Franz Kafkas Deutsch Marek Nekula (Regensburg) - Linguistik online
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particulae collectae<br />
kam hervor, daß ich aus Prag bin; beide der General (dem ich gegenüber saß) und<br />
der Oberst kannten Prag. Ein Tscheche Nein. Erkläre nun in diese treuen deutschen<br />
militärischen Augen, was Du eigentlich bist. Irgendeiner sagt:<br />
"<strong>Deutsch</strong>böhme", ein anderer: "Kleinseite". Dann legt sich das Ganze und man ißt<br />
weiter, aber der General mit seinem scharfen, im österreichischen Heer philologisch<br />
geschulten Ohr ist nicht zufrieden, nach dem Essen fängt er wieder den<br />
Klang meines <strong>Deutsch</strong>en zu bezweifeln an, vielleicht zweifelt übrigens mehr das<br />
Auge als das Ohr. Nun kann ich das mit meinem Judentum zu erklären versuchen.<br />
Wissenschaftlich ist er jetzt zwar zufriedenstellt, aber menschlich nicht. (F. Kafka<br />
an M. Brod vom 10. April 1920; Brod/Kafka 1989/2: 272f.)<br />
Einige morphologische Formen, die <strong>Franz</strong> Kafka gebraucht, wie zum Beispiel<br />
die Deklination deadjektivischer Substantive, einige Pluralformen wie Körper/Körpers<br />
u. a. (cf. <strong>Nekula</strong> 2002a), wären jedenfalls am einfachsten als eine<br />
Parallele zum Jiddischen bzw. als eine frühere und über den Ethnolekt vermittelt<br />
etablierte Interferenz aus dem Jiddischen zu erklären.<br />
Es fällt übrigens auf, dass lexikalische und morphologische Erscheinungen, die<br />
eine Parallele im Jiddischen haben, überwiegend in die Zeit der jiddisch geprägten<br />
"jüdischen Wiedergeburt" <strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> in den Jahren 1911/1912 zu situieren<br />
sind. 62 <strong>Franz</strong> Kafka sind dabei solche Anspielungen nicht fremd. So<br />
grüßt Kafka in dem Brief an Ottla vom November 1919 seine Nächsten mit diesem<br />
Satz: "Grüß alle vom Vater bis zu Chana hinab." (Kafka 1974: 74) Es ist<br />
nicht nur ein Hinweis auf die Tochter Hanna, die damals Gabriele (Kafka) und<br />
Karl Hermann erwarteten, sondern auch ein Hinweis auf das Hebräische, das für<br />
ihn in der späteren Phase auch sprachlich eine wichtige Rolle spielte:<br />
Ich habe die paar Tage von Dir (fast hätte ich, ich glaube nach einer hebräischen<br />
Redensart gesagt: von Deinem Fett) gelebt, das Papier, auf dem ich schreibe ist<br />
von Dir, die Feder von Dir, u.s.w. (Kafka 1974: 148)<br />
Doch scheint die oberdeutsche Interpretation der sprachlichen Erscheinungsformen,<br />
die es auch im Jiddischen gibt, sicherer. Die Argumente dafür wurden im<br />
einzelnen in den entsprechenden Subkapiteln formuliert.<br />
3.6 Zusammenfassung<br />
<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Deutsch</strong> weist ohne Zweifel eine Reihe von regionalen lautlichen,<br />
morphologischen, syntaktischen sowie lexikalischen Merkmalen (cf. <strong>Nekula</strong><br />
2002a) auf, und zwar nicht nur in den Tagebüchern und der privaten Korrespondenz,<br />
sondern auch in den Manuskripten seiner literarischen Texte bzw. in der<br />
amtlichen Korrespondenz, auch wenn gerade seine auf <strong>Deutsch</strong> geschriebenen<br />
62 Während der jüdische Ethnolekt des <strong>Deutsch</strong>en in Böhmen und Prag im 19.<br />
Jahrhundert noch westjiddisch geprägt war, war hier Kafka mit dem Ostjiddischen<br />
konfrontiert.