(Auf-)Zeichnen 1800-1900 - Melton Prior Institut
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Alexander Roob<br />
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Rolf Niczky: „Amerikanische<br />
Hochzeitsbräuche“, Gouachemalerei<br />
nach einer Momentfotografie, 1919<br />
Erich Salomon: „Der französische Gewerkschaftsführer<br />
Jouhaux vor der Völkerbundkonferenz“, Fotografie,<br />
Genf 1928<br />
journalism actually seem, and how incomparably<br />
more fresh and vibrant the illustrations seem. While<br />
the photographs only give a very loose notion of the<br />
spatial situation and the persons present, Stumpp’s<br />
illustrations, although in their approach more or<br />
less expressive, provide an incomparably clearer and<br />
more graspable depiction. At issue here is by no<br />
means a particular failing of early photography, but<br />
a fundamental shortcoming of the photographic<br />
record itself: the animating moment of temporal<br />
development, processuality, is lacking, something<br />
inherent to drawing.<br />
Stumpp specialized primarily in portraiture, and<br />
drew for years for the General-Anzeiger für Dortmund,<br />
the newspaper at the time with the highest circulation<br />
outside the capital, the so-called “head of the<br />
week.” 27 He did not think much of photography, for<br />
he was sure that the photography “not only record<br />
laughably incidental moments, but also purely<br />
lungen auf fotografischem und reprografischem Sektor eine entscheidende Rolle. Bis<br />
Mitte der zwanziger Jahre war es eine Hauptbeschäftigung vieler Reportagezeichner der<br />
B.I.Z. gewesen, die oftmals völlig verschwommenen Resultate von Momentfotografien in<br />
kontrastreichere flächige Malereien zu übersetzen. Erst die Einführung von Kleinbildkameras<br />
mit Schlitzverschlüssen und damit kürzestmöglichen Belichtungszeiten setzte ab<br />
Mitte der zwanziger Jahre dieser vergessenen Ära einer fotorealistischen Malerei im Zeitschriftenwesen<br />
ein Ende. 1928 machte der Fotograf Erich Salomon (*1886) mit einer Kleinbildkamera,<br />
die mit einem besonders lichtstarken Objektiv ausgestattet war und die daher<br />
auch erstmals fotografische Schnappschüsse im Innenbereich zuließ, für die B.I.Z. erste<br />
verborgene Momentaufnahmen bei politischen Konferenzen, für die das Magazin The<br />
Graphic später die Bezeichnung „Candid Camera“ prägte, und leitete damit eine Entwicklung<br />
ein, die Zeichnung als Dokumentationsmedium längerfristig immer weiter in die wenigen<br />
abseitigen Zonen verdrängte, die dem Kamerazugriff noch verwehrt waren. 26<br />
<strong>Auf</strong> den Genfer Völkerbundkonferenzen, die Salomon 1928 und 1932 fotografierte, war<br />
auch der Pressezeichner Emil Stumpp (*1886) eifrig am Werk. Es ist aufschlussreich, sich<br />
beider Konferenzdokumentationen heute im Vergleich anzuschauen. Zuerst fällt dabei auf,<br />
wie ermüdet mittlerweile die Wirkung des fotografischen Schnappschusses ist, auf dem<br />
der weitere Steilaufstieg des Fotojournalismus gründete, und wie ungleich frischer und unverbrauchter<br />
sich dagegen die Zeichnungsaufzeichnungen verhalten. Während sich über die<br />
Fotos nur eine sehr diffuse Vorstellung von den räumlichen Situationen und den Personen<br />
vermittelt, enthält man über Stumpps Zeichnungen, obgleich sie vom Ansatz her eher expressiv<br />
sind, eine ungleich klarere und greifbarere Vorstellung. Dabei handelt es sich keineswegs<br />
um ein spezielles Defizit der frühen Fotografie, sondern um ein Grund legendes<br />
Manko in der fotografischen <strong>Auf</strong>zeichnung, dass ihr nämlich das verlebendigende Moment<br />
der zeitlichen Abwicklung, der Prozessualität fehlt, das der Zeichnung inhärent ist.<br />
Stumpp war vor allem auf Porträts spezialisiert und zeichnete jahrelang für den General-<br />
Anzeiger für Dortmund, der damals auflagenstärksten Tageszeitung außerhalb der Hauptstadt,<br />
den so genannten „Kopf der Woche“. 27 Von der Fotografie hielt er nicht viel, denn er<br />
war sich sicher, dass das Foto „ nicht nur lächerlich zufällige Augenblicke festhält, sondern<br />
auch rein äusserlich oft objektiv fehlzeichnet und verschiebt“ 28 Im Gegensatz zu Kurt Korff,<br />
der die Qualität der zeichnerischen <strong>Auf</strong>zeichnung gegenüber der Fotografie gerade in der<br />
Verzerrung ausmachte, sah Stumpp ihre Stärke in der Entzerrung fotografischer Entstellungen.<br />
Solche machte er auch in gravierendem Maß in den fotografischen Konterfeis des<br />
Reichskanzlers Hitler aus. Das Porträt, das Stumpp dann von ihm anlässlich seines Geburtstags<br />
im April 1933 veröffentlichte, zusammen mit einem Kommentar, in dem er auf<br />
externally often objectively misconstrues and distorts.”<br />
28 In contrast to Kurt Korff, who saw the quality<br />
of drawing in relation to photography precisely in<br />
distortion, Stumpp saw its strength rather in undistorting<br />
photographic deformations. He did this in<br />
a shocking way in the case of a portrait of Hitler as<br />
chancellor: the portrait, which Stumpp published on<br />
the occasion of Hitler’s birthday in April 1933, together<br />
with a commentary in which he points out the<br />
enormous difference between the chancellor’s actual<br />
appearance and photographic exposures, led due<br />
to the purported “shameless contemptousness” of<br />
the photographic portrayal directly to the shutting<br />
down of the left-liberal General-Anzeiger.<br />
The revolution in the camera sector also brought<br />
with it a kind of snapshot aesthetic in press illustration.<br />
Prototypical in this light were the quick portraits<br />
of Fred Dolbin (*1883), a student of Arnold<br />
Schönberg, of whom it was said that he drew as<br />
quickly as others take photographs, on a good day<br />
up to 500 sheets. His drawings of prominent figures,<br />
which shifted from caricature to portrait, were so<br />
widespread and his pseudo-expressionist manner so<br />
influential that in a 1929 essay about press illustration<br />
29 Rudolf Arnheim took him as representative<br />
for the entire genre to task. He mimes personal style<br />
“with a certain nervous fidgetiness of the line,”<br />
Arnheim wrote, and as far as the aspect of verisimilitude<br />
of his drawn elaborations to the person portrayed<br />
is concerned, Arnheim continued, he engaged<br />
in a kind of game of chance a hit rate of around five<br />
percent.<br />
In the 1920s, the great years of the illustrator Fritz<br />
Koch-Gotha had already come to an end. The depiction<br />
of a dramatic second of horror was no longer a<br />
matter for him, as his biographer Bernhard Nowak<br />
wrote. 30 Over the years, he had in his drawing distanced<br />
himself increasingly from current issues, and<br />
Emil Stumpp: „Julius Curtius spricht vor der Kommission für die<br />
Europa-Union“, Genf, Mai 1931<br />
Emil Stumpp: „Verbandsfunktionäre im Kohlebergbau-Ausschuss<br />
der Internationalen Arbeitskonferenz“, Genf, Juni 1931<br />
Emil Stumpp: „Heinrich Brüning spricht auf der Völkerbundskonferenz“,<br />
Genf, 9.2.1932<br />
Emil Stumpp: „Der Grosse Rat der Völkerbundversammlung“, Genf, Mai 1931<br />
Emil Stumpp: „Verbandsfunktionäre im Kohlebergbau-Ausschuss<br />
der Internationalen Arbeitskonferenz“, Genf, Juni 1931<br />
Emil Stumpp: „Sitzungssaal der Völkerbundkonferenz“, Genf 1931