Durch den wilden Osten - Wisent Reisen
Durch den wilden Osten - Wisent Reisen
Durch den wilden Osten - Wisent Reisen
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Pferde wei<strong>den</strong><br />
im Schwemmland<br />
am Ufer des<br />
Flusses Narew.<br />
<strong>Reisen</strong><br />
Im Bialowieza-Urwald<br />
wechseln sich<br />
Sumpf-, Wald- und<br />
Wasserlandschaften ab.<br />
<strong>Durch</strong> <strong>den</strong> wil<strong>den</strong><br />
<strong>Osten</strong><br />
Ferien im Zirkuswagen, vor der Tür ein grosser<br />
Urwald und sonnengeküsste Auenlandschaften: Das bietet<br />
Podlachien, Polens Provinz am Rande Europas.<br />
Text Daniel Ganzfried<br />
Fotos Tomas Wüthrich<br />
Von einem neuen Ferienland geht<br />
die Rede: Unweit im <strong>Osten</strong> soll<br />
es liegen. Dort, wo der Himmel<br />
auf die Erde reicht und Urwald<br />
wassersatte Steppen säumt: Podlachien,<br />
Polens Provinz an der weissrussischen<br />
Grenze. In diesem grossen Grün lockt ein<br />
besonderes Angebot: wohnen in Zirkuswagen.<br />
Vor <strong>den</strong> Toren des Städtchens Tykocin,<br />
im Auenland des Flusses Narew,<br />
liegt das 76 Hektar grosse Gut Pentowo.<br />
Ich warte auf dem sandigen Hof. Im Garten<br />
dahinter steht das Herrschaftshaus.<br />
Sein Holz scheint die Jahrhunderte des<br />
Landadels auszuatmen, der es einst erbaute.<br />
Neben mir zeigt der Arm eines<br />
Ziehbrunnens himmelwärts. Ein Klappern<br />
grüsst aus <strong>den</strong> Lüften. Auf Giebeln,<br />
Masten und Astgabeln nisten Störche in<br />
bottichgrossen Nestern. Etwas abseits<br />
glitzert ein Teich. Sein Widerschein trifft<br />
auf <strong>den</strong> Zirkuswagen nahe seinem Ufer.<br />
Ich sehe hellholzverschalte Wände, weiss<br />
gesprosste Butzenscheiben und die Dachwölbung<br />
unter der Sonne zittern. Seitlich<br />
steht ein Kamin ab. Auf der Veranda erwarten<br />
mich Katarzyna Leszczynska und <br />
Schweizer Familie 11/2012<br />
73
<strong>Reisen</strong><br />
Artur Wiatr führt die Gäste durch<br />
<strong>den</strong> Biebrza-Nationalpark.<br />
Die barocke<br />
Dreifaltigkeitskirche<br />
vor dem<br />
Marktplatz in<br />
Tykocin.<br />
Am Teich von Pentowo steht der Zirkuswagen; bewacht vom Gutsherrn Bogdan Toczylowski.<br />
Vom Zirkuswagen in Pentowo aus<br />
lassen sich rundherum die Störche<br />
beim Nisten beobachten.<br />
Manfred Bächler mit einem<br />
Begrüssungssekt.<br />
Am Ufer des Teiches lassen wir<br />
uns nieder. «Unsere Zirkuswagen<br />
sollen als Nester der Geborgenheit<br />
dienen. Damit unsere Gäste umso<br />
unbeschwerter diese Weiten erkun<strong>den</strong><br />
können», kommentiert<br />
Katarzyna Leszczynska meine Blicke<br />
in die Ferne. Für sie, die in<br />
Podlachien geboren ist, in Warschau<br />
studiert und in die Schweiz<br />
geheiratet hat, sei diese Landschaft<br />
Ausgangspunkt geblieben, was immer<br />
sie auch unternehme im Leben. Und ihr<br />
Mann Manfred Bächler, der aus dem schweizerischen<br />
Plaffeien im Sensebezirk stammt,<br />
erzählt, wie ihn die Landschaft in Bann geschlagen<br />
hätte, seit er vor 20 Jahren die erste<br />
Reise hierhin durchgeführt hatte. «Dann<br />
sahen wir das Inserat. Ein Zirkus wollte seinen<br />
Direktionswagen verkaufen. So fing es<br />
an mit unserem Reisebüro. Wir haben es<br />
nach <strong>den</strong> Europäischen Bisons getauft, die<br />
im Urwald leben: <strong>Wisent</strong>.»<br />
Manfred Bächler, 51, und Katarzyna Leszczynska, 41,<br />
die Polen-Spezialisten von <strong>Wisent</strong>-<strong>Reisen</strong> in Pasieki.<br />
Vom Gutshaus her nähern sich ein<br />
Mann und eine Frau. «Henia und Bogdan<br />
Toczylowski. Die Besitzer von Pentowo»,<br />
stellt Katarzyna Leszczynska die bei<strong>den</strong><br />
vor. «Sie schauen das Jahr über zu unserem<br />
Wagen.» Dann unterhält sie sich mit<br />
dem Mann, während mich die Frau bald<br />
in schlichtem Französisch und energischer<br />
Stimme zum Abendessen ins Gutshaus<br />
einlädt. «Weisst du, sie führen das<br />
Haus auch als Pension. Also falls es dir an<br />
irgendetwas fehlen sollte, sie<br />
sind für dich da», sagt Manfred<br />
Bächler.<br />
Doch es fehlt mir an nichts in<br />
meinem getäferten Direktionswagen.<br />
Hier fände auch eine<br />
vierköpfige Familie bequem<br />
Platz, <strong>den</strong>ke ich. Bad, Küchenzeile,<br />
Espressomaschine und<br />
Kristallgläser inklusive, im<br />
Wohnbereich ein Sofa, Stereoanlage<br />
und Schwe<strong>den</strong>ofen, Bücher,<br />
Zeitschriften auf <strong>den</strong> Regalen<br />
– alles da, um mich ein paar<br />
Stun<strong>den</strong> später in der Kajüte im hinteren<br />
Teil des Zirkuswagens selig einschlafen zu<br />
lassen.<br />
Am Morgen sprenkeln die farbigen<br />
Butzenscheiben meine Schlafstatt mit<br />
Sonne. Vor dem Fenster schlummert<br />
unter Bo<strong>den</strong>nebel der Teich. Das Klappern<br />
der Störche dringt durch die Luft.<br />
Ein Schwan dreht Run<strong>den</strong> auf dem Weiher.<br />
Ein Mann treibt Pferde ins offene<br />
Land. Eine Frau hängt hinter dem Gutshof<br />
Wäsche auf. Aus <strong>den</strong> Bäumen schwebt ein<br />
Schatten herab. Daraus löst sich ein<br />
Storch, landet am Ufer, stakst durchs Wasser<br />
– und wieder muss ein Frosch sein<br />
Leben lassen. Denn Pentowo bildet einen<br />
Knotenpunkt im Netzwerk «Europäische<br />
Storchendörfer» der Natur- und Vogelschutzorganisation<br />
EuroNatur. Hunderte<br />
von Paaren nisten hier <strong>den</strong> Sommer über.<br />
Bis im August der Moment kommt, da ihr<br />
Nachwuchs in <strong>den</strong> Nestern zum ersten<br />
Flug ansetzt. Nur diese eine Chance ist<br />
ihm gewährt: Fliegen, lan<strong>den</strong>, schon muss<br />
man erwachsen sein. Bald rufts vom Himmel:<br />
«Auf nach Afrika!»<br />
Polnischer Sonntag<br />
Mit dem Fahrrad dauert es keine zehn Minuten<br />
bis ins Städtchen Tykocin. Die Häuser<br />
entlang der Hauptstrasse leuchten rotgelbbraun.<br />
Hinter kleinen Scheiben<br />
verbergen gehäkelte Vorhänge das Innere.<br />
Die barocke Dreifaltigkeitskirche ist gut<br />
besucht. Im Mittelgang knien die Gläubigen.<br />
Einer nach dem andern empfängt<br />
<strong>den</strong> Leib Christi. Die Orgel dröhnt, die<br />
Gemeinde stöhnt, und das Kindlein<br />
schreit unter der Taufe.<br />
Im andern Gotteshaus der Stadt wird<br />
längst nicht mehr gebetet. Die grosse Synagoge<br />
aus dem 17. Jahrhundert war bis zum<br />
Zweiten Weltkrieg eines der wichtigsten<br />
Zentren jüdischen Lebens in Osteuropa.<br />
Heute dient sie als Ortsmuseum. Dazu gehört<br />
auch das Restaurant Tejsza im Keller,<br />
weit herum beliebt für seine traditionelle<br />
Küche. Wo früher fromme Kinder die hebräische<br />
Bibel büffelten, wird jetzt das Festessen<br />
für die Tauffamilie aufgetragen. Auch<br />
für mich ist noch Platz. Ich lasse mir Krautsalat<br />
und pilzgefüllte Teigtaschen auftischen;<br />
ich lausche <strong>den</strong> Gesängen; ich verdrücke<br />
folgsam ein Stück Torte; ich trinke<br />
auch das zweite Glas Wodka aus – und darf<br />
mich erst jetzt verabschie<strong>den</strong>.<br />
Wenige Kilometer ausserhalb Tykocins<br />
lädt in einer Biegung das Flusses Narew eine<br />
Sandbucht zum Bade ein. Das Moorwasser<br />
schmeichelt der Haut. Der Angler scheint<br />
Übung darin zu haben, nichts zu fangen.<br />
Reglos harrt er am Ufer. Ein Reiher in der<br />
Mitte des Flusses macht es ihm vor. Schön ist<br />
es, nachher im Gras zu liegen und die Wolken<br />
über das Land ziehen zu sehen.<br />
Zurück nach Pentowo radle ich auf<br />
Schotterwegen entlang der Narew. Über<br />
Wiesen und vorbei an grasen<strong>den</strong> Pfer<strong>den</strong><br />
erreiche ich <strong>den</strong> Zirkuswagen. Abends<br />
entzündet Bogdan Toczylowski auf der<br />
Wiese neben dem Hof ein Lagerfeuer. In<br />
der zögerlichen Dämmerung feiern die<br />
Mücken ihre hohe Zeit. Am besten, man<br />
trägt jetzt an jeder freien Hautstelle <br />
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<strong>Reisen</strong><br />
In <strong>den</strong> Biebrza-Sümpfen leben an die 500 Elche.<br />
Mateusz Szymura zeigt<br />
Geheimnisse des<br />
Bialowieza-Urwalds.<br />
Schutzmittel auf. An Wei<strong>den</strong>ruten wer<strong>den</strong><br />
Würste gegrillt. Im Pavillon spielt eine<br />
Kammermusik Chopin. Und wen jetzt das<br />
Gefühl beschleicht, schon einmal hier gewesen<br />
zu sein, der braucht nur ganz wenig<br />
Bimber, die polnische Version selbst gebrannten<br />
Schnapses, damit ihn dieser<br />
Frie<strong>den</strong> eines lauen Abends zur Erkenntnis<br />
trägt: «Hier war ich immer schon!»<br />
<strong>Durch</strong> die grüne Lunge Polens<br />
Eine halbe Stunde Autofahrt vom Zirkuswagen<br />
entfernt liegt die Biebrza, das<br />
grösste Sumpfgebiet Mitteleuropas. Die<br />
Strassen ziehen sich von Horizont zu Horizont.<br />
Aber «es lohnt sich, langsam zu<br />
fahren», betont Artur Wiatr, 42, Biologe,<br />
Förster und Führer durch die «Grüne<br />
Lunge Polens», wie er die Biebrza nennt.<br />
Ich sehe die Bäume in <strong>den</strong> Alleen sich wiegen,<br />
folge mit dem Blick <strong>den</strong> Bächen, die<br />
sich durch Sandbö<strong>den</strong> davonwin<strong>den</strong>, oder<br />
beobachte in einem Dorf Frauen, Männer,<br />
Kinder vor einem Kreuz am Wegesrand<br />
stehen. <strong>Durch</strong>s offene Autofenster kann<br />
ich das hundertstimmige Rosenkranzgebet<br />
hören. «Gegrüsset seist du Maria,<br />
voll der Gna<strong>den</strong> …»<br />
Artur Wiatr lotst mich auf eine kleine<br />
Erhebung. Mit einer Armbewegung umreisst<br />
er das 1000 Quadratkilometer grosse<br />
Schwemmland. So unberührt diese<br />
Bühne für 250 Brutvogel- und 900 Pflanzenarten<br />
daliegen mag, die Boten der<br />
europäischen Landwirtschaft haben sie<br />
längst erreicht. Immer mehr Bauernhöfe<br />
am Rand schliessen sich zu grossen Gütern<br />
zusammen. Kaufen grosse Maschinen.<br />
Brauchen grosse Flächen. Schwemmland<br />
wird drainiert. Artur Wiatr: «Unsere<br />
Hoffnung ruht auf dem sanften Tourismus.<br />
Er zeigt <strong>den</strong> Bauern, dass der Schutz<br />
der Biebrza auf Dauer mehr bringt als ihre<br />
Ausbeutung.»<br />
Plötzlich hebt er sein grünes Fernglas<br />
ans Auge. «Dort, siehst du <strong>den</strong>» Er zeigt<br />
in Richtung eines Tümpels. Das Laienauge<br />
erkennt nichts – ausser einer Lache, umgeben<br />
von Steppengras. Aber jetzt, als wäre<br />
Artur Wiatrs ausgefahrener Arm das Zeichen<br />
zum Einsatz gewesen, schiesst ein<br />
Vogel aus dem Grund, weisser Bauch, farbiges<br />
Gefieder, «Der Kampfläufer. Das<br />
Wahrzeichen der Biebrza. In einem<br />
Schwarm von zehntausend dieser Vögel<br />
findest du keinen, der dem andern gleicht.»<br />
Mitten durch Wald und Sumpf führt,<br />
leicht erhöht, eine holprige Strasse. Im<br />
19. Jahrhundert vom russischen Zaren für<br />
militärische Zwecke angelegt, ist sie heute<br />
die Paradestrecke, um Elche zu beobachten.<br />
«Rund 500 unserer Majestäten leben<br />
hier», sagt Artur Wiatr. «Doch ich kann<br />
dir nichts versprechen. Um einen aus der<br />
Nähe zu sehen, brauchen wir Glück.»<br />
Bei einer Lücke zwischen <strong>den</strong> Bäumen<br />
halten wir schliesslich an. Und tatsächlich:<br />
<strong>Durch</strong> Artur Wiatrs Fernglas lässt sich<br />
weit draussen im Sumpf ganz allein ein<br />
Elch erkennen.<br />
<br />
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<strong>Reisen</strong><br />
Die Bäuerin treibt ihre Kuh<br />
von der Weide zurück<br />
in <strong>den</strong> Stall nach Pasieki.<br />
Diese Seenlandschaft haben Biber im<br />
Bialowieza-Urwald angelegt, sie erstreckt sich<br />
über eine Länge von 20 Kilometern.<br />
Rot getüncht legt sich der Himmel auf<br />
das dampfende Land. Artur Wiatr wird je<br />
schweigsamer, je dichter die Bäume vorüberziehen.<br />
«Stopp», zischt er plötzlich.<br />
«30 Meter zurück. Langsam!» Er lässt das<br />
Seitenfenster runter. Jede Bemerkung,<br />
jede Frage, unterdrückt er mit dem Zeigefinger<br />
an seiner Lippe: «Dort, hinter dem<br />
Busch», flüstert er. Ich sehe nur Blätter,<br />
Zweige und moosige Stämme. Es braucht<br />
<strong>den</strong> Abendwind, Zweige, die sich bewegen,<br />
eine Lücke zwischen <strong>den</strong> Blättern,<br />
dass sich aus dem Braun und Grün und<br />
Grau Konturen schälen: ein langes Gesicht,<br />
dunkle Augen, grosse Ohren. Reglos<br />
verharrt das Tier vor uns, bis ein Luftzug<br />
<strong>den</strong> Vorhang wieder schliesst.<br />
Zum Abendessen bringt mir Henia<br />
Toczylowski Wildschweinragout, geba<br />
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Für Familien!<br />
ckene Kartoffeln und Gurkensalat in <strong>den</strong><br />
Zirkuswagen. Wieder nichts mit Kochen!<br />
Dafür mache ich ein Feuerchen im Ofen,<br />
und als ich im Bett zwischen <strong>den</strong> Kastagnetten<br />
der Störche einen Vogel <strong>den</strong> Anfangstakt<br />
von Beethovens Fünfter pfeifen<br />
höre, weiss ich: Das muss die Goldammer<br />
sein. Artur Wiatr hats mich gelehrt.<br />
Abendessen mit Sicht auf <strong>den</strong> Urwald<br />
Zwei Autostun<strong>den</strong> von Pentowo Richtung<br />
<strong>Osten</strong> liegt der Weiler Pasieki am Rande<br />
des Bialowieza-Urwalds. Nur noch drei<br />
Kilometer fehlen bis zur weissrussischen<br />
Grenze. Vor geduckten Häusern sitzen<br />
schwarz gekleidete Frauen. Obstbäume,<br />
Kopfwei<strong>den</strong>, Birken und Büsche halten<br />
<strong>den</strong> Streifen Steppenland zurück, der die<br />
Siedlung vom Wald trennt. Hier steht mein<br />
zweites Feriendomizil auf Rädern, gleich<br />
hinter dem Landhaus, das Katarzyna Leszczynska<br />
und Manfred Bächer über weite<br />
Teile des Jahres bewohnen und auch<br />
vermieten.<br />
Manfred Bächler empfängt mich vor<br />
dem Haus, während seine Frau noch mit<br />
dem Lebensmittelverkäufer am Gartenzaun<br />
verhandelt, der einmal am Tag mit seinem<br />
Grosses 50-Jahre<br />
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Lieferwagen hierherfindet. Bächler öffnet<br />
<strong>den</strong> Zirkuswagen, ich staune. Noch grösser<br />
als meine erste Wohnung auf Rädern, hätten<br />
in dieser gut sechs Leute Platz: zwei Schlafzimmer<br />
übereinander, im Wohnraum ein<br />
ausziehbares Futonsofa, lichtdurchflutet der<br />
ganze Raum, und auch hier eine erlesene<br />
Ausstattung, Revox-Stereoanlage inklusive.<br />
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Taufessen<br />
im Restaurant<br />
Tejsza in<br />
Tykocin.<br />
Diesmal ist mir das Kochen erlaubt.<br />
Zum Abendessen lade ich meine Gastgeber<br />
von <strong>Wisent</strong>-<strong>Reisen</strong> ein. Es gibt gefüllte<br />
Paprika mit reichhaltiger Gemüsebeilage.<br />
«Wo sonst auf diesem Kontinent lässt sich<br />
zur Aussicht auf einen Urwald dinieren»,<br />
sinniert Manfred Bächler danach zu Kaffee<br />
und Kuchen beim Blick auf <strong>den</strong> grü<br />
nen Wall, der sich keine 500 Meter entfernt<br />
gegen die Dämmerung stemmt. Es ist, als<br />
ob Europa sich mit einem letzten Seufzer<br />
ausstreckte, bevor es <strong>den</strong> Weiten des <strong>Osten</strong>s<br />
erliegt. Mitternacht rückt näher schon. Im<br />
Fackelschein zuckt die Nacht und schickt<br />
uns ihre Geräusche vom Wald herüber.<br />
Manchmal ein Röhren, öfter ein entferntes<br />
Heulen, zwischendurch immer wieder ein<br />
lang gezogener Ruf und zum Echo das<br />
Klopfen des Spechtes.<br />
Im Zirkuswagen flackert durchs runde<br />
Fenster ein letzter Schein über Täfer und<br />
Wände. Dann wogt der Wald heran, der Zirkuswagen<br />
ist eine Arche, und ich schaukle<br />
auf sanften Wellen durch das grüne Meer.<br />
In der Heimat der europäischen Bisons<br />
Ein paar Tage später bringt mich ein Ausflug<br />
ins 15 Kilometer von Pasieki entfernte<br />
Bialowieza, dem Hauptort der Gegend. Das<br />
touristisch herausgeputzte Städtchen ist<br />
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Diese Reportage wurde<br />
unterstützt von <strong>Wisent</strong>-<strong>Reisen</strong>.<br />
in <strong>den</strong> gleichnamigen Urwald, der 450 <strong>Wisent</strong>en<br />
Heimat bietet. Schmucke Holzhäuser,<br />
rote Basilika mit Zwiebeltürmen,<br />
Schlosspark, Museum, Zoo, Postgebäude,<br />
und fertig ist die einzige Urwaldstadt Europas.<br />
Mateusz Szymura, 33, begrüsst mich<br />
im grünen Förstergewand am Eingangstor<br />
zum Unesco-geschützten Gebiet: «Willkommen<br />
im letzten Flachlandurwald<br />
Europas». Der Forstingenieur amtet als<br />
einer der Führer, ohne die hier niemand<br />
weitergehen darf.<br />
Leise lüftet er ein paar Geheimnisse:<br />
«470 <strong>Wisent</strong>e leben in unserem Wald nebst<br />
weiteren 59 Säugetierarten. Und noch immer<br />
wer<strong>den</strong> jedes Jahr neue Insektenarten<br />
entdeckt.» Dass 60 Prozent aller Lebewesen<br />
des Waldes von Totholz leben, habe ich<br />
auch noch nicht gewusst. Das Schutzkonzept<br />
sei ganz einfach: Man mache buchstäblich<br />
nichts. Wo der Blitz einschlägt,<br />
werde nicht gelöscht, was überschwemmt<br />
wird, müsse von alleine wieder trocken<br />
wer<strong>den</strong>, und was zu wenig Wasser findet,<br />
könne nur auf <strong>den</strong> nächsten Regen hoffen.<br />
«Kein kranker Baum wird gefällt, keine Art<br />
vor dem Aussterben bewahrt und keine an<br />
der Vermehrung gehindert. Wir machen<br />
einfach rein gar nichts.»<br />
Auf einem Rundpfad schleiche ich hinter<br />
Mateusz Szymura her. Um uns ein Summen<br />
und Surren, Quäken und Zirpen.<br />
Hoch oben dringen Lichtbündel durch das<br />
Grün aus Blättern und Nadeln. In Nischen<br />
harrt dunkel die Ewigkeit. Und wenn ich<br />
ganz meinem Gehör traue, lässt sich der<br />
windgetriebene Choral vernehmen.<br />
Eine Sommermelodie<br />
Die Abendsonne färbt alles schon in ihr<br />
Licht, als ich mich auf <strong>den</strong> Weg zurück<br />
nach Pasieki mache. Vor dem Weiler fährt<br />
eine alte Frau auf ihrem Fahrrad durch die<br />
Pappelallee. Die Pedalen quittieren jede<br />
Umdrehung mit einem Quietschen. Ihre<br />
linke Hand umklammert <strong>den</strong> Lenker, in<br />
der anderen hält sie einen Stock. Neben<br />
ihr her trottet eine Kuh. Erst da ich fast auf<br />
gleicher Höhe bin, gibt sie die Fahrbahn<br />
frei. Vor dem schönsten blauen Holzhaus<br />
sitzt ein Junge, blond wie Steppengras im<br />
Sommer. Er übt Cello. Das Instrument<br />
schmiegt sich an <strong>den</strong> schmächtigen Körper.<br />
Finger drücken Saiten. Hand lässt<br />
Bogen streichen. Eine leise Melodie zieht<br />
durch die Luft bis zum Zirkuswagen. Was<br />
für ein Sommer!<br />
■<br />
80<br />
Schweizer Familie 11/2012