(Auf-)Zeichnen 1800-1900 - Melton Prior Institut
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Alexander Roob<br />
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Fritz Koch-Gotha: „Beerdigung des Matrosen<br />
Omeltschuk vom Panzerkreuzer Potemkin“,<br />
Odessa, 1906<br />
Fritz Koch-Gotha, „Der Kapp-Putsch: Einmarsch<br />
der Truppen aus Döberitz“, Berlin, 1920<br />
tone and intention of the depictions had now<br />
changed. Naturalism no longer primarily appealed to<br />
feeling, but to reason. It was tied to the claim to an<br />
academic-objective analysis of living conditions and<br />
led to a new degree of descriptive focus and detail.<br />
In Germany, this movement effected above all circles<br />
of artists associated with the New Berlin Secession,<br />
artists who worked against the historicism of<br />
the Wilhelmine period and who were connected in<br />
numerous ways to the B.I.Z. In addition to the secessionist<br />
Heinrich Zille, one artist who worked for a<br />
while for the weekly was the painter Hans Baluschek,<br />
a close colleague of Käthe Kollwitz. In Baluschek’s<br />
work 12 , which had an effect on the early Koch-Gotha,<br />
the influence of Zola is quite fundamental in nature,<br />
especially his mining opus “Germinal“, which also<br />
formed the literary inspiration for Koch-Gotha’s<br />
first trip. In iconographic terms, Baluscheck’s work<br />
as a whole was strongly based on the print cycles of<br />
sche Bewegung gar nicht hoch genug angesetzt werden, standen doch die meisten dieser<br />
Zeichner auch bei Dickens als Illustratoren seiner Werke im Sold. 11<br />
Auch auf den zweiten Schub einer sozialrealistischen Bewegung in der Kunst, den so<br />
genannten „Naturalismus“, der der Reportagezeichnung zu Anfang des letzten Jahrhunderts<br />
neue Impulse gab, wirkte in erster Linie ein bestimmtes literarisches Werk als Ferment ein:<br />
Émile Zola(*1840) kam wie Dickens aus dem journalistischen Gewerbe und hatte ebenfalls<br />
als Reporter gearbeitet. Tonart und Intention der Beschreibung hatten sich allerdings<br />
nunmehr geändert. Der Naturalismus appellierte nicht mehr vorrangig an das Gefühl, sondern<br />
an den Verstand. Er war mit dem Anspruch einer wissenschaftlich-sachlichen Analyse<br />
der Lebensverhältnisse verbunden und führte eine neuen Grad von Schärfe und Detaillierung<br />
in die Beschreibungen ein.<br />
In Deutschland wirkte diese Bewegung vor allem auf die gegen den Historismus der<br />
Kaiserzeit opponierenden Künstlerkreise der „Neuen Berliner Secession“ ein, die über vielfache<br />
Drähte mit der B.I.Z. verbunden waren. Neben dem Secessionisten Heinrich Zille arbeitete<br />
beispielsweise auch der Maler Hans Baluschek, ein enger Weggefährte von Käthe<br />
Kollwitz, zeitweise für die Illustrierte. In Baluscheks Werk, 12 das auf den frühen Koch-Gotha<br />
einwirkte, ist der Einfluss von Zola ein ganz fundamentaler, vor allem von dessen Bergbau-<br />
Opus „Germinal“, das die literarische Vorlage für Koch-Gothas erste Reise bildete. Ikonografisch<br />
orientierte sich Baluscheks gesamtes Werk sehr stark an den grafischen Zyklen von<br />
Max Klinger, vor allem an dessen Radierfolge „Dramen“ von 1883. Sie stellt im Grunde eine<br />
Hommage an das Werk des französischen Schriftstellers dar und sollte diesem ursprünglich<br />
auch gewidmet werden. Der Zyklus gliedert sich in mehrere autonome Abschnitte, und<br />
einer davon, die Dreierfolge „Die Mutter“ behandelt den im Werk Zolas zentralen Aspekt der<br />
Sozialreportage. Der Ausgangspunkt war ein Zeitungsbericht über einen im Jahr 1878 vor<br />
dem Berliner Schwurgericht verhandelten Fall, der in der mechanischen Verkettung fataler<br />
Umstände typisch Zola’schen Zuschnitt hatte. Klinger wies mit dieser Radierfolge nicht<br />
nur deutlich auf den künstlerischen Rang grafischer Berichterstattung hin. Indem er die<br />
Nachricht aus einer Reihe detailscharfer Bilder entwickelte, hinter deren chronologischer<br />
Abfolge der Nachrichtentext nahezu verschwindet, inspirierte und beförderte er den Schritt,<br />
den die Redaktion der B.I.Z. hinsichtlich einer Neuformulierung von Zeichnungsreportage<br />
im fotografischen Zeitalter unternehmen sollte, in entscheidendem Maße.<br />
Literarische Vorbilder wie Zola oder, bei seinen späteren Russlandreisen, Gorki und<br />
Tolstoi wirkten inspirierend auf die Sozialreportagen von Koch-Gotha ein. Künstlerisch<br />
zentral war jedoch das Vorbild Adolph Menzels. Koch-Gothas frühe Skizzen belegen das eindeutig.<br />
Er selbst bezeichnete sich als „Schüler Menzels“. Dessen legendäre Angewohnheit,<br />
Max Klinger, above all the sequence of etchings<br />
Dramas 1883. This series is basically a homage to the<br />
work of the French author, and was originally supposed<br />
to be dedicated to him. The cycle is divided<br />
into numerous independent sections, and one of<br />
these, the three-part “The Mother“, treats the<br />
aspect of social reportage central to Zola’s work.<br />
The starting point was a newspaper article about a<br />
case tried in 1878 before a Berlin court that in its<br />
mechanical chain of fatal circumstances had a typically<br />
Zolaesque quality. With this series, Klinger not<br />
only clearly indicated the artistic status of illustrative<br />
reporting. By developing the story in a sequence<br />
of detailed images, behind which the chronological<br />
sequence fof the news text almost disappears, he<br />
decisively inspired and supported the step that was<br />
to be taken by the editors B.I.Z. in terms of reformulating<br />
the task of new illustration in the age of photography.<br />
Literary models like Zola, or, in his later Russian travels,<br />
Gorki and Tolstoi, served as inspirations for<br />
Koch-Gotha’s illustrative journalism. Central in<br />
artistic terms, however, was the model provided by<br />
Adolph Menzel, as shown by Koch-Gotha’s early<br />
sketches. He himself called himself a “student of<br />
Menzel.” His legendary habit, with a huge number<br />
of sketch books—for which he especially had a many<br />
pocketed vest tailored—to record at any occasion<br />
seemingly unselected fragments of the world, influenced<br />
many press illustrators, including George<br />
Grosz, who worked for Ullstein’s satire magazine<br />
Uhu. He was inspired by Menzel’s doctrine of “drawing<br />
all” (“alles zeichnen”) to engage in a lifelong<br />
production of sketchbooks. 13<br />
How strongly Menzel was associated with a renaissance<br />
in illustrative reporting, which after years of<br />
subservience to photography was now placed equally<br />
at its side by the editors of the B.I.Z. as a medium<br />
„Eine Familie, durch den Krach verarmt. Der Mann, Säufer geworden, misshandelt<br />
Frau und Kind. Sie, vollständig verzweifelt, springt mit dem Kind ins Wasser.<br />
Das Kind ertrinkt, sie wird gerettet, wieder zum Leben gebracht, wegen Totschlags<br />
und Selbstmordversuchs vor Gericht gestellt – freigesprochen. – Berliner<br />
Schwurgerichtsverhandlungen, Sommer 1881“ (Aus dem Inhaltsverzeichnis der<br />
5. <strong>Auf</strong>l. der Mappe „Dramen“)<br />
“A family, impoverished by the crash. The man, now a drinker, abuses wife and<br />
child. She, in utter despair, jumps with her child into the water. The child drowns,<br />
she is saved, brought back to life, and brought before court for manslaughter<br />
and attempted suicide, but is found not-guilty – Berlin Court Cases, Summer<br />
1881” (Table of Contents, “Dramen”, 5th edition)<br />
Max Klinger<br />
„Eine Mutter (I–III)“ aus: „Dramen“, Opus IX.<br />
Folge von 10 Radierungen, Berlin 1883