Tauernfenster 2007 (7,92 MB)

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09.11.2012 Aufrufe

Im Gespräch Einfach eine Schneise durch den Schnee zu schlagen war unmöglich, obwohl in manchen Wintern bis zu 20 Männer und Frauen zum Schneeschöpfen zwischen Prettau und Kordiler angestellt wurden. Die Stelle zwischen Eissteg und Wasserer Brücke war damals bis weit in den Sommer hinein nur durch den Tunnel befahrbar. Erst Mitte Sommer musste der Schneetunnel zum Einsturz gebracht werden, bevor er von allein zur Gefahr für Autofahrer und Fußgänger geworden wäre. Für diesen Tunnel ist aber der alte Götsch zuständig gewesen. Das waren manchmal schon harte und gefährliche Situationen. Deshalb verstehe ich nicht, warum viele über die Tunnel – auch jetzt über den neuen im Untertal – schimpfen. Das können eigentlich nur Leute sein, die selber nichts mitgemacht haben, im Winter auf der Straße. Einmal, da sind wir in der Klamme beim Kreuzl in die Lawine gekommen. Wir haben gerade dem Carabinieri-Appuntato weiter geholfen, der, weil er nur Sommerreifen hatte, mit seinem 500er hängen geblieben war. Da ging über uns auch eine Lawine nieder. Uns hat es zu den Leitplanken gedrückt, alle unsere Werkzeuge waren im Bach. Der Unimog, den wir mit off enen Türen haben stehen lassen, war mit Schnee wie ausbetoniert. Was würdest du sagen: Warst du eigentlich mehr Straßenarbeiter oder mehr Bauer? Hansl: Straßenarbeiter im eigentlichen Sinn bin ich nie gewesen. Vorarbeiter bei der Straße war lange ’s Goschpo Natzl. Ich bin eigentlich immer nur mit dem Pfl ug gefahren. Direkt bei der ANAS angestellt bin ich nur zehn Jahre gewesen. Lange bin ich gar nur bei Bauern gewesen: zuerst beim Niederwieser, dann zwölf Jahre Knecht beim Wieser und später elf Jahre beim Wasserer. Am längsten bin ich aber bei der Fraktion gewesen, einige Jahre auch bei den Zimmerern. Bauer bin ich eigentlich geworden, als mein Vater (Sebastian Steger, 1880 – 1957) gestorben ist. Dann musste ich daheim übernehmen. Aber zum Leben wäre das zuwenig gewesen. Wir haben damals ja schon fünf Kinder gehabt: Der Hans ist 1943 zur Welt gekommen (gestorben 1993), der Otto 1946 (gestorben 2005), die Waltraud 1947, der Richard 1952 und die Luisa Ende März 1957, einen Tag nachdem das mit dem Vater passiert ist. Allein von der Bauschaft hätten wir nicht leben können. Später, als der Otto dann in den 70er Jahren die Wiese gepachtet und dort das Gasthaus geführt hat, habe ich Feld und Vieh versorgt. Damals habe ich 16, 17 Stück Vieh gehabt. Aber ein richtiger Bauer …? Eigentlich ist man immer arm gewesen. Ich weiß noch, wie ich einmal nicht das Geld gehabt habe, um ein Paar Schuhe zu bezahlen: Der Wegschoad Seppl 122 hat sie mir von Mayrhofen herüber gebracht. Es waren schon gute Bergschuhe, solche der Marke Goisinger. Die haben mir einfach immer gepasst, auch im Winter. Als mir der Seppl die Schuhe gebracht hat, da musste ich sagen: „Mein Lieber, ich kann dir die Schuhe beim besten Willen nicht bezahlen. Ich habe nichts!“ Doch den Seppl hat das nicht beunruhigt. Der hat nur gesagt: „Ich lass dir die Schuhe schon doch da. Die wirst du mir dann schon irgendwann bezahlen.“ Hast du denn nicht regelmäßig Lohn bekommen? Hansl: Bei der Fraktion war das ganz schlecht. Da hat man manchmal auch erst nach einem Jahr ein Geld gesehen. Wir mussten uns aber immer selber verpfl egen. Manchmal hat das Geld nicht mehr gereicht, um das Essen, das wir mitnehmen mussten, zu bezahlen. Was hast du bei der Fraktion gemacht? Hansl: Ich war viel beim Holz. Im Sommer, als ich im Winter dann bei der Straße gefahren bin. Viel war ich aber auch im Steinplattenbruch. Stimmt, die Fraktion hat ja lange einen eigenen Plattenbruch betrieben … Hansl: … und kein schlechtes Geschäft damit gemacht. Einen Plattenbruch hatte der Auer, privat, und einen zweiten die Fraktion. Die hat damals viele Prettauer Platten verkauft. Die Arbeit im Plattenbruch war auch nicht ganz ungefährlich. Man ist zwar meistens angehängt gewesen, aber es gab keine Maschinen: nur einen Flaschenzug, Keile, Schlägel, Handfäustling. Das war alles neben der Seilwinde, mit der wir die Steine hinunter gelassen haben. Einmal, da hat es plötzlich angefangen zu blitzen und wir sind noch recht nah beim Seil gewesen. Da hat es uns schon umgeworfen, den Otto, meinen Buben, und mich. Ja, ja, man hat allerhand mitgemacht, aber schließlich ist doch alles vorüber gegangen. Im Nachhinein kann man sagen: gut vorüber gegangen, ganz gut! Warst du auch im Krieg? Hansl: Ja, zuletzt, acht Monate. Während des Krieges bin ich beim Wieser angestellt gewesen und musste deshalb erst später einrücken. Der Wieser hat da schon einiges zu sagen gehabt. Ich bin dann zur SOD (Südtiroler Ordnungsdienst) gekommen. Zuerst sollten wir Polizeiaufgaben übernehmen: Bahngeleise und Straßen bewachen und solche Dinge. Schließlich mussten wir aber TAUERNFENSTER 2007 auch italienische Soldaten, Partisanen und Deserteure verfolgen. Für die Deutschen sind das damals alles Banditen gewesen. Noch vor der Option musste Johann Steger (4. von links) als italienischer Staatsbürger bei den Alpinisoldaten seinen Militärdienst ableisten – zumindest einen Teil davon; denn durch die Option für Deutschland wurde er davon befreit. Gegen Kriegsende musste er dann für Deutschland einrücken. Auch für dich? Hansl: Was soll ich sagen? Man hat halt Befehle bekommen und geschaut durchzukommen. Zuerst bin ich in Franzensfeste gewesen, zusammen mit dem Pichl Seppile Bahngeleise bewachen. Dann sind wir nach Bassano di Grappa verlegt worden und da wurde es dann schon richtig heiß! Unsere Kaserne war in Cismon und da ist so eine Schlucht gewesen. Eines Nachts, es war kurz nachdem ich als Wache abgelöst worden war, da gab’s eine schreckliche Explosion. Die Banditen haben die ganze Munition gesprengt, die wir im Bunker gelagert gehabt haben. Vor dem Bunker ist ein kleines Häuschen gewesen, das fl og mit in die Luft. Als wir dort hingekommen sind, lagen der Hausvater und seine Frau tot unter den Trümmern. Ein kleines Kind lebte aber noch und hat in der Küche mit dem Schutt gespielt, als wäre nichts passiert. So ein Bild vergisst du nicht mehr! Das waren also die italienischen Partisanen, die da das deutsche Munitionslager gesprengt haben? Hansl: Ja, das ist aber noch nicht alles gewesen: Wir mussten dann die Männer des Dorfes zusammen treiben. Viele von denen sind dann abgeführt und auch umgebracht worden. Das hat den Hass aber erst richtig geschürt. Als es schließlich dem Ende zugegangen ist, haben wir heimlich ausgemacht: „Also, wenn die Banditen kommen, dann ergeben wir uns kampfl os. Wir wehren uns nicht.“ Ja, und dann hat es wirklich TAUERNFENSTER 2007 Hansl bei der deutschen Wehrmacht Im Gespräch nicht mehr lange gedauert, dann sind die Banditen auch wirklich gekommen, eines Nachts in die Kaserne. Der Unteroffi zier, der unter mir geschlafen hat, wollte sich wehren. Doch a Pfnatschl und tot war er! Uns einfache Soldaten haben sie dann hinauf auf den Monte Grappa, alle zusammengepfercht in ein Futterhaus. Überall sind Galgen aufgestellt gewesen. Da ist uns nicht mehr ganz wohl gewesen. Viele Offi ziere sind dort auch umgebracht worden. Wir aber wurden nur entwaff net und vertrieben. Wir sind dann auf und davon, über die Berge heim. 123

Im Gespräch<br />

Einfach eine Schneise durch den Schnee zu schlagen war<br />

unmöglich, obwohl in manchen Wintern bis zu 20 Männer<br />

und Frauen zum Schneeschöpfen zwischen Prettau<br />

und Kordiler angestellt wurden. Die Stelle zwischen Eissteg<br />

und Wasserer Brücke war damals bis weit in den<br />

Sommer hinein nur durch den Tunnel befahrbar. Erst<br />

Mitte Sommer musste der Schneetunnel zum Einsturz<br />

gebracht werden, bevor er von allein zur Gefahr für Autofahrer<br />

und Fußgänger geworden wäre. Für diesen Tunnel<br />

ist aber der alte Götsch zuständig gewesen. Das waren<br />

manchmal schon harte und gefährliche Situationen.<br />

Deshalb verstehe ich nicht, warum viele über die Tunnel<br />

– auch jetzt über den neuen im Untertal – schimpfen.<br />

Das können eigentlich nur Leute sein, die selber nichts<br />

mitgemacht haben, im Winter auf der Straße. Einmal, da<br />

sind wir in der Klamme beim Kreuzl in die Lawine gekommen.<br />

Wir haben gerade dem Carabinieri-Appuntato<br />

weiter geholfen, der, weil er nur Sommerreifen hatte, mit<br />

seinem 500er hängen geblieben war. Da ging über uns<br />

auch eine Lawine nieder. Uns hat es zu den Leitplanken<br />

gedrückt, alle unsere Werkzeuge waren im Bach. Der<br />

Unimog, den wir mit off enen Türen haben stehen lassen,<br />

war mit Schnee wie ausbetoniert.<br />

Was würdest du sagen: Warst du eigentlich mehr<br />

Straßenarbeiter oder mehr Bauer?<br />

Hansl: Straßenarbeiter im eigentlichen Sinn bin ich nie<br />

gewesen. Vorarbeiter bei der Straße war lange ’s Goschpo<br />

Natzl. Ich bin eigentlich immer nur mit dem Pfl ug gefahren.<br />

Direkt bei der ANAS angestellt bin ich nur zehn<br />

Jahre gewesen. Lange bin ich gar nur bei Bauern gewesen:<br />

zuerst beim Niederwieser, dann zwölf Jahre Knecht<br />

beim Wieser und später elf Jahre beim Wasserer. Am<br />

längsten bin ich aber bei der Fraktion gewesen, einige<br />

Jahre auch bei den Zimmerern. Bauer bin ich eigentlich<br />

geworden, als mein Vater (Sebastian Steger, 1880 – 1957)<br />

gestorben ist. Dann musste ich daheim übernehmen.<br />

Aber zum Leben wäre das zuwenig gewesen. Wir haben<br />

damals ja schon fünf Kinder gehabt: Der Hans ist 1943<br />

zur Welt gekommen (gestorben 1993), der Otto 1946 (gestorben<br />

2005), die Waltraud 1947, der Richard 1952 und<br />

die Luisa Ende März 1957, einen Tag nachdem das mit<br />

dem Vater passiert ist. Allein von der Bauschaft hätten<br />

wir nicht leben können. Später, als der Otto dann in den<br />

70er Jahren die Wiese gepachtet und dort das Gasthaus<br />

geführt hat, habe ich Feld und Vieh versorgt. Damals<br />

habe ich 16, 17 Stück Vieh gehabt. Aber ein richtiger<br />

Bauer …? Eigentlich ist man immer arm gewesen. Ich<br />

weiß noch, wie ich einmal nicht das Geld gehabt habe,<br />

um ein Paar Schuhe zu bezahlen: Der Wegschoad Seppl<br />

122<br />

hat sie mir von Mayrhofen herüber gebracht. Es waren<br />

schon gute Bergschuhe, solche der Marke Goisinger. Die<br />

haben mir einfach immer gepasst, auch im Winter. Als<br />

mir der Seppl die Schuhe gebracht hat, da musste ich sagen:<br />

„Mein Lieber, ich kann dir die Schuhe beim besten<br />

Willen nicht bezahlen. Ich habe nichts!“ Doch den Seppl<br />

hat das nicht beunruhigt. Der hat nur gesagt: „Ich lass<br />

dir die Schuhe schon doch da. Die wirst du mir dann<br />

schon irgendwann bezahlen.“<br />

Hast du denn nicht regelmäßig Lohn bekommen?<br />

Hansl: Bei der Fraktion war das ganz schlecht. Da hat<br />

man manchmal auch erst nach einem Jahr ein Geld gesehen.<br />

Wir mussten uns aber immer selber verpfl egen.<br />

Manchmal hat das Geld nicht mehr gereicht, um das Essen,<br />

das wir mitnehmen mussten, zu bezahlen.<br />

Was hast du bei der Fraktion gemacht?<br />

Hansl: Ich war viel beim Holz. Im Sommer, als ich im<br />

Winter dann bei der Straße gefahren bin. Viel war ich<br />

aber auch im Steinplattenbruch.<br />

Stimmt, die Fraktion hat ja lange einen eigenen<br />

Plattenbruch betrieben …<br />

Hansl: … und kein schlechtes Geschäft damit gemacht.<br />

Einen Plattenbruch hatte der Auer, privat, und einen<br />

zweiten die Fraktion. Die hat damals viele Prettauer Platten<br />

verkauft. Die Arbeit im Plattenbruch war auch nicht<br />

ganz ungefährlich. Man ist zwar meistens angehängt gewesen,<br />

aber es gab keine Maschinen: nur einen Flaschenzug,<br />

Keile, Schlägel, Handfäustling. Das war alles neben<br />

der Seilwinde, mit der wir die Steine hinunter gelassen<br />

haben. Einmal, da hat es plötzlich angefangen zu blitzen<br />

und wir sind noch recht nah beim Seil gewesen. Da hat<br />

es uns schon umgeworfen, den Otto, meinen Buben, und<br />

mich. Ja, ja, man hat allerhand mitgemacht, aber schließlich<br />

ist doch alles vorüber gegangen. Im Nachhinein<br />

kann man sagen: gut vorüber gegangen, ganz gut!<br />

Warst du auch im Krieg?<br />

Hansl: Ja, zuletzt, acht Monate. Während des Krieges<br />

bin ich beim Wieser angestellt gewesen und musste deshalb<br />

erst später einrücken. Der Wieser hat da schon einiges<br />

zu sagen gehabt. Ich bin dann zur SOD (Südtiroler<br />

Ordnungsdienst) gekommen. Zuerst sollten wir Polizeiaufgaben<br />

übernehmen: Bahngeleise und Straßen bewachen<br />

und solche Dinge. Schließlich mussten wir aber<br />

TAUERNFENSTER <strong>2007</strong><br />

auch italienische Soldaten, Partisanen und Deserteure<br />

verfolgen. Für die Deutschen sind das damals alles Banditen<br />

gewesen.<br />

Noch vor der Option musste Johann Steger (4. von links) als italienischer<br />

Staatsbürger bei den Alpinisoldaten seinen Militärdienst<br />

ableisten – zumindest einen Teil davon; denn durch die Option für<br />

Deutschland wurde er davon befreit. Gegen Kriegsende musste er<br />

dann für Deutschland einrücken.<br />

Auch für dich?<br />

Hansl: Was soll ich sagen? Man hat halt Befehle bekommen<br />

und geschaut durchzukommen. Zuerst bin ich<br />

in Franzensfeste gewesen, zusammen mit dem Pichl<br />

Seppile Bahngeleise bewachen. Dann sind wir nach Bassano<br />

di Grappa verlegt worden und da wurde es dann<br />

schon richtig heiß! Unsere Kaserne war in Cismon und<br />

da ist so eine Schlucht gewesen. Eines Nachts, es war<br />

kurz nachdem ich als Wache abgelöst worden war, da<br />

gab’s eine schreckliche Explosion. Die Banditen haben<br />

die ganze Munition gesprengt, die wir im Bunker gelagert<br />

gehabt haben. Vor dem Bunker ist ein kleines Häuschen<br />

gewesen, das fl og mit in die Luft. Als wir dort hingekommen<br />

sind, lagen der Hausvater und seine Frau tot<br />

unter den Trümmern. Ein kleines Kind lebte aber noch<br />

und hat in der Küche mit dem Schutt gespielt, als wäre<br />

nichts passiert. So ein Bild vergisst du nicht mehr!<br />

Das waren also die italienischen Partisanen, die da das<br />

deutsche Munitionslager gesprengt haben?<br />

Hansl: Ja, das ist aber noch nicht alles gewesen: Wir<br />

mussten dann die Männer des Dorfes zusammen<br />

treiben. Viele von denen sind dann abgeführt und auch<br />

umgebracht worden. Das hat den Hass aber erst richtig<br />

geschürt. Als es schließlich dem Ende zugegangen<br />

ist, haben wir heimlich ausgemacht: „Also, wenn die<br />

Banditen kommen, dann ergeben wir uns kampfl os.<br />

Wir wehren uns nicht.“ Ja, und dann hat es wirklich<br />

TAUERNFENSTER <strong>2007</strong><br />

Hansl bei der deutschen Wehrmacht<br />

Im Gespräch<br />

nicht mehr lange gedauert, dann sind die Banditen auch<br />

wirklich gekommen, eines Nachts in die Kaserne. Der<br />

Unteroffi zier, der unter mir geschlafen hat, wollte sich<br />

wehren. Doch a Pfnatschl und tot war er! Uns einfache<br />

Soldaten haben sie dann hinauf auf den Monte Grappa,<br />

alle zusammengepfercht in ein Futterhaus. Überall sind<br />

Galgen aufgestellt gewesen. Da ist uns nicht mehr ganz<br />

wohl gewesen. Viele Offi ziere sind dort auch umgebracht<br />

worden. Wir aber wurden nur entwaff net und vertrieben.<br />

Wir sind dann auf und davon, über die Berge heim.<br />

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