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(Auf-)Zeichnen 1800-1900 - Melton Prior Institut

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39<br />

Widerständiges Material<br />

Zeichnungen aus<br />

nationalsozialistischen<br />

Konzentrations- und<br />

Vernichtungslagern /<br />

Resistant Material<br />

Drawings from Nazi<br />

Concentration and<br />

Death Camps<br />

karin gludovatz<br />

It is certainly impossible to express oneself in a<br />

sufficiently specific way about a question understood<br />

to be as “global” as the so-called “camp<br />

drawings”: as if the drawings of prisoners of<br />

Stalinist camps could be directly compared to<br />

those of prisoners of Nazi camps without any loss<br />

of contextual precision. This is the first problem,<br />

one more than merely methodological in nature,<br />

that a text like this finds itself confronted with.<br />

I have here chosen to focus on the already hardly<br />

manageable context of National Socialism, since<br />

the debate about the period of German fascism<br />

focuses to a great extent on visual representations.<br />

Pictures and iconic signs not only played an<br />

eminently important role in the Nazis’ own selfstyling,<br />

but also and especially for the resistance<br />

and for the uncovering and discussion of Nazi<br />

crimes, whereby the importance of engaging with<br />

other historical “documents” should by no means<br />

Es dürfte unmöglich sein, sich in ausreichend spezifischer Weise über ein „global“ verstandenes<br />

Phänomen so genannter „Lagerzeichnungen“ zu äußern – etwa so, dass ohne<br />

Verlust an kontextueller Genauigkeit Zeichnungen von Gefangenen stalinistischer Lager mit<br />

solchen von Gefangenen nationalsozialistischer Lager direkt verglichen werden könnten.<br />

Dies ist das erste, nicht nur methodische Problem, dem sich ein Text wie dieser gegenüber<br />

sieht. Ich habe mich hier für eine Fokussierung auf den an sich bereits kaum überschaubaren<br />

Zusammenhang des Nationalsozialismus entschieden, da der Diskurs über die Zeit des<br />

deutschen Faschismus zu einem großen Teil über bildliche Repräsentationen läuft. Bilder<br />

und ikonische Zeichen nahmen und nehmen eine eminent wichtige Rolle ein: Für die Selbststilisierung<br />

der Nazis, aber auch und gerade für den Widerstand, die <strong>Auf</strong>deckung und die<br />

Diskussion der nationalsozialistischen Verbrechen – wobei die Wichtigkeit der Auseinandersetzung<br />

mit anderen historischen „Dokumenten“ keinesfalls geleugnet werden soll.<br />

Doch werden im Folgenden nicht einzelne Künstler oder Werke vorgestellt, sondern strukturelle<br />

Probleme im Umgang mit dieser Bildproduktion benannt.<br />

Die Nationalsozialisten vertrauten in hohem Maß auf die Wirkung von Bildern jeder<br />

Art und nutzten diese – wie es insbesondere totalitäre Regimes bis heute zu tun pflegen –<br />

für ihre Propaganda. Umso mehr wussten sie auch um die Bedrohung, die visuelle Befunde<br />

ihrer Machenschaften für sie hätten darstellen können und untersagten jegliche Bildproduktion<br />

jenseits staatlicher Überwachung. Somit existierten, von offizieller Seite verordnet,<br />

nebeneinander Ikonodulie – am evidentesten im Umgang mit den unzähligen Hitler-<br />

Porträts bzw. mit Bild-Symbolen wie etwa der Hakenkreuzfahne – und Ikonoklasmus –<br />

manifest in der Zerstörung nonkonformistischer Kunst, unliebsamer Fotos und „Alltagsgrafik“.<br />

Bekanntlich erhielt sich dennoch eine – gemessen an diesen Voraussetzungen –<br />

umfangreiche „unkontrollierte“ Bildproduktion. Zum einen wurde sie von denen hinterlassen,<br />

die selbst dem Regime dienten: So dokumentierten nicht wenige Soldaten der Wehrmacht<br />

ausführlich ihre Gräueltaten an der Ostfront, wie auch SS-Angehörige in den Lagern<br />

bzw. auf den Transporten fotografierten, was aus Gründen der Geheimhaltung untersagt war. 1<br />

Zum anderen aber geht ein beträchtlicher Bestand dieser verbotenen Bilder auf die<br />

Insassen der Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager zurück, die trotz Androhung<br />

strengster Repressalien an bildlichen Äußerungen festhielten und unter schwierigsten Bedingungen<br />

– auf die noch genauer einzugehen sein wird – zumeist grafische Arbeiten anfertigten,<br />

während sie nur sehr selten die Gelegenheit hatten, Fotos zu machen. 2<br />

Die Verhinderungsstrategie der führenden Nazis sollte letztlich erfolglos bleiben, denn<br />

das Bild der Lager vermittelte sich der Öffentlichkeit nach dem Krieg und bis heute vor allem<br />

über Fotografien einer sehr unterschiedlichen Produzentenschaft. Ein Teil der bekann-<br />

be denied. In the following, however, individual<br />

artists or works will not be presented; instead, I<br />

will focus on structural problems entailed by the<br />

use of this visual production.<br />

The Nazis placed great store in the effectiveness<br />

of images of every kind, using them for propaganda<br />

purposes, as totalitarian regimes in particular<br />

still do today. They were thus all the more aware<br />

of the threat that any visual evidence of their<br />

deeds could present to them, and thus forbade all<br />

image production outside of state supervision.<br />

This resulted in an official sanctioned juxtaposition<br />

of iconodulia on the one hand, as can be<br />

most clearly seen in the use of countless Hitler<br />

portraits and/or visual symbols like the swastika<br />

flag, and iconoclasm on the other, as manifested<br />

in the destruction of non-conformist art, unwanted<br />

photographs, and “everyday art.” But despite<br />

these conditions, an extensive “uncontrolled”<br />

visual production was still able to hold its own.<br />

Some of these pictures were made by those who<br />

served the regime: quite a few soldiers of the<br />

Wehrmacht documented their atrocities on the<br />

Eastern Front extensively, and SS men took photographs<br />

in the camps or during the transports, an<br />

act that was forbidden for reasons of secrecy. 1<br />

At the same time, a significant amount of these<br />

forbidden pictures can be attributed to those<br />

imprisoned in the ghettos, concentration camps,<br />

and extermination centers, who despite the<br />

threat of severe repressions, held on to the production<br />

of visual expressions. Under the most difficult<br />

conditions, as will be explored in more<br />

detail, the inmates were primarily able to finish<br />

drawings, while they only rarely had the opportunity<br />

to take photographs. 2<br />

Ultimately, the Nazi attempt to hinder the production<br />

of images was unsuccessful, for the public did<br />

Jacques Gotko (Jankele Godkowski) (<strong>1900</strong>-1943),<br />

Wachturm in Compiègne, ca. 1942<br />

Malvina Schalkova (1882-1944), „In der Werkstatt“<br />

(Theresienstadt), ca. 1943<br />

Abb. aus: Miriam Novitch, Resistenza Spirituale<br />

1940-1945, Ghetto Fighters’ House, Kibbutz Lohamei<br />

Hagetaot, Mailand 1979<br />

get an image of the camp after the war, and until<br />

today this image is primarily based on photographs<br />

taken by a very diverse group. Some of these photographs<br />

were commissioned by those in power, in<br />

order to simulate an ostensibly natural, but of course<br />

completely distorted reality of the camps for the<br />

public, not least international observers. As already<br />

mentioned, many of these photographs were taken<br />

by SS men secretly for private purposes, and the<br />

allies also took photographs after liberation with<br />

the goal of advancing de-Nazification in Germany<br />

through deterrence and information campaigns.<br />

In recent years, the role of photography for the<br />

representation and remembrance of the Shoah has<br />

increasingly been the subject of critical reflection.<br />

The realization of the constructed nature of every<br />

photo, determined by its technical conditions of<br />

emergence, and their inherent content-constitutive<br />

moment stands opposed to an image production<br />

ten <strong>Auf</strong>nahmen wurde von den Befehlshabern in <strong>Auf</strong>trag gegeben, um eine vorgebliche,<br />

freilich völlig verzerrte Lagerrealität der Öffentlichkeit und nicht zuletzt internationalen<br />

Beobachtern vorzutäuschen. Etliche wurden aber auch, wie gesagt, von SS-Leuten heimlich<br />

zu privaten Zwecken gemacht, und schließlich fertigten die Alliierten nach der Befreiung<br />

Fotos zur Dokumentation mit dem Ziel, durch <strong>Auf</strong>klärung und Abschreckung die<br />

„Entnazifizierung“ in Deutschland voranzutreiben.<br />

Die Rolle der Fotografie für Darstellung und Erinnerung der Shoah wurde in den letzten<br />

Jahren zunehmend kritisch reflektiert. Die jedem Foto durch seine technischen Entstehungsbedingungen<br />

eigene Konstruiertheit und das dieser innewohnende inhaltlich-konstitutive<br />

Moment steht gegen eine – nicht zuletzt von den Befreiern in den Nachkriegsjahren<br />

bewusst initiierte – Beschwörung unbedingter Authentizität des Materials und wurde<br />

im Kontext der Frage nach prinzipieller Darstellbarkeit des organisierten Massenmords<br />

wie auch jener nach dem Leistungsvermögen von Bildern diskutiert. 3 Zudem sensibilisierten<br />

diese Diskussionen für die Problematik, mit der uneingeschränkten Ausstellung dieser<br />

Grauen erregenden <strong>Auf</strong>nahmen die „Verfügbarkeit“ der Betroffenen in ihrem „Opferstatus“<br />

gewissermaßen zu prolongieren, das Bild der Lagerinsassen dahingehend dauerhaft festzuschreiben<br />

und in der Anschauung mehr auf Schockwirkung als auf kritische Reflektion<br />

abzuzielen.<br />

Dies alles sind Fragen, die auch den Umgang mit den Zeichnungen berühren, obwohl<br />

diese von einer „inneren Perspektive“ der Betroffenen aus entstanden, während die Fotografien<br />

zumeist ja einen Blick von Außen abbilden. Diese maßgebliche Unterscheidung prägt<br />

wohl auch den bisherigen Umgang mit jenen grafischen Arbeiten, die häufig unter Bezeichnungen<br />

wie „Holocaust-Kunst“ oder „Lagerkunst“ zusammengefasst werden. 4 Ihnen wurde<br />

einerseits auf Grund ihrer Entstehungsumstände und vor allem durch ihren Status als „(Er)-<br />

Zeugnisse“ von Lagerinsassen in hohem Maße ‚Authentizität‘ zugebilligt, während andererseits<br />

begriffliche Vereinheitlichungen wie eben etwa „Lagerkunst“ eine undifferenzierte<br />

Rezeption befördern. Diese beiden Defizite sollen im Folgenden diskutiert werden.<br />

Die vorhin vorgenommene Gegenüberstellung von „offizieller“ und „inoffizieller“ Bildproduktion<br />

ist eine simple Unterscheidung, zielt aber auf ein grundsätzliches Problem ab:<br />

die Heterogenität dieser Konvolute, auf der es zu beharren gilt, selbst wenn man das Untersuchungsfeld<br />

auf Zeichnungen fokussiert.<br />

Die oktroyierte Bilderzeugung war motivisch, stilistisch und produktionstechnisch<br />

determiniert und beschwört insofern eine künstliche Einheitlichkeit. Diese lässt sich nicht<br />

als eine von den Produzenten gewollte Kongruenz verstehen, ihr liegt vielmehr ein Modell<br />

erzwungener Assimilierung zugrunde, das eine homogenisierende Bezeichnung wie „La-<br />

that not least in the post-war years, as consciously<br />

initiated by the liberators, is characterized by the<br />

invocation of the absolute authenticity of the material.<br />

This insistence on authenticity was also discussed<br />

in the context of the basic questions of the<br />

representability of organized mass murder and the<br />

effectiveness of images. 3 On top of this, these discussions<br />

raised sensitivity for the problematic that<br />

the unlimited exhibition of these horrible photographs<br />

in a certain sense prolongs the instrumentalization<br />

of those effected in their status as victims,<br />

permanently fixing the image of the camp inmates,<br />

shown more for shock value than critical reflection.<br />

These are all questions that also touch upon the use<br />

of the drawings, although these emerged from an<br />

“inner perspective” of the effected, while the photographs<br />

usually depict an external gaze. This critical<br />

distinction also marks the prior use of these<br />

illustrations, often apostrophized as “Holocaust<br />

art” or “camp art.” 4 They were attributed a great<br />

degree “authenticity,” on the one hand due to their<br />

conditions of emergence and also due to their status<br />

as testimony made by the camp inmates themselves.<br />

5 At the same time, conceptual generalizations<br />

like “camp art” encourage an undifferentiated<br />

reception. In the following, these two deficits will<br />

be discussed.<br />

The previously mentioned opposition of “official” and<br />

“unofficial” image production is a simple distinction,<br />

but also hits on a fundamental problem: the heterogeneity<br />

of these pictures, that must be insisted upon,<br />

even if we focus on the drawings alone.<br />

The controlled image production was rigidly determined<br />

in subject matter, style, and production technique,<br />

and thus exhibits an artificial unity. This cannot<br />

be understood as a congruence sought out by<br />

the producers themselves, at its foundation is a far<br />

more a model of forced assimilation, an assimilation

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