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60 § 3. Denkmäler sich um das in dieser Zeit übliche Programm dieser Altäre). Hervorzuheben ist, daß im Vordergrund der beiden Seitenteile einige vollplastische Figuren in die Komposition eingefügt sind: links Veronika mit dem Schweißtuch, rechts Josef von Arimathea, Nikodemus und Maria Salome (diese Figuren waren 1956 gestohlen, aber zurückgewonnen worden, wurden jedoch - außer Nikodemus - 1970 erneut entwendet). Bei diesem Altarbild handelt es sich nicht um einen Schreinaltar im üblichen Sinne, sondern um ~in dreiteiliges Altarretabel, d. h. ohne einklappbare Flügelbilder. Ungewöhnlich ist das (im Vergleich zu den Seitenteilen von einer anderen Hand gefertigte) schmale Mittelteil, woraus vorab zu schließen ist, daß das Altarretabel- aus welchem Grund auch immer - aus verschiedenen Kompositionen zusammengesetzt wurde. Der Altar ist durch das Antwerpener Gildezeichen (eine Hand) auf allen drei Teilen sowie durch das Brüsseler Gildezeichen (ein Hammer) auf der Rückseite des Mittelteiles "signiert". Er wird "um 1460" datiert (so Dommuseum S. 322, also nach der umfassenden Restaurierung). - Auf dem linken Hosenbein des rechten Soldaten bei der Kreuztragung (des linken Retabel-Teiles) sind die Buchstaben "J L" eingeschnitten (Abb. bei Zykan S. 144 Nr. 176; dessen Lesung "A L" - so auch Dommuseum S. 317 - ist zumindest nicht zwingend). Sie können als die Anfangsbuchstaben des Namens des Auftraggebers bzw. Stifters gelten, nämlich Johann (von) Lutzerath. Der Altar befindet sich heute (mit verschiedenen Veränderungen des 19. Jahrhunderts) in der Votivkirche von Wien. Er wurde 1858 durch Kaiser Franz Josef von dem Wiener Bildhauer Hans Gasser (1817-1ß68) erworben, 1878 auf Bitten des Wiener Erzbischofs Kardinal Joseph Ottmar von Rauscher (1797-1875) der Votivkirche in Wien geschenkt und dort in einer Seitennische des Langhauses auf der Epistelseite aufgestellt. Wenn es auch im Vortrag zum Ankauf 1858 vor Kaiser Franz Josef heißt, "in diesem Altarwerke (habe) si~h die Kunst des Mittelalters ein großes und schönes Denkmal gesetzt" (HHStA Wien, Oberkämmereramt Serie B, Kä 488, Akten 1858, Rubrik 65/2 BI. 231), so wurde seine künstlerische Qualität erst mit einer umfassenden Restaurierung 1965/66 erkannt, bei der die "originale Polychromierung von hoher Qualität, wie sie nur selten erhalten ist" (Zykan S. 130) von Übermalungen und "Ausbesserungen" des 19. Jahrhunderts wieder freigelegt werden konnte. 1986 kam der Altar "aus konservatorischen Überlegungen und aus Sicherheitsgründen" als Depositum in das Dom- und Diözesan-Museum in Wien (Dommuseum S. 304), ist seit 2003 aber wieder in der Votivkirche. In den Unterlagen über der Erwerb des Altares durch Kaiser Franz Josef heißt es auch, daß er "aus der Kirche in Pfalzel bei Trier" stamme (HHStA Wien wie oben). Das ist in der Literatur unbekümmert als "Stiftskirche" oder "Liebfrauenstift" Pfalzel präzisiert und der Altar zum Hochaltar erklärt wor-

A 4b. Stifts-Pfarrkirche St. Nikolaus 61 den, auch wenn damit gewagte Interpretationen erforderlich waren, um in einem Kreuzigungsaltar den Hochaltar einer Marienkirche zu sehen. Die oben zitierten Nachweise für einen Passionsaltar in der St. Nikolaus-Kirche und die Stiftungen des Johann von Lutzerath hat man nicht gekannt oder/und nicht beachtet. Das ist hier nicht zu erörtern. Die verschlungenen Wege dieses Altares von Pfalzel über Frankfurt und München nach Wien, in die Joseph Görres eingebunden war, sind nicht mehr Teil der Geschichte des St. Marien-Stiftes in Pfalzel und deshalb in einem separaten Beitrag dargestellt. Für die Geschichte des Stiftes ist hier zu notieren, daß - Dekan Johann von Lutzerath um 1520 für die von ihm neu errichtete St. Nikolaus-Kirche, die als Bild des Hauptaltares eine St. Nikolaus-Statue hat, zwei Nebenaltäre erwarb, nämlich zur Evangelienseite einen Passions-Altar und zur Epistelseite einen St. Annen-Altar. Der St. Annen-Altar hat als Altarbild die erhaltene Skulptur der St. Anna Selbdritt. - Als Passions-Altar aber lag eine Arbeit aus einer der damals hoch in Mode stehenden Antwerpener Werkstätten nahe. Der in mancher Hinsicht ähnliche Hochaltar der benachbarten Wallfahrtskirche in Eberhardsklausen, den der aus Brabant stammende Prior Johann von Eindhoven um 1480 angeschafft hatte (vgl. Kdm. Krs Wittlich S. 875), mag da eine Anregung und vielleicht auch die Vermittlung gegeben haben. Aber ein solcher Altar war selbst als dreiteilige Predella (ohne Seitenflügel und Aufbau) für die kleine St. Nikolaus-Kirche einfach zu groß. Wahrscheinlich hat man deshalb ein schmaleres Mittelteil (aus einer Brüsseler Werkstatt, in Antwerpen integriert; daher die beiden Gildezeichen auf dem Mittelteil) beschafft und womöglich die beiden - in sich auch heute noch als selbständige Stücke gefaßten - Seitenteile etwas anders (z. B. schräg) und damit (Seiten-) Raum sparender aufgestellt. - Sicher scheint jedoch, daß die drei Teile des heute Wiener Passions-Altares die um 1520 von Johann von Lutzerath als Retabel für den linken Seitenaltar der St. Nikolaus-Kirche in Pfalzel erworbenen Stücke sind und dort bis 1803 gestanden haben. - Nach der Besetzung durch französische Truppen 1794 wurde auf Antrag des Pfarrverwalters und Vikars Willwersch 1797 durch die französische Departementalverwaltung die Verlegung des Kultes der Pfarrei St. Nikolaus aus der St. Nikolaus-Kirche in die St. Marien-Stiftskirche gestattet (vgl. dazu § 9). Wenn die Begründung auch heißt, die St. Nikolaus-Kirche sei zu klein, so ist wohl doch anzunehmen, daß damit auch die Absicht verbunden war, der St. Marien-Kirche den Rechtsstatus einer Pfarrkirche zu gehen, auch wenn die dann 1802 sehr wichtige Qualifikation als Pfarrkirche für den Erhalt der Kirchengebäude damals zumindest so konkret noch nicht erkennbar war. Jedenfalls muß eine "Auslagerung" von Teilen des Inventars der St. Nikolaus-Pfarrkirche in die St. Marien-Stiftskirche in Betracht gezogen werden, wobei an erster Stelle natürlich an den Hochaltar (St. Nikolaus) und die beiden Seiten-

60 § 3. Denkmäler<br />

sich um das in dieser Zeit übliche Programm dieser Altäre). Hervorzuheben<br />

ist, daß im Vordergrund der beiden Seitenteile einige vollplastische Figuren in<br />

die Komposition eingefügt sind: links Veronika mit dem Schweißtuch, rechts<br />

Josef von Arimathea, Nikodemus und Maria Salome (diese Figuren waren<br />

1956 gestohlen, aber zurückgewonnen worden, wurden jedoch - außer Nikodemus<br />

- 1970 erneut entwendet).<br />

Bei diesem Altarbild handelt es sich nicht um einen Schreinaltar im üblichen<br />

Sinne, sondern um ~in dreiteiliges Altarretabel, d. h. ohne einklappbare Flügelbilder.<br />

Ungewöhnlich ist das (im Vergleich zu den Seitenteilen von einer anderen<br />

Hand gefertigte) schmale Mittelteil, woraus vorab zu schließen ist, daß<br />

das Altarretabel- aus welchem Grund auch immer - aus verschiedenen Kompositionen<br />

zusammengesetzt wurde.<br />

Der Altar ist durch das Antwerpener Gildezeichen (eine Hand) auf allen<br />

drei Teilen sowie durch das Brüsseler Gildezeichen (ein Hammer) auf der<br />

Rückseite des Mittelteiles "signiert". Er wird "um 1460" datiert (so Dommuseum<br />

S. 322, also nach der umfassenden Restaurierung). - Auf dem linken Hosenbein<br />

des rechten Soldaten bei der Kreuztragung (des linken Retabel-Teiles)<br />

sind die Buchstaben "J L" eingeschnitten (Abb. bei Zykan S. 144 Nr. 176; dessen<br />

Lesung "A L" - so auch Dommuseum S. 317 - ist zumindest nicht zwingend).<br />

Sie können als die Anfangsbuchstaben des Namens des Auftraggebers<br />

bzw. Stifters gelten, nämlich Johann (von) Lutzerath.<br />

Der Altar befindet sich heute (mit verschiedenen Veränderungen des<br />

19. Jahrhunderts) in der Votivkirche von Wien. Er wurde 1858 durch Kaiser<br />

Franz Josef von dem Wiener Bildhauer Hans Gasser (1817-1ß68) erworben,<br />

1878 auf Bitten des Wiener Erzbischofs Kardinal Joseph Ottmar von Rauscher<br />

(1797-1875) der Votivkirche in Wien geschenkt und dort in einer Seitennische<br />

des Langhauses auf der Epistelseite aufgestellt. Wenn es auch im<br />

Vortrag zum Ankauf 1858 vor Kaiser Franz Josef heißt, "in diesem Altarwerke<br />

(habe) si~h die Kunst des Mittelalters ein großes und schönes Denkmal gesetzt"<br />

(HHStA Wien, Oberkämmereramt Serie B, Kä 488, Akten 1858, Rubrik<br />

65/2 BI. 231), so wurde seine künstlerische Qualität erst mit einer umfassenden<br />

Restaurierung 1965/66 erkannt, bei der die "originale Polychromierung<br />

von hoher Qualität, wie sie nur selten erhalten ist" (Zykan S. 130) von Übermalungen<br />

und "Ausbesserungen" des 19. Jahrhunderts wieder freigelegt werden<br />

konnte. 1986 kam der Altar "aus konservatorischen Überlegungen und<br />

aus Sicherheitsgründen" als Depositum in das Dom- und Diözesan-Museum<br />

in Wien (Dommuseum S. 304), ist seit 2003 aber wieder in der Votivkirche.<br />

In den Unterlagen über der Erwerb des Altares durch Kaiser Franz Josef<br />

heißt es auch, daß er "aus der Kirche in Pfalzel bei Trier" stamme (HHStA<br />

Wien wie oben). Das ist in der Literatur unbekümmert als "Stiftskirche" oder<br />

"Liebfrauenstift" Pfalzel präzisiert und der Altar zum Hochaltar erklärt wor-

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