Tauernfenster 2007 (7,92 MB)

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09.11.2012 Aufrufe

Im Gespräch – keine lauten Worte, keinen Streit, nicht einmal einen Schrei des Opfers. Erst als der Niederwieser um eine Decke kam, um damit den Toten zuzudecken, hat meine Schwester aus dem Fenster geschaut und die Blutlache gesehen. Der Niederwieser ist dann sofort ins Tal und hat die Carabinieri geholt. In der Zwischenzeit ist mein Vater zu uns herauf auf die Hütte gekommen und hat gesagt, wir sollten uns verstecken, damit nicht noch etwas passiert. Aber das wäre nicht notwendig gewesen: Der Jouggla hat sich widerstandslos abführen lassen. Was hat er gesagt? Was ist mit ihm geschehen? Hansl: Er hat immer nur gesagt, dass er seinen besten Freund erschlagen hat. Mehr nicht. Er ist dann nach Pergine gekommen, in die Anstalt für geisteskranke Menschen. Ich weiß auch nicht, ob es jemals einen Prozess gegeben hat. Auf alle Fälle ist er von Pergine nie mehr zurückgekommen nach Prettau. Das war schon tragisch: Der Pöschta war ja noch jung, hatte Frau und zwei kleine Kinder. Man weiß nicht, was in so einem Menschen vorgeht. Für mich war das damals schon ein Schock. Als Büi bin ich ja Tag und Nacht mit dem Melcha zusammen gewesen, habe immer in der gleichen Schlemme (Liegestatt mit Strohsack) gelegen. So etwas vergisst man nicht mehr! Damals warst du 14 Jahre alt und gerade ausgeschult. War beim Niederwieser deine erste Arbeitsstelle? 120 Schneeräumung mit dem Unimog Hansl: Das schon. Aber ich bin schon mit sieben Jahren von zuhause weg und danach eigentlich nie mehr heim gekommen. Neun Jahre lang war ich Büi beim Niederwieser, Sommer wie Winter. Da habe ich schon viel mitgemacht. Ich habe immer Schafe und Kühe hüten und im Stall helfen müssen. Einmal, weiß ich noch, da sollte ich, als es schon dunkel war, in den Stall, um den Fokkn zi streibn. Da bin ich aus Angst einfach vor der Rähme (Schlafkammer) stehen geblieben und habe gewartet, weil Angst hatte ich eigentlich immer. Als der Melcha dann dahinter gekommen ist, dass ich mich einfach versteckt habe, da hat es freilich Wetter gegeben. Mit 15 Jahren bin ich dann schon mit dem Schneepfl ug gefahren, einem Schneepfl ug aus Holz, vor den vier bis sechs Rosse gespannt waren. Es gab Jahre, da war so viel Schnee, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen: Schneeräumung Anno dazumal In der Baschtl-Zaine, zwischen dem Baschtl und Kasern, war oft gar kein Durchkommen mehr. Wir mussten den Pfl ug aufstellen, um zumindest eine Spur frei zu be- Lawinenabgang am „Eissteg“ kommen. Einmal, da haben wir beim Ebner Futterhaus zwei Meter angesessenen Schnee gemessen – angesessen, nicht Neuschnee! Das muss man sich einmal vorstellen. Du würdest also auch sagen, dass es früher mehr Schnee gegeben hat? TAUERNFENSTER 2007 TAUERNFENSTER 2007 Lawinenabgang an der „Neuen Wehre“ Hansl: Winter mit wenig Schnee, die hat’s schon auch früher gegeben. Aber so oft so wenig wie in den letzten Jahren, das weiß ich eigentlich nie. Und du müsstest es ja wissen. Schließlich hast du viele, viele Jahre die Prettauer Straße geräumt. Hansl: 60 Jahre lang – und nicht nur die Prettauer Straße! 60 Jahre bin ich mit dem Pfl ug gefahren, meistens bis nach Steinhaus. Besonders streng war es, als 1971 der Berg (das Kupferbergwerk) zugetan hat und viele Männer dann in der Fabrik unterkamen. Da bin ich oft um 2 Uhr nachts aufgestanden, um die Straße zu räumen. Als ich dann am Götscheck wieder herein kam, habe ich die ersten Fabrikiler gekreuzt, die schon vor 4 Uhr früh zur Hansl beim Wieser Futterhaus Arbeit sind. Damals sind sie ja noch alle mit Privatautos hinaus. Ein Postauto für die Fabrikarbeiter wurde erst Jahre später eingesetzt. Ja, ja das war oft nicht einfach. Heute frage ich mich oft, wie das alles gegangen ist, früher. Denn daneben habe ich ja immer auch noch Vieh gehabt, bis zu sieben Stück Kühe. Im Gespräch Kannst du dich noch erinnern, wann du von den Pferden auf den Traktor bzw. auf den Unimog umgestiegen bist? Hansl: Nein, genau das Jahr weiß ich nicht mehr. Das war eigentlich ein Zufall. Der Wiesa Otto hat damals einen Unimog bestellt. Als er ihn aber in Bozen abholen sollte, konnte er ihn nicht auslösen, nicht bezahlen. So haben der Luggile Seppl, der Baschtl Lois, der Zitturi Seppl und ich uns zusammengetan und haben den Unimog ausgelöst. Wie kommt ein Baschtl Lois dazu, einen Unimog zu kaufen, wenn er doch keinen Führerschein hat? Hansl: Das hatten wir alle nicht – außer dem Zitturi, der hatte vielleicht damals schon das Patent. Was meint ihr, wie viel ich mit dem Unimog gefahren bin ohne Patent, auch nach Weißenbach und Rein? Wohl an die 40 Jahre bin ich ohne Patent gefahren. Wann hast du dann den Führerschein gemacht? Hansl: Ja, überhaupt nie! Wie? Du hast bis in die 1980er Jahre mit schwerem Gerät die Straße geräumt und vielen Autos zum Durchkommen verholfen und selber nie einen Führerschein besessen? Hansl (lacht): Na, überhaupt nie! Doch das war früher auch nicht so tragisch. Lange gab es in Prettau überhaupt nur drei Autos: Der Zitturi hatte eins, der Wossra Papa und der Nöethdurft Lois. Ich habe jedenfalls immer Glück gehabt. Mir ist nie etwas Gröberes passiert. Privatauto hast du also nie eins gehabt? Hansl: Beileibe nicht, nein. Aber ich hätte auch nicht gewusst, wann ich damit fahren sollte. Ich war ja immer mit dem Unimog unterwegs. Das hat mir gereicht! Und manchmal war es ja auch ganz schön knapp. Erzählst du uns davon? Hansl: Am gefährlichsten war es wohl, als bei der Neuen Wehre die ganz große Lawine herunter ist: Ich bin damals gerade mit dem Pfl ug durch gewesen, da ging hinter mir eine Lawine nieder. Diese verlegte die Straße vom Nöethdurft bis hinauf zum Hörmann Stadel. Da wäre der heutige Tunnel oben und unten zu kurz. Einmal, welches Jahr weiß ich nicht mehr, haben wir durch die Lawine am Eissteg einen Tunnel graben müssen: 121

Im Gespräch<br />

– keine lauten Worte, keinen Streit, nicht einmal einen<br />

Schrei des Opfers. Erst als der Niederwieser um eine<br />

Decke kam, um damit den Toten zuzudecken, hat meine<br />

Schwester aus dem Fenster geschaut und die Blutlache<br />

gesehen. Der Niederwieser ist dann sofort ins Tal und<br />

hat die Carabinieri geholt. In der Zwischenzeit ist mein<br />

Vater zu uns herauf auf die Hütte gekommen und hat gesagt,<br />

wir sollten uns verstecken, damit nicht noch etwas<br />

passiert. Aber das wäre nicht notwendig gewesen: Der<br />

Jouggla hat sich widerstandslos abführen lassen.<br />

Was hat er gesagt? Was ist mit ihm geschehen?<br />

Hansl: Er hat immer nur gesagt, dass er seinen besten<br />

Freund erschlagen hat. Mehr nicht. Er ist dann nach Pergine<br />

gekommen, in die Anstalt für geisteskranke Menschen.<br />

Ich weiß auch nicht, ob es jemals einen Prozess<br />

gegeben hat. Auf alle Fälle ist er von Pergine nie mehr<br />

zurückgekommen nach Prettau. Das war schon tragisch:<br />

Der Pöschta war ja noch jung, hatte Frau und zwei kleine<br />

Kinder. Man weiß nicht, was in so einem Menschen<br />

vorgeht. Für mich war das damals schon ein Schock. Als<br />

Büi bin ich ja Tag und Nacht mit dem Melcha zusammen<br />

gewesen, habe immer in der gleichen Schlemme (Liegestatt<br />

mit Strohsack) gelegen. So etwas vergisst man nicht<br />

mehr!<br />

Damals warst du 14 Jahre alt und gerade ausgeschult.<br />

War beim Niederwieser deine erste Arbeitsstelle?<br />

120<br />

Schneeräumung mit dem Unimog<br />

Hansl: Das schon. Aber ich bin schon mit sieben Jahren<br />

von zuhause weg und danach eigentlich nie mehr heim<br />

gekommen. Neun Jahre lang war ich Büi beim Niederwieser,<br />

Sommer wie Winter. Da habe ich schon viel mitgemacht.<br />

Ich habe immer Schafe und Kühe hüten und<br />

im Stall helfen müssen. Einmal, weiß ich noch, da sollte<br />

ich, als es schon dunkel war, in den Stall, um den Fokkn<br />

zi streibn. Da bin ich aus Angst einfach vor der Rähme<br />

(Schlafkammer) stehen geblieben und habe gewartet,<br />

weil Angst hatte ich eigentlich immer. Als der Melcha<br />

dann dahinter gekommen ist, dass ich mich einfach versteckt<br />

habe, da hat es freilich Wetter gegeben. Mit 15<br />

Jahren bin ich dann schon mit dem Schneepfl ug gefahren,<br />

einem Schneepfl ug aus Holz, vor den vier bis sechs Rosse<br />

gespannt waren. Es gab Jahre, da war so viel Schnee,<br />

das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen:<br />

Schneeräumung Anno dazumal<br />

In der Baschtl-Zaine, zwischen dem Baschtl und Kasern,<br />

war oft gar kein Durchkommen mehr. Wir mussten den<br />

Pfl ug aufstellen, um zumindest eine Spur frei zu be-<br />

Lawinenabgang am „Eissteg“<br />

kommen. Einmal, da haben wir beim Ebner Futterhaus<br />

zwei Meter angesessenen Schnee gemessen – angesessen,<br />

nicht Neuschnee! Das muss man sich einmal vorstellen.<br />

Du würdest also auch sagen, dass es früher mehr Schnee<br />

gegeben hat?<br />

TAUERNFENSTER <strong>2007</strong><br />

TAUERNFENSTER <strong>2007</strong><br />

Lawinenabgang an der „Neuen Wehre“<br />

Hansl: Winter mit wenig Schnee, die hat’s schon auch<br />

früher gegeben. Aber so oft so wenig wie in den letzten<br />

Jahren, das weiß ich eigentlich nie.<br />

Und du müsstest es ja wissen. Schließlich hast du viele,<br />

viele Jahre die Prettauer Straße geräumt.<br />

Hansl: 60 Jahre lang – und nicht nur die Prettauer<br />

Straße! 60 Jahre bin ich mit dem Pfl ug gefahren, meistens<br />

bis nach Steinhaus. Besonders streng war es, als 1971 der<br />

Berg (das Kupferbergwerk) zugetan hat und viele Männer<br />

dann in der Fabrik unterkamen. Da bin ich oft um 2<br />

Uhr nachts aufgestanden, um die Straße zu räumen. Als<br />

ich dann am Götscheck wieder herein kam, habe ich die<br />

ersten Fabrikiler gekreuzt, die schon vor 4 Uhr früh zur<br />

Hansl beim Wieser Futterhaus<br />

Arbeit sind. Damals sind sie ja noch alle mit Privatautos<br />

hinaus. Ein Postauto für die Fabrikarbeiter wurde erst<br />

Jahre später eingesetzt.<br />

Ja, ja das war oft nicht einfach. Heute frage ich mich<br />

oft, wie das alles gegangen ist, früher. Denn daneben<br />

habe ich ja immer auch noch Vieh gehabt, bis zu sieben<br />

Stück Kühe.<br />

Im Gespräch<br />

Kannst du dich noch erinnern, wann du von den Pferden<br />

auf den Traktor bzw. auf den Unimog umgestiegen bist?<br />

Hansl: Nein, genau das Jahr weiß ich nicht mehr. Das<br />

war eigentlich ein Zufall. Der Wiesa Otto hat damals<br />

einen Unimog bestellt. Als er ihn aber in Bozen abholen<br />

sollte, konnte er ihn nicht auslösen, nicht bezahlen. So<br />

haben der Luggile Seppl, der Baschtl Lois, der Zitturi<br />

Seppl und ich uns zusammengetan und haben den<br />

Unimog ausgelöst.<br />

Wie kommt ein Baschtl Lois dazu, einen Unimog zu<br />

kaufen, wenn er doch keinen Führerschein hat?<br />

Hansl: Das hatten wir alle nicht – außer dem Zitturi,<br />

der hatte vielleicht damals schon das Patent. Was meint<br />

ihr, wie viel ich mit dem Unimog gefahren bin ohne Patent,<br />

auch nach Weißenbach und Rein? Wohl an die 40<br />

Jahre bin ich ohne Patent gefahren.<br />

Wann hast du dann den Führerschein gemacht?<br />

Hansl: Ja, überhaupt nie!<br />

Wie? Du hast bis in die 1980er Jahre mit schwerem Gerät<br />

die Straße geräumt und vielen Autos zum Durchkommen<br />

verholfen und selber nie einen Führerschein besessen?<br />

Hansl (lacht): Na, überhaupt nie! Doch das war früher<br />

auch nicht so tragisch. Lange gab es in Prettau überhaupt<br />

nur drei Autos: Der Zitturi hatte eins, der Wossra<br />

Papa und der Nöethdurft Lois. Ich habe jedenfalls immer<br />

Glück gehabt. Mir ist nie etwas Gröberes passiert.<br />

Privatauto hast du also nie eins gehabt?<br />

Hansl: Beileibe nicht, nein. Aber ich hätte auch nicht<br />

gewusst, wann ich damit fahren sollte. Ich war ja immer<br />

mit dem Unimog unterwegs. Das hat mir gereicht! Und<br />

manchmal war es ja auch ganz schön knapp.<br />

Erzählst du uns davon?<br />

Hansl: Am gefährlichsten war es wohl, als bei der Neuen<br />

Wehre die ganz große Lawine herunter ist: Ich bin<br />

damals gerade mit dem Pfl ug durch gewesen, da ging<br />

hinter mir eine Lawine nieder. Diese verlegte die Straße<br />

vom Nöethdurft bis hinauf zum Hörmann Stadel. Da<br />

wäre der heutige Tunnel oben und unten zu kurz. Einmal,<br />

welches Jahr weiß ich nicht mehr, haben wir durch<br />

die Lawine am Eissteg einen Tunnel graben müssen:<br />

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