RZ Unter uns 2005.qxd - Stadt Düsseldorf
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<strong>Unter</strong> <strong>uns</strong><br />
Impressionen aus<br />
der Kanalisation<br />
Herausgegeben von der<br />
Landeshauptstadt Düsseldorf<br />
Der Oberbürgermeister<br />
<strong>Stadt</strong>entwässerungsbetrieb<br />
Redaktion<br />
Lutz Barenthien, Klaus Herr, Birgit Bremmenkamp<br />
Beiträge von<br />
Lutz Barenthien, Bernd Derse, Manfred Engler, Stefan Goidke,<br />
Klaus Herr, Ralf Klamp, Hans-Joachim Kobrow, Dr. Marlene<br />
Robecke, Dr. Claus Henning Rolfs, Werner Sassen, Manfred<br />
Schneider<br />
Bezug<br />
<strong>Stadt</strong>entwässerungsbetrieb<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Auf’m Hennekamp 47<br />
40225 Düsseldorf<br />
Telefon 0211. 89-2 27 22<br />
Fax 0211. 89-2 9214<br />
2. Auflage<br />
www.duesseldorf.de/kanal<br />
IX/05-5.
Inhalt<br />
9<br />
William Lindley – Vater der modernen <strong>Stadt</strong>entwässerung<br />
Die Anfänge der Düsseldorfer Kanalisation<br />
14<br />
Ein Labyrinth mit System<br />
Die Kanalnetzentwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart<br />
18<br />
Verborgene Qualitäten im <strong>Unter</strong>grund<br />
Kanalbau gestern und heute<br />
28<br />
Eine kleine Toilettengeschichte<br />
Grundstücksentwässerung mit Herz und Verstand<br />
30<br />
Darum dreht sich alles – das Abwasser<br />
Reinigung und Überwachung des Abwassers<br />
36<br />
Ein beschwerlicher Aufstieg<br />
Betrieb des Kanalnetzes<br />
40<br />
Der dritte Mann bleibt oben<br />
Mit Sicherheit in den <strong>Unter</strong>grund<br />
46<br />
Von der Schaufel zum Microprozessor<br />
Kanalbetrieb konkret<br />
56<br />
Gerüch(t)eküche<br />
Skuriles und Kurioses aus der Düsseldorfer <strong>Unter</strong>welt<br />
62<br />
Quellennachweis<br />
Herausgeberangaben<br />
3
Die Kanalisation in Düsseldorf<br />
Vorwort des Beigeordneten Werner Leonhardt<br />
Die Kanalisation in Düsseldorf<br />
Vorwort der Betriebsleitung<br />
Nunmehr sind 6 Jahre seit der Erstauflage<br />
der Broschüre „<strong>Unter</strong> Uns – Impressionen<br />
aus 125 Jahren Kanalisation“ vergangen.<br />
Grund genug, die Broschüre zu überarbeiten<br />
und dem Corporate Design der <strong>Stadt</strong><br />
Düsseldorf anzupassen.<br />
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann sich<br />
die Einwohnerzahl Düsseldorfs immer<br />
schneller zu vergrößern. Schon bald gab es<br />
hygienische Probleme. Vor diesem Hintergrund<br />
wurde zunächst die Trinkwasserfrage<br />
geklärt. Einige Jahre später wurde dann die<br />
Abwasserbeseitigung in Angriff genommen.<br />
Der englische Ingenieur Wiliam Lindley, der<br />
bereits die Trinkwasserversorgung Düsseldorfs<br />
geplant hatte, sollte auch die Planungen<br />
der Abwasserbeseitigung übernehmen.<br />
1874 wurden dann nach mehrjähriger<br />
Vorplanung die ersten Kanäle eines Kanalisationssystems<br />
in Düsseldorf gebaut. Seit<br />
dieser Zeit wird in Düsseldorf ein einwandfrei<br />
funktionierendes Kanalisationsnetz<br />
betrieben, das mit Hilfe der Klärwerke eine<br />
zuverlässige Entwässerung des Düsseldorfer<br />
<strong>Stadt</strong>gebietes gewährleistet.<br />
Durch neue Mess- und Leittechniken ist es<br />
zwischenzeitlich möglich geworden, die notwendigen<br />
Investitionskosten für die Erneuerung<br />
und Sanierung des Kanalisationssystems<br />
auf ein Minimum zu reduzieren.<br />
Somit leistet der <strong>Stadt</strong>entwässerungsbetrieb<br />
Düsseldorf einen wesentlichen Beitrag, die<br />
Gebühren für die Bürgerinnen und Bürger<br />
auch zukünftig moderat zu gestalten und<br />
das Schmutz- und Niederschlagswasser<br />
sicher abzuleiten.<br />
Heute wie vor über 130 Jahren ist vielen<br />
nicht bekannt, was „unter <strong>uns</strong>“ passiert.<br />
Lassen Sie sich daher in die „<strong>Unter</strong>welt“ der<br />
<strong>Stadt</strong> Düsseldorf entführen und gewinnen<br />
Sie einen Eindruck, wie es dort aussieht.<br />
Das Spannungsfeld von ökologisch und<br />
seuchenhygienisch bestimmten Bedürfnissen<br />
einerseits und ökonomischen Konsequenzen<br />
andererseits kennzeichnet den<br />
Weg der kommunalen Abwasserentsorgung<br />
in Düsseldorf schon seit ihrem Beginn vor<br />
über 130 Jahren. Bereits 1882 versprach die<br />
Zentrumspartei ihren Wählern, wegen der<br />
gefürchteten Kostenbelastung gegen die<br />
Verpflichtung zum Anschluss an die<br />
Kanalisation zu kämpfen. Auch der Hausund<br />
Grundbesitzerverein lehnte seinerzeit<br />
eine Kanalisation ab, die sich auf die gesamte<br />
<strong>Stadt</strong> erstrecken sollte, da sie hohe Kosten<br />
für die Bauherren verursache.<br />
Die Einwohner Düsseldorfs benutzen heute<br />
die Einrichtungen der Abwasserentsorgung<br />
zwar täglich, nehmen sie aber eigentlich<br />
kaum wahr. Verborgen „UNTER UNS“<br />
befindet sich das mittlerweile rund 1.550<br />
Kilometer lange Abwassernetz – ein Röhrenund<br />
Höhlensystem, das üblicherweise nicht<br />
das Ziel eines Wochenendausfluges ist. Auch<br />
die Klärwerke an der Peripherie der <strong>Stadt</strong>,<br />
die Pumpstationen und anderen technischen<br />
Einrichtungen sind von der Mehrzahl ihrer<br />
Nutzer nie gesehen worden.<br />
Es ist daher auch nur natürlich, dass kaum<br />
bekannt ist, welche vielfältigen Aufgaben<br />
zu erfüllen sind und welche zum Teil sehr<br />
komplexe Technik eingesetzt wird, um<br />
das Abwassersystem umweltverträglich, störungsfrei<br />
sowie kostengünstig – und damit<br />
fast unbemerkt vom Benutzer und Gebührenzahler<br />
– zu betreiben.<br />
Erahnen kann dies vielleicht, wer die Impressionen<br />
zur über 130-jährigen Geschichte<br />
der Düsseldorfer <strong>Stadt</strong>entwässerung auf sich<br />
wirken lässt.<br />
Werner Leonhardt<br />
Beigeordneter<br />
Dr. Claus Henning Rolfs<br />
Techn. Betriebsleiter SEBD<br />
Günter Ostermeier<br />
Kaufm. Betriebsleiter SEBD<br />
4 5
William Lindley – Vater der modernen <strong>Stadt</strong>entwässerung<br />
Die Anfänge der Düsseldorfer Kanalisation<br />
Wir unternehmen eine Zeitreise ...<br />
Düsseldorf im Jahre 1874. Die <strong>Stadt</strong> ist seit 1815, nachdem<br />
Napoleon sein Waterloo erlebt und der Wiener<br />
Kongress beschlossen hat, dass die Rheinlande zum<br />
Königreich Preußen gehören, nun eben preußisch.<br />
Verwaltet und „regiert“ wird die <strong>Stadt</strong> von dem Oberbürgermeister<br />
Ludwig Hammers, einem Mann, der es<br />
versteht, die Möglichkeiten, die ihm die Rheinische<br />
Gemeindeordnung von 1856 bietet, voll auszunutzen. Er<br />
ist zugleich verantwortlicher Leiter der <strong>Stadt</strong>verwaltung<br />
und Vorsitzender der <strong>Stadt</strong>verordnetenversammlung.<br />
Die <strong>Stadt</strong> selber lässt sich grob mit den <strong>Stadt</strong>teilen<br />
Altstadt, Carlstadt, Neustadt, Friedrichstadt und Pempelfort<br />
umschreiben.<br />
Düsseldorfer Rheinufer um 1860<br />
6 7
William Lindley – Vater der modernen <strong>Stadt</strong>entwässerung<br />
Die Anfänge der Düsseldorfer Kanalisation<br />
Seit 1826 ist ein enormer Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen.<br />
Etwa 44.000 neue Einwohner strömten seitdem<br />
in die <strong>Stadt</strong>, sodass sie mit nun 77.000 Einwohnern<br />
„aus allen Fugen“ gerät. Der Grund für diesen enormen<br />
Zuwachs ist der Zuzug von Industriebetrieben, die die<br />
verkehrsgünstige Lage Düsseldorfs nutzen wollen.<br />
Aber diese wirtschaftlich positive Entwicklung hat auch<br />
ihre Schattenseiten: Um den Zustrom der Menschen zu<br />
bewältigen, musste Raum für neue Bebauung geschaffen<br />
werden. Die <strong>Stadt</strong> versuchte daher, durch die Aufstellung<br />
von Bebauungsplänen in den Jahren 1831 und 1854 eine<br />
geregelte <strong>Stadt</strong>planung zu gewährleisten, aber wegen des<br />
starken Zuzugs von Menschen waren die Pläne, kaum<br />
dass sie fertig und genehmigt waren, nicht mehr zeitgemäß<br />
und mussten daher ständig überarbeitet werden.<br />
Hygienische Verhältnisse<br />
Es entstand jedoch noch ein weiteres, viel größeres Problem<br />
aus dem Bevölkerungszuwachs:<br />
Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte kam es zu<br />
fatalen hygienischen Verhältnissen.<br />
Das Trinkwasser wurde aus öffentlichen oder auch hauseigenen<br />
Trinkwasserbrunnen gewonnen, die zumeist in<br />
unmittelbarer Nähe der Aborte und Toilettenhäuschen<br />
angelegt waren. Hierdurch, wie auch teilweise durch<br />
mangelnde körperliche Hygiene, traten immer wieder<br />
Epidemien, wie zum Beispiel Rur und Cholera auf, die<br />
sich sehr schnell verbreiten konnten. Aber Wissenschaftler<br />
wie Pettenkoffer, ein bekannter deutscher<br />
Hygieniker, haben inzwischen durch Versuche nachweisen<br />
können, dass ein Zusammenhang zwischen mangelnder<br />
<strong>Stadt</strong>hygiene und den Seuchen besteht und setzten sich<br />
für die Verbesserung der stadthygienischen Verhältnisse<br />
ein. So hatte dann auch die <strong>Stadt</strong>spitze schon für 1866<br />
eine zentrale Wassergewinnung für Düsseldorf geplant,<br />
aber durch den Ausbruch des preußisch-österreichischen<br />
Krieges und in Erwartung eines langen Kriegsverlaufes<br />
wurden diese Pläne zurückgestellt.<br />
Die Ironie des Schicksals war, dass „justament“ eine<br />
Choleraepidemie ausbrach. Durch große finanzielle<br />
Aufwendungen zur <strong>Unter</strong>bringung der Kranken konnte<br />
allerdings erreicht werden, dass nur 169 Personen<br />
erkrankten, von denen über die Hälfte geheilt wurde.<br />
So zog sich die Planung der Trinkwasserversorgung bis<br />
in das Jahr 1868. Diese sah vor, die gesamte <strong>Stadt</strong>bevölkerung<br />
mit Grundwasser zu versorgen, das im kieshaltigen<br />
<strong>Unter</strong>grund des Rheintales natürlich filtriert<br />
wurde.<br />
Auf Ersuchen des Oberbürgermeisters Hammers begutachtete<br />
am 1. Dezember 1868 William Lindley, ein in<br />
Europa bekannter englischer Ingenieur, den vom<br />
<strong>Stadt</strong>baumeister Schneider aufgestellten Entwurf für<br />
eine solche Versorgung.<br />
Er billigte die gewählte Art der Wasserversorgung, doch<br />
schlug er unter anderem vor, das Grundwasser an einer<br />
weiter stromaufwärts gelegenen Stelle beim Ort Flehe<br />
zu gewinnen, die hochwasserfrei an einer von frischem<br />
Wasser durchströmten Konkave des Rheins und auf<br />
starken Schichten von Kies und Sand lag. <strong>Unter</strong><br />
Beachtung dieses und anderer Vorschläge stellte<br />
Schneider einen neuen Entwurf auf und führte ihn<br />
dann 1869/70 aus.<br />
Somit war das Problem der Versorgung mit gesundheitlich<br />
unbedenklichem Trinkwasser gelöst, allerdings trat<br />
nun ein altes Problem vermehrt auf: Wohin mit dem<br />
anfallenden Abwasser<br />
„Die Entwässerung Düsseldorfs war wenig befriedigend<br />
und gesundheitlich bedenklich. Soweit sich die Möglichkeit<br />
bot, wurden das Regenwasser und die Schmutzwässer<br />
ohne die menschlichen Auswurfstoffe, die in<br />
Gruben gesammelt und abgefahren wurden, in den in<br />
der Nähe des Rheines gelegenen <strong>Stadt</strong>teilen durch<br />
Kanäle diesem Flusse, in anderen <strong>Stadt</strong>teilen den beiden<br />
Düsselarmen und den von diesen gebildeten<br />
Zierteichen zugeführt. In den vom Rhein und den<br />
Bachläufen entfernt liegenden <strong>Stadt</strong>teilen mussten die<br />
Abwässer in Senkgruben geleitet werden, oder sie<br />
flosssen tief gelegenen Geländeflächen zu.<br />
Bei Anlage neuer Straßen konnte vielfach eine Entwässerung<br />
nur dadurch ermöglicht werden, dass<br />
künstlich eine Anzahl von Tiefpunkten geschaffen<br />
wurde, an denen das Wasser gesammelt und durch<br />
Senkgruben beseitigt wurde. Diese mangelhaften<br />
Düsseldorf Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts<br />
Entwässerungsverhältnisse hatten eine Reihe von Übelständen<br />
im Gefolge, die mit dem Wachstum der <strong>Stadt</strong><br />
für die Gesundheit der Bevölkerung gefahrdrohend<br />
wurden, die Behaglichkeit des Wohnens störten und<br />
den Fremden den Aufenthalt in der <strong>Stadt</strong> verleideten.<br />
Die in den Düsselarmen und den Zierteichen sich<br />
sammelnden Schlammmassen verbreiteten besonders<br />
in den Sommermonaten, vielfach üble und lästige<br />
Ausdünstungen; der Boden und das Grundwasser wurden<br />
durch die zahlreichen Senkgruben in gefährlicher<br />
Weise verunreinigt und gelegentliche Überflutungen<br />
niedriger <strong>Stadt</strong>teile und benachbarter Geländeflächen<br />
vermehrten noch die aus dem Fehlen einer unterirdischen<br />
planmäßigen Entwässerung sich ergebenden<br />
Übelstände."<br />
8 9
William Lindley – Vater der modernen <strong>Stadt</strong>entwässerung<br />
Die Anfänge der Düsseldorfer Kanalisation<br />
Vor dem Hintergrund dieser für die wachsende <strong>Stadt</strong> unhaltbaren<br />
Zustände wandte sich Oberbürgermeister Hammers<br />
abermals in einem Brief an den bereits oben erwähnten William<br />
Lindley, ob er nicht bereit wäre, ein Entwässerungssystem für die<br />
<strong>Stadt</strong> Düsseldorf zu planen:<br />
Herrn Ingenieur Lindley<br />
Frankfurt a. Main<br />
Rußischer Hof<br />
18te Aug. 1871<br />
Sehr geehrter Herr!<br />
Der rasche Ausbau <strong>uns</strong>rer <strong>Stadt</strong> macht die Aufstellung eines<br />
Projektes für eine ausreichende, allen Anforderungen der<br />
<strong>uns</strong>eren Zeit entsprechende Entwässerung nöthig. In Verfolg<br />
<strong>uns</strong>erer zur Sache gehabten <strong>Unter</strong>redungen erlaube ich<br />
mir bei Ihnen ganz ergebenst anzufragen, gegen welches<br />
Honorar Sie bereit sind ein solches generelles Projekt zu<br />
entwerfen, welches die Grundlagen für die Entwässerung<br />
des nachstehenden Theiles des städtischen Gebietes in der<br />
Nachhaltigkeit enthalten müßte, daß hiernach die Spezialprojekte<br />
entworfen u. ausgeführt werden können.<br />
Die für die Aufstellung des Projektes erforderlichen Pläne,<br />
Nivellements u. sonstigen Aufnahmen würden von der<br />
<strong>Stadt</strong> u. auf ihre Kosten geliefert werden.<br />
In der Hoffnung<br />
baldgefälliger Antwort<br />
u. mit der Versicherung<br />
besonderer Hochachtung<br />
Ihr<br />
ganz ergebener<br />
Ob. bgstr.<br />
Lindley antwortete schon am 24. August 1871, dass er<br />
bereit sei, die Düsseldorfer Kanalisationsanlagen für 200<br />
Pfund Sterling zu planen und so erfolgte am 26. August<br />
seine Beauftragung.<br />
Nach einer Besichtigung der <strong>Stadt</strong> im September 1871<br />
stellte er schon am 20. April 1872 seinen „Generalentwässerungsplan“<br />
für Düsseldorf vor. Die Anfrage der<br />
<strong>Stadt</strong>verordnetenversammlung, ob es denn möglich sei,<br />
aus dem Generalentwässerungsplan die äußerst notwendige<br />
Entwässerung des östlichen <strong>Stadt</strong>teils als selbständige<br />
Anlage auszuführen, bejahte Lindley und legte eine<br />
entsprechende Planung am 18. September 1872 vor.<br />
Diese wurde nun von einer hierfür eigenst eingesetzten<br />
Kommission aus Technikern, Ärzten, Chemikern und<br />
<strong>Stadt</strong>verordneten überprüft, mit dem Ergebnis, dass die<br />
Kanäle entsprechend den vorgelegten Plänen gebaut<br />
werden sollen.<br />
Lindley und sein Ingenieur Ebner wurden sodann am<br />
11. Oktober 1873 mit dem Bau der ersten Kanalisation<br />
beauftragt.<br />
Und nun, 1874, haben sie angefangen die Straße aufzureissen,<br />
um mit dem Kanalbau zu beginnen, aber<br />
dabei handelt es sich ja nur um eine einmalige, vorübergehende<br />
Belästigung . . .<br />
William Lindley<br />
Die Ingenieurleistung von William Lindley wurde in Publikationen<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts oftmals verschwiegen, sodass ein<br />
Zusammenhang des Namens Lindley mit der Kanalisationsplanung<br />
in Düsseldorf nur für „Insider“ herzustellen war. Der von ihm<br />
begonnene Kanalbau wurde 1878 aus Geldmangel (!) eingestellt.<br />
Erst 1882 wurden die Planungsarbeiten und 1884 der Kanalbau<br />
wieder aufgenommen. Deshalb existieren in der Literatur zur <strong>Stadt</strong>geschichte<br />
zwei verschiedene Geburtsjahre der Düsseldorfer<br />
Kanalisation: 1874 und 1884.<br />
10 11
Ein Labyrinth mit System<br />
Die Kanalnetzentwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart<br />
Regenwasserüberlauf in den Rhein am Karltor<br />
Gemauerte<br />
Kanalprofile<br />
(1874-1965)<br />
Grundsätze der Kanalnetzplanung<br />
William Lindley empfahl bei seinen Reisen und Arbeiten<br />
in Europa den Bau sogenannter „Schwemmkanalisationen“.<br />
Hierbei werden die Fäkalien und die „Abwurfstoffe“<br />
zusammen mit Wasser abgespült und auf, beziehungsweise<br />
in diesem Kanalwasser schwimmend abtransportiert.<br />
Die Folge dieser Vorgabe war allerdings:<br />
Es musste genügend Abwasser vorhanden sein und die<br />
Kanäle durften nur mit einem bestimmten Gefälle verlegt<br />
werden. Waren die Kanäle zu flach verlegt, blieb das<br />
Abwasser zeitweise stehen und die Inhaltsstoffe lagerten<br />
sich ab; lagen die Kanäle zu steil, floss das Transportwasser<br />
zu schnell ab und die Inhaltsstoffe blieben ebenfalls<br />
im Kanal zurück.<br />
Ein zweiter Grundsatz, der auch in Düsseldorf realisiert<br />
wurde, war die gemeinsame Ableitung von Schmutzwasser<br />
und Niederschlagswasser. Hiermit konnten die<br />
bestehenden direkten Einleitungen in die Düssel kostengünstig<br />
aufgehoben werden, indem das gesamte Abwasser<br />
in nur einem Kanal zum Rhein abgeleitet wurde. Der<br />
Nachteil dieses Verfahrens waren die notwendigen großen<br />
Kanalquerschnitte, da in Abhängigkeit von der Entfernung<br />
vom Rhein die abgeleiteten Wassermengen immer größer<br />
wurden. Um eine Überfüllung des Kanalsystems zu verhindern,<br />
mussten Notüberläufe in den Rhein und andere<br />
Gewässer geschaffen werden, über welche die kurzfristig<br />
extrem großen Abwassermengen bei starken Regenfällen<br />
abgeleitet wurden. Nur in einem kleinen Teil des <strong>Stadt</strong>gebietes<br />
– in Grafenberg – wurde das Regenwasser um 1900<br />
getrennt gesammelt und in den Kittelbach eingeleitet.<br />
Der erste von der <strong>Stadt</strong>verordnetenversammlung 1873<br />
beschlossene Generalentwässerungsplan Lindleys sah<br />
vor, das <strong>Stadt</strong>gebiet in drei auf unterschiedlichem Höhenniveau<br />
verlaufende Hauptkanalsysteme aufzuteilen. Bei<br />
der Fortführung der Planungen durch den <strong>Stadt</strong>baurat<br />
Frings im Jahre 1882 wurde dieses 3-stufige System<br />
zug<strong>uns</strong>ten eines 2-stufigen Systems verworfen: Es entstand<br />
das sogenannte “obere” und “untere” Kanalsystem.<br />
Das unterschiedliche Niveau der Kanalsysteme erlaubte<br />
die Spülung der untenliegenden durch das Abwasser der<br />
jeweils oben liegenden<br />
Kanäle. Die<br />
Hauptkanäle dieses<br />
Systems mündeten<br />
im Bereich des<br />
Hofgartens in den<br />
Rhein.<br />
Regenwasserüberlauf in<br />
den Rhein am Karltor<br />
12 13
Ein Labyrinth mit System<br />
Die Kanalnetzentwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart<br />
Provisorische Pumpstation am Hochwassertor<br />
Fährstraße in Düsseldorf-Hamm während des<br />
Rheinhochwassers 1980<br />
Hochwasser in der Altstadt<br />
(1882)<br />
Hochwasserschutz<br />
Düsseldorf liegt größtenteils auf einer Rheinterrasse<br />
und ist somit von der Topologie her sehr flach ausgeprägt.<br />
Da aber Kanäle ein wenn auch nur geringes<br />
Gefälle haben müssen, ist vor der Einleitung in den<br />
Rhein ein Pumpwerk notwendig. Somit musste zeitgleich<br />
mit dem Bau der Kanäle eine Hochwasserpumpstation<br />
im Hofgarten errichtet werden, die mit Zentrifugalpumpen<br />
bestückt wurde. Als Antriebsquelle nutzte<br />
man bei dem Hochwasser 1877 leihweise eine Dampflokomotive.<br />
Aufgrund der hohen Mietkosten wurde<br />
aber noch im gleichen Jahr die Errichtung einer stationären<br />
Dampfmaschine beschlossen.<br />
Die Kanäle des Oberen Systems konnten auch bei Rheinhochwasser<br />
ohne Pumpenunterstützung in den Rhein<br />
abfließen. Die Kanäle des unteren Systems mussten ab<br />
einem Wasserstand von 6,00 Meter Düsseldorfer Pegel<br />
(DP) gepumpt werden.<br />
Bei einem Rheinwasserstand von 4,60 Meter DP wurden<br />
die Verbindungen zwischen den beiden Kanalsystemen<br />
mittels Schieber geschlossen. Bei 5,00 Meter DP stellte<br />
die Reinigungsanlage Golzheim ihren Betrieb ein und<br />
das Abwasser gelangte unmittelbar in den Rhein. Bei<br />
weiter steigendem Rheinwasser wurden die Pumpstationen<br />
Hofgarten, Sittarder Straße und eine provisorische<br />
Station am Auslass von Golzheim in Betrieb genommen.<br />
Problematisch wurde die Situation erst bei einem Pegelstand<br />
von 9,00 Meter DP. Dann waren die Öffnungen<br />
der Straßeneinläufe und die Belüftungsöffnungen der<br />
Kanalisation zu schließen.<br />
Seit der Hochwassersicherung des Rheinufers nach<br />
dem großen Hochwasser 1926, dem Bau des Klärwerks<br />
Düsseldorf Nord in Ilverich (1966) und dem Umbau<br />
der Abwasserreinigungsanlage Golzheim zu einem<br />
Abwasserrückhaltebecken (1967) sind die beschriebenen<br />
Hochwasserschutzmaßnahmen nicht mehr erforderlich.<br />
In Vergessenheit geraten ist jedoch sehr schnell, dass<br />
<strong>Stadt</strong>teile wie Himmelgeist, Hamm, Flehe, Volmerswerth,<br />
Urdenbach und der Hafen erst vor wenigen<br />
Jahren völlig kanalisiert wurden. Aus diesen <strong>Stadt</strong>teilen<br />
floss bis Ende der 80er Jahre das Abwasser zum Teil<br />
ungeklärt in den Rhein. Bei Hochwasser mussten – wie<br />
in den Anfängen – provisorische Pumpstationen eingerichtet<br />
werden, um die Abwasserentsorgung sicherzustellen.<br />
Mitarbeiter des Kanalbetriebes waren dann in<br />
kleinen Gerätewagen vor Ort untergebracht, um rund um<br />
die Uhr die Pumpen zu überwachen und zu bedienen.<br />
Neue Strukturen in der Entwässerung<br />
Die Grundsätze der Kanalnetzplanung von 1873 haben<br />
auch heute noch ihre Gültigkeit. Die alten Strukturen<br />
mit ihren Regenauslässen und Einleitungen in den<br />
Rhein sind noch heute erkennbar. Aber die <strong>Stadt</strong> ist<br />
gewachsen – von 77.000 Einwohnern im Jahr 1874 auf<br />
heute 570.000 – und auch in der Fläche von etwa 48<br />
Quadratkilometern auf heute 218 Quadratkilometer.<br />
Aber die Kanalisationsanlagen waren natürlich auf die<br />
damalige Größe berechnet worden, sodass trotz mehrmaliger<br />
Umplanungen in heutiger Zeit oft Transportkanäle,<br />
also Kanäle, die das Abwasser vom Wohngebiet<br />
zu den Kläranlagen transportieren, zu klein geworden<br />
sind. Bisher wurden diese Kanäle durch größere ersetzt,<br />
im verdichteten <strong>Stadt</strong>gebiet eine äußerst kostenaufwändige<br />
Vorgehensweise.<br />
Neue Ansätze und gesetzliche Regelungen versuchen<br />
diese Kosten zu dämpfen. Da auf die Dimensionierung<br />
der Kanäle vor allem das Niederschlagswasser maßgeblich<br />
Einfluss hat, ist es mittlerweile zwingend vorgeschrieben,<br />
Niederschlagswasser auf neu bebauten Grundstücken<br />
vor Ort zu versickern oder ortsnah in ein Gewässer<br />
einzuleiten.<br />
Provisorische Pumpstation am Hochwassertor Fährstraße in Düsseldorf-Hamm<br />
während des Rheinhochwassers 1980<br />
Eine weitere Möglichkeit, noch größere Kanalprofile zu<br />
vermeiden, ist die gezielte Aktivierung von Speicherräumen.<br />
Messungen haben ergeben, dass es in Düsseldorf<br />
gleichzeitig nicht überall gleich stark regnet. Somit<br />
werden Stauräume und Kanäle in einigen <strong>Stadt</strong>teilen<br />
schon überflutet, während in anderen <strong>Stadt</strong>teilen noch<br />
Volumen für die Aufnahme dieser Wassermengen zur<br />
Verfügung steht. Hier kann die moderne Mess- und<br />
Leittechnik immense Investitionen verhindern und helfen,<br />
die Gebühren für den Bürger der <strong>Stadt</strong> auch zukünftig<br />
moderat zu gestalten.<br />
14 15
Verborgene Qualitäten im <strong>Unter</strong>grund<br />
Kanalbau gestern und heute<br />
„Der Kanal beginnt an der Düsselbrücke<br />
in der Jacobistraße, geht von hier durch<br />
die Tonhallen-, Ost-, Bahnstraße, Königsallee,<br />
Elberfelderstraße, westliche Seite<br />
der Alleestraße, durch den Hofgarten,<br />
gegenüber der Inselstraße in den Rhein,<br />
wo er im vollen Strom 1,50 Meter unter<br />
Null des Düsseldorfer Pegels mündet. (...).<br />
Die Gesamtlänge des Hauptkanals beträgt<br />
3470,07 Meter. (...). Der Kanal ist in<br />
Eiform ausgeführt, die Sohle aus glasiertem<br />
Steingut, der übrige Teil aus ein, zwei<br />
oder drei Ringen hartgebrannter Backsteine.<br />
Die Dimensionen betragen von<br />
dem Anfangspunkt in der Jacobistraße bis<br />
Wehrhahnen 0,60 m, (...), von der Alleestraße<br />
bis zum Schieberschacht im<br />
Hofgarten 1,80 m Höhe.“<br />
Zugang zum<br />
ersten Düsseldorfer<br />
Kanal<br />
So beschreibt der Verwaltungsbericht für<br />
das Jahr 1875 den ersten Kanal der Düsseldorfer<br />
Kanalisation, dessen Bau nach den<br />
Entwürfen von William Lindley Anfang<br />
1874 begonnen und der 1875 fertiggestellt<br />
wurde.<br />
Mauerkanal um die Jahrhundertwende:<br />
zweilagige Klinkerschicht auf gezimmerter Holzschalung<br />
16 17
Verborgene Qualitäten im <strong>Unter</strong>grund<br />
Kanalbau gestern und heute<br />
Auch die weiteren frühen Sammelkanäle wurden dem<br />
damaligen Stand der Technik entsprechend als gemauerte<br />
Kanäle aus gebrannten Backsteinen, sogenannten<br />
Kanalklinkern, gebaut. Der Aufwand an handwerklicher<br />
Arbeitskraft war immens, der Maschineneinsatz steckte<br />
noch in den Kinderschuhen. Der Faktor Zeit spielte<br />
damals eine untergeordnete Rolle und die Qualität dieser<br />
aufwändigen und mit sehr viel Liebe zum Detail entstandenen<br />
Kanalbauwerke war jedoch hervorragend.<br />
Viele der Kanäle, die vor der Jahrhundertwende gebaut<br />
wurden, sind bis heute in einwandfreiem Zustand.<br />
Arbeitsgruppe Kanalmaurer vor einer<br />
Holzverschalung für den<br />
Mauerwerksbau<br />
Kleinere Kanäle wurden auch damals schon aus glasierten<br />
Steinzeugrohren gebaut, da diese eine hohe Widerstandsfähigkeit<br />
gegenüber Abwasser haben. Mittlerweile<br />
bestehen 53 % des Düsseldorfer Kanalnetzes aus Steinzeugrohren<br />
mit einem Durchmesser zwischen 15 und 60<br />
Zentimetern.<br />
Neben Mauerwerk und Steinzeug ist Beton als dritter<br />
Baustoff vor allem für größere Kanäle von Bedeutung. In<br />
der Anfangszeit wurden Betonkanäle innen verklinkert,<br />
um die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Abwasser<br />
zu erhöhen. Durch die stetige Weiterentwicklung der<br />
Materialeigenschaften wurde die Qualität von Beton<br />
mittlerweile immer besser an die teilweise extrem korrosiven<br />
Verhältnisse in der Kanalisation angepasst, sodass<br />
Rohre aus vergütetem Beton heute dem Abwasser weit<br />
besser widerstehen.<br />
Komplett mit einer Klinkerschicht ausgekleideter Betonkanal in der Kalkumer<br />
Straße (um 1910)<br />
Bau des Mauerwerkkanals in der Gerresheimer Straße 1898/99<br />
Detail: sorgfältig geklinkerte Kanalsohle<br />
Bau eines Schmutzwasserkanals<br />
aus glasiertem Steinzeug (um 1904)<br />
Verlegung eines Betonrohres in der Bertastraße<br />
18
Verborgene Qualitäten im <strong>Unter</strong>grund<br />
Kanalbau gestern und heute<br />
Verlegung eines<br />
Steinzeugrohrs in<br />
Mineralgemisch<br />
Absicherung einer Baugrube<br />
mit Fertigverbauelementen<br />
in der<br />
Niederrheinstraße<br />
Der Bau von großen unterirdischen Kanalbauwerken in<br />
offener Bauweise – darunter versteht man das Ausheben<br />
einer Baugrube – war bereits damals eine tiefbauliche<br />
Meisterleistung. Eindringendes Grundwasser, der hohe<br />
Erddruck in Tiefen bis zu 20 Metern sowie der Transport<br />
großer Materialmengen an den Einbauort waren<br />
Probleme solcher Großbaustellen, die mit vergleichsweise<br />
primitiven technischen Hilfsmitteln gelöst werden<br />
mussten. Dies begann bereits mit der Herstellung und<br />
Absicherung der offenen Baugrube. Dominierendes<br />
Material zur Abstützung der Baugrubenwände war<br />
zunächst Holz. Heute können mit einem Bagger ausgehobene<br />
Baugruben mit Fertigelementen in kürzester<br />
Zeit abgesichert werden.<br />
Aufgrund der verschärften wasserrechtlichen Anforderungen<br />
an die Dichtheit von Abwasserrohren werden<br />
heute alle in offener Bauweise verlegten Steinzeugkanäle,<br />
die Schmutzwasser transportieren, in ein spezielles<br />
Mineralgemisch eingebettet. Tritt Abwasser aus dem<br />
Kanalrohr aus, setzt eine chemische Reaktion in diesem<br />
Gemisch ein, die zur Abdichtung der Leckstelle führt.<br />
Im Lauf der Jahre wurden auf den Kanalbaustellen<br />
immer bessere Baumaschinen eingesetzt, die Anzahl<br />
der Arbeitskräfte ging zurück. Wurden früher für den<br />
Kanalbau ganze Straßenzüge gesperrt, müssen heute<br />
aufgrund der Verkehrsdichte und der Vielzahl von<br />
Leitungen im Straßenraum verstärkt unterirdische<br />
Bauweisen eingesetzt werden.<br />
Hier sind vor allen zu nennen:<br />
Die Stollenbauweise, „Düsseldorfer Stollen“:<br />
Ähnlich wie im Bergbau werden die Kanalrohre in<br />
Tunneln verlegt, die mit Holz verstrebt sind.<br />
Der gesteuerte Rohrvortrieb, das sogenannte Microtunneling:<br />
Von einer Pressgrube aus werden Kanalrohre mit hydraulischen<br />
Pressen bis zu 100 Meter weit vorgetrieben. Eine<br />
installierte Förderschnecke tranportiert kontinuierlich<br />
den Boden aus dem Rohr ab. Die notwendigen Revisionsschächte<br />
werden dann in Abständen von etwa 50 Metern<br />
nachträglich eingebaut.<br />
Kanalerneuerung in Stollenbauweise, mit provisorischer Abwasserleitung<br />
(Eisenstraße)<br />
Holzverbau bei den<br />
Arbeiten am Düker<br />
Ackerstraße (1899)<br />
20 21<br />
Microtunneling,<br />
Pressgrube mit<br />
Förderschnecke<br />
(Bertastraße)
Verborgene Qualitäten im <strong>Unter</strong>grund<br />
Kanalbau gestern und heute<br />
Sonderverfahren beim Bau von Kanälen mit großem<br />
Durchmesser:<br />
Insbesondere beim Bau des 12,5 Kilometer langen Hauptsammlers<br />
Mitte von Gerresheim bis zum Klärwerk Süd<br />
in den Jahren 1972 bis 1999 waren aufgrund der schwierigen<br />
örtlichen Verhältnisse mehrere Spezialverfahren<br />
notwendig. Einige Beispiele:<br />
Rohrvortrieb beim Bau<br />
des Entlastungssammlers<br />
Völklinger Straße (1980):<br />
3,00 Meter lange Rohre<br />
mit einem Durchmesser<br />
von 2,50 Metern werden<br />
hydraulisch in den Boden<br />
gepresst<br />
Der Kanalbau schafft heute wie vor 125 Jahren die<br />
Grundlagen für eine geordnete Abwasserentsorgung<br />
und damit für eine langfristige <strong>Stadt</strong>entwicklung.<br />
Gleichzeitig spiegeln sich die Höhen und Tiefen der<br />
gesamtstädtischen Geschichte seit 1874 in der Entwicklung<br />
des Kanalbaus wider.<br />
Auf die industrielle Entwicklung des ausgehenden<br />
19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts folgten<br />
eine Stagnation während des Ersten Weltkrieges<br />
und der Wirtschaftskrise Ende der 20er Jahre. Nach<br />
kurzzeitig wieder verstärkten Bauaktivitäten zu Beginn<br />
der Zeit des Nationalsozialismus folgte der völlige<br />
Zusammenbruch während des Zweiten Weltkrieges.<br />
Umfangreiche Kanalbaumaßnahmen begannen mit<br />
dem Wiederaufbau und fanden ihren Höhepunkt zu<br />
Zeiten der „Wirtschaftswunderjahre“, bevor in den<br />
letzten 20 Jahren eine moderates Abklingen des Kanalneubaus<br />
zu verzeichnen war.<br />
Stollenvortrieb in bergmännischer<br />
Bauweise mit einer<br />
Querschnittsfläche von<br />
28 Quadratmetern<br />
(Oberbilker Markt, 1992)<br />
<strong>Unter</strong>querung des Südrings mit Hilfe einer Vereisung des Baugrunds<br />
zur Stabilisierung des Bodens (1975/76)<br />
Länge der<br />
von 1874 bis<br />
1998 jährlich<br />
gebauten<br />
Kanäle<br />
Tunnelvortrieb eines zwei Kilometer langen, vollständig im Grundwasser<br />
liegenden Kanalabschnitts mit einem Außendurchmesser<br />
von 5,60 Metern mit einer Schildvortriebsmaschine. Anschließender<br />
Ausbau des Tunnels mit Betonsegmenten, sogenannten<br />
“Tübbingen” (Kruppstraße, 1993)<br />
22 23
Eine kleine Toilettengeschichte<br />
Grundstücksentwässerung mit Herz und Verstand<br />
„Plumpsklo“ außerhalb<br />
des Wohnhauses um<br />
1860<br />
Schon seit Menschengedenken besteht ein lästiges Übel<br />
darin, sich der eigenen menschlichen Hinterlassenschaften<br />
auf mehr oder weniger geeignete Weise zu entledigen.<br />
Nützliche Ratschläge für die Lösung dieses<br />
Problems gab es bereits in alttestamentarischer Zeit:<br />
„Und du sollst draußen vor dem Lager einen Ort<br />
haben. Und sollst eine Schaufel haben, und wenn du<br />
dich draußen setzen willst, sollst du damit graben:<br />
und wenn du gesessen hast, sollst du zuscharren, was<br />
von dir gegangen ist.“<br />
Regelung der Hygiene für das Feldlagerleben:<br />
5. Buch Moses Kapitel 23 (um 500 v. Chr.)<br />
dass selbst ein über Jahrtausende gepflegtes Wissen wieder<br />
verloren gehen kann und über Jahrhunderte erhaltene<br />
Abwasseranlagen aufgegeben werden, zeigt in Mitteleuropa<br />
der Übergang vom Römerreich zur mittelalterlichen<br />
Gesellschaft. Während aus der römischen Zeit<br />
schon erste Ansätze funktionsfähiger Kanalisationsanlagen<br />
überliefert sind, bedeutete die trübe Zeit des<br />
Mittelalters einen herben Rückschlag für die öffentliche<br />
und private Hygiene.<br />
Meist entledigten sich die Menschen ihrer Hinterlassenschaften<br />
an Ort und Stelle in Rinnsteinen, im Burggraben,<br />
in Erkern oder dunklen Straßenecken. Später<br />
entwickelten sich die unterschiedlichsten Bedürfnisanstalten:<br />
Vom sogenannten „Donnerbalken“ bis zur<br />
„Entwässerung mit Herz“, die sowohl als Einzelplatz wie<br />
auch als Mehrsitzer entstanden.<br />
Auch in Düsseldorf wurden die menschlichen Geschäfte<br />
lange Zeit in solchen „Häuschen mit Herz“ erledigt. Dieses<br />
Plumpsklo stand über einer Grube – war sie voll, wurde sie<br />
mit Erdreich abgedeckt und das Häuschen kurzerhand ein<br />
paar Meter weiter über eine frisch ausgehobene Grube versetzt.<br />
Hierdurch kam es oft zu einer direkten Nachbarschaft<br />
zwischen Abwassergrube und Frischwasserversorgung mit<br />
verheerenden Auswirkungen auf die eigene Gesundheit.<br />
Einziger Vorteil dieser primitiven Methoden war, dass der<br />
„Sitz des Übels“ immer näher an das Wohnhaus rückte und<br />
so zumindest das menschliche Bedürfnis nach Bequemlichkeit<br />
befriedigt wurde. Meldete sich ein Bedürfnis jedoch<br />
unangenehmerweise zur Nachtzeit, konnte nur ein „Stuhlgang“<br />
den Weg über den kalten Hinterhof verhindern.<br />
Die konsequente Weiterverfolgung des Bequemlichkeitsprinzips<br />
führte schließlich zum Wohnhaus mit<br />
Anbau einer Trockentoilette. Die Fäkalien wurden<br />
zumeist in einer Grube gesammelt, nach Bedarf mit<br />
einer „Aalscheppe“ – einem Eimer an einer Stange –<br />
entleert und als Dünger auf´s Feld getragen. Diese<br />
Trockentoiletten brachten jedoch ein nicht zu überriechendes<br />
Problem mit sich, sodass man sich gezwungen<br />
sah, den üblen Gerüchen den Kampf anzusagen.<br />
Erste Wasserspülungen<br />
Mit der Industrialisierung und dem rapiden Wachstum<br />
der Städte entwickelte sich in England im 19. Jahrhundert<br />
die moderne Kanalisationstechnik und wurde<br />
von dort auf den Kontinent exportiert. Das Spülklosett<br />
in Verbindung mit der Schwemmkanalisation wurde<br />
zunächst in den englischen und französischen Adelspalästen<br />
und reichen Bürgerhäusern eingeführt. Mit<br />
dem Beginn des Kanalbaus begann man sich auch in<br />
Düsseldorf mit der Konstruktion von „waterclosets“ zu<br />
beschäftigen.<br />
Wohnhaus mit Anbau<br />
einer Trockentoilette,<br />
Fäkaliensammlung in<br />
einer Grube (um 1880)<br />
Wohnhaus mit Wassertoilette<br />
im Anbau,<br />
Hauskläranlage mit<br />
Überlauf in einen Bach<br />
(um 1900)<br />
Mehrsitzige<br />
Toilettenanlage im<br />
antiken Pompeji<br />
Das “Häuschen<br />
mit Herz”<br />
Beim Wohnhaus mit Anbau einer Toilettenanlage mit<br />
Wasserspülung bekam man das häusliche Geruchsproblem<br />
weitgehend in den Griff. Doch die Abwässer<br />
gelangten weiterhin zunächst ungeklärt, später in einer<br />
2-3 Kammer-Hauskläranlage gereinigt, über einen<br />
direkten Ablauf in einen Bach, eine Gosse oder einen<br />
Versickerungsschacht. Dies trug noch immer zur<br />
Verschmutzung des lebenswichtigen Grundwassers bei.<br />
Dänischer<br />
Toilettenstuhl,<br />
Gelegenheit<br />
zum nächtlichen<br />
„Stuhlgang“<br />
Flachspülklosett<br />
“Nautilus” um 1900<br />
24 25
Eine kleine Toilettengeschichte<br />
Grundstücksentwässerung mit Herz und Verstand<br />
Hausentwässerungsplan<br />
(1925)<br />
Polizei-Verordnung<br />
1925<br />
Seit 1920: Wohnhaus mit Anschluss<br />
an den Kanal, Waschmöglichkeit und<br />
WC im Haus<br />
Obwohl bereits mit Beginn des Kanalbaus im Jahre 1874<br />
die ersten Gebäude an die öffentliche Kanalisation angeschlossen<br />
werden konnten, behielt man aus Kostengründen<br />
zunächst das alte Grubensystem bei und verkaufte die<br />
Fäkalien weiterhin an die Bauern der Umgebung. Erst als<br />
mit der Einführung von K<strong>uns</strong>tdünger die Preise sanken<br />
und die Fäkalienabfuhr nicht mehr finanzierbar war, wurden<br />
mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr<br />
Häuser an das Kanalisationsnetz angeschlossen.<br />
Hausanschlüsse<br />
In den Jahren 1904 – 1908 erging dann auf Drängen der<br />
damaligen Aufsichtsbehörde ein Erlass, sämtliche Aborte<br />
an die öffentliche Kanalisation anzuschließen. Dieser<br />
Erlass kann als Vorläufer der heutigen Abwasserbeseitigungspflicht<br />
sowie der Kanalanschluss- und Benutzungspflicht<br />
angesehen werden. Erst in den sechziger Jahren<br />
des 20. Jahrhunderts, als die erste mechanisch-biologische<br />
Großkläranlage in Betrieb ging, wurde das Problem der<br />
Gewässerverunreinigung an der Wurzel gepackt und die<br />
bloße Ableitung der Abwässer beendet.<br />
Die immer weiter gestiegenen persönlichen Hygienebedürfnisse<br />
bestimmten auch die Entwicklung hinsichtlich<br />
der Ausstattung und der Vielfalt der Badezimmer bis zum<br />
heutigen Stand.<br />
Heute erfolgt die Entwässerung der rund 65.000 an die<br />
Kanalisation angeschlossenen Grundstücke im Düsseldorfer<br />
<strong>Stadt</strong>gebiet über 85.000 Hausanschlüsse mit einer<br />
Gesamtlänge von etwa 850 Kilometern; dies entspricht<br />
einer Anschlussdichte von 99 %. Die jährlich anfallende<br />
Abwassermenge von rund 90 Milliarden Litern würde<br />
ausreichen, den <strong>Unter</strong>bacher See etwa 18 mal zu füllen.<br />
Regenwasserproblematik<br />
Ein großer Teil dieser gewaltigen Abwassermenge ist<br />
Regenwasser. Dieses ist in der heutigen Zeit nicht mehr<br />
unproblematisch. Kommt von den Dachflächen noch<br />
einigermaßen sauberes Wasser, so sind die Straßenabflüsse<br />
durch Öl, Benzin und Reifenabrieb sowie durch<br />
Hundekot und andere Verunreinigungen stark belastet.<br />
Das Regenwasser wird, soweit es ökologisch und ökonomisch<br />
sinnvoll ist, im Klärwerk vor der Einleitung in<br />
den Rhein gereinigt oder in Regenbehandlungsanlagen<br />
zwischengespeichert.<br />
Heute gehen die Bestrebungen dahin, durch die Nutzung<br />
von Regenwasser zur Gartenbewässerung oder die<br />
Versickerung von Regenwasser auf dem Grundstück,<br />
diese enorme Regenwassermenge zu verringern und zugleich<br />
Flächen zu entsiegeln. In einem speziellen „Niederschlagswasserpark”<br />
auf dem Gelände des Klärwerks<br />
Düsseldorf Süd demonstriert der <strong>Stadt</strong>entwässerungsbetrieb<br />
die verschiedenen Möglichkeiten der alternativen<br />
Regenwasserbeseitigung.<br />
Beispiel aus<br />
dem Niederschlagswasserpark:<br />
Sammlung<br />
des<br />
Regenwassers<br />
vom Dach in<br />
einer Tonne<br />
Modernes Bad<br />
Komfortables<br />
Badezimmer um 1885<br />
Ist das „Wasser-Closett“ noch zeitgemäß<br />
Würde man heute nochmals vor der Entscheidung<br />
stehen, ein Abwassersystem<br />
aufzubauen, so wären durchaus Alternativen<br />
zum bestehenden Schwemmkanal<br />
denkbar. Immerhin kann man auch im<br />
Flugzeug komfortabel aufs Klo gehen und<br />
selbst die Deutsche Bahn hat die seit<br />
1835 praktizierte „traditionelle“ Verrieselung<br />
der Fäkalien auf die Gleise in den<br />
ICE-Zügen durch ein Vakuum-System<br />
ersetzt.<br />
Größter Vorteil der bestehenden Schwemmkanalisation<br />
ist mit Sicherheit die schnelle<br />
und hygienisch sichere Entsorgung aller<br />
Abwässer in einem einheitlichen System.<br />
Dieses System hat in den letzten Jahren<br />
seine höchste technische Reife erlangt.<br />
Alle Anforderungen wurden im Laufe der<br />
Jahre erfüllt und alle Rückschläge, wie die<br />
enorme Gewässerverschmutzung durch<br />
ungereinigte Einleitungen, wurden in der<br />
Zwischenzeit überwunden.<br />
Größter Nachteil ist der hohe Wasserverbrauch.<br />
Von den 127 Litern, die jeder pro<br />
Tag verbraucht, werden alleine 35 Liter für<br />
das Spülklosett benötigt. Moderne wassersparende<br />
Spültoiletten und sogenannte<br />
abwasserlose Urinale verringern zwar den<br />
unmittelbaren Wasserbedarf, aber eine<br />
Schwemmkanalisation braucht ein Mindestmaß<br />
an Wasser. Deshalb passen die<br />
Appelle zum Wassersparen und der Betrieb<br />
einer Schwemmkanalisation nicht unbedingt<br />
zusammen.<br />
Natürlich werden auch immer wieder<br />
Alternativen zum bestehenden System<br />
entwickelt. Denkbar wäre beispielsweise<br />
eine vollständige Trennung der bestehenden<br />
Abwasserströme, indem man das<br />
Küchenabwasser und das Wasch- und<br />
Badewasser als sogenanntes „Grauwasser“<br />
entsorgen und die Fäkalien über ein Vakuumsystem<br />
abführen würde. Die Fäkalien<br />
ließen sich zusammen mit organischen<br />
Abfällen zu Biogas und Komposthumus<br />
verarbeiten. Das „Grauwasser“ könnte mit<br />
den gewerblichen und industriellen Abwässern<br />
zur Kläranlage abgeleitet und<br />
dort gereinigt werden. <strong>Unter</strong> diesen Bedingungen<br />
wären alle Wassersparmaßnahmen<br />
sinnvoll. Der größte Nachteil dieses<br />
Vorschlags besteht darin, dass neben<br />
den vorhandenen Anlagen ein komplettes<br />
zweites Entsorgungssystem errichtet werden<br />
müsste, nicht nur als Hausinstallation,<br />
sondern auch mit eigenen Leitungen im<br />
Straßenraum.<br />
In der Abwägung kann es für <strong>uns</strong>ere<br />
Düsseldorfer Verhältnisse nur sinnvoll<br />
sein, den vor 125 Jahren begonnenen<br />
Weg weiter zu beschreiten. Das vorhandene<br />
Kanalnetz hat eine mittlere Restnutzungszeit<br />
von 100 Jahren und auch die<br />
Klärwerke sollten noch 40 Jahre ihren<br />
Dienst tun. Zum Glück gibt es wasserwirtschaftlich<br />
in Düsseldorf kein Problem. Der<br />
Rhein wird <strong>uns</strong> und allen anderen Rheinanliegern<br />
auch künftig genügend Wasser<br />
liefern, so dass die Schwemmkanalisation<br />
problemlos mit ausreichend Wasser betrieben<br />
werden kann. Unsere Reinigungsanlagen<br />
sorgen dafür, dass die Qualität<br />
des Rheinwassers sowohl für die Lebewesen<br />
im Rhein und in der Nordsee als<br />
auch für die Trinkwassergewinnung auch<br />
in Zukunft garantiert ist.<br />
Die Frage, ob das WC heute noch zeitgemäß<br />
ist, lässt sich für Düsseldorf deshalb<br />
eindeutig mit “ja” beantworten.<br />
26 27
Darum dreht sich alles – das Abwasser<br />
Kläranlage Lörick (1938)<br />
Reinigung und Überwachung des Abwassers<br />
Der natürliche Wasserkreislauf sorgte seit Jahrtausenden<br />
für die problemlose Versorgung von Natur, Tier<br />
und Mensch mit sauberem Wasser – ein<br />
Kreislauf von natürlichem Wasserangebot,<br />
menschlicher Wassernutzung und -verschmutzung<br />
und weitgehender natürlicher<br />
Regeneration. Ernsthafte<br />
Störungen dieses natürlichen Gleichgewichts<br />
entstanden erst mit der<br />
Zunahme der Bevölkerung und der<br />
Ansiedlung der Menschen in Ballungsgebieten.<br />
Immer mehr Trinkwasser<br />
wurde benötigt, um die Haushalte<br />
und die wachsende Zahl der<br />
Gewerbebetriebe zu versorgen; der<br />
zunehmende Einsatz von Chemikalien<br />
durch das Aufkommen industrieller Produktionsverfahren<br />
überforderte die Selbstreinigungskräfte<br />
der Natur zusehends. Die Ableitung des Abwassers<br />
wurde zu einem ökologischen Problem.<br />
Abwasserreinigung früher<br />
Nachdem in Düsseldorf ab 1874 der Kanalbau in Angriff<br />
genommen wurde, war man sich darüber einig, dass<br />
das Abwasser zunächst an einer Stelle gesammelt und<br />
im Bereich des Hofgartens in den Rhein geleitet werden<br />
sollte.<br />
1902 wurde dann eine erste mechanische Kläranlage in<br />
Golzheim fertiggestellt. Dort wurden lediglich grobe<br />
Abwasserbestandteile, wie Äste oder Kotstücke zurükkgehalten;<br />
eine weitere Reinigung des Abwassers fand<br />
in dieser Zeit nicht statt. Ende der zwanziger Jahre entbrannte<br />
dann eine Diskussion um die Notwendigkeit<br />
einer weiterreichenden Reinigung des Düsseldorfer<br />
Abwassers.<br />
Gegen die Stimmen, die – ihrer Zeit voraus – einen konsequenten<br />
Schutz des Rheins vor der steigenden Verschmutzung<br />
forderten, setzte sich im Ergebnis die<br />
Auffassung von Krawinkel durch. Da zu dieser Zeit<br />
noch keine gesetzlichen Vorschriften bestanden, die<br />
eine umfangreichere Abwasserreinigung erzwungen<br />
hätten, blieb den Seemöwen ihre Nahrungsquelle für<br />
magere Zeiten noch bis in die sechziger Jahre dieses<br />
Jahrhunderts erhalten.<br />
Um auch die linksrheinischen <strong>Stadt</strong>gebiete in die Abwasserreinigung<br />
einzubeziehen, ging 1938 die ebenfalls<br />
rein mechanisch arbeitende Kläranlage in Lörick in<br />
Betrieb.<br />
Nach Kriegsende 1945 mussten viele Kanäle, die durch<br />
Bomben zerstört worden waren, saniert oder neu errichtet<br />
werden, wodurch das Interesse an den Kläranlagen<br />
zunächst zurückgedrängt wurde. 1961 jedoch forderte<br />
die maßgebliche Wasseraufsichtsbehörde auf Grundlage<br />
des Landeswassergesetzes als zeitgemäße Abwasserreinigung<br />
die Errichtung einer mechanisch und biologisch<br />
arbeitenden Kläranlage. Die Konzepte wurden<br />
überarbeitet und 1966 ging die erste mechanisch-biolo-<br />
gisch arbeitende Kläranlage „Düsseldorf Nord“ in<br />
Meerbusch-Ilverich in Betrieb. Hier werden heute nicht<br />
nur die Abwässer der nördlichen Düsseldorfer <strong>Stadt</strong>teile<br />
– die durch eine Abwasserleitung unter dem Rhein hindurch<br />
zum Klärwerk geleitet werden – gereinigt, sondern<br />
auch das komplette Abwasser aus den linksrheinischen<br />
<strong>Stadt</strong>teilen und aus Meerbusch.<br />
Eine weitere moderne Großkläranlage im Düsseldorfer<br />
Süden sollte insbesondere die steigenden Abwassermengen<br />
aus der Industrie aufnehmen können. Deshalb<br />
musste zunächst untersucht werden, ob der Betrieb<br />
einer Kläranlage, die zum größten Teil mit Industrieabwasser<br />
beliefert wird, überhaupt störungsfrei und effektiv<br />
funktionieren kann. Nachdem diese Frage positiv<br />
beantwortet wurde, konnte auch das zweite Klärwerk,<br />
„Düsseldorf Süd“, als mechanisch-biologische Anlage<br />
geplant und im Oktober 1975 südlich von Düsseldorf-<br />
Hamm in Betrieb genommen werden.<br />
Beide Klärwerke werden bis heute mit großem finanziellen<br />
Aufwand kontinuierlich dem Stand der Technik und<br />
den umweltrechtlichen Anforderungen angepasst.<br />
Auszug aus: Wilhelm Krawinkel,<br />
„Die Entwässerung Düsseldorfs (1925)”<br />
„Abwasser erregt Abscheu.<br />
Die Fische dagegen lieben es, sich in dem<br />
Düsseldorfer Abwasserstrom zu bewegen<br />
und dort die Auswahl unter den feinen<br />
Abfällen aus Küche und Haushalt zu treffen,<br />
die ihnen als Nahrung dienen. Ist es<br />
schon eine rheinauf, rheinab gemachte<br />
alte Erfahrung, dass die Angler mit<br />
Vorliebe ihren Standplatz an der Einmündung<br />
von kleine Abwasserzuläufen<br />
wählen, so wird die Ansammlung von<br />
Fischen im Düsseldorfer Abwasserstrom<br />
zur Gewissheit durch die Beobachtung,<br />
dass die Möwen zu gewissen Zeiten, wenn<br />
nämlich der Frost sie von den sonst reichen<br />
Fischpfründen an der See vertreibt,<br />
in großen Scharen über dem Kanalisationsauslass<br />
im Rhein erscheinen, um dort<br />
Futter suchenden Fischen nachzustellen.<br />
Ein bündiger Beweis für die Unschädlichkeit<br />
des Düsseldorfer Abwassers für die<br />
Fischzucht!<br />
Was so auf empirischem Wege als richtig<br />
erkannt wurde haben wissenschaftlich<br />
chemische, biologische und bakteriologische<br />
<strong>Unter</strong>suchungen des Abwassers und<br />
des Rheinwassers bestätigt: Das Abwasser<br />
enthält keine Stoffe, die einen giftigen<br />
Charakter haben, seine Anwesenheit im<br />
Rhein ist auch schon wenige Kilometer<br />
unterhalb der Kanaleinläufe nicht mehr<br />
nachweisbar.”<br />
Rechenanlage der<br />
Kläranlage Golzheim (1910)<br />
Klärwerk Düsseldorf Süd<br />
28 29
Darum dreht sich alles – das Abwasser<br />
Reinigung und Überwachung des Abwassers<br />
Abwasserreinigung heute<br />
Die Funktionsweisen der beiden in Düsseldorf betriebenen<br />
Klärwerke sind weitgehend gleich:<br />
Nach dem Zulauf in die Klärwerke wird das Abwasser<br />
zunächst über Schnecken-Pumpwerke auf ein höheres<br />
Niveau gepumpt (1)<br />
und in der Rechenanlage von den groben Bestandteilen<br />
befreit (2).<br />
Im Sandfang setzen sich dann die Stoffe ab, die deutlich<br />
schwerer als Wasser sind. Diese werden mit einem<br />
Greifer regelmäßig aus dem Becken entfernt (3).<br />
Noch kleinere Bestandteile des Abwassers, die längere<br />
Zeit brauchen, um zu Boden zu sinken, werden in den<br />
Vorklärbecken entfernt (4).<br />
Das so mechanisch gereinigte Abwasser wird nun in die<br />
biologische Klärstufe geleitet.<br />
2<br />
3<br />
5<br />
6<br />
In diesem Reinigungsabschnitt nutzen die zahlreichen<br />
Mikroorganismen wie Bakterien oder Wimpertierchen<br />
die noch im Abwasser enthaltenen organischen Schmutzstoffe<br />
als Nahrungsquelle.<br />
Um eine größtmögliche Aktivität dieser Mikroorganismen<br />
zu erreichen, wird zusätzlich Luft in die sogenannten<br />
„Belebungsbecken“ der biologischen Reinigungsstufe<br />
eingepresst (5).<br />
Dort werden wegen ihrer gewässerschädigenden Düngewirkung<br />
auch Phosphat- und Stickstoffverbindungen<br />
entfernt. Nach Durchlaufen des Nachklärbeckens ist das<br />
Abwasser nun weitestgehend von Schadstoffen befreit.<br />
Eine nachgeschaltete Filtrationsanlage stellt sicher, dass<br />
bei der Einleitung in den Rhein die Grenzwerte für<br />
Phosphor nicht überschritten werden (6).<br />
Sowohl der in der Vorklärung anfallende Schlamm als<br />
auch der Überschussschlamm, der in der biologischen<br />
Reinigungsstufe entsteht, wird in große Faultürme geleitet.<br />
Dort bauen nochmals Bakterien unter Luftabschluss<br />
verschiedene organische Stoffe ab (7).<br />
Das hierbei entstehende Faulgas wird zu Heizzwecken<br />
und zur Stromerzeugung genutzt.<br />
Danach wird der Klärschlamm in Kammerfilterpressen<br />
entwässert und anschließend getrocknet. Das dabei entstehende<br />
Granulat wird als Ersatzbrennstoff verwendet (8).<br />
4 8<br />
1<br />
30 7<br />
31
Darum dreht sich alles – das Abwasser<br />
Reinigung und Überwachung des Abwassers<br />
Abwasserüberwachung<br />
Anlässlich der Diskussion um die ausreichende Reinigungsleistung<br />
der mechanischen Kläranlage Golzheim<br />
wurde im Jahre 1912 vom Regierungspräsidenten erstmals<br />
eine dreimalige <strong>Unter</strong>suchung des Ablaufs der<br />
Kläranlage gefordert. Da die <strong>Stadt</strong> Düsseldorf zu dieser<br />
Zeit noch nicht über ein eigenes Laboratorium verfügte,<br />
wurden die Proben im „Königlichen Medizinaluntersuchungsamt<br />
zu Düsseldorf“ analysiert.<br />
Gleichzeitig mit der Inbetriebnahme des Klärwerks in<br />
Lörick wurde dann 1937 ein eigenes städtisches Labor<br />
gegründet. Dessen Aufgabe war und ist es bis heute,<br />
regelmäßig die Qualität des Kläranlagen-Ablaufs zu<br />
analysieren sowie die Abwassereinleitungen aus Industrieund<br />
Gewerbebetrieben zu überprüfen.<br />
Im Vergleich zu heute wurde das Abwasser damals mit<br />
enorm hohem Aufwand untersucht. Stundenlanges Eindampfen<br />
von Proben, und damit eine Aufkonzentrierung<br />
von nicht flüchtigen Schadstoffen machte die Analytik<br />
manchmal erst möglich.<br />
Mit dem Einstieg in die moderne instrumentelle Analytik<br />
Ende der 70er Jahre erhöhten sich die Möglichkeiten der<br />
Abwasseranalysen enorm. Zu den täglichen Routineuntersuchungen<br />
gehören seitdem beispielsweise die<br />
Überwachung der Stickstoff- und Phosphorparameter,<br />
die zur Düngung der Gewässer beitragen.<br />
Atomabsorptionsspektrometer zur Bestimmung von Schwermetallen<br />
(heute)<br />
Wäge- und Mikroskopierraum<br />
um die Jahrhundertwende<br />
Apparatur zur Bestimmung von Stickstoffparametern<br />
Neben der Routineüberwachung der Kläranlagen stehen<br />
seit Ende der 60er Jahren folgende Fragestellungen verstärkt<br />
im Blickpunkt des Interesses: „Was passiert mit<br />
den Schadstoffen aus Haushalten, Industrie und Gewerbe<br />
in den Klärwerken“ und „Wie hoch sind demzufolge<br />
die Schadstofffrachten im Ablauf der Kläranlagen“<br />
Mit steigendem Einsatz von unterschiedlichsten chemischen<br />
Verbindungen in Industrie und Haushalten wird<br />
die Durchleuchtung des Abwassers immer schwieriger –<br />
hier werden im Rahmen von Sonderprogrammen die<br />
Zusammenhänge von Schadstoffen und deren Verhalten<br />
in den Kanälen und den Klärwerksbetrieben erforscht.<br />
Die Ergebnisse derartiger <strong>Unter</strong>suchungen führten zu<br />
der Erkenntnis, dass zahlreiche Problemstoffe heute besser<br />
Dies ist ein Beispiel für die Entwicklung der Chemisch-<br />
Biologischen Laboratorien des <strong>Stadt</strong>entwässerungsbetriebes<br />
weg von den rein öffentlichen Aufgaben hin<br />
zur Kundenbetreuung und Dienstleistung.<br />
Das Verstehen von Stoffströmen sowie das Bemühen um<br />
den kostengünstigen und effektiven Betrieb des Kanalnetzes<br />
und der Kläranlagen stehen heute im Mittelpunkt<br />
der Aktivitäten des Labors.<br />
und einfacher bereits in den Industriebetrieben aus<br />
dem Abwasser eliminiert werden können und somit erst<br />
gar nicht in die Kläranlagen gelangen sollten.<br />
32 33
Ein beschwerlicher Aufstieg<br />
Betrieb des Kanalnetzes<br />
Aufgaben des<br />
Kanalbetriebs (heute)<br />
Die Aufgabenschwerpunkte der kommunalen Abwasserbeseitigung<br />
in Düsseldorf haben sich in ihrer jetzt über<br />
130jährigen Geschichte immer wieder gewandelt. Stand<br />
früher meist der Neubau von Abwasseranlagen im<br />
Vordergrund, so heißt die vorrangige Aufgabe heute, wo<br />
99 % der Düsseldorfer Grundstücke an das Kanalnetz<br />
angeschlossen sind:<br />
Erhaltung, Optimierung und störungsfreier Betrieb<br />
des bestehenden Abwassernetzes.<br />
Mit diesem Wechsel der Prioritäten musste sich auch<br />
der „Kanalbetrieb“, d.h. die eigentliche <strong>Unter</strong>haltung<br />
und Instandhaltung der Kanalisation, organisatorisch,<br />
technisch und qualitativ ständig weiterentwickeln.<br />
Mit der Entwicklung der wirtschaftlichen, technischen<br />
und gesetzlichen Standards sind die ökologischen und<br />
ökonomischen Anforderungen an den Betrieb von<br />
Kanalisationsnetzen in den vergangenen Jahren drastisch<br />
gestiegen. Insbesondere mit der Selbstüberwachungsverordnung<br />
Kanal (SüwV-Kan) hat der Gesetzgeber<br />
1995 sehr weitgehende und detaillierte Vorgaben für<br />
den Betrieb des Kanalnetzes gemacht.<br />
Dies alles hat dazu geführt, dass sich das Aufgabenspektrum<br />
des Kanalbetriebes verändert und deutlich<br />
erweitert hat.<br />
Kanalbetrieb ist heute sehr viel mehr als nur Kanalreinigung.<br />
Reinigung der Kanalisation<br />
und der Straßenabläufe<br />
Reinigung der Abscheideranlagen<br />
Inspektion der Kanalisation<br />
und der Anschlusskanäle<br />
Zustandsbewertungen<br />
Überwachung der Einleitungen<br />
in Bäche und Flüsse<br />
Bauliche Instandhaltung<br />
Netzbetriebsüberwachung<br />
Stauraumbewirtschaftung<br />
Hochwasserschutzmaßnahmen<br />
Bereitschaftsdienst Kanalisation<br />
und Pumpstationen<br />
Reststoffentsorgung<br />
Mitwirkung bei der Planung<br />
Abnahme von Bauleistungen<br />
im Abwassernetz<br />
Berichtswesen:<br />
intern und gegenüber den<br />
Aufsichtsbehörden<br />
34<br />
35
Ein beschwerlicher Aufstieg<br />
Betrieb des Kanalnetzes<br />
Auszug aus dem Personalbuch<br />
des Kanalbetriebs:<br />
Der gelernte<br />
Dachdecker Karl<br />
Schröder trat am<br />
10. März 1883 als<br />
erster Kanalarbeiter<br />
in den Dienst der<br />
<strong>Stadt</strong>verwaltung ein.<br />
Um den vielfältigen Anforderungen weiterhin gerecht<br />
zu werden, hat sich ein deutlicher Wandel im Aufbau<br />
und der Organisation des Düsseldorfer Kanalbetriebes<br />
vollzogen:<br />
Ähnlich organisiert wie ein mittelständisches <strong>Unter</strong>nehmen<br />
betreibt er heute von einem zentralen Betriebshof<br />
„Auf dem Draap“ aus eine bedarfsorientierte<br />
<strong>Unter</strong>haltung und Instandhaltung des Kanalnetzes und<br />
der Sonderbauwerke, wie z.B. Pumpstationen und<br />
Regenbeckenanlagen. Durch regelmäßige Inspektionen<br />
aller Kanalbauwerke werden große Mengen an Zustandsdaten<br />
gewonnen. Auf der Basis der Bewertung dieser<br />
Zustandsinformationen können dann alle erforderlichen<br />
Wartungs-, Reparatur- und Erneuerungsmaßnahmen<br />
gewichtet und nach Dringlichkeit veranlasst<br />
werden.<br />
In der Anfangszeit des Kanalbetriebs waren es fast<br />
ausschließlich angelernte Arbeitskräfte aus anderen<br />
Berufen, die sich in der Kanalisation ihren Lebensunterhalt<br />
verdienten – so war der erste Kanalarbeiter von<br />
Beruf Dachdecker!<br />
Personalentwicklung des Kanalbetriebes<br />
64<br />
80<br />
111<br />
135<br />
151<br />
122<br />
1908 1954 1970 1975 1995 2005<br />
Spezialberufe, wie beispielsweise die Kanalmaurer,<br />
waren eher die Ausnahme. Das in der Öffentlichkeit<br />
bekannte Berufsbild des Kanalarbeiters hat sich zwischenzeitlich<br />
stark gewandelt. Der Fortschritt der Betriebsund<br />
Fahrzeugtechnik, der Reinigungsverfahren und der<br />
Arbeitsorganisation hat gerade in den letzten Jahren<br />
dazu geführt, dass heute eine Vielzahl speziell qualifizierter<br />
Beschäftigter die umfangreichen Aufgaben einer<br />
modernen Großstadtentwässerung abdeckt.<br />
Im gewerblichen Bereich wird heute von Bewerbern<br />
erwartet, dass sie eine abgeschlossene Berufsausbildung<br />
haben und möglichst über den Führerschein der Klasse<br />
II verfügen. Fortbildungen und Informationsveranstaltungen<br />
zu verschiedenen Themen sind inzwischen selbstverständlich<br />
für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.<br />
Die Rationalisierung der Arbeitsmethoden hat dazu<br />
geführt, das heute weniger Personal die Kanalisationsanlagen<br />
unterhält als zur Zeit der kommunalen Neuordnung<br />
1975, obwohl zwischenzeitlich das Kanalnetz<br />
um rund 300 Kilometer gewachsen ist und die Anzahl<br />
der Pumpstationen von 58 auf 85 gestiegen ist.<br />
Qualifikationen im<br />
Kanalbetrieb (heute)<br />
Kanalbetriebsarbeiter<br />
mit Führerschein für LKW und<br />
Gefahrguttransporte<br />
Handwerker<br />
Elektriker,<br />
Schlosser,<br />
Maurer,<br />
Kraftfahrer<br />
Verwaltungsangestellte<br />
Meister, Techniker/Technikerinnen<br />
der Fachrichtungen Abwassertechnik,<br />
Bautechnik,<br />
Elektrotechnik,<br />
Maschinenbau,<br />
REFA-Technik,<br />
ADV,<br />
Fahrzeugtechnik<br />
Ingenieure/Ingenieurinnen<br />
der Fachrichtungen Bau,<br />
Elektrotechnik,<br />
Bautechnik,<br />
Maschinenbau,<br />
Betriebswirtschaft,<br />
Chemie,<br />
Sicherheitstechnik<br />
36<br />
37
Der dritte Mann bleibt oben<br />
Mit Sicherheit in den <strong>Unter</strong>grund<br />
Die Kanalisation, die „Gedärme“ einer <strong>Stadt</strong>, sie erregen<br />
– heute wie damals – Gefühle von Furcht, Ekel und Abneigung.<br />
Im Gegensatz zu früheren Zeiten sind <strong>uns</strong>ere<br />
schmutzigen Hinterlassenschaften heute mit Hilfe<br />
moderner Hygienetechnik weitgehend aus <strong>uns</strong>erem<br />
unmittelbaren Blickfeld verschwunden. Vielleicht löst<br />
gerade deshalb die Vorstellung, in diese unterirdische<br />
Welt der Abwässer und Fäkalien einzudringen, unwillkürlich<br />
Schaudern und Befremden aus.<br />
Es ist nur schwer vorstellbar, dass in einer derart unwirtlichen<br />
Umgebung immer Menschen „unter <strong>uns</strong>“<br />
ihren ganz normalen Arbeitsplatz hatten und auch<br />
heute noch haben.<br />
In dieser weitverzweigten „<strong>Stadt</strong> unter der <strong>Stadt</strong>“<br />
sorgen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des<br />
Kanalbetriebs tagtäglich dafür, dass der Abwasserstrom<br />
<strong>uns</strong>erer Zivilisation kontinuierlich und störungsfrei<br />
zur Reinigung in die Klärwerke abfließen kann.<br />
Verfluchen<br />
will ich Dich,<br />
Spielmann,<br />
mit dem schwersten<br />
von allen Flüchen!<br />
Will Dir ein Schicksal<br />
bestimmen,<br />
das Dich mit<br />
Schaudern erfüllt:<br />
Die Gossen der <strong>Stadt</strong><br />
sollen Speise<br />
Dir liefern,<br />
die Abwasser seien<br />
fortan Dein Trank!<br />
38<br />
„Ferkelstall“ Kanalverbindungsbauwerk<br />
Reichsstraße Ecke Herzogstraße<br />
Mit diesem Fluch<br />
belegte Ereschkigal,<br />
die Göttin der<br />
<strong>Unter</strong>welt, in dem<br />
sumerischen Epos<br />
„Ischtars Fahrt in<br />
das Land ohne<br />
Heimkehr“ aus<br />
dem 3. Jahrtausend<br />
v. Chr. den Sänger<br />
Azuschu-Namir.<br />
39
Der dritte Mann bleibt oben<br />
Mit Sicherheit in den <strong>Unter</strong>grund<br />
Kanaleinstieg unter Atemschutz (1958)<br />
Von Anfang an war die Kanalisation jedoch nicht nur<br />
ein ungewöhnlicher, sondern auch ein mit zahlreichen<br />
Gefahren verbundener Arbeitsplatz.<br />
Wer bereit war, die Arbeit im Kanal auf sich zu nehmen,<br />
musste damals wie heute zahlreiche Anforderungen<br />
erfüllen:<br />
Gefährliches Einsteigen ins<br />
Kanalnetz (1953)<br />
Anforderungen an Kanalarbeiter<br />
■ Körperliche Belastungsfähigkeit<br />
■ Körpergröße um 1,70 m<br />
■ Kein Übergewicht<br />
■ Psychische Belastbarkeit<br />
■ Kein chronisch geschwächtes Imm<strong>uns</strong>ystem<br />
■ Keine Allergien, Asthma, Stoffwechselkrankheiten<br />
■ Keine Platz-, Höhen- oder Tiefenangst<br />
■ Atemschutztauglichkeit<br />
Bereits der Abstieg auf schmalen, schmutzigen Steigeisen<br />
in engen Schächten bis auf die Sohle der<br />
manchmal bis zu 15 Meter unter der Oberfläche<br />
liegenden Kanäle birgt die Gefahr, abzustürzen oder<br />
in eine Wolke wahrhaft „atemberaubender“ Gase einzutauchen.<br />
Die bisweilen reißenden Abwasserströme<br />
machen aus dem Kanal nicht nur eine gefährlich<br />
schmierige Rutschbahn, sondern erfüllen die schwülwarme<br />
Atemluft der oft nur einen Meter hohen stockdunklen<br />
Labyrinthgänge mit einem muffigen Geruch.<br />
Nicht selten enthält die Kanalatmosphäre durch einsetzende<br />
Fäulnisprozesse sauerstoffverdrängende, giftige<br />
oder gar explosive Gase, die für die Beschäftigten<br />
lebensgefährlich sein können. Hinzu kommt eine undefinierbare<br />
Mischung verschiedener Chemikalien,<br />
die gedankenlos aus Haushalten, Firmen oder bei<br />
Verkehrsunfällen in die Kanalisation gespült werden.<br />
Wer hier ausrutscht, der riskiert eine „Kanaltaufe“<br />
unangenehmster Art.<br />
Abstürze, Kontakt mit gefährlichen Stoffen und Gasvergiftungen<br />
– immer heißt es auf der Hut sein vor<br />
diesen „typischen“ Kanalunfällen, die mit schweren<br />
Verletzungen oder gar dem Tod des Verunglückten<br />
enden können.<br />
Zwei tragische Fälle aus Düsseldorf, bei denen allerdings<br />
keine Mitarbeiter des <strong>Stadt</strong>entwässerungsbetriebes betroffen<br />
waren, verdeutlichen dies:<br />
Zwei Arbeiter erstickt<br />
Ein schwerer Unglücksfall, dem leider zwei Menschenleben<br />
zum Opfer fielen, ereignete sich gestern Abend<br />
zwischen 9 und 10 Uhr in dem Hause Corneliusstraße<br />
94. Die Installateurgehilfen Hubert R. und Peter F., (...),<br />
waren damit beschäftigt, Ausbesserungen an der Abort-<br />
Anlage vorzunehmen. Hierbei wurden sie von den ausströmenden<br />
Gasen betäubt und erstickt. Der hinzu<br />
gerufene Arzt stellte sofort Wiederbelebungsversuche<br />
an, die aber leider ohne Erfolg blieben. Die Verunglückten<br />
waren noch unverheiratete junge Leute.<br />
Generalanzeiger vom 3. Juli 1904<br />
Tod durch Schwefelgas<br />
Der 50jährige Peter C. aus der Briedestraße erlag den<br />
schweren Vergiftungen, die er sich vor einigen Tagen<br />
durch Einatmen von Schwefelwasserstoffgas beim<br />
Reinigen einer Abwässerungsanlage in Holthausen zugezogen<br />
hatte.<br />
Sein Arbeitskamerad, der 23jährige Peter O., der bei<br />
dem Versuch, den Verunglückten zu retten, ebenfalls<br />
vergiftet worden war, liegt noch im Krankenhaus, befindet<br />
sich jedoch außer Lebensgefahr.<br />
Neue Presse vom 15.08.1953<br />
Mangelhafte Ausrüstung, Leichtfertigkeit oder Unkenntnis<br />
der Gefahren waren und sind zumeist Auslöser von<br />
derartigen Unfällen. Oft erhöht sich die Zahl der Unfallopfer<br />
noch durch gutgemeinte spontane Rettungsversuche<br />
ohne ausreichenden Selbstschutz.<br />
„Der dritte Mann bleibt oben“, Titel einer Dokumentation<br />
des ZDF aus dem Jahr 1989 verdeutlicht deshalb<br />
eines der unantastbaren Prinzipien der Kanalarbeit:<br />
„Einer bleibt oben, zur Sicherheit der Kollegen!“<br />
40<br />
41
Der dritte Mann bleibt oben<br />
Mit Sicherheit in den <strong>Unter</strong>grund<br />
Rettungsübung<br />
Verschiedene Gaswarngeräte<br />
um 1950<br />
Mitarbeiter in vollständiger<br />
Schutzausrüstung<br />
Im Laufe der Zeit wurde zum Schutz der Beschäftigten<br />
eine große Palette an Sicherheitsausrüstungen entwikkelt,<br />
die speziell auf die Anforderungen der Arbeit in<br />
Kanalisationen zugeschnitten sind.<br />
Im Vergleich zu den oben dargestellten Apparaturen<br />
sind die Beschäftigten heute mit handlichen und leistungsfähigen<br />
Gaswarngeräten ausgerüstet. Hinzu<br />
kommen unter anderem Rettungsgeschirre, Abseilgeräte<br />
sowie eine Atemschutzausrüstung.<br />
Heute gewährleistet ein dichtes Netz von Arbeitssicherheitsmaßnahmen<br />
zusätzliche Sicherheit. Die Umsetzung<br />
der Arbeitsschutzgesetzgebung und der umfangreichen<br />
Unfallverhütungsvorschriften sorgt für ein hohes<br />
Sicherheitsniveau. Hinzu kommen die Betreuung durch<br />
Betriebsärzte und Sicherheitsingenieure ebenso wie<br />
regelmäßige Ernstfallübungen vor Ort oder in einer<br />
speziellen Übungsanlage.<br />
Krankheitsverlauf der Weil’schen Krankheit<br />
Die Krankheitserrreger der Weil’schen Krankheit<br />
werden durch Rattenurin im Abwasser<br />
übertragen. Die Erreger können durch die<br />
Schleimhäute und auch durch die gesunde Haut<br />
in den Körper eindringen. Kanalarbeiter sind<br />
daher besonders gefährdet, wenn sie mit offenen<br />
Wunden Kontakt mit dem Abwasser<br />
bekommen.<br />
Die ersten Krankheitszeichen treten 4 – 14 Tage<br />
nach der Infektion auf. Es beginnt mit Schüttelfrost,<br />
Schmerzen im gesamten Körper, häufig<br />
begleitet von einer Rötung der Augen. Hinzu<br />
kommen können eine Gelbsucht und die Vergrößerung<br />
von Leber und Milz. Das anfänglich<br />
hohe Fieber fällt nach 8 Tagen langsam ab,<br />
dann bleibt die Temperatur mehrere Tage normal,<br />
bevor häufig ein zweiter Fieberschub folgt.<br />
Mit zeitlichem Abstand können eine dritte und<br />
vierte Fieberwelle folgen. Die Fieberanfälle<br />
werden begleitet von Blutungen der Haut, der<br />
Nase, des Magens und des Darmes. Oft fallen<br />
gleichzeitig die Haare aus. Die Genesung dauert<br />
sehr lange. Herz und Kreislaufschwäche oder<br />
Harnvergiftungen können zum Tode führen.<br />
Kanalarbeiter stehen verglichen mit der „Normalbevölkerung“<br />
unter einem deutlich erhöhten Ansteckungsrisiko<br />
für zahlreiche Infektionskrankheiten durch Bakterien,<br />
Viren und Einzeller. Durch regelmäßige Schutzimpfungen<br />
kann einem Hauptrisiko, der Ansteckung<br />
mit Hepatitis, wirksam begegnet werden.<br />
Als drastisches Beispiel sei die – glücklicherweise sehr<br />
selten auftretende – sogenannte „Weil’sche Krankheit“<br />
beschrieben, die für Kanalarbeiter als Berufskrankheit<br />
anerkannt ist:<br />
Da Ratten neben der Weil’schen Krankheit zahlreiche<br />
andere Infektionskrankheiten übertragen können, hat<br />
die Rattenbekämpfung auf der Grundlage des Bundesseuchengesetzes<br />
eine große Bedeutung. Mit diesen<br />
Maßnahmen soll die Population der Wanderratten, die<br />
sich mit Vorliebe in der feuchten und nahrungsreichen<br />
Atmosphäre der Kanalisation aufhalten, in erträglichen<br />
Grenzen gehalten werden.<br />
Aufgrund ihres ausgeprägten Sozialverhaltens ist es äusserst<br />
schwierig, über längere Zeit wirksame Fraß- oder<br />
Berührungsgifte einzusetzen. Ratten agieren umsichtig,<br />
schicken die schwächsten Gruppenmitglieder zum<br />
testen unbekannter Nahrung vor und warten die Wirkungen<br />
ab. Stirbt ein Tier unmittelbar nach der Aufnahme<br />
eines Fraßgiftes, ist diese Nahrungsquelle für die<br />
anderen sofort tabu. Deshalb sind nur Gifte wirksam,<br />
deren Wirkung zeitverzögert eintritt, womit die wahre<br />
Ursache verschleiert wird.<br />
Trotz aller Bemühungen um die Humanisierung des<br />
Arbeitsplatzes „Kanalisation“ und der Fortschritte der<br />
Sicherheitstechnik und der Arbeitsmedizin:<br />
Das Kanalnetz ist auch heute eine gefahrvolle und<br />
menschenfeindliche Arbeitsumgebung.<br />
Schwimmende Wanderratte<br />
42<br />
43
Von der Schaufel zum Mikroprozessor<br />
Kanalbetrieb konkret<br />
Bereits die ersten Abwasserkanäle Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
mussten regelmäßig von Schlamm und Ablagerungen<br />
befreit werden – eine Selbstverständlichkeit, an der<br />
sich bis heute nichts geändert hat. Diese schwere und<br />
unangenehme Aufgabe wurde in den Anfängen der<br />
<strong>Stadt</strong>entwässerung fast ausschließlich in mühsamer<br />
Handarbeit verrichtet.<br />
Bis Anfang der sechziger Jahre war das übliche Verfahren<br />
zur Reinigung kleiner Kanäle die Bürstenreinigung.<br />
Hier wurde mit hohem Personaleinsatz Schwerstarbeit<br />
geleistet, wenn mit dem Durchziehen von Bürsten<br />
Ablagerungen entfernt wurden. Größere, begehbare<br />
Kanäle wurden damals mittels eines „Spülschiffs“ und<br />
mit Zugeimern gereinigt.<br />
Hochdruckreinigung<br />
Ein einschneidendes Ereignis für die Kanalreinigung<br />
war die Erfindung der Hochdruckspülung Ende der<br />
50er Jahre. Bei diesem Verfahren, das wegen des Ersteinsatzes<br />
dort zunächst das „Duisburger Verfahren“<br />
genannt wurde, wird Wasser durch Schläuche in den<br />
Kanal gepumpt und dort über feine Düsen mit einem<br />
Druck von bis zu 80 bar in die Kanalrohrleitung gespritzt.<br />
Dadurch werden die Ablagerungen aufgewirbelt<br />
und bis zum nächsten Schacht gespült, wo sie dann mit<br />
einem Saugschlauch aus dem Kanal entfernt werden.<br />
Im Gegensatz zu früher braucht die Fahrzeugbesatzung<br />
nicht mehr ständig in den Kanal einsteigen und dort<br />
unter schwierigsten Bedingungen zu arbeiten.<br />
Nur zur Kontrolle oder um besonders große Gegenstände<br />
zu bergen, steigt ein Mann in den Schacht ein.<br />
Das Verfahren ist deshalb ein wesentlicher Beitrag zur<br />
Humanisierung des Arbeitsplatzes „Kanalreinigung“.<br />
Zwischenzeitlich sind spezielle Kanalreinigungsfahrzeuge<br />
in der Lage, das aus dem Kanal entnommene<br />
Abwasser aufzubereiten und für eine erneute Kanalreinigung<br />
wiederzuverwenden.<br />
Hochdruck-Runddüse<br />
„Granate“<br />
Absaugen von<br />
Kanalschlamm<br />
Kanalreinigung<br />
mit Eimern<br />
Kanalreinigung mit Bürsten, 1908<br />
Modernes Hochdruckspülfahrzeug<br />
44<br />
45
Von der Schaufel zum Mikroprozessor<br />
Kanalbetrieb konkret<br />
Einen Einblick in den Tagesablauf einer Kanalreinigungskolonne<br />
gibt <strong>uns</strong> ein Bericht aus dem Winter 1955<br />
Reinigung mit Spülbrett<br />
Einstieg in einen<br />
Kanalschacht<br />
Zwischen 6.30 und 6.45 Uhr ist die Mannschaft im<br />
Betriebshof Pionierstraße 34 a. Zu dieser Zeit sind schon<br />
alle in Arbeitskleidung. Wir sind 6 Männer.<br />
Um 7.00 Uhr geht der Vorarbeiter zum Meister rauf.<br />
In der Zwischenzeit macht Albert den Elektrowagen und<br />
den Anhänger startklar. Fritz hat die Kanallampen aus<br />
der Elektrobude geholt und belädt den Gerätewagen. Er<br />
ist heute „Bockmann“, d.h. er sorgt für das leibliche<br />
Wohlergehen der Mannschaft . Manfred und Willy sind<br />
unten im Kanal, Hans und Albert auf der Straße.<br />
Aufsitzen! Nach 15 Minuten Fahrt sind wir um 7.30 Uhr<br />
vor Ort direkt am Stoffeler Friedhof, Ecke Volksgarten,<br />
rechts und links umgeben von Steinmetz-Firmen. Manfred<br />
und Willy ziehen sich die Kanaljacken und Rückenleder<br />
an, die Kanallampe wird mit einem Ledergurt vor die<br />
Brust gehängt. Hans und Albert öffnen drei Schächte<br />
und legen Sicherungsroste in die Schachtöffnungen.<br />
Nach ca. 15 Minuten steigt der Vorarbeiter in den<br />
Schacht ein und geht mit einer „Pielerlampe“ durch den<br />
Kanal, um die Luft auf ausreichenden Sauerstoffgehalt<br />
zu prüfen.<br />
Fritz, der Bockmann, sucht einen Hydranten, stellt das<br />
Standrohr auf und füllt fünf Eimer mit Wasser. Ein<br />
Blecheimer wird auf den Gaskocher gestellt, denn wir<br />
brauchen nachher heißes Wasser. Dann kommt <strong>uns</strong>er<br />
Kaffeekessel auf die Flamme und kurz drauf dampft<br />
frischer „Linde’s-Kaffee“ in <strong>uns</strong>eren Tassen.<br />
Am Kopfschacht wird ein Eisenbrett, das dem Kanal<br />
genau angepasst werden kann, eine Kette und zwei<br />
Eimer runtergelassen. Willy nimmt alles unten im Kanal<br />
an und baut es richtig ein.<br />
Arbeitsgruppe 1955<br />
Der Vorarbeiter bedient die Winde am Elektrowagen.<br />
Er lässt das Stahlseil runter.<br />
Manfred, der unten im Kanal steht, hängt die Winkelrolle<br />
in den Eisenbaum ein, nimmt das Seil und zieht es<br />
in gebückter Haltung durch den 1,20 m hohen eiförmigen<br />
Kanal. Im Kanal ist sehr viel grauer Schlamm von<br />
den Steinmetzen.<br />
Nach 60 m am Zuggeschirr angekommen schreit Manfred<br />
„Halt!“. Er hängt das Stahlseil am vorderen Reißeimer<br />
ein und ruft laut „Anziehen“. Der Vorarbeiter<br />
schaltet die Winde ein und schon rutschen wir mit<br />
<strong>uns</strong>erem Reinigungsgeschirr durch den Kanal und<br />
schieben den Schlamm vor <strong>uns</strong> her bis zum Schacht,<br />
an dem die Winde steht.<br />
Es ist 8.45 Uhr: Raufkommen, Frühstück, d.h. Kanalzeug<br />
ausziehen, Stiefel reinigen und runterklappen,<br />
Hände mit Sandseife in heißem Wasser waschen und<br />
rein in den Wagen. Wir haben eine Gasheizung, rote<br />
Köpfe und kalte Füße. Es ist sehr eng für 6 Männer.<br />
9.15 Uhr Ende der Pause und wieder das gleiche Spiel<br />
im Kanal. Seil durchbringen und ziehen, um 10.30 Uhr<br />
haben wir den Schlamm aus vier Haltungen – so heißt<br />
die Strecke zwischen zwei Einstiegsschächten –<br />
zusammengezogen.<br />
Raufkommen, Zigarettenpause bis 10.45 Uhr. Nach der<br />
Pause wird das Seil über den Galgen des Elektrowagens<br />
gelegt. Mit zwei Kanaleimern wird jetzt der zusammengezogene<br />
Schlamm ausgeladen und auf die Straße<br />
gekippt.<br />
Dann ist Mittagspause, 12.00 – 12.30 Uhr: Essen –<br />
Trinken – Rauchen – Kartenspielen. 5 Leute rauchen,<br />
die Luft ist sehr schlecht. Tür öffnen geht nicht, dann<br />
wird es doch so kalt, also durchhalten.<br />
Der zusammengezogene Schlamm ist jetzt auf der<br />
Straße und kann entwässern. Albert und Hans haben<br />
ihn so aufgeschichtet wie eine Kartoffelmiete, ca. 2,5 m³.<br />
Wir ziehen noch in 3 Haltungen, ca. 180 m weit, den<br />
Schlamm zusammen bis kurz vor dem Kanal „Auf’m<br />
Hennekamp“.<br />
Für heute machen wir Schluss. Über Nacht kann das<br />
Abwasser über den Schlamm laufen und ihn etwas ausspülen.<br />
Es ist 15.30 Uhr, wir gehen zum Mannschaftsund<br />
Gerätewagen und Fritz, der Bockmann, deckt die<br />
Schächte zu, wir laden das Absperrmaterial auf den<br />
Elektrowagen und kommen auch zum Wagen. Albert<br />
und Hans sind gerade dabei, den Abfuhrwagen voll<br />
Schlamm zu laden.<br />
Der Schlamm kommt zur Kippe „Bruchhausenstraße“<br />
am Friedhof Eller. Manfred und Willy reinigen sich,<br />
Stiefel, Jacken und die Handlampen. Mittlerweile ist es<br />
16.00 Uhr, alles ist wieder im Gerätewagen verstaut:<br />
Eimer – Böcke – Schilder.<br />
Wir fahren zurück zum Betriebshof Pionierstraße. Fritz,<br />
der Bockmann, bringt nach Ankunft auf dem Hof die<br />
Kanallampen in die Elektrobude und den Elektrowagen<br />
zum laden. Die Kolonne ist jetzt im Waschraum, um<br />
16.30 Uhr ist Feierabend.<br />
Ausladen des Kanalschlamms<br />
Feierabend<br />
Einladen des Kanalschlamms<br />
in Eimer<br />
Gerätewagen<br />
46<br />
47
Von der Schaufel zum Mikroprozessor<br />
Kanalbetrieb konkret<br />
Saugewagen für Straßenabläufe<br />
in den 20er Jahren<br />
steuerbarer<br />
Saugschlauch (1953)<br />
Sammelwagen für Fett (1915)<br />
Gefahrgutfahrzeug zur Abfuhr von<br />
Benzinabscheiderinhalten (1992)<br />
Straßenablaufreinigung um die<br />
Jahrhundertwende<br />
Erstes elektrisches<br />
Reinigungsfahrzeug für<br />
Straßenabläufe (1928)<br />
Saugwagen 1990<br />
Reinigung eines Benzinabschneiders (um 1930)<br />
Reinigung von Straßenabläufen<br />
Reinigung von Fett- und Benzinabscheidern<br />
Eine der traditionellen Aufgaben des Kanalbetriebes<br />
ist die Reinigung der Straßenabläufe, Sinkkästen oder<br />
Gullys.<br />
Mit den ersten befestigten Straßen oder Flächen war<br />
es erforderlich auch das Regenwasser abzuleiten. Dies<br />
geschah anfangs auf unbefestigte seitliche Flächen. Mit<br />
zunehmender Versiegelung der Städte war das Regenwasser<br />
jedoch gezielt zu sammeln und abzuführen. Der<br />
mitgeschwemmte Unrat sollte allerdings nicht in die<br />
Kanalisation gelangen und diese verstopfen oder Verschmutzungen<br />
im nächsten Bachlauf verursachen.<br />
Daher wurde in jeden Ablauf entweder ein gelochter<br />
Eimer gehängt oder es wurde ein Sumpf vorgesehen,<br />
in welchem sich der grobe Schmutz sammelte.<br />
Aufgabe des Kanalbetriebes ist es, diese rund 50.000<br />
Straßenabläufe mit unterschiedlichen Fahrzeugen zu<br />
reinigen und somit Sorge zu tragen, dass die Düsseldorfer<br />
Straßen nicht voller Wasser stehen. Der Reinigungsturnus<br />
hängt dabei von der örtlichen Situation<br />
ab. Entscheidend hierfür sind zum Beispiel der Baumbestand,<br />
die Größe der eingehängten Eimer, die besondere<br />
Lage an einer Bushaltestelle, aber auch der Weg<br />
des Rosenmontagszuges.<br />
Zur Jahrhundertwende wurden die Eimer aus den Abläufen<br />
mit einem Pferdefuhrwerk und einer Handwinde<br />
aus der Tiefe gehievt.<br />
Die Weiterentwicklung in den 20er Jahren waren kleine<br />
motor- oder batteriebetriebene Fahrzeuge mit offenem<br />
Bedienstand für den Fahrer. Sie waren entweder ebenfalls<br />
mit einer Winde ausgestattet oder verfügten bereits<br />
über eine Saugevorrichtung. Erst in den fünfziger Jahren<br />
erhielt der Kanalbetrieb den ersten Saugewagen mit<br />
geschlossener Fahrerkabine. Heute sind die Fahrzeuge<br />
mit 3-Mann-Kabinen, Waschvorrichtung, Staukästen<br />
und einem Tank mit 6 Kubikmetern Fassungsvermögen<br />
ausgestattet.<br />
Bereits vor 85 Jahren waren Mitarbeiter des Kanalbetriebes<br />
mit Handkarren, Holzeimern und Federwaagen<br />
unterwegs, um aus den damals circa 200 Fettabscheideranlagen<br />
im <strong>Stadt</strong>gebiet das Fett abzuschöpfen.<br />
Es herrschte eine allgemeine Fettknappheit. Das gesammelte<br />
Fett wurde gewogen und dem Hauseigentümer<br />
ein bestimmter Betrag vergütet. Die <strong>Stadt</strong> hat das Fett<br />
dann zur Aufbereitung weiterverkauft. Die Ausbeute<br />
betrug im Jahre 1915 rund 125 Kilogramm Fett pro<br />
Woche, mit denen ein Erlös von 50 Reichsmark erzielt<br />
werden konnte.<br />
Mit der zunehmenden Motorisierung wurde es erforderlich,<br />
auch die Einleitung von Leichtflüssigkeiten wie<br />
Öl und Benzin in die Kanalisation zu verhindern.<br />
Beginnend in den 30er Jahren wurden zu diesem Zweck<br />
auf privaten Grundstücken und in Hausgaragen Abscheideranlagen<br />
installiert. Heute werden im <strong>Stadt</strong>gebiet<br />
rund 900 Fettabscheideranlagen und 1300 Anlagen für<br />
die Rückhaltung von Leichtflüssigkeiten betrieben.<br />
Die Reinigung, Entsorgung oder Verwertung ist damals<br />
wie heute Aufgabe des <strong>Stadt</strong>entwässerungsbetriebes.<br />
Eine Vergütung für das gewonnene Fett erfolgt jedoch<br />
nicht mehr und von Handkarren hat man sich im Jahre<br />
1928 verabschiedet. Die Mitarbeiter kommen heute mit<br />
Spezialfahrzeugen, die für Gefahrguttransporte zugelassen<br />
sind, zu den Kunden.<br />
Das abgesaugte Fett wird im Klärwerk zur <strong>Unter</strong>stützung<br />
des Faulprozesses und der Gasgewinnung verwendet,<br />
Leichtflüssigkeiten werden in einer Sonderbehandlungsanlage<br />
aufbereitet, bevor sie weiterverwertet werden<br />
können.<br />
48<br />
49
Von der Schaufel zum Mikroprozessor<br />
Kanalbetrieb konkret<br />
links: Ferngesteuerte<br />
Kanalinspektionskamera<br />
rechts: Fernlenkbarer<br />
Sanierungsroboter<br />
Kanalinspektionsboot<br />
1955<br />
Um größere Kanäle möglichst bequem inspizieren zu<br />
können wurde um 1955 ein Mitarbeiter, in einer Art<br />
Badewanne liegend, durch den Kanal gezogen. Allemal<br />
bequemer, als tiefgebückt durch das Abwasser zu waten.<br />
Seit 1972 werden solche Inspektionen durch fahrbare<br />
Kameras durchgeführt. Der Inspekteur sitzt warm und<br />
trocken in seinem Fahrzeug und betrachtet die Bilder,<br />
die über eine Kabelverbindung von der Kamera geliefert<br />
werden. Mittlerweile sind rund 75 Prozent der Abwasserkanäle<br />
inspiziert. Die Inspektion, die bauliche <strong>Unter</strong>haltung<br />
und die Erneuerung bleiben aber permanente<br />
Aufgaben, da das Kanalnetz einer stetigen Abnutzung<br />
unterliegt.<br />
Inspektion der Kanäle<br />
Ein über mehrere Generationen entstandenes Bauwerk<br />
wie die Kanalisation besteht aus einer Vielzahl zu verschiedenen<br />
Zeiten hergestellter Kanalabschnitte und<br />
Materialien. Diese altern in unterschiedlichem Tempo.<br />
Das führt zu Schäden, die erkannt werden müssen.<br />
Im speziellen Fall der Kanalisation besteht jedoch die<br />
Schwierigkeit, auch den hintersten Winkel auf Alterserscheinungen<br />
oder Beschädigungen zu untersuchen.<br />
Beschädigungen von Kanalrohren können erhebliche<br />
Auswirkungen haben. Insbesondere wenn durch Löcher<br />
in der Kanalwand Erdreich ausgespült wird, können<br />
Straßeneinbrüche beträchtlichen Ausmaßes entstehen.<br />
Kanalinspektion durch Begehung<br />
(1955)<br />
Infolge Straßeneinbruch versackter<br />
Milchwagen in Oberkassel (1930)<br />
Kanalprofile, die, wenn auch mit Schwierigkeiten, begangen<br />
oder bekrochen werden können, wurden seit<br />
jeher durch Mitarbeiter inspiziert. Kanäle mit einer<br />
lichten Höhe von 1,05 Meter galten bis vor kurzem als<br />
begehbar!<br />
Das Gros der Kanalisationen ist aber mit einem Durchmesser<br />
zwischen 20 und 50 Zentimetern so klein, dass<br />
niemand diese dunklen Röhren persönlich betrachten<br />
kann. Hinzu kommt ein permanenter Abwasserfluss aus<br />
anderen Kanälen und aus den seitlichen Zuläufen. Eine<br />
unappetitliche Dusche wäre dem Neugierigen gewiss.<br />
Damit die finanziellen Mittel möglichst effektiv im<br />
Sinne des Umweltschutzes und der Betriebssicherheit<br />
eingesetzt werden, ist in Zusammenarbeit mit der Abwassertechnischen<br />
Vereinigung, Kommunen, Hochschulen<br />
und Ingenieurbüros ein heute bundesweit eingeführtes<br />
Beurteilungssystem für Kanäle erarbeitet worden. Auf<br />
dieser Basis wird entschieden, welche Maßnahmen<br />
erfolgen, um einen konkreten Schaden zu beseitigen.<br />
In den letzten Jahren sind dabei kleine, über eine Kabelverbindung<br />
ferngesteuerte Roboter zu wichtigen Helfern<br />
geworden. Sie erreichen auch den kleinsten Winkel, das<br />
kleinste Rohr, um ein Loch oder einen Riss zu reparieren.<br />
Sie ersparen viel Aufwand, da sie über einen Schacht<br />
eingesetzt werden können (kein Straßenaufbruch), nach<br />
wenigen Stunden ihre Arbeit erledigt haben (kaum<br />
Verkehrsstau), leise sind (kaum Maschinenlärm) und im<br />
Vergleich zur herkömmlichen Methode mit dem Bagger<br />
70 – 80 Prozent preiswerter arbeiten. Sie können leider<br />
nicht alle Schäden reparieren, aber es sind immerhin<br />
500 Reparaturen im Jahr, die so fast unbemerkt durchgeführt<br />
werden.<br />
Bild einer Kanalkamera:<br />
„Risse und Loch in einer<br />
Kanalrohrwandung“<br />
Steuerungsstand einer fahrbaren<br />
Kanalkammera<br />
50<br />
51
Von der Schaufel zum Mikroprozessor<br />
Kanalbetrieb konkret<br />
Auszug aus der Hochwasser-<br />
Betriebsanweisung (1926)<br />
Einkanalradpumpen zur<br />
Abwasserförderung (1995)<br />
Schaltschränke einer<br />
Pumpstation (1995)<br />
Maschinenhalle des Pumpwerks<br />
Hofgarten um 1900<br />
Pumpstation Hofgarten (1886)<br />
Entwicklung der Betriebstechnik<br />
An komplexe Maschinentechnik, Elektrotechnik, Telekommunikation<br />
oder speicherprogammierbare Steuerungen<br />
denken die wenigsten Benutzer der Kanalisation,<br />
wenn sie versuchen sich etwas unter „Kanalbetrieb“ vorzustellen.<br />
Und doch gehört es fast von Anfang an zu den Aufgaben<br />
des Kanalbetriebs, Pumpstationen zu betreiben und zu<br />
unterhalten. Bereits 1886 wurde die erste im heutigen<br />
Hofgarten errichtet. An dieser Stelle befindet sich heute<br />
noch der Betriebshof des Gartenbauamtes.<br />
Die ersten Pumpstationen wurden hauptsächlich zur<br />
Sicherstellung der Entwässerung bei Rheinhochwasser<br />
gebaut.<br />
Die Station im Hofgarten förderte bei trockenem Wetter<br />
mit Hochdruckzentrifugalpumpen Wasser aus einem<br />
Tiefbrunnen am Rhein in die Landskrone. In diesem<br />
innerstädtischen Zierteich und angeschlossenen Gewässern<br />
wurde das Wasser gefrischt und dann über ein<br />
Verbindungsrohr in die Kanalisation gespült, um diese<br />
zu reinigen.<br />
Bei Hochwasser, ab einem Rheinwasserstand von 6,00<br />
Meter Düsseldorfer Pegel (DP) und höher, wurde<br />
das anfallende Abwasser gehoben und in den Rhein<br />
gepumpt.<br />
Umfangreiche Maßnahmen zur Bekämpfung des Hochwassers<br />
in der Kanalisation wurden bereits in einer<br />
Betriebsanweisung aus dem Jahre 1926 beschrieben.<br />
In der Zwischenzeit hat die Zahl der Pumpstationen auf<br />
85 zugenommen und 250 fast ausschließlich elektrisch<br />
betriebene Einkanalradpumpen sichern in den unterschiedlichen<br />
Bereichen die Weiterleitung des Abwassers.<br />
Darüber hinaus sind 30 Regenbeckenanlagen zu betreiben,<br />
von denen die größte unter der Spangerstraße ein<br />
Speichervolumen von 18.500 Kubikmetern hat. In diesen<br />
Pumpstationen und Anlagen ist eine sehr aufwändige,<br />
für die Verhältnisse in der Kanalisation hochsensible<br />
Technik, zu überwachen.<br />
Eine zentrale Netzleitwarte ist auf dem im Oktober 1998<br />
bezogenen Betriebshof „Auf dem Draap“ untergebracht.<br />
Von hier aus sind alle Anlagen an das Fernüberwachungsund<br />
Steuerungssystem angeschlossen. Hier werden die<br />
Pumpstationen und Beckenanlagen rund um die Uhr<br />
überwacht und gesteuert. Dann ist es möglich, sehr frühzeitig<br />
qualifizierte Störmeldungen aus den Stationen<br />
zu erhalten, damit Schäden kurzfristig durch die Mitarbeiter<br />
behoben werden können.<br />
Das Ziel ist es, die Abwassermengen so zu speichern<br />
und zu leiten, dass sie möglichst gleichmäßig den Klärwerken<br />
zugeleitet werden. Die Klärwerke reinigen am<br />
effektivsten, wenn der Abwasserstrom in seiner Menge<br />
und Qualität möglichst gleichmäßig ist.<br />
Zentrale Netzleitwarte<br />
im Hauptbetriebshof<br />
„Auf dem Draap“<br />
Regenrückhaltebecken<br />
in der Haus-Endt-Straße<br />
52<br />
53
Gerüch(t)eküche<br />
Skuriles und Kurioses aus der Düsseldorfer <strong>Unter</strong>welt<br />
Das hat selbst erfahrene Kanalarbeiter überrascht<br />
Graffities im Hauptsammler Mitte unter der Werdener Straße (1996)<br />
Wenn auch der Großteil der Kanalarbeiten sozusagen<br />
„unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ stattfindet, so<br />
gibt es doch immer wieder Berührungspunkte mit<br />
der „Oberwelt“. Insbesondere wenn der Abwasserabfluss<br />
in den angeschlossenen Gebäuden einmal nicht<br />
funktioniert oder wenn Baustellen zum Ärgernis<br />
werden, erreichen den <strong>Stadt</strong>entwässerungsbetrieb<br />
mehr oder minder höfliche „Hilferufe“.<br />
Oft veranlasst die unerwartete Konfrontation mit<br />
dem eigenen Abwasser die Betroffenen zu drastischen<br />
Äusserungen. Hiervon zeugen Beschwerden, die an<br />
die <strong>Stadt</strong>entwässerung gerichtet wurden.<br />
Hier zwei außergewöhnliche Beispiele:<br />
Einem löblichen Oberbürgermeisteramt teilen wir<br />
ergebenst mit, dass wir seit einigen Tagen durch<br />
Canalisation der Martinstrasse vollständig gehindert<br />
sind, die An- und Abfuhr <strong>uns</strong>erer Güter von den<br />
Bahnhöfen und aus dem Hafen bewerkstelligen zu<br />
können, und wir vor dem Thore abladen müssen.<br />
Soeben kommt eine fremde Fuhre Kohlen herein, die<br />
mit einem Pferde bespannt, die Drehung zum Thorweg<br />
nicht gut bekommen konnte, und hat <strong>uns</strong> <strong>uns</strong>er<br />
Thor vollständig ramponiert. Wir müssen für alle<br />
Schäden die <strong>Stadt</strong> verantwortlich machen, und ersuchen<br />
ein wohllöbliches Oberbürgermeisteramt, den<br />
Weg vor <strong>uns</strong>erem Thore anders zu gestalten, damit<br />
<strong>uns</strong>ere Fuhren ein- und ausfahren können. Wir haben<br />
ausserdem heute noch 500 Centner abzufahren!"<br />
Auszug aus einem Beschwerdebrief<br />
eines Anwohners an den Kanalbetrieb 1987<br />
Beschwerdebrief einer Kaffee-Grosshandlung<br />
vom 14. Oktober 1899<br />
54<br />
55
Gerüch(t)eküche<br />
Skuriles und Kurioses aus der Düsseldorfer <strong>Unter</strong>welt<br />
Da war noch:<br />
...der Kollege, der in einen engen Kanal einstieg, um in<br />
tief gebücktem Entengang eine Schadensstelle zu<br />
suchen. Nach wenigen Metern, die er mit der Nase kurz<br />
oberhalb des Wasserspiegels zurückgelegt hatte, blickte<br />
er plötzlich in die funkelnden Augen eines ...Krokodils.<br />
Es kam langsam in dem engen Kanal auf ihn zugeschwommen.<br />
Panikartig stolperte der derart Gepeinigte<br />
rückwärts und rettete sich mit einem verzweifelten<br />
Sprung in eine seitliche Ausbuchtung. Atemlos verharrte<br />
er dort in der Hoffung, dass das Ungeheuer ihn verschonen<br />
möge.<br />
Und tatsächlich: Es schwamm an ihm vorbei. Bevor er<br />
es im Dunkel aus den Augen verlor, verabschiedete sich<br />
das „Krokodil“ mit einem amüsierten „Quak“.<br />
Notwendige Technik<br />
„fabelhaft" gestaltet:<br />
Kanalbelüftungsbauwerk<br />
Nessy am<br />
Volksgarten (1996)<br />
Der K<strong>uns</strong>tstoffeimer<br />
Eimer aus K<strong>uns</strong>tstoff, so behaupten die Werke,<br />
seien von ganz besondere Stärke.<br />
Um festzustellen, wer nun am besten,<br />
soll Abteilung 6 sie nach und nach testen.<br />
So wurde auch beiliegender Eimer geprüft und<br />
in einen Straßenablauf gehievt.<br />
Er blieb acht Tage in seinem Verstecke,<br />
damit er erst mal etwas verdrecke.<br />
Und als er genügend Schlamm geschluckt,<br />
wurde er wieder hochgeruckt;<br />
nicht etwa mit einer Elektrowinde,<br />
sondern von Hand ganz sachte und linde.<br />
Doch schon diese sanfte Gewalt<br />
veränderte des Eimers ursprüngliche Gestalt.<br />
Er blieb beschaulich unten sitzen<br />
und ließ nur den Rand nach oben flitzen.<br />
Den Männern riss es die Füße weg,<br />
sie saßen beide im Straßendreck,<br />
in den Händen haltend des Eimers Rand,<br />
an dem sich nur noch der Bügel befand.<br />
So endete dieser Versuch zu testen<br />
mit unbrauchbaren Eimerresten,<br />
die der Betrieb schickt ohne Trauer<br />
zurück an Dr. Obenauer.<br />
Werbung eines Kanalrohrherstellers mit einem<br />
Mercedes Modell 170 Baujahr 1953<br />
Prüfbericht von <strong>Stadt</strong>oberinspektor Fuchs an die<br />
Abwasser-Prüfstelle für neue Gegenstände der<br />
Grundstücksentwässerung vom 1. Februar 1961<br />
links:<br />
Radschläger-Kanaldeckel<br />
Werbung auf einem Kanaldeckel<br />
in der Altstadt<br />
Ostern im Kanalbetrieb<br />
EXPRESS Düsseldorf<br />
vom 17.08.1989<br />
56<br />
57
Dank für die <strong>Unter</strong>stützung an:<br />
Johann Hansen<br />
Werner Lohkamp<br />
Tanja Pierling<br />
Ludger Rapprich<br />
Wolfgang Schlesinger<br />
Kurt Schmidt<br />
Dr. med. Otto Steinke<br />
Klaus von Zahn<br />
Bildmaterial und Illustrationen von:<br />
Archiv des <strong>Stadt</strong>entwässerungsbetriebes,<br />
Lutz Barenthien,<br />
Bauwirtschaft Hamburg e.V.,<br />
Duravit AG, Hornberg,<br />
Express, Düsseldorf,<br />
Ulrich Hemer,<br />
IVEN, Hamburg<br />
KA-TE System AG, Zürich,<br />
Sabine Koch, Grafik-Design, Heimerdingen,<br />
Detlef Kutschinski,<br />
Löbbecke Museum Düsseldorf,<br />
Michael Schirrmacher,<br />
Kurt Schmidt,<br />
Vermessungs- und Katasteramt<br />
der Landeshauptstadt Düsseldorf,<br />
Dr. Th. Weyl,<br />
Die Assanierung von Düsseldorf,<br />
Verlag von Wilhelm Engelmann<br />
Leipzig 1908,<br />
Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF), Mainz<br />
Quellennachweis:<br />
Briefwechsel<br />
Oberbürgermeister<br />
L. Hammers mit W. Lindley,<br />
<strong>Stadt</strong>archiv Düsseldorf<br />
Protokolle der <strong>Stadt</strong>verordnetenversammlung,<br />
<strong>Stadt</strong>archiv Düsseldorf<br />
Berichte über den Stand und die Verwaltung der<br />
Gemeinde-Angelegenheiten der <strong>Stadt</strong> Düsseldorf<br />
1873 – 1891,<br />
<strong>Stadt</strong>archiv Düsseldorf<br />
Dr. Th. Weyl,<br />
Die Assanierung von Düsseldorf, Verlag von Wilhelm Engelmann<br />
Leipzig 1908,<br />
C. Geusen und E. Lisner;<br />
Die Kanalisation Düsseldorfs in "Düsseldorf und seine Bauten",<br />
Düsseldorf 1904,<br />
Hugo Weidenhaupt,<br />
Kleine Geschichte der <strong>Stadt</strong> Düsseldorf,<br />
Triltsch Verlag Düsseldorf,<br />
9. Auflage 1983<br />
Friedr.-Wilh. Henning, Düsseldorf und seine Wirtschaft, Band 2,<br />
Droste Verlag GmbH Düsseldorf 1981<br />
Dr.-Ing. E.h. Gustav H. Leo,<br />
William Lindley - Ein Pionier der technischen Hygiene,<br />
Hamburger Bauwirtschaft Herausgeber, Hamburg 1969<br />
Wilhelm Krawinkel,<br />
Die Entwässerung Düsseldorfs,<br />
Düsseldorf 1925<br />
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