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4 MikroBioLoGie<br />
10/2010<br />
Problemfälle<br />
Chemotherapie und<br />
orale Mukositis<br />
Prävention und Therapie<br />
von chemotherapieinduzierten<br />
Entzündungen <strong>der</strong><br />
Mundschleimhaut sind ein<br />
wichtiger Faktor zur Erhaltung<br />
<strong>der</strong> Lebensqualität von<br />
Krebspatienten.<br />
► Patienten unter Chemotherapie<br />
gehören aufgrund <strong>der</strong> häufig daraus<br />
resultierenden Schleimhautverän<strong>der</strong>ungen<br />
zweifelsohne zu den Problemfällen<br />
in zahnärztlichen Praxen.<br />
In abhängigkeit von grun<strong>der</strong>krankung,<br />
alter und vor allem dem verwendeten<br />
Therapieregime entwickeln<br />
durchschnittlich an die 40%<br />
<strong>der</strong> Chemotherapiepatienten und ein<br />
noch höherer Prozentsatz <strong>der</strong> chemotherapierten<br />
Patienten mit malignen<br />
haematologischen erkrankungen<br />
orale Komplikationen unterschiedlicher<br />
Schweregrade. die Stomatitis<br />
entwickelt sich durchschnittlich zwischen<br />
dem vierten und sechsten Tag<br />
nach einsetzen <strong>der</strong> Chemotherapie<br />
und erreicht ihren Höhepunkt um<br />
den zehnten Tag. Insgesamt halten<br />
die Beschwerden – wenn keine zusätzlichen<br />
Komplikationen auftreten<br />
– etwa zwei Wochen an. Zu den<br />
hoch stomatotoxischen Medikamenten<br />
zählen unter an<strong>der</strong>em doxorubin,<br />
doxocetaxol, Carboplatin, epirubicin,<br />
Flourouracil, Idarubin, Metothrexat<br />
und 6-Mercaptopurin; zu<br />
den durchschnittlich stomatotoxischen<br />
Substanzen gehören weiters<br />
Bleomycin, Vinblastin, Cytarabin,<br />
Thioguanine und Mitomycin C.<br />
Die orale Mukositis zeigt<br />
Ausprägungsformen unterschiedlicher<br />
Schwergrade<br />
das induzierte Krankheitsbild reicht<br />
von relativ harmlosen Beschwerden<br />
wie Mundtrockenheit und erythem<br />
über „burning mouth syndrom“ bis<br />
zu schwerer Stomatitis mit erosionen<br />
des epithels und teilweise auch<br />
tiefen Ulzerationen. Schwellungen<br />
und Schmerz führen zu Sprech- und<br />
Schluckbeschwerden bis zur Unfähigkeit<br />
zur aufnahme fester und später<br />
auch flüssiger Nahrung. daneben<br />
kann chemotherapieassoziiertes erbrechen<br />
durch den Kontakt <strong>der</strong> wunden<br />
Mukosa mit saurem Magensaft<br />
zu zusätzlichen Verschlimmerungen<br />
<strong>der</strong> Situation führen. Weiters besteht<br />
die gefahr von Superinfektionen <strong>der</strong><br />
läsionen mit Bakterien und Pilzen,<br />
insbeson<strong>der</strong>e Hefen, wie Candidaspezies,<br />
welche als Besiedler <strong>der</strong><br />
Mundhöhle auf den destruierten<br />
epithelien gute Wachstumsbedingungen<br />
finden.<br />
durch Chemotherapie sind beson<strong>der</strong>s<br />
jene Zellen betroffen, welche rasche<br />
Teilungszyklen haben. Schleim-<br />
häute zeigen durch die ständige abschilferung<br />
des deckepithels eine<br />
hohe mitotische aktivität und gehören<br />
damit zu den am meisten gefährdeten<br />
geweben. durch den chemotherapieinduzierten<br />
vermehrten und<br />
rascheren Zelltod werden Zellen bis<br />
in tiefe Schichten vorzeitig abgestoßen<br />
und die natürliche orale<br />
Schleimbarriere zerstört.<br />
Leukozytenabfall schwächt<br />
die natürliche Abwehr<br />
außerdem kommt es unter Chemotherapie<br />
zu einem abfall <strong>der</strong> leukozyten,<br />
wodurch die natürliche abwehrreaktion<br />
gegenüber potenziell<br />
pathogenen Keimen <strong>der</strong> Mundhöhle<br />
geschwächt wird. Beson<strong>der</strong>s bei vorbestehenden<br />
Infektionen <strong>der</strong> oralen<br />
Weichgewebe, wie gingivitis, Parodontitis<br />
und Stomatitis mit bakteriellen<br />
und/o<strong>der</strong> fungalen erregern,<br />
kann dann die Situation eskalieren.<br />
es kommt zu ungehemmter Keimvermehrung,<br />
das abgestorbene epithel<br />
und die Blutungen aus Ulzerationen<br />
bilden einen idealen Nährboden<br />
für diese Mikroorganismen. es<br />
besteht dann die gefahr einer ausgeprägten<br />
oralen Candidiasis mit einwachsen<br />
<strong>der</strong> Pseudohyphen in das<br />
gewebe. Im rahmen vorbestehen<strong>der</strong><br />
parodontaler erkrankungen können<br />
anaerobe und fakultativ anaerobe<br />
Keime massive entzündungsschübe,<br />
gewebsabbau und Nekrosen verursachen.<br />
durch die Suppression des<br />
gesamten haematopoetischen Systems<br />
besteht ein hohes risiko <strong>der</strong><br />
entwicklung eines septischen Zustandsbildes<br />
bei einschwemmung<br />
<strong>der</strong> Keime in die Blutbahn.<br />
Bei Infektionen mit Herpesviren besteht<br />
durch die Senkung <strong>der</strong> Immunabwehr<br />
die gefahr einer massiven<br />
reaktivierung. Zudem kommt es bei<br />
ca. 50% <strong>der</strong> mit Chemotherapeutika<br />
behandelten Patienten wegen <strong>der</strong><br />
Zerstörung <strong>der</strong> Vorläuferzellen <strong>der</strong><br />
roten Blutkörperchen zu einer anämie<br />
und durch die vermehrte ausschüttung<br />
von entzündungsmediatoren<br />
zu einer Blockade <strong>der</strong> eisenaufnahme<br />
aus dem darm. eisen ist<br />
aber ein wesentlicher Cofaktor für<br />
Zellreplikation und reparatur, beson<strong>der</strong>s<br />
bei den Schleimhäuten.<br />
Vorbeugung und frühzeitige<br />
Behandlung oraler Läsionen<br />
verhin<strong>der</strong>t irreparable Schäden<br />
die erhaltung bzw. Wie<strong>der</strong>herstellung<br />
<strong>der</strong> oralen gesundheit muss daher<br />
auf zwei Schienen erfolgen: einerseits<br />
die Prävention, welche noch<br />
vor einsetzen <strong>der</strong> chemotherapieassoziierten<br />
Beschwerden wirkungsvolle<br />
Schutzmaßnahmen setzt, und<br />
an<strong>der</strong>erseits die lin<strong>der</strong>ung und limitierung<br />
<strong>der</strong> möglicherweise dennoch<br />
auftretenden Schleimhautverän<strong>der</strong>ungen.<br />
Im Vor<strong>der</strong>grund steht eine weitgehende<br />
Sanierung von entzündungsherden<br />
in <strong>der</strong> Mundhöhle, im Idealfall<br />
vor Beginn, aber zumindest während<br />
und zwischen den Chemotherapiezyklen.<br />
eine reduzierung des<br />
gesamtkeimloads verhin<strong>der</strong>t in <strong>der</strong><br />
Phase <strong>der</strong> Immunsuppression Superinfektionen<br />
<strong>der</strong> oralen läsionen. So<br />
wird die damit verbundene gefahr<br />
einer einschwemmung <strong>der</strong> pathogenen<br />
Keime in die Blutbahn vermieden.<br />
Im Zuge <strong>der</strong> Sanierung<br />
sollte das Keimspektrum mikrobiologisch<br />
abgeklärt werden, um eine<br />
gezielte antimikrobielle Therapie zu<br />
ermöglichen. ein wichtiger Punkt ist<br />
dabei auch die Untersuchung auf eine<br />
mögliche latente Besiedelung<br />
durch Hefepilze, da sonst im rahmen<br />
<strong>der</strong> Chemotherapie ein massives<br />
aufwachsen von Candidaspezies<br />
zu erwarten ist. Beson<strong>der</strong>s ältere<br />
Patienten mit künstlichem Zahnersatz<br />
sind in dieser Hinsicht beson<strong>der</strong>s<br />
gefährdet, da die hier von vornherein<br />
bestehende Neigung zur entwicklung<br />
einer Prothesenstomatitis<br />
eine exazerbation während <strong>der</strong> Immunsuppression<br />
för<strong>der</strong>t.<br />
engmaschige Überwachung<br />
<strong>der</strong> oralen Mukosa während<br />
<strong>der</strong> Chemotherapiezyklen<br />
Während <strong>der</strong> Chemotherapiezyklen<br />
sollte neben einer effektiven, professionell<br />
vom Zahnarzt angeleiteten<br />
Mundhygiene auch eine engmaschige<br />
Überwachung des Zustandes<br />
<strong>der</strong> oralen Mukosa durchgeführt<br />
werden, um mögliche läsionen frühzeitig<br />
zu therapieren. Bereits das erste<br />
auftreten von rötungen o<strong>der</strong><br />
weißen Flecken sollte anlass zu sofortiger<br />
Intervention sein.<br />
Während <strong>der</strong> sensiblen Phasen<br />
sollten die Patienten Noxen wie<br />
säurehaltige o<strong>der</strong> scharf gewürzte<br />
Nahrungsmittel ebenso wie Tabak<br />
o<strong>der</strong> alkohol möglichst vermeiden.<br />
Zahnprothesen dürfen nicht über<br />
Nacht getragen werden. Mundspülungen<br />
mit Salzwasser o<strong>der</strong> Natron<br />
zeigen positive Wirkung auf die<br />
Schleimhäute; hingegen sind alkoholhältige<br />
Mundwässer ebenso wie<br />
Wasserstoffsuperoxidspülungen unbedingt<br />
zu vermeiden. letztere führen<br />
zu einer Schädigung <strong>der</strong> epithelzellen<br />
und <strong>der</strong> Fibroblasten und verzögern<br />
damit die Wundheilung.<br />
Kurzfristige anwendungen von<br />
Chlorhexidingluconat als antiseptische<br />
Spülung sind zur reduktion<br />
<strong>der</strong> Keimzahl empfehlenswert. Bei<br />
extremer Mundtrockenheit kann<br />
Kunstspeichel helfen, Verletzungen<br />
zahn.Medizin.Technik<br />
eine optimale zahnärztliche Begleitung mil<strong>der</strong>t die nebenwirkungen.<br />
bei <strong>der</strong> Nahrungsaufnahme und<br />
beim Kauen zu vermeiden.<br />
Topische Schutzbarrieren<br />
gegen schädigende einflüsse<br />
Studien haben gezeigt, dass bei <strong>der</strong><br />
Prävention <strong>der</strong> chemotherapieassoziierten<br />
Mukositis die topische anwendung<br />
von oraler Sucralfatsuspension<br />
erfolge zeigt. Sucralfate sind<br />
nicht absorbierbare basische aluminiumsalze,<br />
welche auch in <strong>der</strong> Therapie<br />
von gastritis und duodenitis<br />
eingesetzt werden. das Sucralfat bildet<br />
polyvalente Brücken zu positiv<br />
geladenen Proteinen in <strong>der</strong> Mukosa<br />
und bildet damit eine adhäsive<br />
Schicht und Barriere gegen schädigende<br />
einflüsse. ein zusätzlich positiver<br />
effekt des Sucralfats ist die För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Synthese von Prostaglandinen<br />
in <strong>der</strong> Schleimhaut, was<br />
zu einer vermehrten durchblutung<br />
und verstärkten Speichelproduktion<br />
führt. die adhäsive Barriere verbleibt<br />
als Schutzschicht ca. 2,5 Stunden<br />
nach einbringung in die Mundhöhle.<br />
ein limitieren<strong>der</strong> Faktor für diesen<br />
positiven effekt ist allerdings das<br />
häufig auftretende, durch die Chemotherapie<br />
induzierte erbrechen.<br />
Ähnliche effekte hat gelclair –<br />
gelr, ein bioadärentes gel, welches<br />
unter an<strong>der</strong>em Na-Hyaluronat, Methylzellulose<br />
und PVP enthält.<br />
Bei sehr ausgeprägten ulzerierenden<br />
Stomatitiden, wie sie bei Patienten<br />
mit malignen haematologischen erkrankungen<br />
und bei mit Fluorouracil<br />
behandelten Patienten auftreten,<br />
gibt es die Möglichkeit zur gabe von<br />
Palifermin, einem Keratinozytenwachstumsfaktor,<br />
welcher die reparaturmechanismen<br />
des geschädigten<br />
epithels för<strong>der</strong>t.<br />
die topische anwendung von oralem<br />
glutamin zeigte in Studien eine reduktion<br />
<strong>der</strong> ausprägung und dauer<br />
<strong>der</strong> Mukositis und damit einen Benefit<br />
für die Patienten gegenüber <strong>der</strong><br />
Kontrollgruppe.<br />
gegen die Schmerzen bei schwerer<br />
Mukositis können lidocainhaltige<br />
Spülungen und Salben, Benzocaine<br />
und paracetamolhaltige Medikamente<br />
eingesetzt werden. Nur bei<br />
Versagen lokaler Schmerzmittel<br />
sollten systemische analgetika, bevorzugt<br />
aus <strong>der</strong> gruppe <strong>der</strong> Opiate,<br />
verwendet werden. NSar während<br />
<strong>der</strong> Chemotherapie sind kontraindiziert,<br />
da sie die meist sowieso vorbestehende<br />
Thrombozytopenie verstärken.<br />
gegen mikrobielle Superinfektionen<br />
ist ein gezieltes Vorgehen entsprechend<br />
dem Keimspektrum zu empfehlen.<br />
Im Falle des aufflammens einer<br />
Herpesinfektion kann aciclovir<br />
zum einsatz kommen.<br />
eine optimale zahnärztliche Begleittherapie<br />
mil<strong>der</strong>t für die betroffenen<br />
Patienten in jedem Fall die oft massiven<br />
Nebenwirkungen einer Chemotherapie<br />
und ist damit ein wichtiger<br />
Bestandteil in <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung<br />
<strong>der</strong> gesundheit des gesamtorganismus.<br />
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