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Franz Kafkas Deutsch Marek Nekula (Regensburg) - Linguistik online

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particulae collectae<br />

Soweit ich aber Löwy kenne glaube ich daß solche ständigen Wendungen, die<br />

auch im gewöhnlichen ostjüdischen Gespräch oft vorkommen wie "Weh ist mir!"<br />

oder "S'ist nischt" oder "S'ist viel zu reden" nicht Verlegenheit verdecken sollen,<br />

sondern als immer neue Quellen den für das ostjüdische Temperament immer<br />

noch zu schwer daliegenden Strom der Rede umquirlen sollen. (Kafka<br />

1994/Tgb1: 23)<br />

Der Witz ist hauptsächlich das Mauscheln, so mauscheln wie Kraus kann niemand,<br />

trotzdem doch in dieser deutsch-jüdischen Welt kaum jemand etwas anderes<br />

als Mauscheln kann, das Mauscheln im weitesten Sinne genommen, in dem<br />

allein es genommen werden muß, nämlich als die laute oder stillschweigende<br />

oder auch selbstquälerische Anmaßung eines fremden Besitzes, den man nicht<br />

erworben sondern durch einen (verhältnismäßig) flüchtigen Griff gestohlen hat<br />

und der fremder Besitz bleibt, auch wenn nicht der einzigste Sprachfehler nachgewiesen<br />

werden könnte, denn hier kann ja alles nachgewiesen werden durch den<br />

leisesten Anruf des Gewissens in einer reuigen Stunde. Ich sage damit nichts gegen<br />

das Mauscheln, das Mauscheln an sich ist sogar schön, es ist eine organische<br />

Verbindung von Papierdeutsch und Gebärdensprache (wie plastisch ist dieses:<br />

Worauf herauf hat er Talent Oder dieses den Oberarm ausrenkende und das Kinn<br />

hinaufreißende: Glauben Sie! oder dieses die Knie an einander zerreibende: "er<br />

schreibt. Über wem") und ein Ergebnis zarten Sprachgefühls, welches erkannt<br />

hat, daß im <strong>Deutsch</strong>en nur die Dialekte und außer ihnen nur das allerpersönlichste<br />

Hochdeutsch wirklich lebt, während das übrige, der sprachliche Mittelstand,<br />

nichts als Asche ist, die zu einem Scheinleben nur dadurch gebracht werden kann,<br />

daß überlebendige Judenhände sie durchwühlen. Das ist eine Tatsache, lustig oder<br />

schrecklich, wie man will; aber warum lockt es die Juden so unwiderstehlich<br />

dorthin Die deutsche Literatur hat auch vor dem Freiwerden der Juden gelebt<br />

und in großer Herrlichkeit, vor allem war sie, soviel ich sehe, im Durchschnitt<br />

niemals etwa weniger mannigfaltig als heute, vielleicht hat sie sogar heute an<br />

Mannigfaltigkeit verloren. Und daß dies beides mit dem Judentum als solchem<br />

zusammenhängt, genauer, mit dem Verhältnis der jungen Juden zu ihrem Judentum,<br />

mit der schrecklichen inneren Lage dieser letzten Generationen, das hat doch<br />

besonders Kraus erkannt oder richtiger, an ihm gemessen ist es sichtbar geworden.<br />

(Brod/Kafka 1989/2: 359)<br />

Es versteht sich von selbst, dass Kafka ein durch die Zeit, den Raum,u. U. auch<br />

durch die Herkunft geprägtes <strong>Deutsch</strong>sprach und zum Teil auch schrieb, das<br />

weiter unten näher beschrieben werden soll. In einem Tagebucheintrag vom 16.<br />

Juli 1912 wird dies in fremder Umgebung am Beispiel der gesprochenen Sprache<br />

thematisiert:<br />

Ich biete ihnen meine "Brause" an, sie trinken, die Älteste zuerst. Mangel einer<br />

wahren Verkehrssprache. Ich frage, ob sie schon genachtmahlt haben, vollständiges<br />

Unverständnis, Dr. Sch. fragt, ob sie schon Abendbrot gegessen haben, beginnende<br />

Ahnung, (er spricht nicht deutlich, atmet zu viel) erst bis der Friseur<br />

fragt, ob sie gefuttert haben, können sie antworten. (Kafka 1990b/I: 1050)

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