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(Auf-)Zeichnen 1800-1900 - Melton Prior Institut

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Alexander Roob<br />

54<br />

55<br />

Fritz Koch-Gotha, „Von der Reportagereise zurück:<br />

Mein erstes Tagewerk“, B.I.Z., 1916<br />

Willibald Krain, „Heinrich Zille in seinem<br />

Arbeitszimmer“, B.I.Z., 1926<br />

of visual recording, can be shown merely by the fact<br />

that the prize for illustration that the Ullstein-Verlag<br />

began to award bore the painter’s name. The publishing<br />

house sought with this prize to help boost the<br />

genre as a whole: for there was a problem. While the<br />

B.I.Z. did have a star in Koch-Gotha who gradually<br />

began to cover the whole palette of news illustration,<br />

“illustrators of his kind and with that kind of<br />

punch are rare. There was hardly anyone up-andcoming.<br />

The art of illustration still common among<br />

contemporaries of genre painting, had irrevocably<br />

retreated with the coming of impressionism.” 14<br />

Beside an ad campaign that desperately sought<br />

“painters of modern life,” the Menzel Prize was<br />

awarded only twice. In 1910, it was awarded to both<br />

Heinrich Zille and Koch-Gotha by a jury to which the<br />

Secession chairman Max Liebermann belonged. A<br />

year later it was received by the painter and graphic<br />

artist Max Liebert, who died young in the war. After<br />

mit einer großen Anzahl von Skizzenbüchern – für die er sich eigens eine Vieltaschenweste<br />

anfertigen ließ – bei jeder Gelegenheit scheinbar wahllose Bruchstücke von Welt aufzuzeichnen,<br />

beeinflussten eine Vielzahl von Pressezeichner; darunter auch George Grosz, der<br />

für Ullsteins Satiremagazin Uhu arbeitete. Ihn hatte Menzels Doktrin vom „Alleszeichnen“ zu<br />

einer lebenslangen kontinuierlichen Produktion bezeichneter Skizzenbüchern angeregt. 13<br />

Wie stark Menzel mit einer Renaissance der Reportagezeichnung verbunden war, die<br />

nach Jahren der Unterwerfung unter die Fotografie dieser nun von der Redaktion der B.I.Z.<br />

als <strong>Auf</strong>zeichnungsmedium ebenbürtig an die Seite gestellt wurde, mag allein die Tatsache<br />

belegen, dass der Preis für Pressezeichnung, den die Illustrierte auszuschreiben begann,<br />

seinen Namen trug. Sie wollte damit dem Genre zu einem neuen <strong>Auf</strong>trieb verhelfen. Denn<br />

es gab da ein Problem: Mit Koch-Gotha hatte die B.I.Z. zwar ein Zugpferd, das allmählich<br />

die ganze Palette der Pressezeichnerei abzudecken begann, „aber Illustratoren seiner Art<br />

und Schlagkraft sind dünn gesät. Ein Nachwuchs war kaum vorhanden. Die Kunst des Illustrierens,<br />

die noch den Zeitgenossen der Genremalerei geläufig war, war unaufhaltsam<br />

zurückgegangen, als der Impressionismus (...) aufgekommen war“. 14 Neben einer Anzeigenkampagne,<br />

in der händeringend „Illustratoren des modernen Lebens“ gesucht wurden,<br />

wurde besagter Menzelpreis zweimal ausgelobt. 1910 wurde er von einer Jury, der auch der<br />

Secessions-Vorsitzende Max Liebermann angehörte, gleichzeitig Heinrich Zille und Koch-<br />

Gotha zuerkannt. Ein Jahr später erhielt ihn der früh im Krieg verstorbene Maler und Grafiker<br />

Max Liebert . Danach brach man die Versuche frustriert ab.<br />

Um ihren Star Koch-Gotha bei der Stange zu halten, finanzierte die B.I.Z. neben seinen<br />

ausgedehnten Reisen, die ihn unter anderem an die Istanbuler Börse führten, auch<br />

einen zweijährigen Studienaufenthalt in Paris, in dessen Verlauf er sich weniger mit aktuellen<br />

künstlerischen Strömungen als vielmehr mit den Grafiken des 1892 verstorbenen<br />

Constantin Guys auseinandersetzte, der als Chronist des mondänen Pariser Lebens bekannt<br />

war, die er „in einer Mischung von chevaleresker Grandezza und damenhafter Pikanterie“ 15<br />

schilderte. Koch-Gotha war vor allem an dem Modezeichner Guys interessiert, doch musste<br />

er für ihn auch in anderer Hinsicht bedeutsam gewesen sein: Als erster namhafter Künstlerreporter<br />

spielt dieser 1802 im holländischen Vlissingen geborene Grafiker in der Geschichte<br />

der gezeichneten Reportage nämlich eine zentrale Rolle. 16 Seit 1845 arbeitete er in<br />

Paris und London als so genannter „artistic correspondent“ für die Illustrated London News.<br />

Ab 1853 berichtete er für die englische Illustrierte neben einer Vielzahl anderer Zeichner<br />

vom Krimkrieg, der als früher „Medienkrieg“ gilt. Zum ersten Mal standen sich hier Reportagezeichnung,<br />

Fotografie und die von einem Kriegsschauplatz erstmals per Telegrafie<br />

von professionellen Berichterstattern übermittelte Textreportage im Authentizitätswett-<br />

that, these attempts were abandoned in frustration.<br />

To keep their star Koch-Gotha satisfied, the B.I.Z.<br />

not only financed his extensive travels, which took<br />

him as far as the Istanbul stock exchange, but also<br />

two years of study in Paris, in the course of which he<br />

engaged less with the then current artistic movements<br />

than with the illustrative art of Constantin<br />

Guys. Guys, who had died in 1892, and was known as<br />

a chronicler of the sophisticated Parisian life, which<br />

he depicted “with a mix of a chevaleresque grandeur<br />

and feminine archness.” 15 Koch-Gotha was above all<br />

interested in the fashion illustrator Guys, but he<br />

must have been significant for him also in another<br />

sense: as the first well-known artist-reporter, this<br />

graphic artist, born in the Dutch town of Vlissingen,<br />

played a central role in the history of illustrative<br />

reporting. 16 Since 1845, he worked in Paris and<br />

London as a so-called “artistic correspondent” for<br />

the Illustrated London News. Beginning in 1853, he<br />

reported for the English illustrated along with a<br />

many other illustrators on the Crimean War, which<br />

is now considered an early “media war.” Here, for<br />

the first time, news illustration, photography, and<br />

text reporting transmitted from the battlefield with<br />

telegraphy and professional reporters, competed<br />

with one another in terms of authenticity. The “the<br />

dimly allusive information” provided by the artists<br />

about the events of war is powerless, as was written<br />

in 1854 in The Practical Mechanics Journal, whereas<br />

photography presents “the thing itself” to the eye.<br />

But until the turn of the century, when the printing<br />

technique of the autotype, invented in 1881, slowly<br />

begin to establish itself also in the high circulation<br />

newspapers, the spread of photography in the mass<br />

media still had to rely on its translation to engravings<br />

or etchings. On top of this, at the time photography<br />

was absolutely unable in technological<br />

terms to document events rich in action. This is<br />

Constantin Guys: „Besuch des Sultans<br />

im englischen Lager bei Scutari“,<br />

Federzeichnung, 31. 5. 1854<br />

Constantin Guys: „Besuch des Sultans<br />

im englischen Lager bei Scutari“, lavierte<br />

Federzeichnung, 31.5.1854<br />

Guys / Gavarni: „Besuch des Sultans“<br />

(Holzstichversion), I.L.N., 1.7.1854<br />

shown by the letters of the photographer Roger<br />

Fenton, who went down in history as a pioneer of<br />

war photography. 17 He thus saw himself forced to<br />

make do with landscapes and portraits, and providing<br />

a romanticizing version of a kind of “boy scout<br />

war” to accompany the often brutal and disturbing<br />

dispatches of the news correspondents about the<br />

course of the war and the state of the army that had<br />

led to a crisis in the English government. 18<br />

The depiction of action thus remained a domain<br />

reserved for illustrators, and with the increasing<br />

competition provided by photography, a gradual<br />

dramatization of news illustration can be traced<br />

out. In Guys’ drawings from the Crimean War, which<br />

are still in existence due to the collection of his<br />

friend, the photographer Nadar, primarily notable is<br />

the moment of rapid fluctuation and speed of the<br />

drawing. Sometimes they were furnished with the<br />

written certification that they were “taken on the<br />

bewerb. Die „verschwommene und anspielungsreiche Information“, die die Künstler über<br />

das Kriegsgeschehen lieferten, sei kraftlos, hieß es 1854 in The Practical Mechanics Journal,<br />

wogegen die Fotografie „die Sache selbst“ („the thing itself“) vor Augen führe. Dabei war<br />

auch die mediale Verbreitung der Fotografie noch bis um die Jahrhundertwende, als sich<br />

das 1881 entwickelte drucktechnische Verfahren der Autotypie, der Rasterätzung, langsam<br />

auch in den auflagenstärkeren Zeitungen durchzusetzen begann, auf die grafische Übersetzung<br />

angewiesen. Davon abgesehen war die Fotografie damals technisch noch gar nicht<br />

in der Lage, aktionsreiches Geschehen zu dokumentieren. Das belegen die Briefe des Fotografen<br />

Roger Fenton, der als Pionier der Kriegsfotografie in die Geschichte eingegangen ist. 17<br />

Er sah sich daher gezwungen, sich mit Landschaftsaufnahmen und Porträts zu begnügen<br />

und stellte den oftmals schonungslosen und verstörenden Depeschennachrichten der Textkorrespondenten<br />

über die Kriegshandlungen und den Zustand der Armee, die zu einer Regierungskrise<br />

in England geführt hatten, eine romantisierende Version in der Art eines „Pfadfinderkriegs“<br />

entgegen. 18<br />

Die Schilderung von Aktion blieb also nach wie vor die Domäne der Zeichner, und es<br />

lässt sich mit der zunehmenden Konkurrenz durch die Fotografie auch eine allmähliche<br />

Dramatisierung der Reportagezeichnung konstatieren. Bei den Krimkriegszeichnungen von<br />

Guys, die sich durch die Sammlung seines Freundes, des Fotografen Nadar, erhalten haben,<br />

ist vor allem das Moment der Flüchtigkeit und Geschwindigkeit der <strong>Auf</strong>zeichnung bemerkenswert.<br />

Mitunter wurden sie mit dem schriftlichen Zertifikat „taken on the spot“ versehen.<br />

Diese Betonung von Authentizität in der Zeichnung kann als weitere Folge der Konkurrenz<br />

durch technische <strong>Auf</strong>zeichnungsmedien gewertet werden. Was mitunter auch dazu<br />

führte, dass sich die Verhältnisse umkehrten, und die Fotografen zu „Wasserträgern“<br />

der Zeichner wurden. Im Ersten Weltkrieg, der zum kurzen <strong>Auf</strong>flammen eines bräsigen Historismus<br />

in der Malerei führte, kann man gar von dem neuen Genre einer „Reportagezeichnerfotografie“<br />

sprechen, das die „War artists“ vor Ort beim Skizzieren zeigte. Mit ihr wollten<br />

sich Stars wie Frederic Villiers, Felix Schwormstädt oder Fortunino Matania auch von<br />

Kollegen absetzen, die wie Koch-Gotha, der sich immer mehr zum Schreibtischzeichner<br />

wandelte, ihre Frontzeichnungen unheldisch nach Augenzeugenberichten im Atelier konstruierten.<br />

19<br />

Die Kriegszeichnungen von Constantin Guys geben auch <strong>Auf</strong>schluss darüber, wie symbiotisch<br />

und arbeitsteilig die Zusammenarbeit zwischen Zeichner und Xylografen sein<br />

konnte, aber auch, wie groß die Diskrepanz zwischen den groben Skizzen vor Ort und den<br />

xylografischen Ausführungen waren. Guys, der als Zeichner Autodidakt war, entwickelte eine<br />

sehr spezielle stenogrammartige <strong>Auf</strong>zeichnungsmethodik, die seinem Xylografen Galvarni<br />

spot.” This emphasis on authenticity in illustration<br />

can be seen as a further consequence of the competition<br />

with technical recording media [<strong>Auf</strong>zeichnungsmedien].<br />

This led among other things to a<br />

reversal in the situation, and photography was once<br />

again the “handmaiden” for illustration. In the First<br />

World War, which led to a brief flame-up of an inebriated<br />

historicism in painting, we can even speak<br />

of a new genre of “the photography of illustrators”<br />

that showed the “war artists” on location while<br />

sketching With these depictions, stars like Frederic<br />

Villers, Felix Schwormstädt, or Fortunino Matania<br />

sought to distinguish themselves from colleagues<br />

like Koch-Gotha, who became more and more desk<br />

illustrators whose drawings of the frontline were<br />

unheroically made in the studio based on eyewitness<br />

reports. 19<br />

The war illustrations of Constantin Guys also provide<br />

insight not only into the extent of the symbiosis<br />

and division of labor between illustrators and xylographers,<br />

but also how great the discrepancy was<br />

between the rough sketches on location and their<br />

final xylographic execution. Guys, a self-taught<br />

illustrator, developed a unique stenographic method<br />

of drawing that provided his xylographer Galvarni<br />

only a very skeletal, blurry sense of the scene in a<br />

washed ink drawing, but also adding written insertions<br />

with deeply focused detail. Galvarni then took<br />

on not only the interpretation of the drawing into a<br />

print by in a sense “developing” Guys’ visual shorthand,<br />

but also often took on editorial tasks, selecting<br />

on the one hand from the mountains of sketches<br />

provided by Guys and in many cases combining<br />

numerous sketches with various views of a scene to<br />

from a overall picture. 20<br />

In larger sets of images, that were inserted into the<br />

illustrated periodicals in the form of fold-outs or<br />

posters, numerous engravers usually worked at the

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