Franz Kafkas Deutsch Marek Nekula (Regensburg) - Linguistik online
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particulae collectae<br />
3 Beschreibung von <strong>Kafkas</strong> <strong>Deutsch</strong><br />
Auch wenn ich nicht zu Brods "photographischer Platte" werden möchte, scheint<br />
der Versuch unumgänglich, auf diesem Hintergrund Besonderheiten von <strong>Kafkas</strong><br />
<strong>Deutsch</strong> mit Blick auf seinen familiären wie zeitlichen und räumlichen Lebenskontext<br />
– wenigstens anhand einiger Stichproben – zu rekonstruieren. Bei der<br />
Rekonstruktion stellt für mich neben der vorhandenen Forschungsliteratur (cf.<br />
v.a. Trost 1964, Thieberger 1979, Krolop 1992, âermák 1997) vor allem die<br />
Kritische Kafka-Ausgabe einen zuverlässigen Ausgangspunkt dar. Denn darin<br />
wird die ursprüngliche, nicht von Max Brod sowie anderen Editoren veränderte<br />
Form des Textes in der Fassung der Handschriften – und zwar mit jeweiligen<br />
Änderungen und Selbstkorrekturen – bereits "photographisch" wiedergegeben. 4<br />
Dabei ziehe ich vor allem Tagebücher heran, in denen die Sprache, auch im<br />
Hinblick auf die Umstände des Entstehens, wahrscheinlich am wenigstens literarisiert<br />
bzw. – falls sich dies über einen Schriftsteller überhaupt sagen lässt –<br />
"selbst kontrolliert" ist. In solchen Texten sind dann am ehesten Formen zu erwarten,<br />
die von Kafka auch im Gesprochenen benutzt wurden, während seine<br />
amtlichen Briefe schriftsprachlich stilisiert wurden, denn selbst bei tschechischen<br />
amtlichen Briefen bemüht sich Kafka um ein "klassisches Tschechisch"<br />
(Kafka 1974: 101f.).<br />
Diese "unkontrollierten" Texte erlauben also eine Aussage über <strong>Kafkas</strong> authentisches<br />
<strong>Deutsch</strong> in informellen Texten, nicht aber über seine Kompetenz hinsichtlich<br />
der deutschen Schriftsprache im Ganzen, da diese Texte von Kafka nicht für<br />
einen öffentlichen Diskurs freigegeben wurden und von Kafka auch anders geartete<br />
– gedruckte sowie amtliche – Texte vorliegen. Die informellen Texte haben<br />
keinesfalls eine "endgültige" Form, wie es in <strong>Kafkas</strong> Reflexion eigener<br />
Texte sichtbar wird:<br />
[...] häßliche Schreib- und Diktierfehler, die ich aus meinem Exemplar entfernt<br />
habe, während sie in Deinem geblieben sind [...] willst Du den Satz grammatisch<br />
prüfen, mußt Du das Blatt umdrehen [...] (Brod/Kafka 1989/2: 92f.)<br />
Es ist auch eine Anzahl kleiner Schreibfehler drin, wie ich jetzt bei dem leider ersten<br />
lesen einer Kopie sehe. Und die Interpunktion! Aber vielleicht hat die Korrektur<br />
dessen wirklich noch Zeit. Nur dieses "Wie müßtet Ihr aussehn" in der<br />
Kindergeschichte streich und hinter dem 4 Worte vorhergehenden "Wirklich"<br />
mach ein Fragezeichen. (Brod/Kafka 1989/2: 111)<br />
In den Schreibfehlern, Wiederholungen und Zeugmata sowie im Wechsel der<br />
Äußerungsperspektive der Texte ist gar deren Entstehungsgeschichte erfahrbar:<br />
4 Im Unterschied zur Historisch-kritischen Kafka-Ausgabe ist dabei die eigene Lektüre<br />
der Manuskripte durch die Lektüre der Herausgeber objektiviert.