09.11.2012 Aufrufe

Der komplette Beitrag als pdf-Download

Der komplette Beitrag als pdf-Download

Der komplette Beitrag als pdf-Download

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

44<br />

Neue und alte Hüte<br />

„Von Hagens betreibt Sensationshascherei<br />

und Schaustellerei.“<br />

Natürlich reagierten manche Bürger mit<br />

Ablehnung. Einige gründeten ein „Bündnis<br />

für Menschenwürde“. Aber die meisten<br />

dachten wie Hübner, dass Guben es sich<br />

nicht hätte leisten können, den ungewöhnlichen<br />

Investor abzulehnen. Die Ansiedlung<br />

verstrickte Befürworter und Gegner fortan<br />

in metaphysische Fragen nach dem Verhältnis<br />

von Geist und Materie. Und Guben<br />

wurde zu einem Ort, in dem die Antworten<br />

darauf zu einzigartigen, ganz konkreten<br />

Konsequenzen für seine Einwohner geführt<br />

hatten: Unterstützen wir die Ansiedlung?<br />

Sind wir bereit, dort zu arbeiten? Und<br />

würden wir selbst einem solchen Unternehmen<br />

unseren Körper zur Verfügung stellen?<br />

Ina K. ist eine junge, groß gewachsene Frau<br />

mit blonden Haaren, und mit 19 Jahren<br />

sind für sie alle Fragen geklärt. Nach ihrem<br />

Tod will sie sich plastinieren lassen. Dieses<br />

Jahr im Juni wird sie ihr Abitur machen,<br />

und dann, da ist sie ganz sicher, möchte<br />

sie weg von hier. Vielleicht nach Mannheim<br />

oder nach Stuttgart, nur nicht bleiben, wo<br />

nichts passiert. Sie sieht in der Ausstellung<br />

reine Aufklärung, das, <strong>als</strong> was sie sich<br />

verkauft. Vom wissenschaftlichen Nutzen<br />

der Plastinate ist sie überzeugt: „Wenn<br />

man sich die Knochen anschaut, wie die<br />

Muskeln funktionieren, was ein Mensch<br />

Pfarrer Michael Domke<br />

scripten 12<br />

damit machen kann! Man braucht sie sich<br />

bloß nicht <strong>als</strong> richtige Menschen vorzustellen,<br />

mit einer Geschichte, einem Leben<br />

usw.“, erklärt sie. Aber sind es nicht richtige<br />

Menschen? „Ja, doch, man muss bloß<br />

nicht daran denken.“ Ina redet nicht weiter,<br />

lächelt und zieht vor, nicht länger darüber<br />

nachzudenken.<br />

Die ersten Demonstrationen für Freiheit,<br />

Demokratie und Menschenrechte in der<br />

DDR gingen von den Kirchen aus, auch<br />

von der, in der Michael Domke noch immer<br />

predigt. Als Pfarrer von Guben wurde er oft<br />

genug Opfer des Misstrauens des Staates,<br />

er weiß seinen Platz in der neuen Gesellschaft<br />

zu schätzen. Deshalb verwundert es<br />

ein wenig, wenn er von der Kehrseite der<br />

Demokratie spricht, <strong>als</strong> er an das Plastinarium<br />

denkt. „Es ist durch die Öffnung der<br />

Grenzen natürlich sehr viel Neues über uns<br />

hereingebrochen. Die Menschen dachten:<br />

Aha, das kann man jetzt <strong>als</strong>o alles machen!<br />

Aber das innere Verhältnis zu manchen<br />

fragwürdigen Errungenschaften ist überhaupt<br />

nicht herausgebildet worden, und<br />

auch nicht, wie man eine Position dazu einnimmt.<br />

Das hat einfach ein Gefühl von Verunsicherung<br />

und Heimatlosigkeit erzeugt.“

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!