand, das war mal so viel wie <strong>der</strong> Mensch selbst. Mit <strong>der</strong><br />

Hand wurde Frieden geschlossen <strong>und</strong> Vereinbarungen bestätigt. Wenn man<br />

einen Menschen segnen wollte, wurden ihm <strong>die</strong> Hände aufgelegt. Heute in<br />

unserer Oberflächenwelt ist <strong>die</strong> Bedeutung <strong>der</strong> Hand zu Müll geschred<strong>der</strong>t<br />

worden, aber wir spüren ihre wirkliche Bedeutung, nicht wahr“ vermutete ich.<br />

„Ja, wenn du deine Hand auf meine legst, dann ist <strong>Susa</strong> zu Mari gekommen,<br />

<strong>und</strong> ich bin durch meine Hand bei dir.“ deutete es Mari.<br />

Welch ein W<strong>und</strong>er<br />

Sagen würde ich es Dirk auf jeden Fall, nur wollte ich warten, bis es in mir ein<br />

wenig abgeklungen war. Mir lag schon daran, es Dirk so zu erklären, dass er es<br />

verstehen könnte. Aber ging das überhaupt Es Dirk erklären, dass er nachempfinden<br />

könnte, was ich empf<strong>und</strong>en hatte Das war Unsinn, das wollte ich<br />

auch gar nicht. Sollte ich ihm sagen, es wäre wegen beson<strong>der</strong>er Umstände einmal<br />

passiert. In Situationen in denen es wie<strong>der</strong> dazu kommen könnte, würde<br />

ich es zu verhin<strong>der</strong>n wissen. Das wäre gelogen gewesen. Allerdings, ob es voraussichtlich<br />

wie<strong>der</strong> dazu kommen würde, dazu konnte ich gar nichts sagen. Ich<br />

hatte es als großartig erlebt, aber ich suchte nicht nach Möglichkeiten, es zu<br />

wie<strong>der</strong>holen. Im Gr<strong>und</strong>e hatte ich auch das Empfinden, dass es ein einmaliges<br />

Erlebnis gewesen sei, das man wie auch ein W<strong>und</strong>er gar nicht wie<strong>der</strong>holen<br />

könne. Dirk besuchte häufig Tagungen <strong>und</strong> Kongresse. Meistens fanden sie in<br />

<strong>der</strong> Woche statt, aber nicht selten dauerten sie auch übers Wochenende. Als<br />

ich ihm sagte, dass wir miteinan<strong>der</strong> geschlafen hätten, lächelte er nur <strong>und</strong><br />

spottete darüber, dass ich gemeint hätte, es verhin<strong>der</strong>n zu können. „Es gibt<br />

eben <strong>die</strong> Biologie, <strong>die</strong> einem Mann <strong>und</strong> einer Frau ein starkes Verlangen danach<br />

vermittelt.“ hatte er gesagt. So eine Sichtweise über unser Göttliches<br />

machte mich böse, aber eine Auseinan<strong>der</strong>setzung hielt ich nicht für empfehlenswert,<br />

denn im Gr<strong>und</strong>e schien er es ja akzeptieren zu wollen. Ob es wie<strong>der</strong><br />

vorkommen würde, das ignorierte er. „Aber macht es nicht, dass ich es mitbekomme.“<br />

hatte er nur gebeten. Wir machten 'es', <strong>die</strong> Befriedigung des Bedürfnisses<br />

unseres Geschlechtstriebs nach Kopulation, wie er es sah, ja überhaupt<br />

nicht. Lust, mit Mari gemeinsam etwas zu unternehmen, ins Konzert, ins Kino<br />

o<strong>der</strong> ins Theater zu gehen,hätte ich schon öfter gehabt, aber abends, das war<br />

immer ziemlich ungelegen. Ich hatte mich allerdings auch nicht intensiv genug<br />

darum bemüht. Wenn nicht etwas Offizielles anlag, war es Gewohnheit, dass<br />

<strong>Susa</strong> abends für Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Mann zu Hause war. Dirk würde auf einem<br />

Kongress sein, was mich auf <strong>die</strong> Idee brachte, Mari <strong>und</strong> ich könnten doch am<br />

Samstagabend gemeinsam essen <strong>und</strong> anschließend zu Mari gehen. „Ihr wollt<br />

ficken.“ kommentierte Kathi, als ich es den Kin<strong>der</strong>n erklären wollte. „Kathi,<br />

bitte, nicht so <strong>und</strong> nicht <strong>die</strong>se Straßenwörter. Dass wir uns lieben, Mari <strong>und</strong><br />

ich, das wisst ihr doch, <strong>und</strong> da möchten wir auch gern mal eine Nacht<br />

zusammen sein. Ob es dabei zum Sex kommt Wahrscheinlich schon, aber das<br />

ist nicht das Entscheidende.“ ermahnte ich. Ob Sex das Entscheidende war,<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 40 von 52


das wusste ich doch selbst nicht. Ich hatte es ja damals auch nicht so<br />

empf<strong>und</strong>en, dass ich ein Bedürfnis nach sexueller Befriedigung gehabt hätte.<br />

Aber mein Sexualtrieb hatte mich doch wohl stärker im Griff, als ich es<br />

eigentlich hätte zulassen wollen. Warum konnte ich nicht in Jeans <strong>und</strong> einem<br />

netten Jackett zum Essen gehen, wie ich auch immer zur Schule ging Nein,<br />

ich brauchte unbedingt ein schickes Kleid. Nur hatte ich so etwas gar nicht.<br />

Außer für <strong>die</strong> Oper o<strong>der</strong> zu festlichen Anlässen besaß ich nur zwei luftige<br />

Sommerkleidchen. Ich trug nämlich ausschließlich Jeans. Die Entwicklung, dass<br />

Frauen Nietenhosen anzogen, hatte ich für einen wichtigen Schritt in <strong>der</strong><br />

Befreiung <strong>der</strong> Frau gehalten. Mari hatte sich darüber lustig gemacht <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

hautengen <strong>und</strong> auch meine Jeans als das sexistische Kleidungsstück überhaupt<br />

bezeichnet. Aber es hatte sich eben so als Gewohnheit eingebrannt, dass ich<br />

mich an<strong>der</strong>s unwohl gefühlt hätte. Für Mari Schlabberhosen anziehen, damit<br />

ihm <strong>der</strong> sexistische Anblick meines Hinterns erspart bliebe Soweit käme es<br />

noch. Aber es gab ja nicht wenige Frauen, <strong>die</strong> ihre Persönlichkeit nicht nur an<br />

<strong>die</strong> Rollenerwartungen <strong>der</strong> Allgemeinheit abgegeben hatten, son<strong>der</strong>n <strong>die</strong> ihre<br />

Wünsche <strong>und</strong> Bedürfnisse von den Ansichten ihres Mannes dominieren ließen.<br />

Was für ein Kleid brauchte ich denn Natürlich musste es mir gefallen, aber<br />

immer war <strong>der</strong> Gedanke gegenwärtig, wie Mari es wohl finden würde. Im<br />

Gr<strong>und</strong>e hasste ich mich für <strong>die</strong>ses unerträgliche, nicht zu unterdrückende<br />

Balzempfinden, <strong>und</strong> als Mari mit glänzenden Augen mein tolles Kleid<br />

bew<strong>und</strong>erte, strahlte ich auch. „Mari, du bist ein Kind. Glotzt mich mit<br />

glänzenden Augen an, lächelst <strong>und</strong> freust dich.“ sagte ich als wir uns im<br />

Restaurant am Tisch gegenüber saßen. „<strong>Susa</strong>, was ist, hast du vor mich zu<br />

ärgern“ reagierte Mari. „Du hast Recht. Kin<strong>der</strong> sind dumm, wissen nichts <strong>und</strong><br />

haben keinen Durchblick. Beleidigend, nicht wahr Aber daran habe ich gar<br />

nicht gedacht. Nein, Kin<strong>der</strong> sind offen, ehrlich <strong>und</strong> direkt, so wie du jetzt<br />

schlicht zum Ausdruck bringst, dass dich ein Gefühl von Freude beherrscht.<br />

Worüber freust du dich denn“ erklärte ich. „Genau weiß ich es gar nicht. Es ist<br />

einfach ein Gefühl von Glück, mit dir zusammen <strong>und</strong> dann in <strong>die</strong>ser neuen, für<br />

uns ungewohnten Situation, kitzelig <strong>und</strong> schön.“ antwortete Mari. „Ich glaube,<br />

du verhältst dich öfter wie ein Kind. Ich finde das w<strong>und</strong>ervoll. Kin<strong>der</strong> sind <strong>die</strong><br />

wirklichen Mensch, nicht weil sie angeblich so unschuldig sind, son<strong>der</strong> weil sie<br />

voll sich selbst leben. Die Menschen erkennen das gar nicht, sie sehen Kin<strong>der</strong><br />

als Mangelwesen. Aber gezielt dich so offen, ehrlich <strong>und</strong> authentisch wie ein<br />

Kind verhalten, das kannst du später gar nicht mehr. Waren wir bei unserem<br />

Göttlichen nicht unter an<strong>der</strong>em auch ein wenig wie Kin<strong>der</strong>“ wollte ich wissen.<br />

„Ganz sicher bin ich mir da nicht. „Wenn ihr nicht werdet wie <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> ...“<br />

damit dürfte Jesus doch wohl weniger <strong>die</strong> gemeint haben, <strong>die</strong> gerade Sex<br />

miteinan<strong>der</strong> hatten.“ wusste Mari dazu. „Oh je, wirklich du selbst Du kennst<br />

dich mit dir selbst nicht aus. „Und auch Gottvater kam in atemloser Größe. Mit<br />

vollem Auge hat <strong>der</strong> Gott geweint, gelacht.“ hast du mir persönlich vorgelesen.<br />

Wenn du glaubst, Gott habe <strong>die</strong> Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen,<br />

musst du doch manchmal denken, was für ein schrecklicher Typ muss <strong>die</strong>ser<br />

Gott doch sein. Nur bei <strong>der</strong> Liebe, da sind sich alle, <strong>und</strong> er selbst auch, einig,<br />

dass er das gut hinbekommen hat. Gott hat doch das Körperliche nicht<br />

ausgeschlossen, sonst gäb's doch seine Menschen überhaupt nicht mehr.“<br />

klärte ich Mari auf. „Ja, stimmt, Gott hält seine sogenannten Ebenbil<strong>der</strong> ja<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 41 von 52


auch wohl nicht alle für ganz in Ordnung. Deshalb soll's beim Weltuntergang ja<br />

auch wohl <strong>die</strong> <strong>sieben</strong> <strong>Plagen</strong> geben, um <strong>die</strong> zu vernichten <strong>und</strong> seine Lieblinge<br />

zu befreien.“ erklärte Mari. „Gott hält uns also auch nicht für frei <strong>und</strong> du ja<br />

sowieso nicht, <strong>und</strong> Frau Stegmüller <strong>und</strong> ich sind Knechte des Bösen, das uns<br />

unterdrückt“ sollte Mari erläutern. „Uns geht’s gut, wir sind glücklich <strong>und</strong><br />

freuen uns. Wie schön für uns, aber das ist nicht <strong>die</strong> Welt. Für <strong>die</strong> allermeisten<br />

Menschen ist es nicht so, aber das nimmst du im Alltag gar nicht wahr. Du<br />

sollst dich wohlfühlen, damit du nicht auf den Gedanken kommst, es müsse<br />

etwas geän<strong>der</strong>t werden. Dass nichts geän<strong>der</strong>t wird, dass alles so bleibt, ist das<br />

entscheidende Bedürfnis des Kapitalismus, in dem <strong>die</strong> Mächtigen <strong>und</strong> Reichen<br />

<strong>die</strong>ser Welt von den herrschenden Verhältnissen profitieren. Das heißt, sie<br />

profitieren auch davon, dass du dich wohlfühlst <strong>und</strong> dich nichts drängt, etwas<br />

än<strong>der</strong>n zu wollen.“ erläuterte Mari. „Willst du mich darüber aufklären, dass wir<br />

im Kapitalismus leben, <strong>und</strong> ich deshalb nicht glücklich sein dürfe, son<strong>der</strong>n mich<br />

in ständigen seelischen Qualen <strong>und</strong> Unzufriedenheiten wälzen müsse Und du<br />

selbst Versuchst du deinen Leidensdruck immer weiter zu steigern, damit du<br />

endlich politisch aktiv wirst <strong>und</strong> den Kapitalismus abschaffst Ich denke, du<br />

hättest Kraft <strong>und</strong> könntest deine Feinde besiegen. Aber nein, du willst jeden<br />

Tag ein wenig glücklicher werden <strong>und</strong> schließlich zur Ataraxie gelangen.“ warf<br />

ich ihm vor. „Ich denke schon, dass du Recht hast. Wir sollten für unsere<br />

Ansichten auch politisch konkret etwas tun, aber das Glücksempfinden des<br />

Einzelnen ist davon relativ unabhängig. Es gibt sehr arme Mensch, <strong>die</strong><br />

trotzdem glücklich sind <strong>und</strong> reiche, <strong>die</strong> an Depressionen leiden. Du bist von<br />

deiner Gr<strong>und</strong>tendenz doch auch ziemlich glücklich, o<strong>der</strong>“ wollte Mari wissen.<br />

„Außer, wenn du so blöde Fragen stellst, dann bin ich das nicht. Mag sein, dass<br />

ich aus den Rollenvorgaben auch das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e übernommen habe, das<br />

mir sagt, welche Gefühle ich dabei zu haben hätte, aber ziemlich deutlich ich<br />

selbst bin ich in meinen Gefühlen doch immer schon gewesen <strong>und</strong> geblieben.<br />

Ich erinnere mich daran, dass ich als kleines Kind mit meiner Mutter schon<br />

eine Gr<strong>und</strong>satzdiskussion über den Schönheitsbegriff hatte. So habe ich das<br />

zwar nicht gesehen, aber als sie mir erklären wollte, dass ein an<strong>der</strong>es Kleid<br />

schöner aussehe, habe ich ihr klar gemacht, dass sie das doch nicht<br />

entscheiden könne. Was ich als schöner empfinde, könne nur ich selbst wissen.<br />

Aber es stimmt schon, unglücklich o<strong>der</strong> trist habe ich mich nie empf<strong>und</strong>en.<br />

Selbst mit dir nicht. Was müsste ich als arrivierte, angepasste Stu<strong>die</strong>nrätin,<br />

Hausfrau <strong>und</strong> Mutter jetzt wohl für Seelenqualen erleiden. Die würden alle<br />

Qualen <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> übersteigen.“ erklärte ich. Den Wein spürte ich, aber<br />

beschwipst war ich nicht. In Maris Wohnung mussten wir uns nach <strong>der</strong><br />

gelungenen neuen Tat, gemeinsam essen zu gehen, zuerst mal umarmen.<br />

Mari, versuchte, mir dabei auf dem Rücken das Kleid zu öffnen. „Lass das!“<br />

fauchte ich ihn an. „Entschuldigung, <strong>Susa</strong>, ich wusste doch nicht, du musst es<br />

schon sagen, was du willst.“ Mari darauf. „Ich weiß es doch auch nicht. Was<br />

soll ich denn tun“ ich dazu. Mari lachte laut <strong>und</strong> umfing mich. Wir ließen uns<br />

auf's Bett fallen. „Aber <strong>Susa</strong>, es gibt doch nichts <strong>und</strong> niemanden, <strong>der</strong> uns<br />

sagen könnte, was wir zu tun hätten o<strong>der</strong> tun sollten. Es ist doch klar, dass wir<br />

nur das tun, was uns beiden gefällt <strong>und</strong> was wir beide wollen.“ erklärte Mari.<br />

„Aber das weiß ich doch gar nicht. Ich weiß doch gar nicht, was ich will. Wie<br />

damals, das steht im Hintergr<strong>und</strong>, aber du kannst so etwas doch nicht<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 42 von 52


wie<strong>der</strong>holen, <strong>und</strong> das will ich auch gar nicht versuchen. Und einfach mit dir Sex<br />

haben, wie man es so macht, das will ich auf keinen Fall. Das würde alles<br />

zerstören, dann wollte ich nichts mehr mit dir zu tun haben. Am besten, ich<br />

fahre wie<strong>der</strong> nach Hause.“ erklärte ich. „Es war schon göttlich damals. Das<br />

sehe ich doch auch so, „Wir waren alles <strong>und</strong> wussten nichts mehr, wussten<br />

bloß, dass wir selig waren.“. Aber denk doch nicht daran, es wie<strong>der</strong>holen zu<br />

wollen. Es gibt nichts, das du wie<strong>der</strong>holen kannst. Was wir heute Abend<br />

machen, wird auf jeden Fall etwas an<strong>der</strong>es sein. Du könntest zum Beispiel<br />

gleich sagen: „Ich bin müde. Ich möchte jetzt schlafen.“ Dann wäre es so. Was<br />

auch geschieht, alles ist doch in Ordnung, nur vergiss, bitte, dass du gehen<br />

könntest. „Jede St<strong>und</strong>e mit dir ist ein Baum voll zärtlicher Blumen.““ sagte<br />

Mari. Für mich war es ja nicht an<strong>der</strong>s. Selbstverständlich wollte ich bei Mari<br />

bleiben. Durch seine Stimme <strong>und</strong> seine Worte legten sich meine hysterischen<br />

Anwandlungen auch allmählich <strong>und</strong> machten einem Gefühl neugieriger<br />

Erwartung Platz. „Sag mal, Mari, ich bin ja nicht mehr <strong>die</strong> Jüngste. Wie ist das<br />

denn eigentlich, wirkt mein altern<strong>der</strong> Körper auch erotisch anregend auf dich“<br />

wollte ich wissen. Ein mahnendes „<strong>Susa</strong>!“ war das einzige, was ich als Antwort<br />

erhielt. „Ja, ich meine, du bist doch ein Mann, <strong>und</strong> da reagiert dein<br />

Geschlechtstrieb doch visuell. Ob du mich begehrenswert findest, ist doch<br />

schon davon abhängig, was du siehst.“ fügte ich hinzu. „<strong>Susa</strong>, was reizt dich,<br />

so einen Blödsinn zu reden Unsere Beziehung ist dadurch zustande<br />

gekommen, dass ich dich gesehen habe <strong>und</strong> dachte: „Oh, was für ein scharfes<br />

Lu<strong>der</strong>, an <strong>die</strong> Frau musst du dich unbedingt ranmachen.“. Du tust mir weh,<br />

wenn du so redest. Wir lieben uns doch.“ beschwerte sich Mari. „Der<br />

Geschlechtstrieb spielt dabei gar keine Rolle, meinst du. Es ist nur das Herz.<br />

Mein Geschlechtstrieb hat mich zum Beispiel dazu veranlasst, mir <strong>die</strong>ses Kleid<br />

zu kaufen, um dich damit zum Kopulieren zu animieren.“ erklärte ich. Mari<br />

lachte sich schief. „Und damit bist du immer noch beschäftigt. Deshalb willst<br />

du das Kleid auch nicht ausziehen.“ vermutete Mari lachend. „Du frecher<br />

Lümmel, willst mich auf den Arm nehmen, na warte.“ reagierte ich <strong>und</strong> wollte<br />

mit Mari kämpfen. Aber im Liegen ging das gar nicht. Ich kletterte auf Mari <strong>und</strong><br />

kitzelte ihn. „<strong>Susa</strong>a!“ flehte er nur im Lachen. „Wehr dich doch. Ich denke du<br />

bist so ein kräftiger Kämpfer.“ for<strong>der</strong>te ich ihn auf. Das Kleid störte. Ich zog es<br />

aus <strong>und</strong> warf es auf den Boden. „Mit deinem Bru<strong>der</strong> hast du früher bestimmt<br />

nie gekämpft, weil du sowieso <strong>der</strong> Schwächere warst. Dir fehlen nicht nur Kraft<br />

<strong>und</strong> Stärke, dir fehlt auch <strong>der</strong> Kampfgeist.“ erklärte ich. Wir lachten beide <strong>und</strong><br />

ich ließ mich auf Mari runterfallen. „Aber du bist auch eine kämpferische Frau<br />

mit <strong>der</strong> Lust, zu siegen, nicht wahr“ meinte Mari immer noch halb lachend.<br />

„Fängst du schon wie<strong>der</strong> an Wenn wir schon nicht miteinan<strong>der</strong> schlafen,<br />

kannst du mich auch ruhig ärgern, meinst du.“ erwi<strong>der</strong>te ich. „Gar nichts<br />

meine ich. Ich bin einfach glücklich, dass wir zusammen sein können. Ich trau<br />

mich gar nicht, es zu sagen, aber dein Kleid jetzt gefällt mir noch viel besser<br />

als das, welches du dir extra für unser Essen gekauft hast. <strong>Susa</strong>, du bist<br />

w<strong>und</strong>ervoll.“ erklärte Mari. „Siehst du, ich sag's ja, also doch ein Mann. Ja,<br />

gefällt dir mein Set denn Findest du <strong>die</strong> kleinen Stickereien süß Mari, es geht<br />

dir darum, das ich fast nackt bin.“ klärte ich ihn auf. „Und das ist verboten, das<br />

darf nicht sein. Das ist sexistisch, unmoralisch <strong>und</strong> vielleicht sogar<br />

frauenfeindlich. Heute soll das Körperliche mit unserer Liebe nichts zu tun<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 43 von 52


haben. Für heute existiert <strong>die</strong> reine Liebe nur im Herzen o<strong>der</strong> in den Wolken.<br />

<strong>Susa</strong>, wir lieben doch alles an uns, das weißt du doch. So kennen wir uns<br />

doch.“ belehrte mich Mari. Ich war noch nicht frei, nicht entspannt, nicht offen<br />

genug. Ich war noch in <strong>der</strong> Alltagswelt gefangen. „Mari, stört es dich, wenn ich<br />

Lust dazu hätte, dass wir beide noch gemeinsam ein paar Gedichte lesen<br />

würden“ fragte ich. Selbstverständlich holte Mari ein Buch. „Aber zieh doch<br />

auch mal dein Hemd aus, dann können wir uns beide dabei streicheln.“<br />

empfahl ich. Unter an<strong>der</strong>em lasen wir von Max Dauthendey:<br />

„Nur ein Lied färbt <strong>die</strong> Grauseele bunter<br />

Ich setze mich hin untern nächstbesten Busch<br />

Und sing's Blau mir vom Himmel herunter<br />

Nur ein Lied färbt <strong>die</strong> Grauseele bunter.<br />

Aus dem Grautag, in welchen <strong>die</strong> Sorge öd weint,<br />

Wird ein Blautag, sobald nur ein Lied hell erscheint;<br />

Die verstockteste Wolke wird munter.<br />

Wo ein Liebeslied rot wie <strong>die</strong> Sonne aufgeht,<br />

Jede Wange frohleuchtend voll Herzblut dasteht.<br />

So ein Rot geht dann schwer mehr herunter.“<br />

Dabei streichelten wir uns <strong>und</strong> Mari küsste mich überall, bis wir uns schließlich<br />

ganz auszogen, ins Bett gingen <strong>und</strong> uns weiter streichelten <strong>und</strong> küssten. Wohlig<br />

<strong>und</strong> glücklich empfanden wir uns. Nichts drängte. Die Lust <strong>und</strong> Erregung<br />

kam auch, aber erst viel später. Offensichtlich brauchte ich Liebesgedichte um<br />

mit Mari Lustempfindungen entwickeln zu können. Am w<strong>und</strong>ervollsten war es,<br />

dass wir nachher aneinan<strong>der</strong> gekuschelt beseelt einschlafen konnten. Mari<br />

schlief noch, als ich wach wurde. Aufstehen <strong>und</strong> ihn schlafen lassen Niemals.<br />

Er sollte mich doch sehen, wenn er seine Augen aufschlug. Dafür sorgte ich,<br />

indem ich ihn sanft streichelte. Ganz kurze Verblüffung, bevor seine Augen<br />

glänzten <strong>und</strong> seine Mimik ein breites Lächeln formte. „Mein Liebster, hallo, hallo,<br />

hier ist <strong>die</strong> Welt. In welchen Traumlanden bist du denn gewesen“ fragte ich<br />

als erstes. Ein „Weiß nicht.“ bekam ich mit krächzen<strong>der</strong> Schlafstimme als Antwort.<br />

Der Mari, <strong>der</strong> gerade wach wurde, war jemand an<strong>der</strong>s für mich geworden.<br />

Welche Distanzen es bislang noch gegeben haben könnte, wusste ich gar<br />

nicht, aber jetzt gehörte Mari wirklich ganz zu mir. Vielleicht ist <strong>die</strong> Bezeichnung<br />

'miteinan<strong>der</strong> schlafen' ja gar nicht so falsch. Ob man miteinan<strong>der</strong> Sex gehabt<br />

hat, ist gar nicht das Entscheidende, son<strong>der</strong>n dass du an deinen Liebsten<br />

gekuschelt schlafend <strong>die</strong> Nacht verbracht hast. Niemals bist du so schutzlos,<br />

offen <strong>und</strong> verletzbar wie beim Schlafen, <strong>und</strong> so begibst du dich vertrauensvoll<br />

in <strong>die</strong> Arme deines Geliebten. Vielleicht ein viel direkteres <strong>und</strong> intimeres Erlebnis<br />

als beim Sex. Jedenfalls kam es mir an <strong>die</strong>sem Morgen so vor, als ob es so<br />

sein müsse. Wir schmusten noch ein wenig. Wonnegefühle wollen von Wärme,<br />

Sanftheit <strong>und</strong> zarten taktilen Genüssen begleitet sein. Als wir aufgestanden<br />

waren, berührten wir uns manchmal, blicken uns an <strong>und</strong> lächelten. Verliebte,<br />

das waren wir schon, darüber brauchte man nicht zu reden, aber vor allem<br />

waren wir <strong>die</strong> zwei Mitglie<strong>der</strong> des Geheimb<strong>und</strong>es, <strong>die</strong> sowieso alles wussten<br />

<strong>und</strong> sich nur anzuschauen brauchten. Das Stadium, dass Menschen zur Pflege<br />

ihrer Beziehung kommunikativ Worte miteinan<strong>der</strong> wechseln müssen, hatten wir<br />

überw<strong>und</strong>en. Für <strong>die</strong> Weichheit, Milde <strong>und</strong> Sensitivität <strong>der</strong> Liebe war unsere<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 44 von 52


Alltagssprache viel zu harsch, rau, hart <strong>und</strong> blechern. Sie hatte zwar eine lange<br />

etymologische Entwicklung, aber wie wir sie heute anwandten, das entsprach<br />

unserem kapitalistischen, technologisierten Alltag. Es müsste eine eigene<br />

Sprache <strong>der</strong> Liebe geben. Die gab es ja auch in den Liebesgedichten, o<strong>der</strong> wie<br />

wir jetzt sprachen, wenn wir uns Notwendiges mitzuteilen hatten. „Mari, mon<br />

amour, würdest du mal, bitte, so lieb sein, <strong>und</strong> mir <strong>die</strong> Marmelade<br />

rüberreichen.“ sagte ich halb laut <strong>und</strong> in geschwungener Melo<strong>die</strong>. Nach dem<br />

Frühstück schlug ich Mari vor: „Hättest du auch Lust, ein wenig spazieren zu<br />

gehen“ Na klar, hatte er. In <strong>der</strong> Nähe war ein kleiner, parkähnlicher,<br />

verwil<strong>der</strong>ter Wald. „Oh, das geht nicht. Ich habe ja gar keine Schuhe dabei.“<br />

fiel mir ein. Eine große Reisetasche hatte ich Idiotin für <strong>die</strong> eine Nacht<br />

mitgenommen, aber an Schuhe nicht gedacht. Mit dicken Wollsocken passte<br />

mir ein Paar von Maris Turnschuhen, aber es war doch besser mit zu großen<br />

Schuhen durch den Wald zu latschen, als mit meinen Stilettos durch den Wald<br />

zu stöckeln. Zuerst schwiegen wir auch beim Laufen. „Sag mal, Mari, weißt du<br />

eigentlich genau, wieso es dazu kommt, dass immer speziell ein Mann <strong>und</strong> eine<br />

Frau sich anziehend finden <strong>und</strong> zusammenkommen“ wollte ich wissen. „Na,<br />

<strong>der</strong> Geschlechtstrieb, du weißt schon, <strong>der</strong> hat <strong>die</strong> einzige Funktion, den<br />

Menschen Lust, sich zu vermehren, zu vermitteln. Und wenn du einen Mann<br />

triffst, erkennt dein Geschlechtstrieb „Ah, mit dem wäre es möglich.““ wusste<br />

Mari. Hätte ich ihn ausschimpfen sollen für so eine blöde Antwort Sonst hätte<br />

ich das vielleicht getan, aber heute ging so etwas gar nicht. Mari durfte alles.<br />

„Ich will aber nicht mit allen Männern ficken, nur mit dir, <strong>und</strong> mit dir wollte ich<br />

es ja auch überhaupt nicht. Trotzdem haben wir uns kennengelernt <strong>und</strong><br />

Interesse aneinan<strong>der</strong> entwickelt.“ erklärte ich. „Willst du wirklich ernsthaft<br />

darüber reden, <strong>Susa</strong>“ fragte Mari. „Ja, ich finde es schon son<strong>der</strong>bar. Genauso<br />

gut hätte da eine Frau neben mir an <strong>der</strong> Kaffeemaschine gestanden, hätte ich<br />

<strong>die</strong> auch angequatscht Aber nein, es musste ein Mann sein. Hätte ich ahnen<br />

können, was sich daraus entwickelt, ich hätte dich gemieden wie <strong>die</strong> schwarze<br />

Galle, <strong>und</strong> trotzdem bekomme ich sogar auf einmal Lust, dich zu küssen. Das<br />

kann doch nicht alles Zufall sein.“ antwortete ich. „Du meinst, das Schicksal<br />

o<strong>der</strong> <strong>die</strong> Vorsehung haben es so gewollt.“ blödelte Mari. „O<strong>der</strong> magische<br />

Kräfte, nicht wahr. Mari, ich hätte das niemals gewollt <strong>und</strong> auch nicht für<br />

möglich gehalten, <strong>und</strong> trotzdem ist es geschehen. Das kann ich nicht<br />

begreifen.“ erklärte ich. „<strong>Susa</strong>, bei allem, was dir Spaß macht, was dir gefällt,<br />

woran du Lust hast, auch am Kuchenbacken, ist <strong>die</strong> Libido <strong>der</strong> Motivator. Wenn<br />

es sich um einen Mann handelt, <strong>und</strong> dabei sollten erotische o<strong>der</strong> sexuelle<br />

Assoziationen entstehen, das erfährst du gar nicht. Das machen deine<br />

limbischen Operatoren ohne Beteiligung des Cortex unter sich aus. Dein<br />

Bewusstsein bleibt völlig unberührt, aber handeln wirst du doch entsprechend.“<br />

erläuterte Mari. „Aha, ich tue etwas, was ich gar nicht will, <strong>und</strong> kann es<br />

trotzdem nicht verhin<strong>der</strong>n, weil mein limbisches System statt ich selbst für<br />

mich entscheidet, was zu geschehen hat“ hatte ich Mari verstanden. „Ach wo,<br />

du konntest doch je<strong>der</strong>zeit sagen: „Ich will es nicht.“ <strong>und</strong> Schluss machen.<br />

„Das geht mir zu weit.“ hättest du nach dem ersten Kuss sagen können. Dein<br />

Bewusstsein ist allerdings nur ein kleiner Teil von dir, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Entscheidungen<br />

für dein Handeln stammen meistens von <strong>der</strong> gesamten <strong>Susa</strong>.“ antwortete Mari.<br />

„Mein Bewusstsein, das mir sagt, wer ich bin <strong>und</strong> was ich will, wo alle meine<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 45 von 52


Werte, Ansichten, Meinungen <strong>und</strong> Normen beheimatet sind, alles nichts wert,<br />

meinst du, vielleicht sieht deine gesamte <strong>Susa</strong> es ganz an<strong>der</strong>s“ verstand ich<br />

ihn. „Nein, keinesfalls, dein Bewusstsein ist doch dein höchstes Gut. Etwas<br />

an<strong>der</strong>es zum Denken hast du doch nicht. Nur du kannst dir selbst manchmal<br />

Regeln <strong>und</strong> Zwänge auferlegen, bei denen es zu Disharmonien mit deinen<br />

wirklichen Bedürfnissen kommt. Dass geschieht äußerst häufig, aber es ist<br />

nicht gut. Du kannst krank davon werden, meistens psychisch aber auch alles<br />

an<strong>der</strong>e ist möglich.“ erklärte Mari. „Du meinst, es war wichtig, dass ich unsere<br />

Beziehung zugelassen habe, sonst wäre ich möglicherweise krank geworden.<br />

Die Liebe, welch ein W<strong>und</strong>er, sie beschert uns nicht nur das tiefste Glück,<br />

son<strong>der</strong>n sorgt auch dafür, dass wir ges<strong>und</strong> bleiben.“ staunte ich <strong>und</strong> Mari<br />

lachte.<br />

Liebe älter als Denken<br />

Kathi wich nicht von meiner Seite, als ich nach Hause kam. Sie schaute mich<br />

mit glänzenden Augen an <strong>und</strong> grinste. „Kathi, was willst du wissen Du wärst<br />

am liebsten dabei gewesen, nicht wahr Beim nächsten mal da machen wir das<br />

so. „Niemals ohne meine Tochter.“ werde ich zu Mari sagen. Kathi lachte <strong>und</strong><br />

griff mir in <strong>die</strong> Seite. „Komm wir legen uns mal hin.“ for<strong>der</strong>te sie mich auf. Auf<br />

ihrem Bett beugte sie sich über mich <strong>und</strong> fragte: „War's schön Bist du glücklich“<br />

Ich antwortete mit meiner Mimik. Dann besprach sie mit mir nochmal alles<br />

zur Liebe <strong>und</strong> wollte wissen, warum ich Mari liebe. „Kathi du bist eine kluge,<br />

junge Frau, da hat <strong>der</strong> Mari schon Recht, aber mit deiner Mutter sieht's arg<br />

aus. Ich liebe meinen Mann, ich liebe meinen Sohn, ich liebe meine Tochter<br />

<strong>und</strong> ich liebe Mari <strong>und</strong> weiß bei keinem warum.“ erklärte ich. Kathis Schmunzeln<br />

<strong>und</strong> ihre Augen sagten, dass sie nähere Erläuterungen dazu erwartete.<br />

„Dass es für alles einen Gr<strong>und</strong>, eine Ursache gibt, nach denen man mit warum<br />

fragen kann, das hast du als kleines Kind schon gelernt, damit bist du aufgewachsen.<br />

Das ist aber kein Naturgesetz, son<strong>der</strong>n <strong>die</strong> Menschen haben sich<br />

überlegt, dass unser Denken so am besten funktioniert. Die Liebe ist aber<br />

schon viel, viel älter. Sie muss schon bei <strong>der</strong> Urmutter aller Menschen gewesen<br />

sein, denn alle Menschen, <strong>die</strong> heute irgendwo auf <strong>der</strong> Welt leben, wollen geliebt<br />

werden <strong>und</strong> liebe geben, genauso wie sie sich freuen o<strong>der</strong> traurig sein<br />

können. Liebe gehört zum Menschen, wie Augen, Ohren, Nase <strong>und</strong> M<strong>und</strong>. Um<br />

<strong>die</strong> Regeln unseres Denkens mit 'warum' <strong>und</strong> 'weil' schert <strong>die</strong> Liebe sich nicht.<br />

Sie ist einfach da. Wenn einer sagt, er wüsste, warum er seine Frau liebt, dann<br />

lügt er, o<strong>der</strong> er liebt sie nicht wirklich, o<strong>der</strong> er redet dummes Zeug.“ erläuterte<br />

ich. Über <strong>die</strong> Angelegenheit mit dem Sex musste ich auch noch mal mit ihr reden.<br />

Vehement hätte ich es abgestritten, dass meine Sexualität <strong>und</strong> mein Sexualverhalten<br />

etwas mit Rollenvorgaben <strong>der</strong> Allgemeinheit zu tun haben könnten.<br />

Das wäre ausschließlich ich selbst persönlich, so meinte ich. Jetzt wusste<br />

ich es besser. Im Gr<strong>und</strong>e selbstverständlich, was du über Sex weißt, <strong>und</strong> welche<br />

Einstellung du dazu hast, kommt ja nicht aus den Wolken, du hast es doch<br />

übernommen, von dem, was du von an<strong>der</strong>en erfahren hast. Trotzdem empfand<br />

ich es keineswegs als schlecht <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gefühle dabei, waren auch nicht nachgemacht.<br />

Bestimmt war ich auch ein wenig versunken, aber <strong>der</strong> Alltag war nie<br />

völlig ausgeblendet. Paddeln in seichten Gewässern eben, wie Mari das Leben<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 46 von 52


<strong>der</strong> meisten Menschen beschrieb. Aber wie sollte ich Kathi denn erklären, wie<br />

es zu erfülltem Sexualerleben käme Das wusste ich ja selbst nicht genau. Man<br />

müsse sich nur extensiv wie möglich lieben <strong>und</strong> gemeinsam leben wollen, dann<br />

geschähe es schon von selbst etwa Was sollte das denn heißen Nach dem<br />

Examen würde Mari sich um eine Anstellung bewerben müssen. Er konnte zwar<br />

Wünsche äußern, aber er hatte keine Frau, keine Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> keine kranken Eltern,<br />

ihn würde man dahin schicken, wo sonst keiner hin wollte. Einmal im Monat<br />

würden wir uns treffen. Zunächst noch große Freudenfeste, aber mit <strong>der</strong><br />

Zeit würde es sich entwickeln zu Besuchen wie <strong>die</strong> von Tante <strong>und</strong> Onkel. Mari<br />

würde eine nette Kollegin kennenlernen, <strong>die</strong> sich auch in <strong>der</strong> Ödnis einsam<br />

fühlte, <strong>und</strong> <strong>die</strong> er jeden Tag traf. Wir würden uns noch schreiben, bis Mari eines<br />

Tages erklären würde, dass unsere Beziehung ja sowieso keine Perspektive<br />

hätte. Horrorvorstellungen, aber durchaus nicht unmöglich. Überall ließe sich<br />

so etwas entwickeln. Wie gut, dass du nicht ständig daran denkst, was<br />

Schreckliches geschehen könnte. Es würde dich verrückt machen, aber wenn<br />

es dann doch geschähe, würde es dich erschüttern o<strong>der</strong> sogar zerbrechen. Mari<br />

musste hier bleiben. Liebe lebt vom Austausch, vom gegenseitigen Erleben,<br />

mit Briefen vom Lande reichte das nicht. Zu Isabella hatte ich eine hervorragende<br />

Beziehung. Sie war Mitglied im Personalrat <strong>und</strong> verstand sich mit dem<br />

Chef gut. Den wahren Gr<strong>und</strong> musste ich ihr schon nennen. Sie schmunzelte<br />

nur. „Wegen Deutsch, das wäre ja Unsinn, aber Philosophie <strong>und</strong> Ethik, das hat<br />

doch niemand als Fach. Im Gr<strong>und</strong>e unzumutbar, dass <strong>die</strong> Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler in Philosophie nur Unterricht von fachlich nicht qualifizierten Kollegen<br />

erhalten. Wenn es ein Gymnasium gibt, das Mari Neuber als Lehrer braucht,<br />

dann ist es unseres.“ erklärte ich. „Und ich soll dem Chef klar machen, dass er<br />

sich dringend beim Regierungspräsidenten dafür einsetzen soll“ vermutete<br />

Isabella, „Weißt du denn, ob er den Neuber persönlich mag“ „Mari Der kann<br />

doch gar keine Feinde haben. Der versteht sich doch sogar mit Lore Stegmüller<br />

gut.“ erklärte ich. Isabella versprach, es zu versuchen. Ob, wie <strong>und</strong> wie intensiv<br />

sich <strong>der</strong> Chef für Mari einsetzen würde, <strong>und</strong> wie groß <strong>die</strong> Erfolgschancen<br />

wären, sei alles offen. Man könne nur abwarten. Noch vorm Ende des Referendarjahrs<br />

begrüßte <strong>der</strong> Chef Mari launig mit 'Herr Kollege' „Ich habe mit dem<br />

Struck vom RP gesprochen. Zuerst wollte er nicht wegen <strong>der</strong> Unterbesetzung<br />

an vielen Orten. Dann hat er sich aber doch darauf eingelassen. Eine Schule<br />

ganz ohne Philosophen, das geht doch nicht. Zumal so eine große wie unsere.<br />

Er hat es mir zugesagt, <strong>und</strong> ich bin mir sicher, dass wir uns darauf verlassen<br />

können.“ Mari sagte, er hätte sich nur schwer zurückhalten können, dem Chef<br />

um den Hals zu fallen. Aber wir veranstalteten einen Freudentanz.<br />

Gefühle <strong>und</strong> Leidenschaften<br />

„Und wenn du jetzt schon bei uns an <strong>der</strong> Schule bist, willst du da nicht auch zu<br />

uns ziehen“ fragte ich ganz ernst. Mari lachte sich schief. „Das wäre ja auch<br />

absolut unmöglich, dass wir beide zusammenleben würden. Stell dir vor, jeden<br />

Abend <strong>die</strong>ses Theater.“ wusste ich. „Aber, <strong>Susa</strong>, wir würden doch jeden Abend<br />

alles ganz an<strong>der</strong>s machen.“ wollte mich Mari beruhigen. „Ach ja Wie machen<br />

wir's denn jetzt Wir machen doch nix, es kommt doch einfach irgendwie so.“<br />

sah ich es. „Trotzdem wird es immer neu <strong>und</strong> an<strong>der</strong>s sein, weil du nie <strong>die</strong> Glei-<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 47 von 52


che von gestern bist.“ kommentierte Mari. „Hast du dem Chef nicht gesagt,<br />

dass es so auch dringend erfor<strong>der</strong>lich sei, weil sonst unser Glück Schaden nähme<br />

<strong>und</strong> unser Ges<strong>und</strong>heit ruiniert würde“ wollte ich von Mari wissen, aber <strong>der</strong><br />

schmunzelte nur. „Unser Glück ist nicht in Beton gegossen <strong>und</strong> immer unverän<strong>der</strong>lich.“<br />

bemerkte ich. „Du hast Recht, Glück ist eher flüchtig <strong>und</strong> vergänglich.“<br />

meinte Mari. „Weißt du, was ich geträumt habe Du wärst ganz weit<br />

draußen auf dem Lande. Unsere Besuche würden immer seltener <strong>und</strong> unbedeuten<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> nette Kollegin an deiner neuen Schule immer bedeutsamer,<br />

bis du mir eines Tages sagtest: „<strong>Susa</strong>, ich brauche dich nicht mehr.““ erzählte<br />

ich. „<strong>Susa</strong>, hör auf! Warum denkst du dir solche Horrorgeschichten aus Es<br />

kommt ganz an<strong>der</strong>s. Du hast eine Abiturklasse, bist total beschäftigt, es gibt<br />

unerwartete, massive Probleme mit den Kin<strong>der</strong>n, um <strong>die</strong> du dich kümmern<br />

musst, an mich denkst du kaum noch. Eines Tages sagst du: „Mari, lass uns<br />

Schuss machen. Ich habe dafür gar keine Zeit mehr.““ erklärte Mari. Wir<br />

drückten uns fest <strong>und</strong> legten <strong>die</strong> Wangen aneinan<strong>der</strong>. „Oh, wie grässlich könnte<br />

das Fatum sein. Du hast schon Recht, man befragt es besser nicht. Soll ich<br />

dir mal sagen, wie's wirklich wird Ich bin fast neunzig <strong>und</strong> sitze zitternd im<br />

Großmuttersessel. Du kommst von <strong>der</strong> Schule <strong>und</strong> bist gerade pensioniert worden.<br />

Ein Tütchen gebrannte Mandeln hast du mir mitgebracht, weil ich <strong>die</strong> doch<br />

so gerne mag. Aber zunächst müssten wir uns natürlich küssen. Dabei wären<br />

wir so versunken <strong>und</strong> verwegen, dass <strong>der</strong> ganze Großmuttersessel mit mir umkippte.“<br />

erzählte ich. „Ist das denn schöner. Ich mag so etwas nicht denken.<br />

Mir ist unser Glück hier <strong>und</strong> jetzt wichtiger <strong>und</strong> lieber.“ erklärte Mari. „Und das<br />

schützt uns davor, dass <strong>die</strong> Liebe morgen zerbricht“ bezweifelte ich. „Nein,<br />

<strong>die</strong> Liebe ist kein Zustand, <strong>die</strong> Liebe lebt, sie ist jeden Tag neu, so wie je<strong>der</strong><br />

Tag an<strong>der</strong>s ist, <strong>und</strong> ich versuche, dafür zu sorgen, dass mich je<strong>der</strong> Tag ein wenig<br />

glücklicher macht.“ sagte Mari. „Und bei <strong>der</strong> Liebe sollte man versuchen,<br />

jeden Tag ein wenig verliebter zu sein Und wie geht das“ wollte ich wissen.<br />

Mari lachte sich schief. „Das weiß ich auch nicht Immer verliebter mit dem<br />

Ziel: Liebeswahn Nein, wir sollten unsere Liebe pflegen durch gegenseitigen<br />

Austausch, wonach es uns ja auch drängt, damit wir uns immer tiefer verstehen<br />

<strong>und</strong> unsere Liebe noch prof<strong>und</strong>er wird, aber ich denke auch, dass möglichst<br />

viel gemeinsames, liebevolles Handeln stattfinden sollte.“ so Mari. „Gemeinsam<br />

Pfannkuchen backen, nicht wahr“ nannte ich als Beispiel, <strong>und</strong> Mari<br />

schmunzelte, „Ich denke, wir brauchten eine gemeinsame Aufgabe. Das wäre<br />

verbinden<strong>der</strong>. Du hast doch Kraft <strong>und</strong> willst deine Feinde besiegen. Was hin<strong>der</strong>t<br />

dich daran, deinen ärgsten Feind, den Kapitalismus, zu bekämpfen Ich<br />

wäre absolut dabei.“ erklärte ich. Mari lachte sich erst mal wie<strong>der</strong> krumm. „Ja,<br />

das machen wir.“ scherzte Mari, „Dereinst wird man dann sagen: „<strong>Susa</strong>nna<br />

<strong>und</strong> Marian, waren das nicht <strong>die</strong> beiden, <strong>die</strong> den Kapitalismus abgeschafft haben“.<br />

<strong>Susa</strong>, „Frei ist nur <strong>der</strong> Mensch, <strong>der</strong> innerlich frei ist, <strong>und</strong> nur das tut,<br />

was <strong>die</strong> Vernunft wählt.“ sagt Epikur. Hätte unser Vorhaben denn etwas mit<br />

Vernunft zu tun“ „Hah, du sagst, wir sind nicht frei, bei den gesellschaftlichen<br />

Verhältnissen, unter denen wir gezwungen sind, zu leben. Der glückliche<br />

Mensch ist ein durch Gefühle <strong>und</strong> Leidenschaften bewegtes <strong>und</strong> gesteuertes<br />

Wesen. Was sagt dir denn deine Vernunft Ist dir das unter unseren<br />

Daseinsformen möglich Wird dir dein f<strong>und</strong>amentales Bedürfnis, Lehrer sein zu<br />

dürfen, erfüllt Unter uns beiden existiert eine an<strong>der</strong>e, freie Gesellschaft, aber<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 48 von 52


für dein übriges Leben hast du vergessen, dass es <strong>die</strong> Möglichkeit einer freien<br />

Gesellschaft geben könnte. Ich habe erst durch dich erfahren, wie ein an<strong>der</strong>es<br />

Leben aussehen würde. Wir sollten versuchen, es auch auf an<strong>der</strong>e Bereiche<br />

auszudehnen, uns dessen bewusst sein, <strong>und</strong> es als Steigerung unserer Liebe<br />

ansehen, wenn es uns wie<strong>der</strong> irgendwo gelungen ist, <strong>die</strong> affirmative Kraft des<br />

eindimensionalen Denkens zu überwinden.“ schlug ich vor. „Du möchtest nicht<br />

mehr <strong>die</strong> Rolle <strong>der</strong> angesehenen Stu<strong>die</strong>nrätin <strong>und</strong> Mutter konkretisieren,<br />

son<strong>der</strong>n willst nur noch dich selbst leben, <strong>die</strong> reine, freie <strong>Susa</strong>nna.“ vermutete<br />

Mari nicht ganz ernst. „Ja, unsere freien Seelen werden wir in den Wolken<br />

schweben lassen. Mari, das ist doch Quatsch, das geht doch gar nicht. Dich<br />

ohne alles, was du übernommen hast, als puren Engel, so gibt es dich doch<br />

überhaupt nicht. Du hast es selbst gesagt, dass <strong>die</strong>se Gesellschaft, in <strong>der</strong> wir<br />

leben, nicht frei ist, son<strong>der</strong>n es dir nur suggeriert werden soll. Das solltest du<br />

nie vergessen <strong>und</strong> bei allem bedenken. Ich werde nichts mehr einfach<br />

übernehmen, weil man es so macht, son<strong>der</strong>n ich werde immer prüfen, in wie<br />

weit es mit mir, meinen wirklichen Bedürfnissen <strong>und</strong> Gefühlen harmoniert.“<br />

erwi<strong>der</strong>te ich. „Ist es denn schlimm, wenn ich trotzdem manchmal meine, den<br />

Engel in dir zu erkennen“ wollte Mari wissen. „Den Engel, mein Lieber, wie<br />

willst du den denn hier in <strong>der</strong> Alltagsroutine erkennen können Er zeigt sich<br />

doch nur bei unserem Göttlichen im Kokon <strong>der</strong> Sphärenklänge draußen im<br />

Orbit, dachte ich.“ kommentiere ich Maris amouröses Kompliment. „Aber<br />

natürlich, <strong>Susa</strong>, was sich uns gezeigt hat war <strong>die</strong> 'divinae pulchritudinis', <strong>die</strong><br />

göttliche Schönheit, aber <strong>die</strong> Engel bewegen sich unter den Menschen. Mag<br />

sein, dass sie sich manchmal zum Singen in Engelschören treffen, nur in <strong>der</strong><br />

Regel hat je<strong>der</strong> Mensch seinen Engel.“ erwi<strong>der</strong>te Mari. „Mein geliebter Marian,<br />

du gestattest, dass ich eher dazu neige, deine Äußerungen bezweifeln zu<br />

wollen. Ich würde bei den allermeisten Menschen nicht vermuten, dass sich bei<br />

ihnen irgendwo ein Engel verbergen könnte. Und im Übrigen, wo sollte er denn<br />

zum Beispiel bei mir sein“ wollte ich wissen. „Du hast ja Recht, durch ihr<br />

Auftreten, ihre Äußerungen, ihre Verhaltensweisen verhin<strong>der</strong>n viele Menschen,<br />

dass man den Engel in ihnen erkennen kann, ja sie wollen es sogar<br />

ausdrücklich nicht. Ich sehe ihn in dir zum Beispiel als Iphigenie, aber nicht<br />

das Land <strong>der</strong> Griechen mit <strong>der</strong> Seele suchend, son<strong>der</strong>n sie will <strong>die</strong> Liebe von<br />

Marian Neuber in seinem Herzen finden.“ erklärte Mari. „Iphigenie Ich weiß<br />

nicht. Da ist doch alles voll mit Mord <strong>und</strong> Todschlag. Liebe kommt da kaum<br />

vor. Ich sehe deinen Engel eher in dem wirklichen Romeo, <strong>der</strong> vor Sehnsucht<br />

nach <strong>der</strong> Liebe von <strong>Susa</strong> glühend fiebert.“ erwi<strong>der</strong>te ich. „Bei Shakespeare gibt<br />

es aber doch auch überall Tod <strong>und</strong> Mord <strong>und</strong> Greueltaten.“ entgegnete Mari.<br />

„Du hast Recht, Tod o<strong>der</strong> Liebe o<strong>der</strong> Tod <strong>und</strong> Liebe kommen überall vor. Sie<br />

sind eben Emotionen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Menschen am stärksten bewegen.“ wusste ich.<br />

„Wir haben uns für <strong>die</strong> Liebe entschieden, aber wenn du erklärst, dass du mich<br />

nicht mehr liebst, bringe ich mich um.“ erklärte Mari. Ein völlig ernstes<br />

Gespräch war es, wie so oft unter uns, nicht, aber nur abstrus war auch nicht<br />

alles. Einem amourösen Geplänkel kam es gleich. „Mari, Mari, wo wird das<br />

enden. Wir beide wollen uns als gemeinsames Ziel vornehmen, <strong>die</strong> Welt zu<br />

verän<strong>der</strong>n <strong>und</strong> reden über Engelein.“ klagte ich. „<strong>Susa</strong>, wir wollen doch <strong>die</strong><br />

Welt für uns verän<strong>der</strong>n. „Sei du selbst <strong>die</strong> Verän<strong>der</strong>ung, <strong>die</strong> du dir wünschst<br />

für <strong>die</strong>se Welt.“ wie Mahatma Gandhi es bezeichnet hat. Natürlich gibt es als<br />

<strong>Susa</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> 7 <strong>Plagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Endzeit</strong> – Seite 49 von 52


Engelchen <strong>die</strong> kleinen Putten uns alles mögliche drollige, aber Engelhaftes<br />

kann auch eine ganz an<strong>der</strong>e Konnotation haben, es charakterisiert das Reine,<br />

das Gute, das Menschliche in dir. Rose Auslän<strong>der</strong> hat das in einem Gedicht<br />

sehr schön formuliert:<br />

„Der Engel in dir<br />

Der Engel in dir<br />

freut sich über dein<br />

Licht<br />

weint über deine Finsternis<br />

Aus seinen Flügeln rauschen<br />

Liebesworte<br />

Gedichte Liebkosungen<br />

Er bewacht<br />

deinen Weg<br />

Lenk deinen Schritt<br />

engelwärts.“<br />

Der Engel ist es, den ich in dir gesehen habe. Von Sentimentalität keine Spur.<br />

Ich denke es wäre schon wichtig, bei unserer gemeinsamen Aufgabe, auf ihn<br />

zu achten.“ erklärte Mari. Wir schwiegen uns an <strong>und</strong> lächelten. Wahrscheinlich<br />

vermittelten unsere Blicke gerade gegenseitig <strong>die</strong> Eudämonie des jeweils an<strong>der</strong>en.<br />

„Mari, <strong>die</strong> Iphigenie auf Tauris hast du zwar bestimmt schon gesehen. Sie<br />

steht im Theater auf dem Spielplan. Ich würde sie mir gern mit dir anschauen.<br />

Wäre das eher als gemeinsames, liebevolles Handeln o<strong>der</strong> schon als Bewältigung<br />

einer kleinen gemeinsamen Aufgabe anzusehen, was meinst du Goethe<br />

lässt Iphigenie nämlich nicht nur das Land <strong>der</strong> Griechen mit <strong>der</strong> Seele suchen,<br />

son<strong>der</strong>n lässt sie auch gleich zu Anfang schon verkünden: „Der Frauen Zustand<br />

ist beklagenswert.“. Ob Goethe ein Fre<strong>und</strong> sehr früher Feministinnen war Was<br />

sagst du als Germanist dazu“ fragte ich <strong>und</strong> lachte. Mari lachte ebenfalls, umfing<br />

mich <strong>und</strong> drückte mich an sich. „Goethe hat <strong>die</strong> Iphigenie geschrieben,<br />

weil er <strong>die</strong> Frau vom Stein nicht lieben durfte.“ wusste Mari. „Na, siehst du, <strong>die</strong><br />

größeren moralischen Freiheiten können auch einen kulturellen Verfall mit sich<br />

bringen. Welche w<strong>und</strong>ervollen Dramen könnte deine kreative Intelligenz produziert<br />

haben, wenn du mich nicht hättest lieben dürfen. Du hast mir noch nicht<br />

mal ein Gedicht geschrieben, nur vorgelesen.“ bemängelte ich. „Goethe konnte<br />

in seiner Iphigenie zeigen, wie <strong>der</strong> Mensch mit <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> sittlichen Freiheit<br />

zum Urheber seiner Entschlüsse wurde <strong>und</strong> nicht mehr als von den Göttern gelenkt<br />

gesehen wurde, <strong>und</strong> bei <strong>Susa</strong>nna Rebmann müsste ich da heute zeigen,<br />

wie sie ausschließlich von ihren feministischen Intentionen <strong>und</strong> losgelöst von<br />

irgendwelchen Ambitionen bezüglich männlicher Wesen geleitet würde“ wollte<br />

Mari wissen. Gewöhnlich hätten <strong>der</strong>artige Bemerkungen Kampfhandlungen zur<br />

Folge gehabt, aber Mari hielt mich fest <strong>und</strong> begann mir Hals <strong>und</strong> Nacken küssend<br />

mich von hinten zu verspeisen. Je<strong>der</strong> Tag war gleichzeitig <strong>der</strong> Beginn <strong>der</strong><br />

Unendlichkeit <strong>und</strong> faszinierend wie <strong>der</strong> letzte Tag. So lebten wir sie. Voraussagen<br />

darüber, was irgendwann, vielleicht in einer sogenannten <strong>Endzeit</strong> mal sein<br />

würde, galten nicht nur als überflüssig <strong>und</strong> wertlos, son<strong>der</strong>n sie charakterisierten<br />

für uns Hirngespinste irrsinniger Scharlatane.<br />

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FIN<br />

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