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(Auf-)Zeichnen 1800-1900 - Melton Prior Institut

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Alexander Roob<br />

52<br />

53<br />

Fritz Koch-Gotha: „Beerdigung des Matrosen<br />

Omeltschuk vom Panzerkreuzer Potemkin“,<br />

Odessa, 1906<br />

Fritz Koch-Gotha, „Der Kapp-Putsch: Einmarsch<br />

der Truppen aus Döberitz“, Berlin, 1920<br />

tone and intention of the depictions had now<br />

changed. Naturalism no longer primarily appealed to<br />

feeling, but to reason. It was tied to the claim to an<br />

academic-objective analysis of living conditions and<br />

led to a new degree of descriptive focus and detail.<br />

In Germany, this movement effected above all circles<br />

of artists associated with the New Berlin Secession,<br />

artists who worked against the historicism of<br />

the Wilhelmine period and who were connected in<br />

numerous ways to the B.I.Z. In addition to the secessionist<br />

Heinrich Zille, one artist who worked for a<br />

while for the weekly was the painter Hans Baluschek,<br />

a close colleague of Käthe Kollwitz. In Baluschek’s<br />

work 12 , which had an effect on the early Koch-Gotha,<br />

the influence of Zola is quite fundamental in nature,<br />

especially his mining opus “Germinal“, which also<br />

formed the literary inspiration for Koch-Gotha’s<br />

first trip. In iconographic terms, Baluscheck’s work<br />

as a whole was strongly based on the print cycles of<br />

sche Bewegung gar nicht hoch genug angesetzt werden, standen doch die meisten dieser<br />

Zeichner auch bei Dickens als Illustratoren seiner Werke im Sold. 11<br />

Auch auf den zweiten Schub einer sozialrealistischen Bewegung in der Kunst, den so<br />

genannten „Naturalismus“, der der Reportagezeichnung zu Anfang des letzten Jahrhunderts<br />

neue Impulse gab, wirkte in erster Linie ein bestimmtes literarisches Werk als Ferment ein:<br />

Émile Zola(*1840) kam wie Dickens aus dem journalistischen Gewerbe und hatte ebenfalls<br />

als Reporter gearbeitet. Tonart und Intention der Beschreibung hatten sich allerdings<br />

nunmehr geändert. Der Naturalismus appellierte nicht mehr vorrangig an das Gefühl, sondern<br />

an den Verstand. Er war mit dem Anspruch einer wissenschaftlich-sachlichen Analyse<br />

der Lebensverhältnisse verbunden und führte eine neuen Grad von Schärfe und Detaillierung<br />

in die Beschreibungen ein.<br />

In Deutschland wirkte diese Bewegung vor allem auf die gegen den Historismus der<br />

Kaiserzeit opponierenden Künstlerkreise der „Neuen Berliner Secession“ ein, die über vielfache<br />

Drähte mit der B.I.Z. verbunden waren. Neben dem Secessionisten Heinrich Zille arbeitete<br />

beispielsweise auch der Maler Hans Baluschek, ein enger Weggefährte von Käthe<br />

Kollwitz, zeitweise für die Illustrierte. In Baluscheks Werk, 12 das auf den frühen Koch-Gotha<br />

einwirkte, ist der Einfluss von Zola ein ganz fundamentaler, vor allem von dessen Bergbau-<br />

Opus „Germinal“, das die literarische Vorlage für Koch-Gothas erste Reise bildete. Ikonografisch<br />

orientierte sich Baluscheks gesamtes Werk sehr stark an den grafischen Zyklen von<br />

Max Klinger, vor allem an dessen Radierfolge „Dramen“ von 1883. Sie stellt im Grunde eine<br />

Hommage an das Werk des französischen Schriftstellers dar und sollte diesem ursprünglich<br />

auch gewidmet werden. Der Zyklus gliedert sich in mehrere autonome Abschnitte, und<br />

einer davon, die Dreierfolge „Die Mutter“ behandelt den im Werk Zolas zentralen Aspekt der<br />

Sozialreportage. Der Ausgangspunkt war ein Zeitungsbericht über einen im Jahr 1878 vor<br />

dem Berliner Schwurgericht verhandelten Fall, der in der mechanischen Verkettung fataler<br />

Umstände typisch Zola’schen Zuschnitt hatte. Klinger wies mit dieser Radierfolge nicht<br />

nur deutlich auf den künstlerischen Rang grafischer Berichterstattung hin. Indem er die<br />

Nachricht aus einer Reihe detailscharfer Bilder entwickelte, hinter deren chronologischer<br />

Abfolge der Nachrichtentext nahezu verschwindet, inspirierte und beförderte er den Schritt,<br />

den die Redaktion der B.I.Z. hinsichtlich einer Neuformulierung von Zeichnungsreportage<br />

im fotografischen Zeitalter unternehmen sollte, in entscheidendem Maße.<br />

Literarische Vorbilder wie Zola oder, bei seinen späteren Russlandreisen, Gorki und<br />

Tolstoi wirkten inspirierend auf die Sozialreportagen von Koch-Gotha ein. Künstlerisch<br />

zentral war jedoch das Vorbild Adolph Menzels. Koch-Gothas frühe Skizzen belegen das eindeutig.<br />

Er selbst bezeichnete sich als „Schüler Menzels“. Dessen legendäre Angewohnheit,<br />

Max Klinger, above all the sequence of etchings<br />

Dramas 1883. This series is basically a homage to the<br />

work of the French author, and was originally supposed<br />

to be dedicated to him. The cycle is divided<br />

into numerous independent sections, and one of<br />

these, the three-part “The Mother“, treats the<br />

aspect of social reportage central to Zola’s work.<br />

The starting point was a newspaper article about a<br />

case tried in 1878 before a Berlin court that in its<br />

mechanical chain of fatal circumstances had a typically<br />

Zolaesque quality. With this series, Klinger not<br />

only clearly indicated the artistic status of illustrative<br />

reporting. By developing the story in a sequence<br />

of detailed images, behind which the chronological<br />

sequence fof the news text almost disappears, he<br />

decisively inspired and supported the step that was<br />

to be taken by the editors B.I.Z. in terms of reformulating<br />

the task of new illustration in the age of photography.<br />

Literary models like Zola, or, in his later Russian travels,<br />

Gorki and Tolstoi, served as inspirations for<br />

Koch-Gotha’s illustrative journalism. Central in<br />

artistic terms, however, was the model provided by<br />

Adolph Menzel, as shown by Koch-Gotha’s early<br />

sketches. He himself called himself a “student of<br />

Menzel.” His legendary habit, with a huge number<br />

of sketch books—for which he especially had a many<br />

pocketed vest tailored—to record at any occasion<br />

seemingly unselected fragments of the world, influenced<br />

many press illustrators, including George<br />

Grosz, who worked for Ullstein’s satire magazine<br />

Uhu. He was inspired by Menzel’s doctrine of “drawing<br />

all” (“alles zeichnen”) to engage in a lifelong<br />

production of sketchbooks. 13<br />

How strongly Menzel was associated with a renaissance<br />

in illustrative reporting, which after years of<br />

subservience to photography was now placed equally<br />

at its side by the editors of the B.I.Z. as a medium<br />

„Eine Familie, durch den Krach verarmt. Der Mann, Säufer geworden, misshandelt<br />

Frau und Kind. Sie, vollständig verzweifelt, springt mit dem Kind ins Wasser.<br />

Das Kind ertrinkt, sie wird gerettet, wieder zum Leben gebracht, wegen Totschlags<br />

und Selbstmordversuchs vor Gericht gestellt – freigesprochen. – Berliner<br />

Schwurgerichtsverhandlungen, Sommer 1881“ (Aus dem Inhaltsverzeichnis der<br />

5. <strong>Auf</strong>l. der Mappe „Dramen“)<br />

“A family, impoverished by the crash. The man, now a drinker, abuses wife and<br />

child. She, in utter despair, jumps with her child into the water. The child drowns,<br />

she is saved, brought back to life, and brought before court for manslaughter<br />

and attempted suicide, but is found not-guilty – Berlin Court Cases, Summer<br />

1881” (Table of Contents, “Dramen”, 5th edition)<br />

Max Klinger<br />

„Eine Mutter (I–III)“ aus: „Dramen“, Opus IX.<br />

Folge von 10 Radierungen, Berlin 1883

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