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Helmut Lehner<br />

Gute Schulen –<br />

Bessere Zukunft<br />

1. Auflage2006<br />

Konstanz


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

© Helmut Lehner 2006<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

2


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Inhalt<br />

Teil I ...................................................................................................................................6<br />

Die Notwendigkeit einer Neuen Schule..............................................................................6<br />

1. Die Probleme der Alten Schule..................................................................................6<br />

Die Forderungen der Lehrpläne .................................................................................6<br />

Die Vorgaben der Schulbürokratie.............................................................................8<br />

Was tatsächlich erreicht wird ...................................................................................11<br />

2. Warum es so wenige gute Schulen gibt....................................................................15<br />

Der mangelnde Glauben an uns selbst fördert staatliche Eingriffe ..........................15<br />

Die übliche Auffassung von Erziehung schwächt <strong>die</strong> Kinder und Jugendlichen.....18<br />

Die vorherrschende Didaktik behindert das Denken................................................21<br />

3. Die Alte Schule <strong>auf</strong>geben – aber wie .....................................................................25<br />

„Richtig“ und „Falsch“ in der Erziehung unterscheiden..........................................25<br />

Veränderungspotenziale erkennen ...........................................................................28<br />

Die staatliche Einmischung zurückdrängen .............................................................29<br />

Die Überschätzung unseres objektiven und <strong>die</strong> Vernachlässigung unseres<br />

subjektiven Wissens <strong>auf</strong>geben..................................................................................32<br />

4. Erziehungswissenschaft in der Sackgasse................................................................37<br />

Forschungsschwerpunkte .........................................................................................37<br />

Perspektiven .............................................................................................................41<br />

Teil II................................................................................................................................43<br />

Das neue Modell: Ein Überblick......................................................................................43<br />

5. Der Schüler...............................................................................................................43<br />

Anmerkungen zur Psychologie des Schülers ...........................................................43<br />

Der Schüler in der Unterrichtssituation....................................................................45<br />

<strong>Auswirkungen</strong> von Erwartungs- und Handlungsmustern ........................................48<br />

6. Didaktisch bedeutsame Merkmale des Unterrichts ..................................................51<br />

Freiheit und Ordnung vs. Führung ...........................................................................51<br />

Problemorientierung vs. Ergebnisorientierung.........................................................52<br />

Kooperation vs. Wettbewerb....................................................................................53<br />

7. Schulische Rahmenbedingungen – ihr Einfluss <strong>auf</strong> Lehrer und Unterricht.............54<br />

Ziele und <strong>die</strong> dadurch bedingte Lehr-/Lernorganisation..........................................54<br />

Die Organisation zur Sicherung von Leistung .........................................................56<br />

Schulleitung..............................................................................................................56<br />

8. Unterrichtsumgebung und Lehrer-Schüler-Interaktion ............................................57<br />

9. Schulpolitische Bedingungen...................................................................................58<br />

Zentrale Lenkung vs. Autonomie.............................................................................58<br />

Isolierung vs. Öffentlichkeit.....................................................................................60<br />

3


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

10. Gesellschaftliche Bedingungen und Einflüsse....................................................... 61<br />

Die Macht anonymer Erwartungen.......................................................................... 62<br />

Entwicklung durch klar bestimmte Erwartungen .................................................... 64<br />

Teil III.............................................................................................................................. 66<br />

Beiträge zur Psychologie des Schülers............................................................................ 66<br />

11. Entwicklung von innen oder von außen............................................................... 66<br />

Die These des anfänglich „leeren“ Geistes.............................................................. 67<br />

Einwände gegen <strong>die</strong> Theorie des „leeren“ Geistes.................................................. 68<br />

Die These des bereits entwickelten Verstandes....................................................... 70<br />

Handlung und Produkt: Ich und Persönlichkeit....................................................... 77<br />

Die triadische Struktur der menschlichen Intelligenz.............................................. 80<br />

12. Lernen.................................................................................................................... 82<br />

Kognitive Stile......................................................................................................... 83<br />

Entstehung des rezipierend-reproduzierenden Lernstils.......................................... 86<br />

Beispiele für rezipierend-reproduzierendes Lernen................................................. 90<br />

Der Einfluß der Schule <strong>auf</strong> den rezipierend-reproduzierenden Lernstil.................. 92<br />

Selbständiges Forschen und Entdecken bei Kindern............................................... 94<br />

Kognitive Operationen beim forschend-entdeckenden Lernen ............................... 97<br />

Die Beseitigung von Lernstörungen durch forschend-entdeckende Operationen . 107<br />

13. Motivation ........................................................................................................... 109<br />

Objektivistische Theorien...................................................................................... 110<br />

Subjektivistische Theorien..................................................................................... 112<br />

Das Bedürfnis nach Sicherheit............................................................................... 114<br />

Das Bedürfnis nach Selbständigkeit ...................................................................... 114<br />

Das Bedürfnis nach Kompetenz ............................................................................ 115<br />

Diskussion objektivistischer und subjektivistischer Auffassungen....................... 116<br />

Intrinsische und extrinsische Motivation............................................................... 119<br />

Fremd- und Selbstbestimmung.............................................................................. 120<br />

Formen extrinsischer und intrinsischer Motivation............................................... 120<br />

Kontrollierende Maßnahmen zerstören <strong>die</strong> Lernfreude......................................... 124<br />

14. Gefühl und Temperament.................................................................................... 127<br />

Schulisch bedeutsame Temperamente................................................................... 128<br />

Der Einfluss des Temperaments bei extrinsischer Motivierung............................ 130<br />

Der Einfluss des Temperaments bei intrinsischer Motivierung ............................ 136<br />

Körperliche Entspannung als Mittel zur emotionalen Integration......................... 139<br />

15. Einstellungen und Werte ..................................................................................... 140<br />

Die <strong>Auswirkungen</strong> kontrollierender Maßnahmen ................................................. 140<br />

Der Mechanismus der Abwehr .............................................................................. 142<br />

Befunde und Erfahrungsberichte zu den Folgen der Abwehr ............................... 144<br />

Individuelle Differenzen und Unterschiede........................................................... 146<br />

Entwicklung von Wertvorstellungen durch Selbstregulation................................ 147<br />

16. Pläne und Interessen ............................................................................................ 148<br />

17. Selbstwerteinschätzungen.................................................................................... 150<br />

Erhaltung des Selbstwerts als (Grund-)Bedürfnis ................................................. 151<br />

Das handlungs- und das lageorientierte Selbst ...................................................... 153<br />

4


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Teil IV ............................................................................................................................156<br />

Beiträge zur Unterrichtspsychologie..............................................................................156<br />

18. Didaktische Merkmale aus der Sicht von außen ..................................................157<br />

Erziehung als Lenkung...........................................................................................157<br />

Stoff- bzw. Ergebnisorientierung ...........................................................................165<br />

Auslese / Wettbewerb.............................................................................................170<br />

19. Didaktische Merkmale aus der Sicht von innen...................................................181<br />

Freiheit und Ordnung .............................................................................................182<br />

Problemorientierung...............................................................................................191<br />

Kooperation............................................................................................................208<br />

Teil V..............................................................................................................................214<br />

Diskussion schulischer Rahmenbedingungen ................................................................214<br />

20. Die Ziele: Gesellschaftliche Erwartungen vs. Entfaltung der Persönlichkeit 215<br />

Die so genannten Leistungsanforderungen ............................................................215<br />

Folgen für das Selbstbild von Lehrern ...................................................................216<br />

Folgen für das Selbstbild der Schüler.....................................................................219<br />

21. Organisation des Unterricht: Mechanisierung vs. Individualisierung..................222<br />

Planerfüllung ..........................................................................................................222<br />

Die Förderung der Pläne von Schülern ..................................................................226<br />

22. Organisation zu Sicherung von Leistung: Selektion von Individuen vs. Selektion<br />

von Maßnahmen .........................................................................................................229<br />

Leistungsvergleiche führen zu Wettbewerb...........................................................230<br />

Homogene Leistungsgruppen führen nicht zu besseren Leistungen......................233<br />

Problematik der Leistungsauslese ..........................................................................236<br />

Koppelung von Unterricht und Berechtigungswesen: Schule als Ausleseagentur.238<br />

Trennung von Unterricht und Berechtigungswesen...............................................241<br />

23. Schulpolitische Rahmenbedingungen ..................................................................243<br />

Abhängigkeit vs. Autonomie..................................................................................243<br />

Geschlossenheit vs. Offenheit ................................................................................246<br />

Teil VI ............................................................................................................................249<br />

Ausblick..........................................................................................................................249<br />

24. Wege zu besseren Schulen ...................................................................................249<br />

Schulentwicklung als evolutionären Prozess verstehen lernen ..............................250<br />

Durch geeignete Rahmenbedingungen <strong>die</strong> Entwicklung der Schulen fördern.......252<br />

Erziehung als Hilfe zur individuellen Entwicklung <strong>auf</strong>fassen ...............................257<br />

Literaturverzeichnis........................................................................................................260<br />

5


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Teil I<br />

Die Notwendigkeit einer Neuen Schule<br />

1. Die Probleme der Alten Schule<br />

Eigentlich soll <strong>die</strong> Schule <strong>die</strong> Fähigkeiten der jungen Menschen entwickeln und sie <strong>auf</strong><br />

das Leben als selbstverantwortliche Bürger in einer freien Gesellschaft vorbereiten. Die<br />

Mädchen und Jungen sollen <strong>die</strong> kulturellen, politischen, wirtschaftlichen, technischen<br />

und andere Aspekte des sozialen Lebens verstehen lernen. Sie sollen zunehmend daran<br />

teilnehmen und sich dadurch in das gesellschaftliche Leben einfügen und sich dort behaupten.<br />

Wird der Erwerb von Kenntnissen über sich und <strong>die</strong> Welt zu einem selbstverständlichen<br />

Teil ihres Daseins, dann wollen sie auch lebenslang bewusst lernen. So können<br />

sie ein reiches und erfülltes Leben führen und ihren Beitrag zum Wohl der Allgemeinheit<br />

leisten.<br />

Das ist in etwa das Bild der allgemeinen Ziele in den feierlich formulierten Einleitungen<br />

zu den Lehrplänen. Schaut man sich <strong>die</strong> Pläne jedoch im Einzelnen an, ist so gut wie<br />

nichts mehr von <strong>die</strong>sen wunderbaren Zielen zu erkennen. Woran liegt es<br />

Die Forderungen der Lehrpläne<br />

Das Problem der Lehrplanautoren ist, dass sie im Detail bestimmen müssen, durch welche<br />

Inhalte Kinder und Jugendliche <strong>auf</strong> das zukünftige Leben vorbereitet werden sollen.<br />

Da sind eindeutige Antworten dann nicht mehr so einfach zu geben. Was ist wichtig zu<br />

wissen Wie viel Mathematik, Physik, Geschichte, welche Sprachen, wie viel Grammatik<br />

ist nötig Sind Musik und Kunst erforderlich Sind Faust und Wallenstein zentral für<br />

unsere Kultur Wie wichtig ist der Parzival Was lässt sich aus der Beschäftigung mit<br />

6


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Brecht, Grass oder Böll gewinnen Sollen <strong>die</strong> Kreuzzüge heute noch behandelt werden<br />

Welches Wissen brauchen Mädchen und Jungen über Wirtschaft, Recht, Naturschutz,<br />

Gesundheit, Ernährung und Sexualität Welche grundlegenden Werte wie Gerechtigkeit,<br />

Wahrhaftigkeit, Toleranz müssen vermittelt werden Welches Verständnis von Demokratie<br />

oder Minderheitenschutz ist unerlässlich Wie soll <strong>die</strong> Schule mit Religionslehren<br />

umgehen Man meint, <strong>die</strong> Experten müssten es doch wissen. Aber auch <strong>die</strong> Experten<br />

sind sich nicht einig, und ihre Empfehlungen sind selten unabhängig von allgemeinen<br />

gesellschaftlichen Strömungen. So gehen Experten in Deutschland von uniformen Lehrplänen<br />

für alle Schüler einer Schulform aus, wobei <strong>die</strong> Differenzierung in Schulformen<br />

für unabdingbar gehalten wird. In Schweden dagegen fordern Experten <strong>die</strong> Individualisierung<br />

der Lerninhalte nach Fähigkeiten und Interessen der Schüler, wobei dort eine<br />

einheitliche Schulform für alle als selbstverständlich gilt.<br />

Heute fordern Experten eine Vorbereitung <strong>auf</strong> <strong>die</strong> „digitale Weltgesellschaft“. Neben<br />

Informationstechnologie müssten Inhalte wie Wirtschaft oder Recht den Unterricht stärker<br />

bestimmen. Vor allem aber bräuchten <strong>die</strong> Schüler heute weniger Faktenwissen, sondern<br />

Wissen, das sie in unterschiedlichen Bereichen anwenden können. Sie sollen sich<br />

darin üben, mit ihren Kenntnissen von heute zukünftige Probleme zu lösen. Darüber<br />

hinaus wird <strong>die</strong> Stärkung der Bereitschaft zu lebenslangem Lernen, zu mehr Kreativität<br />

und Innovation, zu Teamfähigkeit und Verantwortlichkeit gefordert 1 Alle <strong>die</strong>se Änderungsvorschläge<br />

resultieren aus einer Unzufriedenheit mit der Schule und ihren Leistungen.<br />

2<br />

1<br />

2<br />

Vgl. beispielsweise <strong>die</strong> Delphi-Befragung 1996/1998: Potentiale und Dimensionen der Wissensgesellschaft<br />

– <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> Bildungsprozesse und Bildungsstrukturen. Abschlußbericht zum „Bildungs-Delphi“.<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung. München 1998.<br />

Siehe z.B. <strong>die</strong> aktuelle Timss- sowie <strong>die</strong> Pisa-Stu<strong>die</strong> (Jürgen Baumert u.a. (Hrsg.): TIMSS – Mathematisch-naturwissenschaftlicher<br />

Unterricht im internationalen Vergleich. Opladen: Leske & Budrich<br />

1997; Jürgen Baumert u.a. (Hrsg.): PISA 2000 – Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern<br />

im internationalen Vergleich. Opladen: Leske & Budrich 2001), deren Ergebnisse ja keineswegs überraschen,<br />

da frühere Untersuchungen der Schülerleistungen, auch wenn sie längst nicht in <strong>die</strong>sem Umfang<br />

durchgeführt worden sind, stets ähnlich schlechte Ergebnisse erbracht haben (zur Schuleffektivitätsforschung<br />

vgl. z.B. Kurt Aurin (Hg.): Schulvergleich in der Diskussion. Stutgart: Klett-Cotta 1990;<br />

Harvey A. Averch, Stephen J. Carroll, Theodore S. Donaldson, Herbert J. Kiesling, John Pincus: How<br />

Effective is Schooling A Critical review of Research. Englewood Cliffs, New Jersey: Educational<br />

Technology Publications 1974). Vermutlich werden <strong>die</strong> mangelnden Leistungen der Schule (gemessen<br />

am Können der Schüler) kritisiert, seit es Schulen gibt. So verurteilte bereits Confucius das reine<br />

Auswendiglernen, das vertane Arbeit sei (Theodore Hsi-en Chen, History of Education. In: Encycolpaedia<br />

Britannica 1978, Macropaedia Vol. 6, 320), und Seneca klagte vor zweitausend Jahren in seinen<br />

berühmten Briefen „Non vitae, sed scolae discimus“ (nicht fürs Leben, für <strong>die</strong> Schule bloß lernt<br />

man). Im L<strong>auf</strong>e der Jahrhunderte wurde der Satz jedoch umgedreht zu dem geflügelten Wort: „Non<br />

scolae, sed vitae discimus“, mit dem man zumeist <strong>die</strong> Pforten der Gymnasien zierte.<br />

7


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Aber wird es helfen, <strong>die</strong> Lehrpläne zu ändern Die Lehrpläne forderten auch schon früher<br />

<strong>die</strong> Förderung selbständigen Denkens im Unterricht, <strong>die</strong> Kenntnis und den Umgang<br />

mit den Arbeitsmethoden verschiedener Disziplinen und <strong>die</strong> Anwendung des Schulwissens<br />

im täglichen Leben. Sie forderten auch <strong>die</strong> Erziehung zu Verantwortung, zu Einfühlungsvermögen,<br />

moralischem Handeln und viele andere Dinge, <strong>die</strong> durchaus wünschenswert<br />

und wertvoll sind. Die meisten der allgemeinen Ziele, <strong>die</strong> heute genannt werden,<br />

sind keineswegs so neu, auch wenn Einzelnes sich verändert oder erweitert hat und<br />

teils andere Schwerpunkte gesetzt werden.<br />

So gesehen sind also nicht <strong>die</strong> Lehrpläne das Problem, sondern das, was der Unterricht<br />

aus ihnen macht. Jedenfalls kommen Pisa- und Timss-Stu<strong>die</strong> zu dem Schluss, dass <strong>die</strong><br />

Ergebnisse letztlich vom Unterricht abhängen. Die Frage ist jedoch, welche Ziele für den<br />

Unterricht maßgebend sind. Stehen wirklich Ziele im Vordergrund wie Kreativität, mathematisches<br />

Verständnis, Freude an musikalischem und künstlerischem Gestalten, Verantwortlichkeit<br />

und all <strong>die</strong> anderen hochwillkommenen Dinge Sieht man sich <strong>die</strong> Lehrpläne<br />

genauer an, gewinnt man unweigerlich den Eindruck, dass allein <strong>die</strong> speziellen<br />

Inhalte, <strong>die</strong> im Einzelnen festlegen, was zu unterrichten ist, <strong>die</strong> Lehrbücher und den<br />

schulischen Alltag prägen. Da ist dann keine Rede mehr von physikalischem Verständnis,<br />

sondern da geht es um Bewegung, um Newtonsche Gesetze, um Arbeit, Leistung,<br />

Impuls, Rotation, Schwingung, Stoß usw. Auch wenn zwischen Zielen und Inhalten Zusammenhänge<br />

bestehen, fragt man sich doch, ob Lehrplankommissionen wirklich wissen<br />

können, was jeder einzelne Schüler letztlich lernen muss, um so etwas wie physikalisches<br />

oder mathematisches Verständnis zu gewinnen.<br />

Ungeachtet solcher Bedenken bestimmen <strong>die</strong> Schulbürokratien jedoch nicht nur <strong>die</strong> Inhalte<br />

des Unterrichts, sondern auch, unter welchen Bedingungen <strong>die</strong>se in <strong>die</strong> Köpfe der<br />

Schüler zu bringen sind. Will man wissen, warum der durchschnittliche Unterricht ist,<br />

wie er ist, darf man <strong>die</strong>se Regelungen nicht außer Acht lassen.<br />

Die Vorgaben der Schulbürokratie<br />

Die Kultusverwaltungen scheinen keineswegs nur vage Vorstellungen vom Unterricht zu<br />

haben, sondern genau zu wissen, was <strong>die</strong> Schulen zu tun haben. Das entspricht ihrer Position<br />

in dem hierarchischen Verhältnis von Staat und Schule. Per Vorschrift oder Erlass<br />

bestimmen Bürokratien den Schulalltag. Fast alles ist geregelt: <strong>die</strong> Altersgruppierung,<br />

<strong>die</strong> Anzahl der Schüler pro Klasse, <strong>die</strong> Zahl der Stunden pro Fach und Woche, <strong>die</strong> Art<br />

und Anzahl der Klassenarbeiten in jedem Fach, mündliche und schriftliche Notenge-<br />

8


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

bung, <strong>die</strong> Einrichtung von Arbeitsgruppen, <strong>die</strong> ständige Aufsichtspflicht, Art und Weise<br />

der Ahndung von Disziplinverstößen usw. Die Kultusverwaltungen entscheiden, welche<br />

Lehrbücher, Arbeitshefte oder Me<strong>die</strong>npakete für den Unterricht geeignet sind. Nur<br />

Schulbücher, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Zensur erfolgreich durchl<strong>auf</strong>en haben, dürfen verwendet werden.<br />

Sie stellen <strong>die</strong> Lehrer ein und ernennen <strong>die</strong> Schulleiter. Da den Ministerien klar ist, welche<br />

Bedeutung der Unterrichtsgestaltung zukommt, ist anzunehmen, dass Lehrplanreformen<br />

in Zukunft auch genauere Vorschriften für den Unterricht beinhalten werden.<br />

Änderungen der Schule können so per Erlass verfügt werden. Die weisungsgebundenen<br />

Schulleiter und Lehrer haben auszuführen, was ihnen <strong>auf</strong>getragen wird. 3<br />

Offenbar ist <strong>die</strong> Schulbürokratie überzeugt, über alles erforderliche Wissen zu verfügen,<br />

um <strong>die</strong>se Entscheidungen treffen oder zumindest vorformen zu können. Würde man<br />

Lehrer <strong>auf</strong> Lebenszeit verbeamten, ohne sicher zu sein, <strong>die</strong> besten Kräfte gefunden zu<br />

haben Würde man Inhalte, Alter und Zahl der Schüler pro Klasse, <strong>die</strong> Zahl der Stunden<br />

pro Fach und Woche vorschreiben können, ohne sich über <strong>die</strong> genauen <strong>Auswirkungen</strong><br />

im Klaren zu sein Würde man Lehrbücher zensieren ohne <strong>die</strong> Sicherheit, <strong>die</strong> am besten<br />

geeigneten herausgefunden zu haben Aber ist der Schulbürokratie wirklich klar, welche<br />

Wirkungen von einem durch ihre Vorschriften bedingten üblichen Stundenplan-<br />

Tagesabl<strong>auf</strong> in der Untersekunda ausgehen Er könnte beispielsweise so aussehen: 1.<br />

Stunde: Deutsch, (Blechtrommel); 2. Stunde: Französisch (Candide); 3. Stunde: Politik<br />

(Pressefreiheit); 4. Stunde: Englisch (Aktionsarten); 5. Stunde: Mathematik (Tangensfunktionen);<br />

6. Stunde: Physik (Dopplersches Gesetz). Welchen Spielraum lässt <strong>die</strong>se<br />

Zusammenhanglosigkeit für <strong>die</strong> Orientierung an grundlegenden Zielen<br />

Hinzu kommt, dass Vorschriften und Weisungen nur in seltenen Fällen <strong>auf</strong> direktem<br />

Wege zu den angestrebten Zielen führen. Die Bildungsplaner haben ja nicht mit Schachfiguren<br />

zu tun, <strong>die</strong> sie nach Belieben hin- und herschieben können. Die beteiligten<br />

Schulleiter, Lehrer, Kinder und Eltern, aber auch Schulräte haben ihre eigenen Vorstellungen<br />

und Auffassungen. Sie sehen zwar <strong>die</strong> äußeren Bedingungen und Anforderungen,<br />

aber solange <strong>die</strong>se nicht mit ihren inneren Antrieben und Prinzipien übereinstimmen,<br />

nutzen sie <strong>die</strong>se für eigene Ziele. 4 Nicht selten wird eine verbliebene Verantwortung <strong>auf</strong><br />

3<br />

4<br />

Vgl. Peter Vogel: Die bürokratische Schule. Unterricht als Verwaltungshandeln und der pädagogische<br />

Auftrag der Schule. Kastellaun: Henn 1977<br />

Vgl. hierzu im Hinblick <strong>auf</strong> politisches Planen und Handeln auch Adam Smith: Theorie der ethischen<br />

Gefühle (1926, Bd. 2, S.396 bzw. 2. Kap. Abschnitt 2, vorletzter Absatz): Der unbedachte Politiker<br />

gehe dar<strong>auf</strong> aus, „seinen Plan vollständig und in allen seinen Teilen einzuführen, ohne Rücksicht <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> wichtigen Interessen oder <strong>auf</strong> <strong>die</strong> starken Vorurteile, <strong>die</strong> ihm entgegenstehen mögen. Er scheint<br />

sich einzubilden, dass er <strong>die</strong> verschiedenen Glieder einer Gesellschaft mit ebensolcher Leichtigkeit<br />

anordnen kann als <strong>die</strong> Hand <strong>die</strong> verschiedenen Figuren <strong>auf</strong> dem Schachbrett anordnet. Er bedenkt<br />

9


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

<strong>die</strong> Schulbehörden abgewälzt, indem für unvorhergesehene Fälle weitere Vorschriften<br />

gefordert werden. Die Vorschriften können aber auch benutzt werden, um sich gegen<br />

pädagogische Anforderungen engagierter Schüler, Eltern oder Kollegen zu immunisieren.<br />

Auf der anderen Seite gibt es sicher auch Fälle, in denen Lehrer besondere Projekte<br />

gegen engherzige Regelungen durchsetzen und dabei von den Schulbehörden unterstützt<br />

werden.<br />

Im allgemeinen aber ist in der Schule wie in anderen hierarchisch strukturierten <strong>Institution</strong>en<br />

der Glaube stark, dass Ordnung nur von außen oder „von oben“ als bewusste Setzung<br />

herbeigeführt und erhalten werden kann, dass ohne eine solche Macht Menschen<br />

kaum vernünftig handeln könnten. Das hat zur Folge, dass im Wesentlichen nur das an<br />

der Spitze der Hierarchie vorhandene Wissen genutzt wird, wobei <strong>die</strong> Ausführenden den<br />

vorgegebenen Rahmen für den jeweiligen Einzelfall zu ergänzen haben. Die Einengung<br />

des Handelns durch <strong>die</strong> Bildungsbürokratie soll vor allem der Willkür Grenzen setzen.<br />

Man könnte sich damit beruhigen, dass ja nur das Handeln beschränkt wird, <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

des freien Denkens aber erhalten bleibt. Jedoch braucht auch das Denken, das<br />

der Entwicklung der Schule <strong>die</strong>nen soll, <strong>die</strong> Herausforderung durch selbst gewählte Ziele<br />

und Handlungsmöglichkeiten. Die Menschen müssen neue Techniken erproben können,<br />

um sich den besonderen Tatsachen, Interessen und Umständen anzupassen, <strong>die</strong> für<br />

ihr Leben und ihre Tätigkeiten in ihrem jeweiligen Umfeld von Bedeutung sind. Ansonsten<br />

wird das bloße Denken leicht unfruchtbar. Es ist kaum verwunderlich, dass <strong>die</strong> interessantesten<br />

und vielversprechendsten Anregungen für <strong>die</strong> Schulen auch heute noch vor<br />

allem aus der Zeit der Reformpädagogik stammen, <strong>die</strong> so nur wirken konnte, weil für sie<br />

auch <strong>die</strong> Freiheit des Handelns bestand. Andere heute wesentliche Einflüsse <strong>auf</strong> das erziehungswissenschaftliche<br />

Denken kommen aus dem Vergleich unterschiedlichen Handelns<br />

in den Schulsystemen verschiedener Nationen.<br />

Aus solchen unterschiedlichen schulischen Bedingungen erfahren wir, wodurch guter<br />

Unterricht gefördert wird, wie Schulleitung, Lehrer, Schüler und Eltern dazu angeregt<br />

werden können, Schule und Unterricht zu verbessern oder wie <strong>die</strong> Entwicklung einer<br />

10<br />

nicht, dass <strong>die</strong> Figuren <strong>auf</strong> dem Schachbrett kein anderes Bewegungsprinzip besitzen als jenes, welches<br />

<strong>die</strong> Hand ihnen <strong>auf</strong>erlegt, dass aber <strong>auf</strong> dem großen Schachbrett der Gesellschaft jede einzelne<br />

Figur ein eigenes Bewegungsprinzip besitzt, das durchaus von demjenigen verschieden ist, welches<br />

der Gesetzgeber nach seinem Gutdünken ihr <strong>auf</strong>erlegen möchte. Wenn <strong>die</strong>se beiden Prinzipien zusammenfallen<br />

und in der gleichen Richtung wirken, dann wird das Spiel der menschlichen Gesellschaft<br />

leicht und harmonisch vonstatten gehen und wahrscheinlich glücklich und erfolgreich sein.<br />

Wenn sie einander entgegengesetzt oder auch nur voneinander abweichend sind, dann wird das Spiel<br />

sehr schlecht vorwärts gehen und <strong>die</strong> Gesellschaft muss sich dann in höchster Unordnung und Verwirrung<br />

befinden.“ Siehe ferner zum gleichen Problem Friedrich A. von Hayek, Law, Legislation and Liberty.<br />

Bd.1: Rules and Order. London and Henley: Routledge & Kegan: 1973, Kap 2, S. 35 ff.


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Schulkultur begünstig wird, <strong>die</strong> verantwortliches Handeln, Einfühlungsvermögen, künstlerisches<br />

Gestalten, wirtschaftliches Denken und Handeln fördert. Offenbar brauchen<br />

wir unterschiedliche Schulen, in denen <strong>die</strong> Beteiligten frei handeln können, um mehr<br />

über Verbesserungsmöglichkeiten zu erfahren.<br />

Der Glaube machtvoller Schulbürokratien, das Wesentliche zu wissen und besser zu<br />

wissen als <strong>die</strong>, <strong>die</strong> an ihre Weisungen gebunden sind, erschwert <strong>die</strong> Gewinnung neuer<br />

und weiterführender Kenntnisse, beschneidet <strong>die</strong> pädagogische Phantasie, <strong>die</strong> Spontaneität<br />

und das Engagement von Schülern und Lehrern. Die bürokratisch geplante und gesteuerte<br />

Schule ist nichts anderes als eine Art Planwirtschaft im Bereich der Bildung. 5 Es<br />

wäre ein Wunder, wenn <strong>die</strong> Ergebnisse nicht ebenso fatal wie in Planwirtschaften wären.<br />

Was tatsächlich erreicht wird<br />

Seit jeher kommen Untersuchungen von Schulleistungen zu meist enttäuschenden Ergebnissen.<br />

Am besten waren <strong>die</strong> Lernerfolge früher in der Grundschule. Das könnte sich<br />

mit dem wachsenden Anteil von Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache geändert<br />

haben. Denn offenbar können viele von ihnen in der Grundschule, so wie sie heute ist,<br />

nicht angemessen gefördert werden. Nach der Grundschulzeit jedoch gehen Lehrziele<br />

und Lernleistungen immer weiter auseinander. In Physik beispielsweise verlassen <strong>die</strong><br />

Schüler „in ihrer übergroßen Mehrheit“ trotz der umfassenden fachlichen Unterweisung<br />

<strong>die</strong> Schule „schlicht als physikalische Analphabeten“. „Keines der gesteckten Ziele wird<br />

auch nur annähernd erreicht. Statt eines fun<strong>die</strong>rten physikalischen Fachwissens finden<br />

sich allenfalls einige Buch- und Versatzstücke des gelehrten Wissens, einzelne Formeln<br />

und Satztrümmer...“ 6<br />

5<br />

6<br />

Der Soziologe HELMUT SCHELSKY vergleicht den staatlichen Bildungsplan mit der Herrschaft der<br />

totalen Klassenherrschaft durch eine Einpartei (Die Arbeit tun <strong>die</strong> anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft<br />

der Intellektuellen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1975, S. 317)<br />

GEORG NOLTE-FISCHER: Bildung zum Laien. Zur Soziologie des schulischen Fachunterrichts. Weinheim:<br />

Deutscher Stu<strong>die</strong>n Verlag 1989, 288 f. Andere Untersuchungen erbrachten stets ähnliche Ergebnisse;<br />

z.B. Walter Schultze: Die Leistungen im naturwissenschaftlichen Unterricht in der Bundesrepublik<br />

im internationalen Vergleich. Frankfurt a. M.: Deutsches Institut für Internationale Pädagogische<br />

Forschung 1974; MARTIN WAGENSCHEIN: Was bleibt unseren Abiturienten vom Physikunterricht<br />

In: Zeitschrift für Pädagogik 6,1960, 29-43; RUDOLF LEHMBERG/ HORST LOCHHAAS/ HERBERT<br />

PAGNIA: Vergleichende Physik-Tests mit Schülern und Stu<strong>die</strong>nanfängern. In: Der mathematische und<br />

naturwissenschaftliche Unterricht, 28,1975, 385-390. Lediglich PETER HÄUSSLER stellt fest, dass<br />

Schüler mit viel Physikunterricht auch als Erwachsene noch mehr wissen als Schüler mit wenig Physikunterricht<br />

(ders: Die Wirkung schulischer und außerschulischer Faktoren <strong>auf</strong> den Stand naturwissenschaftlicher<br />

Bildung in der Bevölkerung am Beispiel der Physik. In: KURT RIQUARTS, WERNER<br />

DIERKS, REINDERS DUIT, GÜNTER EULEFELD, HENNING HAFT, HEINRICH STORK: Naturwissenschaftli-<br />

11


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

In den übrigen Fächern sieht es nicht besser aus 7 . So hält sich in der Gruppe der 15- bis<br />

24-jährigen ein Drittel nach einem Unterricht von sechs Jahren oder mehr nicht für fähig,<br />

an einer englischsprachigen Unterhaltung teilzunehmen 8 . Auch im Fach Geschichte<br />

zeigen <strong>die</strong> „Schüler lediglich ein sehr begrenztes Verstehen des Unterrichtsgebiets. Sie<br />

verfügen über fragmentarisches Faktenwissen über vereinzelte Ereignisse..., aber sie<br />

verstehen <strong>die</strong> ... Zusammenhänge nicht. ... Vier Wochen nach der Klassenarbeit haben<br />

Schüler ... Schwierigkeiten, sich an <strong>die</strong> Fakten zu erinnern, <strong>die</strong> sie gelernt hatten. Nach<br />

einem Jahr ist das Gedächtnisbild sehr verschwommen.“ 9 Literaturstudenten versagen<br />

darin, den Inhalt von Gedichten zu entziffern. Vielen fällt es schon sehr schwer, <strong>die</strong> einfache<br />

Bedeutung der Sätze zu erkennen, und kaum einer ist in der Lage <strong>die</strong> poetische<br />

Aussage zu verstehen. 10<br />

In anderen Ländern sind <strong>die</strong> Ergebnisse zwar besser oder schlechter, aber das bedeutet<br />

nicht, dass sie irgendwo hervorragend wären 11 . Wie es scheint, ist der durchschnittliche<br />

Schulunterricht kaum irgendwo <strong>auf</strong> der Welt besonders erfolgreich. Und im Grunde genommen<br />

weiß das auch jeder ohne Untersuchungen. Wer hat schon gute Sprachkenntnisse<br />

oder herausragendes Wissen in Physik und Mathematik, in Musik oder Kunst vor<br />

allem in der Schule erworben Fast immer war bereits vorher ein Interesse vorhanden,<br />

und das meiste hat derjenige in seiner Freizeit gelernt. Was ist uns geblieben, wenn wir<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Dinge zurückblicken, <strong>die</strong> man gezwungenermaßen lernen musste Wer kann<br />

noch etwas anfangen mit den Urstromtälern, mit den Differentialgleichungen, der Berechnung<br />

der Fallgeschwindigkeit oder Literaturtheorien Hauptsache war doch, <strong>die</strong><br />

Prüfungen zu bestehen.<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

che Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1: Bedingungen und Einflußgrößen naturwissenschaftlich-technischer<br />

Bildung Kiel: Institut für <strong>die</strong> Pädagogik der Naturwissenschaften an der Universität<br />

Kiel 1990, 59-76<br />

Vgl. zusammenfassende Darstellung bei HOWARD GARDNER: The unschooled Mind. How Children<br />

Think and How Schools Schould Teach. New York: Basic Books, 1991; deutsch: Der ungeschulte<br />

Kopf. Wie Kinder denken. Stuttgart: Klett-Cotta 1993, Kap. 8 und 9.<br />

DIE ZEIT Nr. 38, 2001, S. 75.<br />

Gunilla Svingby: Der Zusammenhang zwischen Schüler<strong>auf</strong>fassungen über bestimmte Begriffe und<br />

Schulerfahrungen. In: Tilman Grammes/ Kurt Wicke (Hg.): Die Gesellschaft aus der Schülerperspektive.<br />

Schwedische Beiträge zu einer didaktischen Phänomenographie. Hamburg: Krämer 1991, 69-89;<br />

hier S. 86 ff. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten in früheren Untersuchungen Egon Becker, Sebastian<br />

Herkommer und Joachim Bergmann: Erziehung zur Anpassung. Politische Bildung in den Schulen.<br />

Eine soziologische Untersuchung. Schwalbach: Wochenschau Verlag 1968 sowie Manfred Teschner:<br />

Politik und Gesellschaft im Unterricht. Eine soziologische Analyse der politischen Bildung an hessischen<br />

Gymnasien. Frankfurt a. M. 1968<br />

Vgl. <strong>die</strong> Vielzahl von Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> Gardner (1993) Der ungeschulte Kopf, in den Kap. 8 und 9 anführt.<br />

Siehe TIMSS- und PISA-Stu<strong>die</strong><br />

12


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Haben alle <strong>die</strong>se nicht erworbenen und offensichtlich nicht erfolgreich vermittelten Unterrichtsinhalte<br />

das spätere berufliche und gesellschaftliche Leben des einzelnen beeinträchtigt<br />

Ist daraus ein beruflicher oder gesellschaftlicher Schaden entstanden, sofern<br />

<strong>die</strong> Zeugnisse insgesamt annehmbar waren Offenkundig kommt den im Lehrplan vorgesehenen<br />

Einsichten und Erkenntnissen doch nicht <strong>die</strong> zumeist angenommene Bedeutung<br />

zu. Was <strong>die</strong> Lehrpläne fordern, kann – ausgenommen <strong>die</strong> Kulturtechniken – also<br />

kaum so entscheidend sein, wie behauptet wird. Niemand kann mit Sicherheit wissen,<br />

wor<strong>auf</strong> es letztlich ankommt. Heute fordern <strong>die</strong> Experten Problemlösefähigkeit, Teamfähigkeit,<br />

Kreativität, Zielstrebigkeit, Eigeninitiative und andere so genannte Schlüsselqualifikationen.<br />

Auch <strong>die</strong>se Fähigkeiten können nur in der Auseinandersetzung mit Gegenständen<br />

erworben werden. Warum kann das nicht an Gegenständen geschehen, <strong>die</strong><br />

dem einzelnen wichtig sind In <strong>die</strong>sem Fall könnte Lernen eine Quelle lebenslanger Befriedigung<br />

und Freude werden. Und <strong>die</strong>se Freude am Lernen ist schließlich <strong>die</strong> Voraussetzung<br />

für das so viel beschworene lebenslange Lernen.<br />

Mit ihrem Unterricht sollte <strong>die</strong> Schule dem einzelnen helfen, einen Platz in der Welt zu<br />

finden, sich in seine soziale Umgebung einzubinden sowie Aufgaben und Verantwortung<br />

zu übernehmen. Schüler der neunten Klasse scheinen nur sehr wenig Sinn und Nutzen<br />

in schulischer Bildung entdecken zu können. Sie erfahren <strong>die</strong> Schule als lebensfern<br />

und öde und erhoffen kaum noch, dass es später im Beruf besser werden könnte. 12 Eine<br />

solche frühe Resignation wird <strong>die</strong> Bereitschaft zu sozialem Engagement und lebenslangem<br />

Lernen wohl kaum begünstigen.<br />

Tatsächlich bringt der durchschnittliche Unterricht nicht selten negative Einstellungen<br />

hervor. Beispielsweise führt der Physikunterricht eher dazu, dass <strong>die</strong> Mehrheit der Schüler<br />

sich mit dem Gedankengut der Physik nur unter Zwang beschäftigt und kaum Vertrauen<br />

in <strong>die</strong> eigene Fähigkeit zum naturwissenschaftlichen Denken entwickelt. Physik<br />

gilt als Fach für Spezialisten und naturwissenschaftlich Begabte. 13 Das erzwungene und<br />

bewertete Lesen und Besprechen der Werke der großen Dichter scheint <strong>die</strong> Freude an<br />

guter Literatur eher zu vergällen. 14 Der Geschichtsunterricht ruft bei gar nicht so weni-<br />

12<br />

Vgl. Gudrun-Anne Eckerle/ Bernhard Kraak: Selbst- und Weltbilder von Schülern und Lehrern. Rekonstruktion<br />

aus einer Befragung an hessischen Gesamtschulen. Göttingen: Hogrefe 1993, S. 139<br />

13 vgl. Nolte-Fischer a.a.O. 1989, S. 248-263; Gernot Born/ Manfred Euler: Physik in der Schule. In: Bild<br />

der Wissenschaft, 15, 1978,74-81<br />

14<br />

Vgl. R.W. Beach: Attitude Towards Literature. In: Arieh Lewy (Ed.): The Inernational Encyclopaedia<br />

of Curriculum. Oxford: Pergamon 1991; 653-657.<br />

13


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

gen Schülern eher Überdruss hervor als Interesse für <strong>die</strong> Vergangenheit. 15 Zudem hat<br />

sich <strong>die</strong> Hoffnung der Nachkriegszeit in Deutschland, dass Geschichtsunterricht <strong>auf</strong>klärend<br />

und abschreckend <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Übernahme nationalsozialistischen Gedankenguts wirke,<br />

nicht bestätigen lassen. 16 Auch <strong>die</strong> Programme der Friedenserziehung, der multikulturellen<br />

Erziehung, staatsbürgerlichen Erziehung, Sozialerziehung, Drogenerziehung, Sexualerziehung,<br />

Umwelterziehung zeitigen selten <strong>die</strong> erwarteten Ergebnisse. Manchmal<br />

fördern Moralerziehungsprogramme geradezu das unerwünschte Verhalten. 17 So verwundert<br />

es nicht, wenn der Harvard-Pädagoge Howard Gardner <strong>die</strong> Auffassung vertritt,<br />

der Besuch der meisten Schulen drohe „heutzutage, <strong>die</strong> Kinder zu verderben.“ Aus den<br />

Erfahrungen, <strong>die</strong> sie in durchschnittlichen Schulen gewinnen, könnten sie keinen Grund<br />

dafür erkennen, warum sie sie überhaupt besuchen sollen. 18<br />

Es gibt jedoch nicht nur „durchschnittliche“ und „schlechte“, sondern auch einige „gute<br />

Schulen“, worunter wir zunächst Schulen verstehen wollen, <strong>die</strong> jedes einzelne Kind,<br />

jeden einzelnen Jugendlichen optimal zu fördern suchen. Viele „gute Schulen“ knüpfen<br />

an reformpädagogische Traditionen an, andere sind ganz einfach Schulen, in denen engagierte<br />

Schulleiter und Lehrer pädagogische Ideale pflegen und sich um deren Realisierung<br />

bemühen. 19 Warum finden wir solche Schulen nur relativ selten Warum geht von<br />

ihnen so wenig Wirkung <strong>auf</strong> durchschnittliche Schulen aus<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

19<br />

Vgl. Ernst Anrich: Leben ohne Geschichtsbewusstsein Eine Anklage gegen den heutigen Geschichtsunterricht.<br />

Tübingen: Grabert 1988; Hans Müller: Zur Effektivität des Geschichtsunterrichts.<br />

Schülerverhalten und allgemeiner Lernerfolg durch Gruppenunterricht. Stuttgart: Klett 1972.<br />

Vgl. Brigitte Reich/ Wolfgang Stammwitz: Antifaschistische Erziehung in der Bundesrepublik Von<br />

den Schwierigkeiten einer pädagogischen „Bewältigung“ des Nationalsozialismus. In: Hanns-Fred Rathenow/<br />

Norbert H. Weber (Hrsg.): Erziehung nach Auschwitz. Pfaffenweiler: Centaurus 1989, 98-<br />

108.<br />

Im Überblick Siegfried Uhl: Die Mittel der Moralerziehung und ihre Wirksamkeit. Bad Heilbrunn:<br />

Klinkhardt 1996. Als Ergebnis der Analyse einer Vielzahl von Stu<strong>die</strong>n kommt Uhl zu dem Ergebnis:<br />

„Ob ein Schüler am Moralunterricht teilgenommen hat oder nicht, ändert an seinen Wertüberzeugungen<br />

und am Verhalten in aller Regel wenig oder nichts.“ (S. 56).<br />

Gardner a.a.O., 1993, S. 251<br />

Vgl. insbesondere <strong>die</strong> im Forum Bildung beschriebenen Schulen (URL: www.forum-bildung.de)<br />

14


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

2. Warum es so wenige gute Schulen gibt<br />

Gute Schulen sind offenbar das Ergebnis besonderen Engagements, außerordentlicher<br />

Bemühungen und ungewöhnlicher pädagogischer Ideen. Eben das scheint in den Standardschulen<br />

weitgehend zu fehlen. Standardschulen entstehen, wenn Schule nicht mehr<br />

ist als <strong>die</strong> pflichtgemäße Ausführung bürokratischer Vorgaben. Besonders erfolgreiche<br />

Schulen beweisen aber, dass es möglich ist, über bloßes Ausführen hinauszugehen, eigene<br />

Vorstellungen zu entwickeln und durchzusetzen. Warum ist das aber so selten Warum<br />

geben wir dem Staat und der Bürokratie <strong>die</strong> Macht, den Unterricht im Übermaß zu<br />

bestimmen<br />

Der mangelnde Glauben an uns selbst fördert staatliche Eingriffe<br />

Immer wenn ich Studenten einen Film mit Kindern vorführe, <strong>die</strong> mit großem Enthusiasmus<br />

und Engagement selbständig arbeiten und anspruchsvolle Aufgaben lösen, ist<br />

<strong>die</strong> Reaktion eine Art misstrauischer Begeisterung. 20 Kann das wirklich sein Ja, sie wären<br />

gerne in eine solche Schule gegangen. Ihre eigenen Kinder würden sie trotzdem<br />

nicht dorthin schicken, aus Angst, sie könnten später der „harten Wirklichkeit des Lebens“<br />

nicht gewachsen sein. Als wäre <strong>die</strong> heutige Schule <strong>die</strong> beste Vorbereitung <strong>auf</strong> ein<br />

freies, eigenständiges Leben, als würde sie Eigenaktivität, Unternehmungslust und <strong>die</strong><br />

Kraft eines freien Geistes fördern. Wer nicht an sich selbst glaubt, ist unsicher und<br />

ängstlich <strong>auf</strong> seine Interessen begrenzt. Er wird von seinen Wünschen und Ängsten bestimmt<br />

und es gelingt ihm kaum darüber hinaus zu gehen. Wer dagegen den Glauben an<br />

sich selber hat, kann eher in sich ruhen, mit sich und der Welt im Einklang sein. Er ist<br />

sich seiner sicherer und nicht voller Spannungen, sein Blick kann frei nach außen gehen,<br />

unverstellt von Impulsen, <strong>die</strong> nur das eigene Ich zu schützen oder ihm Vorteile zu verschaffen<br />

suchen. Deshalb sieht er auch <strong>die</strong> Probleme und Nöte der andern, fühlt mit ihnen<br />

und sucht in seinem Handeln dem Besten Aller zu <strong>die</strong>nen. 21<br />

Ein Volk, in dem viele nicht nur an sich selbst, sondern überhaupt an den Möglichkeiten<br />

des Einzelnen zweifeln, wird dem Staat bereitwillig ein Übermaß an Macht zugestehen.<br />

Denn nur der Staat kann den schwachen Einzelnen schützen und ein Höchstmaß an<br />

20<br />

21<br />

Es handelt sich dabei um den Film „Lob des Fehlers“ von Reinhard Kahl.<br />

Vgl. auch Carl R. Rogers: Philosophie der Persönlichkeit. In: ders.: Entwicklung der Persönlichkeit.<br />

Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten. Stuttgart: Klett-Cotta 1983. 163-195.<br />

15


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Gleichheit gewährleisten. Zugleich aber soll er in gerechter Weise Leistung, Stärke und<br />

Intelligenz belohnen und jeden Einzelnen in seinen individuellen Stärken fördern. Diese<br />

widerstreitenden Ziele in Einklang zu bringen und eine effektive Schule zu ihrer Erreichung<br />

zu schaffen, betrachten wir als Aufgabe des Staates. Wenn er das nicht leisten<br />

kann, lasten wir es der Unfähigkeit seiner Verwaltungen oder den einseitigen Interessen<br />

der Politiker an. Es scheint uns gar nicht in den Sinn zu kommen, dass nur Einzelne,<br />

indem sie über <strong>die</strong> staatlichen Anordnungen hinausgehen, erst <strong>die</strong> von uns gewünschten<br />

außergewöhnlichen Leistungen hervorbringen können.<br />

Mit dem ständigen Ruf nach dem Staat, der <strong>die</strong> Lehrer besser ausbilden und auswählen,<br />

<strong>die</strong> Schulen besser ausstatten, lebensnähere Lehrpläne erstellen soll und tausend weiteren<br />

Forderungen stärken wir <strong>die</strong> gegenwärtigen schulischen Strukturen. Die vielen Forderungen<br />

nach Eingriffen „von oben“ nähren <strong>die</strong> Schulbürokratie. Beispielsweise wird<br />

immer wieder der Ruf nach strenger Leistungsbewertung laut. Aber wozu soll sie gut<br />

sein Tatsächlich hilft sie weder guten noch schlechten Schülern. Gute Schüler werden<br />

alleine dadurch keinen Deut besser. Nicht selten konzentrieren sie sich nur umso mehr<br />

<strong>auf</strong> ihre Noten als <strong>auf</strong> ein wirkliches Verständnis der Unterrichtsinhalte. Sie werden besondere<br />

Anstrengungen sogar eher meiden, weil sie das für <strong>die</strong> Note nicht nötig haben.<br />

Die Forderung, schlechten Schülern immer wieder zu sagen, dass sie schwach sind und<br />

daher kaum etwas Vernünftiges aus ihnen werden kann, ist nichts anderes als eine unbedachte<br />

Grausamkeit.<br />

Die Einstufung einer ganzen Bevölkerung in einer Rangliste mit dem Musterschüler <strong>auf</strong><br />

der obersten Stufe und dem Versager <strong>auf</strong> der untersten soll dazu <strong>die</strong>nen, den jungen<br />

Menschen <strong>die</strong> ihrer Leistungsfähigkeit entsprechenden Lebenschancen zuzuweisen. A-<br />

ber offensichtlich ist das ein höchst fragwürdiges und <strong>die</strong> Schule unnötig belastendes<br />

Unterfangen. Der Soziologe Helmut Schelsky hat bereits in den 50iger Jahren gefordert,<br />

<strong>die</strong> Schule von <strong>die</strong>ser Aufgabe zu befreien. 22 Nach wie vor gilt aber gerade <strong>die</strong> Bewertung<br />

und Beurteilung der jungen Menschen als zentrale Aufgabe der Schule. Die Zeugnisse<br />

sind das wichtigste, was wir von der Schule mitnehmen. Kaum jemand denkt daran,<br />

was in den Kindern und Jugendlichen vor sich geht, <strong>die</strong> nach Kriterien beurteilt werden,<br />

<strong>die</strong> ihnen nicht gerecht werden. Weil wir weder an uns noch an unsere Kinder glauben,<br />

überlassen wir es dem Staat, ja fordern es geradezu, dass er alle bewertet und ver-<br />

22<br />

Helmut Schelsky: Soziologische Bemerkungen zur Rolle der Schule in unserer Gesellschaftsverfassung:<br />

Eine Denkschrift. In: ders: Schule und Erziehung in der industriellen Gesellschaft. Würzburg:<br />

Werkbund 1957, 9-50, hier S. 21.<br />

16


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

sucht, jedem <strong>die</strong> Chancen zuzuweisen, <strong>die</strong> seinen Fähigkeiten entsprechen und so in <strong>die</strong><br />

Sorge für das zukünftige Wohl unserer Kinder übernimmt.<br />

Dessen ungeachtet lässt sich aber auch, und zwar weltweit, ein Trend hin zu mehr<br />

Selbstverantwortung beobachten. So mehrt sich <strong>die</strong> Zahl der Bürger, <strong>die</strong> ihre Kinder in<br />

alternative Schulen schicken, <strong>die</strong> eine sinnvollere Organisation des Unterrichts fordern,<br />

für mehr Rechte der Schulen, Schüler und der Eltern eintreten. Die Schweden haben<br />

sogar erreicht, dass <strong>die</strong> Schulbürokratie abgeschafft und <strong>die</strong> Gestaltung der Schule weitgehend<br />

in <strong>die</strong> Hände der Lehrer, Schüler und Eltern gelegt wurde. 23 Man erkennt, dass<br />

<strong>die</strong> verantwortlichen Politiker gar nicht all das Wissen besitzen können, das erforderlich<br />

wäre, um <strong>die</strong> Schule von oben her zu reformieren. Denn <strong>die</strong> Beamten können nicht über<br />

<strong>die</strong> Kenntnis all der besonderen Tatsachen verfügen, <strong>die</strong> für bestimmte Schulen und deren<br />

Schüler zu gewissen Zeitpunkten von Bedeutung sind. Staatliche Instanzen können<br />

daher <strong>die</strong> Verschiedenheit der Bedingungen nicht beachten. Sie wollen das auch gar<br />

nicht, weil es ihren Prinzipien der Einheitlichkeit und mechanischen Durchführbarkeit<br />

widerspricht.<br />

Der Staat kann jedoch einen Rahmen bereitstellen, in dem <strong>die</strong> Schulen zusammen mit<br />

Schülern und Eltern jene Bedingungen erzeugen und ständig neu erschaffen müssen,<br />

unter denen <strong>die</strong> jungen Menschen ihre individuellen Fähigkeiten am besten entfalten<br />

können. Aber nur wer an sich glaubt, wird bereit sein, auch an <strong>die</strong> Schüler, Lehrer und<br />

Eltern zu glauben und ihrem Engagement, ihrem Streben nach Wissen und Verbesserung<br />

ihres Handelns vertrauen können.<br />

Da also weder der Staat noch irgend eine andere Organisation über das erforderliche<br />

Wissen verfügen kann, das zur Lenkung des Werdens der jungen Generation erforderlich<br />

wäre, wird eine zentrale Steuerung der Schulen immer zu Durchschnittsschulen führen,<br />

deren Leistung weit unter denen guter Schulen liegt. Aber auch wenn wir wissen, warum<br />

<strong>die</strong> meisten unserer Schulen bloß Durchschnitt sind, bleibt <strong>die</strong> Frage unbeantwortet, warum<br />

<strong>die</strong> Leistungen <strong>die</strong>ser Schulen so gering sind.<br />

23<br />

Vgl. den Artikel von Reinhard Kahl: Die Bürokratie geschlachtet. In: Die Zeit, vom 09.01.2002<br />

(URL: www.zeit.de/2001/50/Hochschule/2001/50-pisa-schweden.html)<br />

17


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Die übliche Auffassung von Erziehung schwächt <strong>die</strong> Kinder und Jugendlichen<br />

Erziehung wird in aller Regel verstanden als <strong>die</strong> Formung der Persönlichkeit junger<br />

Menschen durch ihre Eltern und Lehrer. Lernen ist dann der Prozess, durch den <strong>die</strong> lehrende<br />

Darbietung in das Wissen des Schülers übergeht. Fortgesetzte Anforderungen an<br />

Disziplin, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit sollen sich irgendwie und irgendwann<br />

in moralischem Verhalten niederschlagen. Solche Auffassungen drücken <strong>die</strong><br />

Überzeugung aus, der Mensch sei weitgehend das Produkt erzieherischer Einwirkung.<br />

Wenn Kinder zappelig oder aggressiv sind, sind <strong>die</strong> Eltern schuld, wer sonst. Für all <strong>die</strong><br />

unerreichten Ziele lassen sich viele Gründe finden: mangelnde Erziehung zu Leistungsbereitschaft,<br />

Verwöhnung, zuviel Fernsehen, ungenügender Druck und letztlich natürlich<br />

ein ungünstiges Erbgut. Das meiste, das mit Kindern und Jugendlichen schief läuft, lässt<br />

sich <strong>auf</strong> falsche Erziehung zurückführen. Nicht wenige Psychologen scheinen zu glauben,<br />

man wüsste zumindest das Wesentliche über <strong>die</strong> Natur und <strong>die</strong> Entwicklung des<br />

Kindes und seines Denkens. Die Erziehungswissenschaft meint uns sagen zu können,<br />

was Eltern und Lehrer tun müssen, um in den von Natur und Vererbung gesetzten Grenzen<br />

anständige, kluge Kinder und Jugendliche hervorzubringen. Das ist <strong>die</strong> wissenschaftliche<br />

Standardmeinung. Aber <strong>die</strong>se Auffassung ist unhaltbar und stellt eine durch<br />

nichts zu rechtfertigende Überschätzung unseres Wissens und unserer Möglichkeiten<br />

dar. Denn Erziehung kann weder <strong>die</strong> Persönlichkeit noch <strong>die</strong> Kenntnisse und <strong>die</strong> Fertigkeiten<br />

eines Menschen nach unseren Wünschen konstruieren.<br />

Diese Überschätzung der Erziehung bewirkt eher, dass Eltern an sich zweifeln und bereit<br />

sind, <strong>die</strong> Erziehung ihrer Kinder in <strong>die</strong> Hände eines anscheinend allwissenden Staates zu<br />

geben. Würden <strong>die</strong> Eltern ihrer eigenen Erfahrung und ihren Kindern trauen, kämen sie<br />

der Wahrheit vermutlich näher. Denn immer mehr Untersuchungen belegen <strong>die</strong> Annahme,<br />

dass Eltern und Schule im Gegensatz zur wissenschaftlichen Standardmeinung nur<br />

wenig Einfluss <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Entwicklung der Persönlichkeit der Kinder haben. 24 Immer deutlicher<br />

wird, dass <strong>die</strong> jungen Menschen ihren Weg letztlich selber finden. Sie beeinflussen<br />

und provozieren durch ihr Wesen ihre Eltern und Lehrer und somit letztlich ihre Erziehung.<br />

Jedes sucht eine ihm entsprechende Umwelt oder gestaltet sie nach seinen Neigungen.<br />

Ein innerer Kompass – sind es <strong>die</strong> Gene – scheint sie zu leiten. Manche Kinder<br />

treibt es zur Beschäftigung mit technischen Dingen, andere fühlen sich am wohlsten bei<br />

24<br />

Einen Überblick über <strong>die</strong> Literatur findet man bei David C. Rowe: Genetik und Sozialisation. Die<br />

Grenzen der Erziehung. Weinheim: Psychologie Verlags Union 1997; Judith R.Harris: The Nurture<br />

Assumption. Why Children Turn Out the Way they do. New York: Free Press 1998<br />

18


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

sportlicher Betätigung oder gehen in ihrer Clique <strong>auf</strong>, und <strong>die</strong> nächsten drängt es, möglichst<br />

viel durch Lesen über <strong>die</strong> Welt zu erfahren. Psychologie und Erziehungswissenschaft<br />

lernen erst allmählich, was <strong>auf</strong>merksame Eltern immer wussten: dass Kinder von<br />

Anfang an eigene Persönlichkeiten mit eigenem Willen sind und man aus ihnen nicht<br />

machen kann, was man will.<br />

Das Problem ist jedoch, dass <strong>die</strong> Erziehungsbehörden und Lehrplankommissionen mehr<br />

an ihre großen Pläne, ihre erzieherischen Wunschbilder denken, an <strong>die</strong> künftigen Aufgaben<br />

der Industrie, <strong>die</strong> sie gar nicht kennen, an <strong>die</strong> Anforderungen, <strong>die</strong> an zukünftige<br />

Bürger zu stellen sind und was nicht alles. Dass <strong>die</strong> Schüler aber Menschen mit eigenen<br />

Rechten und eigener Persönlichkeit sind und nicht bloß Rädchen für Wirtschaft und Gesellschaft,<br />

wird dabei leicht übersehen.<br />

„Ehrfurcht vor der menschlichen Persönlichkeit“ – meinte Bertrand Russell – „ist der<br />

Weisheit Anfang in jeder sozialen Frage, vor allem in der Erziehung.“ 25 Aber so wie <strong>die</strong><br />

staatliche Standardschule organisiert ist, bietet sie kaum Freiräume, <strong>die</strong> persönlichen<br />

Interessen der Schüler zu berücksichtigen, geschweige denn sie in den Mittelpunkt zu<br />

stellen. Natürlich sollen <strong>die</strong> Lehrer für den Lehrstoff Interesse wecken. Aber wie soll<br />

man 30 Schüler in einer Stunde gleichzeitig für <strong>die</strong> punischen Kriege interessieren, in<br />

der nächsten für <strong>die</strong> Braunsche Röhre, hinterher für Kreisfunktionen und schließlich für<br />

Rainer Maria Rilkes Stundenbuch Der eine interessiert sich vielleicht für mathematische,<br />

der andere eher für historische Fragen, aber alle für alles Wenn in der zur Verfügung<br />

stehenden Stunde das herauskommen soll, was <strong>die</strong> Lehrpläne fordern, bleibt dem<br />

Lehrer nicht viel anderes übrig als den Gang der Dinge möglichst genau zu bestimmen.<br />

Für eigene Gedanken und Wünsche der Schüler bleibt da kaum Zeit. Die Erwartung bestimmter<br />

Lösungen – <strong>die</strong> Schüler erraten sie in der Regel – und das Denken in vorgegebenen<br />

Bahnen erstickt <strong>die</strong> Liebe zu geistigen Entdeckungen. Freies Erkunden des Gegenstandes<br />

und allmähliches Reifen und Ausarbeiten von Ideen, und damit auch der Persönlichkeit,<br />

lässt <strong>die</strong>se Art von Schule kaum zu.<br />

Die natürliche Unternehmungslust, <strong>die</strong> sich bei Kindern durch alle <strong>die</strong> Gegenstände anregen<br />

lässt, <strong>die</strong> ihrer eigenen Entdeckung Möglichkeiten bieten, wird durch <strong>die</strong> schulische<br />

Organisation allmählich abgestumpft. Deshalb ist sie im späteren Leben selten, wo<br />

sie dann dringend gebraucht würde. Der Zwang, im Unterricht immer nur das zu tun,<br />

was Lehr- und Stundenplan und ausführende Lehrer gerade zulassen, engt <strong>die</strong> Gedanken<br />

25<br />

Bertrand Russel: Erziehung ohne Dogma. Pädagogische Schriften. München: Nymphenburger 1974,<br />

S. 240.<br />

19


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

unnötig ein. Statt mit großen Hoffnungen und Visionen sind <strong>die</strong> Schüler mit kleinlichen<br />

Ängsten um Noten beschäftigt oder mit kalkulierenden Überlegungen, welche Anstrengung<br />

lohnt. Dagegen würde <strong>die</strong> freie Beschäftigung mit Dingen des eigenen Interesses<br />

und freies Denken einen Sinn für Wirklichkeit erzeugen, weil <strong>die</strong>se Gegenstände Ausschnitte<br />

<strong>die</strong>ser Wirklichkeit sind und <strong>die</strong> Richtigkeit der gewonnenen Vorstellungen<br />

auch nur an der Realität selbst zu prüfen ist. Im üblichen Unterricht dagegen ist das<br />

Lehrbuchwissen der Gegenstand und geprüft wird, ob <strong>die</strong> Kenntnisse des Schülers mit<br />

Lehrsätzen übereinstimmen. Wenn sie dann später im Beruf mit wirklichen Dingen zu<br />

tun bekommen, reagieren sie nicht selten hilflos.<br />

Die derzeitige Ausrichtung der Schule <strong>auf</strong> eine Zukunft, <strong>die</strong> eigentlich keiner kennt, und<br />

der dadurch bedingte Vorbereitungscharakter des Unterrichts trennen <strong>die</strong> Kinder und<br />

Jugendlichen von den Dingen und Fragen, <strong>die</strong> ihnen wichtig sind. Sie lernen vieles, das<br />

ihnen später einmal helfen soll, irgendwelche Tätigkeiten auszuüben oder Probleme zu<br />

lösen. Aber das meiste ist aus ihrer Sicht nutzloses und langweiliges Zeug. 26 Die Lehrplankommissionen<br />

überschätzen sich, denn niemand kann <strong>die</strong> in der Zukunft <strong>auf</strong>tretenden<br />

Probleme heute kennen. Deshalb kann auch niemand wirklich wissen, welche besonderen<br />

Kenntnisse in Zukunft gebraucht werden. Es ist viel klüger, Kinder und Jugendliche<br />

an Dingen arbeiten zu lassen, <strong>die</strong> sie interessieren. Denn dadurch entwickeln<br />

sie eine Liebe zur Erkenntnis, so dass sie immer <strong>auf</strong>s Neue das Richtige herausfinden<br />

und Schwierigkeiten bewältigen wollen. Kann es eine bessere Vorbereitung <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Zukunft<br />

geben 27<br />

Die Einheitlichkeit, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schule mit all ihren kleinen Vorübungen dem Geist der jungen<br />

Menschen <strong>auf</strong>zudrängen sucht, vernichtet dagegen jeden weitgreifenden Ehrgeiz.<br />

Der Mechanismus der Standardschule, der alle über den gleichen Kamm schert, wird der<br />

Vielfalt der Begabungen nicht gerecht. Eine Gesellschaft lebt aber gerade von der reichen<br />

Verschiedenartigkeit menschlicher Begabungen. Die Gleichförmigkeit der schulischen<br />

Bildung behindert <strong>die</strong> Ausbildung und möglichst optimale Nutzung ihrer verborgenen<br />

Kräfte. Diese sinnlose Vergeudung wird noch gesteigert, weil <strong>die</strong> gleich ausgebildeten<br />

jungen Menschen, <strong>die</strong> ihre Interessen und Begabungen nicht kennen, sich später<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> gleichen Berufe stürzen. 28 Würde <strong>die</strong> Schule <strong>die</strong> Entfaltung der Einzelnen mit<br />

26<br />

27<br />

28<br />

Vgl. <strong>die</strong> Befragung von Schülern der 9. Klasse an hessischen Gesamtschulen (Eckerle/Kraak a.a.O.<br />

1993, S. 139)<br />

Vgl. auch John Dewey/ Oscar Handlin / Werner Correll: Reform des Erziehungsdenkens. Eine Einführung<br />

in John Deweys Gedanken zur Schulreform. Weinheim: Beltz 1963, S.61<br />

Vgl. dazu Untersuchungsergebnisse von Schülern im Berufsvorbereitungsjahr (Spies, W. E./ Elbers,<br />

D./ Habel, W./ Heitzer, M./ Hoffmann, J./ Merkel, K.: Das Berufsvorbereitungsjahr in NW. Dortmund<br />

1982, S. 91 ff.<br />

20


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

ihren manchmal großen Bestrebungen unterstützen, hätten <strong>die</strong>se eine großzügigere Vorstellung<br />

von sich selbst. Sie würden mit ihrem speziellen Wissen eine Fülle von Nischen<br />

entdecken und selbstbewusst zu nutzen verstehen. Die Gesellschaft würde durch <strong>die</strong><br />

Vielfalt der Kenntnisse und Leistungen bereichert und könnte so ihrerseits dem jugendlichen<br />

Forscherdrang mehr Anregungen und Gelegenheiten bieten.<br />

Solange wir jedoch der Auffassung sind, Geist und Persönlichkeit junger Menschen würden<br />

von außen und durch unsere lehrenden oder erzieherischen Bemühungen geformt,<br />

fehlt uns jede angemessene Vorstellung von dem, was in Kindern und Jugendlichen<br />

steckt. Wir unterdrücken unwissentlich ihre Kräfte, indem wir <strong>die</strong> von fernen Ministerien<br />

vorgeschriebenen Lehrinhalte zwanghaft in <strong>die</strong> jungen Menschen hineinzupressen<br />

suchen. Dabei ist jedes Kind, jeder Jugendliche ein Forscher, ein Erfinder und Entdecker.<br />

Sie brauchen lediglich eine Umgebung, <strong>die</strong> entsprechende Anregungen bietet und<br />

ihnen hilft, <strong>die</strong> verschiedensten Bereiche des Lebens zu erkunden und ihre Interessen zu<br />

entwickeln. Die Standardschule bietet <strong>die</strong>se Anregungen nicht, sondern bremst das vorhandene<br />

Streben. Sie will den Willen der Schüler nicht brechen, aber sie stärkt ihn auch<br />

nicht. Vielmehr ermüdet sie sie, indem sie <strong>die</strong> Schultage mit einer Vielfalt kleinlicher<br />

uninteressanter Aufgaben füllt. Die Schule kümmert sich zwar um <strong>die</strong> Kinder und Jugendlichen,<br />

aber doch nicht so, dass sie sie selbst sein dürften. Die Schule zerstört <strong>die</strong><br />

Interessen ihrer Schüler nicht, aber durch den Zwang der Stundenpläne, <strong>die</strong> vorgegebenen<br />

Lerninhalte, <strong>die</strong> fortwährend erforderlichen Bewertungen und Prüfungen verfügt sie<br />

ständig über <strong>die</strong> jungen Menschen. Es gibt eine Menge verwickelter Vorschriften für<br />

alles, <strong>die</strong> schwer zu durchbrechen sind. Wenn dann im Rahmen eines besonderen Projektes<br />

<strong>die</strong> Lust zu selbständigem Handeln und Denken genutzt werden soll, finden wir<br />

<strong>die</strong> Fähigkeit eigene Aufgaben zu suchen und den eigenen Interessen nachzugehen, verkümmert.<br />

So stumpft <strong>die</strong> Schule – mehr oder weniger bewusst – allmählich den Willen<br />

der jungen Menschen ab, ermüdet, beugt und lenkt ihn. Das Ganze nennen wir Erziehung,<br />

Anpassung an <strong>die</strong> Realität des Lebens. 29<br />

Die vorherrschende Didaktik behindert das Denken<br />

Die vorherrschende Didaktik ist das Kind unserer Auffassung von Erziehung. Danach<br />

kommt das Wissen von außen in noch mehr oder weniger leeren und unwissenden Köp-<br />

29<br />

Dieser schulische „Despotismus” gleicht dem, den Alexis de Tocqueville für <strong>die</strong> Zukunft der demokratischen<br />

Nationen fürchtete (vgl. ders.: Über <strong>die</strong> Demokratie in Amerika. München: Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag, Buch II, IV. Teil, 6. Kap., S. 812 ff.)<br />

21


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

fe. Damit das effektiv geschehen kann, beginnt der Unterricht mit bekannten, einfachen<br />

und konkreten Elementen. Dazu kommen dann <strong>die</strong> Regeln, wie <strong>die</strong>se Elemente zu verknüpfen<br />

sind. Durch immer neue Elemente und deren Verknüpfung versucht der Lehrer<br />

das Wissen der Schüler immer komplexer zu gestalten.<br />

Vielleicht erinnern Sie sich noch an <strong>die</strong> Anfänge im Fremdsprachenunterricht. Am Anfang<br />

der Stunde stehen meist kleine Geschichten oder Dialoge. Die sind recht einfach zu<br />

verstehen. Aber dann kommt nach jeder Lektion <strong>die</strong> Grammatik mit all ihren Ausnahmen,<br />

Sonderformen. In jeder Geschichte gibt es neue Vokabeln. Man muss sich merken,<br />

welche Substantive männlich, weiblich oder auch sächlich sind. Dann sind da <strong>die</strong> verschiedenen<br />

Formen der Verben, Stellung und Funktion bestimmter Wortarten. Es nimmt<br />

kein Ende! Alle <strong>die</strong>se Dinge müssen nun beim Sprechen und Schreiben gegenwärtig<br />

sein, weil man sonst unweigerlich Fehler macht. Der Sprachunterricht erwartet also, dass<br />

<strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong>se anscheinend einfachen Elemente der Sprache behalten und aktiv von<br />

Anfang an korrekt anwenden. Obwohl <strong>die</strong> Lernerfolge gering sind, wird im Allgemeinen<br />

immer noch so vorgegangen. Selbst nach jahrelangem Unterricht ist eine nicht so geringe<br />

Zahl von Schülern kaum in der Lage, einen anspruchsvollen Text zu verstehen.<br />

Offenbar erzielt <strong>die</strong> Methode nicht <strong>die</strong> erwünschten Wirkungen. Die Annahme, es gehe<br />

beim Wissenserwerb vor allem um das „Lernen“ von Elementen (Vokabeln) und deren<br />

Verknüpfungsregeln (Grammatik) bewährt sich offenbar nicht. Reformpädagogen fordern<br />

daher seit langem, das Auswendiglernen abzuschaffen und stattdessen den Verstand<br />

der Schüler herauszufordern.<br />

Das ist immer noch nicht üblich. Im Sprachunterricht könnte man beispielsweise schon<br />

von Anfang an den Austausch mit Schülern ausländischer Schulen über das Internet anregen.<br />

Die Beschäftigung mit der Sprache wird dadurch umfassender, weil <strong>die</strong> Schüler<br />

ganz unterschiedliche Dinge machen können. Sie beschäftigen sich mit Gegenständen,<br />

<strong>die</strong> sie interessieren. Sie entschlüsseln Texte in fremden Sprachen, suchen Informationen<br />

im Netz, lernen mit unbekannten Menschen umzugehen. Einige Schüler werden vielleicht<br />

<strong>die</strong> Texte ihrer Lieblingssongs erkunden oder sich Filme in fremden Sprachen<br />

ansehen und davon berichten. Die Vielfalt der Inhalte und des Sprachmaterials, mit dem<br />

sich der einzelne dadurch auseinandersetzt, wächst mit der Freiheit zur Auswahl der<br />

Inhalte und der Freiheit, sie eigenständig zu bearbeiten. Wenn Fehler nicht ständig korrigiert<br />

werden, können <strong>die</strong> Schüler unbekümmert dr<strong>auf</strong> los reden und so wirklich Fortschritte<br />

machen. Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei weniger <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Grammatik,<br />

sondern mehr <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Sachen, <strong>die</strong> man liest oder hört, <strong>die</strong> man verstehen, über <strong>die</strong> man<br />

22


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

mehr erfahren möchte. Die Grammatik als integraler Bestandteil der Sprache wird beim<br />

Hören, Sprechen, Lesen automatisch verwendet. Natürlich unterl<strong>auf</strong>en dabei vor allem<br />

anfangs eine Menge Fehler. Aber mit der Zeit entwickelt sich ein Sprachgefühl, d.h. ein<br />

nicht bewusstes Regelsystem, das <strong>die</strong> intuitive Kontrolle des Sprachflusses übernimmt.<br />

Im üblichen Fremdsprachenunterricht werden Sprachen nicht hinreichend gelernt, weil<br />

<strong>die</strong> grammatischen Verknüpfungen einer Sprache gerade nicht das Einfache oder Konkrete<br />

sind. Sie werden vielmehr durch <strong>die</strong> Analyse der Sprache gewonnen, einer Sprache<br />

wohlgemerkt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schüler noch kaum kennen. Grammatische Funktionen liegen ja<br />

nicht offen zutage, sondern sie müssen erst aus dem Sprachgebrauch erschlossen werden.<br />

Eine Sprache über <strong>die</strong> Grammatik zu lernen, bedeutet daher, mit dem Abstrakten,<br />

Komplizierten zu beginnen. Schüler, <strong>die</strong> nicht an Sprachanalyse interessiert sind, können<br />

damit nur wenig anfangen. Für sie handelt es sich um Regeln, um eine Menge sinnloser<br />

Fakten, <strong>die</strong> sie auswendig lernen müssen. Nach einiger Zeit können sie <strong>die</strong>ses Wissen<br />

dann nur noch verstümmelt wiedergeben und gewinnen den Eindruck, dass <strong>die</strong> ganze<br />

Arbeit sie nicht weiter bringt.<br />

Damit Lernen erfolgreich sein kann, müssen <strong>die</strong> Schüler von für sie sinnvollen, also<br />

komplexen Aufgaben oder Gegenständen ausgehen können. Sie sind das Natürliche, das<br />

Naheliegende, das Einfache. Durch <strong>die</strong> Beschäftigung mit interessanten, komplexen<br />

Sachverhalten, <strong>die</strong> sie am besten selber finden, erwerben <strong>die</strong> Schüler Kenntnisse über <strong>die</strong><br />

Elemente, aus denen Texte darüber zusammengesetzt sind. Denn <strong>die</strong> Elemente und Regeln<br />

sind das Künstliche, Abstrahierte, der Anschauung fern liegende und Komplizierte.<br />

Sie werden verständlich, wenn sie als Teile eines Ganzen erkannt, wenn ihre Funktion in<br />

<strong>die</strong>sem Ganzen durch Untersuchung erschlossen wird.<br />

Nehmen wir als Beispiel den Bereich der Optik. Im normalen Physikunterricht beginnt<br />

man zunächst mit einfachen optischen Erscheinungen beispielsweise anhand eines Spiegels.<br />

Nach kurzer Beschreibung solcher Phänomene stellt der Lehrer Fragen, anhand<br />

deren er <strong>die</strong> Gesetze der Reflexion an ebenen und sphärischen Flächen, Reflexionswinkel,<br />

Brechungsgesetz, Linsen, Linsenformel usw. eingeführt. Alles das sind Ergebnisse,<br />

Fakten. Dahinter aber steht eine Fülle von Überlegungen, <strong>die</strong> von den konkreten Dingen<br />

abstrahieren und deren Formulierung <strong>die</strong> frühen Forscher oft Jahre gekostet hat. Eine<br />

Menge von Hypothesen mussten verworfen werden, bevor man zu <strong>die</strong>sen Gesetzen kam.<br />

Diesen Wissenskanon zerlegt man nun in kleine Häppchen und bietet sie im Unterricht<br />

dar. Die Schüler lernen nur <strong>die</strong> Antworten, ohne eigene Fragen gestellt zu haben. Ihre<br />

Aufgabe sehen sie darin, sich <strong>die</strong>se Antworten einzuprägen und Prüfungen damit zu<br />

23


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

bestreiten. Das Lernen wird so zu einer bewussten Anstrengung. Doch das Ergebnis<br />

kann kaum mehr sein als eine oberflächliche Kenntnis von Lehrmeinungen. Das eigene<br />

Nachdenken, Suchen und Forschen wird unterdrückt. Die Schüler glauben nach einer<br />

Weile fast nicht mehr, dass sie in <strong>die</strong>sen Bereichen zu eigenen Ideen in der Lage wären.<br />

Bilden sie sich aber keine eigenen Auffassungen – weil weder ihre Lehrer noch sie selbst<br />

genügend Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben – kann das Ergebnis nur etwas Zweitrangiges<br />

sein. 30<br />

Unter günstigeren Umständen würden interessierte Mädchen und Jungen dazu angeregt,<br />

selber herauszufinden, was mit dem Licht passiert, wenn es beispielsweise durch einen<br />

Spalt in der Tür oder der Jalousie ins Zimmer fällt. Sie würden den Spalt enger oder weiter<br />

machen, vielleicht eine künstliche Lichtquelle verwenden, um <strong>die</strong> Wirkungen verschiedener<br />

Anordnungen auszuprobieren. Sie würden sich über ihre „Theorien“ streiten<br />

und herausfinden wollen, ob und wie ihre Richtigkeit zu testen wäre. Natürlich würden<br />

sie auch <strong>die</strong> Meinung anderer einholen und Bücher konsultieren. Aber all das <strong>die</strong>nte nur<br />

dazu, um immer tiefer in das Feld optischer Erscheinungen einzudringen und sich ein<br />

eigenes Bild zu machen, es immer wieder zu prüfen und zu vervollständigen. Der Gegenstand<br />

würde also im Mittelpunkt stehen. Lernen wäre einfach eine Folge, eine natürliche<br />

Belohnung der Auseinandersetzung mit solchen Phänomenen.<br />

Ein entsprechendes Vorgehen ist in der Schule ohne weiteres möglich. Außerdem ist der<br />

Lernerfolg solcher an das „natürliche“ Lernen angelehnter Verfahren deutlich größer. So<br />

hat Dietmar Herdt einen entsprechenden Lehrgang zur Einführung in <strong>die</strong> elementare<br />

Optik entwickelt und überprüft. Die Schüler haben mit <strong>die</strong>sem Lehrgang insgesamt beinahe<br />

doppelt so viele Fragen richtig beantworten können wie <strong>die</strong> Schüler im normalen<br />

Unterricht. Die Leistungen der schwachen Schüler verbesserten sich so sehr, dass sie<br />

sogar <strong>die</strong> besten Schüler des Normalunterrichts übertrafen. 31 Offensichtlich sind solche<br />

Verfahren äußerst wirksam. Warum werden sie aber dann in Durchschnittsschulen so gut<br />

wie nie angewandt<br />

Zunächst fällt der Verdacht <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Lehrer. Sie seien ungenügend ausgebildet, <strong>die</strong> Prüfungen<br />

zu lasch, es werde zu wenig Psychologie und Pädagogik unterrichtet. Außerdem<br />

sei <strong>die</strong> Ausbildung zu praxisfern, zu theoretisch, zu wissenschaftlich abgehoben. Die<br />

30<br />

31<br />

Siehe John Dewey: On Education. Selected Writings. Edited and with an Introduction by Reginald D.<br />

Archambault. New York: Random House 1964, 392 f.; Helmut Lehner: Erkenntnis durch Irrtum als<br />

Lehrmethode. Bochum: Kamp 1979, 88 ff.<br />

Vgl. Dietmar Herdt: Einführung in <strong>die</strong> elementare Optik. Vergleichende Untersuchung eines neuen<br />

Lehrgangs. Essen: Westarp-Wissenschaften 1990<br />

24


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Lehrer würden als kleine Wissenschaftler ausgebildet, statt als Lehrer, <strong>die</strong> doch nur<br />

Grundlagen zu unterrichten haben. Solche oberflächlichen und teils widersprüchlichen<br />

Analysen verfehlen <strong>die</strong> wunden Punkte nahezu vollständig. Es ist zwar richtig, dass wir<br />

gute Lehrer brauchen, aber gute Lehrer und entsprechende Schulen bedingen sich gegenseitig.<br />

Denn bleiben <strong>die</strong> Schulen, wie sie sind, signalisieren <strong>die</strong> Zwänge der Lehrpläne,<br />

<strong>die</strong> Vorgaben zum Stundenplan, <strong>die</strong> staatliche Zensur der Lehrbücher und eine Vielzahl<br />

anderer Regelungen, dass besondere Bemühungen gar nicht erwünscht sind. Womöglich<br />

würden sie – z.B. bei Lehrproben – sogar das Missfallen der Aufsichtsbehörden hervorrufen.<br />

Die übliche Erziehungs<strong>auf</strong>fassung und <strong>die</strong> vorherrschende Didaktik sind gewissermaßen<br />

in <strong>die</strong> staatliche Schule eingebaut. Sie stecken in den Lehrplänen, in den detaillierten<br />

Inhalts- und Stundenvorgaben, in einem Vorschriftenkatalog, der zu wenig<br />

Raum für <strong>die</strong> Entwicklung von Alternativen lässt. Auch wenn <strong>die</strong> Lehrer noch besser<br />

und länger ausgebildet würden, würden sie sich in der Praxis mehr oder weniger den<br />

herrschenden Bedingungen anpassen. Das Problem ist, dass es offenbar unendlich<br />

schwer ist, <strong>die</strong> Alte Schule loszulassen.<br />

3. Die Alte Schule <strong>auf</strong>geben – aber wie<br />

Wenn man Schule und Erziehung grundlegend verbessern möchte, braucht man Kriterien<br />

dafür, was in der Erziehung richtig und falsch oder gut und schlecht ist. Ein solches<br />

Kriterium ist aus verschiedenen Gründen allerdings schwierig zu gewinnen.<br />

„Richtig“ und „Falsch“ in der Erziehung unterscheiden<br />

Zunächst hat <strong>die</strong> Wissenschaft mit <strong>die</strong>ser Aufgabe ihre eigenen Probleme. Es wird zwar<br />

versucht <strong>die</strong>se Aufgabe zu lösen, aber erstens gibt es widersprüchliche Ansichten über<br />

das, was richtig und falsch in der Erziehung ist und zweitens gilt, dass sich wissenschaftlich<br />

prinzipiell keine Aussagen darüber machen lassen, was gut oder schlecht ist und wie<br />

man seine Kinder erziehen soll. Die Wissenschaft kann nur untersuchen, was funktioniert<br />

und was nicht, welche Folgen und Nebenwirkungen eine bestimmte Erziehung hat,<br />

aber <strong>die</strong> Entscheidung darüber, was man tun und als gut und erstrebenswert betrachten<br />

soll, muss jeder selber treffen. Die Wissenschaft kann uns nur über mögliche Kriterien<br />

dazu informieren und uns im Rahmen des Wissbaren über <strong>die</strong> jeweils zu erwartenden<br />

Konsequenzen <strong>auf</strong>klären.<br />

25


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Wenn wir wissen möchten, welche Ziele von Schule und Erziehung falsch oder richtig<br />

sind, dann lässt sich zumindest ein großer Teil dessen, was wir als falsch bewerten, relativ<br />

leicht dadurch feststellen, indem wir klären, was wir nicht wollen. Da gibt es beispielsweise<br />

große Überstimmung darüber, dass eine Erziehung falsch ist, <strong>die</strong> nicht zur<br />

Entstehung eines Unrechtsbewusstseins führt oder <strong>die</strong> moralische Verwahrlosung oder<br />

politischen Extremismus u.ä. begünstigt. Unser Urteil lässt sich dadurch begründen, dass<br />

<strong>die</strong>se Dinge in jeder Gesellschaft von Schaden sind. Aber eigentlich beruht unser Urteil<br />

<strong>auf</strong> einem Gefühl oder einem gefühlsmäßigen Maßstab von Richtig und Falsch. So empfinden<br />

es <strong>die</strong> meisten von uns auch als falsch, wenn Menschen zu etwas gezwungen werden,<br />

was sie aus sich selbst heraus nicht wollen oder das ihren inneren Bestrebungen<br />

zuwiderläuft. Ebenso erscheint uns alles das als falsch, durch das Menschen unterdrückt,<br />

verletzt oder grundlegend verunsichert werden. Es wäre durchaus sinnvoll, <strong>die</strong>se Grundsätze<br />

auch <strong>auf</strong> Erziehung und Schule anzuwenden, man tut es nur nicht. Immerhin hat<br />

<strong>die</strong> klassische Reformpädagogik gezeigt, welche positiven Folgen <strong>die</strong> Anwendung solcher<br />

Grundsätze zeitigen kann.<br />

Die große Reformpädagogin MARIA MONTESSORI (1976, .S. 11 ff) hat stets danach gefragt,<br />

wo wir Kinder und Jugendliche bewusst oder unbewusst unterdrücken. 32 „Jeder“,<br />

beobachtet sie, „unterbricht sie ohne jede Rücksichtnahme, ohne jeden Respekt.“(1976,<br />

S. 29). Sie hat versucht, sich in <strong>die</strong> Kinder und ihre Situation einzufühlen. Aus <strong>die</strong>ser<br />

Einfühlung heraus empfindet sie das Stillsitzen in der Schule, das heute freilich nicht<br />

mehr mit den drastischen Mitteln der Vergangenheit eingefordert wird, als „Tortur“ und<br />

als „erbarmungslose Quälerei“ (MONTESSORI 1976, S. 58). Schulen, in denen Kinder und<br />

Jugendliche den ganzen oder halben Tag „sitzen und langweilige Tatsachen und Erklärungen<br />

anhören und auswendig lernen müssen“ bezeichnet sie als „Totenhäuser für den<br />

Geist des Menschen; <strong>die</strong>se Kinder werden tote, verstümmelte Geister haben“ (MONTES-<br />

SORI 1979, S. 64). Oder sie spricht von der Schule als einem „Gefängnis … ohne Anregungen“<br />

(ebenda S. 98). Sie bedauert <strong>die</strong> Jugendlichen: „... in der Schule, zu Hause,<br />

immer geführt, immer komman<strong>die</strong>rt, immer überwacht in ihren erzwungenen Arbeiten“<br />

(ebenda S.112). Die ständige Leistungsbewertung verletze <strong>die</strong> jungen Menschen und<br />

erzeuge Minderwertigkeitskomplexe. Zuerst komme „<strong>die</strong> Beleidigung“ durch Anforderungen,<br />

<strong>die</strong> dem Einzelnen nicht gerecht werden, „und dann <strong>die</strong> Angst. Dies ist <strong>die</strong> Weise<br />

der Unterjochung“ (ebenda S. 115).<br />

32<br />

Sie hat dabei insbesondere auch <strong>die</strong> vielen leichteren „Formen von Unterdrückung, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> dem Kind<br />

lasten“, in den Blick genommen. Montessori 1976, S. 26, es ist jedoch das gesamte Kapitel <strong>die</strong>sem<br />

Thema gewidmet, ab S. 11 ff<br />

26


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Nach MONTESSORIS Auffassung leben Kinder „in einer Welt ihrer eigenen Interessen,<br />

und das Werk, das sie dort verrichten, muß respektiert werden Denn obwohl viele kindliche<br />

Aktivitäten Erwachsenen zwecklos scheinen mögen, benutzt sie <strong>die</strong> Schöpfung zu<br />

ihren eigenen Zielen. Sie baut Geist und Charakter ebenso <strong>auf</strong> wie Knochen und Muskeln.“<br />

(ebenda S. 14). Aus <strong>die</strong>ser Einstellung heraus bittet sie uns, Kinder und Jugendliche<br />

als werdende große Maler, Mathematiker, Schriftsteller usw. zu verstehen. Wenn<br />

wir sie, wie <strong>die</strong> Schule das tut, immerzu nach den Vorgaben irgendeines Plans lenken<br />

und hin- und herschieben, kommen sie mit Sicherheit nie zu den großen von ihnen erwarteten<br />

Ergebnissen. Beim Kind sei <strong>die</strong> Folge, dass es sich selbst verliert, weil seine<br />

Arbeit ja <strong>die</strong> Entfaltung seiner selbst ist. Eine Folgerung, <strong>die</strong> im Übrigen gut mit dem<br />

Ergebnis übereinstimmt, dass Jugendliche, <strong>die</strong> sich in ihrer Selbsteinschätzung unsicher<br />

sind, <strong>die</strong> ihre Interessen nicht gut kennen und ein geringes Selbstwertgefühl <strong>auf</strong>weisen,<br />

auch bei ihrer Berufswahl eine entsprechende Unsicherheit zeigen (PRAGER/WIELAND<br />

2005, S. 7f.).<br />

Diese Erörterung negativer Kriterien kann uns den Weg zu weisen zu den positiven Kriterien,<br />

<strong>die</strong> sich ebenso wie <strong>die</strong> negativen verwenden lassen, um Formen von Erziehung<br />

und Schule zu bewerten. In der Reformpädagogik versuchte man immer vom Kind auszugehen<br />

. Wie beim Erwachsenen geht es auch beim Kind um <strong>die</strong> Befriedigung seiner<br />

Bedürfnisse, <strong>die</strong> Vermeidung von Leiden, <strong>die</strong> Harmonisierung seiner Bestrebungen und<br />

Handlungen oder <strong>die</strong> Zunahme an Wissen und Verständnis. Wenn wir von <strong>die</strong>sen Kriterien<br />

ausgehen, können wir auch <strong>die</strong> Vorstellungen MONTESSORIS besser nachvollziehen.<br />

Nun ist klar, dass <strong>die</strong> Wissenschaft solche oberste Kriterien für Erziehung und Schule<br />

keinesfalls verbindlich festlegen kann. Es geht hier aber ja nur darum, <strong>die</strong> Kriterien zu<br />

finden, <strong>die</strong> mit unseren höchsten Bestrebungen übereinstimmen und von daher dann untersuchen<br />

zu können, was geschehen würde, wenn wir <strong>die</strong>se Kriterien tatsächlich unserem<br />

Handeln in Erziehung und Schule anwenden würden. Das ist ein wissenschaftlich<br />

durchführbares Programm, ein Programm, das uns Hilfen für <strong>die</strong> Verbesserung von<br />

Schule geben kann.<br />

Denn <strong>die</strong> Erziehungswissenschaft würde uns dann darüber zu informieren suchen, welche<br />

Konsequenzen zu erwarten sind, wenn wir von anderen Bedingungen ausgehen als<br />

denen, <strong>die</strong> wir zur Genüge kennen. Wenn Wissenschaft sinnvoll beraten soll, werden<br />

ihre Beiträge dann den größten Wert haben, wenn sie das untersucht, was nicht ist oder<br />

zumindest nicht üblich ist. D.h. indem sie hypothetische Modelle von Erziehungsbedingungen<br />

konstruiert, <strong>die</strong> man schaffen könnte, wenn einige änderbare, also in unserer<br />

27


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Macht liegende Umstände anders gestaltet würden. Eine der wichtigsten Aufgaben der<br />

Erziehungswissenschaft ist es mithin, über <strong>die</strong> Wirkungen <strong>auf</strong>zuklären, <strong>die</strong> solche Änderungen<br />

nach sich ziehen würden (vgl. v. HAYEK 1973, Vol. I, S. 16 f.).<br />

Die alte Schule mit all ihren Problemen wird weiter bestehen, wenn wir nicht nach<br />

neuen Wegen suchen. Diese neuen Wege können wir aber nicht finden, solange wir keine<br />

Kriterien dafür haben, was an der Schule gut und was an ihr schlecht ist.<br />

Veränderungspotenziale erkennen<br />

In heutigen Schulen wird sehr viel über Disziplinlosigkeit und Lernunlust geklagt. Diese<br />

Probleme sind alt und hängen mit der Organisation und den Zielen der Schule zusammen,<br />

<strong>die</strong> eben in vielen Dingen den oben genannten Kriterien widersprechen.<br />

Disziplinlosigkeit entsteht nach MONTESSORI, wenn <strong>die</strong> spontanen Kräfte des Wachstums<br />

im Kind und im Jugendlichen gehemmt werden. Wenn <strong>die</strong>se „Kräfte der psychischen<br />

Persönlichkeit“ unterdrückt werden und <strong>die</strong> Kinder nicht <strong>die</strong> Aktivität entfalten<br />

können, „welche <strong>die</strong> Natur von der menschlichen Persönlichkeit verlangt, damit sie sich<br />

gut entwickelt“, entstehen eben jene „ungeordneten seelischen Bewegungen“, <strong>die</strong> man<br />

Disziplinlosigkeit, Gewaltbereitschaft, Vandalismus, Mobbing usw. nennt. Angehende<br />

Lehrer oder Erziehende denken meist, dass <strong>die</strong>se Probleme durch Freundlichkeit oder<br />

gute Behandlung abgestellt werden könnten. Aber <strong>die</strong> Erfahrung zeigt, dass das nicht der<br />

Fall ist.<br />

Der „einzige Weg zum Erfolg“ liegt nach MONTESSORI darin, „<strong>die</strong>se Kinder in eine Umgebung<br />

zu bringen, welche ihre schöpferische Aktivität nicht hemmt.“ Der Versuch, ihr<br />

Verhalten zu korrigieren, führe in <strong>die</strong> Irre. Die Schwierigkeit dabei ist nämlich, dass wir<br />

im Einzelnen gar nicht wissen können, was und wie der Geist der Kinder verändert werden<br />

muss und kann. Wenn man ihnen aber ein normales Leben ermöglicht, in dem man<br />

ihnen eine geordnete und anregende Umwelt bietet, in der sie körperlich und geistig frei<br />

agieren können, dann gesunden sie. Sie brauchen Freiheit, um sich „von der beständigen<br />

Leitung durch Erwachsene“ zu erholen. Nicht <strong>die</strong> Korrektur des Verhaltens und des Individuums<br />

ist nötig, sondern <strong>die</strong> Vorbereitung <strong>auf</strong> ein selbständig zu führendes Leben,<br />

wor<strong>auf</strong> Menschen angelegt sind (MONTESSORI, 1979 S. 99) 33 . Wenn aber selbst „Freiheit<br />

33<br />

Es gibt im Übrigen zahlreiche praktische Erfahrungen in Schulen, <strong>die</strong> zeigen, dass jede Methode, <strong>die</strong><br />

auch nur ein Stück weit in <strong>die</strong>se Richtung des Umgangs mit undisziplinierten Kindern geht, außergewöhnliche<br />

Erfolge zu verzeichnen hat (vgl. dazu LEHNER 1991).<br />

28


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

und eine gute Umgebung“ <strong>die</strong> Kinder nicht von der Disziplinlosigkeit heilen, ist ihr inneres<br />

Wachstum vermutlich schon über zu lange Zeit und von klein <strong>auf</strong> unterdrückt und<br />

verstümmelt worden. In einem solchen Fall „müssen Sie Gott bitten, Ihnen zu helfen“.<br />

Denn dann brauche es ein Wunder, und <strong>auf</strong> ein solches müsse man geduldig warten, bis<br />

es eintrete (MONTESSORI S. 100).<br />

Das Arbeitsverhalten steht in engem Zusammenhang mit der Disziplin. Da Schule nach<br />

verbreiteter Auffassung der Vorbereitung <strong>auf</strong> den Beruf und damit der Sicherung des<br />

Lebensunterhalts <strong>die</strong>nt, sind <strong>die</strong> Schüler gezwungen zu lernen, um bei Prüfungen möglichst<br />

gute Noten zu erhalten, weiterführende Schulen besuchen zu können, zu einem<br />

Stu<strong>die</strong>nfach mit guten Berufschancen und hohen Einkommenserwartungen zugelassen<br />

zu werden usw. Dieser das gesamte Schulleben umfassende Zwang verhindert geradezu<br />

jedes besondere Engagement und erschwert dadurch <strong>die</strong> Entfaltung von Interessen. Der<br />

Schüler ist wie jemand, der nur aus dem Grund arbeitet, um damit seinen Lebensunterhalt<br />

zu sichern. Da sind weder großartige Ergebnisse zu erwarten noch kann der Mensch<br />

sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise entfalten.<br />

Arbeitsfreude entsteht durch <strong>die</strong> gleichen Bedingungen, unter denen Disziplin entsteht:<br />

Freiheit und eine anregende Umgebung, in der <strong>die</strong> Schüler sich selbst für ihre Arbeit<br />

entscheiden und ihre Ausführung bestimmen können. In <strong>die</strong>sem Prozess wenden sich <strong>die</strong><br />

Schüler immer komplexeren Gegenständen zu, weil sie aus eigenem Antrieb danach<br />

streben ihren Geist zu vervollkommnen. „Wenn <strong>die</strong> Arbeit aus einer inneren Quelle<br />

kommt, dann … ergibt sich ein größerer Fortschritt.“ Dann gibt es keine Müdigkeit und<br />

Faulheit, „und der Mensch vervielfacht seine Energien in einer außerordentlichen Weise“<br />

(MONTESSORI 1979, S. 105 ff.).<br />

Die staatliche Einmischung zurückdrängen<br />

Wenn es um Schule geht, denken <strong>die</strong> meisten, der Staat müsse etwas tun. Erziehung<br />

wird nahezu allgemein als ein Werkzeug des Staates verstanden, um den Nachwuchs <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft vorzubereiten. Solange aber der<br />

Staat <strong>die</strong> Erziehung dirigiert, wird eine grundlegende Reform nicht möglich sein. Denn<br />

der Staat ist ein Verwaltungsmechanismus. Er arbeitet mit Regeln und Anweisungen, <strong>die</strong><br />

von Leuten geschaffen werden, <strong>die</strong> kein Wissen über <strong>die</strong> einzelnen Schüler mit ihren<br />

besonderen Fähigkeiten und Problemen haben können. Diese prinzipielle Unkenntnis<br />

macht eine staatliche Erziehung unfähig <strong>auf</strong> <strong>die</strong> individuellen Besonderheiten einzelner<br />

Schüler einzugehen und ihnen dabei zu helfen, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Die aus<br />

29


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

prinzipieller Unkenntnis und Unfähigkeit entspringende Härte und Gefühllosigkeit wird<br />

fälschlicherweise oft als Stärke gedeutet. Wenn es also ein Potential für eine Entwicklung<br />

der Schule gibt, dann kann es jedenfalls nicht beim Staat oder bei Schulbehörden zu<br />

finden sein.<br />

Das Ziel der staatlichen Schule ist Wissensvermittlung und Sortierung der Schüler nach<br />

Leistungsfähigkeit. Es ist viel weniger das Ziel, dem Einzelnen dabei zu helfen, sein<br />

individuelles Potential zu entdecken und in der Gemeinschaft mit anderen zu entfalten.<br />

Auch wenn sich Lehrer ernsthaft darum bemühen, müssen sie sich doch im Wesentlichen<br />

dar<strong>auf</strong> konzentrieren, den Schülern <strong>die</strong> in den Bildungsstandards geforderten<br />

Kenntnisse und Fertigkeiten beizubringen und sie im Hinblick <strong>auf</strong> ihre Geschicklichkeit<br />

dabei in Ränge sortieren. Auch wenn Lehrer dagegen ankämpfen, ist es unter <strong>die</strong>sen<br />

Bedingungen nicht leicht für sie, dem einzelnen Schüler gerecht zu werden.<br />

Vielen Kindern und Jugendlichen gelingt es, <strong>die</strong> Beachtung und Förderung, <strong>die</strong> sie in der<br />

Schule nicht erhalten, in der Familie und im Freundeskreis zu kompensieren. Diejenigen<br />

jedoch, <strong>die</strong> sich weder in der Schule noch im Elternhaus verstanden fühlen, können oft<br />

nur wenige angemessene Handlungsmöglichkeiten für sich entdecken. Offenbar betrifft<br />

<strong>die</strong>s fast ein Viertel der Jugend. Aber auch in einem großen Teil der restlichen Familien<br />

sind <strong>die</strong> Bedingungen keineswegs als gut zu bezeichnen; sie sind nur in vielen Fällen<br />

nicht ganz so ungünstig (vgl. Stecher/Dröge 1996, S. 345) 34 .<br />

Nehmen wir <strong>die</strong> 25 % der Schüler, <strong>die</strong> in der Schule, so wie sie organisiert ist, einfach<br />

nicht oder mehr schlecht als recht mitkommen. Wer das Lesen, Schreiben und Rechnen<br />

nur unzureichend lernt und nur einen verkümmerten sprachlichen Ausdruck entwickelt,<br />

hat nicht nur später wenig Chancen, sondern ist überhaupt durch seine unentwickelten<br />

geistigen und emotionalen Kräfte in seinen alltäglichen Lebensäußerungen beeinträchtigt<br />

(HÖHN 1980). So ist es nicht verwunderlich, wenn <strong>die</strong>sen Schülern der Optimismus<br />

fehlt, wenn sie sich zur Gesellschaft und ihren <strong>Institution</strong>en apathisch oder misstrauisch<br />

verhalten, wenn sie ihr und das Leben und Lernen anderer durch alle möglichen Aktionen<br />

schwer machen und der Allgemeinheit zur Last fallen oder versuchen, sich rücksichtslos<br />

durchzusetzen, weil sie das Gefühl haben, dass niemand sich um sie küm-<br />

34<br />

Ein entsprechendes Ergebnis zeigte sich übrigens auch in der Pisa-Stu<strong>die</strong> (Baumert u.a. 2001). Danach<br />

können über 26% der 15-jährigen in Deutschland nur <strong>auf</strong> einem elementaren Niveau lesen, d.h. sie<br />

weisen deutliche Schwächen bei Aufgaben <strong>auf</strong>, <strong>die</strong> das Reflektieren und Bewerten von Texten erfordern.<br />

30


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

mert. 35 Auch viele Eltern sind beunruhigt durch <strong>die</strong> <strong>die</strong> Unfähigkeit der öffentlichen<br />

Schule, den Kindern gerecht zu werden, durch ihr Unvermögen, Interesse und Engagement<br />

zu wecken, zum Lernen und zur Bewältigung von Schwierigkeiten mit sich und<br />

anderen anzuregen.<br />

Wenn es uns um mehr als nur um <strong>die</strong> so oft als Ziel der Erziehung beschworene „Reproduktion<br />

der Gesellschaft“ geht, also den bloßen Erhalt des Gegebenen, dann dürfen wir<br />

<strong>die</strong> Kinder nicht länger in schulische Schemata pressen und den Maßstäben einer Autorität<br />

unterwerfen, <strong>die</strong> nichts vom Einzelnen weiß, sondern müssen das im einzelnen Kind<br />

und Jugendlichen liegende Potential fördern. Das ist auch <strong>die</strong> ursprüngliche Bedeutung<br />

des Wortes Erziehung. Denn Erziehung meint nicht ziehen oder formen, so wie man<br />

Knetmasse zieht und formt, sondern etwas herausziehen, etwas Verborgenes, Inneres,<br />

Latentes ans Licht bringen. Die Möglichkeiten des Einzelnen können wir nicht sehen<br />

oder messen. Es ist das, was nur der Einzelne selber leisten und unter dazu geeigneten<br />

Umständen hervorbringen kann und was seine besondere Aufgabe ist. Denn wozu sonst<br />

könnten wir geboren sein, als dazu, unsere Möglichkeiten in der für uns und andere besten<br />

und förderlichsten Weise zu entfalten und unsere Welt mitzugestalten<br />

Jeder Einzelne kann etwas beitragen, etwas, das nur er kann. Eben das macht seinen<br />

Wert auch für <strong>die</strong> Gesellschaft aus. Dieser Wert des Einzelnen wird schwerlich verwirklicht<br />

werden können, wenn unser Hauptziel darin besteht, ihn den Anforderungen der<br />

Gesellschaft anzupassen. Wenn wir <strong>die</strong> Schule zu einer Rennbahn machen, <strong>auf</strong> der es<br />

vor allem dar<strong>auf</strong> ankommt, sich durchzusetzen und Erfolg zu haben, koste es was es<br />

wolle, müssen wir <strong>die</strong> Folgen tragen. Denn wenn es keinen Raum für individuelle Entfaltung<br />

gibt, werden viele unter den Zwängen verkümmern, sich ins Private zurückziehen<br />

und statt Engagement nur eine laue Mitarbeit und mittelmäßige, statt guter Leistungen<br />

erbringen.<br />

Leistungen sind wichtig, aber sie entstehen dadurch, dass wir uns um den Einzelnen an<br />

sich und in der Gruppe kümmern und ihn in seinen individuellen und sozialen Möglichkeiten<br />

fördern. Das bedeutet, dass wir ihm zu Selbsterkenntnis verhelfen, dass er seine<br />

Fähigkeiten und schöpferischen Kräfte entdeckt, dass er Impulse, Ängste, Antriebe aus<br />

seinem Inneren erkennt, mit ihnen umgehen lernt und sich als Teil eines kosmischen und<br />

sozialen Ganzen erfährt, in das einzufügen er lernt, wenn man ihn unterstützt, seinen<br />

eigenen Weg zu finden.<br />

35<br />

Zur Jugendproblematik in der Bundesrepublik Deutschland vgl. z.B. Hurrelmann, Heitmeyer, Pfeiffer,<br />

Eckert, Zinnecker 1998: Zukunftsinvestition Jugend, sowie Silbereisen, Vaskovics, Zinnecker 1996:<br />

Jungsein in Deutschland.<br />

31


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Die alte Schule tut alles das nicht, und sie schadet damit nicht nur den Kindern und Jugendlichen,<br />

sondern der auch der Gesellschaft, was aber schon aus reinem Selbstschutz<br />

nicht wahrgenommen wird. Indem wir uns weigern zu sehen, was <strong>die</strong> Schule jungen<br />

Menschen antut, können wir bedenkenlos weitermachen, wir brauchen nichts zu ändern.<br />

Die Überschätzung unseres objektiven und <strong>die</strong> Vernachlässigung unseres<br />

subjektiven Wissens <strong>auf</strong>geben<br />

Die Schulbürokratie hat ganz bestimmte Vorstellungen vom Unterricht. Sie weiß genau,<br />

was <strong>die</strong> Schulen tun müssen. Das entspricht ihrer Position in dem hierarchischen Verhältnis<br />

von Staat und Schule. Per Vorschrift oder Erlass bestimmen Bürokratien den<br />

Schulalltag. Fast alles ist geregelt: <strong>die</strong> Altersgruppierung, <strong>die</strong> Anzahl der Schüler pro<br />

Klasse, <strong>die</strong> Zahl der Stunden pro Fach und Woche, <strong>die</strong> Art und Anzahl der Klassenarbeiten<br />

in jedem Fach, mündliche und schriftliche Notengebung, <strong>die</strong> Einrichtung von Arbeitsgruppen,<br />

<strong>die</strong> ständige Aufsichtspflicht, Art und Weise der Ahndung von Disziplinverstößen<br />

usw. Die Kultusverwaltungen entscheiden, welche Lehrbücher, Arbeitshefte<br />

oder Me<strong>die</strong>npakete für den Unterricht geeignet sind. Nur Schulbücher, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Zensur<br />

erfolgreich durchl<strong>auf</strong>en haben, dürfen verwendet werden. Sie stellen <strong>die</strong> Lehrer ein und<br />

ernennen <strong>die</strong> Schulleiter. Änderungen können so per Erlass verfügt werden. Die weisungsgebundenen<br />

Schulleiter und Lehrer haben auszuführen, was ihnen <strong>auf</strong>getragen<br />

wird (VOGEL 1977).<br />

Inzwischen haben Grund- und Hauptschulen zwar sehr viel mehr Freiheit, aber <strong>die</strong> alten<br />

Gewohnheiten und Erwartungen sitzen tief bei allen Beteiligten. Weder Lehrer noch<br />

Eltern und Schüler können sich Schule anders vorstellen als sie im Moment eben ist.<br />

Es ist leicht zu verstehen, dass in einem Plan-Schulsystem Skepsis gegenüber einer Reformpädagogik<br />

a la MONTESSORI besteht. Es passt einfach nicht ins Schema <strong>die</strong>ses Denkens,<br />

wenn jeder Schüler nach seinem eigenen Plan arbeitet statt im Gleichschritt belehrt<br />

zu werden. Es passt auch nicht in das gesamt-planerische Denken, wenn <strong>die</strong> Schüler<br />

nicht nach einem einheitlichen Maßstab bewertet und entsprechend ihrer Noten sortiert<br />

werden – denn in Montessorischulen gibt es in der Regel keine Noten und auch keinen<br />

Vergleich der Schüler. Da wird sofort unterstellt, Leistungen würden hier wohl nicht so<br />

ernst genommen. Man vermutet sofort sozialromantische Spinnereien, denn ohne eine<br />

frühe Gewöhnung an Leistungserbringung und Leistungskontrolle befürchten nicht nur<br />

Bildungspolitiker und Lehrer, sondern auch viele Eltern, <strong>die</strong> Kinder könnten sich dann<br />

32


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

später nicht durchsetzen und würden untergehen. Da wir nun einmal in einer Leistungsgesellschaft<br />

lebten, müssten wir uns ihr auch so früh wie möglich an sie anpassen.<br />

Das mag einleuchtend klingen. Schaut man sich Montessori- und andere Reformschulen<br />

aber genauer an, ist man überrascht, dass <strong>die</strong> Leistungen dort nicht etwa geringer, sondern<br />

meist sogar deutlich höher ausfallen. Und vor allem gewinnen <strong>die</strong> Schüler eher Einsicht<br />

in <strong>die</strong> Zusammenhänge, d.h. sie verstehen mehr. Dennoch bleibt <strong>die</strong> Furcht, <strong>die</strong><br />

Kinder könnten ohne harte Anforderungen zu weich werden und später versagen. Man<br />

verwechselt Härte mit Stärke und übersieht dabei, dass Härte <strong>die</strong> Kinder und Jugendlichen<br />

ja darin hemmt, ihre Anlagen zur Entfaltung zu bringen. Solange aber unsere Vorstellungen<br />

und Erwartungen hinsichtlich dessen, was Schule letztlich für <strong>die</strong> Schüler<br />

leisten soll so dem herkömmlichen Denken über Erziehung und Schule verhaftet sind,<br />

können Reformen nicht flächendeckend erfolgen.<br />

Warum haben nun aber auch Erziehungswissenschaftler, <strong>die</strong> in der Reformpädagogik<br />

entstandenen Ideen entweder gar nicht oder nur sehr zögerlich <strong>auf</strong>gegriffen Was ist am<br />

Denken der Reformpädagogen so anders, dass es so schwer fällt, sich dar<strong>auf</strong> einzulassen<br />

Als erstes gehen Reformpädagogen von relativ globalen Vorstellungen von Schule und<br />

Erziehung aus. Einzelne Handlungen, Maßnahmen oder Methoden werden stets im Rahmen<br />

<strong>die</strong>ses Gesamten betrachtet. Die allgemeinen Vorstellungen beruhen zu einem guten<br />

Teil <strong>auf</strong> Annahmen, <strong>die</strong> sich rational nur begrenzt rechtfertigen lassen, wie etwa <strong>die</strong><br />

Annahme, dass jeder Mensch von Anfang an einen „inneren Führer“ bzw. eine „innere<br />

Führung“ hat oder <strong>die</strong> Annahme, dass jeder ein nur ihm eigenes Potenzial besitzt, das er<br />

<strong>auf</strong> eine ihm eigene Weise zu entwickeln hat. Solche Annahmen sind nicht einfach intuitiv<br />

gewonnen, sondern beruhen <strong>auf</strong> einem inneren Wissen, das <strong>die</strong> meisten von uns mehr<br />

oder weniger teilen. Aber <strong>die</strong> Verwendung solchen „Wissens“ erscheint uns im Zusammenhang<br />

wissenschaftlicher Arbeiten suspekt, weil <strong>die</strong>ses „Wissen“ zunächst nicht rational<br />

begründbar erscheint (vgl. v. HAYEK, LLL, Vol 1, 1973, S. 10).<br />

MONTESSORI geht von Voraussetzungen aus, <strong>die</strong> zunächst nur durch eine Innenschau zu<br />

gewinnen sind, etwa wie in folgendem Gedankengang: „Ich habe den unabweisbaren<br />

Eindruck, dass mein Leben und Tun von innen her geleitet ist, einen inneren Führer hat.<br />

Das Ziel <strong>die</strong>ses inneren Führers ist <strong>auf</strong> geistiges Wachstum in der Welt und eine umfassende<br />

Vollendung hin ausgerichtet. Dieses Empfinden hatte ich bereits als Kind. Ich<br />

nehme deshalb an, dass alle Menschen von Geburt an oder auch schon vorher, über eine<br />

innere Führung verfügen.“ Diese Auffassung, <strong>die</strong> von MONTESSORI mit Erkenntnissen<br />

33


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

der Biologie untermauert wird, wendet sie <strong>auf</strong> Kindergarten und Schule an, und zwar<br />

nach etwa folgendem Gedankengang: „Wenn <strong>die</strong> Kinder <strong>die</strong>sen inneren Führer haben,<br />

wie müssen sie sich dann in der herkömmlichen Schule fühlen, wie müssen sie <strong>die</strong><br />

Handlungen und Einstellungen der Lehrer zu ihnen verstehen und wie wird ihre geistige<br />

Tätigkeit unter <strong>die</strong>sen Bedingungen sein“ Montessori geht also emphatisch vor, sie<br />

fühlt sich in <strong>die</strong> Umgebung und <strong>die</strong> Beteiligten ein und beurteilt <strong>die</strong> Situation in <strong>die</strong>sem<br />

Sinn von innen her.<br />

Auch <strong>die</strong> Frage, wie <strong>die</strong> Bedingungen der Umgebung zu ändern wären, damit das Kind,<br />

geleitet von seinem „inneren Führer“ seine Arbeit in optimaler Weise ausführen kann,<br />

geht von innen aus. Sie kann dann ausgiebig durch Beobachtung herausfinden, wie sich<br />

<strong>die</strong> veränderten Bedingungen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Kinder, <strong>auf</strong> ihr geistiges Wachstum, ihre Disziplin,<br />

ihre Leistungen, ihre Kreativität, ihre Arbeitsfreude, ihre Bereitschaft zu Zusammenarbeit<br />

und gegenseitiger Hilfe, ihre Selbstsicherheit, ihre berufliche Karriere, ihren Familien-<br />

und Bürgersinn usw. auswirken.<br />

Diese Sicht von innen verändert insbesondere auch das Handeln im Rahmen der <strong>Institution</strong><br />

Schule. In der traditionellen Schule versucht man <strong>die</strong> geistige Tätigkeit der Kinder<br />

und Jugendlichen Schritt für Schritt von außen her zu lenken, einerseits weil man sich<br />

davon den größten Erfolg erhofft, andererseits weil <strong>die</strong> als Ziele bestimmten, gesellschaftlich<br />

erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse so umfangreich sind, dass ein anderes<br />

Vorgehen für den Lehrer kaum möglich ist. Bei MONTESSORI hingegen kann und<br />

darf <strong>die</strong> Schule nur eine entsprechend anregende Umgebung schaffen, in der der Schüler<br />

selbst seine Aufgaben finden und <strong>die</strong> für ihn und seine Entfaltung notwendige Arbeit tun<br />

kann. Der Lehrer darf nur Hilfestellung bei <strong>die</strong>sem Prozess leisten. Das Handeln der<br />

Beteiligten ist zur deren Orientierung von wenigen allgemeinen Regeln begleitet. Nur<br />

für den Lehrer gibt es auch einige Gebote wie: „Er muß zuhören und antworten, wenn er<br />

dazu eingeladen wird. Er muß das Kind, das arbeitet, respektieren, ohne es zu unterbrechen.<br />

Er muß das Kind, das Fehler macht, respektieren, ohne es zu korrigieren. Er muß<br />

das Kind respektieren, das sich ausruht und das den anderen bei der Arbeit zusieht, ohne<br />

es zu stören, ohne es anzurufen, ohne es zur Arbeit zu zwingen.“ (MONTESSORI 1979, S.<br />

28 f.). Unter solchen Bedingungen ist das Handeln der Schüler von innen her und durch<br />

<strong>die</strong> Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegenstand geleitet.<br />

Aus traditioneller Sicht taucht da <strong>die</strong> Frage <strong>auf</strong>, worin hier eigentlich Erziehung und<br />

Lehre bestehen. Tatsächlich wird bei MONTESSORI Erziehung durch Selbsterziehung des<br />

Lehrers wie auch des Kindes oder Jugendlichen ersetzt, ebenso wie Lehren durch selb-<br />

34


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

ständiges Lernen des Lehrers wie des Schülers. Erziehen und Lehren, das erwünschtes<br />

Verhalten und Kenntnisse Schritt für Schritt durch bewusst geplante und gezielte Handlungen<br />

des Lehrers herbeiführt – also Handlungen, <strong>die</strong> von außen <strong>auf</strong> den Schüler einwirken<br />

–, findet man hier kaum. Solches Handeln würde, wenn es wirklich erfolgreich<br />

sein sollte, voraussetzen, dass wir alle dafür relevanten Elemente kennen würden und<br />

gezielt beeinflussen könnten. Aber es ist ein verhängnisvoller Irrtum zu glauben, wir<br />

könnten jemals vollständiges Wissen über alle für ein solches Geschehen bedeutsamen<br />

Faktoren besitzen. Wie sollte man beispielsweise jemals alle Bedingungen kennen, <strong>die</strong><br />

das Handeln eines Schülers in einer bestimmten Situation beeinflussen Es gibt letztlich<br />

auch gar keine Möglichkeit <strong>die</strong> Begrenzungen unserer Kenntnis der jeweils erforderlichen<br />

Fakten in einem Bereich vollständig zu überwinden.<br />

Wenn wir <strong>die</strong> prinzipielle Begrenzung unseres Wissens anerkennen, kann <strong>die</strong>se Einsicht<br />

<strong>die</strong> Arbeit des Verstandes effektiver machen, weil wir dann eher bereit sind, „<strong>die</strong> Unterstützung<br />

zu akzeptieren, <strong>die</strong> wir von Prozessen erhalten, deren wir uns nicht bewusst<br />

sind“ (v. HAYEK, Vol 1, 1973, S. 29). Dazu zählt insbesondere alles das, was wir intuitiv<br />

wissen, oder überlieferte Regeln, <strong>die</strong> wir befolgen, nicht selten ohne zu wissen, warum.<br />

In <strong>die</strong>sem Sinn hat unser Handeln immer einen nicht-rationalen Charakter, denn es wäre<br />

uns gar nicht möglich unter Beachtung aller relevanten Zusammenhänge und Fakten zu<br />

handeln, sowenig wie wir beim Sprechen <strong>die</strong> Sätze bewusst nach den grammatischen<br />

Regeln konstruieren und jedes einzelne Wort bewusst wählen können. (V. HAYEK, Vol 1,<br />

S. 32). Wenn also MONTESSORI <strong>die</strong> Aufgabe des von der Vernunft geleiteten Lehrerhandelns<br />

so stark begrenzt, dann ist das notwendig, gerade weil unser Intellekt <strong>die</strong> Realität<br />

in ihrer Komplexität nicht zu erfassen vermag.<br />

Dennoch versuchen Erziehungswissenschaft oder Erziehungspsychologie Regeln mit<br />

möglichst genauen Details für das Handeln in Schule und Erziehung zu finden. Schule<br />

soll das Handeln der Schüler möglichst so leiten und lenken, dass <strong>die</strong> Schüler am Ende<br />

<strong>die</strong> Fähigkeiten und Verhaltensdispositionen erworben haben, <strong>die</strong> als Ziel gesetzt waren.<br />

Selbst wenn es möglich wäre, <strong>die</strong>ses Wissen zu gewinnen, wäre das Handeln der Lehrer<br />

nach derart detailliertem Wissen nicht in <strong>die</strong>ser Weise möglich, sowenig wie man eine<br />

Fremdsprache verwenden kann, indem man im Augenblick des Sprechens und Schreibens<br />

alle Regeln und Einzelheiten bewusst anwendet. Der Versuch, <strong>die</strong> innere Führung<br />

auszuschalten und <strong>die</strong> komplexen Prozesse geistiger, emotionaler und körperlicher Entwicklung<br />

von außen her zu lenken, kann letztlich nur Verwirrung, Verunsicherung und<br />

unzulängliche Ergebnisse erzeugen.<br />

35


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Das größte Problem ist demnach, dass es uns so schwer fällt, anscheinend bewährte<br />

Denkweisen <strong>auf</strong>zugeben. Sind wir bereit zu akzeptieren, dass wir nicht in der Lage sind,<br />

Kinder und Jugendliche nach unseren Vorstellungen zu erziehen Sind wir bereit, <strong>die</strong><br />

sich aus <strong>die</strong>ser Einsicht ergebenden Folgen in der Schule umzusetzen Das bedeutet,<br />

dass wir nicht mehr nach Plan zu „bilden“ versuchen, sondern dass unsere Aufgabe darin<br />

bestehen muss, jedem einzelnen Schüler zu helfen, sein Potenzial zu entwickeln. Es<br />

würde also große Unterschiede zwischen dem geben, was einzelne Schüler tun. Denn<br />

durch Lernzwang werden nur geringe Leistungen erzielt. In der traditionellen Schule<br />

erzielt <strong>die</strong> Gesellschaft mit hohem Aufwand etwas Unbedeutendes und verliert das Beste,<br />

dessen <strong>die</strong> jungen Menschen fähig gewesen wären. Denn unser so genanntes Leistungsprinzip,<br />

das allen das Gleiche abfordert, fördert nicht Leistung, sondern Mittelmäßigkeit.<br />

Aber sind wir bereit, eine solche weitgehende individuelle Förderung zu akzeptieren<br />

Sind wir bereit, Schulen eine große und wachsende Freiheit zu geben, damit sie<br />

in Zusammenarbeit mit Schülern und Eltern und frei von ihnen gewählten Experten im<br />

Wettbewerb untereinander bessere und für unsere Zeit angemessenere Schulen entdecken<br />

und entwickeln<br />

Lippenbekenntnisse reichen hier nicht aus. Denn <strong>die</strong> Folgen sind tief greifender als bei<br />

oberflächlichem Hinschauen erkennbar. Schulen im Wettbewerb würde beispielsweise<br />

heißen, <strong>die</strong> Schulwahl vollkommen frei zu stellen. Das hätte zur Folge, dass Schulen,<br />

denen es nicht gelingt, sich zu behaupten, „sterben“ würden. Das würde wiederum voraussetzen,<br />

dass der Beamtenstatus von Lehrern <strong>auf</strong>gegeben werden müsste. Sind wir<br />

bereit, <strong>die</strong> entstehenden Ungleichheiten zwischen Schulen hinzunehmen Erst durch<br />

gewisse Ungleichheiten oder Unterschiede wäre es nämlich möglich, <strong>die</strong> Schulen zu<br />

entwickeln und zu erkennen, <strong>die</strong> wir haben wollen. „Schlechten Schulen“ müsste man<br />

Hilfen anbieten, um sich zu verbessern. Aber <strong>die</strong>se Verbesserung müsste letztlich von<br />

innen heraus bewältigt werden, wenn sie Bestand haben soll.<br />

Hinsichtlich der Wirtschaft hat sich eine solche eher evolutionistische Sicht trotz aller<br />

Einschränkungen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Praxis gelten, nahezu allgemein durchgesetzt. Zumindest<br />

im Prinzip akzeptieren wir, dass effektive wirtschaftliche Lösungen sich im mehr oder<br />

weniger freien Spiel der Kräfte entfalten. Rein konstruktivistischen Lösungen – also<br />

Planwirtschaften – wird wenig Vertrauen entgegen gebracht. Sie sind inzwischen als<br />

Verfahren zur Gleichverteilung von Armut, d.h. mittelmäßigen bis schlechten Leistungen,<br />

allgemein disqualifiziert.<br />

36


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Das Versagen der Plan-Pädagogik ist nicht geringer als das der Planwirtschaft. Die Lehrpläne<br />

und Bildungsstandards werden so wenig erreicht wie Produktionsstandards. Und<br />

so wie <strong>die</strong> Planwirtschaft scheitern musste, weil sie über bloße Flickschusterei nie hinauskam,<br />

wird wohl auch <strong>die</strong> Plan-Pädagogik scheitern müssen. Sicher gibt es Unterschiede<br />

in den Leistungen der Schulsysteme verschiedener Nationen. Aber keines <strong>die</strong>ser<br />

Systeme kann als außerordentlich leistungsfähig gelten. So ist beispielsweise das finnische<br />

Schulsystem, das bei der Pisa-Untersuchung mit am allerbesten abgeschnitten hat,<br />

keineswegs optimal was <strong>die</strong> Förderung der leistungsfähigsten Schüler angeht. Wenn wir<br />

eine ständige Verbesserung wollen, brauchen wir ein System, das von seiner Struktur her<br />

alle Beteiligten ständig zur Entwicklung um Umsetzung von Innovationen anregt. Während<br />

kleine Reparaturen hier und da bei der alten Schule durchaus möglich sind, erfordert<br />

ein tief greifender und <strong>auf</strong> Dauer angelegter Entwicklungs- und Verbesserungsprozess<br />

den Abschied von der bisherigen Plan-Bildung. Aber nicht nur <strong>die</strong> Praxis der Schule,<br />

sondern auch ihre Theorie steckt in Schwierigkeiten.<br />

4. Erziehungswissenschaft in der Sackgasse<br />

Die Erziehungswissenschaft hat lange Zeit genau definierte Ziele für Schule und Unterricht<br />

gefordert. Nur bei solchen klaren Zielen bestünde <strong>die</strong> Chance, auch zu erreichen,<br />

was man sich von Schule und Unterricht wünsche. Nun werden <strong>die</strong>se Ziele aber, wie wir<br />

gesehen haben, nur selten erreicht und auch schulische Reformen führen nur in Grenzen<br />

zu erwarteten Ergebnissen. Was also ist falsch gel<strong>auf</strong>en, wo muss man umdenken<br />

Forschungsschwerpunkte<br />

Vor nicht langer Zeit hoffte man in der Forschung noch, von einfachen Zusammenhängen<br />

ausgehen zu können, deren Aufklärung gleichsam <strong>die</strong> „Rezepte“ für Unterrichtserfolge<br />

liefern würde. So sah man etwa in der Bestimmung von Merkmalen der erfolgreichen<br />

Lehrerpersönlichkeit einen Schüssel für erfolgreiches Lehren (vgl. Pause 1970).<br />

Nun ändern sich aber <strong>die</strong> Kriterien für „gute“ oder effektive Lehrer entsprechend den<br />

jeweils vorherrschenden Ansichten, so dass <strong>die</strong>se Merkmale nicht absolute sein können<br />

(vgl. Campbell 1972). Außerdem ist es schwierig, Lehrer nach gerade als ideal geltenden<br />

Bildern zu formen. Man fand sogar heraus, dass <strong>die</strong> übliche „Lehrerausbildung keinerlei<br />

nachhaltigen Einfluss <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Werthaltungen, Einstellungen und Verhaltensrichtlinien<br />

ihrer Absolventen“ hat, „soweit <strong>die</strong>se für Schul-, Erziehungs- und Unterrichtsbelange<br />

37


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

von Interesse sind“ (Koch/ Pfeifer 1971, S. 440; ähnlich Tausch / Tausch 1970, S. 445<br />

ff.).<br />

In der Folge konzentrierte sich <strong>die</strong> Erziehungswissenschaft <strong>auf</strong> Verhaltensweisen von<br />

Lehrern in bestimmten Situationen. Weil solche Verhaltensweisen sich trainieren lassen,<br />

werden dadurch eher Eingriffsmöglichkeiten eröffnet (vgl. Grell 1974; Gordon 1977). In<br />

letzter Zeit ist <strong>die</strong> Forschung wieder dazu übergegangen, das Verhalten von Lehrern, <strong>die</strong><br />

als Experten gelten, mit dem von zu Novizen zu vergleichen, um dadurch herauszufinden,<br />

was Könnerschaft ausmacht. Auf <strong>die</strong>ser Grundlage hoffen Erziehungstheoretiker<br />

u.a., <strong>die</strong> Lehrer gezielter und besser ausbilden zu können (z.B. Berliner 1992; Weinert/<br />

Helmke/ Schrader 1992). Aber auch <strong>die</strong>se Forschungsrichtung war nicht von Erfolg gekrönt.<br />

In der Wirtschaft geht man mit dem Problem des richtigen Personals viel einfacher und<br />

pragmatischer um. Erstens sucht man sich nicht unbedingt Leute mit der entsprechenden<br />

Ausbildung, sondern ist bereit, Bewerber zu akzeptieren, <strong>die</strong> Interesse an den Aufgaben<br />

haben und bereit sind, sich zu engagieren. Dann unterstützt man ihre Weiterbildung, gibt<br />

ihnen bei guten Leistungen und Ideen Aufstiegschancen. Die Managementforschung hat<br />

zudem herausgefunden, dass <strong>die</strong> Firmen langfristig <strong>die</strong> besten Ergebnisse haben, <strong>die</strong> ihre<br />

Mitarbeiter entsprechend ihrer jeweiligen Interessen einsetzen, wenn Vorschläge <strong>die</strong>ser<br />

Mitarbeiter ernst genommen, diskutiert und nach Möglichkeit umgesetzt werden (Buckingham/<br />

Coffman 1999). Hat man den absolut falschen Mitarbeiter eingestellt, entlässt<br />

man ihn oder vermittelt ihn in einen Job, für den er geeigneter ist.<br />

Sollte man sich nicht auch in der Erziehungswissenschaft <strong>die</strong> Frage stellen, durch welche<br />

Bedingungen der Schule man <strong>die</strong> Lehrer zu neuen Ideen, zu Engagement und Begeisterung<br />

an ihrer Arbeit verhelfen kann Vermutlich würde eine solche Änderung bei<br />

den etablierten Lehrern erst mal ein Menge Missmut erzeugen. Aber im L<strong>auf</strong>e der Zeit,<br />

wenn <strong>die</strong> Arbeit allmählich mehr Freude macht, wenn <strong>die</strong> Unternehmungslust steigt und<br />

sich Erfolge zeigen, würde sich das ändern.<br />

Die Suche nach Faktoren, <strong>die</strong> den Unterricht grundlegend verbessern könnten, erstreckt<br />

sich über eine ganze Reihe von Forschungsfeldern. Neben den Lehrern werden auch <strong>die</strong><br />

Lehrmethoden (im Überblick Weinert 1970), <strong>die</strong> Lehrme<strong>die</strong>n (Dallmann 1970), Formen<br />

der sozialen Interaktion wie Gruppenunterricht oder Diskussionsmethode (Peters 1970),<br />

<strong>die</strong> Klärung der Ziele und <strong>die</strong> dar<strong>auf</strong> bauende Planung (Möller 1969) usw. untersucht.<br />

Auch da gab es nicht <strong>die</strong> erwarteten klaren und eindeutigen Ergebnisse, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Forscher<br />

erwartet hatten. Vielmehr zeigte sich, dass <strong>die</strong> Wirkungen von Methoden, Me<strong>die</strong>n usw.<br />

38


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

von zahlreichen Faktoren abhängig sind. Insbesondere sind unterschiedliche Schülermerkmale<br />

von Bedeutung (vgl. Cronbach/ Snow 1969; Schwarzer/ Steinhagen 1975;<br />

Flammer 1975). Die große Zahl möglicher Wechselwirkungen und Faktoren ließ <strong>die</strong><br />

Auffassung, man könne von Elementen des Ganzen ausgehen, <strong>die</strong>se Schritt für Schritt<br />

analysieren und danach wieder zusammensetzen, um <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise zu einem Gesamtbild<br />

der Bedingungen erfolgreichen Unterrichts zu gelangen, zusehends unrealistischer<br />

werden.<br />

Unter <strong>die</strong>sem Eindruck suchten <strong>die</strong> Erziehungswissenschaftler nach Faktoren für den<br />

Unterrichtserfolg, <strong>die</strong> ihrer Aufmerksamkeit bis dahin entgangen waren. Sie konzentrierten<br />

sich <strong>auf</strong> wenige bedeutsam erscheinende und zudem manipulierbare Faktoren. Vor<br />

allem gingen sie von den Schülern aus und suchten nach den Bedingungen, <strong>die</strong> besonders<br />

den weniger erfolgreichen Schülern helfen sollten, sich zu verbessern. Denn je mehr<br />

Schüler einer Schule <strong>die</strong> angestrebten Ziele erreichen, umso effektiver ist sie. Unter <strong>die</strong>sem<br />

Gesichtspunkt sind beispielsweise Modelle für einen Ausgleich unterschiedlicher<br />

Ausgangsvoraussetzungen von Schülern entwickelt worden. Solche unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen entstehen durch Einflüsse des sozioökonomischen Status der Eltern,<br />

des mit dem sozialen Milieu zusammenhängenden Sprachcodes, des Anregungsgehalts<br />

der häuslichen Umgebung, durch <strong>die</strong> kulturellen Bedingungen der jeweiligen Bezugsgruppe,<br />

den Entwicklungstand der Schüler usw. Indem Schüler mit ungünstigen Ausgangsvoraussetzungen<br />

beispielsweise mehr Zeit für <strong>die</strong> Bearbeitung von Aufgaben erhalten,<br />

<strong>die</strong> ihnen schwer fallen, oder indem sie in ihren „schwachen“ Fächern in Leistungsgruppen<br />

differenziert werden, <strong>die</strong> spezielle Fördermaßnahmen ermöglichen, sollen<br />

sie in <strong>die</strong> Lage versetzt werden, ihre schon weiter fortgeschrittenen Mitschüler einzuholen36.<br />

Schüler mit ungünstigen Ausgangsvoraussetzungen sollen <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise ebenfalls<br />

Chancen erhalten, gute Leistungen zu erzielen. Da <strong>die</strong>ser Chancenausgleich aber im<br />

Wesentlichen zu Lasten der guten Schüler ging37, war <strong>die</strong> Effektivität <strong>auf</strong> eine Schülergruppe<br />

begrenzt, während andere benachteiligt wurden. Jedenfalls können durch Differenzierung<br />

in Leistungsgruppen und/oder <strong>die</strong> Förderung leistungsschwacher Schüler<br />

allein keine außergewöhnlichen Leistungssteigerungen erzielt werden38.<br />

36<br />

37<br />

38<br />

Vgl. das als "Mastery Learning" bekannt gewordene Modell von BLOOM 1968 und das "Personalized<br />

System of Instruction" von KELLER 1968. Einen bekannteren Versuch in <strong>die</strong>ser Richtung stellt <strong>die</strong> integrierte<br />

Gesamtschule dar.<br />

Vgl. TREIBER/WEINERT 1985; kritisch dazu BECK/BROMME 1988.<br />

Das gilt sowohl für das Mastery Learning (vgl. <strong>die</strong> Metaanalyse von KULIK/KULIK/BANGERT-<br />

DROWNS 1990) als auch für <strong>die</strong> Gesamtschule (vgl. FEND u.a 1976). Allerdings ist bei der Gesamtschule<br />

zu berücksichtigen, dass <strong>die</strong> Entscheidung über <strong>die</strong> schulische L<strong>auf</strong>bahn offen gehalten wird.<br />

39


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Da zwischen Organisationsformen – Leistungsdifferenzierung innerhalb der Schule vs.<br />

Differenzierung durch verschiedene Schulformen (innere und äußere Differenzierung) –<br />

keine größeren Leistungsunterschiede bestehen als innerhalb jeder <strong>die</strong>ser Organisationsformen,<br />

müssen andere Merkmale von größerer Bedeutung für <strong>die</strong> Effektivität sein. Um<br />

nun herauszufinden, welche Merkmale von Schule und Unterricht für hohe Leistungen<br />

der Schüler verantwortlich sind, werden im Rahmen der Schuleffektivitätsforschung<br />

(vgl. z.B. Mortimore 1994, Aurin 1991) außergewöhnlich effektive Schulen mit weniger<br />

guten verglichen. Gesucht wird nach den Bedingungen, <strong>die</strong> den Leistungsunterschied<br />

verursacht haben. Dabei zeigt sich folgendes: Ein wesentlicher Faktor von Schuleffektivität<br />

ist, dass hohe Erwartungen an <strong>die</strong> Schüler gestellt werden, wobei <strong>die</strong> individuelle<br />

Leistungsfähigkeit berücksichtigt wird (vgl. Dorr-Bremme 1990). Ein anderer Faktor ist<br />

<strong>die</strong> Bedeutung, <strong>die</strong> schulischen Leistungen zugemessen wird, wie das z.B. bei öffentlicher<br />

Anerkennung von Leistungen zum Ausdruck kommt (vgl. Purkey/Smith 1983).<br />

Weitere Faktoren werden in gemeinsamen Bemühungen des Kollegiums um <strong>die</strong> Verbesserung<br />

des Leistungsstandes der Schüler (vgl. Levine/Lezott 1990), in der optimalen<br />

Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Unterrichtszeit (vgl. Blum 1984) und in einer<br />

starken Schulleitung gesehen, <strong>die</strong> durch Kontrolle <strong>die</strong> besten Lehrer herausfiltert und<br />

unterstützt und – sofern das möglich ist – <strong>die</strong> als ineffektiv geltenden Lehrer entlässt<br />

(vgl. Sergiovanni 1994).<br />

So bedeutsam derartige Informationen über Zusammenhänge zwischen Merkmalen von<br />

Schulen und der Leistung von Schülern auch sind, lassen sie doch wesentliche Fragen<br />

unbeantwortet. Beispielsweise erfährt man nicht, warum <strong>die</strong>se Zusammenhänge bestehen.<br />

Man weiß nicht, ob effektive Schulen hohe Leistungserwartungen ihrer Lehrer bedingen<br />

oder ob hohe Leistungserwartungen der Lehrer zu effektiven Schulen führen.<br />

Beides wäre möglich. Außerdem sind <strong>die</strong> Leistungserwartungen der Lehrer nicht so genau<br />

untersucht worden; sind es hohe Anforderungen oder ist es einfach das Vertrauen in<br />

<strong>die</strong> Leistungsfähigkeit ihrer Schüler, was ich eher glaube. Wenn letzteres der Fall sein<br />

sollte, dann wäre <strong>die</strong> Frage, welches Umfeld erforderlich ist, damit ein solches Vertrauen<br />

entsteht und wirksam wird. Jedenfalls sieht man schnell, dass es wenig Sinn machen<br />

würde, derartige verstreute Fakten zu verwenden, um Bedingungen für effektive Schulen<br />

zu schaffen. Auf <strong>die</strong>se Weise wird das erwünschte Ziel mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

verfehlt39.<br />

Die Identifizierung von Merkmalen effektiver Schulen reicht also nicht aus. Es kommt<br />

hinzu, dass <strong>die</strong> Leistungen in den Schulfächern nicht <strong>die</strong> einzigen Ergebnisse darstellen,<br />

39 Vgl. auch <strong>die</strong> Kritik von MADAUS/AIRASIAN/KELLAGHAN (1980) an der Schuleffektivitätsforschung.<br />

40


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

<strong>die</strong> für <strong>die</strong> Zukunft der Kinder von Bedeutung sind. Es kommt auch an <strong>auf</strong> das Selbstvertrauen<br />

der Kinder und Jugendlichen, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Entwicklung ihrer Interessen, ihrer Kreativität,<br />

<strong>auf</strong> den Grad ihrer Aggressivität, <strong>auf</strong> ihre Orientierungsschwierigkeiten bzw. ihre<br />

Verhaltenssicherheit nach dem Wechsel zu anderen <strong>Institution</strong>en, ihre Durchsetzungskraft,<br />

Kooperations- und Problemlösefähigkeit. Auch Leistungsergebnisse nach der<br />

Schule wie <strong>die</strong> Beurteilungen durch Arbeitgeber, ihre Berufs- und Stu<strong>die</strong>nerfolge usw.<br />

sollten bei der Beurteilung der Schulqualität berücksichtigt werden.<br />

Perspektiven<br />

Erforderlich wäre also eine Theorie, <strong>die</strong> erklärt, warum bestimmte schulische und unterrichtliche<br />

Bedingungen zu bestimmten Wirkungen führen. Eine solche Theorie würde<br />

aber letztlich, wenn sie genau sein sollte, überaus komplex werden. Man müsste dann ja<br />

festzustellen suchen, welche Maßnahmen für welche Ziele und Inhalte bei welchen<br />

Schülern mit bestimmten Merkmalen Erfolg versprechend eingesetzt werden können.<br />

Weil <strong>die</strong> Wirkungen äußerer Bedingungen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Schüler in vielfachen Abstufungen<br />

und Kombinationen geprüft werden müssen, wobei wiederum jedes Element im Hinblick<br />

<strong>auf</strong> verschiedene Ziele und externe Einflüsse zu analysieren wäre, was immer weitere<br />

Differenzierungen zur Folge hätte, führt das zu extrem verästelten Wissensstrukturen.<br />

Hinzu kommt, dass Reize, <strong>die</strong> von außen als gleich zu beurteilen sind, für Schüler je<br />

nach inneren und äußeren Voraussetzungen und Situationsinterpretationen verschiedene<br />

Bedeutungen haben. Indem man all das erfasst, gelangt man zu zwar immer genaueren,<br />

aber auch immer begrenztere Phänomene erfassenden Theorien. Wegen der zunehmenden<br />

Komplexität ist es aussichtslos, <strong>die</strong> ständig wachsende Fülle der Einzelbefunde und<br />

-theorien jemals zu einem System integrieren zu können.40<br />

40<br />

Letztlich wird es kaum eine andere Möglichkeit geben, als das Paradigma der Erforschung von Erziehungsphänomenen<br />

von außen (Objektivismus) zu ergänzen oder zu ersetzen durch ein Paradigma der<br />

Erforschung von innen (Subjektivismus) Die Unterscheidung <strong>die</strong>ser Ansätze gewinnt in der Psychologie<br />

zunehmend an Bedeutung. So grenzen DECI/ RYAN (1991, 279 f im Anschluß an MCADAMS 1990)<br />

„I theories“ ab von „me theories“, wobei Theorien vom „I“-Typ das Individuum als Subjekt behandeln,<br />

während Theorien vom „me“-Typ das Individuum als Objekt betrachten. Zum "Objektivismus"<br />

bzw. der Sicht von außen in der Psychologie, insbesondere im Behaviorismus vgl. Groeben/Scheele<br />

1977, S. 6 ff., 34 ff.; zur Sicht von innen ebenda z.B. S. 20 ff.; ferner Groeben 1981. Zu den der Innen-<br />

bzw. Außensicht entsprechenden psychologischen Modellen des Menschen vgl. Herzog 1984,<br />

bes. S. 97 ff. u. 163 ff. In der Erziehungspsychologie sprechen Ryan/ Stiller (1991, 117) von einer Erziehung<br />

„von außen“ im Unterschied zu einer Erziehung, <strong>die</strong> von den Bedürfnissen des Schülers ausgeht.<br />

Historisch hängt der Objektivismus eng mit dem frühen Rationalismus zusammen, der nur das<br />

als vernünftig oder rational ansieht, was sich durch Beobachtung beweisen läßt (vgl. V. HAYEK 1979;<br />

1973, Bd. 1, S. 9 ff.; LEHNER 1986, S. 9 ff.). Vor allem in Industrie, Bürokratie und Politik ist <strong>die</strong><br />

41


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Im Unterschied zu <strong>die</strong>sem Ansatz der heutigen Erziehungswissenschaft versuchten Reformpädagogen<br />

wie Peter Petersen oder Maria Montessori nicht durch Beobachtung von<br />

außen <strong>die</strong> Bedingungen effektiven Unterrichts zu bestimmen, sondern aus der Sicht von<br />

innen, also vor allem aus der subjektiven Sicht der Schüler. In <strong>die</strong>sem Sinn ist <strong>die</strong> Reformpädagogik<br />

eine „Pädagogik vom Kinde aus“, und <strong>die</strong>se Sicht von innen ist auch <strong>die</strong><br />

treibende Kraft <strong>die</strong>ser Pädagogik. Ihr Bild des Schülers ist nicht einfach das eines von<br />

Gesetzmäßigkeiten bestimmten Organismus, sondern das eines Menschen, der <strong>auf</strong>grund<br />

eines inneren Bauplans seine ganz legitimen eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ziele<br />

hat, <strong>die</strong> ihn dazu veranlassen, sich in seiner Umgebung <strong>die</strong> Dinge herauszusuchen, <strong>die</strong> er<br />

für sein Wachstum und seine Entwicklung braucht. Dementsprechend konnte es für <strong>die</strong><br />

Reformpädagogen auch nicht darum gehen, den Schüler nach bestimmten Zielen zu bilden<br />

oder zu formen. Vielmehr fragten sie sich, wie <strong>die</strong> schulische Umgebung einzurichten<br />

sei, damit sie den Bedürfnissen, Wünschen und Zielen des Kindes und Jugendlichen<br />

gerecht würde und am förderlichsten für <strong>die</strong> Entfaltung seines inneren Plans zur Selbstund<br />

Welterkenntnis wie auch zur Erschaffung der eigenen Zukunft sei. Hinzu kommt,<br />

dass <strong>die</strong> Erfolge der Jenaplan- und Montessori-Pädagogik deren Theorien bestätigen.41<br />

Allerdings wünschen wir uns ein übergreifendes Erklärungsmuster oder –modell, das <strong>die</strong><br />

Voraussetzungen, theoretischen Grundannahmen, Funktionsweisen und <strong>Auswirkungen</strong><br />

jeder Art von Schule verständlich macht. Ein solches Erklärungsmuster oder Modell<br />

würde sowohl <strong>die</strong> Wirkungen von reformpädagogischen Schulen wie auch <strong>die</strong> traditioneller<br />

Schulen erklären. Es würde darüber hinaus Handreichungen bieten, um <strong>die</strong> Schule<br />

zu reformieren oder zu verbessern.<br />

41<br />

"Sicht von außen" vorherrschend (vgl. z.B. WEBER 1976, S. 686 ff., sowie v. HAYEK 1973). Es ist nur<br />

konsequent, daß in Industrie und Bürokratie, wo zunächst Menschen in rationaler Planung zur Erfüllung<br />

bestimmter Aufgaben eingesetzt wurden, <strong>die</strong>se genau definierten Funktionen zunehmend von<br />

Maschinen übernommen werden.<br />

Zur Theorie PETERSENS im Überblick vgl. DIETRICH 1995; vgl. MONTESSORI 1977 zur Theorie ihrer<br />

Methode; zu ihrer empirschen Prüfung z.B. FISCHER 1982; WÖRNLE 1984. Berichte zur Praxis von<br />

PETERSENs Jenaplan-Schule findest man in RETTER 1993; zur MONTESSORI-Theorie z.B. BÖHM 1991;<br />

zur schulischen Praxis z.B. HELLBRÜGGE 1984.<br />

42


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Teil II<br />

Das neue Modell: Ein Überblick<br />

5. Der Schüler<br />

Im Mittelpunkt jeder Schule und jedes Schulsystems steht letztlich der Schüler. Die Ziele<br />

und Anforderungen der Schule beziehen sich <strong>auf</strong> ihn, der Unterricht wendet sich an<br />

ihn, <strong>die</strong> Ergebnisse werden an ihm gemessen. Welches Bild man auch immer von ihm<br />

haben mag, in jedem Fall bildet er den Kern <strong>auf</strong> den hin alles sich ausrichtet. Dennoch<br />

ist gerade <strong>die</strong> Art des Bildes, das wir vom Schüler haben, entscheidend für <strong>die</strong> Art, wie<br />

wir ihn behandeln. Und da gibt es zwei psychologische Theorien.<br />

Anmerkungen zur Psychologie des Schülers<br />

Nach der ersten Theorie wird <strong>die</strong> Persönlichkeit erst durch <strong>die</strong> Umwelt geschaffen. In<br />

der Schule geschieht das durch <strong>die</strong> <strong>auf</strong>grund von bewusst geplanten Maßnahmen angeregte<br />

oder auch erzwungene Auseinandersetzung des Schülers mit den darin enthaltenen<br />

Anforderungen. Nach der zweiten Theorie setzt <strong>die</strong> Entwicklung der Persönlichkeit einen<br />

Kern oder ein Selbst bereits voraus, das <strong>die</strong> später entstehende Persönlichkeit sozusagen<br />

in nuce enthält. Dieses Selbst, <strong>die</strong>se Person kann nicht das Ergebnis von Erfahrung<br />

oder Lernen sein, sondern es muss von Beginn an existieren (vgl. ausführlich dazu<br />

Kap. III).<br />

Es sind also zwei Aspekte zu unterscheiden: Das innere und das äußere Selbst. Das innere<br />

Selbst enthält <strong>die</strong> gesamte Potenzialität des Menschen. Jedes Individuum, jedes Kind<br />

ist von Anfang an mit allen Anlagen ausgestattet, <strong>die</strong> es ihm ermöglichen, sich in seiner<br />

Umwelt zurechtzufinden, Ziele zu wählen, selbständig zu denken, zu lernen usw.<br />

Unter dem Ausdruck „äußeres Selbst“ ist <strong>die</strong> Persönlichkeit zu verstehen, also das Ich<br />

als handelnde Instanz und alles, was <strong>die</strong>ses Ich sich aneignet und wozu es wird. Dazu<br />

zählen beispielsweise alle Kenntnisse, Fertigkeiten, Überzeugungen und Gewohnheiten.<br />

Das erste, d.h. das Ich als Agens, ist <strong>die</strong> aktive Seite des (äußeren) Selbst, das zweite ist<br />

das Ergebnis des Handelns <strong>die</strong>ser aktiven Seite, d.h. das Ich als Persönlichkeit mit ihren<br />

43


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Eigenschaften oder Merkmalen. Die Person, das innere Selbst meiner Möglichkeiten,<br />

das den eigentlichen Ursprung des äußeren Selbst bildet, bleibt unsichtbar im Hintergrund,<br />

wir sehen es nicht, sind uns seiner nicht bewusst, auch oder vielleicht weil es <strong>die</strong><br />

Matrix für <strong>die</strong> Entwicklung des Individuums darstellt.<br />

Abb.: Inneres Selbst und äußeres Selbst(Ich und Persönlichkeit)<br />

Die Entwicklung der Persönlichkeit wird gesteuert von einem ursprünglichen Bedürfnis<br />

nach Selbstentfaltung des eigenen Potenzials. Damit <strong>die</strong>ses Bedürfnis befriedigt werden<br />

kann, müssen insbesondere zwei Bedingungen gegeben sein: Sicherheit und Selbständigkeit.<br />

Sicherheit wird erfahren, wenn das Individuum in seiner Umwelt eine Ordnung<br />

erkennen kann, <strong>die</strong> ihm subjektiv wertvolle Handlungsmöglichkeiten eröffnet, in der es<br />

sich dauerhaft von anderen akzeptiert, sozial gebunden und anerkannt fühlt, der Wert des<br />

eigenen (äußeren) Selbst nicht in Frage gestellt wird. Unter <strong>die</strong>ser Bedingung gewinnt<br />

das Individuum Selbstsicherheit. Eine chaotische, undurchschaubare Umgebung dagegen<br />

wirkt bedrohlich. In <strong>die</strong>sem Fall werden <strong>die</strong> Möglichkeiten der Selbstentfaltung und<br />

des selbständigen Handelns beeinträchtigt. In einer solchen Umgebung ist der Wert des<br />

(äußeren) Selbst ungesichert.<br />

Die Erfahrung von Sicherheit begünstigt selbständiges Handeln. Kommt dazu noch eine<br />

Umgebung, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> das Kind oder den Jugendlichen, seine Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche<br />

und Interessen ernsthaft eingeht, ihn zu verstehen sucht und Anregungen bietet,<br />

steigert das <strong>die</strong> inneren Anstrengungen des Individuums, seine Umwelt zu erobern, seine<br />

Möglichkeiten in ihr zu erkunden und zu gestalten. Das lässt sich bereits beim Säugling<br />

beobachten. Indem der Einzelne <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise Kontrolle über Dinge gewinnt und sich<br />

44


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

behauptet, erweitert er seine Möglichkeiten. Abenteuer und Eroberungen durch selbständiges<br />

Handeln sind ebenso bedeutsam für <strong>die</strong> Selbstentfaltung wie Sicherheit. Das<br />

Wagnis der Unsicherheit durch selbständiges Handeln setzt aber das Vertrauen in <strong>die</strong><br />

eigenen Fähigkeiten, in den Wert des eigenen Selbst voraus.<br />

Der Schüler in der Unterrichtssituation<br />

Wie geht nun der Schüler im Unterricht mit Informationen um und passt sich an jeweils<br />

gegebene Bedingungen an Da nicht <strong>die</strong> ganze Breite möglicher Unterrichtssituationen<br />

berücksichtigt werden kann, werden vereinfachende Typisierungen vorgenommen.<br />

Dementsprechend werden <strong>die</strong> Handlungsweisen von Schülern in der Form allgemeiner<br />

Muster zu bestimmen versucht.<br />

Unterrichtssituationen enthalten eine Fülle von Informationen, <strong>die</strong> der Schüler <strong>auf</strong>nehmen<br />

und entschlüsseln muss, um sich zurechtfinden und sein Handeln dar<strong>auf</strong> abstimmen<br />

zu können. Deutungen von Situationen und Situationselementen setzen jedoch Annahmen<br />

voraus. Diese Annahmen sind meist unbewusst. Wir bilden ständig Erwartungen<br />

über <strong>die</strong> Umwelt und entschlüsseln mit ihrer Hilfe <strong>die</strong> über <strong>die</strong> Sinnesorgane <strong>auf</strong>genommenen<br />

Reize. Dabei werden <strong>die</strong>se Informationen <strong>auf</strong> ihren Selbstbezug geprüft. Die<br />

Dinge können positiv, negativ oder neutral und unwesentlich sein, den Selbstwert bedrohen<br />

oder steigern. Entscheidend sind <strong>die</strong> einer Situation zugeschriebenen Handlungsund<br />

Bewältigungsmöglichkeiten.<br />

Handlungs- und Bewältigungsmöglichkeiten äußern sich in der Hoffnung, Aufgaben,<br />

Fragen, Probleme lösen oder Neues erkennen zu können, oder in der Annahme, sie nicht<br />

lösen zu können oder sie werden als uninteressant betrachtet. Furcht, Aufgaben nicht<br />

lösen zu können, entsteht in der Regel erst unter der Bedingung der Leistungsbeurteilung.<br />

Es kommt ferner dar<strong>auf</strong> an, ob der Schüler sich akzeptiert fühlt oder nicht, ob er<br />

sich eingeengt, bedroht oder ob er sich beteiligt und angesprochen fühlt usw. Es kommt<br />

<strong>auf</strong> den jeweiligen Unterricht sowie <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Kenntnisse und Fertigkeiten und andere Persönlichkeitsmerkmale<br />

der Schüler an, welcher Art ihre Erwartungen sind. Insbesondere<br />

ist es von Bedeutung, ob Schüler ein gutes oder eher ein bedrohtes Selbstwertgefühl haben.<br />

Die wichtigsten Zusammenhänge lassen sich am Beispiel von Schülern mit sehr guten<br />

bis außergewöhnlichen Fähigkeiten verdeutlichen. Als Unterrichtssituation wird zunächst<br />

der undifferenzierte Klassen- oder Frontalunterricht mit Übungs<strong>auf</strong>gaben ge-<br />

45


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

wählt, d.h. <strong>die</strong> am häufigsten vorkommende Unterrichtsform. In <strong>die</strong>sem Fall werden<br />

Schüler mit sehr guten bis außergewöhnlichen Fähigkeiten in der Sache meist kaum eine<br />

Herausforderung sehen können. Sie werden eher gebremst, d.h. in ihren Handlungsmöglichkeiten<br />

eingeengt. Das Verhalten der Schüler kann nach folgenden und der Deutlichkeit<br />

halber überzeichneten Mustern differenziert werden:<br />

Schüler mit gutem Selbstwertgefühl, <strong>die</strong> über gute soziale Fähigkeiten verfügen, werden<br />

eher eigene Aufgaben suchen bzw. gegebene Aufgaben <strong>auf</strong> ihre eigene Weise deuten.<br />

Sie sind handlungsorientiert und haben am ehesten das Gefühl, ausreichende Kontrolle<br />

über Ziele und Vorgehensweisen zu besitzen. Sie wollen in erster Linie herausfinden,<br />

wie <strong>die</strong> Dinge zusammenhängen, sind also eher intrinsisch motiviert. Mit zunehmender<br />

Dauer des Schulbesuchs jedoch können sie dadurch in eine Außenseiterposition geraten.<br />

Damit verringert sich ihre Kontrolle über <strong>die</strong> Lernsituation. Denn um das Abgleiten in<br />

eine Außenseiterrolle zu vermeiden, kann es vorteilhafter sein, sich weniger interessiert<br />

zu zeigen. Die ursprünglich intrinsisch motivierten Schüler werden dann durch Reflexionen<br />

<strong>auf</strong> sich bzw. Möglichkeiten des Selbstschutzes stärker extrinsisch motiviert.<br />

Bei Schülern mit bedrohtem Selbstwertgefühl können <strong>die</strong> angepassten und passiven<br />

Schüler gemeinsam betrachtet werden. Sie werden sich vermutlich langweilen oder irgendwie<br />

<strong>die</strong> Zeit vertreiben. Die Angepassten beteiligen sich zwar, aber wie <strong>die</strong> passiven<br />

Schüler versuchen sie kaum, Einfluss zu nehmen, sondern fügen sich. Kontrolle glauben<br />

sie in dem Sinne zu besitzen, als sie das Ergebnis beeinflussen können. Je empfindlicher<br />

sie gegen Bedrohungen ihres Selbstwerts sind, desto vorsichtiger handeln sie. Sie denken<br />

stets an <strong>die</strong> Folgen für sich, vergleichen sich stärker mit andern, grübeln über <strong>die</strong><br />

Situation usw., d.h. sie sind eher lageorientert. Ihre Motivation besteht darin, <strong>die</strong>se Lage<br />

zu verbessern bzw. zu überstehen, d.h. sie sind vor allem extrinsisch motiviert.<br />

Schüler, <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong> Einschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten rebellieren, sind in<br />

noch höherem Maß Impulsen, Erwartungen und den Nachwirkungen früherer Erfahrungen<br />

ausgesetzt. Aufgrund ihrer Angst vor Kontrollverlust neigen sie dazu, blind zu reagieren.<br />

Wenn sie dadurch ins Abseits geraten und <strong>auf</strong>grund fehlender Akzeptanz noch<br />

mehr an Sicherheit verlieren, können sie resignieren und bewusst falsche Lösungen für<br />

Aufgaben angeben, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ihr Handeln ist in hohem Maß<br />

extrinsisch, d.h. von <strong>auf</strong>gabenfremden Zielen motiviert.<br />

46


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Abb: Handlungsmuster von Schülern unter verschiedenen Bedingungen<br />

Die Fähigkeiten von Schülern mit bedrohtem Selbstwert werden häufig unterschätzt<br />

(sog. Underachiever), entweder weil sie zu inaktiv sind oder weil sie unangepasste und<br />

unbeliebte Störer sind. Das bedeutet, dass Schüler mit potentiell herausragenden Fähigkeiten<br />

nicht <strong>die</strong> Leistungen erbringen, <strong>die</strong> sie erbringen könnten. Sucht man nach den<br />

Ursachen, dann fallen zunächst <strong>die</strong> mangelnde schulische Initiative und <strong>die</strong> begrenzte<br />

Fähigkeit, Gefühle zu kontrollieren, ins Auge. Nun wird aber gerade durch den lehrergeleiteten<br />

Frontalunterricht eine verstärkte Ausprägung <strong>die</strong>ser Merkmale begünstigt. Weil<br />

dem Lehrer eine dominante Rolle zukommt und <strong>die</strong> Schüler mit Bewertungen rechnen,<br />

müssen sie vorsichtig sein und sich in günstigem Licht darzustellen suchen. Es ist<br />

schlecht, wenn einer das nicht kann. Jedenfalls wird von der Sache abgelenkt, so dass<br />

sachfremde Aspekte des Unterrichts <strong>die</strong> Aufmerksamkeit des Schülers mehr oder weniger<br />

in Anspruch nehmen.<br />

Ändert man <strong>die</strong> Unterrichtssituation in den entscheidenden Merkmalen – wobei solche<br />

Änderungen nicht nur vom Lehrer, sondern auch von den schulischen und schulpolitischen<br />

Rahmenbedingungen abhängen (vgl. LEHNER 1998) –, wird auch das Schülerverhalten<br />

in anderen Mustern verl<strong>auf</strong>en. In Montessori- und anderen reformpädagogischen<br />

oder davon beeinflussten Schulen wie der Bielefelder Laborschule oder der Bodensee-<br />

Schule in Friedrichshafen sind eher Unterrichtsbedingungen anzutreffen wie sie im Folgenden<br />

beschrieben werden. Hier können <strong>die</strong> Schüler vielfach aus einem Angebot von<br />

47


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Lernmaterial nach Neigung und Interesse wählen; ihre Leistung wird nicht mit der ihrer<br />

Mitschüler verglichen, es zählt nur, dass sie ihre Arbeit so gut wie möglich machen; sie<br />

haben Zeit und können Lehrer oder Mitschüler fragen, ohne nach ihren Fragen beurteilt<br />

zu werden; wichtig ist vor allem <strong>die</strong> Sache und das Bemühen um Verständnis.<br />

Unter solchen Bedingungen kann der Schüler durch eigene Aktivität einen positiven<br />

Selbstbezug herstellen sowie subjektiv bedeutsame Handlungspläne auswählen oder<br />

selbst erarbeiten und ausführen. Die Individualisierung ermöglicht es, Schülern mit unterschiedlichen<br />

Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen gerecht zu werden. Außergewöhnliche<br />

Schüler können vorpreschen, während schwächere sich langsam vorarbeiten.<br />

Auf <strong>die</strong>se Weise hat jeder Schüler innerhalb gewisser Grenzen <strong>die</strong> Kontrolle über<br />

Ziele und Vorgehensweisen, kann entscheiden, welche Hilfsmittel er verwenden will, ob<br />

und mit wem er zusammenarbeiten möchte usw. In einer solchen Situation wird vor allem<br />

<strong>die</strong> Sache interessant, d.h. <strong>die</strong> Schüler werden insgesamt eher intrinsisch motiviert<br />

sein oder sich in <strong>die</strong>ser Richtung entwickeln.<br />

<strong>Auswirkungen</strong> von Erwartungs- und Handlungsmustern<br />

Die von Unterrichtssituationen mit bestimmten Merkmalen ausgelösten Erwartungs- und<br />

Handlungsmuster wirken sich zunächst <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Art und Weise des Lernens aus. In der<br />

Literatur werden – teils unter anderen Namen – reproduzierendes und entdeckendes Lernen<br />

unterschieden (vgl. LEHNER 2000; 2001).<br />

Beim reproduzierenden Lernen versuchen Schüler Lehrstoff in ihre Wissensstrukturen<br />

zu integrieren, und zwar weitgehend unabhängig davon, wie gut sie den Stoff verstanden<br />

haben. Diese Lernhaltung tritt verstärkt <strong>auf</strong>, wenn der Selbstbezug schwach oder eher<br />

negativ ist und extrinsische Motivation überwiegt, z.B. wenn der Stoff wenig Interesse<br />

weckt, aber gelernt werden muss oder wenn befürchtet wird, eine anstehende Prüfung<br />

nicht zu bestehen. Im Extremfall lernen Schüler repetitiv, d.h. sie wiederholen für sie<br />

sinnlose Wortfolgen oder Formeln so lange, bis sie sie reproduzieren können. Selbst<br />

leistungsstarke Schüler werden sich bei begrenzten Handlungsmöglichkeiten nicht unbedingt<br />

intensiver mit den Gegenständen befassen als nötig, solange ihnen nur <strong>die</strong> gewünschte<br />

Note sicher ist. Als Folge entwickeln auch <strong>die</strong>se Schüler oft nur eng beschränkte<br />

und vage Handlungspläne, und <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit der Entstehung ausgeprägter<br />

Interessen bleibt gering.<br />

48


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Beim entdeckenden Lernen versucht der Schüler den Gegenstand durch Anwendung<br />

seines Wissens zu verstehen. Kommt er dabei zu Ergebnissen, <strong>die</strong> mit der Realität nicht<br />

übereinstimmen, muss er seine Vorstellungen ändern. Auf <strong>die</strong>se Weise kann er zunehmend<br />

adäquatere mentale Modelle von Gegenständen erwerben. Entdeckendes Lernen<br />

tritt eher <strong>auf</strong>, wenn ein enger und positiver Selbstbezug zum Lerninhalt besteht, wenn<br />

der Schüler Ziele und Vorgehensweisen (mit-)bestimmen kann und intrinsische Motivation<br />

überwiegt. Unter <strong>die</strong>sen Bedingungen will der Schüler vor allem <strong>die</strong> Zusammenhänge<br />

begreifen, seine Vorstellungen verbessern, bzw. wo Alltagstheorien zwar ungenau,<br />

aber in Grenzen gültig sind, alternative exaktere Auffassungen entwickeln. Bei der<br />

Auseinandersetzung mit subjektiv bedeutsamen Gegenständen achtet man verstärkt <strong>auf</strong><br />

Handlungsmöglichkeiten. Führen Schüler <strong>auf</strong>grund besonderer Neigung <strong>auf</strong> einem oder<br />

mehreren Gebieten eine Vielzahl von Handlungsplänen aus, nimmt <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit<br />

der Ausprägung von Interessen zu.<br />

Extrinsische und intrinsische Motivation beeinflussen nicht nur <strong>die</strong> Art des Lernens,<br />

sondern auch das Verhalten im Unterricht. Bei überwiegender extrinischer Motivation<br />

werden sich <strong>die</strong> Schüler im Wesentlichen soweit anstrengen, als sich <strong>die</strong>se Anstrengung<br />

für sie lohnt. D.h., dass <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong> Höhe ihrer Anstrengung im Hinblick <strong>auf</strong> ihre<br />

Ziele kalkulieren. Außerdem werden sie, wenn es ihnen zur Erreichung ihrer Ziele vorteilhaft<br />

erscheint, <strong>die</strong> im Unterricht geforderte Ordnung hinnehmen und sich daran halten.<br />

Ängstlichere Schüler passen sich stärker an oder reagieren hilflos, während andere,<br />

insbesondere bei Angst vor Kontrollverlust, sich eher reaktiv gegenüber der Einschränkung<br />

ihrer Selbstentfaltungsmöglichkeiten verhalten, d.h. stören, aggressiv werden usw.<br />

Parallel dazu regeln sich über Rückkopplungsschleifen Selbstwert und Anspruchsniveau.<br />

Unter Bedingungen, <strong>die</strong> eher extrinsische Motivation begünstigen, werden bei Erfolgen<br />

und Misserfolgen <strong>die</strong> eigenen Leistungen mit denen anderer verglichen. Man will wissen,<br />

wie das eigene Selbst bei <strong>die</strong>sem Vergleich wegkommt. Erfolg und Misserfolg werden<br />

dann vor allem mit guter oder schwacher Begabung in Verbindung gebracht, mit<br />

großer oder geringer Kompetenz usw. Für leistungsschwächere Schüler können bei der<br />

Regelung des Selbstwerts Illusionen eine bedeutsame Rolle spielen. Illusionen schützen<br />

zunächst das Selbstwertgefühl. Da sie jedoch inadäquate Anspruchsniveausetzungen<br />

begünstigen, tragen sie eher zur Vereitelung von Anstrengungen bei, weil <strong>die</strong> zu hoch<br />

gesteckten Ziele ja ohnehin unerreichbar sind. Dadurch verschlechtert sich <strong>die</strong> Lage <strong>die</strong>ser<br />

Schüler noch weiter.<br />

49


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Abb.: Rückkopplungsschleifen (*SelbstWert und AnspruchsNiveau)<br />

Unterrichtsbedingungen dagegen, <strong>die</strong> nicht den Vergleich der Schülerleistungen in den<br />

Vordergrund stellen, begünstigen <strong>die</strong> Entstehung von intrinsischer Motivation. Schüler,<br />

<strong>die</strong> weniger an Bewertungen, sondern vor allem am Gegenstand interessiert sind, werden<br />

eher zu hohen Anstrengungen bereit sein. Sie suchen aktiv von sich aus nach Ordnung,<br />

und wenn sie eine den Unterricht bereits bestimmende Ordnung als förderlich für ihre<br />

Tätigkeit erleben, wird auch <strong>die</strong> Bereitschaft relativ hoch sein, <strong>die</strong>se Ordnung zu akzeptieren.<br />

Bei intrinsischer Motivation wird ferner Erfolg und Misserfolg weniger <strong>auf</strong> <strong>die</strong> eigene<br />

Begabung, sondern stärker <strong>auf</strong> ausreichende oder nicht ausreichende Anstrengungen<br />

zurückgeführt. Auch Schüler, <strong>die</strong> lange brauchen, um eine Sache zu verstehen, können<br />

letztlich Erfolge erfahren und dadurch gelegentliche Misserfolge besser ertragen. Weil<br />

sie zur Aufrechterhaltung und Steigerung ihres Selbstwertgefühls keine Illusionen <strong>auf</strong>zubauen<br />

brauchen, lernen sie, sich realistisch einzuschätzen und angemessene Anspruchsniveaus<br />

zu wählen, was ihnen hilft, sich zunehmend zu verbessern.<br />

50


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Wie man sieht, kann man das entwickelte „Modell des Schülers“ verwenden, um zu erwartende<br />

Wirkungen schulischer und unterrichtlicher Maßnahmen zu beurteilen. Da es<br />

in der Praxis <strong>auf</strong>grund der Komplexität der Zusammenhänge jedoch nicht möglich ist,<br />

jede Situation hinsichtlich aller Möglichkeiten im Schülermodell durchzuspielen, ist es<br />

wünschenswert, aus dem Modell jene wenigen allgemeinen Merkmale abzuleiten, <strong>die</strong> für<br />

<strong>die</strong> Wirkungen des Unterrichts entscheidend sind. Dar<strong>auf</strong> wird im Folgenden kurz eingegangen.<br />

6. Didaktisch bedeutsame Merkmale des Unterrichts<br />

Im Folgenden werden jeweils zwei Merkmale einander gegenübergestellt, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> der<br />

einen Seite der subjektivistischen oder der Sicht von innen und <strong>auf</strong> der andern der objektivistischen<br />

oder der Sicht von außen entsprechen. Sie bilden gleichsam <strong>die</strong> Maschen des<br />

didaktischen Netzes, mit dem versucht wird, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Unterrichtswirkungen wesentlichen<br />

Bedingungen einzufangen.<br />

Freiheit und Ordnung vs. Führung<br />

Aufgrund ihres Bedürfnisses nach Selbstentfaltung streben Individuen nach Sicherheit<br />

und Selbständigkeit. Beides wird ermöglicht, wenn der Unterricht Freiheit für selbstbestimmtes<br />

Handeln gewährt und durch das Handeln der Schüler eine spontane Ordnung<br />

entsteht. Es ist aber genauso möglich, dass <strong>die</strong> Schüler eine bestimmte Ordnung vorfinden<br />

oder dass sie eine Ordnung vereinbaren. In jedem Fall sind Grenzen unabdingbar,<br />

um <strong>die</strong> Umgebung als regelhaft und zuverlässig zu erkennen und sich darin sinnvoll zu<br />

orientieren. Freiheit bedeutet ferner, dass den Schülern Vertrauen entgegengebracht<br />

wird. Solches Vertrauen kann das Zutrauen des Schülers stärken, über Ziele und Vorgehensweisen<br />

selbst zu entscheiden, und trägt damit zur Gewinnung von Selbstvertrauen<br />

bei, das eine Voraussetzung für selbständiges Handeln ist.<br />

Da das Merkmal „Freiheit und Ordnung“ sich an den inneren Gegebenheiten des Schülers<br />

orientiert, wird es auch als subjektivistisches Unterrichtsmerkmal bezeichnet, während<br />

Merkmale, <strong>die</strong> aus der Sicht von außen entstehen, objektivistisch genannt werden.<br />

Aus der Sicht von außen erscheint es als günstigste Vorgehensweise, wenn <strong>die</strong> Schüler<br />

mit Hilfe der Führung durch den Lehrer zu den im Lehrplan festgesetzten Zielen gelangen.<br />

Dabei lässt ein Unterricht, in dem der Lehrer bestimmt, was zu tun ist, weniger Gelegenheit<br />

für Selbständigkeit. Es handelt sich um eine Betonung des Ordnungsaspekts.<br />

51


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Die Schüler wissen zwar, womit sie zu rechnen haben, aber sie lernen kaum, eigene Orientierungen<br />

<strong>auf</strong>zubauen. Ihnen verbleibt dann nur eine gewisse Kontrolle über ihre eigene<br />

Anstrengung und eine gewisse Beeinflussung der Ergebnisse.<br />

Der Vollständigkeit halber sei noch <strong>die</strong> Möglichkeit erwähnt, dass sowohl Freiheits- als<br />

auch Ordnungsaspekt vernachlässigt werden. Unter solchen Umständen ist es den Schülern<br />

kaum möglich, Regelhaftigkeiten zu erkennen und Erwartungen <strong>auf</strong>zubauen. Freiheit<br />

ohne klare Grenzen für selbstbestimmtes Handeln führt zu Unberechenbarkeit und<br />

löst damit Angst vor Kontrollverlust aus. Unter derart starkem Stress sind Verhaltenssteuerung<br />

und Lernvorgänge erheblich beeinträchtigt.<br />

Freiheit und Ordnung einerseits und Führung andererseits sind keine absoluten Gegensätze.<br />

Vielmehr ist Freiheit und Ordnung mit Führung vereinbar, solange sie ein gewisses<br />

Maß nicht überschreitet.<br />

Abb.: Freiheit und Ordnung und andere „Führungs“stile<br />

Problemorientierung vs. Ergebnisorientierung<br />

Problemorientierung bedeutet, von Fragen der Schüler auszugehen, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> sie eine Antwort<br />

haben möchten. Aus der Sicht von innen entspricht <strong>die</strong>ses Vorgehen dem Bedürfnis<br />

nach Selbstentfaltung, da Fragen den Ausgangspunkt für Erweiterungen des Wissens<br />

und Könnens des Einzelnen bilden. Problemorientierung steht in engem Zusammenhang<br />

mit Lernen durch Entdeckung. Indem der Schüler selbständig Antworten <strong>auf</strong> Fragen<br />

sucht, setzt er sich sinnvoll mit den Dingen auseinander. Das ermöglicht es ihm, Pläne<br />

bzw. Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und auszuführen. In <strong>die</strong>sem Rahmen übt er<br />

<strong>die</strong> Kontrolle über Ziele und Vorgehensweisen aus. Voraussetzung ist eine zumindest<br />

teilweise Individualisierung des Unterrichts.<br />

52


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Aus der Sicht von außen ist vor allem der Lehrplan bestimmend. Unter <strong>die</strong>ser Voraussetzung<br />

wird unter Lernen im Wesentlichen <strong>die</strong> Aufnahme und Speicherung von Erkenntnissen<br />

verstanden. Ergebnisorientierter Unterricht richtet sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Übernahme<br />

von Lehrstoff. Aus der Sicht der Schüler bedeutet das, dass Wissen etwas ist, das von<br />

außen kommt und mit ihren eigenen Erfahrungen nicht viel zu tun hat. Die Kontrolle<br />

über den Inhalt und <strong>die</strong> Aufgaben liegt beim Lehrer, <strong>die</strong> Schüler haben aber <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

ihr Lernergebnis durch Fragen, verstärktes Üben usw. zu beeinflussen. Es ü-<br />

berwiegt reproduzierendes Lernen.<br />

Zwischen Problem- und Ergebnisorientierung gibt es Übergänge. Denn auch wenn <strong>die</strong><br />

Schüler Antworten <strong>auf</strong> von ihnen selbst gestellte oder aus ihrem Sinnhorizont sich ergebende<br />

Fragen suchen, wird man von ihnen erwarten, dass sie Lexikonartikel oder Aufsätze<br />

verwenden, <strong>die</strong> ergebnisorientiert gestaltet sind.<br />

Kooperation vs. Wettbewerb<br />

Die Bedingung der Kooperation kommt aus der Sicht von innen vor allem dem Bedürfnis<br />

nach Sicherheit durch Möglichkeiten sozialer Bindung und Zusammenarbeit entgegen.<br />

Während Freiheit und Ordnung in erster Linie dem Bedürfnis nach Selbständigkeit<br />

durch das Aufsuchen von herausfordernden Fragen, Aufgaben oder Problemen entspricht,<br />

kann Kooperation <strong>die</strong> dadurch entstehende Spannung durch Zusammenarbeit so<br />

gestalten helfen, dass <strong>die</strong> Aussicht <strong>auf</strong> Erfolg nicht zu niedrig wird und so das Gefühl<br />

der Kontrolle erhalten bleibt. Sofern <strong>die</strong> Zusammenarbeit durch das Bedürfnis nach Sicherheit<br />

im Umgang mit den eigenen Fragen oder Aufgaben reguliert wird, erfolgt sie<br />

aus einem inneren Antrieb. Die Regeln solcher Kooperation ergeben sich durch den gemeinsamen<br />

Umgang mit der Sache, sind intrinsisch motiviert, es braucht also keine Regelung<br />

von außen.<br />

Das Unterrichtsmerkmal des Wettbewerbs ergibt sich aus Anforderungen, <strong>die</strong> von außen<br />

an <strong>die</strong> Schüler gestellt werden. Die Aufgabe der Unterscheidung nach Leistung schafft<br />

eine Situation, bei der unter grundverschiedenen Ausgangsvoraussetzungen <strong>die</strong> Schüler<br />

zu Leistungen angespornt werden sollen, hinsichtlich derer sie anschließend miteinander<br />

verglichen werden. Wettbewerb drängt das Selbst (als Produkt) ins Bewusstsein, verstärkt<br />

Vergleichsprozesse und <strong>die</strong> Reflexion der eigenen Lage. Das Handeln der Schüler<br />

in einer solchen Situation ist extrinsisch motiviert.<br />

53


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Allerdings schließen Kooperationsbedingungen intrinsisch regulierten Wettbewerb nicht<br />

aus. Denn Wettbewerbe können dem Bedürfnis nach Selbständigkeit und Abenteuer<br />

entgegen kommen und <strong>die</strong> Schüler können aus einer erworbenen Stärke heraus lernen,<br />

sich Herausforderungen zu stellen, sich zu behaupten und mit unvermeidlichen Selbstwertbedrohungen<br />

konstruktiv umzugehen. Allerdings handelt es sich dabei um Wettbewerbe<br />

mit ähnlichen Voraussetzungen der Teilnehmer, und sie werden aus eigenem Antrieb<br />

gesucht. Es handelt sich dabei um einen spielerischen Umgang mit Selbstwertbedrohungen<br />

oder Risiken. Durch besondere Anstrengung besteht <strong>die</strong> Möglichkeit, zu gewinnen.<br />

Der verborgene Sinn besteht aber mehr im „Verlieren lernen“, im Erwerb einer<br />

emotionalen Stabilität, <strong>die</strong> das Verlieren verkraftet.<br />

7. Schulische Rahmenbedingungen – ihr Einfluss <strong>auf</strong><br />

Lehrer und Unterricht<br />

Unter schulischen Rahmenbedingungen sind jene institutionellen Bedingungen zu verstehen,<br />

<strong>die</strong> das Handeln von Lehrern leiten. Über ihre Ziele, ihre innere Organisation,<br />

<strong>die</strong> jeweilige Form der Leistungsbeurteilung usw. kanalisiert <strong>die</strong> Schule Wahrnehmung<br />

und Denken und beeinflusst so das Lehrerhandeln.<br />

Es sind zwei Grundkonzeptionen von Schule zu unterscheiden, deren Ursprünge in den<br />

beiden Auffassungs- oder Denkweisen zu sehen sind, <strong>die</strong> hier als Objektivismus (<strong>die</strong><br />

Sicht von außen) und Subjektivismus (Sicht von innen) bezeichnet werden. Beide können<br />

nur von den Gegebenheiten ausgehen, <strong>die</strong> sie aber unter verschiedenen Gesichtspunkten<br />

betrachten und interpretieren.<br />

Ziele und <strong>die</strong> dadurch bedingte Lehr-/Lernorganisation<br />

Die objektivistische Grundorientierung kommt meist in der Form von Lehrplänen oder<br />

Idealvorstellungen über den Schüler zum Ausdruck, <strong>die</strong> den Ausgangspunkt der Erziehung<br />

bilden. Es handelt sich also um eine Orientierung an Zielen, <strong>die</strong> von außen kommen.<br />

Diese Ziele sind im Wesentlichen das Programm der Schule. Die Realisierung des<br />

Lehrplans kann am sichersten durch eine zielerreichende Organisation gewährleistet<br />

werden. Bei größerer oder geringerer Freiheit kann der Lehrer das Programm in Schritte<br />

unterteilen und in einer vorgegebenen Menge von Stunden unterrichten. Es wird also <strong>die</strong><br />

Führung durch den Lehrer erwartet. Die Aufgabe der Wissensvermittlung unterstützt<br />

ferner <strong>die</strong> Ergebnisorientierung des Unterrichts. Da <strong>die</strong> Schüler der Klasse zumeist ge-<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

meinsam zum gleichen Ziel geführt werden sollen, überwiegt als Bezugspunkt <strong>die</strong> Gruppe.<br />

Bei subjektivistischer Grundorientierung müssen Lehrpläne und andere gesellschaftliche<br />

Anforderungen zwar auch beachtet werden, aber statt als Richtlinien des Unterrichts<br />

werden sie als Ziele und Handlungsmöglichkeiten des Schülers <strong>auf</strong>gefasst, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sem in<br />

Form von Alternativen und Vorschlägen angeboten werden und ihm helfen, seine Kultur<br />

kennen zu lernen und wichtige Fertigkeiten zu erwerben. Nicht <strong>die</strong> Ziele, sondern <strong>die</strong><br />

Schüler stehen im Vordergrund; man orientiert sich am Individuum. In <strong>die</strong>sem Fall<br />

braucht man ein Programm, das von den inneren Bedingungen des Schülers ausgeht und<br />

<strong>die</strong> freie Entfaltung seiner Möglichkeiten in den Grenzen einer normativen Kultur anstrebt.<br />

Im Zusammenhang <strong>die</strong>ses übergeordneten Ziels ist der Lehrplan als Mittel zu<br />

sehen und nicht als Zweck.<br />

Abb.: Vollständiges Unterrichtsmodell<br />

Unter <strong>die</strong>ser Voraussetzung, besteht <strong>die</strong> Aufgabe der Schule darin, mit Hilfe der im<br />

Lehrplan genannten Inhalte einen Rahmen von Lernmöglichkeiten zu schaffen, innerhalb<br />

dessen Gelegenheiten für selbständiges wie auch geleitetes Lernen bestehen. In<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

<strong>die</strong>sem Fall wird der Unterricht eher im Sinne von Freiheit und Ordnung organisiert<br />

sein, wobei dem Lehrer vor allem <strong>die</strong> Rolle des Beraters und Organisators zukommt,<br />

wobei sein Bezugspunkt eher der Einzelne ist.<br />

Die Organisation zur Sicherung von Leistung<br />

Prüfungsleistungen gelten als äußere Indikatoren für <strong>die</strong> nicht beobachtbare Leistungsfähigkeit.<br />

Wenn alle Schüler einer Klasse oder Lerngruppe den gleichen Stoff in derselben<br />

Weise durchgenommen haben, können Unterschiede in den Leistungen nur durch<br />

solche der Schüler entstanden sein. Je höher <strong>die</strong> Leistungen sind, desto eher wird erwartet,<br />

dass <strong>die</strong>ser Schüler auch später bessere Leistungen als andere erbringt. Das erfolgversprechendste<br />

Mittel zur Erzielung möglichst hoher Leistungen wird daher in der Selektion<br />

der leistungsfähigsten Schüler gesehen. Lässt der Selektionsdruck nach, wird in<br />

weiterführenden Schulen ein Sinken der Leistungen erwartet. In jedem Fall aber soll<br />

dort, wo <strong>die</strong> Selektion von Individuen mit besseren Leistungen als Hauptmittel zur Leistungssicherung<br />

gilt, der Wettbewerb um Noten <strong>die</strong> Schüler zu größeren Leistungen anstacheln.<br />

Das Problem ist jedoch, dass <strong>die</strong> Schüler nun einmal verschieden sind und der<br />

Wettbewerb für einige daher nur ungünstig ausgehen kann.<br />

Aus der Sicht von innen ist <strong>die</strong> Frage, wie man dem einzelnen Schüler helfen kann, sich<br />

im Einklang mit den eigenen inneren Bedingungen zu entwickeln und – auch wenn es<br />

nur in einem kleinen Bereich möglich sein sollte – möglichst hohe Leistungen zu erbringen.<br />

Diesem Zweck <strong>die</strong>nen insbesondere <strong>die</strong> Selektion der am besten geeigneten Maßnahmen<br />

sowie <strong>die</strong> Aussonderung aller ungeeigneten Methoden, Maßnahmen und Organisationsformen.<br />

Schulleitung<br />

Bei Vorherrschen der genannten objektivistischen Rahmenbedingungen (Orientierung an<br />

Anforderungen von außen usw.) wird <strong>die</strong> Aufgabe der Schulleitung eher darin gesehen,<br />

für <strong>die</strong> organisatorischen Voraussetzungen zur Erfüllung des Lehrplans und anderer<br />

schulischer Aufgaben zu sorgen sowie <strong>die</strong> Qualität der Aufgabenerfüllung zu gewährleisten.<br />

Allerdings ist häufig auch ein darüber hinausgehendes Engagement vorhanden.<br />

Anstöße zu Verbesserungen irgendwelcher Art werden meistens von der Schulleitung<br />

erwartet. Es wird also vor allem <strong>die</strong> Führungsfunktion der Schulleitung in einer hierarchischen<br />

Struktur betont.<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Bei Vorherrschen subjektivistischer Rahmenbedingungen, insbesondere aber einer verstärkten<br />

Orientierung am Schüler, nimmt <strong>die</strong> Komplexität der Aufgaben einer Schule<br />

erheblich zu. Dem über den Lehrplan hinausgehenden Programm kommt eine größere<br />

Bedeutung zu, wobei das Programm unter Partizipation von Lehrern, Schülern und Eltern<br />

(weiter)entwickelt oder den sich wandelnden Bedingungen ständig angepasst werden<br />

muss. Aber nicht nur <strong>die</strong> Erstellung oder Weiterentwicklung, auch <strong>die</strong> Verwirklichung<br />

eines solchen Programms erfordert eine verstärkte Kooperation.<br />

8. Unterrichtsumgebung und Lehrer-Schüler-<br />

Interaktion<br />

Besteht das Hauptziel der Schule in der lehrplangemäßen Wissensvermittlung, dann<br />

wird in der Regel der Lehrer den geforderten Stoff bzw. <strong>die</strong> geforderten Fertigkeiten<br />

einer Klasse oder Gruppe von Schülern beizubringen suchen. Die mit weitem Abstand<br />

am häufigsten anzutreffende Unterrichtsform ist dann der Frontalunterricht. Die jeweiligen<br />

Ziele sind für alle Schüler bestimmend, und meist erhalten <strong>die</strong> Schüler auch <strong>die</strong>selben<br />

Aufgaben. Dieser methodischen Standardisierung entspricht <strong>die</strong> monozentrische<br />

Ordnung des Unterrichts mit dem Lehrer als Lenkenden.<br />

In derartigen Unterrichtssituationen können Neigungen oder Interessen der Schüler nur<br />

begrenzt berücksichtigt werden. Der Selbstbezug der Gegenstände bleibt für <strong>die</strong> Schüler<br />

daher eher gering ebenso wie ihre Möglichkeiten, Kontrolle über <strong>die</strong> Unterrichtsprozesse<br />

auszuüben. Insgesamt wird daher eher extrinsische Motivation vorherrschend sein, wobei<br />

im Rahmen einer monozentrischen Ordnung wichtige Motive <strong>die</strong> Rangunterschiede<br />

betreffen. Auch wenn Auseinandersetzungen um den Rang eher unterschwellig stattfinden,<br />

erhöhen sie doch <strong>die</strong> Selbst<strong>auf</strong>merksamkeit und binden dadurch Verarbeitungskapazität.<br />

Mit den Rangkämpfen unter den Schülern geht in der Lehrer-Schüler-Interaktion<br />

bei durchsetzungsstarken „Führern“ deren Anerkennung einher, während „schwächere“<br />

Lehrer häufig mit Herausforderungen ihres Führungsanspruchs fertig werden müssen.<br />

Orientiert sich eine Schule an dem Ziel, <strong>die</strong> Entfaltung der individuellen Möglichkeiten<br />

eines jeden zu fördern und dafür geeignete Angebote zu machen, wird der Unterricht<br />

eine große, aber überschaubare Vielfalt von Zielen, Methoden, Materialien, Möglichkeiten<br />

sozialer Beziehungen usw. <strong>auf</strong>weisen. Weil <strong>die</strong> Schüler in <strong>die</strong>sem Fall weitgehend<br />

selbständig lernen, kann ihre Aktivität im Wesentlichen nur von Regeln geleitet sein, <strong>die</strong><br />

sie im Rahmen der allgemeinen Ordnung selber in der Tätigkeit als bedeutsam entde-<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

cken. Anweisungen des Lehrers können damit im Idealfall <strong>auf</strong> ein Minimum beschränkt<br />

sein und es entsteht eine polyzentrische Ordnung.<br />

In einer Umgebung mit polyzentrischer Ordnung übernimmt der Lehrer vorwiegend <strong>die</strong><br />

Rolle eines Beraters und Organisators. Sein Bezugspunkt ist eher der Einzelne als <strong>die</strong><br />

Gruppe. Wenn Wahlmöglichkeiten bestehen, und wenn <strong>die</strong> Arbeit des Schülers an seinem<br />

Gegenstand im Mittelpunkt steht, überwiegt <strong>die</strong> intrinsische Motivation. D.h., dass<br />

sowohl <strong>die</strong> Interaktionen zwischen Schülern als auch <strong>die</strong> Schüler-Lehrer-Interaktion in<br />

höherem Maß sachlich geprägt sein werden.<br />

9. Schulpolitische Bedingungen<br />

Die Organisation der Schule und damit <strong>die</strong> Arbeit der Schulleitung wie auch des Lehrers<br />

werden aber nicht nur von den schulischen, sondern auch und vielleicht in noch höherem<br />

Grad von den schulpolitischen Rahmenbedingungen beeinflusst. Das heißt nicht, dass<br />

<strong>die</strong> Schulen nur im Rahmen der gegebenen schulpolitischen Bedingungen handeln könnten.<br />

Denn auch wenn Schulen sicher nicht beliebige Entscheidungen treffen dürfen,<br />

könnten sie doch ihre Spielräume erweitern. Das zeigen deutlich genug einzelne Schulen<br />

wie <strong>die</strong> Helene-Lange-Schule in Wiesbaden. Aber es erfordert neben Ideen alternativer<br />

Schulgestaltung für unsere Verhältnisse außergewöhnlichen Mut und vor allem Engagement.<br />

Das kann man nicht erwarten und noch weniger kann man so etwas einfordern.<br />

Deshalb kommt es dar<strong>auf</strong> an, dass wir <strong>die</strong> schulpolitischen Bedingungen und ihre Wirkungen<br />

kennen und mögliche Alternativen dazu entwerfen.<br />

Zentrale Lenkung vs. Autonomie<br />

Objektivistisches Denken zeichnet sich <strong>auf</strong> schulpolitischer Ebene durch <strong>die</strong> Überzeugung<br />

aus, das Schulsystem als Ganzes zielbewusst lenken und fortentwickeln zu können<br />

oder zu müssen. Die Konsequenz ist eine zentrale Verwaltung, <strong>die</strong> alle wesentlichen<br />

Entscheidungen trifft. Dadurch wird <strong>die</strong> Zahl der Versuche stark eingeengt, <strong>auf</strong> verschiedene<br />

Auffassungen gegründete Arten von Schule und Unterricht und entsprechende<br />

Methoden zu realisieren und schrittweise zu verbessern.<br />

Wenn Lehrer sich nach vorliegenden Befunden für <strong>die</strong> Entwicklung der Organisation<br />

ihrer Schule „nicht zuständig“ fühlen und für Zusammenarbeit mit Kollegen kaum Anlass<br />

sehen, dürfte das nicht zuletzt an <strong>die</strong>sem Mangel an Gestaltungsmöglichkeiten lie-<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

gen. Es ist wohl kein Wunder, wenn sie sich stattdessen lieber <strong>auf</strong> den eigenen Unterricht<br />

konzentrieren, der ihnen mehr Handlungsmacht bietet (ECKERLE / KRAAK 1993,<br />

148 ff.). Zentrale Lenkung lässt nur eine begrenzte Nutzung der Kompetenzen von Lehrern<br />

zu und dämpft ihre Bereitschaft, sich zu engagieren.<br />

Wird der einzelnen Schule dagegen Autonomie gewährt, können Lehrer und Schüler,<br />

Eltern und hinzugezogene Berater ihre Auffassungen, Erfahrungen und Kenntnisse zur<br />

Gestaltung von Schule und Unterricht einbringen.<br />

Abb.: Schulpolitische Rahmenbedingungen und ihre Folgen<br />

Autonomie bedeutet <strong>die</strong> freie Erfüllung von Aufgaben in einem Rahmen von Grundpflichten,<br />

der Spielräume für selbst zu verantwortendes Gestalten schafft. Durch eine<br />

Rechenschaftspflicht gegenüber Schulträger, Schülern, Eltern lässt sich willkürliches<br />

bzw. nicht zu begründendes Handeln einschränken. Wenn z.B. ein Grundkanon an Lehrinhalten<br />

und Zielen vorgegeben ist, kann <strong>die</strong> Schule selbst über <strong>die</strong> programmatischen<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Schwerpunkte des Unterrichts, <strong>die</strong> Lehrmethoden, <strong>die</strong> Schulorganisation, <strong>die</strong> Verwendung<br />

der finanziellen Mittel und vieles andere selbständig entscheiden.<br />

Ob man <strong>die</strong> Grenzen weiter oder enger zieht, hängt vor allem davon ab, welche Unterschiede<br />

zwischen Schulen man tolerieren möchte. Denn größere Spielräume werden<br />

auch größere Unterschiede zur Folge haben. Je nach sozialem Umfeld könnte es dann<br />

deutlich besser und schlechter ausgestattete Schulen geben. Denn Freiräume können<br />

verschieden genutzt und auch ausgenutzt werden. Es ist deshalb auch nicht zu erwarten,<br />

dass alle autonomen Schulen eine verstärkte Orientierung am Individuum favorisieren.<br />

Ein anderes Problem ist der Übergang von abhängigen Schulen in <strong>die</strong> Autonomie, der<br />

von den Betroffenen nicht immer positiv <strong>auf</strong>genommen werden muss. Denn neue Spielräume<br />

und Anforderungen können wegen der nicht abzuschätzenden Folgen Angst und<br />

Ablehnung hervorrufen. Gestufte Übergänge unter Begleitung von Beratern können hier<br />

zur Entlastung beitragen 42 .<br />

Isolierung vs. Öffentlichkeit<br />

Autonomie kann ebenso wie ein zentral gelenktes Schulsystem zu Einseitigkeiten führen.<br />

Solange Schulen oder ein Schulsystem ganz oder partiell gegen öffentliche Kritik<br />

abgeschirmt sind, entstehen kaum Anreize zur Korrektur. Abschirmung vor öffentlicher<br />

Kritik entsteht vor allem durch ideologische oder weltanschauliche Isolierung. So können<br />

sich <strong>auf</strong>grund gemeinsamer religiöser oder anderer Anschauungen der Lehrer- und<br />

Elternschaft schulische Inseln bilden, <strong>die</strong> sich „einigeln“ und gegen Kritik immunisieren.<br />

So beklagt etwa SKIERA (1982, 107) einen gewissen Isolationismus an autonomen niederländischen<br />

Schulen.<br />

Die Abschirmung vor öffentlicher Kritik kann sich auch <strong>auf</strong> ein einzelnes Prinzip oder<br />

Merkmal beziehen. Ein Beispiel dafür ist das Leistungsprinzip (vgl. FEND u.a. 1976, 173<br />

ff.), das im Selbstverständnis der Schule und breiter gesellschaftlicher Schichten von<br />

zentraler Bedeutung ist. Durch eine einseitige Auffassung von Leistung wird das Missverständnis<br />

begünstigt, alternative Formen des Unterrichts müssten notwendig zu einer<br />

Vernachlässigung des Leistungsaspekts ten<strong>die</strong>ren. Sofern Leistung nämlich mit lehrplanmäßigem<br />

Unterricht und nachfolgendem sozialem Leistungsvergleich gleichgesetzt<br />

wird, müssen nicht wettbewerbsorientierte Formen der Forderung und Förderung von<br />

42<br />

Zu Problemen und Möglichkeiten der Autonomie vgl. DASCHNER / ROLFF/ STRYK 1995.<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Leistungen, der Leistungserbringung und Leistungsbeurteilung als nonkonform hinsichtlich<br />

des einseitig gedeuteten Leistungsprinzips erscheinen.<br />

Isolation und ideologische Abschirmung ließen sich begrenzen, wenn Schulen beispielsweise<br />

dazu verpflichtet wären, sich in einem gewissen Ausmaß und zum Zweck<br />

des Vergleichs der Untersuchung zu öffnen und in gewissen Abständen Berichte über ihr<br />

Programm und ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit vorzulegen. Bei vergleichenden Untersuchungen<br />

ist zu beachten, dass für eine umfassende Beurteilung der Leistungen von<br />

Schulen eine Vielzahl von Vergleichskriterien einbezogen und <strong>die</strong> Ziele der jeweiligen<br />

Schule berücksichtigt werden sollten 43 . Neben den Schülerleistungen können <strong>die</strong> Wirkungen<br />

der jeweiligen Schule <strong>auf</strong> das Selbstwertgefühl oder Selbstbild ihrer Schüler<br />

untersucht werden, <strong>auf</strong> den Grad ihrer Aggressivität, <strong>auf</strong> ihre Orientierungsschwierigkeiten<br />

bzw. ihre Verhaltenssicherheit nach dem Wechsel zu anderen <strong>Institution</strong>en, ihre Kreativität,<br />

Durchsetzungskraft, Teamgeist und Problemlösefähigkeit, ihre Beurteilungen<br />

durch Arbeitgeber, ihren Berufs- und Stu<strong>die</strong>nerfolg, ihre emotionale Stabilität und Gesundheit<br />

usw.<br />

Während Autonomie ein schulpolitisches Mittel ist, um <strong>die</strong> Kräfte und das Wissen von<br />

einzelnen und Gruppen auszuschöpfen, ist Öffentlichkeit ein Mittel, um Informationen<br />

über unterschiedliche schulische Problemlösungen und deren Folgen für Diskussionen<br />

und Beurteilungen aller an schulischer Bildung Interessierter bereitzustellen. In den dadurch<br />

in Gang gesetzten Prozessen könnten jene Kenntnisse und Verfahren entdeckt und<br />

erprobt werden, <strong>die</strong> man zur Verbesserung von Schulen braucht.<br />

10. Gesellschaftliche Bedingungen und Einflüsse<br />

Die Auffassung, <strong>die</strong> Schule sei so, wie <strong>die</strong> Politiker sie haben wollen, trifft so einfach<br />

sicher nicht zu. Denn <strong>die</strong> Politiker richten sich ihrerseits nach dem, was aus ihrer Sicht<br />

als gesellschaftlich erwünscht und erforderlich gilt. Dabei werden in der Regel <strong>die</strong> Meinungen<br />

beachtet, <strong>die</strong> von so genannten Meinungsführern, also beispielsweise von den<br />

Vorsitzenden einflussreicher Verbände, geäußert werden. Es wird so getan, als würden<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise <strong>die</strong> Meinungen oder Erwartungen einer großen Zahl von Menschen oder<br />

Gruppen berücksichtigt. Tatsächlich aber sind es völlig anonyme Gruppen; niemand<br />

kennt <strong>die</strong> Menschen, <strong>die</strong> angeblich <strong>die</strong>se Erwartungen an <strong>die</strong> Schulen haben.<br />

43<br />

Zur Problematik der Untersuchung von Schuleffektivität vgl. Madaus/ Airasian/ Kellaghan<br />

1980.<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Die Macht anonymer Erwartungen<br />

In gewisser Weise unterliegen wir alle der Massensuggestion, Schulen hätten so zu sein,<br />

wie sie eben sind, mit Lehrplänen oder Bildungsstandards, <strong>die</strong> vorschreiben, was <strong>die</strong><br />

Kinder und Jugendlichen lernen und können sollen. Wir lassen uns suggerieren, es sei<br />

notwendig so, dass Schulen im Dreiviertel-Stunden-Takt Teile lehrplanmäßig festgelegte<br />

Inhalte vermitteln, dass Schüler im Hinblick dar<strong>auf</strong>, wie gut sie den vermittelten Stoff<br />

wiedergeben oder <strong>auf</strong> Prüfungs<strong>auf</strong>gaben anwenden können, beurteilt und nach einer<br />

Skala von Eins bis Sechs in Ränge sortiert werden. Wir sind so hypnotisiert davon, dass<br />

uns davon abweichende Auffassungen sinnlos, unrealistisch und gegen alle Vernunft<br />

gerichtet vorkommen. Unbedacht und unbewusst treffen wir damit ständig Entscheidungen<br />

darüber, wie über Schulen zu denken ist, wie Schulen richtig sind, was Schulen tun<br />

sollen. Unbedacht und unbewusst stimmen wir dem Geschehen in Schulen zu und bestätigen<br />

das, was geschieht als sinnvolle und richtige Handlungsweisen.<br />

Desgleichen sind <strong>die</strong> meisten Lehrer und <strong>die</strong> Schulleitungen von dem Glauben durchdrungen,<br />

es gäbe für sie gar keine andere Wahl als <strong>die</strong> Lehrpläne bzw. <strong>die</strong> Bildungsstandards<br />

möglichst buchstabengetreu zu befolgen, <strong>die</strong> Stundenpläne in Fetzen von 45 Minuten<br />

zu gestalten, Bewertungen der Schüler nach der Notenskala vorzunehmen, und überhaupt<br />

entsprechend aller bürokratischen Vorgaben zu handeln. Diese Vorgaben umfassen<br />

etwa <strong>die</strong> Bedingungen des Vorrückens von Klassenstufe zu Klassenstufe, das Überspringen<br />

von Klassen und <strong>die</strong> Bedingungen der Schulentlassung. Die Schulen halten sich<br />

in aller Regel an <strong>die</strong> amtlich vorgeschriebenen Klassenfrequenzen ohne nach persönlichen<br />

und situativen Gegebenheiten zu fragen und sie nehmen <strong>die</strong> ständige Aufsichtspflicht<br />

des Lehrers und <strong>die</strong> ständige Lenkung des Schülerverhaltens willig hin – vermutlich<br />

wird Schülern auch heute noch nur einmal in der Unterrichtsstunde für wenige Minuten<br />

gestattet, eigenständig und ohne Lehrereingriffe zu arbeiten (vgl. Fürstenau 1969).<br />

Die bürokratisch-organisatorischen Rahmenbedingungen der Schule und vor allem der<br />

Glaube der Lehrer und Schulleitungen, <strong>die</strong>se Bedingungen dürften nicht umgangen werden,<br />

üben jedenfalls einen enormen prägenden Einfluss aus und bilden den „heimlichen<br />

Lehrplan“ der Schule (Zinnecker 1975).<br />

Aufgrund <strong>die</strong>ses heimlichen Lehrplans – oder besser, <strong>die</strong>ser Erwartungen – übernehmen<br />

<strong>die</strong> Schüler nun ihrerseits <strong>die</strong>se Erwartungen. Sie lernen, wann es ihnen erlaubt ist zu<br />

sprechen, zu wem sie sprechen dürfen, wann sie <strong>auf</strong>stehen oder sich setzen dürfen, dass<br />

sie lernen müssen, was der Lehrer als geltendes Wissen darstellt, dass sie Prüfungen<br />

machen und bestehen müssen und dabei möglichst zeigen sollten, dass sie besser sind als<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

andere Klassenkameraden. Sie lernen, dass es langfristig sehr vorteilhaft ist, sich anzupassen,<br />

auch wenn man dann mit Langeweile zu kämpfen hat und <strong>die</strong> ständige Gängelung<br />

durch <strong>die</strong> Lehrer aushalten muss (vgl. Jackson 1968). All <strong>die</strong> Erwartungen, <strong>die</strong> an<br />

sie gestellt werden, geben sie weiter. Wenn ich Lehramtsstudenten mit alternativen<br />

Schulmodellen bekannt mache, sind <strong>die</strong> meisten <strong>die</strong>ser jungen Leute offensichtlich verwirrt,<br />

dass so etwas möglich sein soll. Haben sie ein so genanntes Praxissemester in der<br />

Schule hinter sich, erscheinen nicht wenigen <strong>die</strong>se Vorstellungen schlicht und einfach<br />

undurchführbar. So stärkt durch <strong>die</strong> Akzeptanz all <strong>die</strong>ser anonymen Erwartungen jeder<br />

von uns das bestehende Schulsystem.<br />

Abb. 8: Gesellschaftliche Erwartungen in ihrer Wirkung <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Schule<br />

Auch <strong>die</strong> Eltern, bei denen <strong>die</strong> Schulzeit oft gar nicht so weit zurück liegt, haben <strong>die</strong><br />

Palette der Erwartungen ebenfalls internalisiert und machen das Spiel in aller Regel brav<br />

mit. Dabei haben alle, <strong>die</strong> Lehrer, <strong>die</strong> Schulleiter, <strong>die</strong> Schüler, <strong>die</strong> Lehramtsstudenten<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

und Eltern häufig Widerstände gegen <strong>die</strong>sen scheinbar unvermeidlichen L<strong>auf</strong> der Dinge.<br />

Denn unser Gefühl sagt uns durchaus, dass es nicht richtig und auch nicht gut sein kann,<br />

wenn Kinder und Jugendliche in der Schule unnötig leiden, wenn sie – wie es nahezu<br />

unweigerlich geschieht –, in ihrem Selbstwert verletzt werden, wenn <strong>die</strong> Schule <strong>die</strong> ursprüngliche<br />

Lernlust fast ausnahmslos tötet und <strong>die</strong> Kinder und Jugendlichen letztlich<br />

sich selbst verlieren. Die Frage drängt sich <strong>auf</strong>, ob es wirklich keine Möglichkeit gibt,<br />

<strong>die</strong>se Situation zu ändern.<br />

Entwicklung durch klar bestimmte Erwartungen<br />

Da es Schulen gibt – insbesondere solche in nicht-staatlicher Trägerschaft –, in denen<br />

<strong>die</strong> Lernfreude der Schüler nicht nur erhalten, sondern noch gestärkt wird, in denen Leistungsbewertungen<br />

nicht zur Tagesordnung zählen und Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam<br />

Schule und Unterricht und Schulleben gestalten, können <strong>die</strong> oben beschriebenen<br />

anonymen gesellschaftlichen Erwartungen und <strong>die</strong> von ihnen ausgelösten Zirkel<br />

jedenfalls nicht allmächtig sein. Der Unterschied: hier wirken nicht anonyme Erwartungen,<br />

sondern <strong>die</strong> Beteiligten wissen genau was sie erwarten und wollen. Gegen <strong>die</strong><br />

Macht anonymer Erwartungen erstreiten sie neue und bessere Formen von Schule.<br />

Einzelne Lehrer haben es geschafft, ihre Klassen in ganz normalen staatlichen Schulen –<br />

wenn auch mit Unterstützung <strong>auf</strong>geschlossener Schulleiter – <strong>auf</strong> eine Weise lernen und<br />

arbeiten zu lassen, dass <strong>die</strong> Kinder nicht einen einzigen Schultag fehlen wollten, sich <strong>auf</strong><br />

jeden Tag freuten. Sie haben Kindern Verantwortung übertragen und Freiheiten ermöglicht,<br />

wie vielleicht <strong>die</strong> meisten Erwachsenen sie nicht haben (neuere Beispiele dafür:<br />

Peschel 2003; Czisch 2004). Und <strong>die</strong> Kinder konnten damit umgehen. Trotz eher ungünstiger<br />

Eingangsvoraussetzungen waren beispielsweise <strong>die</strong> Leistungen der Kinder in<br />

Falko Peschels Klasse überdurchschnittlich gut. Selbst Kinder, <strong>die</strong> als Fälle für <strong>die</strong> Schule<br />

für Erziehungshilfe oder Lernbehinderten-Einrichtungen galten, schnitten wider Erwarten<br />

gut ab. Selbstbestimmt und interessenorientiert zu lernen, hat <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Kinder offenbar<br />

eine gesundende „normalisierende“ Wirkung. Auch den Übergang <strong>auf</strong> weiterführende<br />

Schulen schafften <strong>die</strong> Kinder problemlos (vgl. Peschel 2003, Teil II).<br />

Tatsächlich gibt es nahezu in allen Ecken Deutschlands Schulen, <strong>die</strong> sich den anonymen<br />

Erwartungen nicht anpassen und gegen den Strom schwimmen. Darunter sind auch staatliche<br />

Schulen wie <strong>die</strong> Helene-Lange-Schule in Wiesbaden (Riegel 2004; ein lebensnahes<br />

Bild solcher Schulen geben Reinhard Kahls <strong>Dokument</strong>arfilme, z.B. Kahl 2004).<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Eltern, <strong>die</strong> solchen Schulen, ihren Lehrern und Schulleitern den Rücken stärken oder <strong>die</strong><br />

von sich aus <strong>die</strong> Schulen in <strong>die</strong> Reform drängen, tragen zu neuen Verhältnissen in den<br />

Schulen bei. Denn offenbar lassen sich <strong>die</strong> so festgefügten Regelungen der Ministerien<br />

doch <strong>auf</strong>weichen, wenn selbstbewusste Eltern, Lehrer und Schüler nicht <strong>auf</strong>geben, sich<br />

nicht ins Bockshorn jagen lassen und <strong>auf</strong> besseren Schulen beharren und für eine bessere<br />

und lebenswertere Zukunft der Schule kämpfen.<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Teil III<br />

Beiträge zur Psychologie des Schülers<br />

11. Entwicklung von innen oder von außen<br />

Entscheidend für unser Bild des Menschen ist, ob man ihn eher als passives Wesen betrachtet,<br />

als Empfänger von Wissen und als Imitator von Fertigkeiten. In <strong>die</strong>sem Fall<br />

müsse <strong>die</strong> Entwicklung im Wesentlichen durch Reize von außen her gesteuert sein. Nach<br />

der anderen Auffassung ist das Individuum von Anfang an ein aktives Wesen, das ein<br />

umfassendes Potenzial in sich trägt und bestrebt ist, es durch Interaktion mit seiner Umgebung<br />

zu entfalten.<br />

Derartige Vorstellungen von der Entwicklung des Menschen sind von grundlegender<br />

Bedeutung auch für Erziehung und Schule. Denn wenn der Schüler als passives Wesen<br />

gilt, das erst durch allmähliche Entwicklung zu einer handelnden und denkenden Person<br />

wird, <strong>die</strong> erst mit der Zeit ihr Verhalten selber leiten kann, dann erscheint es nahe liegend,<br />

dass <strong>die</strong> Schule den Einzelnen entsprechend seiner Anpassungsfähigkeit im Hinblick<br />

<strong>auf</strong> gesellschaftliche Anforderungen und kulturelle Ideale zu formen sucht. Das ist<br />

<strong>die</strong> vorherrschende Auffassung, <strong>die</strong> unser Schulen und vielfach auch <strong>die</strong> Erziehung im<br />

Elternhaus prägt.<br />

Dem steht <strong>die</strong> von der heutigen Entwicklungspsychologie vertretene Auffassung gegenüber,<br />

dass das Individuum von vornherein in der Lage ist, selbständig zu agieren und<br />

seine Anlagen im Rahmen seiner jeweiligen Umwelt zu entfalten. Erziehung kann in<br />

<strong>die</strong>sem Fall <strong>auf</strong>gefasst werden als Hilfe und Anregung bei der Entwicklung der individuellen<br />

Möglichkeiten. Eine inhaltliche Bestimmung <strong>die</strong>ser Möglichkeiten und ihrer<br />

Einschränkungen ergeben sich durch <strong>die</strong> jeweilige normative Kultur mit ihren Angeboten<br />

und Grenzen. Sehen wir uns <strong>die</strong>se beiden Theorien etwas genauer an.<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Die These des anfänglich „leeren“ Geistes<br />

Wie beginnt <strong>die</strong> Entwicklung Ist es nicht so, dass wir anfangs erst einmal alles lernen<br />

müssen Wenn ein Kind <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Welt kommt, dann sehen wir in ihm einen Menschen<br />

mit einem funktionierenden Organismus. Aber geistig und von seinen Einstellungen und<br />

Gewohnheiten her ist es in unserer Vorstellung noch leer. Sein Selbst ist sozusagen erst<br />

im Entstehen. Das Kind muss zwar eine ausgeprägte Lernfähigkeit besitzen, aber es<br />

scheint kaum ausgeprägte Möglichkeiten zu haben, um seine Sinneswahrnehmungen zu<br />

deuten und etwas damit anzufangen. Wie könnte es denn den Tisch im Wohnzimmer,<br />

<strong>die</strong> Stühle und Sessel und den Fernseher schon in unserem Sinn verstehen<br />

Wir nehmen nun freilich nicht an, der Verstand sei vollkommen leer. Vielmehr gehen<br />

wir von angeborenen Dispositionen und Reflexen aus, sie sich allmählich differenzieren.<br />

Aufgrund der bahnbrechenden Arbeiten PIAGETs verbreitete sich <strong>die</strong> Überzeugung, das<br />

Neugeborene sei ein rein sensomotorischer Organismus. Danach kann das Kind durch<br />

sensorische und motorische Erfahrungen jene Schemata erwerben, mit deren Hilfe es<br />

seine Handlungen allmählich zu koordinieren, <strong>die</strong> Gegenstände seiner Umwelt zu unterscheiden<br />

und zu klassifizieren vermag. Beim Umgehen mit Gegenständen nimmt es <strong>die</strong><br />

durch seine Operationen hervorgerufenen Veränderungen wahr, und indem es sich <strong>die</strong>se<br />

Operationen und ihre Folgen zunehmend auch geistig vorzustellen versucht, entwickelt<br />

sich das Denken, das anfangs im werdenden Individuum noch nicht zu existieren schien.<br />

So fühlt es, dass <strong>die</strong> Beine des Tisches und der Stühle kantig sind, es erfährt, dass der<br />

Tisch höher ist als <strong>die</strong> Stühle. Wenn es Spielklötze mit Händen, Mund und Augen erforscht,<br />

erkennt es ihre Form. Das Runde fühlt sich anders an als das Eckige, das Weiche<br />

anders als das Harte usw. Indem das Kind zunehmend <strong>die</strong> handelnd an konkreten Dingen<br />

vorgenommenen Operationen auch in der Vorstellung, d.h. gedanklich als interne Repräsentation<br />

vollziehen kann, bildet sich das Denken heraus (z.B. PIAGET 1971; AEBLI<br />

1975). Es unterscheidet dann gedanklich das Runde vom Eckigen, das Weiche vom Harten,<br />

selbst wenn es noch nicht über <strong>die</strong> Sprache verfügt. Daraus folgt, dass das Kind nur<br />

eine fragmentarische Vorstellung der Dinge haben kann. Seine Auffassungen von der<br />

Wirklichkeit müssen danach unangemessen sein, da sie aus beschränkten sinnlichen und<br />

motorischen Erfahrungen erwachsen.<br />

Diese Theorie ist dadurch charakterisiert, dass sich <strong>die</strong> „psychischen Funktionen von der<br />

Peripherie nach innen entfalten: Wahrnehmung und Handeln entwickeln sich <strong>auf</strong> der<br />

Grundlage sensorischer und motorischer Erfahrung, und Denken entwickelt sich <strong>auf</strong> der<br />

Basis von Wahrnehmung und Handeln“ (SPELKE u.a. 1992, 605, meine Übers.). Danach<br />

67


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

gehen Wahrnehmung und Denken also vom Konkreten oder Besonderen aus. Diese Dinge<br />

vergleicht das Kind; es stellt Ähnlichkeiten fest und <strong>auf</strong>grund <strong>die</strong>ser Ähnlichkeiten<br />

konstruiert es zunehmend abstraktere Schemata oder Regeln, <strong>die</strong> ihm <strong>die</strong> Bildung von<br />

Klassen, dadurch ein immer umfassenderes und letztlich auch immer adäquateres Verständnis<br />

der Welt ermöglichen.<br />

Die Annahme der Entwicklung des Wissens und Denkens vom Konkreten und von der<br />

Peripherie her steht in der Tradition des Sensualismus und Empirismus. Weil in unserem<br />

bewussten Erleben <strong>die</strong> konkreten Einzelheiten einen bedeutenden Platz einnehmen, erscheint<br />

es uns nahe liegend, dass wir erst durch Aufnahme von Informationen über <strong>die</strong><br />

Sinnesorgane etwas über <strong>die</strong> Welt erfahren können. Wir stellen uns vor, dass das Individuum<br />

mithilfe seiner außergewöhnlichen Lernfähigkeit <strong>auf</strong> der Grundlage einiger Reflexe<br />

oder primitiver Schemata <strong>die</strong>ses Werk beginnt. Der Verstand ist danach also zunächst<br />

mehr oder weniger leer. Beinahe alles, was wir wissen und können, lernen wir durch<br />

Erfahrungen, <strong>die</strong> wir durch <strong>die</strong> Sinne <strong>auf</strong>nehmen.<br />

Diese Auffassung spielt in pädagogischen Theorien eine zentrale Rolle. Aber <strong>die</strong> Annahme,<br />

dass von der Erfahrung konkreter Elemente allmählich abstrahiert und dadurch<br />

das Denken in allgemeinen Begriffen möglich werde, ist in logischer Hinsicht problematisch.<br />

Einwände gegen <strong>die</strong> Theorie des „leeren“ Geistes<br />

Eine der Schwierigkeiten ist, wie konkrete Objekte bei wiederholten Darbietungen als<br />

<strong>die</strong>selben erkannt werden können, wobei das Erkennen von Ähnlichkeiten zwischen<br />

verschiedenen Objekten einen Spezialfall <strong>die</strong>ser Frage darstellt. Die Wiedererkennung<br />

eines Objekts ist nur <strong>auf</strong> den ersten Blick eine einfache Sache. Denn je nach Entfernung,<br />

Lage, Lichteinwirkung usw. treffen immer andere Bilder <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Netzhäute <strong>auf</strong>. Angenommen,<br />

es wird bei der ersten Darbietung ein geistiges Schema des Kubus <strong>auf</strong>gebaut,<br />

dann dürfte <strong>die</strong>ses Schema nur im Ausnahmefall genau mit den weiteren Darbietungen<br />

irgendwelcher Würfel und anderer Kuben übereinstimmen. Es müssen also ständig Anpassungen<br />

vorgenommen werden, <strong>die</strong> ihrerseits jedoch allgemeine Gesichtspunkte wie<br />

Größe, Farbe, Form, Lage usw. voraussetzen.<br />

Damit stellt sich <strong>die</strong> Frage, wie zwei gleiche oder gleichartige Objekte als Elemente einer<br />

Klasse erfasst werden können. Dinge ähneln sich unter bestimmten Gesichtspunkten,<br />

nicht aber „an sich“. Sie können hinsichtlich ihrer Farbe, Form und anderen Merkmalen<br />

68


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

gleich sein, sich aber in anderen unterscheiden. Bedenkt man <strong>die</strong> Vielfalt von Bildern,<br />

<strong>die</strong> beispielsweise durch Drehen, Kippen, Spiegeln eines Gegenstandes hervorgerufen<br />

werden, wird <strong>die</strong> Komplexität der Wiedererkennung deutlich. Offenbar müssen abstrakte<br />

Gesichtspunkte, <strong>die</strong> zur Bestimmung von Ähnlichkeiten zwischen den Bildern erforderlich<br />

sind, schon vorausgesetzt werden (vgl. POPPER 1973, S. 77 ff.; !971, S. 374 ff.; V<br />

HAYEK 1952). Wenn wir solche Ähnlichkeiten mühelos erkennen, so deshalb, weil in <strong>die</strong><br />

Sinnesorgane „antizipierende Theorien genetisch eingebaut“ sind (POPPER 1973, S. 86;<br />

kursiv im Original). Die Annahme solcher antizipierender, also abstrakter Theorien und<br />

damit des „Primats des Abstrakten“ klingt paradox, da danach etwas Konkretes vorausgesetzt<br />

wird, von dem erst zu abstrahieren ist. Möglicherweise hat <strong>die</strong>se sprachliche<br />

Schranke <strong>die</strong> Entstehung der Auffassung behindert, dass <strong>die</strong> Erfahrung des Konkreten<br />

nicht das Primäre sein kann (v. Hayek 1970, 300 ff).<br />

Grundsätzlich jedoch muss man sich fragen, wie ein „leerer“ Geist überhaupt eine Persönlichkeit<br />

erzeugen soll. Auch wenn <strong>die</strong>ser einige anfängliche Operationen ausführen<br />

kann, bleibt doch das Grundproblem, wie aus einem einfach strukturierten Geist komplexes<br />

Denken entsteht, wie ein Mensch ohne Persönlichkeit eine solche entwickeln<br />

kann usw. Diese Frage ist vor allem durch <strong>die</strong> Debatte zwischen Piaget und Chomsky<br />

<strong>auf</strong>geworfen worden (vgl. Piatelli-Palmarini 1980). In Analogie zum Computer würde<br />

sie lauten, wie aus einem einfachen Programm, das nur wenige Aufgaben bewältigen<br />

kann, sich ein neues komplexeres Programm entwickelt, das erheblich schwierigere Fragen<br />

bearbeitet. Offenbar kann der Computer das nicht ohne einen Programmierer. Dasselbe<br />

gilt auch für lernende Computerprogramme, denn auch <strong>die</strong>se verarbeiten Informationen<br />

nur im Rahmen einer vorgegebenen Struktur. Zwar können sie innerhalb von Unterprogrammen<br />

Anpassungen vornehmen, aber es ist es ihnen unmöglich, das <strong>die</strong>se Anpassungen<br />

steuernde Programm so umzugestalten, dass nicht nur immer komplexere,<br />

sondern auch völlig neuartige Aufgaben nicht nur damit zu bewältigen, sondern auch<br />

damit zu finden oder aus eigener Macht zu erzeugen sind.<br />

Um <strong>die</strong>ses Paradox <strong>auf</strong>zulösen, muss man davon ausgehen, dass der Geist bereits mit<br />

abstrakten Regeln und implizitem Wissen ausgestattet ist, dass er also bereits über ein<br />

Selbst verfügt. Solange man von der Annahme ausgeht, Lernen könne nur als fortschreitende<br />

Erkenntnis von konkreten Einzeldingen hin zu Abstraktionen verstanden werden,<br />

entsteht eine paradoxe Situation, weil immer etwas zustande kommen soll, für das <strong>die</strong><br />

Voraussetzungen fehlen (Pascual-Leone 1980, Bereiter 1985). Aber <strong>die</strong>ses Paradox besteht<br />

nur, solange man beim Lernen <strong>die</strong> Erkenntnis der konkreten Dinge als das Primäre<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

betrachtet. Das Paradox entsteht nicht, wenn man davon ausgeht, dass das Lernen mit<br />

abstrakten Regeln beginnt (bzw. mit einem impliziten Wissen höherer Stufe).<br />

Unter der Voraussetzung einer entsprechenden Annahme ist es Chomsky gelungen, <strong>die</strong><br />

Sprachentwicklung mit Hilfe der generativen Grammatik zu erklären. Es handelt sich<br />

dabei um ein System abstrakter Regeln, das sämtlichen Sprachen gemeinsam ist, also um<br />

eine Universalgrammatik. Wenn Kinder von vornherein über ein solches universales<br />

Regelsystem verfügen, kann man verstehen, warum es ihnen gelingt, jede sie umgebende<br />

Sprache zu lernen. Denn das System ermöglicht es ihnen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> jeweilige Sprache<br />

charakteristischen Muster ihrer Umwelt zu erkennen, <strong>die</strong> sie dann in individueller Weise<br />

zur Formulierung ihrer Wünsche, Antworten oder Erkenntnisse anwenden. Auf <strong>die</strong>se<br />

Weise gelingt es ihnen, mit einer begrenzten Zahl von Wörtern, <strong>die</strong> sie lernen, eine im<br />

Prinzip unendliche Menge von Sätzen zu konstruieren (Chomsky 1977). Untersuchungen<br />

mit Kindern und Kleinkindern lassen es als wahrscheinlich erscheinen, dass ähnliche<br />

Regelsysteme auch für das selbständige Entdecken mathematischer, physikalischer, psychischer<br />

und anderer Zusammenhänge bestehen (vgl. z.B. Spelke u.a. 1992; Wynn 1992;<br />

Leslie 1987, Tooby/Cosmides 1992, S. 91).<br />

Die These des bereits entwickelten Verstandes<br />

Um <strong>die</strong> ungeordnete Masse von Empfindungen, <strong>die</strong> von Sinneswahrnehmungen ausgehen,<br />

ordnen zu können, muss der Verstand von vornherein über Regeln, Gesichtspunkte<br />

usw. verfügen 44 . Dazu muss das Individuum z.B. beim Anblick von Dingen in der Lage<br />

sein, sich eine Vorstellung davon <strong>auf</strong>zubauen und mit <strong>die</strong>ser Vorstellung in seinem Geist<br />

umzugehen, d.h. zu denken. Diese Auffassung ist in der Tradition des erkenntnistheoretischen<br />

Idealismus (DESCARTES, KANT u.a.) verankert, nach dem alle Erkenntnis aus uns<br />

selber stammen muss.<br />

Wenn Kinder einen Verstand haben, müssen sie in der Lage sein, <strong>die</strong> Umwelt von vornherein<br />

geordnet wahrzunehmen. Wenn wir annehmen, dass ihr Verstand ihre Wahrnehmung<br />

in dem Sinne bestimmt, als er Erscheinungen nach abstrakten Regeln beurteilt und<br />

entsprechende Erwartungen formt, um zu erfahren, ob sie bestätigt oder enttäuscht werden,<br />

so ist das bereits eine Form des Denkens. Denken ermöglicht es, Ereignisse vorherzusehen,<br />

weil der zugrunde liegende Zusammenhang <strong>die</strong> Anwendung bestimmter Regeln<br />

zulässt.<br />

44<br />

Zum Wandel der Auffassungen in der Entwicklungspsycholoigie vgl. im Überblick MANDLER 1988.<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Die Frage ist ob man Denken nur als bewussten oder auch als unbewussten Prozess versteht.<br />

Die Anwendung nicht oder nur vage bewusster Regeln könnte vom Denken unterschieden<br />

werden, indem man es als „instinktives Handeln“ bezeichnet. Meist bezeichnen<br />

wir solche geistigen Vorgänge als „gefühlshaft“. Auch wenn man von etwas nur eine<br />

vage Idee hat, sagt man, man habe es im Gefühl. Tatsächlich ist uns wohl das meiste, das<br />

in unserem Verstand vor sich geht, nicht bewusst. So kann es sein, dass uns beim Sprechen<br />

oder Schreiben über ein Problem plötzlich <strong>die</strong> Lösung einfällt, <strong>die</strong> uns kurz davor<br />

noch vollkommen unbekannt war. Es ist also nicht unangebracht, Denken als Prozess zu<br />

verstehen, der sich unter verschiedenen Abstufungen von Bewusstheit vollzieht.<br />

Unbewusste, d.h. automatisch <strong>auf</strong>l<strong>auf</strong>ende Prozesse des Denkens finden wir vor allem in<br />

komplexen Fertigkeiten wie Klavierspielen oder Radfahren, <strong>die</strong> zwar von Regeln geleitet<br />

sind, <strong>die</strong> man aber doch nicht ins Bewusstsein treten. Solche Fertigkeiten sind gewöhnlich<br />

zwar gelernt, aber <strong>die</strong> Regeln, <strong>die</strong> dabei berücksichtigt werden, werden kaum<br />

bewusst erworben. Nehmen wir als Beispiel das Billiardspiel. Auch wenn <strong>die</strong> dabei beachteten<br />

Regeln in präzisen Formeln beschrieben werden könnten, wird es doch kaum<br />

jemanden geben, der sich ihrer bewusst wäre. Dieses Wissen würde beim Erlernen der<br />

Techniken vermutlich auch nicht viel nützen oder sogar stören. Dennoch handelt der<br />

Spieler so, als ob er <strong>die</strong> Regeln kennen würde. Selbst wenn er <strong>die</strong> Regeln formulieren<br />

kann, ist es meist eher eine Art „gefühlsmäßiges“ Wissen.<br />

Das wohl erstaunlichste Phänomen im Bereich des Könnens ist, dass Kinder <strong>die</strong> Sprache<br />

ihrer Umgebung so bemerkenswert leicht und korrekt sprechen. Obwohl <strong>die</strong> zugrunde<br />

liegenden Regeln von enormer Komplexität sind, scheint der Verstand des Kindes spielerisch<br />

damit umgehen zu können. Da es aber kein bewusstes Umgehen ist, hat man <strong>die</strong><br />

von Normen geleitete Sprachverwendung, <strong>die</strong> automatisch das Falsche vom Richtigen<br />

sondert, als „Sprachgefühl“ bezeichnet (KAINZ 1956, 343).<br />

Das heißt nun freilich nicht, Denken sei vollständig dem Bereich der automatisierten<br />

Fertigkeiten zuordnen. Denkprozesse geschehen sicher nicht nur unbewusst. Denn wenn<br />

man sich etwas vorstellt, etwas vergleicht, Folgerungen zieht, ein Ereignis antizipiert<br />

usw. tut man das ja bewusst. Doch auch hier spielen unbewusste Prozesse eine nicht<br />

unwesentliche Rolle. Denn auch wenn wir solche Vorgänge bewusst in Gang setzen,<br />

vollziehen sie sich letztlich von selbst. Eine Vorstellung wird nicht Schritt für Schritt<br />

<strong>auf</strong>gebaut; <strong>die</strong> Anwendung logischer Regeln erfolgt weitgehend automatisiert; wenn<br />

man etwas antizipiert, ist man in der Regel erst dabei, Gründe für seine Annahme zu<br />

formulieren, d.h. dass uns das Ergebnis oft vor den Details bewusst ist; usw. (vgl. POLA-<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

NYI 1978). Zahlreiche Denker behaupten, <strong>die</strong> wichtigsten Erkenntnisse würden durch<br />

Intuition gewonnen, d.h. durch das plötzliche Auftauchen von Lösungen im Bewusstsein<br />

(vgl. BASTICK 1982, 1 ff.).<br />

Dem Denken liegt also eine Fülle von Regeln zugrunde, <strong>die</strong> wir nicht im Einzelnen angeben<br />

können. Wir wissen nicht, wie wir zu Erkenntnissen gelangen, wüsste man es,<br />

könnte man Computer entsprechend programmieren. Auch wenn das Denken durch Ü-<br />

bung verbessert werden kann, bedeutet das nicht, dass es durch bewusste Vorgänge oder<br />

<strong>die</strong> Imitation solcher Vorgänge entsteht. Die Annahme, Kinder könnten komplexe Fertigkeiten<br />

wie <strong>die</strong> Sprache durch Imitation und Verstärkung lernen, hat sich als unzutreffend<br />

erwiesen (CHOMSKY 1977). Ebenso unzutreffend dürfte <strong>die</strong> Annahme sein, sie würden<br />

das Denken nach und nach lernen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der<br />

Verstand von Beginn an mit Regelsystemen ausgestattet ist, <strong>die</strong> ihm das Denken von<br />

vornherein ermöglichen. Durch Lernen kann es zwar verfeinert und weiterentwickelt,<br />

aber nicht erworben werden (z.B. v. HAYEK 1970).<br />

Wenn Denken das Umgehen mit Vorstellungen bedeutet und das Denkvermögen von<br />

Anfang an vorhanden ist, dann müssen auch Vorstellungen über <strong>die</strong> Welt von Anfang<br />

vorhanden sein. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei um solche Vorstellungen oder<br />

Wahrnehmungs- bzw. Deutungsbereitschaften handelt, <strong>die</strong> eine schnelle Anpassung an<br />

verschiedene Lebensumstände ermöglichen. Das ist insbesondere bei abstrakten Regelsystemen<br />

der Fall, bei denen nicht spezifische Regeln bestimmte Handlungen notwendig<br />

auslösen – wie bei Reflexen – sondern Handlungsmuster durch <strong>die</strong> Anwendung von Regeln<br />

an spezifische Situationen flexibel angepasst werden (HAYEK 1970, 312). 45 .<br />

Einer der bedeutendsten Fortschritte in der Untersuchung leitender abstrakter Regeln ist<br />

durch CHOMSKYs Formulierung der der Sprachentwicklung zugrunde liegenden generativen<br />

Grammatik gelungen. Es handelt sich um ein System abstrakter grammatischer<br />

Regeln, das sämtlichen Sprachen gemeinsam ist, also um eine Universalgrammatik.<br />

Wenn man annimmt, dass Kinder über ein solches universales Regelsystem verfügen,<br />

kann man verstehen, warum es ihnen gelingt, jede sie umgebende Sprache zu lernen.<br />

Denn das System ermöglicht es ihnen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> jeweilige Sprache charakteristischen<br />

45<br />

Allerdings darf <strong>die</strong> Angepaßtheit von Dispositionen nicht mit ihrer Wahrheit verwechselt werden.<br />

Beispielsweise nimmt man in der idealistischen Erkenntnistheorie an, daß <strong>die</strong> unmittelbar oder a priori<br />

gegebenen, geistigen Inhalte wahr oder gewiß sein müßten. Bei einer plötzlichen Änderung der Umwelt<br />

könnte sich jedoch zeigen, daß <strong>die</strong>se Dispositionen nur unter bestimmten Bedingungen zutreffen.<br />

Der „bisherige Erfolg von Theorien“ garantiert also „keineswegs ihren Erfolg in der Zukunft“ (POP-<br />

PER 1973, S. 83).<br />

72


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Muster zu erkennen, <strong>die</strong> sie dann in individueller Weise zur Formulierung all jener Dinge<br />

anzuwenden, <strong>die</strong> für sie gerade wichtig sind. Auf <strong>die</strong>se Weise können sie aus einer<br />

begrenzten Zahl von Wörtern, eine unendliche Fülle von Sätzen konstruieren (CHOMSKY<br />

1977).<br />

Dieses Regelsystem ermöglicht es Kindern auch, aus einer unter bestimmten Umständen<br />

primitiven ungrammatischen Sprache ihrer Umgebung eine differenzierte und grammatische<br />

Sprache zu formen, wie das Beispiel der Entwicklung von Kreolsprachen zeigt (im<br />

Überblick PINKER 1996, S. 37 ff.). Die Vorläufer von kreolischen sind Pidginsprachen.<br />

Diese entstehen, wenn Menschen unterschiedlicher sprachlicher Herkunft zur Erledigung<br />

von Aufgaben miteinander kommunizieren müssen, aber „keine Gelegenheit haben,<br />

<strong>die</strong> Sprache der anderen zu lernen“ (PINKER 1996, S. 38). Die dadurch entstehenden<br />

Sprachen bestehen aus weitgehend willkürlichen Wortzusammenstellungen und weisen<br />

nur Ansätze grammatischer Strukturierung <strong>auf</strong>. Interessant ist nun, dass <strong>die</strong> Kinder <strong>die</strong>ser<br />

Leute, auch wenn sie nur Pidgin hören, eine Sprache von weit höherer grammatischer<br />

Komplexität entwickeln, <strong>die</strong> so genannten Kreolsprachen.<br />

Diesen Vorgang konnte man an der Entwicklung des hawaiianischen Kreol untersuchen,<br />

das Anfang <strong>die</strong>ses Jahrhunderts entstanden ist. Wegen eines akuten Arbeitskräftemangels<br />

<strong>auf</strong>grund einer plötzlichen Hochkonjunktur der Zuckerrohrplantagen wurden Arbeiter<br />

aus verschiedenen asiatischen und südamerikanischen Ländern angeworben. Die unter<br />

<strong>die</strong>sen Arbeitern sich entwickelnde Pidginsprache schienen <strong>die</strong> Leute, <strong>die</strong> BICKER-<br />

TON in den siebziger Jahren untersuchte, beibehalten zu haben. Die Kinder jedoch, <strong>die</strong> in<br />

<strong>die</strong>ser Umgebung <strong>auf</strong>wuchsen, entwickelten eine grammatisch korrekte Kreolsprache,<br />

<strong>die</strong> zwar Elemente der Sprache ihrer Umgebung <strong>auf</strong>greift, ihr aber eine Struktur zugrunde<br />

legt, <strong>die</strong> vorher nicht oder zumindest nur in Ansätzen existierte (BICKERTON 1980).<br />

Eine ganz ähnliche Entwicklung vollzog sich im Fall eines gehörlosen Jungen, der in<br />

einer isoliert bei seinen ebenfalls gehörlosen Eltern <strong>auf</strong>wuchs. Die Eltern lernten <strong>die</strong><br />

Gebärdensprache erst in späterem Alter und beherrschten sie nur im Sinne von Pidgin-<br />

Sprechern. Obwohl ihr Sohn nur mit <strong>die</strong>ser Sprache konfrontiert war, konnte er <strong>die</strong> Gebärdensprache<br />

weitaus korrekter anwenden als seine Eltern (SINGELTON/ NEWPORT<br />

1993; zit. n. PINKER 1996, 44 ff.).<br />

Ein analoges Beispiel berichtet OERTER (1992, 188). Er hatte bei einem Lehrer mit recht<br />

begrenzten musikalischen Fähigkeiten hospitiert und dabei beobachtet, wie <strong>die</strong>ser ein<br />

neues Lied in einer sehr unmusikalischen Weise einführte. Die Kinder hörten nur <strong>die</strong>ses<br />

unschöne Beispiel, beherrschten das Lied am Ende der Stunde aber viel besser, während<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

beim Lehrer keinerlei Fortschritt zu verzeichnen war. „Offensichtlich waren es <strong>die</strong> Kinder,<br />

von denen der größte Beitrag beim Erlernen kam, obwohl sie das Lied ohne <strong>die</strong><br />

schlechte Darstellung des Lehrers nicht gelernt hätten“(meine Übers.).<br />

Kinder lernen also nicht einfach das, was man ihnen zeigt oder was sie in ihrer Umwelt<br />

wahrnehmen, sondern können Informationen im Sinne übergeordneter Regeln interpretieren<br />

und verbessern. Sie sind also in der Lage, zu gegebenen Handlungsmöglichkeiten<br />

neue und komplexere zu erfinden und <strong>die</strong> besseren auszuwählen und ihrem Tun zugrunde<br />

zu legen.<br />

Denkvermögen im Sinne des Umgangs mit Vorstellungsbereitschaften werden neuerdings<br />

an immer jüngeren Kindern festgestellt. So konnten SPELKE u.a. (1992) zeigen,<br />

dass bereits Kleinkinder im Alter von 2½ bis 4 Monaten <strong>die</strong> Fähigkeit zu korrekten<br />

Schlussfolgerungen angenommen werden kann. Für ihre Untersuchungen verwendeten<br />

sie <strong>die</strong> so genannte „looking-time procedure“. Bei <strong>die</strong>sem in der Entwicklungspsychologie<br />

gebräuchlichen Verfahren wird <strong>die</strong> Zeit gemessen, in der Kinder sich Gegenständen<br />

und deren Veränderungen <strong>auf</strong>merksam zuwenden. Ist ein Gegenstand erst einmal vertraut,<br />

schaut das Baby weg; tritt jedoch eine Veränderung ein, wird seine Aufmerksamkeit<br />

wieder geweckt. Im Experiment wird das Kind zunächst mit der verwendeten Prozedur<br />

vertraut gemacht. Nach der Gewöhnung untersucht man, wie sich bestimmte Veränderungen<br />

gegenüber der gewohnten Situation <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Aufmerksamkeitsspanne der<br />

Kinder auswirken.<br />

In einem der Experimente hielt man einen gelben Ball durch ein Loch in einer Wand und<br />

ließ ihn hinter einen Schirm fallen. Danach wurde der Schirm gesenkt und <strong>die</strong> Kinder<br />

sahen den Ball. In der Gewöhnungsphase hatte er immer <strong>auf</strong> dem Boden gelegen. Jetzt<br />

lag er einmal <strong>auf</strong> einer kleinen Bank, <strong>die</strong> an der Wand stand und dann darunter. Wenn er<br />

<strong>auf</strong> der Bank lag, schauten <strong>die</strong> Kinder nur geringfügig länger hin. Lag er jedoch unter<br />

der Bank, wurde ihr Blick deutlich länger festgehalten, denn eigentlich konnte er dort<br />

nicht sein, es sei denn, er wäre durch <strong>die</strong> Bank hindurch oder in einem Bogen gefallen.<br />

Die Kinder der Kontrollgruppe, bei denen bereits in der Gewöhnungsphase der Ball<br />

entweder durch ein oberes oder unteres Loch in der Wand positioniert wurde, zeigten<br />

denn auch keinerlei Bevorzugung. Man kann also annehmen, dass <strong>die</strong> Babys davon ausgingen,<br />

dass der Ball sich nur <strong>auf</strong> einem geraden Weg bewegen und als fester Gegenstand<br />

nicht durch eine ebenfalls feste Oberfläche hindurch fallen konnte (SPELKE u.a.<br />

1992, 610 ff.).<br />

74


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

In einem anderen Experiment <strong>die</strong>ser Reihe gab es drei Bälle, einen kleinen, einen mittleren<br />

und einen großen. Die Bank hatte in ihrer Mitte eine Lücke, <strong>die</strong> aber für den großen<br />

Ball zu klein war. Wie im ersten Experiment spielte sich alles hinter einem Schirm ab,<br />

so dass <strong>die</strong> Kinder, wenn sie nach dem Absenken des Schirms sinnvoll und nicht zufällig<br />

<strong>auf</strong> das Ergebnis reagierten, sich eine Vorstellung gebildet haben mussten. In <strong>die</strong>sem<br />

Fall kam es dar<strong>auf</strong> an, <strong>die</strong> Größe des Balls in Beziehung zur Größe der Lücke zu bringen.<br />

Die Aufmerksamkeit der Kinder war nur dann deutlich höher, wenn der große Ball,<br />

der nicht durch <strong>die</strong> Lücke passte, unter der Bank lag. Wenn nun <strong>die</strong> erwartungswidrige<br />

Lage des Balles <strong>die</strong> höhere Aufmerksamkeit verursacht hat, dann setzt das voraus, dass<br />

<strong>die</strong> Kinder davon ausgingen, dass feste Objekt weder andere Objekte durchdringen noch<br />

von einer geraden Bewegung plötzlich in eine bogenförmige Bewegung übergehen, sondern<br />

stetig fallen. Außerdem mussten sie annehmen, dass Objekte ihre Größe und Form<br />

nicht ändern (ebenda, 613 ff).<br />

Weniger eindeutig fielen <strong>die</strong> Ergebnisse aus, wenn zum Verständnis der Lage eines Objekts<br />

<strong>die</strong> Berücksichtigung von Gravitation und Trägheit erforderlich waren. In der Gewöhnungsphase<br />

rollte ein Ball über eine geschlossene Bank und lag, wenn der Schirm<br />

gesenkt wurde, am anderen Ende. Im Experiment wies <strong>die</strong> Bank eine große Lücke <strong>auf</strong>.<br />

Die Aufmerksamkeit der Kinder wurde aber nicht geweckt, wenn der Ball trotzdem am<br />

anderen Ende lag. Auch beim Fallen des Balls erregte es keine Neugier, wenn der Ball<br />

ohne Unterlage in der Luft stehen blieb (ebenda, 621 ff.). Andererseits scheinen 3½ Monate<br />

alte Kinder Gravitationseffekte zu erwarten, wenn sichtbare Objekte ihre Unterlage<br />

verlieren (ebenda, 626). Außerdem sind 2 und 4 Monate alte Kinder bereits in der Lage,<br />

sich bewegende Objekte mit den Augen zu verfolgen und nach ihnen zu greifen, wobei<br />

sie den Verl<strong>auf</strong> der Bewegung in Übereinstimmung mit Effekten der Trägheit extrapolieren.<br />

Außerdem richten sie sich in ihrer Haltung und der Stellung von Gliedern nach<br />

Bedingungen der Gravitation (HOFSTEN 1980; PRECHTL 1989). Unsicherheit oder Inkonsistenz<br />

in den Reaktionen <strong>auf</strong> Gravitations- und Trägheitseffekte sind aber nicht nur bei<br />

Kindern, sondern auch noch bei Erwachsenen häufig anzutreffen (vgl. SPELKE u.a. 1992,<br />

607 u. 626). Auch <strong>die</strong> entsprechenden Gesetze sind ja erst spät entdeckt worden.<br />

Mit Hilfe der looking-time procedure wurde u.a. auch untersucht, ob es Kleinkinder gelingt,<br />

ihre Erwartungen bei abnehmender oder zunehmender Anzahl von Gegenständen<br />

anpassen. So hat WYNN (1992) in einem Experiment mit Kindern im Alter von fünf Monaten<br />

gezeigt, dass <strong>die</strong>se durchaus in der Lage sind, Vergleichsoperationen mit kleinen<br />

Mengen von Gegenständen korrekt auszuführen. WYNN platzierte eine Mickeymaus<br />

sichtbar in einem Kasten, vor den dann ein Schirm geklappt wurde. Anschließend sahen<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

<strong>die</strong> Kinder eine Hand, <strong>die</strong> von der Seite eine weitere Mickeymaus hinter den Schirm<br />

stellte und sich leer zurückzog. Wenn nach dem Absenken des Schirms erwartungswidrig<br />

eine oder drei Mickeymäuse vorhanden waren, starrten <strong>die</strong> Kinder deutlich länger hin<br />

als beim richtigen Ergebnis.<br />

Bei der Subtraktion wurden sichtbar zwei Mäuse <strong>auf</strong>gestellt. Anschließend sahen <strong>die</strong><br />

Kinder wie seitwärts eine leere Hand hinter den Schirm griff und mit einer der beiden<br />

Mäuse verschwand. Fanden sich nach Absenken des Schirms dann aber drei oder zwei<br />

Mäuse statt einer, konnten <strong>die</strong> Kinder ihren Blick lange nicht lösen.<br />

Andere <strong>die</strong> Anpassung an spezifische Umgebungen ermöglichende Programme könnten<br />

auch im Hinblick <strong>auf</strong> Sitten, Gebräuche und Normen bestehen. Die Vielfalt kultureller<br />

Formen wäre so gesehen nur Ausdruck einer „einzigen menschlichen Metakultur“, deren<br />

grundlegende Regelsysteme jedem Individuum gegeben sind. Sie ermöglichen erst das<br />

Erkennen und <strong>die</strong> Anpassung an spezifische Muster sozialen Verhaltens (TOOBY/ COS-<br />

MIDES 1992, 91; vgl. ferner S. 63 ff. u. 88 ff.).<br />

Beispielweise entwickeln Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren eine Art intuitiver<br />

Psychologie. Mit Hilfe der <strong>die</strong>ser Psychologie zugrunde liegenden Regeln versuchen sie<br />

das Verhalten anderer zu verstehen. Dabei spielt u.a. <strong>die</strong> Zuschreibung von Wünschen<br />

und Überzeugungen eine zentrale Rolle. Jemand tut bestimmte Dinge (schenkt etwas,<br />

lächelt, schaut böse usw.), weil er einen bestimmten Wunsch hat und davon ausgeht,<br />

dass sein Wunsch durch <strong>die</strong>se Handlungen erfüllt wird. Diese intuitive Psychologie<br />

konnte bei Kindern in ganz verschiedenen Kulturen nachgewiesen werden, wobei im<br />

Alter zwischen drei und fünf kulturspezifische Formen erworben werden (z.B. LESLIE<br />

1987).<br />

Darüber hinaus scheinen wir mit Präferenzregeln für bestimmte Bereiche ausgestattet.<br />

So könnte beispielsweise <strong>die</strong> Bevorzugung bestimmter Landschaften durch ein universales<br />

Programm geleitet sein (KAPLAN 1992).<br />

Insgesamt bestätigen zahlreiche Experimente <strong>die</strong>ser Art <strong>die</strong> Annahme, dass wir von Anfang<br />

an über Regeln verfügen, <strong>die</strong> bereits Kleinkindern ermöglichen, sich Vorgänge vorzustellen<br />

und auch <strong>die</strong> durch solche Vorgänge verdeckt bewirkten Änderungen vorherzusehen.<br />

Das Vorhandensein solcher abstrakter Regeln ist eine notwendige Voraussetzung,<br />

um sich umgebungsadäquat verhalten und Wissen über <strong>die</strong> Welt erwerben zu können.<br />

Es wäre nicht verwunderlich, wenn sich zeigen würde, dass solche abstrakten Regeln<br />

allen Bereichen menschlichen Verhaltens zugrunde lägen. Weil <strong>die</strong>se Regeln uns<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

nicht bewusst sind, kann man zunächst <strong>die</strong> dadurch geleiteten Bewertungen und Handlungen<br />

nicht begründen. Es ist aber zumindest nicht unwahrscheinlich, dass Kinder „gefühlsmäßig“<br />

bereits sehr früh beispielsweise zwischen Recht und Unrecht unterscheiden<br />

können, so wie sie „gefühlsmäßig“ mechanische Vorgänge beherrschen, Mengen vergleichen<br />

usw. Auch wenn das Wort „Fühlen“ einen Zusammenhang mit Emotionen<br />

vermuten lässt, dürften <strong>die</strong> zugrunde liegenden Regeln doch eher kognitiver als emotionaler<br />

Natur sein (vgl. v. HAYEK 1970, 310).<br />

Die abstrakten Regeln, <strong>die</strong> Handeln, Denken und Erkenntnisse ermöglichen, gehören<br />

zum Ich als Selt. Durch sie ist der einzelne ein Wissender, Denkender usw. Im Unterschied<br />

dazu werden erworbene Kenntnisse, Fertigkeiten, Einstellungen usw. dem Selbst<br />

als Persönlichkeit oder Produkt zugerechnet. Man spricht ja auch von seinem Wissen,<br />

seinen Fertigkeiten, seinen Gefühlen usw. So hat auch JAMES (1890; 1950, S. 400 ff.)<br />

zwischen dem „I“ und dem „me“ unterschieden, wobei unter „I“ das Selbst als Subjekt<br />

und unter „me“ das Selbst als Objekt zu verstehen ist.<br />

Handlung und Produkt: Ich und Persönlichkeit<br />

Die Annahme, dass das Individuum von Anfang an eigene Bestrebungen hat und selbstbestimmt<br />

denken und handeln kann, setzt eine Unterscheidung des Selbst in einen handelnden<br />

Teil, das Ich, und das Ergebnis <strong>die</strong>ses Handelns, <strong>die</strong> Persönlichkeit, voraus. Die<br />

Bezeichnungen sind in der Literatur verschieden und nicht so wichtig.<br />

Gehen wir von dem aus, was <strong>die</strong> Kinder schon von Anfang an „können“. Dabei muss<br />

man festhalten, dass ihr Können nicht identisch ist mit dem, was sie wissen. Die Entwicklungspsychologie,<br />

<strong>die</strong> sich mit der Entwicklung des Wissens der Kinder beschäftigt<br />

hat und weniger mit ihrem Können, konzentrierte sich bei ihren Untersuchungen lange<br />

Zeit <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Abhängigkeit des Wissenserwerbs von bestimmten Vorbedingungen, von<br />

denen angenommen wurde, dass sie sich im Zuge von Reifungs- und Lernvorgängen<br />

entwickeln. Neuerdings wird zunehmend <strong>auf</strong> angeborenes Können, Denken und Wissen<br />

hingewiesen (im Überblick MANDLER 1988). Solche Befunde bestätigen Theoretiker wie<br />

CHOMSKY oder von HAYEK, <strong>die</strong> seit langem das Bestehen einer Art geistiger Überstruktur<br />

angenommen haben, <strong>die</strong> in universellen Regelsystemen besteht und <strong>die</strong> den Erwerb<br />

der Sprache, den Umgang mit Zahlen, <strong>die</strong> Orientierung in Zeit und Raum, <strong>die</strong> Unterscheidung<br />

von Recht und Unrecht usw. ermöglichen Auch allgemeine kognitive Fähigkeiten<br />

wie das Einnehmen eines Gesichtspunkts, das Vergleichen von Gegenständen, <strong>die</strong><br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Bildung von Klassen, <strong>die</strong> Fähigkeit zu Urteilen, zum Schlussfolgern, zur Imagination<br />

usw. scheint <strong>auf</strong> solchen universellen Regeln zu beruhen.<br />

Nun sind angeborene Regeln und Ideen aber nicht alles, denn natürlich werden <strong>die</strong> meisten<br />

Fertigkeiten und das meiste Wissen nach und nach erworben. Und wir verbessern<br />

unser Wissen und unsere Regeln, indem wir fehlerhafte Dinge durch besseres Handeln<br />

und Wissen oder undifferenzierte Vorstellungen durch differenziertere ersetzen. Die<br />

Entwicklung von Fähigkeiten und Wissen folgt allgemeinen Richtlinien wie der, dass<br />

Fortschritte vom Bekannten zum Unbekannten erfolgen. Sie ist also nicht völlig beliebig.<br />

So müssen Kinder, <strong>die</strong> beim Hinzufügen und Wegnehmen von Objekten korrekte<br />

Erwartungen über das Ergebnis bilden, zur Gewinnung arithmetischen Wissens erst <strong>die</strong><br />

Zahlnamen kennen, <strong>die</strong> Mächtigkeit von Mengen unterscheiden, Rechenregeln erkennen<br />

usw. Erst dann spricht man von „Wissen“ im üblichen Sinn.<br />

Um <strong>die</strong> Vorgänge besser zu überblicken, systematisieren wir nun das Ganze. Da ist also<br />

erstens <strong>die</strong> geistige Überstruktur – das innere Selbst – mit universalen, abstrakten Regelsystemen<br />

und dem darin implizierten Wissen. Da ist zweitens das Ich, das sich in gewissem<br />

Maß seines Denkens, Wollens, Fühlens und Handelns bewusst ist. Zum Teil setzt es<br />

<strong>die</strong>se Prozesse in Gang, zum Teil findet es sie in sich vor, identifiziert sich mit ihnen und<br />

macht sie so zu einem Teil von sich. Da ist drittens das Produkt des Wollens, Fühlens,<br />

Denkens und Handelns, also Zuneigungen, Abneigungen, Erinnerungen, Fähigkeiten<br />

und Wissen, aber auch Neurosen, Traumen usw. Das Wahrnehmen, Fühlen, Denken und<br />

Wollen, Handeln wird vermutlich nur zum kleinsten Teil vom bewussten Ich bestimmt.<br />

Der weitaus größere Teil wird einerseits von der geistigen Überstruktur bestimmt und<br />

andererseits von den erworbenen Strukturen, <strong>die</strong> das Ego teils auch bewusst verwendet.<br />

Allerdings umfassen <strong>die</strong> erworbenen Strukturen, also <strong>die</strong> Persönlichkeit aber neben den<br />

Dingen, denen sich das Ego bewusst ist, auch Unter- und Unbewusstes, d.h. aus dem<br />

Bewusstsein verdrängte Inhalte. Diese regieren das Verhalten, Denken, Fühlen usw.<br />

durch Blockaden, Neurosen und andere Automatismen zumeist in nicht unerheblichem<br />

Maß. Andere Beeinträchtigungen des Erwerbs von Wissen, des Fühlens, Wahrnehmens<br />

usw. können erfolgen durch physische (neurologische) oder auch genetische Schädigungen,<br />

<strong>die</strong> sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Verarbeitung und bewusste Erfahrung wie auch <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Produkte<br />

der geistigen Verarbeitung ungünstig auswirken können.<br />

Aufgrund der geistigen Überstruktur können wir immer mehr als wir wissen, und vieles,<br />

das wir erfolgreich vollbringen können „beruht <strong>auf</strong> Voraussetzungen, <strong>die</strong> außerhalb des<br />

Bereiches liegen, in dem wir Feststellungen machen, über den wir reflektieren können“<br />

78


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

(von HAYEK 1967, 61). Insbesondere bei kreativen Prozessen wird das Denken und Handeln<br />

stärker von der Überstruktur her bestimmt. Da <strong>die</strong> leitenden Regelsysteme der Ü-<br />

berstruktur aber nicht bewusst sein können, muss man sich solange <strong>auf</strong> sein „Gefühl“ für<br />

<strong>die</strong> richtigen und falschen Handlungen verlassen, bis eine brauchbare Lösung gefunden<br />

ist. Dieses Gefühl ist sozusagen der bewusste Anteil <strong>die</strong>ser Prozesse, den das Ich zu erfassen<br />

in der Lage ist.<br />

Abb. 9: Interne Prozesse beim Wahrnehmen, Denken, Handeln<br />

Wenn es uns gelingt, einige Bereiche der das Denken leitenden Regeln zu erschließen,<br />

setzt das wiederum Regeln einer höheren Ordnung voraus, <strong>die</strong> ihrerseits nicht kommunizierbar<br />

sind (ebenda, S. 62). 46 „Alles, worüber wir reden können und wahrscheinlich<br />

alles, über das wir bewusst nachdenken können, setzt <strong>die</strong> Existenz eines Rahmens voraus,<br />

der <strong>die</strong> Bedeutungen festlegt, d.h. ein System von Regeln, das unser Denken bestimmt,<br />

aber das wir nicht feststellen und von dem wir uns auch kein Bild formen können.<br />

In anderen können wir es nur wachrufen, insofern sie es bereits besitzen“ 47 .<br />

Diese abstrakten Regeln des inneren Selbst legen also <strong>die</strong> Bedingungen fest, in denen<br />

sich unser Denken bewegt. Dieser Rahmen ermöglicht es uns durch den Umgang mit<br />

Gegenständen und Personen, immer dichtere Netze von Ordnungsrelationen zu knüpfen.<br />

46<br />

47<br />

v. HAYEK (1970, 309; 1967, 60 ff.) vertritt <strong>die</strong> Auffassung, <strong>die</strong>se handlungsbestimmenden Regelsysteme<br />

seien als überbewußt zu bezeichnen, weil es Regeln sind, <strong>die</strong> uns deshalb nicht bewußt sind, weil<br />

sie sich <strong>auf</strong> einer zu hohen Ebene abspielen und nicht <strong>auf</strong> einer zu niedrigen (wie Reflexe).<br />

v. HAYEK 1967, 61 (meine Übersetzung). Eine ähnliche Auffassung vertritt, bezogen <strong>auf</strong> entwicklungspsychologische<br />

Fragen der Begriffsbildung, KEIL 1989.<br />

79


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Der Unterschied zwischen dem Kleinkind und dem Erwachsenen ist, dass <strong>die</strong>se Netze<br />

bei ersterem noch sehr lose geknüpft sind. Im Wesentlichen haben sich im L<strong>auf</strong>e der<br />

Evolution drei Arten von Netzen entwickelt, <strong>die</strong> im Bildungsprozess zu beachten sind.<br />

Es ist von ganz entscheidender Bedeutung für das Leben des Einzelnen, ob es ihm – mit<br />

Hilfe seiner Umgebung – gelingt, <strong>die</strong>se in ihm von Anfang an vorhandenen Intelligenzen<br />

harmonisch <strong>auf</strong>einander abzustimmen.<br />

Die triadische Struktur der menschlichen Intelligenz<br />

Die Entwicklung des Selbst erfolgt <strong>auf</strong> drei Ebenen, entsprechend der triadischen Struktur<br />

unseres Gehirns. Die Grundlage bildet das Althirn. Es enthält das Potenzial für unsere<br />

sinnlich-physische Intelligenz, physisch, weil es dazu angelegt ist, mit den konkreten<br />

Dingen zu arbeiten und sich durch <strong>die</strong>sen Umgang zu entfalten. Deshalb sind zunächst<br />

<strong>die</strong> wichtigsten Werkzeuge zur Eroberung der Umgebung ja auch der sinnliche Verstand<br />

und der Körper. Dem entspricht, dass <strong>die</strong> Umgebung für den Säugling und das Kleinkind<br />

vor allem <strong>die</strong> physischen Gegebenheiten der Umwelt umfasst. So kommt es nicht von<br />

ungefähr, wenn MONTESSORI ihr Material für Kleinkinder und den Kindergarten vor<br />

allem Sinnesmaterial darstellt, wobei dann in der Grundschule noch <strong>die</strong> Kulturfertigkeiten<br />

des Lesens, Schreibens und Rechnens hinzukommen, aber ebenfalls weitgehend mit<br />

konkretem, physischem Lernmaterial erarbeitet werden. Indem das Kind sich mit Formen,<br />

Farben, Oberflächen usw. beschäftigt, lernt es <strong>die</strong> genaue Unterscheidung von<br />

Formen, von Farbschattierungen, der Rauhigkeit bzw. Glattheit von Oberflächen, es<br />

schult seine Gewichtsempfindungen, den Geschmacks- und Geruchssinn. Es übt somit<br />

den disziplinierten Gebrauch seiner Sinne, was eine deutlich fördernde Wirkung <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

Verstandesentwicklung hat, denn der Verstand kann nur dann gut arbeiten, wenn sein<br />

Material korrekt ist. Ein Großteil des Verstandesmaterials sind ja zunächst Sinneseindrücke.<br />

Die Ausbildung desjenigen Teils unseres Geistes, der an das Physische gebunden<br />

ist und damit arbeitet, stellt somit <strong>die</strong> Grundlage der Bildung dar.<br />

Diese Arbeit wird am ehesten dann gut und wirklich erfolgreich sein können, wenn sie<br />

vom eigenen Interesse geleitet ist. Ein Interesse ist ein Ausfluss des Bedürfnisses nach<br />

Selbstentfaltung. An einem Gegenstand Interesse zu gewinnen, setzt eine Bewertung<br />

voraus. Dieser Bewertungsprozess erfolgt in der Regel unbewusst. Eine negative Bewertung<br />

äußert sich in Abneigung, eine positive in Bevorzugung oder Vorliebe. Es ist eine<br />

der Aufgaben der emotionalen Intelligenz, <strong>die</strong> Dinge auszusuchen, <strong>die</strong> für unsere Selbstentfaltung<br />

von Bedeutung sind. Die emotionale Intelligenz arbeitet mit Bildern, mit Vor-<br />

80


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

stellungen von Dingen, mit Gefühlen, mit Sinn. Ihr Bestreben ist <strong>die</strong> Selbstausweitung,<br />

<strong>die</strong> Erfüllung von Bedürfnissen und Wünschen, sie sucht das Abenteuer und <strong>die</strong> Erregung.<br />

Ihre Antriebe konstituieren einen wesentlichen Teil des Willens, ihre Vorlieben<br />

und Abneigungen differenzieren sich in den ästhetischen Sinn. Diese Intelligenz ist ü-<br />

beraus kreativ. Wird <strong>die</strong>ser gestalterischen Kraft keine Möglichkeit des Ausdrucks geboten,<br />

können ihre ungeordneten Impulse zerstörerische oder despotische Charakterstrukturen<br />

erzeugen. Werden Kinder und Jugendliche aber in der richtigen Weise zu ihrer<br />

eigenen Selbstvervollkommnung ermutigt, dann kann <strong>die</strong> emotionale Intelligenz auch<br />

einen Charakter hervorbringen, der für <strong>die</strong> höchsten Ideale kämpft.<br />

Abb. 2: Triadisches Gehirn und triadische Intelligenz (nach PEARCE 1992)<br />

Die emotionale Intelligenz entwickelt sich z.B. durch <strong>die</strong> Aktion und das Erleben in der<br />

Aktion. Dazu eignen sich in der Schule Rollenspiele, Theater und alle anderen Künste,<br />

der Umgang mit Sprache, Literatur, <strong>die</strong> Beziehung und der Austausch mit Anderen. Die<br />

Waldorfschule mit ihrem alle Bereiche umfassenden Programm des Geschichten-<br />

Erzählens und des künstlerischen Gestaltens gibt der Bildung der emotionalen Intelligenz<br />

großen Raum. Um beispielsweise ein Verständnis der griechischen Kultur zu bekommen,<br />

wird in manchen Waldorfschulen der ganze Klassenraum mit Säulen, Skulpturen<br />

und den entsprechenden Farben gestaltet; der Lehrer erzählt griechische Sagen, <strong>die</strong><br />

Schüler spielen <strong>die</strong> Tragö<strong>die</strong>n.<br />

Ein großes Problem der emotionalen Bildung ist <strong>die</strong> Induzierung von Angst. Angst vor<br />

schlechten Noten, Angst vor der Zukunft und all <strong>die</strong> anderen Ängste behindern <strong>die</strong> Entfaltung<br />

der feineren psychischen, sozialen und ästhetischen Empfindungen, verkrampft<br />

<strong>die</strong> Vorstellungskraft, erzeugt Verunsicherung, Auflehnung, bringt Selbstzerstörungstendenzen<br />

und Konflikte hervor. Werden solche Ängste nicht durch eine unsinnige Benotungs-<br />

und Strafkultur noch vervielfältigt, dann besteht eine weit größere Bereitschaft<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

und auch Fähigkeit, nach und nach zu sehen, was in einem selbst vor sich geht und warum.<br />

Kinder können, wenn Schuld und Strafe keine Rolle spielen, durchaus verstehen,<br />

wie sich in der Beziehung zu anderen Kindern oder Erwachsenen Handlungen und Gefühle<br />

ergeben. Sie können <strong>die</strong> Folgen <strong>die</strong>ser Handlungen und Gefühle erkennen und akzeptieren.<br />

Nach und nach stellt sich eine Selbstbewusstheit ohne Schuld und Wertung<br />

ein und dadurch wird es zunehmend möglich, das Fühlen und Handeln zu verändern.<br />

Bei <strong>die</strong>ser Aufgabe hilft mit wachsendem Alter der reine Verstand, <strong>die</strong> reine Intelligenz.<br />

Die reine Intelligenz entfaltet sich erstens durch das selbständige Bemühen um Erkenntnis<br />

und zweitens durch den Austausch der eigenen Ergebnisse mit anderen. Die ständigen<br />

Versuche, herauszufinden, welche Ursachen oder Zusammenhänge einer Erscheinung<br />

zugrunde liegen, führen allmählich zur Entdeckung einer abstrakten, geistigen<br />

Welt hinter den Gegenständen. Schon beim Zählen geht es nicht einfach um konkrete<br />

Dinge, sondern um Mächtigkeiten von Mengen. Woraus <strong>die</strong> Mächtigkeit „3“ besteht ist<br />

völlig belanglos. Es kann sich um drei Staubkörner oder auch nur drei Ideen oder auch<br />

um drei Himmelskörper handeln. Das Merkmal der grundlegenden Abstraktheit unserer<br />

Ideen kommt allmählich zu Bewusstsein. Der Austausch der Ergebnisse des eigenen<br />

Denkens mit anderen zeigt <strong>auf</strong>, wie Erkenntnis durch Vorlieben oder persönliche Interessen<br />

verfälscht wird. Zunehmend wird den Schülern dadurch klar, wie sehr <strong>die</strong> Ziele<br />

der Erkenntnis vom physischen und emotionalen Leben abgehoben sind und von allen<br />

erkenntnisfremden Einflüssen frei gehalten werden müssen. Dazu ist zunächst vor allem<br />

<strong>die</strong> Fähigkeit der unvoreingenommenen Beobachtung wichtig. Eine große Hilfe dafür ist<br />

es, wenn <strong>die</strong> physische Intelligenz daran gewöhnt wurde, <strong>die</strong> Dinge genau zu sehen und<br />

voneinander zu unterscheiden. Dann kann der Schüler allmählich lernen, auch seine Gefühle,<br />

Interessen, Vorlieben, Abneigungen usw. in den Zusammenhängen, in denen sie<br />

<strong>auf</strong>treten, sachlich zu untersuchen und besser damit umzugehen.<br />

12. Lernen<br />

Wir haben gesehen, dass schon Säuglinge in der Lage sind, Informationen denkend zu<br />

verarbeiten. Da sie zumindest zum Teil bereits über adäquate Schemata verfügen, können<br />

sie sich den verborgenen Verl<strong>auf</strong> von Ereignissen vorstellen, können auch richtige<br />

Folgerungen ziehen und das, was ihnen schließlich als Ergebnis präsentiert wird, mit<br />

ihrer Vorstellung vergleichen und dabei eventuelle Unstimmigkeiten erkennen. Nun findet<br />

man aber gerade in der Schule oft, dass Schüler versuchen, sich Dinge einfach nur<br />

einzuprägen ohne über den Lerngegenstand nachzudenken. Was ist das passiert Warum<br />

82


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

funktioniert <strong>die</strong> ursprüngliche Befähigung zum Denken nicht mehr Doch nehmen wir<br />

es zunächst als gegeben hin, dass Menschen beim Lernen verschiedene Vorgehensweisen<br />

oder kognitive Stile haben. Die Frage, woher das kommt, werden wir später zu beantworten<br />

suchen.<br />

Kognitive Stile<br />

Unterscheidungen von Lernstilen sind von einer Reihe von Theoretikern vorgenommen<br />

worden (im Überblick SCHÜMER 1993, 3 ff.). So beschreibt SIMONS (1992, 256 f.) unter<br />

Bezug <strong>auf</strong> VERMUNT (1987) drei Vorstellungen von Lernen: reproduktives Lernen, Lernen,<br />

das vor allem <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Anwendung angeeigneter Information gerichtet ist und konstruktives<br />

Lernen. Während reproduktives Lernen vor allem in der passiven Aufnahme<br />

von Wissensstoff besteht, wird bei den beiden anderen Lernstilen davon ausgegangen,<br />

dass das Individuum selbst Annahmen konstruiert und prüft. Reproduzierendes Lernen<br />

hat sich als deutlich weniger effektiv erwiesen als <strong>die</strong> konstruktiveren Formen. MARTON<br />

/ BOOTH (1996) unterscheiden zwischen Oberflächen- (surface) und Tiefenlernen (deep<br />

learning). Da beim Oberflächenlernen mehr Wert <strong>auf</strong> unwesentliche Einzelheiten statt<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> zentralen Prinzipien gelegt wird, ist es auch weniger effektiv als Tiefenlernen.<br />

FEUERSTEIN (1983, 143) bezieht den Lernstil <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Selbstwahrnehmung des Individuums<br />

als „passiven Rezipienten und Reproduzenten von Information“ im Gegensatz<br />

zur Selbstwahrnehmung als „aktiven Erzeuger von neuer Information“.<br />

Nach den im vorangegangenen Kapitel berichteten Untersuchungen, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> einen aktiven<br />

Umgang mit Informationen von den ersten Wochen an hinweisen, wäre zu erwarten,<br />

dass kognitive Stile nur unterschiedliche Formen des denkenden Umgangs beschreiben,<br />

dass beispielsweise manche schneller angemessene Deutungsmuster finden und sie effektiver<br />

anwenden oder bei Schlussfolgerungen Unterschiede in der Genauigkeit bestehen<br />

usw. Bei den genannten kognitiven Stilen bestehen <strong>die</strong> Hauptunterschiede aber darin,<br />

dass im einen Fall ein denkender Umgang und im anderen eine passive, also weniger<br />

<strong>auf</strong> Denkvorgängen beruhende Aufnahme von Informationen beschrieben wird. Während<br />

also Untersuchungen zur frühen kognitiven Entwicklung den denkenden Umgang<br />

mit Information als quasi natürliche Vorgehensweise darstellen, scheint das in einem<br />

späteren Stadium nicht mehr der Fall. Wie entstehen solche Unterschiede Es gibt zwei<br />

Möglichkeiten. Entweder werden sie durch <strong>die</strong> Umgebung hervorgerufen oder es gibt<br />

genetische Bedingungen, <strong>die</strong> der Entwicklung von Anlagen Grenzen <strong>auf</strong>erlegen.<br />

83


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Die These der genetischen Begrenzung ist beispielsweise von JENSEN (1973) vertreten<br />

worden, der davon ausging, dass geringe kognitive Leistungen im Wesentlichen genetisch<br />

bedingt seien. Nach Jensen gibt es zwei Stufen der Intelligenz. Stufe I ermöglicht<br />

nur einfache kognitive Akte assoziativer und reproduktiver Art, während Stufe II komplexe<br />

Operationen des Problemlösens, Schlussfolgerns, Abstrahierens usw. umfasst. Auf<br />

Stufe I sind Denkprozesse danach nur in sehr eingeschränkter, rudimentärer Form anzutreffen.<br />

Dabei ist zu bedenken, dass es nicht um zu erwartende Unterschiede in der intellektuellen<br />

Leistungsfähigkeit geht, sondern um Unterschiede in den kognitiven Grundfunktionen,<br />

<strong>die</strong> Voraussetzungen des Denkens und damit des intelligenten Verhaltens<br />

sind. Weil JENSEN <strong>die</strong>se Unterschiede als genetisch bedingt betrachtete, sah er für Individuen<br />

der Stufe I keine Möglichkeit <strong>die</strong> erblich gesetzten Grenzen zu überschreiten.<br />

Man müsse sich mit <strong>die</strong>ser Lage abfinden und den Schülern, um sie nicht unnötig zu<br />

überfordern, entsprechend beschränkte Bildungsangebote bereitstellen.<br />

Nun kann es aber sein, dass das, was nach JENSEN <strong>die</strong> Intelligenz der Stufe I bzw. Stufe<br />

II ausmacht, durch Erziehungseinflüsse verursacht wird und nicht genetisch bedingt ist.<br />

Legt man <strong>die</strong>se Annahme zugrunde, dann muss man nach den Bedingungen suchen, <strong>die</strong><br />

<strong>auf</strong> der einen Seite eine Beeinträchtigung und <strong>auf</strong> der andern eine Förderung der kognitiven<br />

Funktionen zur Folge haben.<br />

Dieser Frage ist insbesondere FEUERSTEIN, im Zusammenhang mit der Untersuchung der<br />

Ursachen von Lernschwierigkeiten einer großen Zahl israelischer Immigrantenkinder<br />

nachgegangen, <strong>die</strong> hinsichtlich ihrer sozialen und intellektuellen Entwicklung zwischen<br />

drei und sechs Jahren unterhalb der Altersnorm lagen. Nach FEUERSTEINS Theorie sind<br />

bei der Entstehung solcher Störungen direkte und indirekte Determinanten zu unterscheiden.<br />

Die direkte Determinante besteht in einem Mangel adäquater Lernerfahrungen<br />

48 . Als indirekte Determinanten gelten z.B. Vererbung, organische Schäden, der Anregungsgehalt<br />

der Umwelt, sozioökonomischer Status und Bildungsstand der Eltern,<br />

emotionale Ausgeglichenheit von Eltern und/oder Kind, kulturelle Differenzen usw.<br />

Diese können, wenn sie ungünstig oder defizitär sind, das Entstehen eines Mangels an<br />

48<br />

Feuerstein (1983, 13 ff) versteht unter dem, was ich hier als Mangel an adäquaten Lernerfahrungen<br />

bezeichne als „Mangel an vermittelten Lernerfahrungen“, eine Formulierung, <strong>die</strong> ich bewusst vermeide.<br />

Der Kern seiner Theorie besteht in der Annahme, dass Lernbeeinträchtigungen dann nicht eintreten,<br />

wenn Kinder und Schüler durch Vermittlung dazu angeregt werden, jene kognitiven Operationen<br />

auszuführen, <strong>die</strong> im vorliegenden Modell dem forschend-entdeckenden Lernen zuzuordnen sind. Mit<br />

der Betonung des Vermittlungsaspekts bringt sich Feuerstein jedoch in Schwierigkeiten, wenn er zumindest<br />

in einem Beispiel zwischen lernfördernden und lernbehindernden Instruktionen unterscheidet.<br />

Worum es wirklich geht, sind aber <strong>die</strong> beim Kind durch Lerngelegenheiten angeregten bzw. behinderten<br />

kognitiven Operationen.<br />

84


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

adäquaten Lernerfahrungen mit bedingen, müssen es aber nicht (FEUERSTEIN 1983, 15<br />

ff.). So kann ein niedriger Bildungsstand der Eltern dazu beitragen, dass sie ihrem Kind<br />

keine adäquaten Lernerfahrungen vermitteln. Oder genetische Defekte oder emotionale<br />

Unausgeglichenheit des Kindes können dessen Rezeptivität einschränken und <strong>die</strong> Umwelt<br />

schließlich zu der Überzeugung bringen, dass <strong>auf</strong>grund der Mängel des Kindes alle<br />

Anstrengungen zum Misserfolg verurteilt seien.<br />

Eine andere bedeutsame indirekte oder mittelbare Ursache sind kulturelle Differenzen.<br />

Wenn Familien aus Ländern, in denen teilweise ganz andere Normen gelten, hierher<br />

kommen, kann ihr Leben durch grundlegende Veränderungen aus dem Tritt geraten.<br />

Manche Familien können derart verunsichert werden, dass sie davon ausgehen, sie könnten<br />

ihren Kindern nichts weiter vermitteln als das, was augenblicklich wichtig erscheint.<br />

Hinzu kommt vielleicht, dass <strong>die</strong> Eltern sich ihrer eigenen, als unterlegen bewerteten<br />

Kultur schämen und deshalb eine Reihe zusätzlicher Tabus entstehen. Die Eltern werden<br />

dann meist versuchen, das Kind ängstlich <strong>auf</strong> ein bestimmtes und als wichtig angesehenes<br />

Verhaltensrepertoire festzulegen – statt es in einer forschend-entdeckenden Weise<br />

mit der eigenen Kultur vertraut werden zu lassen.<br />

Bei anderen Familien wiederum kann <strong>die</strong> Angst vorherrschen, <strong>die</strong> Verankerung in der<br />

eigenen Kultur zu verlieren, so dass sie bei ihren Kinder in einer dogmatischen Weise<br />

<strong>die</strong> Rezeption und Reproduktion bestimmter äußerer Formen erzwingen. Die Folgen<br />

sind gleich ungünstig. In jedem Fall entstehen <strong>die</strong> Schwierigkeiten einfach durch einen<br />

Mangel an adäquaten, also mit der geistigen Überstruktur übereinstimmenden, also forschend-entdeckenden<br />

Lernerfahrungen. Denn von <strong>die</strong>ser Überstruktur sind wir alle von<br />

vornherein <strong>auf</strong> denken, untersuchen, selbständiges Suchen und Forschen angelegt.<br />

Es ist daher zu vermuten, dass <strong>die</strong> meisten lernbeeinträchtigten Kinder ihre kognitive<br />

Leistungsfähigkeit durch adäquate Lernerfahrungen erheblich steigern können, d.h. dass<br />

<strong>die</strong> niedrige kognitive Leistungsfähigkeit <strong>die</strong>ser Kinder nicht angeboren und unveränderlich<br />

ist. So stellte STOTT (1972, 68 f.) bei der Untersuchung langsam lernender Kinder<br />

erstaunt fest, dass er nicht in der Lage schien, ein Kind zu finden, das „einfach dumm“<br />

war. In jedem, der von ihm untersuchten Fälle stieß er <strong>auf</strong> eine „Mixtur von Nachteilen,<br />

ungünstigem Temperament, emotionalen Belastungen <strong>auf</strong>grund von familiären Ängsten,<br />

sozialen Benachteiligungen, unregelmäßigem Schulbesuch, lang dauernder Krankheit,<br />

von denen jeder schon für sich gereicht hätte, um das Schulversagen zu erklären“. Um<br />

sicher zu gehen, bat STOTT <strong>die</strong> Lehrer von vier Schulen, ihm jene Kinder zu nennen, bei<br />

denen sie einfach einen Mangel an Intelligenz vermuteten und nicht andere Faktoren zu<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

niedrigen Leistungen geführt hätten. Obwohl sie zunächst glaubten, eine Menge solcher<br />

Schüler benennen zu können, fanden sie nur wenige. Trotz einer sorgfältigen Prüfung<br />

<strong>die</strong>ser Kinder gelang es STOTT nicht in einem einzigen Fall, <strong>die</strong> schlechten Leistungen<br />

<strong>auf</strong> letztlich unbeeinflussbare Defekte zurückzuführen.<br />

Den für <strong>die</strong> kognitive Entwicklung adäquaten bzw. inadäquaten Bedingungen wird in<br />

den folgenden Kapiteln zum rezeptiv-reproduktiven sowie zum forschend-entdeckenden<br />

Lernstil nachgegangen. Der rezeptiv-reproduktive Lernstil ist nach FEUERSTEIN typisch<br />

für retar<strong>die</strong>rte lernbehinderte Schüler. Es ist daher zu vermuten, dass ein Mangel an adäquaten<br />

Lernerfahrungen zunächst <strong>die</strong> Entstehung eines rezipierend-reproduzierenden<br />

Lernstils begünstigt, wobei dann durch dessen fortgesetzte Anwendung nach und nach<br />

ernsthafte Lernstörungen und Retar<strong>die</strong>rungen <strong>auf</strong>treten.<br />

Entstehung des rezipierend-reproduzierenden Lernstils<br />

Der Ausgangspunkt für <strong>die</strong> Entstehung des rezipierend-reproduzierenden Lernstils liegt<br />

in der Einstellung der Eltern und Lehrer, nämlich in der Einstellung, Erziehung bestehe<br />

in der Formung von Verhalten, von Auffassungen und Kenntnissen nach als richtig erachteten<br />

Vorstellungen der Erwachsenenwelt. Jemanden nach festen Vorstellungen formen<br />

zu wollen bedeutet, dass <strong>die</strong> Neigungen und Interessen des Kindes als nicht so<br />

wichtig gelten und übergangen werden können. Bei einer solchen Erziehung geht es vor<br />

allem um <strong>die</strong> Ergebnisse. Das Kind soll sich „richtig“ verhalten, es soll alles das beherrschen,<br />

was von Kindern in einem bestimmten Alter erwartet wird. Ein Erzieher, der sich<br />

<strong>auf</strong> Ergebnisse konzentriert, wird beispielsweise den Umgang mit einem Spielzeug in<br />

der richtigen Weise vorexerzieren und dann dar<strong>auf</strong> achten, dass das Kind das erwünschte<br />

Verhalten zeigt. Dementsprechend wird er entweder mit Lob oder Missfallen reagieren.<br />

Das Ziel des Erziehers ist <strong>die</strong> Vermittlung einer bestimmten Handlungsweise.<br />

Versuchen wir nun einmal <strong>die</strong> Sicht des Kindes einzunehmen. Es sieht wie der Erzieher<br />

einen Gegenstand behandelt. Wenn es jetzt selber versucht, mit dem Gegenstand umzugehen,<br />

was es ja nur <strong>auf</strong> seine Weise tun kann, erzeugt das Missfallen. Das Kind fragt<br />

sich nun, was <strong>die</strong>ses Missfallen ausgelöst hat und was der Erzieher erwartet. Nach einer<br />

Weile wird ihm vielleicht klar, dass <strong>die</strong>se ganz bestimmte Handlung mit dem Gegenstand,<br />

<strong>die</strong> der Erzieher immer wieder mit dem Gegenstand ausführt, von ihm erwartet<br />

wird. Da ihm aber der Zusammenhang der Handlung mit dem Gegenstand noch klar ist,<br />

erscheint ihm <strong>die</strong> Handlung ohne jeden Sinn. Führt es nun <strong>die</strong> Handlung aus, dann vor<br />

allem, um den Erzieher nicht zu enttäuschen bzw. nicht seinen enttäuschenden Reaktio-<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

nen ausgesetzt zu sein. Solches Lernen von subjektiv sinnlosen Handlungen, Lehrsätzen<br />

(z.B. „ein Punkt ist, was keine Ausdehnung hat“) usw. erzeugt den rezeptivreproduzierenden<br />

Lernstil.<br />

Das bedeutet nun allerdings nicht, dass der Umgang mit Gegenständen grundsätzlich<br />

<strong>die</strong>se Wirkung haben müsste. Wenn nämlich ein solcher handelnder Umgang immer nur<br />

dann vorgemacht wird, wenn das Kind eine gewisse Aufmerksamkeit dafür <strong>auf</strong>bringt<br />

und ohne vom Kind das Nachmachen zu fordern, wird es ihm irgendwann gelingen, aus<br />

der Abfolge der Handlungen anhand des Gegenstandes das Ziel zu erschließen. Die gemeinsame<br />

Freude darüber bedeutet dann eine Bestätigung. In <strong>die</strong>sem Fall ist das Ziel des<br />

Erziehers nicht einfach ein Handlungsergebnis, sondern das Verstehen eines sachlichen<br />

Zusammenhangs, nämlich des Zusammenhangs, dass es einerseits einen bestimmten<br />

Zweck gibt und andererseits bestimmte Handlungen, <strong>die</strong> seiner Erreichung <strong>die</strong>nen. Das<br />

erfordert eine gedankliche Unterscheidung <strong>die</strong>ser abstrakten Elemente und ihrer Beziehung.<br />

Dadurch kommt eine das Einzelereignis überschreitende Bedeutung zustande<br />

(Transzendenz), dass nämlich viele Dinge im Rahmen der jeweiligen Kultur zu einem<br />

oder auch mehreren Zwecken verwendet werden.<br />

Wenden wir uns nun wieder den Wirkungen einer vordringlich an festen Vorstellungen,<br />

Normen oder Ergebnissen orientierten Erziehung zu. Meines Wissens liegen nur relativ<br />

wenige Untersuchungen zu <strong>die</strong>sen Wirkungen vor. In einer Untersuchung wurde festgestellt,<br />

dass Kinder, <strong>die</strong> von ihren Müttern für <strong>die</strong> richtige Betonung von Wörtern belohnt<br />

und für schlechte Betonung durch Missfallensäußerungen bestraft wurden, deutlich geringere<br />

Fortschritte zeigten als Kinder, deren Mütter sich kaum um <strong>die</strong> Aussprache<br />

kümmerten (NELSON/CARSKADDON/ BONVILLIAN 1973). Daraus folgt nicht, dass <strong>die</strong><br />

beste Aussprache dadurch zu erzielen wären, indem man sich nicht um <strong>die</strong> Korrektheit<br />

oder Falschheit der Handlungen von Kindern kümmert, sondern lediglich, dass <strong>die</strong>s besser<br />

ist, als <strong>die</strong> Fixierung <strong>auf</strong> bestimmte Ergebnisse. Man kann sich leicht vorstellen, dass<br />

Kinder im zwanglosen Spiel mit ähnlichen Wörtern wie Maus, Haus, Laus usw. sehr<br />

schnell <strong>die</strong> Bedeutung einer deutlichen Aussprache erkennen können. Im Übrigen ist das<br />

Erkennen der Unterschiede von erheblicher Bedeutung für das Lesen und Schreiben. So<br />

ließen sich <strong>auf</strong>grund des Ausmaßes, in dem Vier- und Fünfjährige einzelne Laute unterscheiden,<br />

ihre Fortschritte im Lesen und Schreiben vier Jahre später vorhersagen (BRAD-<br />

LEY/BRYANT 1983).<br />

Die Konzentration <strong>auf</strong> Ergebnisse wird vor allem dann anzutreffen sein, wenn <strong>die</strong> Erzieher<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Einhaltung von Verhaltensnormen fixiert sind und weniger das Kind sehen,<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

um dessen Entwicklung zu begleiten und zu fördern. Das Kind erfährt dadurch immer<br />

wieder, dass es in derartigen Interaktionen mit Erwachsenen vor allem dar<strong>auf</strong> ankommt,<br />

gewünschte Reaktionen zu zeigen, eine Aufgabe willig auszuführen usw., weil es dadurch<br />

weiterem Druck entgehen kann. Bei einer solchen Orientierung an Verhaltensnormen<br />

stehen meist Instruktionen und deren Einhaltung im Vordergrund.<br />

FEUERSTEIN (1983, 21) vergleicht an einem Beispiel <strong>die</strong> Wirkung unterschiedlicher Formen<br />

von Instruktionen. Während es im einen nur um <strong>die</strong> Ausführung einer geforderten<br />

Tätigkeit geht, wird sie im anderen Fall sachlich begründet und überschreitet damit <strong>die</strong><br />

bloße Forderung (Transendenz).<br />

„Geh zum K<strong>auf</strong>mann und hol drei Flaschen Milch.“<br />

„Geh bitte zum K<strong>auf</strong>mann und hol uns drei Flaschen Milch, damit wir genügend für<br />

morgen haben, wenn <strong>die</strong> Läden geschlossen sind.“<br />

Im zweiten Fall wird das Kind in <strong>die</strong> Überlegungen, <strong>die</strong> hinter der Forderung stecken,<br />

miteinbezogen. „Wenn <strong>die</strong> Instruktion“ - vorausgesetzt, das Kind ist <strong>auf</strong>merksam und<br />

interessiert - „noch mit dem Gedanken verbunden wird, dass <strong>die</strong> größere Menge an<br />

Milch immer vor dem Wochenende, wenn <strong>die</strong> Läden geschlossen sind, zu besorgen ist,<br />

... werden dadurch gedankliche Antizipationen über gegebene Bedingungen in einer<br />

mehr oder wenig fernen Zukunft angeregt (Transzendenz), <strong>die</strong> einen Verhaltensplan<br />

einschließen, der mit Zielen verknüpft ist, <strong>die</strong> das Verhalten leiten (Intentionalität). Der<br />

Effekt <strong>die</strong>ser Instruktion ist also nicht <strong>auf</strong> den spezifischen Inhalt beschränkt, sondern<br />

erzeugt vielmehr eine Orientierung ...“ (FEUERSTEIN 1983, 21, meine Übers.).<br />

Es scheint so einfach zu sein, forschend-entdeckendes Lernen anzuregen, und doch wird<br />

es im Elternhaus wie in der Schule so häufig unterlassen. Warum kommt es Erziehern<br />

und Lehrern im Umgang mit Kindern und Jugendlichen so oft nur <strong>auf</strong> Ergebnisse an,<br />

d.h. <strong>auf</strong> ein bestimmtes erwünschtes Verhalten, <strong>auf</strong> in einer bestimmten Weise formulierte<br />

Kenntnisse usw. Offensichtlich deshalb, weil es uns schwer fällt, Kinder und Jugendliche<br />

als eigenständige Personen zu akzeptieren. So seltsam es scheint, es ist unerhört<br />

schwierig für uns, andere so zu akzeptieren, wie sie sind. Tatsächlich ist das eine<br />

der am schwersten zu erwerbenden Haltungen im Leben, auch wenn sie für den professionellen<br />

Erzieher unerlässlich scheint.<br />

Wenn wir von Kindern vor allem <strong>die</strong> von uns gewünschten Ergebnisse erwarten, fürchten<br />

insbesondere empfindsamere Kinder abgelehnt zu werden, wenn sie eine falsche<br />

Antwort geben. Der Druck lässt meist nach, wenn sie <strong>die</strong> Lösung nicht finden. So entdecken<br />

sie vielleicht, dass es eine nicht unangenehme Art zu leben ist, wenn sie sich dumm<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

stellen und Antworten einfach wiederholen, weil man sich dann mehr um ihr Wohlbefinden<br />

kümmert, auch wenn ihre Denkfähigkeiten dann unentwickelt bleiben. Ähnlich ist<br />

es, wenn Kinder in normorientierten Anforderungssituationen <strong>die</strong> Fertigkeit entwickeln,<br />

den Erwachsenen <strong>die</strong> Antworten zu entlocken, indem sie zögernd einen Anfang machen<br />

und dann abbrechen. Wenn sie kein ermutigendes Zeichen erhalten, greifen sie <strong>auf</strong> gut<br />

Glück zu einer anderen Lösung, bis es klappt. Auf <strong>die</strong>se Weise suchen sie den Erzieher<br />

zufrieden zu stellen (STOTT 1972, 20 ff.).<br />

Immer, wenn das Kind versucht, den Erzieher zufrieden zu stellen, unangenehmem<br />

Druck oder Missfallen auszuweichen, stehen nicht <strong>die</strong> sachlichen Zusammenhänge im<br />

Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit, wie es der Erzieher vielleicht beabsichtigt, sondern<br />

ganz andere Dinge. Die Sache bzw. <strong>die</strong> richtige Antwort wird zu einem Mittel, um einer<br />

unangenehmen Situation zu entkommen, um endlich Ruhe zu haben, um den Erwachsenen<br />

zufrieden zu stellen. Die Sache selbst kann dann schon deshalb nicht an sich interessant<br />

werden, weil für das Kind ja gar kein solches sachliches Problem besteht. Das wäre<br />

dann der Fall, wenn <strong>die</strong> Interaktion von den Problemen des Kindes ausgehen würde oder<br />

wenn es vom Erwachsenen in den Problemzusammenhang einbezogen würde. Dann<br />

könnte man gemeinsam über <strong>die</strong> Sache nachdenken, Schritte zur Lösung ausprobieren<br />

usw. Wer dagegen Antworten lernt ohne Fragen gestellt zu haben, dem fehlt der Sinn,<br />

der Zusammenhang. Das Kind wird also versuchen, das gewünschte zu rezipieren und<br />

bei Bedarf zu reproduzieren.<br />

Nicht alle Kinder versuchen, sich einem an Normen ausgerichteten Erzieherhandeln <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> eine oder andere Weise anzupassen. Es gibt auch solche, <strong>die</strong> <strong>auf</strong>sässig werden und<br />

sich gegen <strong>die</strong> Einengung ihrer Selbstentfaltungsmöglichkeiten wehren. Aber auch in<br />

<strong>die</strong>sem Fall versäumen es <strong>die</strong> Kinder, sich mit Sachverhalten auseinander zu setzen.<br />

Stattdessen geraten sie bei Lernsituationen leicht in einen emotionalen Aufruhr, der ihre<br />

Empfänglichkeit für das Verständnis von Sachzusammenhängen beeinträchtigt. Weil sie<br />

<strong>die</strong> Erfahrung machen, dass <strong>die</strong> Reaktionen, <strong>die</strong> man von ihnen fordert, als solche sinnlos<br />

sind und nur auswendig gelernt werden können, neigen auch <strong>die</strong>se Kinder zu der<br />

fatalen Ansicht, Lernen bedeute, Wissen zu Rezipieren und wieder zu Reproduzieren.<br />

Eine Auffassung, <strong>die</strong> sich auch in der Schule letztlich nur nachteilig auswirken kann.<br />

Ernste Lernstörungen und Retar<strong>die</strong>rungen treten in der Regel in den ersten Schuljahren<br />

zutage. Es sind meist Schüler <strong>die</strong> in einer Sache versagen und denen niemand kompetent<br />

hilft, ihre Fehler zu entdecken. Meist haben sie an einer entscheidenden Stelle etwas<br />

Wichtiges nicht verstanden und glauben nun, <strong>die</strong>sen Mangel an Verständnis nur durch<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

intensiviertes (Auswendig-)Lernen wettmachen zu können. Dadurch wird der Fehler<br />

aber nicht korrigiert. Vielmehr wird Lernen, wo das Verständnis fehlt, ineffektiv. Die<br />

Kinder merken das und zweifeln an ihrem Verstand. Auf <strong>die</strong>se Weise können unscheinbare<br />

Schwierigkeiten, wenn sie nicht gelöst werden, verheerende Entwicklungen zur<br />

Folge haben.<br />

Beispiele für rezipierend-reproduzierendes Lernen<br />

Gustav war „Sitzenbleiber“. Er musste <strong>die</strong> erste Klasse wiederholen. Der Lehrerin fiel<br />

<strong>auf</strong>, dass er „bei den ersten Wörtern des Leselehrgangs immer eine tieftraurigere Miene“<br />

machte, „obwohl er alle Wörter behielt“. Sie ging nun nicht darüber hinweg, sondern<br />

fragte ihn nach dem Grund, wor<strong>auf</strong> der Schüler ihr erklärte, dass Lesenlernen anfangs<br />

zwar leicht sei, aber dann würden es immer mehr Wörter. „’Zum Schluß sind es Tausend<br />

oder eine Million, und denn kann man sie nicht mehr behalten und denn bleibt man sitzen!’“<br />

Die Lehrerin setzte ihm auseinander, er müsse etwas falsch verstanden haben und<br />

dass man sich bloß 26 Buchstaben merken müsse. Gustav wollte dar<strong>auf</strong>hin jeden Tag<br />

drei Buchstaben lernen. Es dauerte drei Wochen, bis er lesen konnte. Zum Zeitpunkt des<br />

Berichts der Lehrerin war er ein Schüler mit vielen Ideen, der „wunderbar lesen“ konnte<br />

und „fast alle Diktate fehlerlos“ schrieb (BERT/GUHLKE 1977, S. 51).<br />

Es hätte aber auch anders ausgehen können, wenn <strong>die</strong> Lehrerin <strong>die</strong> Traurigkeit von Gustav<br />

nicht als Indikator für Schwierigkeiten gedeutet hätte. Ist bei einem „Sitzenbleiber“<br />

nicht zu erwarten, dass er beim Lesenlernen versagt Die Lehrerin hätte davon ausgehen<br />

können, dass er nicht „intelligent“ genug und/oder „lerngestört“ sei. Gustav hätte sich<br />

selbst zunehmend als unfähig betrachtet, sein Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen wären<br />

immer weiter gesunken und hätten <strong>die</strong> Verschlechterung seiner Leistungen in anderen<br />

Fächern zusätzlich begünstigt. In <strong>die</strong>sem Fall wäre er wahrscheinlich wieder „sitzen<br />

geblieben“ und am Ende vielleicht in der Sonderschule gelandet.<br />

Zu der „Störung“ des Lesenlernens kam es vermutlich, weil Gustav von der Annahme<br />

ausging, Lernen bestehe im Einprägen von Wissen, das bei Bedarf aus dem Gedächtnis<br />

hervorzuholen und anzuwenden sei. Mit der Beseitigung <strong>die</strong>ser inadäquaten rezeptivreproduzierenden<br />

Lernweise konnte <strong>die</strong> kognitive Leistungsfähigkeit von Gustav wieder<br />

hergestellt werden.<br />

Die Schull<strong>auf</strong>bahn von Jan bis zu einem umzugsbedingten Wechsel von einem mathematisch<br />

<strong>auf</strong> ein sprachlich orientiertes Gymnasium problemlos verl<strong>auf</strong>en: Im neuen<br />

90


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

sprachlich orientierten Gymnasium scheiterte Jan im ersten Jahr an „miserablen Zensuren<br />

in Latein und Englisch“. Der Druck des Vaters und <strong>die</strong> Misserfolgserwartungen der<br />

Lehrer belasten den sensiblen Schüler enorm. Druck hat in der Regel Angst und eine<br />

erhöhte Selbst<strong>auf</strong>merksamkeit zur Folge, d.h. man verschwendet eine Menge Gedanken<br />

daran, was man falsch gemacht hat, ob man nicht genügend begabt ist usw. Dadurch<br />

wird <strong>die</strong> Verarbeitungskapazität eingeschränkt. Man reagiert nicht mehr flexibel, sondern<br />

starr. So war es auch bei Jan; er arbeitete noch viel mehr als sonst, wiederholt eine<br />

Klasse und scheitert wieder. Der Weg zum Abitur ist damit verbaut. Außerdem ist Jan<br />

unsicher geworden und hat angefangen zu stottern. Als „Notlösung“ bietet sich <strong>die</strong> Hiberniaschule<br />

an, eine Waldorfschule, an der in hohem Maß künstlerische und handwerkliche<br />

Fähigkeiten gefördert werden und in der auch Berufsausbildungen möglich sind. 49 .<br />

Allein <strong>die</strong> Tatsache, dass <strong>die</strong> Lehrer dort nicht weiterhin schlechte Leistungen von Jan<br />

erwarten, ist für ihn ungeheuer erleichternd. Außerdem entdeckt er im künstlerischhandwerklichen<br />

Bereich herausfordernde Möglichkeiten, <strong>die</strong> seine Arbeitsfreude wecken.<br />

Das Stottern verschwindet und beim Abitur schließt er mit der „besten Englischprüfung<br />

seiner Klasse“ ab. (GESSLER 1985, S. 197, 198).<br />

Auch in <strong>die</strong>sem Fall ist anzunehmen, dass der Schüler zunächst versucht hat, <strong>die</strong> Fülle<br />

des Lernstoffes durch rezipierend-reproduzierendes Lernen zu bewältigen. Denn wer im<br />

systematisch <strong>auf</strong>gebauten Lateinunterricht einige wichtige Zusammenhänge nicht versteht,<br />

und das durch Auswendiglernen auszugleichen sucht, muss mit zunehmenden und<br />

schließlich kaum noch zu bewältigenden Schwierigkeiten rechnen. Beim Fortschreiten<br />

des Unterrichts wird der Aufwand für <strong>die</strong> mechanische Aneignung immer größer und<br />

kann letztlich nicht mehr bewältigt werden. Denn statt einer beschränkten Zahl übergeordneter<br />

Regeln, mit deren Hilfe Texte zu entschlüsseln sind, muss der Schüler eine<br />

schier unendliche Fülle von Einzelheiten behalten. Doch reicht das nicht aus. Denn<br />

selbst wenn <strong>die</strong>se Einzelheiten zur Anwendung ständig und allesamt verfügbar wären,<br />

könnte er doch nur mit den entscheidenden Regeln herausfinden, welche relevant und<br />

welche zu vernachlässigen sind. Für den reproduktiv Lernenden werden <strong>die</strong> Gegenstände<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise immer undurchschaubarer. Sie werden daher auch als wenig sinnvoll<br />

erlebt, so dass der Schüler schließlich resigniert.<br />

Rezeptiv-reproduktiv lernenden Schülern fällt es grundsätzlich sehr schwer ihre Kenntnisse<br />

und Fertigkeiten zu nutzen. So berichtet FEUERSTEIN (1983, 285) von Schülern, <strong>die</strong><br />

zwar wissen, wie alt sie sind, <strong>die</strong> Jahreszahl des l<strong>auf</strong>enden Jahres kennen, subtrahieren<br />

und ad<strong>die</strong>ren können, aber <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frage, in welchem Jahr sie geboren wurden, nicht in<br />

49<br />

Zur Hiberniaschule vgl. ausführlich RIST/SCHNEIDER 1980.<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

der Lage sind, <strong>die</strong> richtige Antwort zu geben. Stattdessen sagen sie etwa: „Ich habe meine<br />

Geburtsurkunde nicht gesehen, aber mein Vater weiß es“. In einem anderen Fall fragte<br />

FEUERSTEIN ein Mädchen, wie lange sie zur Schule unterwegs sei. Sie sagte, sie wisse<br />

es nicht. Durch Befragen fand FEUERSTEIN heraus, dass sie wusste, wann der Bus abfuhr,<br />

wann er ankam, wie viel Minuten eine Stunde hat und dass sie in der Lage war, <strong>die</strong> erforderliche<br />

Subtraktion auszuführen. Diese Schüler glauben nur das zu wissen, was sie<br />

rezipierend gelernt haben. Etwas selber herauszufinden, kommt ihnen kaum in den Sinn.<br />

Dieses Verhalten ist auch bei Erwachsenen anzutreffen, <strong>die</strong> an rezeptiv-reproduktives<br />

Lernen gewöhnt sind. So erinnere ich mich an folgende Geschichte in einem Supermarkt.<br />

Eine ältere Dame hatte ein Rezeptbuch ausgegraben, in dem <strong>die</strong> Mengen noch in<br />

Dezilitern angegeben waren. Sie wollte nun wissen, wie viel Zentiliter (cl) ein Deziliter<br />

(dl) habe. Niemand konnte es sagen. Schließlich stand eine Reihe von Leuten zusammen<br />

und suchten Wissensbruchstücke hervor. Wie viel Deziliter hat denn ein Liter Einige<br />

meinten es müssten wohl 100 oder 10 sein, einige meinten, es wären vielleicht nur 5.<br />

Dann fing man an zu raten, wie viele Milliliter ein Liter wohl habe. Allerdings kamen<br />

einige hier dann doch zum richtigen Ergebnis. Es müssten wohl 1000 sein, so wie ein<br />

Meter ja 1000 mm habe. Aber Deziliter, das wusste keiner mehr. „Es ist zu lange her,<br />

dass ich das gelernt habe.“ Schließlich gab man achselzuckend <strong>auf</strong>. Die Dame solle doch<br />

mal in der Apotheke nebenan fragen.<br />

Der Einfluß der Schule <strong>auf</strong> den rezipierend-reproduzierenden Lernstil<br />

Zumeist wird es als Aufgabe der Schule betrachtet, Inhalte zu vermitteln, d.h. <strong>die</strong> Ergebnisse<br />

einer Ansammlung von Erkenntnissen. Daher verwundert es nicht, wenn Lehrer<br />

häufig schon zufrieden sind, wenn ein Schüler <strong>die</strong>se Ergebnisse <strong>auf</strong>nehmen und richtig<br />

wiedergeben kann. Rezipierendes Lernen ist daher sehr verbreitet. Tatsächlich gilt Lernen<br />

im Alltagsverständnis als Aufnehmen, Speichern, Wiedergeben und Anwenden von<br />

Wissen bzw. Ergebnissen. Selbst im Rahmen einiger Lerntheorien wird <strong>die</strong> Auffassung<br />

vertreten, <strong>auf</strong> der untersten Stufe stünden der Erwerb von einfachen Reaktionen <strong>auf</strong> Signale,<br />

<strong>die</strong> dann zu immer komplexeren Bedeutungsmustern kombiniert, von anderen<br />

Mustern unterschieden und dann zu Regeln verknüpft würden. Erst <strong>auf</strong> der höchsten<br />

Stufe seien Individuen in der Lage, selbständig Probleme zu lösen und Zusammenhänge<br />

zu entdecken (vgl. z.B. GAGNÉ 1973).<br />

Dieses allgemeine Verständnis von Lernen als einem Rezeptions- und Reproduktionsvorgang<br />

dürfte nicht selten dazu führen, dass Kinder <strong>die</strong>sen Lernstil bereits zuhause er-<br />

92


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

werben. Sie werden dann mit einiger Wahrscheinlichkeit auch in der Schule fortfahren,<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise zu lernen. Diese Bereitschaft wird noch verstärkt durch den in der Schule<br />

verbreiteten Verbalismus, d.h. <strong>die</strong> übliche Praxis, fast alles durch Sprache zu vermitteln.<br />

So stellen MARTON / BOOTH (1996) fest, dass <strong>die</strong> oberflächlich lernenden Schüler<br />

vor allem dar<strong>auf</strong> bedacht sind, sich Texte anzueignen. Sie führen das <strong>auf</strong> eine falsche<br />

monistische Ontologie der Schülers zurück, in der der Text als identisch mit der Wirklichkeit<br />

betrachtet wird. Diese Auffassung kommt aber zustande durch <strong>die</strong> Art des Lehrens<br />

und Prüfens. Wenn Lehrtexte <strong>die</strong> Grundlage und den Maßstab von Prüfungen darstellen,<br />

wird es insbesondere Schülern, <strong>die</strong> bereits in ihrer frühen Kindheit entsprechende<br />

Erfahrungen gemacht haben, nahe liegend erscheinen, den Text selber als das zu Lernende<br />

zu betrachten 50 .<br />

Praktisches Experimentieren, Basteln von Figuren, geometrischen Körpern, handwerkliches,<br />

gärtnerisches Tun usw. wird meist nur zur Veranschaulichung oder als Ergänzung<br />

für intellektuell weniger begabte Schüler berücksichtigt. Doch es ist vor allem das Umgehen<br />

mit Gegenständen, das <strong>die</strong> Aufmerksamkeit <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Sache selber lenkt. Daraus<br />

ergeben sich fast von selbst Fragen danach, wie und warum etwas funktioniert. In einem<br />

solchen zielgeleiteten Erkunden werden kognitive Operationen des Vergleichens, der<br />

Bildung von Klassen, der Schlussfolgerung, der Prüfung von Hypothesen usw. geübt.<br />

Wenn aber der schrittweise Prozess, der erst in einsichtiger Weise vom bestehenden<br />

Wissen des Schülers zu einem gewünschten Ergebnis führen kann, nicht nachvollzogen<br />

oder gefunden wird, erscheint das Ergebnis als etwas, das man nicht oder nur vage und<br />

teilweise verstehen kann. Nur durch <strong>die</strong>ses Entdecken oder Nachvollziehen der einzelnen<br />

Schritte, können <strong>die</strong> Schüler jene kognitiven Grundfunktionen trainieren, <strong>die</strong> erst<br />

den Aufbau mentaler Modelle ermöglichen. Wenn sie aber nicht lernen, <strong>auf</strong>merksam<br />

Dinge und Vorgänge zu beobachten, z.B. indem sie Zeichnungen von einem Gegenstand<br />

anfertigen, <strong>die</strong> sie immer weiter perfektionieren können, <strong>die</strong> sie mit Zeichnungen von<br />

ähnlichen Gegenständen vergleichen, wenn sie nicht versuchen, Dinge nach solchen<br />

selbst erkannten Merkmalen zu klassifizieren, wenn sie nicht selber Erscheinungen entdecken,<br />

<strong>die</strong> sie durch <strong>die</strong> Annahme verborgener Zusammenhänge zu erklären suchen<br />

usw., werden sie kaum lernen, wie man selber eine Ordnung in einem Wust von Fakten<br />

schaffen kann. Werden sie nicht zu solchen geistigen Prozessen angeregt, verlernen sie<br />

letztlich das Lernen.<br />

50<br />

Zur Bedeutung der Unterscheidung von Wirklichkeit, Theorien über <strong>die</strong> Wirklichkeit vgl. LEHNER<br />

1994, 40.<br />

93


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Als beispielsweise BAIRD (1986) Schüler der 9. und 11. Klasse fragte, ob sie sich wünschen<br />

würden, effektiver lernen zu können, sagten fast alle ja. Aber <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frage, was<br />

sie dazu tun könnten, meinten <strong>die</strong> meisten, sie müssten sich besser konzentrieren und<br />

härter arbeiten. Da <strong>die</strong> Aufgabe der Lehrer vor allem darin besteht, den Schülern Inhalte<br />

zu präsentieren, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se rezipieren und verstehen sollen, und da ja auch Lerntheorien<br />

Lernen erst <strong>auf</strong> den obersten Stufen als Problemlösen durch selbständiges Handeln <strong>auf</strong>fassen,<br />

ist nicht zu erwarten, dass Lehrer hier eine abweichende Ansicht vertreten. Das<br />

zeigte sich auch in einem zweijährigen Versuch zum selbständigen Lernen, in dem manche<br />

Lehrer größere Schwierigkeiten hatten, sich mit ihrer Rolle als Beschaffer von Material<br />

abzufinden als <strong>die</strong> Schüler, <strong>die</strong> das Lernen zwar als mühsam, aber befriedigend erlebten.<br />

Aufgrund der Erfahrungen im Versuch nehmen BECK u.a. (1991, 758 ff) an, dass<br />

<strong>die</strong> Lehrer sich während des Übergangs als Lernberater noch nicht hinreichend kompetent<br />

fühlen und <strong>die</strong> Forderungen der nicht nur selbständiger, sondern hinsichtlich der Art<br />

der Kommunikation und Aufgaben zugleich auch anspruchsvoller werdenden Schüler<br />

zunächst fürchten.<br />

Nun darf man sich rezeptives Lernen nicht so vorstellen, als würden <strong>die</strong> Schüler den<br />

Stoff einfach wie sinnlose Silben auswendig lernen. Vielmehr verstehen <strong>die</strong> Schüler Teile,<br />

bei anderen Teilen haben sie zumindest eine Ahnung, aber <strong>die</strong> größeren Zusammenhänge<br />

bleiben der Mehrheit verborgen wie Untersuchungen an Schulabgängern zeigen<br />

(HÄUSSLER 1990; NOLTE-FISCHER 1989; SVINGBY 1991). Rezeptiv-reproduktives Lernen<br />

dürfte im ergebnisorientierten Unterricht bei fast allen Schülern verstärkt in den Fächern<br />

anzutreffen sein, für <strong>die</strong> sie nur wenig Interesse <strong>auf</strong>bringen. Auch wenn nicht immer<br />

ernste Lernstörungen entstehen, können doch Möglichkeiten der Schüler verschüttet<br />

werden.<br />

Selbständiges Forschen und Entdecken bei Kindern<br />

Während rezeptiv-reproduktives Lernen in der Abhängigkeit von äußeren Quellen des<br />

Wissens wurzelt, beruht forschend-entdeckendes Lernen <strong>auf</strong> dem selbständig denkenden<br />

Umgang mit Information. Es bedeutet immer, von einer Frage oder einem Problem auszugehen.<br />

Ein Problem entsteht dann, wenn ein Geschehen oder eine Information einer<br />

bestehenden Erwartung widerspricht. Erwartungen wiederum bedeuten, dass bereits eine<br />

Vorstellung oder eine intuitive Theorie der Dinge, mit denen es das Individuum zu tun<br />

hat, vorhanden ist. Nach dem Alltagsverständnis ist es jedoch so, dass <strong>die</strong>se Grundlagen<br />

erst geschaffen werden müssen. Auch in der Lerntheorie ging man lange davon aus, zu-<br />

94


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

erst seien Wissenselemente zu erwerben, <strong>die</strong> als Ausgangspunkt für <strong>die</strong> Bildung von<br />

Begriffen <strong>die</strong>nen, <strong>die</strong> wiederum zu Regeln kombiniert werden können usw.<br />

Bei der Untersuchung von Begriffsbildungsprozessen gingen Entwicklungspsychologen<br />

lange davon aus, dass <strong>die</strong> Kinder mit der Sammlung von Informationen z.B. über das<br />

Aussehen von Dingen beginnen, <strong>die</strong> sie dann vergleichen, nach Ähnlichkeit ordnen usw.<br />

bis sie schließlich zu jenen Merkmalskombinationen gelangen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Begriffe ausmachen.<br />

Inzwischen sieht <strong>die</strong> Forschung das aber anders. Es wird angenommen, dass <strong>die</strong><br />

Kinder von allgemeinen Vorstellungen oder intuitiven Theorien ausgehen, innerhalb<br />

derer <strong>die</strong> Dinge eine bestimmte Bedeutung haben, <strong>die</strong> sie im Zuge der Anpassung an <strong>die</strong><br />

Realität differenzieren. Danach müssen sie also bereits über „Theorien“ oder Begriffe<br />

verfügen, <strong>die</strong> es ihnen ermöglichen, Ereignisse und Dinge ihrer Umgebung sinnvoll zu<br />

deuten. Einzeldinge sind für sich bedeutungslos, erst innerhalb übergreifender Vorstellungen<br />

erhalten sie eine Bedeutung. Deshalb kann ein Roboter nichts mit Erscheinungen<br />

anfangen, für <strong>die</strong> ihm keine Wahrnehmungskriterien einprogrammiert worden sind.<br />

Um <strong>die</strong> Annahme zu prüfen, ob Kinder im Umgang mit Tierarten von intuitiven Theorien<br />

ausgehen, führte KEIL (1989) Untersuchungen mit Geschichten von Verwandlungen<br />

durch. Es ging um Lebewesen und künstliche Gegenstände. Beispielweise erzählte KEIL<br />

Kindern im Vorschul- und Kindergartenalter von einem Tierarzt, der einem kranken<br />

Tigerbaby eine Tablette gibt. Aber <strong>die</strong> Tablette hat unerwartete Nebenwirkungen. Denn<br />

als es dem Tigerbaby wieder besser ging und es größer wurde, verlor es <strong>die</strong> Streifen und<br />

um den Hals es wuchs ihm eine Mähne. „Jetzt wo es ausgewachsen ist, sieht es so aus<br />

(der Versuchsleiter zeigt dem Kind ein Bild). Ist es ein Tiger oder ein Löwe“ (S. 222).<br />

Daneben gab es auch Verwandlungen durch bloße Veränderung des Aussehens (Überstreichen<br />

von Streifen, ankleben von Mähnen usw.).<br />

Jüngere Kinder rechtfertigen den Wandel von einer zur anderen Tierart damit, dass <strong>die</strong><br />

Spritze, Pille oder <strong>die</strong> Vitamine den Endzustand des Tieres verändert hätten, obgleich<br />

sie, wenn <strong>die</strong> Verwandlung nur das Äußere betraf, verneinten, dass das Aussehen das<br />

Wesen eines Tieres ändern könne. Ältere Kinder beharren dar<strong>auf</strong>, dass eine Tierart nicht<br />

geändert werden könne und geben dafür verschiedene Gründe an. Für einige ist es entscheidend,<br />

als was ein Tier geboren wurde, andere behaupten kategorisch, ein Tier könne<br />

nicht in ein anderes verwandelt werden oder meinen, dass sich nur sein Äußeres verändert<br />

habe (S.223 ff).<br />

In jedem Fall gehen <strong>die</strong> Kinder von allgemeinen Annahmen aus, innerhalb derer sie <strong>die</strong><br />

geschilderten Verwandlungen, d.h. <strong>die</strong> Art, zu der ein Tier gehört, interpretieren. Aber<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

jüngere Kinder sind im Gegensatz zu älteren eher geneigt, innere Verwandlungen durch<br />

Spritzen usw. für möglich zu halten. Ein Kind ging vom Verhalten aus. Wenn eine<br />

Blaumeise nach einer Vitaminspritze wie ein Gelbfink singt, dann müsse <strong>die</strong>ser Vogel<br />

auch <strong>die</strong> innere Natur eines Finken besitzen, denn sonst würde er doch wie eine Blaumeise<br />

singen.<br />

Ganz sicher waren <strong>die</strong> Kinder bei Verwandlungen künstlicher Gegenstände. Ein <strong>auf</strong>ziehbarer<br />

Spielzeugvogel, dem Ärzte eine kleine Maschine einbauen, damit er singen kann,<br />

dem sie in einer Schönheitsoperation richtige Federn ankleben und einen schöneren<br />

Schnabel machen, dem sie den Aufziehschlüssel entfernen und eine weitere Maschine<br />

einbauen, damit er mit den Flügeln schlagen, umherfliegen und pfeifen kann, ist für <strong>die</strong><br />

Kinder nach wie vor kein richtiger Vogel. Ferner waren sie auch in der Lage, Bilder mit<br />

Lebewesen und Artefakten korrekt zu sortieren, auch wenn es sich dabei um unvertraute<br />

Gegenstände und Lebewesen handelte (z.B. ein Ionisiergerät mit dänischem Design und<br />

eine unbekannte Kaktusart), denen artuntypische Phantasienamen gegeben wurden.<br />

Untersuchungen <strong>die</strong>ser Art zeigen, dass „Vorschul- und sogar Kindergartenkinder systematische<br />

Vorstellungen davon haben, wodurch charakteristische Merkmale von Tieren<br />

entstehen können und wodurch nicht“. Sie verstehen, „dass typische äußere Kennzeichen<br />

allein nicht ausreichen, um <strong>die</strong> Zugehörigkeit zu einer bestimmten Tierart festzustellen;<br />

man muss auch berücksichtigen, wie <strong>die</strong>se Merkmale entstanden sind. ... <strong>die</strong>se Kinder<br />

betten ihre Begriffe ein in einen Zusammenhang systematisch verknüpfter Vorstellungen<br />

und interpretieren Begriffsmerkmale in <strong>die</strong>sem Rahmen...“ 51<br />

Wenn nun Kinder in verschiedenen Bereichen über zwar naive oder intuitive, für das<br />

Alltagsverständnis jedoch hinreichende Theorien oder Vorstellungen verfügen, ist damit<br />

<strong>die</strong> entscheidende Voraussetzung für forschend-entdeckendes Lernen erfüllt. Einschränkend<br />

ist allerdings hinzuzufügen, dass das nur zutrifft, wenn solche „Kerntheorien“ bzw.<br />

abstrakte Regelsysteme für alle Bereiche vorhanden sind, was neuerdings insbesondere<br />

im Rahmen der evolutionären Psychologie nachzuweisen versucht wird (z.B. TOO-<br />

BY/COSMIDES 1992). Danach verfügen Kinder über eine intuitive Mechanik, Vorstellungen<br />

von Zahl, Zeit und Raum, eine intuitive Psychologie, Gerechtigkeitssinn, einen Sinn<br />

für Verwandtschaft usw. Man kann sie sich als Regelsysteme oder Programme für <strong>die</strong><br />

51<br />

KEIL 1989, 246, meine Übers. Diese Auffassung scheint in der Entwicklungspsychologie inzwischen<br />

weithin akzeptiert (z.B. CAREY 1985;WELLMAN 1990;GELMAN/MARKMAN 1987) .<br />

96


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Entwicklung von Fertigkeiten und Theorien vorstellen, ähnlich der Transformationsgrammatik<br />

für den Bereich Sprache (vgl. Chomsky 1977; FODOR 1983) 52 .<br />

Kognitive Operationen beim forschend-entdeckenden Lernen<br />

Nach allgemeiner Auffassung wird schulisches Lernen immer zu einem mehr oder weniger<br />

großen Teil in der Rezeption und Reproduktion von Wissen bestehen müssen.<br />

Damit ist aber offensichtlich nur gemeint, dass <strong>die</strong> Schüler nicht alles selber entdecken<br />

können. Forschend-entdeckendes Lernen kann aber beispielsweise auch im Nachvollzug<br />

von Forschungs- und Entdeckungsprozessen bestehen. Es kommt nicht so sehr dar<strong>auf</strong><br />

an, alles vollständig selbst zu entdecken. Entscheidend ist, dass <strong>die</strong> Lernenden <strong>die</strong> Sache,<br />

um <strong>die</strong> es geht, verstehen, statt Aussagen darüber in ihrem Gedächtnis zu speichern.<br />

Verstehen bedeutet, Informationen im Rahmen der eigenen Vorstellung eines Gegenstands<br />

anzuwenden, zu untersuchen oder zu erproben. Das Behalten der Lerngegenstände<br />

ist eher Nebenprodukt als Ziel. Es sind also vor allem <strong>die</strong> kognitiven Operationen wichtig,<br />

<strong>die</strong> Kinder und Schüler anwenden und durch deren Übung sie ihre mentalen Anlagen<br />

entwickeln 53 .<br />

Der Gebrauch der Sinne<br />

Der Gebrauch der Sinne wird durch Aufgaben im Zusammenhang mit konkreten Gegenständen<br />

gefördert. Der Umgang mit Dingen hat den Vorzug, dass <strong>die</strong> Lernenden dadurch<br />

über eine Kontrolle für Behauptungen von Unterschieden, Gemeinsamkeiten oder Folgen<br />

von bestimmten Operationen verfügen. Außerdem wird dadurch das Interesse an der<br />

Sache selber geweckt, wodurch <strong>die</strong> Neigung zur Rezeption umgangen wird. Vor allem<br />

aber kann durch <strong>die</strong> sinnenhafte Kontrolle der Drang der Schüler nach Perfektion, nach<br />

52<br />

53<br />

Gegen <strong>die</strong> Auffassung des umfassend von der Gesellschaft geprägten Individuums hat der Philosoph<br />

BERGSON ( 1 1932; 1980, 97) eingewandt: „Aber damit <strong>die</strong> Gesellschaft existiere, muss zunächst das Individuum<br />

ein Gesamt von eingeborenen Anlagen mitbringen; <strong>die</strong> Gesellschaft erklärt sich also nicht<br />

von selbst; folglich muss man unterhalb der sozialen Errungenschaften nachgraben, und so gelangt<br />

man zum Leben, von dem <strong>die</strong> menschlichen Gesellschaften, wie ja das ganze Menschengeschlecht,<br />

nur Manifestationen sind.“<br />

Die Einengung <strong>auf</strong> rezeptiv-reproduktives Lernen wirkt sich ja deshalb so behindernd <strong>auf</strong> <strong>die</strong> kognitiven<br />

Funktionen aus, weil nur wenige Operationen gebraucht und geübt werden. Im Grunde ist aber<br />

auch rezeptives Lernen ein forschend-entdeckender Vorgang. Denn etwas Behalten zu wollen erfordert<br />

ja, daß der Lernende Strategien entwickelt, um sich <strong>die</strong> Dinge einzuprägen. Dazu zählen etwa der<br />

Bau von Eselsbrücken, Rhythmisierungen, <strong>die</strong> Einbindung in Ordnungs oder Bedeutungszusammenhänge,<br />

<strong>die</strong> allerdings der Sache selbst nicht entsprechen müssen usw. Das bedeutet immer noch eine<br />

gewisse Übung von Denkprozessen (LEHNER 1979, 69 f.). Beim reinen repetitiven Lernen, bei der<br />

dumpfen Wiederholung des Stoffes, werden <strong>die</strong> kognitiven Operationen noch weiter reduziert. Die<br />

Beeinträchtigungen für weiteres Lernen sind bei repetitivem Vorgehen daher besonders groß.<br />

97


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

besserer Darstellung, effektiveren Mitteln usw. unterstützt und gefördert werden, weil<br />

man ja immer wieder fragen kann, ob das auch genau ist. Das erfordert allerdings, dass<br />

<strong>die</strong> Schüler sich eingehend mit den Gegenständen befassen können.<br />

Wie genau Schüler beispielsweise <strong>die</strong> Bedeutungsschattierungen von Wörtern unterscheiden<br />

können und bestrebt sind, das treffende Wort zu finden, einen Vorgang glaubhaft<br />

darzustellen, den Rhythmus ihrer Sätze der jeweiligen Stimmung anzupassen usw.,<br />

zeigte sich als HEIDE BAMBACH (1989) ihre Schüler über Jahre hin ermunterte Geschichten<br />

zu schreiben. Denn durch <strong>die</strong> genaue Erkundung einer Sache, wird auch <strong>die</strong> Wahrnehmung<br />

verfeinert, d.h. <strong>die</strong> Schüler entwickeln immer feinere Sinne. Aufgrund ihrer<br />

genaueren Wahrnehmung stellen sie dann selbst immer höhere Anforderungen auch an<br />

<strong>die</strong> Genauigkeit.<br />

Vergleichen und Kontrastieren<br />

Operationen des Vergleichens erstrecken sich bei kleinen Kindern <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Unterscheidung<br />

einzelner Sinnesqualitäten, d.h. man unterscheidet Dinge nach ihrer Farbe, ihrer<br />

Form, nach ihrer Oberfläche, ob sie rauh oder glatt, weich oder hart ist, nach ihrem Geruch,<br />

der Art der Bewegung, des Geschmacks, der Unterschiede im Klang oder Laut<br />

usw. Schüler können Gegenstände im Hinblick <strong>auf</strong> eine Vielzahl von Gesichtpunkten<br />

unterscheiden und lange Listen anlegen, in denen sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />

z.B. von Pflanzen, Tieren usw. festhalten. Dadurch werden <strong>die</strong> Schüler an genaues<br />

Beobachten gewöhnt.<br />

Bildung von Klassen<br />

Das Kontrastieren und Vergleichen führt automatisch zur Bildung von Klassen. So sind<br />

manche Pflanzen essbar, während andere ungenießbar sind, manche sind giftig, andere<br />

ungiftig usw. Auf <strong>die</strong>se Weise wird zugleich das Urteilsvermögen ausgebildet, weil der<br />

Schüler bei jedem Schritt entscheiden muss, welche Einschätzung der Farbe, Form des<br />

Geruchs, Geschmacks, Klangs usw. richtig und welche falsch ist.<br />

Analogien bilden<br />

Beim Vergleichen und Kontrastieren sind zudem Analogien zu erkennen. Denn bestimmte<br />

Zusammenhänge, Lösungsweisen usw. sind bei verschiedenen Gegenständen<br />

von gleicher Struktur. Dadurch lernen <strong>die</strong> Schüler, vom Gleichen zum Gleichen zu argumentieren.<br />

Analogien ermöglichen es ihnen, das Neue oder Unbekannte <strong>auf</strong> Vertrautes<br />

zurückzuführen. Denn wenn sie erkennen, „das ist ja wie bei ...“, erfahren sie, dass<br />

98


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

sie neue Gegenstände oft durch Suche nach analogen Zusammenhängen verstehen können<br />

(vgl. NORMAN / RUMELHART 1980).<br />

Bei der Leselern-Methode JÜRGEN REICHEN (2002) üben <strong>die</strong> Kinder eine ganze Reihe<br />

solcher Operationen. Die Kinder lernen zuerst Schreiben und danach Lesen, wie ja auch<br />

in der Entstehungsgeschichte <strong>die</strong> Entwicklung der Schrift dem Lesen stets einen Schritt<br />

voraus ist. Als erstes müssen <strong>die</strong> Kinder lernen, <strong>die</strong> Laute eines Wortes zu unterscheiden,<br />

dann müssen sie das Zeichen für <strong>die</strong> entsprechenden Laute in der so genannten Lautier-Tabelle<br />

suchen und zuordnen. Bei Wörtern wie „Iglu“, „immer“, „ich“ usw. brauchen<br />

sie z.B. das Zeichen für den Laut „I“. Sie müssen also den Gegenstand in der Tabelle<br />

suchen, der mit dem Laut I beginnt, nämlich den Igel. Sie müssen also suchen, unterscheiden,<br />

vergleichen, Klassen bilden, urteilen usw. Das ist zwar mühsam, aber interessant,<br />

und deshalb arbeiten <strong>die</strong> Schüler mit außerordentlichem Elan. An den Lehrer<br />

wenden sie sich nur, wenn sie Fragen haben, wenn sie Bestätigung brauchen. Ansonsten<br />

erforschen und entdecken sie <strong>die</strong> Welt der Schrift mit wenigen Hilfsmitteln selbständig.<br />

Sie lernen dabei nicht nur Schreiben, sondern üben auch geistige Operationen, <strong>die</strong> ihnen<br />

auch bei der Erkundung und Aneignung anderer Sachgebiete helfen.<br />

Algorithmen finden und formulieren<br />

Wenn auch ohne ausdrückliche Formulierung erzeugen <strong>die</strong> Kinder bei <strong>die</strong>ser Art des<br />

Schreibenlernens auch einen Algorithmus, d.h. eine Abfolge von Operationen, <strong>die</strong> zur<br />

Erledigung einer Aufgabe zu wiederholen sind. Andere Handlungspläne erleichtern <strong>die</strong><br />

Lösung bei mathematischen Problemen, das Schreiben von Aufsätzen usw. Die Erzeugung<br />

solcher Handlungspläne geht in dem Sinn immer ihrer Entdeckung voraus, als<br />

man, um sie zu formulieren, bereits über eine Vorstellung des Abl<strong>auf</strong>s verfügen muss.<br />

So berichten GROEN / RESNICK (1977), dass Kinder das Verfahren, beim Rechnen <strong>die</strong><br />

kleinere Zahl zur größeren zu ad<strong>die</strong>ren statt umgekehrt, selber entdecken. Es sei aber<br />

sehr schwierig, ihnen <strong>die</strong>ses Vorgehen direkt zu vermitteln und so den Lernprozess abzukürzen.<br />

Wenn man sich Vorgänge auch vorstellen kann, ohne <strong>die</strong> entsprechenden<br />

Aufgaben gelöst zu haben, kann <strong>die</strong> Mitteilung der Strategie eher genutzt werden.<br />

Beziehungen erkennen und nutzen<br />

Bei der Bildung von Algorithmen, beim Vergleichen, bei der Bildung von Klassen spielen<br />

oft auch Beziehungen wie kleiner – größer; lauter – leiser, erster – zweiter usw. eine<br />

Rolle, <strong>die</strong> Anlässe für <strong>die</strong> Bildung oder das Erkennen und untersuchen von Ordnungen<br />

(zeitliche, räumliche, verwandtschaftliche, transitive, intransitive Beziehungen usw.)<br />

99


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

bieten. Wenn Schüler sich immer wieder mit solchen Ordnungsbeziehungen befassen,<br />

wird ihnen das auch bei der Systematisierung größerer Gegenstandsbereiche helfen.<br />

Schlussfolgern<br />

Mit dem Sammeln und Ordnen von Informationen ist auch das Training des logischen<br />

Denkens verknüpft. Dazu ist es wenig sinnvoll, <strong>die</strong> logischen Verknüpfungen und Regeln<br />

anhand von Beispielen zu vermitteln. Denn wenn ein Schüler <strong>die</strong>se Regeln noch<br />

nicht selbst entdeckt hat, wird er sie sich nur rezeptiv aneignen; er wird sie dann zwar<br />

wiedergeben, aber nicht im Alltag anwenden können. Will man letzteres erreichen,<br />

braucht man <strong>die</strong> Schüler nur zu ermuntern, eigene Schlüsse aus den von ihnen in verschiedenen<br />

Gebieten gesammelten Tatsachen zu ziehen. Auf <strong>die</strong>se Weise können sie<br />

Ursache und Wirkung entdecken. Da es dabei neben erfolgreichen Lösungen stets auch<br />

zu Fehlschlägen kommt, können sie <strong>die</strong> Gründe für Erfolg und Misserfolg untersuchen:<br />

<strong>die</strong> ungenauen Ausgangstatsachen; impulsiv gezogene Schlüsse, bei denen nur ein Teil<br />

der Fakten beachtet wurde; das Beharren <strong>auf</strong> einer Vorannahme, statt auch andere Möglichkeiten<br />

zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen; das unkritische Akzeptieren<br />

einer Folgerung, bevor man versucht hat, sie durch weitere Fakten zu stützen usw.<br />

Nachvollzug<br />

Darstellungen begünstigen forschend-entdeckendes Lernen dann, wenn sie ein Phänomen<br />

verständlich beschreiben oder einen Vorgang nachvollziehbar vormachen. Wichtig<br />

ist aber auch, dass neue oder auch eine Spur von Ungewissheit erzeugende Elemente<br />

vorkommen. Während Verständlichkeit <strong>die</strong> Voraussetzung schafft, dass <strong>die</strong> für das Begreifen<br />

des Zusammenhangs erforderlichen Regelkombinationen der geistigen Struktur<br />

sowie <strong>die</strong> für den Sachzusammenhang erforderlichen Schemata evoziert werden, fördern<br />

neue und Ungewissheit erzeugende Informationen <strong>die</strong> Neugier und regen zu Fragen und<br />

damit zum Nachdenken an 54 .<br />

Wenn unter Bezug <strong>auf</strong> Alltagserfahrungen und im Zusammenhang mit bekannten Operationen<br />

allgemeine Zusammenhänge eines Phänomens beschrieben werden, können Schüler<br />

auch Vorstellungen von relativ abstrakten Erscheinungen wie der Gravitation <strong>auf</strong>bauen<br />

und differenzieren. Tatsächlich berücksichtigen ja bereits Kleinkinder, wenn sie nach<br />

bewegten Gegenständen greifen, Gravitationseffekte. Es ist also anzunehmen, dass <strong>die</strong><br />

für das Verständnis von Gravitationsphänomenen grundlegenden Voraussetzungen<br />

schon von Anfang an gegeben sind.<br />

54<br />

Vgl. Dazu BERLYNE/FROMMER 1966; BERLYNE 1974; zur Verständlichkeit GROEBEN 1972; LAN-<br />

GER/SCHULZ v. THUN/ TAUSCH 1974.<br />

100


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

In seinen Briefen an eine deutsche Prinzessin hat der Mathematiker EULER (1773) in<br />

vorbildlicher Weise verständliche und Neugier erweckende Darstellungen geschaffen.<br />

Unter anderem versuchte er der Prinzessin auch NEWTONs Gravitationstheorie nahezubringen<br />

(S. 179 f.):<br />

„Dieser große Philosoph und Mathematiker lag einst in einem Garten unter einem<br />

Apfelbaume, als ein Apfel, der ihm <strong>auf</strong> den Kopf fiel, bey ihm eine Menge<br />

Betrachtungn veranlaßte. Das wußte er sehr wohl, daß <strong>die</strong> Schwere <strong>die</strong> Ursache<br />

sey, warum der Apfel gefallen war, nachdem ihn der Wind oder eine andere Ursache<br />

von seinem Aste abgerissen hatte. Diese Vorstellung war sehr natürlich, und<br />

jeder ehrliche Bauer hätte sie vielleicht ebenso gut haben können; aber der engliche<br />

Weltweise gieng weiter. Der Baum, sagte er, muß sehr hoch gewesen seyn;<br />

und das brachte ihn <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frage: Würde wohl der Apfel gefallen seyn, wenn der<br />

Baum noch weit höher gewesen wäre Daran konnte er unmöglich zweifeln.<br />

Wie aber wenn der Baum so hoch gewesen wäre, daß er bis an den Mond gereicht<br />

hätte Hier wurde er verlegen zu entscheiden, ob der Apfel noch gefallen seyn<br />

würde oder nicht. Wenn er alsdann noch fiele (welches ihm noch sehr wahrscheinlich<br />

zu seyn schein, weil man in der Höhe des Baums sich keine gewisse bestimmte<br />

Grenze denken kann, wo der Apfel <strong>auf</strong>hören sollte zu fallen); wenn das also geschähe,<br />

so müßte der Apfel doch noch einige Schwere haben, <strong>die</strong> ihn gegen <strong>die</strong><br />

Erde triebe. Also müßte auch der Mond, der sich mit dem Apfel an einerley Orte<br />

befände, mit eben der Gewalt, wie der Apfel gegen <strong>die</strong> Erde getrieben weden, da<br />

ihm aber doch der Mond nicht <strong>auf</strong> den Kopf fiel, so sah er ein, daß davon <strong>die</strong> Bewegung<br />

des Mondes <strong>die</strong> Ursache seyn könne, so wie eine Bombe über uns weg<br />

fliegen kann, ohne gerade herunter zu fallen.“<br />

Durch <strong>die</strong> Art der Darstellung wird der Schüler dazu gebracht, sich mit dem unter dem<br />

Apfelbaum liegenden Forscher zu identifizieren. Er wird so schrittweise mit dem stets<br />

ein wenig veränderten Ziel seiner Überlegungen vertraut. Außerdem weckt <strong>die</strong> Bildhaftigkeit<br />

des Textes Vorstellungen, d.h. er führt zur Identifikation in dem Sinn, als beim<br />

Schüler Regelsysteme <strong>auf</strong>gerufen werden, <strong>die</strong> denen gleichen, <strong>die</strong> den Autor bei der<br />

Formulierung geleitet haben, so dass <strong>die</strong> wiedergegebenen Überlegungen verständlich<br />

werden. Die ungewöhnliche Vorstellung eines Baums, der bis zum Mond wächst, regt zu<br />

eigenen gedanklichen Experimenten an. Der Leser oder Zuhörer vollzieht <strong>die</strong> Ereignisse<br />

nicht nur nach, sondern er variiert sie auch, indem er sie mit eigenen Erfahrungen verknüpft<br />

und in <strong>die</strong>sem Sinn selbständig <strong>die</strong> zugrunde liegenden Zusammenhänge durch<br />

eigene Überlegungen erschließt und nicht einfach nur rezeptiv übernimmt. All das erreicht<br />

EULER, indem er bei seiner Darstellungen von Alltagserfahrungen ausgeht, Erlebnisse<br />

und anschauliche Bilder verwendet und trockene Ergebnisse in <strong>die</strong> von einer Person<br />

erlebte Ungewissheit und Neugier in Fragen, in <strong>die</strong> Suche nach Lösungen einschließlich<br />

Irrtümern und Verbesserungsversuchen zurückverwandelt.<br />

Eine bloße Darstellung der Ergebnisse hingegen würde nicht dem Denken der Schüler<br />

entsprechen, es würden nicht Vorstellungen alltäglicher fallender, in Wurf- oder Ge-<br />

101


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

schoßbahnen sich bewegender Gegenstände, mit den <strong>die</strong>sen Vorstellungen zugrunde<br />

liegenden geistigen Regelsystemen evoziert, <strong>die</strong> erst das Verständnis der Gravitation<br />

ermöglichen. Deshalb kann <strong>die</strong> Darstellung bloßer Ergebnisse oder Lehrsätze einen mit<br />

den beschriebenen Phänomenen unvertrauten Schüler nicht zu eigenem Denken anregen,<br />

d.h. zu Variationen beschriebener Vorgänge. Das variierende gedankliche „Durchspielen“,<br />

das nicht einmal mit Absicht erfolgen muss, macht eben das „Forschen“ und „Entdecken“<br />

aus. Fehlt es, ist der Lerneffekt gering. Dasselbe trifft <strong>auf</strong> Aufgaben zu, bei denen<br />

es um darum geht, Verhaltens- oder Handlungsweisen durch Beobachtung und Imitation<br />

von Modellen oder Vorbildern zu lernen.<br />

Imitation<br />

Das Lernen von Modellen oder Vorbildern beginnt sozusagen am ersten Tag. So konnte<br />

MELTZOFF (1988) zeigen, wie bereits Neugeborene versuchen, bestimmte Bewegungen<br />

des Mundes und der Zunge der Mutter zu beobachten und nachzumachen. Im Unterricht<br />

wird das Nachahmen eines modellhaften Verhaltens etwa beim Turnen, Malen, Musizieren,<br />

aber auch im Fremdsprachenunterricht methodisch genutzt.<br />

Beim Schüler kann das Nachmachen forschend-entdeckendes Lernen fördern, wenn ihm<br />

<strong>die</strong> Freiheit gegeben wird, dabei zu variieren, d.h. Möglichkeiten zu erproben, um herauszufinden,<br />

welche Art des Bewegungsabl<strong>auf</strong>s, der Aussprache, der Satzstellung in<br />

einer Fremdsprache, des Spielens einer Passage <strong>auf</strong> einem Instrument usw. ihm am ehesten<br />

erlaubt, eine gegebene Schwierigkeit zu lösen, einen bestimmten Klang zu erzeugen<br />

usw. Die Lösung, <strong>die</strong> entdeckt werden muss, besteht im Finden derjenigen Kombination<br />

von Regeln, bei der es zu einer Übereinstimmung und flüssigen Ausführung der Schemata,<br />

<strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Wahrnehmung evoziert wurden und jener, <strong>die</strong> durch das Selbermachen<br />

aktiviert werden, kommt. Ein Sportler, der z.B. eine neue Technik des Stabhochsprungs<br />

erprobt, wird vielleicht nach langer Zeit der Übung plötzlich das Gefühl haben,<br />

dass er nun erst wirklich versteht, „wie es geht“.<br />

Wird jedoch <strong>die</strong> selbstbestimmte variierende Erprobung verhindert, was zumeist durch<br />

Zerlegung in kleine Teilschritte mit nachfolgenden Kontrollen geschieht, richtet sich das<br />

Bestreben des Schülers <strong>auf</strong> das bloße Beherrschen einer bestimmten Bewegungsfolge,<br />

wie <strong>die</strong> Aussprache eines bestimmten Worts, <strong>die</strong> Wiedergabe einer bestimmten musikalischen<br />

Passage usw. Es geht also vor allem um das Behalten und Zusammenfügen von<br />

Elementen. Man spricht auch von mechanischem Lernen, weil <strong>die</strong> Rezeption und Reproduktion<br />

von äußerlichen Handlungsmustern zugrunde liegende kognitive Regelsysteme<br />

nur sehr eingeschränkt aktiviert und reorganisiert. Während beim rezeptiven Ler-<br />

102


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

nen <strong>die</strong> Ergebnisse <strong>auf</strong> jeweils bestimmte gelernte Dinge beschränkt bleiben, entwickelt<br />

sich beim forschenden Lernen ein „Gespür“, d.h. ein nicht formulierbares Regelwissen,<br />

das auch <strong>auf</strong> andere Aufgaben angewandt werden kann. In <strong>die</strong>sem Sinn transzen<strong>die</strong>rt<br />

forschend-entdeckendes Lernen stets <strong>die</strong> besonderen Ergebnisse, <strong>die</strong> das Beherrschen<br />

einer bestimmten Aufgabe bedeutet.<br />

So zeigte sich in einer Untersuchung, in der Schüler eine Regel aus einem von ihnen<br />

beobachteten Vorgang erschließen sollten, dass <strong>die</strong> Gruppen, <strong>die</strong> mehr Möglichkeiten<br />

hatten, zumindest in ihren Überlegungen Fehler zu machen, besser abschnitten als jene,<br />

bei denen <strong>die</strong> Beobachtung von geleitetem Handeln begleitet wurde, das Fehler ausschloss.<br />

Die reine Beobachtungsgruppe war hinsichtlich Wissen und Transfer mehr als<br />

doppelt so erfolgreich. Bei den Beobachtungsgruppen schnitten <strong>die</strong>jenigen besser ab bei<br />

Transfer<strong>auf</strong>gaben, denen weniger strukturierte Darstellungen dargeboten wurden (ZIM-<br />

MERMAN/ DIALESSI 1973). Auch autistische und geistig behinderte Kinder lernten Fertigkeiten<br />

wie das Ausziehen von Schuhen und Strümpfen, Dreiradfahren und Ordnen<br />

von Gegenständen durch bloße Beobachtung besser als bei zusätzlichem geleiteten Üben<br />

mit Lob für richtige Einzelhandlungen (BIEDERMAN/ DAVE/ RYDER/ FRANCHI 1994).<br />

Während <strong>die</strong> Vermittlung von bestimmten Verhaltensergebnissen zur schrittweisen Aneignung<br />

und späteren Kombination kleiner Verhaltenseinheiten führt, <strong>die</strong> bei Aufforderung<br />

oder gleichen Aufgaben wieder reproduziert werden können, begünstigt <strong>die</strong> reine<br />

Beobachtung häufig <strong>die</strong> Evozierung abstrakter interner Regelsysteme. Solche Regelsysteme<br />

können allerdings nicht beliebig konstruiert werden, vielmehr sind es Regeln, mit<br />

denen das Individuum bereits ausgestattet ist, <strong>die</strong> aber dann in der bewussten Handlung<br />

oder im Denken „schnell und in einer ganzheitlichen Weise angeeignet werden“ (ZIM-<br />

MERMAN/ROSENTHAL 1974, 39, meine Übers.).<br />

Einfühlung<br />

Aufgaben, sich in <strong>die</strong> Handlungen von Personen einzufühlen, stellen sich oder können<br />

gestellt werden, wenn Schüler sich beispielsweise mit Personen, in historischen Zusammenhängen,<br />

Filmen usw. auseinandersetzen. „Warum haben er oder sie <strong>die</strong>se Entscheidung<br />

getroffen Warum haben sie nicht anders gehandelt Welche Wahlen wären unter<br />

<strong>die</strong>sen Umständen möglich gewesen Welche Interessen waren bestimmend“ Ähnliche<br />

Möglichkeiten der Einfühlung ergeben sich beim Rollen- und Simulationsspiel, bei der<br />

Beschäftigung mit literarischen Personen usw. Eine andere Form der Einfühlung besteht<br />

darin, eine Sache von mehreren Standpunkten aus zu sehen, wie Personen sie durch verschiedenartigen<br />

Situationsbezug erleben.<br />

103


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Wie Nachvollzug und Imitation besteht auch Einfühlung darin, Ereignisse oder Handlungen<br />

als von Regeln bestimmtes bedeutungshaltiges Geschehen wahrzunehmen (v.<br />

HAYEK 1967, 59). Der Schüler muss also jene Regelkombinationen bei sich selbst rekonstruieren,<br />

von denen Personen in ihren Interaktionen geleitet waren. Wie das Verstehen<br />

von Sprache setzt auch das Verstehen von Personen voraus, dass wir alle im Prinzip<br />

mit den gleichen grundlegenden Regelsystemen ausgestattet sind, <strong>die</strong> unser Denken,<br />

Fühlen und Handeln leiten. So sind etwa beim Rollenspiel Regeln erforderlich, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Bildung so abstrakter Klassen wie <strong>die</strong> Rollen der Mutter, des Vaters, des Kindes usw.<br />

erlauben. Außerdem muss bereits eine Art intuitiver „Theorie“ der Organisation des sozialen<br />

Lebens vorhanden sein, in deren Rahmen verschiedene Rollen erst sinnvoll sind.<br />

Da bei jedem Individuum aber <strong>auf</strong>grund unterschiedlicher innerer und äußerer Bedingungen<br />

jeweils andere Kombinationen entstehen, erfordert Einfühlung eine situationsgebundene<br />

Rekombination <strong>die</strong>ser Regeln, also ein Suchen oder Forschen nach den Kombinationen,<br />

<strong>die</strong> es gestatten, <strong>die</strong> Rolle, <strong>die</strong> Vorstellungen, Wünsche, Interessen und Gefühle<br />

von Personen in bestimmten Situationen zu erkennen.<br />

Da beim Vorgang der Einfühlung nicht nur große Mengen, sondern auch sehr verschiedenartige<br />

Informationen gleichzeitig verarbeitet werden können, sind dabei leichter Einblicke<br />

in komplexe Zusammenhänge zu gewinnen als bei den meisten anderen kognitiven<br />

Operationen. Daher wird Einfühlung auch als grundlegend für Intuition und Einsicht<br />

betrachtet (BASTICK 1982). Insbesondere <strong>die</strong> Beschäftigung mit Kunst, Musik usw. fördern<br />

solche ganzheitlichen kognitiven Vorgänge. Auch eine anregende schulische Umgebung<br />

ist dazu geeignet; beispielsweise wird in Waldorfschulen <strong>die</strong> Beschäftigung mit<br />

der Geschichte Griechenlands häufig verknüpft mit einer entsprechenden Gestaltung der<br />

Klassenräume, mit dem Einleben in <strong>die</strong> griechische Sagenwelt und Mythologie etc.<br />

Einfühlung <strong>auf</strong> der Ebene sozialer Beziehungen ist geeignet, <strong>die</strong> Selbstbeobachtung zu<br />

verbessern. Beurteilung von anderen, selbst von Tieren, erfolgt über eine Art „erkennendes<br />

Gefühl“, was nur ein anderer Ausdruck für „interne Regelsysteme“ ist. Durch Bewusstmachung<br />

dessen, was <strong>auf</strong>grund der Evozierung solcher inneren Regelsysteme gefühlshaft<br />

erkannt wird, steigern wir unser bewusstes Wissen von Erscheinungen, ob sie<br />

nun außerhalb von uns oder in uns. Beispiele dafür sind etwa das Erkennen von Rangordnungen,<br />

Arroganz, Gleichstellung, Unterordnung usw. Die Bewusstmachung solchen<br />

Erkennens kann nicht nur bei der Beurteilung von anderen, sondern auch in der Einschätzung<br />

des eigenen Verhaltens von Nutzen sein. Das gilt auch für das Erkennen von<br />

Gefühlen. Wir kommen in ein Zimmer und spüren, dass eine Spannung zwischen den<br />

Menschen dort in „in der Luft liegt“. Wir erkennen <strong>die</strong> gedrückte oder gehobene Stim-<br />

104


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

mung und drücken sie auch selber durch Signale aus, <strong>die</strong> von anderen ebenfalls über den<br />

Weg der Einfühlung erfasst werden.<br />

Es verwundert daher nicht, wenn gesteigertes Einfühlungsvermögen eine größere Sensitivität<br />

für soziale Probleme mit sich bringt, prosoziales Handeln begünstigt und in engem<br />

Zusammenhang mit der Handlungskompetenz im sozialen Bereich steht (zusammenfassend<br />

hierzu UHL 1996, 117 ff.; 133 ff.). Es fördert darüber hinaus aber auch <strong>die</strong><br />

schnellere Gewinnung von Einsicht in Sachzusammenhänge (BASTICK 1982, 276 ff, 279<br />

ff.). Das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass <strong>die</strong> Rekombination von Regeln das<br />

Denken insgesamt flexibler macht. Das gilt in ähnlicher Weise für <strong>die</strong> Imagination.<br />

Imagination<br />

Während Einfühlung vor allem <strong>auf</strong> Personen bezogen ist, umfasst Imagination auch <strong>die</strong><br />

Vorstellung von Gegenständen und sachlichen Vorgängen. Als Einstein sich als Jugendlicher<br />

versuchte vorzustellen, wie es wäre <strong>auf</strong> einem Lichtstrahl zu reiten, war das eine<br />

solche sachgebundene Imagination, <strong>die</strong> aus seinem Hineinversetzen in physikalische<br />

Zusammenhänge entstand. Imagination ist der Umgang mit gedanklichen Repräsentationen<br />

von Dingen, Ideen usw. Es bedeutet im Grunde das gedankliche Erforschen von<br />

Zusammenhängen, Handlungsmöglichkeiten und den Umgang mit Vorstellungen.<br />

So berichten beispielsweise Erfinder und Ingenieure, sie könnten sich in ihrer Vorstellung<br />

so sehr in ein Gerät oder auch seine einzelnen Teile hineinversetzen, dass sie Druck<br />

und Zug und andere Vorgänge gewissermaßen körperlich empfinden (GORDON 1961).<br />

Durch ihre Vorstellungskraft gewinnen sie leichter ein Gesamtbild, das sie anschließend<br />

durch analytisches Denken in seinen Einzelheiten zu formulieren suchen. In Anlehnung<br />

an <strong>die</strong>ses Vorgehen von besonders kreativen Wissenschaftlern und Technikern empfehlen<br />

auch Methoden zur Förderung der Kreativität <strong>die</strong> Imagination; man soll sich sozusagen<br />

in <strong>die</strong> Mitte seines Problems versetzen; Augen; Ohren und Arme sollen ein Teil davon<br />

sein (GORDON 1961, 21).<br />

Übungen zur körperlichen Darstellung des Verhaltens von Menschen, Dingen, Tieren,<br />

Fabelwesen usw. erfordern, dass <strong>die</strong> Schüler versuchen, sich in eine Sache hineinzuversetzen,<br />

in „Fühlung“ mit ihr zu kommen. WAGENSCHEIN (1970, Bd. 1, 338) beschrieb<br />

<strong>die</strong>sen Vorgang beispielsweise für „das ‘Pendel’ im Physikunterricht“. Man solle ein<br />

langes schweres Pendel <strong>auf</strong>hängen und unten einen schweren Felsbrocken, den man<br />

dann schwingen lässt. Der Lehrer sagt nichts, fragt nichts, <strong>die</strong> Schüler kommen von<br />

selbst, um das Geschehen zu beobachten. Man sieht, wie sie mit dem Kopf oder dem<br />

105


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

ganzen Körper leicht mitschwingen, wie der Wendepunkt erwartet wird. Es werden vielleicht<br />

Assoziationen an das Erlebnis einer Schaukel wach, der Rhythmus von Tag und<br />

Nacht, Sommer und Winter usw. Das kann fünf Minuten oder länger dauern - oder „kosten“,<br />

wenn man an den verbleibenden Rest der Stunde denkt. Aber Wagenschein kommt<br />

es dar<strong>auf</strong> an, dass das Gesetz sozusagen im Gefühl geweckt wird, oder in der Sprache<br />

der hier vorgelegten Theorie, dass jene Regeln aktiviert werden und den Denkprozess<br />

mitbestimmen sollen, <strong>die</strong> bereits das Kleinkind in Übereinstimmung mit der Gravitation<br />

nach einem bewegten Gegenstand greifen lassen.<br />

In der Mathematik versucht er das gleiche Ziel durch verbales alltagssprachliches Umkreisen<br />

des Themas zu erreichen, ohne <strong>die</strong> eigentliche Frage direkt anzusprechen oder in<br />

<strong>die</strong> Fachterminologie zu verfallen. Wenn <strong>die</strong> Schüler dann anfangen, sich Gedanken zu<br />

machen und sich noch unbeholfen und tastend zu äußern, „muß der Lehrer sofort<br />

schweigen“ und <strong>die</strong> Schüler „in das Feld des Forschens“ entlassen (WAGENSCHEIN 1970,<br />

Bd. 1, 340).<br />

Imaginationen spielen ferner eine bedeutsame Rolle bei der Aufrechterhaltung des<br />

Selbstwertgefühls, wenn Individuen z.B. Illusionen erzeugen, um mit Misserfolgen besser<br />

umgehen zu können. Diese Möglichkeit kann auch gezielt verwendet werden, um<br />

Schüler mit einem ungünstigen Selbstbild dazu anzuregen, ihre Selbstwahrnehmung zu<br />

ändern, Überzeugungen, dass sie z.B. unbegabt wären und nicht lernen könnten, durch<br />

positive Vorstellungen von Handlungsmöglichkeiten zu ersetzen. Dieses Vorgehen hat<br />

sich als sehr effektiv erwiesen, weil <strong>die</strong> Schüler sich dadurch offenbar als eher eigenständig<br />

und selbstverantwortlich erfahren (SCHMECK 1988).<br />

Imaginationen können im Unterricht aber auch eingesetzt werden, um Schüler dazu anzuleiten<br />

sich eine Vorstellung von einer Sache, einem Vorgang, einem Ereignis zu machen.<br />

Dabei können insbesondere anschauliche Darstellungen helfen. Imaginationen<br />

können so das Verständnis in den verschiedensten Bereichen fördern. Beim Rechnen<br />

kann <strong>die</strong> Vorstellung der Gestalten von Zahlmengen wie dem Fünfer, dem Dreier, dem<br />

Vierer usw. das Operieren mit Zahlen sicherer machen und das mathematische Denken<br />

fördern (KARASCHEWSKI 1969). Das Schreiben einer Erzählung kann durch <strong>die</strong> Imagination<br />

von Situationen und Personen mit bestimmten Charaktermerkmalen, Redeweisen<br />

usw. unterstützt werden. Beim Üben eines Musikstücks kann <strong>die</strong> Vorstellung des ge-<br />

106


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

wünschten Klangbildes im Zusammenhang mit den Bewegungen beim Spiel des Instruments<br />

helfen 55 .<br />

Die Beseitigung von Lernstörungen durch forschend-entdeckende Operationen<br />

Lernstörungen entstehen nach FEUERSTEIN (1983) durch inadäquate Lerngelegenheiten,<br />

d.h. insbesondere durch Lernanforderungen, <strong>die</strong> rezeptiv-reproduktives Lernen fordern.<br />

Stellt man in ihrer Entwicklung zurückgebliebenen Kindern oder Jugendlichen Aufgaben,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Anwendung forschend-entdeckender Operationen von ihnen fordern, dann<br />

werden damit <strong>die</strong> Ursachen für <strong>die</strong> Retar<strong>die</strong>rung, nämlich <strong>die</strong> inadäquaten Lernanforderungen<br />

beseitigt.<br />

Die Schüler brauchen anfangs viel Hilfe und Ermutigung. Sie müssen langsam lernen,<br />

erst dann zu handeln, wenn sie eine Annahme formuliert haben. Sie sollten angehalten<br />

werden solche Annahmen zu prüfen: haben sie sich bewährt Warum nicht Warum<br />

treffen sie zu Der für schwache Schüler oft typischen Impulsivität ist durch Begleitung<br />

zu begegnen, damit sie nicht zu viele Fehler machen, <strong>die</strong> sie entmutigen könnten. Wenn<br />

sie aber Fehler machen, sind <strong>die</strong> Ursachen der Fehler zu suchen, indem man den Gedankengang<br />

des Schülers ernst nimmt und zurückverfolgt.<br />

Auch wenn schwere Lernstörungen im frühen Kindesalter entstanden sind, können sie<br />

durch adäquate Lernbedingungen verändert und Retar<strong>die</strong>rungen nicht selten deutlich<br />

verringert werden. Häufiger als gemeinhin angenommen, können selbst schlimmste Fälle<br />

eine günstige Wendung nehmen (vgl. CLARKE/CLARKE 1976). Auch wenn <strong>die</strong> Umstellung<br />

<strong>auf</strong> Lernbedingungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Übung forschend entdeckender Operationen fordern,<br />

erst spät erfolgt, können noch erstaunliche Korrekturen erzielt werden, wie FEUERSTEIN<br />

(1983, S. 10) am Beispiel des 15-jährigen M., zahlreichen anderen Fällen sowie anhand<br />

quantitativer Untersuchungen demonstriert:<br />

M. war zur Verwahrung ins Heim überwiesen worden. In den vorliegenden Berichten<br />

wurde sein „IQ zwischen 35 und 45 angegeben. M.s Wortschatz bestand aus 40-50 Wörtern<br />

und er zeigte ernste Beeinträchtigungen der raum-zeitlichen Orientierung, der Fähigkeit<br />

zur Nachahmung, der Gedächtnisleistungen und des Sozialverhaltens.“ Unter den<br />

55<br />

Ähnlich ist es im Sport. Anstatt von Imagination wird hier meist von „mentalem Training“ gesprochen,<br />

das insbesondere im Spitzensport Anwendung findet.<br />

107


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

denkbar ungünstigsten Verhältnissen <strong>auf</strong>gewachsen, zu früh und mit zu geringem Gewicht<br />

geboren, „litt M. von Geburt an einem Gehirnschaden“.<br />

FEUERSTEIN wendete das vom ihm entwickelte Learning Potential Assessment Device<br />

an, einen Test, der im Unterschied zu Intelligenztests nicht <strong>die</strong> Leistung festzustellen<br />

sucht, <strong>die</strong> bei einem gegebenen Maß an Fähigkeiten erbracht wird, sondern das Lernpotential<br />

<strong>auf</strong>decken soll (vgl. FEUERSTEIN 1979). Dieser Test zeigte bei M, „entgegen allen<br />

Erwartungen ... eine erstaunlich hohe Lernkapazität“.<br />

Nach 11 Jahren intensiver Betreuung, in denen M. mittels entsprechender Aufgaben O-<br />

perationen des forschend-entdeckenden Lernens wie Vergleichen, Hypothesen bildendes<br />

und schlussfolgerndes Denken, Analogien bilden usw. erwarb, ist er zu einem selbständigen<br />

jungen Mann geworden, mit sehr guten sprachlichen Fertigkeiten, „einem Sinn für<br />

Humor, sozialen Fertigkeiten und beruflichen Ambitionen. Er ist verantwortlich für den<br />

Betrieb eines großen Hallenschwimmbads und hat Französisch und etwas Deutsch gelernt.<br />

Trotz M.s belasteter Erbanlagen, organischem Schaden“ und extremer frühkindlicher<br />

Deprivation konnte er sich noch zu dem relativ späten Zeitpunkt, an dem man ihn in<br />

lebenslängliche Heimverwahrung geben wollte, in einer adäquaten Lernumwelt mit angemessenen<br />

Lernhilfen zu einem anpassungsfähigen intelligenten Menschen entwickeln,<br />

der sein Leben selbstverantwortlich gestalten konnte.<br />

FEUERSTEIN berichtet etliche Fälle von Jungen und Mädchen im Alter von 12 bis 15 Jahren,<br />

<strong>die</strong> in hohem Maß impulsiv, manchmal auch aggressiv und unvorhersehbar reagierten,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Sprachbeherrschung von 6- oder 8-jährigen sowie extrem eingeschränkte<br />

Rechenfähigkeiten zeigten. Mit Hilfe eines Programms (Feuerstein Instrumental Enrichment,<br />

FIE), das dar<strong>auf</strong> ausgerichtet ist, Operationen des forschend-entdeckenden<br />

Lernens zu üben und in verschiedenen Situationen anzuwenden, wurden erstaunliche<br />

Erfolge erzielt. Relativ viele <strong>die</strong>ser Kinder wurden später selbst „Lehrer und Schulleiter<br />

und haben eine sehr viel optimistischere Haltung hinsichtlich der Möglichkeiten“ des<br />

Lernens angenommen (FEUERSTEIN 1983, 65).<br />

Es wurden auch mehrere Langzeituntersuchungen der Wirkungen des FIE durchgeführt.<br />

In einer <strong>die</strong>ser Untersuchungen wurden zwei Formen der Förderung miteinander verglichen<br />

(ebenda, S. 325 ff.). Die eine Gruppe erhielt eine allgemeine Förderung (General<br />

Enrichment, GE), <strong>die</strong> dar<strong>auf</strong> ausgerichtet war, durch zusätzliche Hilfen, <strong>die</strong> Lücken im<br />

Wissen und Können der Schüler zu schließen. Die andere Gruppe erhielt neben dem<br />

sonstigen Unterricht das FIE, d.h. es wurden gezielt forschend-entdeckende Operationen<br />

geübt und angewandt.<br />

108


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Der größere Teil der am Programm beteiligten Kinder war schwer geschädigt. Die meisten<br />

der Heranwachsenden im Alter von 12 bis 15 kamen aus Nordafrika. In ihren sozialen<br />

und intellektuellen Fertigkeiten lag <strong>die</strong> Entwicklung zwischen drei und sechs Jahren<br />

unterhalb der Altersnorm. Viele hatten einen IQ zwischen 50 und 70 und sogar niedriger.<br />

Die Mehrzahl konnte entweder gar nicht oder nur begrenzt lesen und schreiben. Nur<br />

ein Viertel beherrschte drei der vier Grundrechenarten. Im Handeln überwog eine ungezügelte<br />

Impulsivität und es bestand <strong>die</strong> Tendenz, stereotype und unangepasste Verhaltensweisen<br />

zu wiederholen.<br />

Nach zwei Jahren schnitten <strong>die</strong> Schüler, <strong>die</strong> das FIE erhalten hatten im Primary Mental<br />

Abilities sowie verschiedenen anderen Tests deutlich besser ab, als <strong>die</strong> Gruppe mit dem<br />

Programm der allgemeinen Förderung (GE). Ein größerer Teil der Gruppen wurde, als<br />

<strong>die</strong> Schüler zwei bis drei Jahre nach Abschluss des Programms zum Militär eingezogen<br />

wurden, noch einmal hinsichtlich verschiedener Testleistungen verglichen. Jetzt schnitten<br />

<strong>die</strong> FIE-Probanden noch weit besser ab als <strong>die</strong> GE-Schüler. Die Kluft zwischen den<br />

Gruppen hatte sich erweitert. D.h., dass <strong>die</strong> Übung in forschend-entdeckenden Operationen<br />

nach Beendigung der Schule weit größere Transferleistungen ermöglichte, als ein<br />

vorwiegend <strong>auf</strong> lehrplangemäße Kenntnisse und Fertigkeiten ausgerichtetes schulisches<br />

Programm.<br />

Für <strong>die</strong> Bedeutung der Verfügbarkeit forschend-entdeckender Operationen spricht auch,<br />

dass Jugendliche aus Kulturen, <strong>die</strong> eine Kluft von Jahrhunderten von unserer modernen<br />

technologischen Gesellschaft trennt, sich schnell und leicht anpassen können, wenn sie<br />

zu uns kommen. Vermutlich haben sie als Kinder durch Beteiligung, Beobachtung und<br />

gezielte Belehrung ihre Kultur <strong>auf</strong> forschend-entdeckende Weise erkundet und dabei<br />

ausreichende Übung in jenen kognitiven Operationen gewonnen, <strong>die</strong> auch unter gewandelten<br />

Umständen angewandt werden können und ihnen <strong>die</strong> Anpassung ermöglichen<br />

(vgl. FEUERSTEIN 1983, 24 f.).<br />

13. Motivation<br />

Warum sind im Unterricht manche Schüler <strong>auf</strong>merksam und warum lassen andere sich<br />

ablenken Wovon hängt das Verhalten der Schüler ab, wie kann man es beeinflussen Je<br />

nach Standpunkt werden <strong>die</strong>se Fragen verschieden beantwortet. Während objektivistische<br />

Theorien das Individuum von außen betrachten, ohne <strong>auf</strong> seine Einstellungen und<br />

109


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Erwartungen Bezug zu nehmen, gehen subjektivistische Theorien von eben <strong>die</strong>sen individuellen<br />

Einstellungen und Erwartungen aus.<br />

Objektivistische Theorien<br />

Objektivistische Theoretiker suchen nach Gesetzmäßigkeiten zwischen äußeren Bedingungen<br />

und Verhalten von Individuen. Aus <strong>die</strong>ser Sicht erscheint das Individuum als ein<br />

Wesen, das durch äußere Reize oder andere lenkende Maßnahmen eine Richtung für<br />

seinen Aktivitätsdrang erhält. Wenn es in der Lage ist, sich in gewünschter Weise zu<br />

verhalten, so deshalb, weil es gelernt hat, <strong>auf</strong> bestimmte Reize oder Reizkombinationen<br />

in bestimmter Weise zu reagieren. Liegen also bestimmte Umgebungsbedingungen vor,<br />

wird der Einzelne nach seinen vorangegangenen Lernerfahrungen handeln.<br />

Abb.: Objektivistische Theorie der Verhaltensregulation<br />

Nach <strong>die</strong>ser Auffassung muss das Individuum zunächst von seiner Umwelt gelenkt werden,<br />

damit es später weiß, was es unter bestimmten Umständen tun soll, tun muss oder<br />

kann. Der Ausgangspunkt ist ein Wesen, das anfangs nur mit Reflexen und Bedürfnissen,<br />

aber großer Lernfähigkeit ausgestattet ist. Um zu einem Mitglied der Gesellschaft<br />

zu werden, muss es durch Erziehung entsprechend der jeweiligen sozialen Erfordernisse<br />

geformt werden. Denn wäre es sich selbst überlassen, würde es nur tun, was ihm gerade<br />

Spaß macht, also ohne jeden Bezug zu gesellschaftlichen Normen. Dass <strong>die</strong>se Normen in<br />

verschiedenen Gesellschaften stark variieren, scheinen sie reine Produkte der Gesellschaften<br />

zu sein. Wenn sie aber reine gesellschaftliche Produkte darstellen, dann müssen<br />

sie auch erst gelernt werden. Erst in letzter Zeit mehren sich Untersuchungen, <strong>die</strong> bei all<br />

den kulturellen Differenzen doch <strong>auf</strong> grundlegende Universalien verweisen (BARKOW/<br />

COSMIDES/ TOOBY 1992; BROWN 1991).<br />

Nach der objektivistischen Theorie kann das Verhalten des Individuums reguliert werden,<br />

weil es bestimmte Zustände anstrebt bzw. zu vermeiden trachtet. Deshalb kann es<br />

durch <strong>die</strong> Versprechung oder Vorenthaltung gewünschter Dinge positiv oder negativ<br />

110


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

verstärkt werden. Alles, was das Individuum tut, tut es nach <strong>die</strong>ser Auffassung, um einen<br />

für es angenehmen Zustand herbeizuführen bzw. unangenehme Zustände zu vermeiden.<br />

D.h. der Mensch ist vollkommen oder nahezu vollkommen von außen, also von seiner<br />

Umwelt determiniert.<br />

Diese Auffassung ist tief im Alltagsbewusstsein verwurzelt. Seit Menschengedenken<br />

gelten Lob und Tadel bzw. Belohnung und Bestrafung als grundlegende Erziehungsmittel<br />

(vgl. Uhl 1996, 201 ff.). Wie mit einer Zange wird damit Macht über das Verhalten<br />

des Individuums ausgeübt. Die eine Seite weckt Hoffnungen, <strong>die</strong> andere droht mit Verlust<br />

und Unannehmlichkeiten. Wenn das Individuum lange genug solchen Situationen<br />

ausgesetzt war, ist es nach <strong>die</strong>ser Auffassung bereit, von sich aus zu tun, was man von<br />

ihm erwartet. Zentrale Elemente <strong>die</strong>ser Auffassung sind in Assoziationstheorien anzutreffen<br />

(z.B. Thorndike 1935; Skinner 1953). Verhalten wird danach durch positive und<br />

negative Verstärkung reguliert. Sie ist der Mechanismus, durch den das Verhalten in<br />

beliebige Richtungen gelenkt werden kann.<br />

Tatsächlich ist Verstärkung eines der wirksamsten Mittel zur kurzfristigen Beeinflussung<br />

der Handlungstendenzen von Individuen – was tut man nicht alles, um eine Belohnung<br />

zu erhalten oder ihrer nicht verlustig zu gehen und natürlich auch um Strafen zu<br />

vermeiden. Aber langfristig richten <strong>die</strong>se Steuerungsversuche eine Menge schaden an,<br />

weil sie das Engagement, <strong>die</strong> Kreativität zerstören und den Erwerb von grundlegenden<br />

Werten stören (vgl. KOHN 1993). Wenn der Mensch vollständig durch Lob und Tadel zu<br />

lenken wäre, würde das auch bedeuten, dass Argumente, Überlegungen, Beweise, <strong>die</strong><br />

Bedeutung von Aussagen usw. keine oder lediglich insofern eine verhaltensleitende<br />

Wirkung hätten, als sie mit Verstärkern verknüpft wären oder selbst Verstärker darstellen<br />

würden. Wenn Ziele aber nicht durch vernünftige Diskussion, <strong>die</strong> Suche nach Wahrheit<br />

nicht durch Überlegung, <strong>die</strong> Formulierung von Annahmen und deren Prüfung zustande<br />

käme, sondern durch Verstärkungen, würde es wenig Sinn machen, überhaupt<br />

von Vernunft zu sprechen.<br />

Diese Probleme entstehen durch den Versuch, alle Bedingungen „objektiv“ zu bestimmen,<br />

d.h. unabhängig von subjektiven Einstellungen der Individuen. Das führt dazu,<br />

dass äußerlich zwar gleich erscheinende, aber subjektiv ganz verschiedene Dinge in <strong>die</strong>selbe<br />

Klasse eingeordnet werden. So spielt es aus der Sicht der Verstärkungstheorie keine<br />

Rolle, ob <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Verhaltensweise dadurch erhöht<br />

wird, ob jemand durch Überlegung zu einer richtigen Lösung gelangt oder durch<br />

Raten. Entscheidend ist nur, dass <strong>die</strong> Äußerung entsprechender Worte durch lobende<br />

111


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Bemerkungen verstärkt wird und dar<strong>auf</strong>hin häufiger bei bestimmten Reizkonfigurationen<br />

gezeigt wird. Es wird ferner übersehen, dass das, was <strong>die</strong> Verstärkungstheorie als<br />

„objektive“ Reizkonfiguration zu definieren sucht, aus subjektiver Sicht vollkommen<br />

Verschiedenes bedeuten kann. Während <strong>die</strong> Aufgabe beim einen Vorstellungen evoziert,<br />

mit deren Elementen er sinnvolle Operationen durchführen kann, betrachtet sie der andere<br />

ein Bild mit unklaren Zeichen oder Wörtern; nur <strong>auf</strong>grund eines bestimmten Merkmals<br />

darin erinnert er sich, letztes Mal für eine bestimmte Antwort gelobt worden zu<br />

sein, wor<strong>auf</strong> er <strong>die</strong> entsprechende Wortfolge wiederholt.<br />

Der Versuch solche Zusammenhänge von außen zu stu<strong>die</strong>ren, kann nicht zu zufrieden<br />

stellenden Lösungen führen. Vielmehr müssen <strong>die</strong> subjektiven Einstellungen, Erwartungen,<br />

Deutungen usw. berücksichtigt werden.<br />

Subjektivistische Theorien<br />

Theorien <strong>die</strong>ses Typs gehen bei der Erforschung der Regelhaftigkeiten des Verhaltens<br />

nicht von einer als objektiv gegeben betrachteten Situation aus, sondern versuchen solche<br />

Situationen ausgehend von den Vorgängen im Innern der Individuen zu rekonstruieren.<br />

Bei <strong>die</strong>sem Vorgehen bilden also „subjektive Daten“, also innere Prozesse oder aber<br />

Annahmen über innere Vorgänge wie Denken, Fühlen oder Wollen den Ausgangspunkt<br />

der Untersuchung und nicht oder nicht nur <strong>die</strong> objektiv beobachtbaren Erscheinungen<br />

oder Dinge. Wenn also beispielsweise Säuglinge eine kleine Veränderung eines bekannten<br />

Ereignisses deutlich länger betrachten, ist nicht etwa das objektive Datum der Zeitdauer<br />

der Aufmerksamkeitszuwendung das Entscheidende, sondern <strong>die</strong> subjektiven Erwartungen<br />

in Bezug <strong>auf</strong> das beobachtete Ereignis, <strong>die</strong> dann zur längeren Zuwendung<br />

führen, wenn sie nicht zutreffen, abweichen oder eine andere Deutung des Ereignisses<br />

erforderlich ist.<br />

Erwartungen <strong>die</strong>nen der Erkundung und der Konstruktion von Handlungen oder Handlungsmöglichkeiten.<br />

Es ist anzunehmen, dass <strong>die</strong> Erwartungsbildung über verschiedene<br />

Ebenen erfolgt, wobei zunächst vermutlich allgemeine Kriterien entstehen, <strong>die</strong> wiederum<br />

<strong>die</strong> <strong>auf</strong> Details bezogenen spezifischeren Erwartungen eingrenzen. So wird ein Schüler,<br />

der im Sprachunterricht das Gefühl hat, Zusammenhänge zu verstehen, zunächst der<br />

Darstellung des Lehrers <strong>auf</strong>merksam folgen, weil er annimmt, seine bestehenden Kenntnisse<br />

erweitern zu können. Auch wenn <strong>die</strong> Ausführungen dann zunächst eher verwirrend<br />

für den Schüler sind, wird er <strong>auf</strong>grund <strong>die</strong>ser Erwartung dazu neigen, nach solchen Elementen<br />

suchen, <strong>die</strong> an seine Kenntnisse anknüpfen, ihnen vielleicht auch widersprechen;<br />

112


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

er wird Fragen dazu stellen oder sich eigene Überlegungen machen, vielleicht auch Behauptungen<br />

an Beispielen erproben usw. Ein Schüler dagegen, der an dem Fach kein<br />

Interesse, also eher <strong>die</strong> Erwartung von etwas wenig Bedeutungsvollem hat, wird kaum<br />

<strong>auf</strong> besondere Einsichten hoffen und daher auch kaum nach Möglichkeiten zur Erweiterung<br />

seiner Kenntnisse suchen.<br />

In jedem Fall beeinflusst <strong>die</strong> positive oder negative Einschätzung der Möglichkeiten zur<br />

Verwirklichung des eigenen Selbst <strong>die</strong> Richtung der Aktivitäten des Individuums. Vermutlich<br />

wird <strong>die</strong> Richtung des Verhaltens zunächst durch jene Kompetenzen bestimmt,<br />

<strong>die</strong> der Einzelne besitzt und deren Entwicklung deshalb unmittelbar einen Zuwachs an<br />

Kompetenz verspricht. Der Prozess der Verwirklichung von Kompetenzen stellt eine<br />

aktive Anpassung an <strong>die</strong> Gegebenheiten der jeweiligen Umwelt dar. Sie erfolgt also aus<br />

eigenem Antrieb. Allerdings wird das Individuum seine Umwelt eher dann selbstbestimmt<br />

erkunden wollen, wenn es sich sicher fühlt. In einer bedrohlich empfundenen<br />

Situation wird es sich vor allem der Quelle der Bedrohung zuwenden. Das Individuum<br />

steht also in aktiver Interaktion mit seiner Umgebung.<br />

Abb.: Subjektivistische Theorie der Verhaltensregulation<br />

Bei der Erwartungsbildung stehen der Schutz des Selbst vor Bedrohungen und <strong>die</strong> Entfaltung<br />

der eigenen Möglichkeiten im Mittelpunkt, weil das Individuum durch ein<br />

grundlegendes Bedürfnis nach Selbstentfaltung geleitet wird, d.h. nach Entfaltung seiner<br />

Vorstellungen bzw. seiner Dispositionen zur Bildung von Vorstellungen hinsichtlich<br />

seiner materiellen, sozialen und idellen Umwelt sowie seiner Handlungsmöglichkeiten in<br />

ihr; letztes schließt <strong>die</strong> Abwendung von Bedrohungen ein (vgl. MCCOMBS/ WHISLER<br />

1989). Durch Interaktion mit seiner Umgebung verändert das Individuum seine Erwartungen<br />

und versucht seine Bedürfnisse und Ziele im Rahmen der jeweiligen Bedingun-<br />

113


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

gen zu realisieren. Das Bedürfnis nach Selbstentfaltung lässt sich in <strong>die</strong> Bedürfnisse<br />

nach Sicherheit, Selbständigkeit und Kompetenz 56 differenzieren.<br />

Das Bedürfnis nach Sicherheit<br />

Das Bedürfnis nach Sicherheit besteht zunächst in dem Bestreben der Zugehörigkeit<br />

oder sozialen Bindung, dem Wunsch akzeptiert zu sein. Es umfasst nicht nur den<br />

Wunsch, dass andere sich um einen kümmern, sondern auch den Wunsch für andere zu<br />

sorgen. Insgesamt ist es also das Bestreben, in befriedigender Weise in <strong>die</strong> soziale Umgebung<br />

mit ihren Zielen, Aufgaben und Interaktionen eingebunden zu sein.<br />

Mit zunehmender Reflexion <strong>auf</strong> sich selbst und der daraus resultierenden Vorstellungen<br />

eines aktuellen, eines werdenden und idealen Selbsts rückt das Bestreben nach Erhalt<br />

des Selbstwerts in den Mittelpunkt. Erhaltung des Selbstwerts bedeutet <strong>die</strong> Aufrechterhaltung<br />

der Selbsteinschätzungen der Person. Das sind <strong>die</strong> Bewertungen der verschiedenen<br />

Aspekte des äußeren Selbst. Dazu gehört das Aussehen, das Wissen, <strong>die</strong> Interessen,<br />

<strong>die</strong> Kompetenzen usw. Die Gesamtheit der Selbsteinschätzungen wird als Selbstwertgefühl<br />

bezeichnet. Da es vom Individuum ständig überprüft wird, unterliegt es Schwankungen.<br />

Bedrohungen oder Herabsetzungen des Selbstwerts werden als unangenehm und<br />

bedrohend, Bestätigungen oder Erhöhungen dagegen als angenehm und Sicherheit gebend<br />

empfunden. Es besteht ein grundlegendes Bedürfnis, das Selbstwertgefühl <strong>auf</strong>rechtzuerhalten<br />

und gegen Bedrohungen zu verteidigen (FREY/BENNING 1983).<br />

Das Bedürfnis nach Selbständigkeit<br />

Das Bedürfnis nach Selbständigkeit ist nach DECI / RYAN (1985, 38) eine „angeborene<br />

Neigung zur Selbstbestimmung, <strong>die</strong> den Organismus dazu bringt“, sich für ihn bedeutsamen<br />

Dingen zuzuwenden. Das ermögliche ihm <strong>die</strong> Entwicklung von Fähigkeiten und<br />

<strong>die</strong> flexible Anpassung an <strong>die</strong> Umwelt. Das Bedürfnis nach Selbständigkeit ist eine ursprüngliche<br />

intrinsische Motivation, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Internalisierung von Zielen und Verhaltensanforderungen<br />

fördert, so dass <strong>die</strong>se aus eigenem Antrieb und nicht etwa durch Druck<br />

erfüllt werden. Selbständigkeit kann allerdings durch kontrollierende Maßnahmen wie<br />

56<br />

Die Idee angeborener psychischer Bedürfnisse geht <strong>auf</strong> MURRAY (1938) zurück und wurde seither<br />

immer wieder <strong>auf</strong>gegriffen. Da <strong>die</strong>se Annahme durch zahlreiche Untersuchungen eher gestützt als widerlegt<br />

wird, scheint sie zunehmend <strong>auf</strong> breiter Basis akzeptiert zu werden (im Überblick DECI/ RYAN<br />

1985).<br />

114


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Strafen, Belohnungen, Druck oder auch durch eine Unsicherheit erzeugende Umgebung<br />

unterminiert werden. Denn <strong>die</strong> Erfüllung des Bedürfnisses nach Selbständigkeit setzt<br />

Sicherheit voraus.<br />

So betrachten Kleinkinder <strong>die</strong> Mutter als sicheren Stützpunkt, von aus sie <strong>die</strong> Umwelt<br />

erkunden (vgl. AINSWORTH 1967; AINSWORTH/ BLEHAR/ WATERS/ WALL 1978). Das<br />

Bedürfnis nach Selbständigkeit löst eine Vielfalt von Aktivitäten aus. Schon das Kleinkind<br />

will seinen Bereich erkunden, will alles, was ihm in <strong>die</strong> Hände fällt, „begreifen“<br />

und damit umgehen, um es einzuordnen, sein Weltbild dadurch zu erweitern und zu differenzieren<br />

(HANSEN 1965; PIAGET 1976). Das Bedürfnis nach Selbständigkeit ist <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Ausweitung des Selbst gerichtet. Es schließt <strong>die</strong> Suche nach Abenteuer, nach Eroberung<br />

neuer unbekannter Dinge sowie nach Wettstreit ein; wobei Wettstreit immer <strong>die</strong><br />

Möglichkeit des Gelingens wie auch des Misslingens bedeutet, d.h. dass für jeden Teilnehmer<br />

eine Chance des Gewinnens wie auch des Verlierens besteht – im Unterschied<br />

zum schulischen Wettbewerb um Noten, der <strong>auf</strong> ungleichen Voraussetzungen beruht, so<br />

dass <strong>die</strong> Leistungsschwachen notwendig immer Verlierer sind.<br />

Das Bedürfnis nach Kompetenz<br />

Das Bedürfnis nach Kompetenz besteht in dem Streben, <strong>die</strong> Mittel zu beherrschen, durch<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Verwirklichung angestrebter Ziele ermöglicht wird (WHITE 1959). Es besteht<br />

eine Wechselbeziehung zwischen den Bedürfnissen nach Kompetenz und Selbständigkeit.<br />

Kompetenz fördert das Bestreben nach Selbständigkeit und Selbständigkeit erfordert<br />

Kompetenz. Individuen ten<strong>die</strong>ren daher dazu, solche Aktivitäten zu suchen, „für <strong>die</strong><br />

sie gewisse angeborene Fähigkeiten besitzen.“ Je kompetenter jemand ist oder je größer<br />

sein Potential für ein Gebiet ist, desto stärker <strong>die</strong> Bevorzugung (DECI 1992, 51).<br />

Eine soziale Umgebung <strong>die</strong> dem Individuum <strong>die</strong> Erfüllung seiner Bedürfnisse nach Sicherheit,<br />

Selbständigkeit und Kompetenz ermöglicht, wird bessere kognitive Leistungen,<br />

größere soziale Harmonie sowie eine stärkere emotionale Ausgeglichenheit fördern als<br />

eine Umgebung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Erfüllung <strong>die</strong>ser Bedürfnisse behindert. Es kann also <strong>die</strong> körperliche,<br />

kognitive, soziale und emotionale Entwicklung von Kindern durch Berücksichtigung<br />

<strong>die</strong>ser Bedürfnisse unterstützt und gefördert werden. Das ist der Fall, wenn <strong>die</strong><br />

Umgebung sensibel <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Bedürfnisse des Kindes eingeht, indem sie ihm Sicherheit<br />

durch Anerkennung sowie Anteilnahme an seinen Wünschen, Plänen usw. gibt; indem<br />

sie ihm Spielräume für selbständiges Handeln einräumt, <strong>die</strong> durch von beiden Seiten<br />

akzeptierte, einfache klare Regeln strukturiert sind. Allerdings dürfen <strong>die</strong>se Regeln keine<br />

115


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Rechtfertigung zu ihrer Durchsetzung darstellen, sondern sie <strong>die</strong>nen lediglich als Orientierungspunkte,<br />

mit deren Hilfe Eltern oder Erzieher versuchen, sich ergebende Probleme<br />

oder Differenzen im Umgang miteinander zu verstehen, zu deuten und vielleicht<br />

anders geartete gemeinsame Regeln mit dem Kind oder den Kindern zu finden. Eine<br />

förderliche Umgebung wird Fehler im Umgang mit sozialen und anderen Regeln immer<br />

als Möglichkeit zur Entwicklung von Kompetenzen verstehen, wobei vor allem Verständnis<br />

und Ermutigung wichtig sind.<br />

Diskussion objektivistischer und subjektivistischer Auffassungen<br />

Wenn beim Kleinkind <strong>die</strong> Regulation des Verhaltens von außen erfolgen müsste, dann<br />

müsste sich beispielsweise das Weinen von Kindern durch äußere Maßnahmen in beliebiger<br />

Weise beeinflussen lassen. Angenommen das Kind weint, obwohl es keinen Hunger<br />

haben kann, <strong>die</strong> Windel trocken ist, keinerlei Anzeichen von Krankheit festzustellen<br />

sind usw. Wenn es dann jedes Mal <strong>auf</strong>genommen wird, wenn es zu weinen anfängt, wird<br />

es <strong>auf</strong>grund der Nähe der zwei Ereignisse im Sinne der Kontiguitätstheorie Weinen mit<br />

Zuwendung assoziieren. Das gleiche Ergebnis ist nach der Theorie des operanten Konditionierens<br />

zu erwarten, wobei allerdings <strong>die</strong> Bedingung hinzukommt, dass das Aufnehmen<br />

eine Bekräftigung für das Kind sein muss. Das Weinen und seine belohnende Folge<br />

werden dann miteinander verknüpft. Das Baby wird also immer weinen, wenn es <strong>die</strong> als<br />

belohnend erfahrene Zuwendung möchte, und damit seine Eltern tyrannisieren. Das<br />

Weinen wird dann zu einer Verhaltenstendenz, einer Art von Eigenwillen, den das Kind,<br />

solange es das Aufnehmen als belohnend empfindet, durchzusetzen sucht. Wenn es<br />

schließlich immer häufiger weint, kann es zu einem „Machtkampf“ zwischen Kind und<br />

Eltern kommen.<br />

Aber entwickelt sich das Kind tatsächlich zu einem kleinen Tyrannen, wenn man sich<br />

ihm immer zuwendet und es <strong>auf</strong>nimmt, sobald es weint Wird es das Weinen einsetzen,<br />

um seine Eltern zu manipulieren Diese Annahme hat sich nicht bestätigt. Vielmehr<br />

schrieen Kinder, <strong>die</strong> in den ersten drei Lebensmonaten immer umsorgt wurden, wenn sie<br />

weinten, in den folgenden Monaten bedeutend weniger, während <strong>die</strong>jenigen, deren<br />

Schreien nicht beachtet wurde, sich eher noch steigerten. Außerdem gehorchten <strong>die</strong> häufig<br />

getrösteten Kinder im Alter von neun bis zwölf Monaten in über 80 Prozent der Fälle,<br />

während Kinder, deren Weinen nicht beachtet wurde, in weniger als 50 Prozent der<br />

Fälle gehorchten (AINSWORTH / BELL 1972)<br />

116


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Nach der subjektivistischen Auffassung war <strong>die</strong>ses Ergebnis zu erwarten. Denn danach<br />

ist das Weinen unter den gegebenen Umständen (kein Hunger, trocken, gesund) Ausdruck<br />

der Bedürfnisse nach Zuwendung oder Sicherheit und Selbstentfaltung. Zunächst<br />

sucht das Kind Sicherheit durch <strong>die</strong> Gegenwart der Mutter. Zudem kann es auch den<br />

Austausch wünschen oder es möchte durch das Aufnehmen seine Umgebung erkunden<br />

können. Es gibt natürlich auch Babys, <strong>die</strong> nicht <strong>auf</strong>genommen werden wollen. Sie weinen<br />

nach dem Aufnehmen dann sogar noch mehr. Sie möchten aber Kontakt und Austausch<br />

durch Stimme, Gesten usw. (KORNER 1971). Sowohl das Ignorieren wie auch<br />

Eingehen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> individuellen Wünsche des Kindes bedeutet eine Form der Interaktion.<br />

Dabei wird das Kind – wenn auch zunächst nicht bewusst – <strong>auf</strong>grund interner Regeln<br />

z.B. Annahmen über seine Umwelt und seine Verhaltensmöglichkeiten in ihr bilden, <strong>die</strong><br />

sein weiteres Handeln bestimmen. Erfährt es kein oder kein konsistentes Eingehen <strong>auf</strong><br />

sein Weinen, wird es wahrscheinlich zu der Annahme kommen, dass <strong>die</strong> Umwelt unzuverlässig<br />

ist und es um <strong>die</strong> Erfüllung seiner Bedürfnisse und Wünsche kämpfen muss.<br />

Erfährt es dagegen eine Art der Zuwendung, <strong>die</strong> spürt, was es möchte, erlebt es seine<br />

Umwelt als Sicherheit gewährend. Unter <strong>die</strong>ser Voraussetzung kann es sein Bedürfnis<br />

nach selbständiger Erkundung stillen, wodurch sich wiederum seine Kompetenzen<br />

schneller entwickeln.<br />

Tatsächlich hat sich <strong>die</strong> Sensibilität der Mutter gegenüber den Signalen des Kindes als<br />

kritischer Faktor für dessen Entwicklung erwiesen. Da <strong>die</strong> Kinder von Geburt an so verschieden<br />

sind, verschieden reagieren, verschiedenes möchten bzw. brauchen, können <strong>die</strong><br />

jeweiligen Erfordernisse des Kindes nur individuell beurteilt und befriedigt werden. Die<br />

Kinder sensitiver Mütter sind weit früher fähig in effektiver Weise mit anderen zu kommunizieren<br />

als Kinder von weniger sensitiven Müttern. Am Ende des ersten Jahres haben<br />

sie deutlich größere Fortschritte in Fertigkeiten gemacht, <strong>die</strong> für ihre weitere intellektuelle<br />

und soziale Entwicklung von Bedeutung sind (AINSWORTH / BELL / STAYTON<br />

1974).<br />

Sensitives Eingehen bedeutet, dass durch Berücksichtigung interner Prozesse der Verhaltensregelung<br />

das Bedürfnis nach Selbstentfaltung, also nach Sicherheit, Selbständigkeit<br />

und den Erwerb von Kompetenzen unterstützt wird. Das bedeutet nicht, dass alle<br />

Aktivität vom Kind ausgehen muss. Vielmehr sind <strong>die</strong> Anregung, <strong>die</strong> Bereitstellung von<br />

Spielsachen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> geistige und körperliche Entwicklung besonders geeignet sind,<br />

<strong>die</strong> Einbeziehung in gemeinsame Aktivitäten, <strong>die</strong> sich in spielerischer Form auch gezielt<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Förderung sprachlicher, künstlerischer und sonstiger Fertigkeiten beziehen kön-<br />

117


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

nen, sowie das Bemühen um gemeinsame und gemeinsam beachtete soziale Regeln von<br />

großer Bedeutung.<br />

Die Berücksichtigung der individuellen Persönlichkeit des Kindes bedeutet vor allem,<br />

dass man nicht versucht, es nach einem Schema, nach äußeren Zielen und Normen oder<br />

einem Idealbild zu erziehen, sondern es in Übereinstimmung mit seinen inneren Gegebenheiten,<br />

seinen Interessen oder Neigungen zu fördern sucht. Kinder, <strong>die</strong> selbstbestimmt<br />

Gegenstände oder Spiele wählen und sich mit ihnen beschäftigen können, entwickeln<br />

sich günstiger als wenn sie mit Gegenständen spielen müssen, <strong>die</strong> sie nicht interessieren.<br />

Schon Drei- bis Vierjährige finden bei Gegenständen ihres Interesses mehr Möglichkeiten<br />

zu spielen, sie spielen länger, wiederholen häufiger bestimmte Handlungsfolgen<br />

variieren das Spiel stärker, sind weniger ablenkbar, emotional stärker engagiert und<br />

eher bereit auch andere mit einzubeziehen als beim Spiel mit Gegenständen, <strong>die</strong> sie nicht<br />

interessieren. Außerdem verarbeiten sie beim Spiel mit sie interessierenden Gegenständen<br />

mehr Informationen für den späteren Gebrauch und entwickeln Handlungspläne für<br />

zukünftige Aktivitäten (RENNINGER 1992).<br />

Offenbar hängt es auch stärker vom Interesse der Kinder ab und weniger von ihrem Alter,<br />

in welchem Maß sie in der Lage sind, Informationen zu strukturieren und planvoll zu<br />

handeln. So weist RENNINGER (1992, 373) dar<strong>auf</strong> hin, dass Kinder, <strong>die</strong> sich nach PIA-<br />

GET/ INHELDER (1969) <strong>auf</strong> der präoperationalen Entwicklungsstufe befinden – wonach<br />

sie nicht in der Lage sein sollen, zwei Dimensionen gleichzeitig zu berücksichtigen –<br />

„zumindest im Hinblick <strong>auf</strong> Objekte ihres Interesses“ durchaus auch mehrere Vorgänge<br />

gleichzeitig beachten können. Die freie Verfolgung von Interessen ist so gesehen auch<br />

von großer Bedeutung für <strong>die</strong> Entwicklung forschend-entdeckenden Lernens. Wenn <strong>die</strong><br />

Kinder in RENNINGERS Experimenten über einige Wochen, <strong>die</strong> Möglichkeit dazu hatten,<br />

waren sie alle gleichermaßen in der Lage, sich selbst komplexe Herausforderungen zu<br />

setzen und in ihren Anstrengungen bis zur Lösung durchzuhalten (RENNINGER 1992,<br />

375).<br />

Interne Prozesse der Verhaltensregulation hinsichtlich der Bedürfnisse nach Sicherheit,<br />

Selbständigkeit und Kompetenz stehen demnach in einer Interaktion mit externen Bedingungen.<br />

Je nachdem, ob <strong>die</strong>se Bedingungen <strong>die</strong> Erfüllung <strong>die</strong>ser Bedürfnisse ermöglichen<br />

oder nicht, wird das Individuum eher intrinsisch oder extrinsisch motiviert sein,<br />

und es werden sich entsprechende Motivstrukturen entwickeln.<br />

118


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Intrinsische und extrinsische Motivation<br />

Neugier, Interesse, das Bestreben, etwas verstehen oder beherrschen zu wollen sind<br />

kennzeichnend für das Phänomen der intrinsischen Motivation. Es bedeutet, etwas von<br />

sich aus, d.h. selbstbestimmt zu wollen und zu tun. Aus Interesse an der Sache oder aus<br />

Spaß an einer Tätigkeit will man zu immer vollkommenerer Beherrschung oder einem<br />

besseren Verständnis eines Gegenstands gelangen. Kinder, <strong>die</strong> herausfinden wollen,<br />

woran es liegt, dass manche Dinge <strong>auf</strong> dem Wasser schwimmen und andere untergehen,<br />

und <strong>die</strong> dabei eine Reihe von Annahmen <strong>auf</strong>stellen, <strong>die</strong> sie dann prüfen, oder Kinder, <strong>die</strong><br />

sich zu einem Spiel zusammengefunden haben, sind intrinsisch motiviert. Sie handeln<br />

aus eigenem Antrieb und es geht ihnen um <strong>die</strong> Erforschung einer Ursache bzw. um das<br />

Spielen des Spiels.<br />

Bei extrinsischer Motivation dagegen kommen <strong>die</strong> Ziele von außen. Das Individuum<br />

fühlt sich mehr oder weniger gezwungen, etwas zu lernen, um unangenehme Konsequenzen<br />

wie schlechte Noten oder Strafpredigten zu vermeiden oder um gute Noten,<br />

Bezahlung oder andere belohnende Folgen zu bekommen. Man arbeitet also nicht um<br />

der Sache selber willen, sondern wegen der Konsequenzen, <strong>die</strong> man erstrebt oder vermeiden<br />

möchte und <strong>die</strong> <strong>die</strong> ein bestimmtes Verhalten nach sich zieht. Extrinsische Motivation<br />

ist also stets instrumentell (DECI / RYAN 1985).<br />

Nach RYAN/ CONNELL (1989) können vorgegebene Ziele aber auch verinnerlicht werden.<br />

Die entscheidende Bedingung ist, dass <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong> Möglichkeit zur Selbstbestimmung<br />

erhalten. Die Verinnerlichung kann in unterschiedlichem Grad erfolgen. Sie<br />

unterscheiden vier Kategorien: external (der Schüler befürchtet sonst Schwierigkeiten);<br />

Introjektion (der Schüler hätte sonst ein schlechtes Gewissen usw.); Identifikation (der<br />

Schüler betrachtet <strong>die</strong> Aufgabe als wichtig, um … usw.); intrinsisch (der Schüler arbeitet,<br />

weil es Spaß macht) 57 . Das Kontinuum reicht von Fremdbestimmung bis zu Selbstbestimmung.<br />

Aber auch wenn sich der Schüler mit einem Ziel identifiziert gilt er nach<br />

<strong>die</strong>ser Auffassung als extrinsisch motiviert. DECI/ RYAN (1991, 257) gehen nämlich davon<br />

aus, dass der Schüler sich einer Aufgabe <strong>auf</strong>grund anderer persönlicher Ziele zuwendet,<br />

so dass sie nur Mittel zu einem anderen Zweck sei, jedenfalls sei es ist nicht das<br />

Interesse am Gegenstand das ihn antreibe. Aus <strong>die</strong>sem Grund sehen sie auch kein Kontinuum<br />

von extrinsischer zu intrinsischer Motivation, sondern nur von Fremd- zu Selbstbestimmung.<br />

57<br />

Deci/ Ryan 1985 postulieren als weitere Kategorie Integration. Damit befassen wir uns später noch.<br />

119


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Fremd- und Selbstbestimmung<br />

Das Kontinuum von Fremd- zu Selbstbestimmung ist besonders da von Interesse, wo<br />

Wege zur Veränderung von Schule oder Erziehung gesucht werden. Tatsächlich ist es ja<br />

nicht völlig unproblematisch, an Fremdbestimmung gewöhnte Schüler in eine Selbständigkeit<br />

erfordernde Umgebung zu bringen. Es dauert eine Weile bis <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong> Sicherheit<br />

gewinnen, <strong>die</strong> sie für eigene Entscheidungen brauchen. Viele vermuten in einer<br />

plötzlich geforderten Selbständigkeit nicht mehr als einen Trick, Sachen aus eigenem<br />

Antrieb lernen zu sollen, für <strong>die</strong> sie sich eigentlich gar nicht interessieren. Das trifft ja<br />

auch überall da zu, wo <strong>die</strong> Schüler nicht wirklich selbst über <strong>die</strong> Gegenstände entscheiden<br />

dürfen, mit denen sie sich befassen wollen.<br />

Als Beispiel dafür kann eine Gesamtschule mit Dalton-Plan-Phasen <strong>die</strong>nen, <strong>die</strong> von<br />

POPP (1995, 254 ff.) beschrieben wird. In <strong>die</strong>sen Phasen sollen <strong>die</strong> Schüler in etlichen<br />

Fächern Aufgaben in einer bestimmten Zeit selbständig bewältigen. Die Aufgaben werden<br />

meist den Schulbüchern entnommen, entsprechen somit dem gewohnten schulischen<br />

Schema. Die Schüler genießen <strong>die</strong> Selbständigkeit, erachten eine gute schulische Ausbildung<br />

als wichtig, sind aber mehr an den Noten als am Lehrstoff interessiert. Sie fühlen<br />

sich dann zwar selbständiger, sind aber deswegen nicht mehr an den Aufgaben interessiert,<br />

wie in lehrergesteuerten Arbeitsphasen.<br />

Wichtig ist also wie ernst einem Erzieher oder einer Schule es mit der Selbständigkeit<br />

wirklich ist, mit welchem Verständnis und welchen Hilfen sie sich um <strong>die</strong> selbständig<br />

arbeitenden Schüler bemühen. D.h. <strong>die</strong> Schule muss auch versuchen, <strong>die</strong> Bedürfnisse<br />

nach Sicherheit zu befriedigen. Zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Kompetenz<br />

kann <strong>die</strong> Art der Aufgaben von Bedeutung sein. Förderlich sind Aufgaben, bei denen <strong>die</strong><br />

Schüler von Alltagserfahrungen ausgehen können, weil es dann leicht ist, eigene Vorstellungen<br />

einzubringen oder zu verwenden. Dadurch können <strong>die</strong> Schüler über solche<br />

Aufgaben auch gut mit anderen diskutieren und sich letztlich zu Eigen machen. Wenn<br />

eine Aufgabe so beschaffen ist, dass der Schüler selber etwas herausfinden kann und so<br />

erfährt, dass er <strong>die</strong> Sache versteht, wird sein Bedürfnis nach Kompetenz am ehesten befriedigt.<br />

Formen extrinsischer und intrinsischer Motivation<br />

In der üblichen Schule, aber auch <strong>auf</strong> dem Weg von der Fremd- zur Selbstbestimmung,<br />

lassen folgende Formen extrinsischer bzw. intrinsischer Motivation beobachten:<br />

120


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

1. Extrinsisch: Der Schüler arbeitet, um Druck zu entgehen oder eine Belohnung zu<br />

erhalten; beispielsweise wenn lernt, weil er unter Aufsicht steht, weil er <strong>die</strong> enttäuschte<br />

Miene seiner Eltern bei der nächsten Klausur fürchtet, oder wenn er lernt,<br />

um ein neues Fahrrad zu bekommen bzw. befürchtet, es könnte ihm sonst versagt<br />

werden.<br />

2. Ego-Orientierung bedeutet, dass der Schüler vor allem danach strebt, sich gegenüber<br />

anderen zu behaupten und sich durchzusetzen. Er betrachtet schulische Aufgaben<br />

und Wettbewerb als Mittel und Herausforderung für seine Selbstbehauptung<br />

58 .<br />

3. Aufgaben-Orientierung bedeutet, dass dem Schüler vor allem <strong>die</strong> Beherrschung<br />

und das Verstehen des Gegenstands wichtig ist. Wenn er Zeit und Energie <strong>auf</strong> eine<br />

Sache verwenden muss, will er <strong>die</strong> Zusammenhänge auch begreifen bzw. eine Fertigkeit<br />

gut ausführen können.<br />

4. Intrinsisch: Der Schüler ist aus sich heraus an dem Gegenstand interessiert und<br />

will mehr darüber herausfinden. Er braucht keinerlei Lenkung von außen, sondern<br />

arbeitet völlig aus eigenem Antrieb.<br />

Die Sta<strong>die</strong>n von (1) bis (4) sind einerseits durch eine Zunahme an Selbstbestimmung<br />

bzw. Verringerung von Fremdbestimmung gekennzeichnet. Im Hinblick <strong>auf</strong> den üblichen<br />

schulischen Unterricht ist zu bedenken, dass nie alle Schüler an allen Gegenständen<br />

gleich stark interessiert sein können. Deshalb ist auch zu erwarten, dass Schüler selbst<br />

unter günstigen Bedingungen selten bzw. nur bei individuell bedeutsamen Gegenständen<br />

intrinsisch motiviert sein werden. Unter günstigen Bedingungen dürfte am ehesten<br />

„Aufgaben-Orientierung“ anzutreffen sein, <strong>die</strong> als Form intrinsischer Motivation verstanden<br />

werden kann. Im Folgenden beschreibe ich <strong>die</strong>se vier Formen der Motivation<br />

detaillierter:<br />

ad (1): Extrinsische Motivation entsteht, wenn der Schüler sich von außen gesteuert<br />

fühlt. Auch wenn er aus einem inneren Antrieb <strong>auf</strong> <strong>die</strong> äußeren Maßnahmen reagiert,<br />

spürte er doch, dass er einer Situation ausgeliefert ist, wobei <strong>die</strong> Einhaltung der damit<br />

verbundenen Anforderungen durch Kontrolle, Lob, Tadel usw. zu sichern versucht wird.<br />

Indirekt wird damit signalisiert, dass dem Schüler <strong>die</strong> Kompetenz fehlt und er deshalb<br />

auch (noch) nicht selbständig sein kann. Ängstliche und gehemmte Schüler – sie sind<br />

besonders empfänglich für Zeichen der Bedrohung ihres Selbst (GRAY/ OWEN/ DAVIS/<br />

TSALTAS 1983) – werden dazu neigen, <strong>die</strong> Bedingungen und <strong>die</strong> damit verknüpfte Einschätzung<br />

zu akzeptieren. Sie fügen sich, um so das Bedürfnis nach Sicherheit zu befriedigen,<br />

um Anerkennung, Lob oder Belohnung zu erhalten bzw. um weitere Bedrohungen<br />

58<br />

SHERIF/ CANTRIL (1947)verstanden unter „ego involvement“ als Inhalte und Bestrebungen des Egos,<br />

<strong>die</strong> ihm als Beurteilungskriterien <strong>die</strong>nen. Der Ausdruck „ego-oriented“ wird von NICHOLLS (1984) für<br />

das Bestreben von Individuen, sich im Vergleich zu anderen als fähig zu erweisen, oder gute Beurteilungen<br />

zu erhalten, während „task-oriented“ das Bestreben nach Beherrschung, Kompetenz und Verstehen<br />

bedeutet.<br />

121


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

der Sicherheit durch Tadel oder Strafe, Entzug von Vergünstigungen usw. zu vermeiden.<br />

Die Aufgabe selbst hat nur wenig Bedeutung für sie, denn es kommt vor allem <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

Konsequenzen für ihr Selbst an. Unter solchen kontrollierenden Bedingungen sehen <strong>die</strong>se<br />

Schüler kaum eine Wahl, wenn sie Selbstbedrohungen vermeiden wollen, als <strong>die</strong> Bedürfnisse<br />

nach Selbständigkeit und Kompetenz zu opfern. Sie passen sich entweder ü-<br />

bermäßig an oder fügen sich mehr oder weniger passiv. Aufgrund <strong>die</strong>ser Bedingungen<br />

sind sie eher an kurzfristigen Zielen orientiert. Weil es im Zusammenhang <strong>die</strong>ser Ziele<br />

nicht unbedingt erforderlich ist, Sachzusammenhänge im Einzelnen zu verstehen, werden<br />

sie zu rezeptiv-reproduktivem Lernen neigen und sich den Aufgabe nur solange zuwenden<br />

als nötig.<br />

Impulsive Schüler dagegen werden unter kontrollierenden Bedingungen versuchen, <strong>die</strong><br />

erwarteten Bestätigungen zu bekommen, denn sie sind besonders empfänglich für Signale<br />

von Belohnungen (GRAY/ OWEN/ DAVIS/ TSALTAS 1983). Nicht selten werden sie jedoch<br />

<strong>auf</strong>grund ihrer Impulsivität gegen Regeln verstoßen und / oder unüberlegte Lösungen<br />

produzieren. Wenn sie öfter Misserfolge erleben und getadelt werden, werden dadurch<br />

ihre Bedürfnisse nach Sicherheit, Selbständigkeit und Kompetenz bedroht. Bei als<br />

strafend empfundenen Bedingungen entsteht Angst vor Kontrollverlust. Nicht selten<br />

neigen sie dann zu <strong>auf</strong>sässigem, rebellischem oder auch aggressivem und bösartigem<br />

Verhalten (STOTT 1972, 58 ff.; GRAY/ OWEN/ DAVIS/ TSALTAS 1983).<br />

ad (2): Ego-Orientierung entsteht ebenfalls unter kontrollierenden Bedingungen. Schüler<br />

mit <strong>die</strong>ser Motivation befürchten schlechte Noten und sozialen Abstieg im Sinne eines<br />

Verlusts an Anerkennung. Sie wollen aber nicht <strong>auf</strong>geben und kämpfen lieber. Sie sagen<br />

sich, dass <strong>die</strong> Welt nun einmal so ist und versuchen das Beste daraus zu machen. Als<br />

„Realisten“ haben sie ihre anfänglich intrinsische Motivation der Grundschulzeit verloren,<br />

doch <strong>die</strong> schulischen Anforderungen mit Leistungskontrollen und Wettbewerb bieten<br />

ihnen genügend Herausforderungen für den Erhalt und <strong>die</strong> Steigerung des Selbstwerts.<br />

Ego-Orientierung kann für solche Schüler bedeuten, dass sie besser oder genau so<br />

gut wie Andere sein wollen, dass sie gute Leistungen wollen, um später bessere Chancen<br />

zu haben, dass sie einen bestimmten Notendurchschnitt anstreben, um das von ihnen<br />

gewünschte Fach stu<strong>die</strong>ren zu können. Sie verfolgen also eher langfristige Ziele und<br />

handeln selbstbestimmt. Obwohl sie kein besonderes Interesse an den Aufgaben haben,<br />

ist ihnen das Verständnis der Zusammenhänge nicht ganz gleichgültig. Allerdings ist es<br />

ihnen wichtiger, ein positives Selbstbild zu haben und einen guten Eindruck bei anderen<br />

zu hinterlassen. Ihre Selbst<strong>auf</strong>merksamkeit wird also relativ ausgeprägt sein, was auch<br />

darin zum Ausdruck kommt, dass sie <strong>die</strong> Anstrengungen, <strong>die</strong> notwendig sind, um ihr<br />

122


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Ziel zu erreichen, berechnen. Bei Ego-Orientierung werden <strong>die</strong> Leistungen daher zwar<br />

den Erfordernissen entsprechen, aber auch kaum darüber hinausgehen.<br />

ad (3): Aufgaben-Orientierung entsteht unter Bedingungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Befriedigung der<br />

Bedürfnisse nach Sicherheit, Selbständigkeit und Kompetenz ermöglichen. Das setzt das<br />

Fehlen von Druck und anderen kontrollierenden Maßnahmen voraus. Aufgaben-<br />

Orientierung als schwächere Form intrinsischer Motivation wird am ehesten bei an sich<br />

intrinsisch motivierten Schülern bei jenen schulischen Aufgaben anzutreffen sein, wenn<br />

sie Aufgaben bearbeiten müssen, <strong>die</strong> nicht unmittelbar „Spaß machen“, sondern eben<br />

verpflichtend sind.<br />

Wenn der Schüler sich als selbständig denkendes und handelndes Individuum akzeptiert<br />

fühlt, und selbst entscheiden kann, zu welchem Zeitpunkt er innerhalb eines vorgegebenen<br />

Rahmens seine Aufgaben wie und mit wem bearbeitet, kann er auch Selbstbewusstsein<br />

und Selbstsicherheit entwickeln. Wenn er versucht, seine Arbeit so gut als möglich<br />

zu verrichten, kann er nicht nur Befriedigung in seiner Arbeit finden, sondern sich auch<br />

als nützlicher, geschätzter und wertvoller Teil einer sozialen Gruppe sehen, in der er eine<br />

Aufgabe hat.<br />

Selbständiges Handeln kann letztlich auch das Bedürfnis nach Sicherheit befrieden.<br />

Denn wenn der Schüler nach seinen Vorstellungen mit den Dingen umgeht, sie ordnet,<br />

zusammenfügt, zerlegt usw., fühlt er sich als „Quelle“ (origin) von Erkenntnissen (DE-<br />

CHARMS 1968). Er kann etwas bewirken, <strong>die</strong> Umwelt in einem gewissen Grad nach eigenen<br />

Wünschen beeinflussen und gestalten. Er erfährt aber auch Widerstände. Dinge<br />

und andere Menschen lassen sich nicht nach Belieben manipulieren. Es gibt Gesetzmäßigkeiten<br />

und Regeln, <strong>die</strong> beachtet werden müssen, wenn man Gegenstände handhaben<br />

und Menschen erfolgreich beeinflussen will. Die Widerstände und Grenzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Umwelt dem eigenen Drang nach Gestaltung oder Beeinflussung entgegensetzt, stellen<br />

jedoch Regeln dar, <strong>die</strong> verdeutlichen, dass es mehr oder weniger verlässliche Bedingungen<br />

gibt, <strong>die</strong> den Umgang mit Menschen und Dingen erleichtern. Es gibt etwas, an das<br />

man sich halten kann. Die Wahlmöglichkeiten und Handlungsmöglichkeiten werden<br />

dadurch zwar begrenzter, aber auch überschaubarer.<br />

Auch das Bedürfnis nach Kompetenz lässt sich durch selbständiges Handeln befriedigen.<br />

Allerdings müssen <strong>die</strong> Schüler Anforderungen, <strong>die</strong> seinen Fähigkeiten angemessen sind,<br />

selbständig wählen können. So sind Schülern bei Fertigkeiten wie Tennis, Schach usw.<br />

am liebsten solche Partner, <strong>die</strong> ein wenig besser sind und so eine optimale Herausforderung<br />

bieten, bei der der Schüler sich steigern kann und doch gewisse Gewinnchancen<br />

123


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

hat. Andere Anreize sehen sie in der Neuigkeit von Aufgaben oder Gegenständen (BER-<br />

LYNE 1974; HUNT 1965). Wichtiger und grundlegender ist es jedoch, dass <strong>die</strong> Schüler<br />

nicht Ergebnisse lernen, sondern sich ausgehend von ihrer Sicht der Dinge in Probleme<br />

verwickeln können, <strong>die</strong> forschend-entdeckendes Lernen anregen. In solchen Fällen stehen<br />

<strong>die</strong> Aufgaben nicht für sich, sondern sind in den Zusammenhang umfassenderer<br />

Fragen und Zusammenhänge eingebettet.<br />

Beim forschend-entdeckenden Lernen erfahren <strong>die</strong> Schüler, dass sie durch eigene Anstrengung<br />

Erkenntnisse gewinnen können, dass sie Kompetenzen besitzen. Die Konzentration<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Sache wird durch das Fehlen von Druck und <strong>auf</strong> Schülerseite durch das<br />

Fehlen unnötiger Vergleiche mit den Fähigkeiten der anderen, <strong>die</strong> nur von der Sache<br />

ablenken und Verarbeitungskapazität verbrauchen, gefördert. Wie <strong>die</strong> Untersuchungen<br />

von FEUERSTEIN (1983) zeigen, verringert sich <strong>die</strong> Bedeutung der Einflüsse von Temperament,<br />

Familienhintergrund usw. bei forschend-entdeckendem Lernen. Ängstliche und<br />

gehemmte Schüler gewinnen durch <strong>die</strong> Abwesenheit von Druck, den sie als Bedrohung<br />

interpretieren, und <strong>die</strong> Erfahrung von Kompetenz mehr Selbstvertrauen. Impulsive Schüler<br />

lernen unter Bedingungen, bei denen nicht Lob oder Belohnung für richtige Reaktionen,<br />

sondern ausschließlich der Erwerb von Kompetenzen zählt, dass sie ihr Können nur<br />

steigern können, wenn sie erst Nachdenken und durch Zurückhaltung spontaner Handlungen<br />

Fehler vermeiden.<br />

ad (4): Intrinsische Motivation als unmittelbares und anhaltendes Interesse an einer Sache<br />

mit der Bereitschaft sich intensiv damit auseinanderzusetzen und keine Anstrengungen<br />

zu scheuen ist nur individuell als bedeutsam empfunden Gegenständen anzutreffen.<br />

Ein solches Interesse kann <strong>die</strong> Grundlage für <strong>die</strong> Entwicklung von Talenten bilden. Fast<br />

jeder kann – wenn auch in einem kleinen Bereich – besondere Leistungen erbringen.<br />

Voraussetzung ist, dass der Schüler den Bereich, der seinen Kompetenzen am ehesten<br />

entspricht, auch findet. Das kann unterstützt werden durch ein Angebot an Wahlmöglichkeiten<br />

im Rahmen einer Unterrichtsorganisation, <strong>die</strong> es erlaubt, <strong>die</strong> Wünsche, Neigungen,<br />

Bedürfnisse, Interessen und Vorschläge von Schülern <strong>auf</strong>zugreifen und umzusetzen.<br />

Kontrollierende Maßnahmen zerstören <strong>die</strong> Lernfreude<br />

Wenn Kinder in <strong>die</strong> Schule kommen, sind sie in der Regel an den Sachen interessiert, sie<br />

wollen unbedingt lernen und freuen sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Herausforderungen, <strong>die</strong> sie in der Schule<br />

erwarten. Diese ursprüngliche Lernfreude löst sich in der Regel schon nach kurzer<br />

124


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Zeit <strong>auf</strong>. Spätestens mit dem Ende der Grundschule sind <strong>die</strong> letzen Reste intrinsischer<br />

Motivation bei den Kindern verflogen. Dabei ist <strong>die</strong>se Lernfreude <strong>die</strong> grundlegende Voraussetzung<br />

für <strong>die</strong> Entfaltung ihrer Möglichkeiten. Denn nur wenn <strong>die</strong> Schüler aus Interesse<br />

an der Sache lernen, werden sie bereit sein, sich den Gegenständen solange zuzuwenden,<br />

bis sie <strong>die</strong> erforderlichen Kompetenzen erworben haben. Zudem ist ihre Aufmerksamkeit<br />

nur bei intrinsischer Motivation ganz <strong>auf</strong> den Gegenstand gerichtet und<br />

nicht durch sachfremde Bedingungen abgelenkt.<br />

Die Frage ist, wie es der Schule gelingt, <strong>die</strong> ursprüngliche Lernfreude der Kinder so ausnahmslos<br />

zu zerstören. Das Problem ist, dass <strong>die</strong> Schule – wie auch <strong>die</strong> Arbeitswelt –<br />

vor allem <strong>auf</strong> kontrollierende Maßnahmen setzt. Es sind aber <strong>die</strong>se kontrollierenden<br />

Maßnahmen, <strong>die</strong> der Lernfreude den Garaus machen.<br />

So zeigten Untersuchungen, dass intrinsische Motivation durch kontrollierende Maßnahmen<br />

eingeschränkt oder unterminiert wird. Häufige Maßnahmen <strong>die</strong>ser Art bestehen<br />

in Versprechungen. Bei irgendwelchen Leistungen werden bestimmte Wünsche erfüllt,<br />

das Taschengeld mit einem Bonus bedacht usw. Untersuchungen zeigen, dass Belohnung<br />

oder Bezahlung (DECI 1971) und Preise (LEPPER/ GREENE/ NISBETT 1973; HARA-<br />

CKIEWICZ 1979) für <strong>die</strong> Beteiligung an einer interessanten Aktivität dazu führte, dass <strong>die</strong><br />

Probanden nach Erhalt der Belohnung weit weniger bereit waren, weiterzumachen als<br />

Probanden, <strong>die</strong> nichts erhielten. Auch Untersuchungen der Wirkungen allgemein üblicher<br />

Methoden extrinsischer Motivierung durch positive und negative Sanktionen, erbrachten<br />

ähnliche Ergebnisse. Diese Mittel wirken zwar, aber sie erfüllen ihren Zweck<br />

nur innerhalb des zeitlichen und örtlichen Rahmens, in dem <strong>die</strong>se Sanktionen ausgeübt<br />

werden. Selbst bei an sich interessanten Aufgaben verringern sie <strong>die</strong> intrinsische Motivation<br />

und auch „<strong>die</strong> Internalisierung der Regulation bei uninteressanten Aufgaben“ (DECI<br />

/ VALLERAND / PELLETTIER / RYAN 1991, 335). Aber auch Maßnahmen wie Wettbewerb<br />

(VALLEREAND / GAUVIN / HALLIWELL 1986) vorgegebene Ziele (MOSSHOLDER 1980)<br />

und Zeitlimits (AMABILE/ DEJONG/ LEPPER 1976), schränken <strong>die</strong> intrinische Motivation<br />

ein.<br />

Kontrolle im Sinne von Überwachung im Zusammenhang mit Sanktionen begünstigt <strong>die</strong><br />

Entstehung von Stress. Bei Wettbewerb um Noten fürchten viele Schüler sich gegenüber<br />

anderen zu verschlechtern, bei Zeitlimits, nicht rechtzeitig fertig zu sein usw. Unter<br />

Stress steigt zwar <strong>die</strong> Fähigkeit zu körperlichen und geistigen Routineleistungen, aber<br />

der Umgang mit Vorstellungen wird ungünstig beeinflusst, denn Angst beeinträchtigt<br />

das Denken. Sie stellt eine Bedrohung des Bedürfnisses nach Sicherheit dar. In <strong>die</strong>sem<br />

125


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Fall muss sich das Interesse an der Aufgabe notwendig verringern. Statt sich für eine<br />

Aufgabe zu interessieren kommt es dar<strong>auf</strong> an, etwas zu tun, um wieder Sicherheit zu<br />

gewinnen. So ist es nicht verwunderlich, wenn Kinder, <strong>die</strong> <strong>die</strong> notwendige emotionale<br />

Sicherheit nicht erhalten, <strong>die</strong> intrinsische Motivation verlieren (ANDERSON/ MANOOGI-<br />

AN/REZNICK 1976).<br />

Schüler reagieren bei Ankündigung von Kontrollen oft mit einer Beschränkung <strong>auf</strong> Routinelösungen<br />

oder Auswendiglernen. Dadurch wird <strong>die</strong> Aufmerksamkeit wie bei Flucht<br />

oder Angriff <strong>auf</strong> eine eingespielte Handlung konzentriert. Weiß der Schüler aber, dass<br />

ihm das nichts nützt, kommt es zur Teilung der Aufmerksamkeit. Seine Aufmerksamkeit<br />

ist dann nicht nur <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Aufgabe, sondern auch <strong>auf</strong> <strong>die</strong> eigene Lage und <strong>auf</strong> <strong>die</strong> zu erwartenden<br />

Folgen gerichtet. Ist nämlich der Erhalt des Selbstwerts bedroht oder bestehen<br />

<strong>auf</strong>grund häufiger Selbstwertbedrohungen entsprechende Erwartungen, <strong>die</strong> Wahrnehmung<br />

und Verhalten mitbestimmen, nimmt <strong>die</strong> Selbst<strong>auf</strong>merksamkeit zu (WICKLUND<br />

1975). Die Individuen neigen dazu, Anforderungen, Reaktionen usw. <strong>auf</strong> sich zu beziehen<br />

und in negativer Weise als Bedrohung ihres Selbst zu betrachten. Dadurch wird <strong>die</strong><br />

Verarbeitungskapazität, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Bearbeitung der Aufgabe zur Verfügung steht, durch<br />

nutzlose Überlegungen gestört und eingeschränkt.<br />

MCGRAW (1978), der frühere Forschungsergebnisse zu den Folgen intrinsischer und<br />

extrinsischer Motivation im Umgang mit Lern<strong>auf</strong>gaben zusammengefasst hat, kommt zu<br />

dem Ergebnis, dass Aufgaben, deren Lösung durch Anwendung einfacher Schemata<br />

oder mechanisches Lernen erreichbar ist, extrinsische Motivierung zu besseren Ergebnissen<br />

führen kann. Bei Denk<strong>auf</strong>gaben dagegen hat extrinsische Motivierung äußerst<br />

ungünstige Folgen (vgl. RYAN/ STILLER 1991;DECI/ RYAN 1987; RYAN/ POWELSON<br />

1991).<br />

Dieses Ergebnis wird unterstützt durch eine Untersuchung von AMABILE (1983). Sie<br />

stellte fest, dass extrinsische Motivierung <strong>die</strong> Kreativität der Versuchspersonen deutlich<br />

beeinträchtigte, während sie durch intrinsische Motivierung gefördert wurde. In einer<br />

Untersuchung von GROLNICK/RYAN (1987) zeigten sich bei extrinsischer Motivation<br />

Beeinträchtigungen des Verständnisses von Zusammenhängen. Sie verglichen das Textverständnis<br />

und Behalten von üblichen Lesetexten bei Schülern der fünften Klasse, <strong>die</strong><br />

sie drei Bedingungen unterwarfen. Der ersten Gruppe wurde der Text einfach zum Lesen<br />

gegeben. Die Schüler mussten annehmen, dass sie nicht getestet würden. Der zweiten<br />

Gruppe wurde mitgeteilt, dass <strong>die</strong> Forscher wissen möchten, was sie aus dem Text lernen,<br />

das Ergebnis würde aber nicht benotet. Die dritte Gruppe erfuhr, dass sie im An-<br />

126


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

schluss getestet und Noten dafür erhalten würden, also <strong>die</strong> schulische Standardprozedur.<br />

Das Ergebnis war, dass <strong>die</strong> zweite und dritte Gruppe deutlich bessere Ergebnisse bei der<br />

Wiedergabe von Einzelheiten zeigten. Nach einer Woche jedoch war <strong>die</strong> Vergessenrate<br />

höher als bei der ersten Gruppe. Besonders hoch war sie bei der dritten Gruppe, der mitgeteilt<br />

worden war, sie würden benotet werden. Die Zusammenhänge wurden am besten<br />

von der ersten Gruppe verstanden. Die dritte Gruppe, deren Ergebnisse bewertet wurden,<br />

war hier am schlechtesten.<br />

Mittel extrinsischer Motivierung sind also nicht geeignet, eine Zunahme an intrinsischer<br />

Motivation zu bewirken, im Gegenteil. Außerdem ist damit zu rechnen, dass Mittel zur<br />

intrinisischen Motivierung (z.B. Gruppenarbeit oder Selbstbestimmung bei der Wahl<br />

und Bearbeitung von Aufgaben) bei gleichzeitig angewandten Mitteln zur extrinsischen<br />

Motivierung in der zu erwartenden Wirkung erheblich beeinträchtigt werden. So wählten<br />

Schüler, <strong>die</strong> für richtige Lösungen belohnt wurden, leichtere Aufgaben (PITTMAN/ EME-<br />

RY/ BOGGIANO 1982; SHAPIRO 1976) und ten<strong>die</strong>rten dazu, nur ein Minimum an Anstrengung<br />

für <strong>die</strong> Aufgabe einzusetzen (KRUGLANSKI/STEIN/RITER 1977). Bei Anwendung<br />

von Mitteln zur intrinsischen Motivierung wählten sie hingegen schwierigere (SHAPIRO<br />

1976) und ihren individuellen Fähigkeiten entsprechende, also weder zu schwierige noch<br />

zu leichte Aufgaben (DANNER/LONSKY 1981). Wenn also im Zusammenhang schulischer<br />

Reformen einer <strong>auf</strong> extrinsischer Motivierung beruhenden Struktur einige Elemente<br />

zu intrinsischer Motivierung hinzugefügt werden, dürften kaum nachhaltige Steigerungen<br />

hinsichtlich Lernbereitschaft und Lernerfolgen zu erzielen sein.<br />

14. Gefühl und Temperament<br />

Wenn <strong>die</strong> Umwelt dem Streben des Individuums nach Sicherheit, Selbständigkeit und<br />

Kompetenz entgegenkommt, wird es dem inneren Selbst eher gelingen, <strong>die</strong> im sozialen<br />

Kontext erfahrenen Anforderungen, Wertvorstellungen und Informationen mit den eigenen<br />

Wünschen, Interessen und Auffassungen koordinieren. Das Individuum wird sich<br />

daher in seiner Umwelt eher subjektiv sinnvolle Handlungsmöglichkeiten erkennen können<br />

und sich selbstbestimmt darin verhalten (DECI/ RYAN 1991).<br />

Wenn der soziale Kontext das Streben nach Sicherheit, Selbständigkeit und Kompetenz<br />

behindert, wird dadurch auch <strong>die</strong> Entwicklung der Persönlichkeit beeinträchtigt. Zwar<br />

werden auch dann Informationen <strong>auf</strong>genommen, Regeln und Wert<strong>auf</strong>fassungen gebildet,<br />

aber da sie nicht mit dem individuellen Empfinden und Wollen integriert sind, fühlt sich<br />

127


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

das Individuum in seinem Handeln eher gedrängt als frei und selbstbestimmt, es erlebt<br />

eher Spannungen, wird eher von Gefühlen beherrscht, deren Macht es nicht kontrollieren<br />

kann, <strong>die</strong> Kenntnis von Werten und das Handeln stehen kaum in einem Zusammenhang<br />

miteinander usw. (DECI/RYAN 1991, 276 ff.).<br />

Gefühle sind im vorliegenden Modell zunächst als Reaktionen des inneren Selbst <strong>auf</strong><br />

Reize und Informationen zu verstehen. Gefühle, <strong>die</strong> im Umgang mit der Umwelt immer<br />

wieder <strong>auf</strong>treten, formen <strong>die</strong> Persönlichkeit. Das sich kann z.B. körperlich in bestimmten<br />

Gesichtszügen (resigniert, verbittert, fröhlich usw.) und/ oder in einer bestimmten Haltung<br />

(gedrückt, verschlossen, <strong>auf</strong>recht und offen usw.) niederschlagen. In <strong>die</strong>sem Sinn<br />

sind Gefühle als Aspekte des äußeren Selbst zu betrachten.<br />

Schulisch bedeutsame Temperamente<br />

Temperamente sind angeborene Verhaltensmuster, <strong>die</strong> das Fühlen, Denken und Handeln<br />

eines Individuums in geradezu mechanischer Weise bestimmen. So sind ängstliche<br />

Schüler sensitiver gegenüber Bestrafungen bzw. gegenüber dem Entzug von Gratifikationen<br />

als wenig ängstliche. Sie zeigen unter Bedingungen, <strong>die</strong> ihnen hinsichtlich ihres<br />

Selbstwerts bedrohlich erscheinen, eine höhere Anpassungsbereitschaft. Bei Prüfungen<br />

mit unzulänglichen Vorbereitungsmöglichkeiten kann Ängstlichkeit <strong>die</strong> Leistungen beeinträchtigen<br />

(SCHWARZER 1987, 100 ff.). Angst im Zusammenhang mit Misserfolgen<br />

kann aber auch zu Kontrollverlust bzw. Hilflosigkeit zur Folge haben (ebenda, S. 200<br />

ff.). Ängstlichkeit ist also eine schulisch sehr bedeutsame Temperamentseigenschaft.<br />

Eine andere wesentliche Eigenschaft ist <strong>die</strong> Impulsivität. Impulsive Schüler handeln<br />

ohne zu denken oder zu planen; sie raten, machen viele Fehler, werden getadelt und erfahren<br />

dadurch Enttäuschungen. Außerdem stören sie mit ihren spontanen Aktivitäten<br />

im Unterricht und fallen negativ <strong>auf</strong>. Aber nicht nur in hohem Maß impulsive Schüler,<br />

sondern auch Schüler, denen <strong>die</strong> Impulsivität weitgehend fehlt, <strong>die</strong> eher passiv und reserviert<br />

oder scheu sind, können in der herkömmlichen Schule leicht untergehen, weil<br />

sie kaum wahrgenommen werden.<br />

Diese Temperamentseigenschaften können insbesondere bei Kindern aus benachteiligten<br />

sozialen Milieus eine Kumulierung negativer Effekte begünstigen, weil solche Schüler<br />

ohnehin eher ein schwaches Selbstwertgefühl haben und auch ihre Bereitschaft zum<br />

Wettbewerb im intellektuellen Bereich geringer ist, weil sie ferner stärker irritierbar,<br />

weniger an <strong>die</strong> geltenden Normen angepasst sind und <strong>die</strong> Bedeutung von Prüfungen oft<br />

128


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

nicht angemessen einschätzen können (vgl. DEUTSCH/ FISHMAN/ KOGAN/ NORTH/ WHI-<br />

TEMAN 1964).<br />

Es sind also folgende Gruppen von Schülern zu unterscheiden:<br />

• Ängstliche Schüler;<br />

• Ungezwungene Schüler. Sie müssen nicht frei von Ängsten sein, können aber gut mit<br />

ihnen umgehen, so dass sie in ihren Leistungen dadurch nicht oder kaum beeinträchtigt<br />

werden;<br />

• Impulsive Schüler;<br />

• Gehemmte Schüler, d.h. Schüler, <strong>die</strong> zurückgezogen sind, <strong>die</strong> sich nicht <strong>auf</strong>drängen<br />

und ihnen unangenehme Situationen eher passiv ertragen als sich zu wehren.<br />

Diese Einteilung ist auch in anderen Konzeptionen zu finden und weist Beziehungen zu<br />

älteren Temperamentslehren wie der von Hippokrates <strong>auf</strong>.<br />

Abb.: Klassifikationen von Temperamenten (nach SCHALLING/ EDMAN/ ÅSBERG (1983,<br />

125).<br />

129


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Es ist umstritten, inwieweit Temperamente angeboren oder erworben sind. Auch wenn<br />

heute eine Neigung besteht, den Faktor der Anlage höher zu bewerten, gilt es als sicher,<br />

dass Umwelt und Erziehung gegebene Temperamentseigenschaften verstärken oder mildern<br />

können (FULKER 1981; EYSENCK 1983; KAGAN/ SNIDMAN/ ARCUS 1993, 20 F.; DA-<br />

VIDSON 1993).<br />

Ob Angst und Impulsivität verstärkt werden, hängt also auch von Unterrichtsbedingungen<br />

ab. Insbesondere kommt es dar<strong>auf</strong> an, ob <strong>die</strong> psychischen Bedürfnisse nach Sicherheit,<br />

Selbständigkeit und Kompetenz erfüllt oder nicht erfüllt werden. Während Maßnahmen<br />

zur intrinsischen Motivierung <strong>die</strong>se Bedürfnisse zu berücksichtigen suchen,<br />

werden sie bei Maßnahmen zur extrinsischen Motivierung kaum beachtet.<br />

Der Einfluss des Temperaments bei extrinsischer Motivierung<br />

Bei extrinsischer Motivierung, d.h. unter Bedingungen, <strong>die</strong> das Lernen des Schülers von<br />

außen durch Lenkung, Lob, Tadel usw. zu bestimmen oder kontrollieren versuchen, werden<br />

Einflüsse von Temperamentseigenschaften in äußerst ungünstiger Weise verstärkt.<br />

Das gilt vor allem für<br />

• ängstliche Schüler.<br />

Sie sind besonders sensibel gegenüber Bestrafungen, Tadel oder Entzug von Anerkennung,<br />

d.h. sie reagieren sehr stark <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Möglichkeit negativer Sanktionen bei extrinsischer<br />

Motivierung (GRAY/ OWEN/ DAVIS/ TSALTAS 1983). Es kommt nicht einmal dar<strong>auf</strong><br />

an, ob sie selbst bestraft werden, entscheidend ist, dass es Bestrafungen gibt, wen immer<br />

sie treffen. Wenn in der Schule und anderen <strong>Institution</strong>en Lob und Tadel, Belohnung<br />

und Bestrafung <strong>die</strong> zentralen Mittel sind, kann Ängstlichkeit erheblich verstärkt werden.<br />

Ängstliche Kinder und Jugendliche neigen in solchen Situationen dazu, Bedrohungen<br />

ihres Selbstwerts zu wittern und sich entsprechend zu verhalten. Da Angst und Schwäche<br />

<strong>auf</strong> der Seite der Lehrer und auch bei anderen Schülern Überlegenheit und Macht<br />

begünstigt, erhalten sich <strong>die</strong>se Interaktionsmuster <strong>auf</strong> Dauer (CAPSI/ BEM/ ELDER 1989)<br />

Schulangst ist überaus häufig. Die Schüler leiden unter Kritik und Zurückweisung; sie<br />

fürchten sich vor anderen Schülern und vor Gewalt. Kinder der vierten bis sechsten<br />

Klasse fürchten sich beispielsweise, bei Spielen als letzte für ein Team ausgewählt zu<br />

werden. Die Furcht, nicht versetzt zu werden, zählt zu den größten Ängsten (YOUNGS<br />

1985). Laut einer im Saarland durchgeführten repräsentativen Befragung befürchteten 46<br />

% der Schüler, unter Umständen nicht versetzt zu werden, obwohl das nur in 5 % der<br />

130


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Fälle vorkam; 46 % gaben an, in der Schule manchmal so <strong>auf</strong>geregt zu sein, dass ihnen<br />

<strong>die</strong> Hände zittern; 51 % haben Angst, eine falsche Antwort zu geben. Wenn nun unter<br />

den üblichen schulischen Bedingungen bei so vielen Schülern Ängste erzeugt werden, ist<br />

anzunehmen, dass in hohem Maße ängstliche Schüler noch weit mehr als andere leiden.<br />

So gaben 20 % an, ihnen sei manchmal schlecht vor der Schule, 12 % nehmen <strong>auf</strong> Anraten<br />

des Arztes Beruhigungsmittel und 2 % Schlaftabletten am Abend vor den Klassenarbeiten<br />

(STRITTMATTER 1977).<br />

Ängstliche Schüler werden also bei potentiellen Bedrohungen in ihrem Bedürfnis nach<br />

Sicherheit noch stärker beeinträchtigt als weniger ängstliche Schüler. Wenn versucht<br />

wird, <strong>die</strong> Schüler durch Prüfungen, unerwartete Fragen und schwierige Aufgaben, durch<br />

Leistungsdruck <strong>auf</strong>grund hoher Anforderungen, durch negative Reaktionen <strong>auf</strong> Misserfolge,<br />

durch unerwartete Kontrollen usw. zu Mitarbeit und Anstrengungen anzuspornen,<br />

werden sie ganz besonders vorsichtig sein, um ihren bedrohten Selbstwert nicht zu gefährden.<br />

Ihre Möglichkeiten dazu hängen allerdings von ihrer Fähigkeit ab, sich schnell<br />

den gegebenen Bedingungen anzupassen. Dadurch ergeben sich weitere Unterschiede<br />

zwischen leistungsfähigen, mittelmäßigen und leistungsschwachen ängstlichen Schülern.<br />

Leistungsfähige ängstliche Schüler neigen dazu sich anzupassen und zu versuchen, immer<br />

<strong>die</strong> richtigen Antworten zu geben. Mit ihren Leistungen sind sie nie zufrieden, sie<br />

möchten perfekt sein und alles noch besser machen. Sie trauen sich daher nicht, neue<br />

und unsichere Wege zu gehen, sondern suchen nach Gewohntem, sind also Wagnissen<br />

und Neuem gegenüber abgeneigt. Bei einer Änderung der Unterrichtsbedingungen, <strong>die</strong><br />

ihnen mehr Freiheit geben, werden sie verunsichert. Sie wünschen, dass der Lehrer den<br />

Unterricht strukturiert und warten <strong>auf</strong> seine Anweisungen, weil sie nur so wissen, was<br />

sie tun sollen. Sie opfern das Bestreben nach Selbständigkeit zugunsten der Sicherheit,<br />

<strong>die</strong> sie durch Anpassung und durch ihre Kompetenz in der Lösung vorgegebener Aufgaben<br />

finden, wodurch sie nicht selten zu Lieblingsschülern ihrer Lehrer werden (LANDAU<br />

1990, 70).<br />

Mittelmäßige ängstliche Schüler finden dagegen weniger Befriedigung in der Anerkennung<br />

ihrer Kompetenz. Auch sie ten<strong>die</strong>ren dazu, sich anzupassen und richten sich nach<br />

dem, was der Lehrer hören möchte. Aber da sie <strong>die</strong> Zusammenhänge weniger gut verstehen,<br />

ist ihre Neigung zur Rezeption ohne klares Verständnis bei ihnen größer. Sofern<br />

sie Sicherheit in der Perfektion suchen, bauen sie mehr <strong>auf</strong> bloßes Auswendiglernen.<br />

Aufgrund ihrer Ängstlichkeit und eingeschränkten Kompetenz neigen sie in Anforderungssituationen<br />

dazu, sich unnötig mit <strong>auf</strong>gabenfremden Überlegungen z.B. zu den<br />

131


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Folgen eines möglichen Versagens beschäftigen, so dass sie in Prüfungen unter ihrem<br />

Leistungsniveau abschneiden (DEFFENBACHER 1980).<br />

Leistungsschwache ängstliche Schüler haben weniger Möglichkeiten, Sicherheit durch<br />

Anpassung und Kompetenz zu finden, auch wenn sie es versuchen. Sie entwickeln daher<br />

meist ein niedriges Selbstwertgefühl und fühlen sich als Versager. Wenn dann ihre Erfolgszuversicht<br />

geschwunden ist, strengen sie sich auch nicht mehr an und verschlechtern<br />

sich dadurch noch mehr (JOPT 1978).<br />

Ängstlichkeit wird zusätzlich verstärkt durch Eltern, <strong>die</strong> mit Tadel, Bestrafung, Verboten<br />

und Einschränkungen <strong>auf</strong> Misserfolge der Kinder reagieren. Wenn <strong>die</strong> Kinder sich dann<br />

in Leistungssituationen <strong>die</strong> Reaktionen ihrer Eltern vorstellen, verstärkt das <strong>die</strong> Angst<br />

vor Misserfolg noch mehr. Ähnlich wirkt sich unberechenbares Elternverhalten aus;<br />

wenn sie einmal <strong>die</strong> schlechten Noten freundlich hinnehmen und ein anderes Mal wütend<br />

reagieren, wird <strong>die</strong> unerwartete Bestrafung dann umso stärker empfunden (HELM-<br />

KE/ VÄTH-SZUSDZIARA 1980). Aber auch Verwöhnung und Unterforderung ängstlicher<br />

Kinder tragen dazu bei, dass <strong>die</strong>se ihre Fähigkeiten nicht entfalten können; daraus wiederum<br />

resultiert ein geringes Selbstvertrauen, wodurch <strong>die</strong> Ängstlichkeit in unbekannten<br />

Situationen oder bei neuen Anforderungen verstärkt wird.<br />

Ähnlich wie ängstliche reagieren oft<br />

• gehemmte, zurückgezogene Schüler.<br />

Sie sind besonders empfindsam und „verwundbar im Angesicht von Fremdheit und<br />

Schwierigkeiten“ (STOTT 1972, 71). Aufgrund von Situationen, in denen sie oder andere<br />

immer wieder vor Aufgaben gestellt werden, <strong>die</strong> ihnen fremd und/oder zu schwierig<br />

erscheinen, neigen sie zu der Erwartung, dass jede Aufgabe, vor <strong>die</strong> sie gestellt werden,<br />

zu schwierig für sie sei. Um nicht gedrängelt und gefordert zu werden, geben sie sich<br />

unfähig (STOTT 1972, 37) oder bauen eine Mauer aus Gleichgültigkeit und Desinteresse<br />

<strong>auf</strong>, hinter <strong>die</strong> sie sich zurückziehen. Werden sie von Kameraden zurückgewiesen, beurteilen<br />

sie sich und ihre Fähigkeiten negativ; aus <strong>die</strong>sem Grund sind auch meist sozial<br />

zurückgezogen und haben nur wenig Freunde (RUBIN 1993). Aus der Sicht des Lehrers<br />

sind das oft <strong>die</strong> trägen unintelligenten Kinder, <strong>die</strong> nur ein Minimum an Lehrstoff bewältigen<br />

können (STOTT 1972, 37; 73). Zurückgezogenheit wird begünstigt durch subjektive<br />

Unsicherheit, <strong>die</strong> bei <strong>die</strong>sen Kindern insbesondere <strong>die</strong> wiederholte Erfahrung von Inkompetenz,<br />

sowie durch Zurückweisung und negative Fremdeinschätzung <strong>auf</strong>rechterhalten<br />

wird. Aber nicht nur Überforderung, sondern auch Verwöhnung und Unterforderung<br />

132


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

führen dazu, dass <strong>die</strong>se Kinder ihre Fähigkeiten nicht entwickeln können und verstärken<br />

so <strong>die</strong> Neigung, sich zurückzuziehen.<br />

Im Klassenunterricht mit seinen vorgegebenen Aufgaben und dem Wettstreit um Noten,<br />

der <strong>die</strong> soziale Rangordnung betont, geraten solche Schüler leicht ins Abseits. Eine Untersuchung<br />

sozial zurückgezogener Kinder einer normalen Schülerpopulation ergab eine<br />

hohe Stabilität <strong>die</strong>ser Temperamentseigenschaft von der frühen bis zur späten Kindheit,<br />

begleitet von einem Gefühl der Unsicherheit und Abhängigkeit sowie negativen Selbsteinschätzungen<br />

(RUBIN 1993).<br />

Da <strong>die</strong>se Kinder sich unterschätzen und nicht aus sich herausgehen, können sie ihre Fähigkeiten<br />

weder nutzen noch entfalten. Es können überaus leistungsfähige Kinder darunter<br />

sein, d.h. typische „Underachiever“ (LANDAU 1990, 70 f.). Grundsätzlich werden sie<br />

aber alle in ihren Möglichkeiten eher unterschätzt. Da sie geduldige individuelle Ermutigung,<br />

Bestätigung und soziale Akzeptanz brauchen, können sie bei den im normalen<br />

schulischen Unterricht üblichen kontrollierenden Methoden nicht gefördert werden.<br />

Vielmehr festigen <strong>die</strong>se kontrollierenden Methoden <strong>die</strong> bestehenden ungünstigen Interaktions-<br />

und Reaktionsmuster. Es gelingt solchen Schülern daher nur schwer, ihre Gehemmtheit<br />

durch Selbstvertrauen und Zuversicht auszugleichen, wodurch sich ihre<br />

Hemmung in eine durchaus vorteilhafte Vorsicht mit abwägendem Denken verwandeln<br />

könnte.<br />

Aus der Sicht des Lehrers sind am schwierigsten<br />

• impulsive Schüler.<br />

Sie neigen zu überstürztem Handeln ohne zu überlegen, ohne <strong>die</strong> mit ihrem Handeln<br />

verknüpften Risiken abzuschätzen oder zu planen (z.B. BARRATT/ PATTON 1983, 89).<br />

Meist sind sie von einem unermüdlichen Aktivitätsdrang erfüllt, der sich in unvorhersehbarem<br />

Verhalten äußert, mit dem auch der geduldigste Erzieher im Kindergarten nur<br />

schwer zurechtkommt. Denn wenn sie durch dem Raum rasen, dabei andere Kinder anrempeln<br />

und lachend oder schreiend alles durcheinander bringen, strapaziert <strong>die</strong>ses Verhalten<br />

das Einfühlungsvermögen und Verständnis vieler Erzieher und Eltern. Wenn ein<br />

Kind <strong>die</strong> Sachen, <strong>die</strong> der Erzieher ihm gibt, um es zu beschäftigen, durch den Raum<br />

wirft, fällt es Erziehern oft schwer, <strong>die</strong>ses Verhalten ruhig und forschend zu beobachten,<br />

um herauszufinden, was das Kind so antreibt und was ihm wohl fehlt. In der Schule<br />

kriecht <strong>die</strong>ses Kind unter den Bänken durch, erschrickt andere, nimmt ihnen <strong>die</strong> Schreibsachen<br />

fort, schmeißt mit ihren Ra<strong>die</strong>rgummis, steht plötzlich hinter dem Lehrer, wenn<br />

<strong>die</strong>ser sich zur Tafel wendet, läuft trotz aller Ermahnungen immer wieder durch den<br />

133


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Raum usw. Eltern und Lehrer, <strong>die</strong> alles versuchen, das Kind zu disziplinieren, scheinen<br />

nur Fehlschläge zu erleben und geraten selbst in einen Zustand der Hilflosigkeit (STOTT<br />

1972, 59), drohen, strafen immer härter, geben schließlich alle Erziehungsversuche <strong>auf</strong>.<br />

Impulsivität wird begünstigt und <strong>auf</strong>rechterhalten durch <strong>die</strong> Anwendung von Erziehungsmitteln<br />

wie Lob oder Belohnung für erwünschtes Verhalten oder richtige Antworten.<br />

Die Möglichkeit von Bestrafungen oder des Erregens von Missfallen scheinen impulsive<br />

Schüler kaum wahrzunehmen, aber wenn sie getadelt oder bestraft werden, reagieren<br />

sie meist aggressiver als andere Kinder und fühlen sich ungerecht behandelt; das<br />

bedeutet auch, dass sie kaum aus Bestrafungen lernen (GRAY/ OWEN/ DAVIS/ TSALTAS<br />

1983).<br />

Problematisch ist vor allem, wenn Eltern und Lehrer glauben, ein solches Kind sei nur<br />

durch eine „Dressur“, d.h. <strong>die</strong> Einübung bestimmter Verhaltensmuster zu erziehen. Denn<br />

wenn im Wesentlichen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Einhaltung bestimmter Ergebnisse geachtet wird, hat das<br />

eine ständige Kontrolle zur Folge. Die Schwierigkeit des impulsiven Kindes ist, dass<br />

sein kognitiver Stil unangemessen ist. Es nimmt Informationen <strong>auf</strong> und verknüpft sie<br />

unmittelbar mit Handlungen. Es ist also gerade der Mangel an Lern<strong>auf</strong>gaben, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Einsicht in den Zusammenhang von Zielen, möglichen Mitteln zu ihrer Erreichung und<br />

Plänen zu ihrem Einsatz fördern, durch <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser Stil <strong>auf</strong>rechterhalten wird. Dressur<br />

baut <strong>auf</strong> <strong>die</strong> ständige Kontrolle erwünschten Verhaltens. Wenn es für das Kind aber nur<br />

dar<strong>auf</strong> ankommt, <strong>auf</strong> irgendwelche Reize Reaktionen zu zeigen, <strong>die</strong> den Erzieher zufrieden<br />

stellen, wor<strong>auf</strong> dann Belohnungen zu erwarten sind, fördert das gerade einen rezipierend-reproduzierenden<br />

Lernstil. Auf <strong>die</strong>se Weise kann das Kind seine Impulse nicht<br />

in den Griff bekommen. Denn um sie zu beherrschen, muss es zu einer Verzögerung<br />

zwischen Informations<strong>auf</strong>nahme und Handeln kommen. Genau das geschieht, wenn <strong>auf</strong>grund<br />

von letztlich einsehbaren, verstehbaren Zusammenhängen zunehmend selbstständiges<br />

Handeln möglich wird (vgl. FEUERSTEIN 1983, 265 ff.).<br />

Impulsive Kinder strahlen nicht selten eine Unbekümmertheit aus, was ihnen einen ungewöhnlichen<br />

Charme verleiht. Eltern und Erzieher sind daher oft bereit, „ihnen Dinge<br />

zu erlauben, <strong>die</strong> sie weniger bezaubernden Kindern“ nicht durchgehen lassen würden<br />

(STOTT 1972, 48). Dadurch werden <strong>die</strong>se Kinder in der Erwartung bestärkt, es sei ihr<br />

Recht, Aufmerksamkeit und Bewunderung zu erhalten. Da sie aus Ermahnungen und<br />

Strafen kaum lernen, sehen Eltern oft über das Fehlverhalten hinweg und rechtfertigen<br />

sich damit, dass <strong>die</strong> Kinder lernen müssten, sich durchzusetzen. Zur Impulsivität gesellt<br />

sich dann nicht selten das Bestreben zu dominieren und ein Ärgernis zu sein. Daraus<br />

134


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

können <strong>die</strong>se Kinder zumindest <strong>die</strong> Befriedigung von Kompetenz im Sinne der Beherrschung<br />

ihrer Umwelt ziehen (STOTT 1972, 48; 53 f.).<br />

Aber auch wenn <strong>die</strong> Eltern gegen das Fehlverhalten anzugehen suchen, können durch<br />

Impulsivität begünstigte Verhaltensmuster <strong>auf</strong>rechterhalten werden. Angenommen, das<br />

Kind reagiert bei unerfüllten Wünschen mit Wutanfällen. Wenn es der Mutter nun nicht<br />

gelingt, <strong>die</strong>se Gefühlsausbrüche als das zu akzeptieren, was sie sind (nämlich Zornausbrüche<br />

<strong>auf</strong>grund unerfüllter Wünsche, also Gefühle, wie auch Erwachsene sie haben und<br />

für <strong>die</strong> man durchaus Verständnis zeigen kann), sondern sich dagegen stellt, indem sie<br />

ärgerlich reagiert, wird das Kind noch aggressiver, bis <strong>die</strong> Mutter schließlich nachgibt<br />

und seine Wünsche erfüllt. Da sie aus Bestrafungen kaum lernen, erleben sich Eltern und<br />

Erzieher nicht selten als hilflos. Hilflosigkeit ist aber auch für den Erziehers eine Bedrohung<br />

seines Selbstwerts, <strong>die</strong> Aggression oder Ablehnung zur Folge haben kann (STOTT<br />

1972, 39). Auch in solchen Fällen wird das Verhalten des Kindes bestärkt und der Erwerb<br />

alternativer Muster behindert (CASPI/ BEM/ ELDER 1989).<br />

Unter schulischen Bedingungen ist impulsives Handeln ungeeignet zur Lösung komplexer<br />

kognitiver Aufgaben. Hochgradig impulsive Kinder geben daher leicht <strong>auf</strong> und versuchen,<br />

sich vor Lern<strong>auf</strong>gaben zu drücken, indem sie z.B. den Clown spielen und dadurch<br />

<strong>die</strong> Anerkennung ihrer Mitschüler zu erhalten suchen. Andere legen sich mit den<br />

Lehrern an und versuchen so, sich für <strong>die</strong> Einschränkung der Möglichkeiten ihrer<br />

Selbstentfaltung zu rächen (STOTT 1972, 36). Wieder andere entwickeln sich zu unkooperativen,<br />

aggressiven, bösartigen und/ oder herrschsüchtigen Schülern, <strong>die</strong> meist keine<br />

Freunde haben (STOTT 1972, 58 ff., LANDAU 1990, 71). Das ist insbesondere bei bedingter<br />

Anerkennung der Fall – d.h. wenn Anerkennung und Zuwendung nur bei guten Leistungen<br />

und konformem Verhalten gewährt werden, während sie bei anderem Verhalten<br />

<strong>auf</strong> Ablehnung stoßen. Auf <strong>die</strong>se Weise (wie bei Liebesentzug) wird nämlich das grundlegende<br />

Bedürfnis nach Sicherheit nur unter bestimmten Bedingungen befriedigt. Impulsive<br />

Kinder befürchten dann ständig den Verlust von Sicherheit. Sie werden zutiefst<br />

misstrauisch. Sobald ihnen eine Verhaltensweise anderer in irgendeiner Weise Ablehnung<br />

anzudeuten scheint, können sie sich verraten fühlen, wegen <strong>die</strong>ser vermeintlichen<br />

Ungerechtigkeit bzw. wegen <strong>die</strong>ser vermeintlichen Verletzung oder Beschneidung ihrer<br />

Selbstentfaltungsmöglichkeiten in Rage geraten und mit heftigen Aggressionen reagieren.<br />

Um sich gegen solche Eingriffe abzusichern, versuchen sie ihre Umwelt soweit als<br />

möglich zu beherrschen. Den entsprechenden Interaktionsstil bezeichnen CASPI/ BEM/<br />

ELDER (1989) als „gegen <strong>die</strong> Welt angehen“.<br />

135


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Begünstigt durch das Temperament und über Jahre weitgehend ähnlicher schulischer<br />

und häuslicher Umstände wird <strong>die</strong>ser Interaktionsstil ein Teil der Persönlichkeit. Die<br />

Individuen neigen dazu, von ihrer Umwelt Einschränkungen zu erwarten, so dass sie von<br />

vornherein misstrauisch sind und sehr schnell aggressiv reagieren. Auf <strong>die</strong>se Weise kann<br />

ein solcher Interaktionsstil ein Handicap für das ganze Leben werden. Jedenfalls ließen<br />

sich anhand in Längsschnittstu<strong>die</strong>n angefangen bei 8-10jährigen bis zum Alter von 30-<br />

40 Jahren solche Interaktionsstile verfolgen (CASPI// BEM/ ELDER 1989).<br />

Weniger problematisch sind Bedingungen extrinsischer Motivierung für Schüler<br />

• Schüler mit geringer Ängstlichkeit bzw. Schüler mit ungezwungenem Temperament.<br />

Auch <strong>die</strong>se Schüler sind manchmal ängstlich, gehemmt oder übersprudelnd und impulsiv,<br />

aber im Großen und Ganzen gelingt es ihnen, mit ihren Ängsten zu leben, ihre Impulse<br />

im Zaum zu halten und ihre Hemmungen zu überwinden. Es gelingt ihnen, sich an<br />

gegebene Bedingungen anzupassen. Aber auch wenn sie weniger leiden, werden <strong>auf</strong>grund<br />

der extrinsichen Motivation auch ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht hinreichend<br />

ausgeschöpft und entwickelt.<br />

Der Einfluss des Temperaments bei intrinsischer Motivierung<br />

Intrinsische Motivierung besteht in der Schaffung von Bedingungen, <strong>die</strong> dem Schüler<br />

<strong>die</strong> Befriedigung seiner Bedürfnisse nach Sicherheit, Selbständigkeit und Kompetenz<br />

gewähren. Sicherheit entsteht, wenn sich der Einzelne anerkannt und akzeptiert fühlt,<br />

wenn er in seinem Selbstwert bestätigt wird, also wenn er sich z.B. bei schwierigen Aufgaben<br />

an Andere wenden kann und Hilfe erhält, so dass er sich verbessern kann. Selbständigkeit<br />

wird unterstützt, indem dem Schüler Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der<br />

Ziele, der Zeitdauer der Beschäftigung mit einer Aufgabe, der Lösungswege, der Zusammenarbeit<br />

mit Anderen usw. eröffnet werden. Die Entwicklung von Kompetenz wird<br />

vor allem durch Unterrichtsformen oder Lehrmaterialien gefördert, <strong>die</strong> forschendentdeckendes<br />

Lernen ermöglichen.<br />

Fühlen sich nun ängstliche Schüler im Unterricht akzeptiert und sicher, dann lernen sie<br />

mit ihrer Temperamentseigenschaft umzugehen. Solche Bedingungen bestehen dann,<br />

wenn <strong>die</strong> Schüler selbst Aufgaben wählen können, <strong>die</strong> sie bearbeiten möchten und wenn<br />

sie anschließend nicht darüber geprüft werden. Dann können <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong> Arbeit eher<br />

aus Interesse an der Sache tun. Steht <strong>die</strong> Sache im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit,<br />

dann wird <strong>die</strong> Verarbeitungskapazität der Schüler ausschließlich und intensiv <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

136


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Aufgabe gerichtet. Bei selbständig gewählten Aufgaben und individualisierter Betreuung<br />

können auch leistungsschwache ängstliche Schüler Kompetenzen erwerben. Dadurch<br />

verbessern sich ihre Selbsteinschätzungen und ihr Selbstvertrauen, auch mit anderen<br />

Situationen fertig werden zu können.<br />

Die subjektiven Einschätzungen der eigenen Kompetenz und des damit verknüpften<br />

Selbstwerts sind von größerer Bedeutung für das Werden der Persönlichkeit des Einzelnen<br />

als <strong>die</strong> schulischen Aufgaben selbst (ECCLES 1983). Sie sind auch entscheidend dafür,<br />

ob der Einzelne sich gut oder schlecht, belastet oder unbelastet fühlt (HARTER 1986).<br />

Sich gut und unbelastet zu fühlen bedeutet, dass Ängste durch Gefühle des Vertrauens in<br />

<strong>die</strong> Unterstützung durch <strong>die</strong> Umgebung, aber auch durch Selbstvertrauen und Hoffnung<br />

<strong>auf</strong> Erfolg begrenzt werden. Ängstlichen Schülern gelingt es bei Maßnahmen zur intrinsischen<br />

Motivierung eher, ihr Gefühlsleben so zu integrieren, dass Ängste durch entgegen<br />

gesetzte Emotionen begrenzt werden. Sie lernen mit Gefühlen umzugehen, statt von<br />

ihnen beherrscht zu werden.<br />

Das gilt in analoger Weise auch für gehemmte, zurückgezogene Schüler. Denn auch sie<br />

können unter Bedingungen, <strong>die</strong> ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermitteln, eher Selbstvertrauen,<br />

Kompetenz und vor allem Vertrauen in <strong>die</strong> eigenen Fähigkeiten erwerben.<br />

Wenn sie durch Beschäftigung mit Gegenständen ihres Interesses selbständiger geworden<br />

sind und Erfolge erfahren haben, werden sie sich eher als fähig betrachten, auch<br />

schwierigere Aufgaben zu lösen und bereit sein, sich ihnen zu stellen.<br />

Desgleichen können, wenn <strong>die</strong> Sache im Mittelpunkt steht, auch impulsive Kinder erkennen,<br />

dass Nachdenken eine interne Belohnung durch den Erfolg richtiger Lösungen<br />

und den Erwerb von Kompetenz ermöglicht. Wenn Bestrafungen ebenso wie Belohnungen<br />

ausbleiben, wenn sie z.B. Lösungen raten, wenn einfach <strong>die</strong> Fehler einer Antwort<br />

sachlich untersucht werden und wie sie sich vermeiden lassen, können sie nach und nach<br />

lernen, ihre Impulse in einem komplexeren Gefüge von Erwartungen zu interpretieren<br />

und sie dadurch zunehmend besser beherrschen.<br />

Wenn rezeptiv-reproduktives Lernen durch einen forschend-entdeckenden Lernstil ersetzt<br />

wird, müssen <strong>die</strong> Schüler notgedrungen zwischen dem Problem, alternativen Lösungswegen<br />

und dem Ergebnis unterscheiden. Auf <strong>die</strong>se Weise wird im Bewusstsein des<br />

Schülers eine Distanz zwischen der angebotenen Information und der Antwort erzeugt.<br />

Diese Distanz, <strong>die</strong> er durch Nachdenken zu überbrücken versuchen muss, trägt dazu bei,<br />

sein kognitives Tempo zu verringern (vgl. FEUERSTEIN 1983, 265 ff.). In dem durch das<br />

Erkennen von Zusammenhängen entstehenden Netz von Erwartungen verlieren Impulse<br />

137


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

an Kraft, so dass der Schüler ihnen weniger ausgeliefert ist. Außerdem kann er das Bedürfnis<br />

nach Selbstentfaltung <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise weitaus wirkungsvoller befriedigen, denn<br />

forschend-entdeckendes Lernen steigert seine Kompetenz und damit sein Selbstvertrauen.<br />

Eine ganz ähnliche Wirkung ist von Maßnahmen zur Förderung der Selbständigkeit zu<br />

erwarten. Denn selbständiges Arbeiten bedeutet vor allem, dass der Schüler planen<br />

muss; Planung erfordert <strong>die</strong> Unterscheidung des Ziels und der Strategie zur Erreichung<br />

des Ziels. Der Schüler muss sich Schritte überlegen, das Ziel in Teilziele gliedern, eine<br />

bestimmte Abfolge festlegen, sich Gedanken über <strong>die</strong> Bedeutung seines Zieles und <strong>die</strong><br />

Effektivität alternativer Strategien machen usw. Auf <strong>die</strong>se Weise erzwingt das Handeln<br />

gewissermaßen eine Verzögerung zwischen Informations<strong>auf</strong>nahme und Handlungsergebnis<br />

(FEUERSTEIN 1983, 265 ff.).<br />

Um Schülern auch unter ungünstigen schulischen Bedingungen für den Umgang mit<br />

Belastungen und den daraus resultierenden Gefühlen zu helfen, sind als Hilfsmittel u.a.<br />

entsprechende Materialien entwickelt worden. So haben DEWOLFE/ SAUNDERS (1995)<br />

ein Programm geschaffen, bei dem acht Wochen lang jeweils eine Stunde pro Woche<br />

eine Einheit erarbeitet wird. Dabei geht es neben einer kurzen Einführung in Entspannungstechniken<br />

vor allem um das Erkennen der Ursachen von Stress durch negative Gedanken,<br />

ungünstige Verhaltensweisen, Alkohol und Drogen. Das Hauptaugenmerk wird<br />

<strong>auf</strong> den Umgang mit Stress gelegt: Wie man negative Gedanken durch positive ersetzen<br />

kann; durch welche Verhaltensweisen man ereicht, dass Andere einem zuhören; wie man<br />

„gute Gefühle“ genießt und dass es in Ordnung ist, „schlechte“ Gefühle zu haben; wie<br />

man Anerkennung erreichen und mit Frustrationen und Ängsten umgehen kann. Das<br />

Programm konzentriert sich also <strong>auf</strong> das Erkennen von Problemen und Möglichkeiten<br />

des aktiven Umgangs damit. Die Erprobung des Programms in drei Schulklassen städtischer<br />

und ländlicher Schulen ergaben signifikante Verbesserungen in den Selbst- und<br />

Lehrereinschätzungen hinsichtlich der Fähigkeit im Umgang mit Stress. Darüber hinaus<br />

zeigten sich übereinstimmende Steigerungen des allgemeinen Selbstwerts, der sozialen<br />

Kompetenz, sowie der Akzeptanz des eigenen Aussehens und des Verhaltens. Eine Analyse<br />

von Einzelfällen zeigte, dass <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> Hilfe brauchten, auch am meisten profitierten.<br />

138


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Körperliche Entspannung als Mittel zur emotionalen Integration<br />

Zwischen Gefühl und Körper besteht eine enge Beziehung. Dar<strong>auf</strong> hat beispielsweise<br />

James (1890; 1950, Bd. 2, 451 f.) hingewiesen. Er legt dem Leser nahe, einmal zu versuchen,<br />

von einem Gefühl das Empfinden für <strong>die</strong> Körpersymptome zu eliminieren. Was<br />

bleibt, sei nur ein kalter neutraler Zustand intellektueller Wahrnehmung. Furcht ohne<br />

Herzklopfen, flache Atmung, zitternde Lippen und weiche Knie oder verkrampfte Eingeweide<br />

könne er sich nicht vorstellen. Man könne sich auch nicht einen Zustand der<br />

Wut ausmalen, ohne dabei an ein rotes Gesicht, an Aufwallungen, bebende Nasenflügel<br />

usw. zu denken. Aufgrund der engen Beziehung von Körper und Gefühl ist es nahe liegend,<br />

dass körperliche Übungen wie Spiel und Sport oder Anspannung und Entspannung<br />

Gefühlszustände beeinflussen, und dass <strong>die</strong> Beobachtung der durch solche Handlungen<br />

bewusst hervorgerufenen Empfindungen einen Zugang zur eigenen Gefühlswelt darstellt.<br />

Insbesondere unter Druck können Gefühle <strong>auf</strong>treten, <strong>die</strong> in einer disharmonischen Beziehung<br />

zu der jeweiligen Tätigkeit stehen, ihre Erledigung also nicht fördern, sondern<br />

eher behindern. Das ist etwa der Fall, wenn Misserfolgsängste oder das Streben nach<br />

Anerkennung im Vordergrund stehen, also vor allem bei extrinsischer Motivation. Nicht<br />

integrierte Gefühle verstärken <strong>die</strong> Selbst<strong>auf</strong>merksamkeit. Dabei werden vor allem <strong>die</strong><br />

nicht bewussten Verarbeitungsprozesse abgelenkt oder abgezogen, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> der Grundlage<br />

nicht bewusster Regelsysteme Ideen erzeugen, <strong>die</strong> im Bewusstsein <strong>auf</strong>scheinen und<br />

so das Lernen oft am schnellsten und weitesten voranbringen.<br />

In solchen Situationen kann körperliche Entspannung <strong>die</strong> ungünstigen Gefühle beruhigen<br />

oder schwächen und <strong>die</strong> von ihnen ausgehenden negativen Einflüsse <strong>auf</strong> Denken<br />

und Verhalten verringern. In <strong>die</strong>sem Sinn hat bereits MONTESSORI (1909; 1977, 195)<br />

Stilleübungen durchgeführt. Es ging ihr nicht bloß darum, eine unruhig gewordene Klasse<br />

zur Ruhe zurückzuführen, sondern den Einzelnen <strong>auf</strong> ein „höheres Niveau“ zu heben,<br />

das ihm ermöglicht von seinem eigentlichen Selbst her zu agieren, also unbeeinflusst<br />

durch oberflächlichere Impulse und andere Erregungen. Demnach fördert also körperliche<br />

Entspannung <strong>die</strong> Integration der geistigen Instanzen. Eine der Folgen sollte auch in<br />

einer Zunahme der Leistung zu erkennen sein. Eine gewisse Bestätigung dafür kann man<br />

in folgendem Feldexperiment zur Wirkung des Autogenen Trainings sehen.<br />

Mit Schülern der fünften bis siebten Klasse Hauptschule wurden vier Wochen lang kurz<br />

vor Schluss des Deutschunterrichts drei Grundübungen des autogenen Trainings (allgemeine<br />

Ruhetönung, Schwere und Wärme-Suggestion sowie das Zurücknehmen der Ent-<br />

139


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

spannung) durchgeführt. Den Lehrern waren <strong>die</strong>se Techniken zuvor in einem Gruppenkurs<br />

vermittelt worden. Zur Prüfung der Effekte <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Leistung wurden <strong>die</strong> Grundübungen<br />

des Autogenen Trainings unmittelbar nach einem regulären Diktat vier Minuten<br />

lang durchgeführt. Danach wurde den Schülern fünf Minuten Zeit zur Selbstkorrektur<br />

gegeben, wobei sie einen andersfarbigen Stift verwenden mussten. Die von denselben<br />

Lehrern unterrichteten Schüler der Kontrollgruppe erhielten eine Erholungspause von<br />

vier Minuten und hatten danach ebenfalls vier Minuten Zeit zur Selbstkorrektur. Bei den<br />

Schülern der Experimentalgruppe hatten signifikant weniger Fehler, <strong>die</strong> Zahl der richtigen<br />

Selbstkorrekturen war bedeutend höher und <strong>die</strong> Zahl der falschen Selbstkorrekturen<br />

war erheblich geringer als bei den Schülern der Kontrollgruppe. Letztere machten in der<br />

Korrekturphase mehr neue Fehler als sie beseitigten (KRAMPEN 1992).<br />

15. Einstellungen und Werte<br />

Hinsichtlich der Werte und der Moral lassen sich zwei Auffassungen unterscheiden.<br />

Nach der einen stellen Werte gesellschaftlich konstruierte oder religiös gegebene Regeln<br />

dar. Der Einzelne hat sie im Wesentlichen zu übernehmen und zu befolgen. Diese Auffassung<br />

ist eng mit kontrollierenden Regelungsmaßnahmen verknüpft.<br />

Die andere Auffassung des Erwerbs von Werthaltungen ist komplexer. Danach sind<br />

Werte bereits von Anfang an im Individuum vorhanden. Durch Auseinandersetzung mit<br />

den Wertstrukturen seiner Umgebung, sowie ethischen Problemen und Ideen differenziert<br />

und integriert der Einzelne aber seine ursprünglichen moralischen Erwartungen.<br />

Erziehung kann den Einzelnen daher auch nur unterstützen in seiner „Suche nach dem<br />

Richtigen und Falschen“ (MACKIE 1981), sie kann Werte oder Moral aber nicht „vermitteln“.<br />

Die <strong>Auswirkungen</strong> kontrollierender Maßnahmen<br />

Der Anwendung kontrollierender Maßnahmen liegt <strong>die</strong> Überzeugung zugrunde, dass der<br />

Mensch erst <strong>auf</strong>grund von Erziehung Moral<strong>auf</strong>fassungen und entsprechende Verhaltensweisen<br />

erwirbt. Der Mensch und insbesondere das Kind werden als von wilden Impulsen<br />

gesteuerte Wesen angesehen, <strong>die</strong> durch Erziehung an <strong>die</strong> gesellschaftlichen Werte<br />

anzupassen sind. Ist ein Mensch oder Kind „einsichtig“ und beachtet <strong>die</strong> geforderten<br />

Regeln, bedarf es keiner weiteren Maßnahmen. Ist das aber nicht der Fall, sind zusätzliche<br />

Eingriffe erforderlich. Bei kontrollierenden Regelungsversuchen sind dabei insbe-<br />

140


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

sondere <strong>die</strong> Vermittlung von Wissen, Übung sowie Lob und Tadel bzw. Belohnung und<br />

Strafe <strong>die</strong> wesentlichen Mittel. Das schließt sowohl Strenge als auch Behütung und<br />

Überbehütung ein, <strong>die</strong> Anstrengungen abnimmt oder erleichtert, also vor allem <strong>auf</strong> Belohnung<br />

beruht.<br />

Bei kontrollierender Regelung sind <strong>die</strong> äußeren Prinzipien, denen das Verhalten der<br />

Schüler folgen soll, das Primäre. Der Schüler soll sie übernehmen und sich an sie halten.<br />

Die Prinzipien sind allgemein und gelten für alle in gleicher Weise, unabhängig von den<br />

speziellen Bedingungen und Bedürfnissen des Einzelnen. Wenn beispielsweise <strong>die</strong> Regel<br />

gilt, alle Schüler sollen ihre Schulsachen stets geordnet und vollständig in den Unterricht<br />

mitbringen, kann man keine Ausnahme für denjenigen machen, dessen Geschwister am<br />

Abend sein Malzeug aus dem Ranzen genommen haben. Er hätte eben am Morgen noch<br />

einmal alles nachsehen sollen. Jetzt bekommt er einen Strich für Vergesslichkeit, damit<br />

er lernt, in Zukunft Ordnung zu halten. Außerdem muss er es vielleicht über sich ergehen<br />

lassen, wenn der Lehrer fragt, wer dem „Bummelanten“ Buntstifte leihen kann<br />

(BERT/GUHLKE 1977, 15 ff.).<br />

In <strong>die</strong>sem Beispiel legt <strong>die</strong> Norm fest, dass <strong>die</strong> Kinder <strong>auf</strong> Ordnung bedacht zu sein haben,<br />

ohne dabei <strong>die</strong> speziellen Umstände zu berücksichtigen. Diese Auffassung, dass<br />

Normen immer von außen her kommen und den Schülern <strong>auf</strong>zuerlegen sind, ist nahezu<br />

allgemein anerkannt. Viele können sich daher auch kaum eine Alternative wie <strong>die</strong> folgende<br />

vorstellen. Das Problem, dass im Unterricht bestimmte Arbeitsmaterialien unabdingbar<br />

sind, aber von den Schülern nicht immer mitgebracht werden, könnte nämlich<br />

auch als gemeinsam zu lösende Aufgabe betrachtet werden. Auf <strong>die</strong>se Weise sind Lehrer<br />

und Schüler an einer Berliner Grundschule dar<strong>auf</strong> gekommen, dass in der Schule solche<br />

Dinge, <strong>die</strong> immer wieder fehlen, in der Klasse bereitgestellt werden, wobei <strong>die</strong> Schüler<br />

sich verpflichteten, mit den Sachen ordentlich umzugehen. Eine Lösung, <strong>die</strong> sich bewährt<br />

hat (BERT/GUHLKE 1977, 15 ff.).<br />

Wenn Erziehungsnormen als statisch <strong>auf</strong>gefasst werden, bedeutet das, dass <strong>die</strong> Eltern<br />

und Lehrer das Kind oder den Jugendlichen nach vorgefassten Vorstellungen oder Idealen<br />

zu bilden versuchen und danach beurteilen. Bei einer derartigen Erzieher-Kind- und<br />

Lehrer-Schüler-Beziehung wird <strong>die</strong> Entstehung einer positiven sozialen Bindung durch<br />

Anerkennung und Akzeptierung erschwert. Vor allem wenn <strong>die</strong> Erzieher überzeugt sind,<br />

Normabweichungen seien durch starke Einengungen, durch genauere Kontrollen, durch<br />

Hoffung <strong>auf</strong> Belohnung und Furcht vor Strafe „weg zu erziehen“, wird das Bedürfnis<br />

nach Anerkennung und Akzeptanz bzw. nach Sicherheit in hohem Maß beeinträchtigt.<br />

141


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Man hofft, dass <strong>die</strong> Kinder, um dem zu entgehen, dann eben „brav“ sind (vgl. IZARD<br />

1981, 413 ff.).<br />

In der Schule wird durch <strong>die</strong> Aufgabe, nach dem Lehrplan, ohne Berücksichtigung der<br />

Auffassungen der Schüler, zu unterrichten und Leistungen nach einer sozialen Bezugsnorm<br />

zu beurteilen, der Lehrer in eine Rolle als Kontrolleur und Regelnder gedrängt.<br />

Sein Bezugspunkt sind vorgegebene Normen. Der Einzelne wird nur dort wichtig, wo er<br />

<strong>auf</strong>fällt, was vor allem dann der Fall ist, wenn er gegen <strong>die</strong> Normen verstößt, denn unter<br />

dem Gesichtspunkt der Norm werden besonders <strong>die</strong> unerwünschten Abweichungen bemerkt.<br />

Das führt zu einer potentiell bedrohlichen Situation für <strong>die</strong> Schüler, da jeder jederzeit<br />

unangenehm <strong>auf</strong>fallen kann. Außerdem muss der Lehrer <strong>auf</strong>grund des Primats<br />

der Normen <strong>die</strong> Selbstständigkeit der Schüler stark einschränken. Da Erziehung danach<br />

im Wesentlichen als <strong>die</strong> Verinnerlichung gegebener Normen zu verstehen ist, wird der<br />

Lehrer seine Schüler nur im Fall eingetretener Erziehungserfolge als kompetent betrachten<br />

können.<br />

Der Primat der Erziehungsnormen führt also dazu, dass <strong>die</strong> Bedürfnisse nach Sicherheit<br />

durch soziale Bindung und Anerkennung, sowie auch <strong>die</strong>jenigen nach Selbständigkeit<br />

und Kompetenz nur eingeschränkt befriedigt werden. Bedenkt man <strong>die</strong>se Beschränkung<br />

der Selbstentfaltung und <strong>die</strong> damit verknüpfte Bedrohung des Selbstwerts, dann wundert<br />

es nicht, wenn Lehrer „in den Urteilen der Schüler geradezu ‘abgewiesen’“ werden und<br />

angeben, <strong>die</strong> Lehrer seien „für sie unwichtig“ (ECKERLE/ KRAAK 1993, 137). Dieses Ergebnis<br />

trifft nur <strong>auf</strong> Schüler höherer Klassenstufen zu, d.h. <strong>auf</strong> desillusionierte Schüler.<br />

Diese Schüler geben außerdem an, dass sie, um den Lehrer nicht ungünstig zu stimmen,<br />

sich scheinbar kooperativ und freundlich zeigen (ECKERLE/ KRAAK 1993, 79 ff. u. 138).<br />

D.h., um sich vor der potentiellen Bedrohung des Selbst durch kontrollierende Maßnahmen<br />

zu schützen, bauen <strong>die</strong> Schüler sich einen Schutzschild aus schematisch vorgeschützten<br />

Urteilen, Wert<strong>auf</strong>fassungen und moralischen Ansichten. Sie gehen Auseinandersetzungen<br />

aus dem Weg, weil sie nicht mehr an <strong>die</strong> Möglichkeit sachlich begründeter<br />

und gerecht empfundenen Lösungen glauben. Zu oft haben sie erfahren, wie „<strong>die</strong> Schulordnung“,<br />

„<strong>die</strong> Leistungsnorm“, „der Lehrplan“, „der Zeitdruck“ usw. <strong>die</strong> ernsthafte<br />

Suche nach echten Lösungen und ihrer Verwirklichung unmöglich gemacht haben.<br />

Der Mechanismus der Abwehr<br />

Um ihr Selbst vor Bedrohungen durch Kontrollen zu schützen, lernen <strong>die</strong> Schüler also<br />

ihre Spontaneität zu begrenzen, ihre Gefühle zu verbergen, sich berechnend zu verhalten<br />

142


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

und eher dem verstandesmäßigen Kalkül als ihrem Fühlen zu vertrauen. Sie sind nicht<br />

bestrebt herauszufinden, was das (moralisch) Richtige ist und es zu tun, sondern wollen<br />

wissen, was in der gegebenen Situation einerseits den besten Schutz und andererseits<br />

den größten Nutzen verspricht. Ihr Handeln ist also extrinsisch motiviert. Es geht nicht<br />

um <strong>die</strong> Sache und das was richtig ist, sondern um das, was am ehesten der Erhaltung des<br />

Selbstwerts bzw. der Selbstbehauptung <strong>die</strong>nlich ist.<br />

Das bedeutet aber auch, dass sie <strong>die</strong> Ansichten, Maßstäbe, Wert<strong>auf</strong>fassungen usw., <strong>die</strong><br />

sie nach außen vertreten, um akzeptiert zu werden und Konflikten zu entgehen, sich nur<br />

oberflächlich aneignen. Sie sind also nur schwach in <strong>die</strong> eigene Vorstellungs- und Gefühlswelt<br />

integriert. Wenn in anderen Zusammenhängen <strong>die</strong>se Maßstäbe und Werte der<br />

Selbstbehauptung nicht <strong>die</strong>nlich erscheinen und <strong>die</strong> Angst vor Strafe gering ist oder<br />

nicht existiert, werden sie durch andere Maßstäbe und Werte ersetzt. Es kommt zu dem<br />

bekannten Phänomen, dass <strong>die</strong> Menschen durchaus viel über wünschenswerte Arbeitshaltungen,<br />

erwünschtes soziales Verhalten usw. wissen und auch entsprechend argumentieren<br />

können; wenn es lohnend erscheint, halten sie sich daran, aber in ihrem sonstigen<br />

Denken, Fühlen und Handeln bleiben sie davon nahezu unbeeinflusst (vgl. dazu UHL<br />

1996, z.B. 72 ff. u. 94 ff.).<br />

Daraus folgt jedoch nicht, dass Wert<strong>auf</strong>fassungen, <strong>die</strong> bloß Fassade sind, für das Verhalten<br />

generell unwesentlich wären. Die jeweiligen moralischen und sonstigen Maßstäbe,<br />

<strong>die</strong> entsprechend der Umstände durch andere Maßstäbe ersetzt werden können, haben an<br />

sich keine besondere Bedeutung. Wichtig an ihnen ist nur ihre Schutzfunktion, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

daraus errichtete Fassade erfüllt. Ihr Zweck besteht zunächst ja darin, Zurückweisungen<br />

und Herabsetzungen abzuwehren, <strong>die</strong> den Kern der Person, d.h. ihre Empfindungen,<br />

Gefühle und Spontaneität bedrohen 59 . Alles das abzuweisen, was dem Einzelnen in der<br />

jeweiligen Situation mit ihren Normen und Maßstäben bedrohlich erscheint, hat notwendig<br />

zur Folge, dass auch eigene Regungen, Gefühle und spontane Reaktionen blockiert<br />

und auch nicht in den Verarbeitungsprozess einbezogen werden (vgl. ROGERS 1983,<br />

187).<br />

Nun sind <strong>die</strong>se verdrängten Regungen, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> nicht bewussten Verarbeitungsstufen entstehen,<br />

allerdings nicht bedeutungslos, auch wenn sie <strong>auf</strong> Ebenen entstehen, <strong>die</strong> für das<br />

Bewusstsein unzugänglich sind. Um zu verstehen, warum <strong>die</strong> Verdrängung <strong>die</strong>ser Regungen<br />

schädlich ist, müssen wir zunächst <strong>die</strong> Funktion <strong>die</strong>ser Regungen selbst erken-<br />

59<br />

Diesem Mechanismus entspricht in der psychoanalytischen Theorie <strong>die</strong> Verdrängung (im Überblick<br />

dazu HIERDEIS/ WALTER 1993.<br />

143


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

nen. Solche Regungen sind oft gefühlshaft oder vage wie z.B. Eindrücke über Unstimmigkeiten<br />

und Stimmigkeiten, wenn man noch nicht weiß, warum etwas falsch oder<br />

richtig ist, Ideen, <strong>die</strong> eher Ahnungen gleichen als klaren Vorstellungen. Regungen <strong>die</strong>ser<br />

Art beruhen <strong>auf</strong> den primären Regelsystemen und ihre Beachtung bei der bewusst gesteuerten<br />

Informationsverarbeitung führt zur Erkenntnis von Problemen und begünstigt<br />

dadurch forschend-entdeckendes Lernen. Können solche inneren Regungen nun aber<br />

<strong>auf</strong>grund der beschriebenen Abwehr nicht in <strong>die</strong> Verarbeitung von Information einbezogen<br />

werden, dann bestimmen vor allem oberflächliche Schemata <strong>die</strong> Wahrnehmung und<br />

das Denken. Weil <strong>die</strong>sen Schemata aber <strong>die</strong> Tiefenintegration fehlt, verliert sich <strong>die</strong> Person<br />

in ihren oberflächlichen Regungen. Sie ist daher leicht manipulierbar, abhängig,<br />

unsicher und/oder herrisch und nicht bei sich. Die in einer Situation aktivierten und <strong>die</strong><br />

Aufmerksamkeit beherrschenden Auffassungen werden jeweils als Selbst betrachtet. Um<br />

den damit verknüpften Selbstwert, <strong>die</strong> Einschätzungen durch andere oder das Selbst, das<br />

man sein möchte, <strong>auf</strong>rechtzuerhalten oder zu steigern, werden jeweils <strong>die</strong> Handlungen<br />

ausgewählt, <strong>die</strong> am vorteilhaftesten erscheinen.<br />

Befunde und Erfahrungsberichte zu den Folgen der Abwehr<br />

Diesen Wechsel zwischen verschiedenen Aspekten des Selbst verdeutlich eine Stu<strong>die</strong><br />

von KOESTNER/ BERNIERI/ ZUCKERMAN (1991). In <strong>die</strong>ser Untersuchung wurden selbständige<br />

(d.h. intrinsisch motivierte) von kontrollorientierten (d.h. extrinsisch motivierten)<br />

College-Studenten unterschieden. Die Probanden wurden dann zu einem Untersuchungsraum<br />

gebeten, wo sie einen Test absolvierten, in dem sie ihre Gewissenhaftigkeit<br />

einschätzten. Beim Verlassen des Raums erhielten <strong>die</strong> Studenten einen Fragebogen mit<br />

der Bitte, ihn ausgefüllt im Büro abzugeben. Die Autoren korrelierten dann <strong>die</strong> Selbsteinschätzung<br />

jedes Studenten hinsichtlich seiner Gewissenhaftigkeit mit seinem Rückgabeverhalten.<br />

Bei der Gruppe der intrinsisch motivierten Studenten ergaben sich signifikant<br />

höhere Korrelationen als bei den extrinsisch motivierten Studenten. Extrinsisch<br />

motivierte Studenten zeigen ein deutlich geringeres Maß der Integration von verschiedenen<br />

Aspekten des Selbst.<br />

Der durch <strong>die</strong> Abwehr von Gefühlen, spontanen Reaktionen usw. bewirkte Schutz des<br />

Selbst und das Bestreben, den eigenen Vorteil zu sichern, beeinträchtigt auch <strong>die</strong> Fähigkeit,<br />

Möglichkeiten zur Erfüllung des Bedürfnisses nach Selbstentfaltung zu erkennen.<br />

Da <strong>auf</strong>grund der Abwehr <strong>die</strong> primären Regelsysteme sich bei der Verarbeitung von In-<br />

144


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

formation <strong>auf</strong> nicht integrierte Schemata stützen können, werden bedeutsame persönliche<br />

Werte nicht erkannt, d.h. sie fallen der Abwehr zum Opfer.<br />

In <strong>die</strong>sem Sinn lässt sich <strong>die</strong> zweite Stu<strong>die</strong> KOESTNER/ BERNIERI/ ZUCKERMAN (1991)<br />

interpretieren, in der sie <strong>die</strong> Beziehung zwischen dem Verhalten von Studenten bei freier<br />

Wahl und ihren Interessen untersuchten. Bei der Gruppe der intrinsisch motivierten Studenten<br />

korrelierten Interessen und Verhalten (0.6) während bei der Gruppe der extrinsisch<br />

motivierten Studenten keine Beziehung zwischen freier Wahl und ihren Interessen<br />

bestand.<br />

Die Beeinträchtigung der Fähigkeit, Möglichkeiten zur Erfüllung des Bedürfnisses nach<br />

Selbstentfaltung zu erkennen und zu ergreifen, wird besonders deutlich bei Individuen,<br />

<strong>die</strong> <strong>auf</strong>grund langer Überbehütung dazu neigen, solche Wahlen treffen, <strong>die</strong> ihnen möglichst<br />

alle Anstrengungen und schwierigen Entscheidungen abnehmen.<br />

Im Grunde verhalten wir uns aber alle in etwa <strong>die</strong>ser Weise, weil wir alle irgendwelchen<br />

allgemeinen Wertvorstellungen übernommen haben, <strong>die</strong> nur dem Schutz unseres Selbst<br />

vor der Umwelt <strong>die</strong>nen. Wir wollen nicht wegen unserer Meinung oder unserer Empfindungen<br />

Kritik ausgesetzt sein und uns als Teil der Gemeinschaft betrachten können.<br />

Diese Wertvorstellungen sind gleichsam „heiße Eisen“, <strong>die</strong> der Einzelne nicht prüft. Alle<br />

Informationen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Wert<strong>auf</strong>fassungen in Frage stellen und <strong>die</strong> den Schutzschild<br />

entweder von außen oder von innen her beschädigen könnten, werden abgewehrt wie<br />

auch das folgende Beispiel zeigt.<br />

Nach meiner Erfahrung ist für jenen Teil der Schüler und Studenten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> schulische<br />

Leistungsideologie 60 als einen Teil ihrer Weltsicht akzeptiert haben, ein Verzicht <strong>auf</strong><br />

Leistungsdruck und Wettbewerb entweder nicht vorstellbar oder sie halten eine Schule,<br />

<strong>die</strong> ohne <strong>die</strong>se Mittel auszukommen sucht, für zum Scheitern verurteilt. Dabei ist es unwesentlich,<br />

ob <strong>die</strong> Schüler und Studenten selbst erfolgreich oder erfolglos waren. Selbst<br />

nach dem Betrachten eines Films über eine Montessori-Schule, <strong>die</strong> ohne <strong>die</strong>se Mittel<br />

eine ideale Mitarbeit und Disziplin sowie sehr gute Leistungen erzielt, halten sie <strong>die</strong>ses<br />

Modell für einen ausgesprochen dubiosen Sonderfall, der nicht zum Normalfall werden<br />

könne. Insbesondere könne eine solche Schule nur in der Grundstufe und mit solchen<br />

Kindern funktionieren, <strong>die</strong> schon vom Kindergarten her daran gewöhnt seien. Außerdem<br />

sei zu erwarten, dass <strong>die</strong>se Schüler, weil sie lebensfern erzogen würden, auch nur ungenügend<br />

<strong>auf</strong> das Leben vorbereitet seien. Später müssten sie nahezu zwangsläufig versa-<br />

60<br />

Zur Leistungsideologie siehe FEND/ KNÖRZER/ NAGL/ SPECHT/ VÄTH-SZUSDZIARA 1976,173 ff.<br />

145


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

gen. Gegenteilige Befunde werden in der Regel mit großer Skepsis zur Kenntnis genommen,<br />

und bei nächster Gelegenheit werden <strong>die</strong>selben Einwände wiederholt.<br />

Beim Anblick der mit Lust und Eifer arbeitenden Kinder empfinden sie offenbar keine<br />

Freude. Die von außen an sie herangetragene Information wird also nur bis zur Fassade<br />

mit ihren Schematismen vorgelassen und danach beurteilt. Das ist zunächst <strong>die</strong> Abwehr<br />

nach außen, gegen das, was mit den eigenen Auffassungen nicht vereinbar ist. Dann ist<br />

da aber auch eine Abwehr nach innen, weil <strong>die</strong> spontane Einfühlung in <strong>die</strong> beobachtete<br />

Situation nicht zugelassen wird. Das bedeutet eine Abwehr von Erfahrungen, <strong>die</strong> aus<br />

dem Miterleben der Empfindungen der Kinder folgen würden, aus dem Erkennen und<br />

Erfühlen ihrer Möglichkeiten, ihres Selbstvertrauens und ihrer ernsthaften Suche nach<br />

Erkenntnis. Indem <strong>die</strong> eigene schematische Sicht von Erziehung als realitätsnah und <strong>die</strong><br />

Montessori-Erziehung als lebensfern bezeichnet wird, geht man einer intensiven, <strong>die</strong><br />

ganze Person einbeziehende Auseinandersetzung aus dem Wege.<br />

Individuelle Differenzen und Unterschiede<br />

Nun werden <strong>die</strong> <strong>Auswirkungen</strong> bei verschiedenen Individuen sicher unterschiedlich sein.<br />

Entscheidend ist vor allem, wie <strong>die</strong> Einschränkung des Bedürfnisses nach Selbstentfaltung<br />

vom Einzelnen gedeutet wird. Ängstliche Kinder oder Schüler, <strong>die</strong> <strong>auf</strong>grund einer<br />

Vielzahl von Misserfolgserlebnissen und sozialen Zurückweisungen ein schwaches<br />

Selbstwertgefühl entwickelt haben, werden vermutlich eher zur Übernahme von sozialen<br />

Regeln und Wertmaßstäben sowie deren Einhaltung neigen, weil sie dadurch eine gewisse<br />

Sicherheit und soziale Akzeptanz erreichen können. Ferner ist zu erwarten, dass impulsive<br />

Individuen, <strong>die</strong> eher <strong>auf</strong> Belohnungen reagieren, ihre Wertmaßstäbe stärker als<br />

andere der jeweiligen Situation anpassen.<br />

Pädagogisch bedeutsamer sind aber eher jene Unterschiede, <strong>die</strong> <strong>auf</strong>grund des erfahrenen<br />

Ausmaßes an Sicherheit bzw. sozialer Bindung zu erwarten sind. So werden Schüler, <strong>die</strong><br />

ein subjektiv ausreichendes Maß an Zuwendung, Selbständigkeit und Kompetenz erfahren<br />

haben, im Rahmen der sich in ihrer Umwelt bietenden Möglichkeiten versuchen, ihr<br />

Leben selbst zu bestimmen und ihren eigenen Weg zu gehen. Indem sie eigene Vorstellungen<br />

vertreten und einbringen, tragen sie konstruktiv zur Gestaltung ihrer materiellen<br />

und sozialen Umwelt bei.<br />

Kinder und Jugendliche, <strong>die</strong> <strong>auf</strong>grund eines ängstlichen Temperaments besonders verletzlich<br />

sind und deren grundlegende Bedürfnisse nach Sicherheit, Anerkennung und<br />

146


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Liebe enttäuscht wurden, entwickeln in ungünstigen Fällen eine negative soziale Bindung.<br />

Weil sie <strong>die</strong> Enttäuschung ihrer Hoffnungen und Wünsche nicht mehr ertragen<br />

können, wollen sie nicht mehr hoffen, und dazu müssen sie versuchen ihre Bedürfnisse<br />

nach Sicherheit, Anerkennung und Liebe abzutöten und durch Hass und Ablehnung zu<br />

ersetzen. Sie suchen nach Wegen, um <strong>die</strong> Anderen für ihre Illoyalität, für ihr Nicht-zuihnen-halten<br />

zu bestrafen. Sie tun absichtlich Dinge, <strong>die</strong> <strong>die</strong> anderen ärgerlich machen<br />

sollen; z.B. stehlen sie, gehen nicht zur Schule oder kommen nicht nach Hause. Sie suchen<br />

ablehnende Reaktionen; gewissermaßen eine stabile, gleich bleibende Zurückweisung.<br />

Eine solche negative soziale Bindung erscheint ihnen erträglicher als <strong>die</strong> Angst, in<br />

ihrem Grundbedürfnis nach Sicherheit enttäuscht zu werden (vgl. STOTT 1972, 59 f.).<br />

Besonders strenge wie auch besonders stark behütende und für <strong>die</strong> Bedürfnisse des Kindes<br />

wenig sensible Eltern können außerdem <strong>die</strong> Entstehung von Gewaltbereitschaft begünstigen.<br />

Da in solchen Familien bestimmte Normen oder elterliche Vorstellungen eine<br />

überragende Bedeutung einnehmen, denen <strong>die</strong> Bedürfnisse des Kindes und seine Gefühle<br />

geopfert werden, werden Konflikte in der Regel durch Macht entschieden, auch wenn<br />

<strong>die</strong>se Macht unter dem Mantel der Fürsorge <strong>auf</strong>tritt. Unter solchen Umständen wird dem<br />

Kind kaum etwas erlaubt, es werden ihm kaum Rechte eingeräumt und man wird untereinander<br />

und auch zum Kind kein enges emotionales und verständnisvolles Verhältnis<br />

entwickeln. Eine Möglichkeit der Selbstentfaltung besteht dann darin, selbst mächtig zu<br />

sein oder zu werden und <strong>die</strong> eigenen Vorstellungen gegen den Widerstand anderer mit<br />

Gewalt durchzusetzen.<br />

MANTELL (1978) hat in einer berühmt gewordenen Stu<strong>die</strong> <strong>die</strong> Lebensläufe von 25<br />

Kriegsfreiwilligen – Angehörigen der Spezialeinheit „Green Berets“ – untersucht. Er<br />

fand im Wesentlichen <strong>die</strong> oben genannten familiären Umstände als Bedingungen für <strong>die</strong><br />

Entstehung einer gewalttätigen Grundhaltung. Im Unterschied dazu ergab <strong>die</strong> Untersuchung<br />

der Lebensläufe von 25 Kriegs<strong>die</strong>nstverweigerern nahezu <strong>die</strong> entgegen gesetzten<br />

familiären Bedingungen, also eine Atmosphäre, in der das sensible Eingehen <strong>auf</strong> den<br />

anderen <strong>die</strong> Regel war. Der Zusammenhang von früher Zurückweisung und Gewaltbereitschaft<br />

wird auch durch andere Untersuchungen bestätigt (im Überblick BUTOLLO/<br />

MEYER-PLATH/ WINKER 1978, 3093).<br />

Entwicklung von Wertvorstellungen durch Selbstregulation<br />

Selbstregulation bedeutet, dass das Kind eigene Vorstellungen von dem hat, was richtig<br />

und falsch ist und <strong>die</strong>se durch den Austausch mit seiner Umgebung differenziert und<br />

147


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

anpasst. Danach baut das Individuum in der Auseinandersetzung mit einer von moralischen<br />

Regeln bestimmten Umwelt sein eigenes Wert- und Normensystem <strong>auf</strong>, das seinem<br />

Sinn für Gerechtigkeit entspricht und ihm zugleich <strong>die</strong> Erfüllung seiner Bedürfnisse<br />

nach positiver sozialer Bindung, Selbständigkeit und (sozialer) Kompetenz ermöglicht.<br />

Es handelt sich hier also um eine intrinsisch motivierte Entfaltung von Werten und Moral.<br />

Wenn Schüler im Unterricht grundsätzlich selbstbestimmt tätig sein können, wenn also<br />

<strong>die</strong> Wahl der Inhalte, der Art und Weise der Bearbeitung sowie der Maßstäbe und Ideale<br />

vom Einzelnen (mit-)bestimmt werden, kann sich jeder Schüler eher so akzeptiert fühlen,<br />

wie er ist. Unter solchen Bedingungen besteht auch weniger Anlass, das eigene Fühlen,<br />

Denken und Handeln nach äußeren Kriterien auszurichten. Der Einzelne kann von<br />

dem ausgehen, was ihm bedeutsam erscheint und daher werden sich auch seine Einstellungen<br />

und Wert<strong>auf</strong>fassungen insgesamt stärker in Einklang mit seinem eigenen Denken<br />

und Handeln entwickeln, d.h. inneres und äußeres Selbst werden in höherem Maß integriert<br />

(vgl. DECI/ RYAN 1991).<br />

Das bedeutet, dass das Individuum <strong>auf</strong>grund der seinem Handeln zugrunde liegenden<br />

inneren Regelsysteme selbst eine Ordnung in den von der Umwelt angebotenen Dingen,<br />

Vorstellungen, Werten usw. erzeugt, so wie es <strong>auf</strong>grund der seinen Geist bestimmenden<br />

universalen Grammatik aus dem von der Umgebung angebotenen sprachlichen Material<br />

seine eigenen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten findet und entwickelt. So wie lenkende<br />

Einflüsse durch Lob und Tadel und <strong>die</strong> dadurch entstehende extrinsische Motivation<br />

den Spracherwerb behindern, zeitigen entsprechende Steuerungsversuche und <strong>die</strong><br />

dadurch entstehende extrinsische Motivation auch im Bereich der Werthaltungen eher<br />

unerwünschte Ergebnisse, während <strong>die</strong> Unterstützung der Selbstregulation <strong>die</strong> Fähigkeit<br />

zur verantwortlichen Führung des eigenen Lebens stärkt.<br />

16. Pläne und Interessen<br />

Kinder verfügen schon von vornherein über differenzierte Dispositionen nicht nur für<br />

den Erwerb von Wissen, sondern für Wissen selbst. Aber sie sind auch von vornherein in<br />

ihren Dispositionen sehr verschieden, und <strong>die</strong>se Verschiedenheit verstärkt sich noch<br />

durch <strong>die</strong> Unterschiede in den Temperamenten, durch <strong>die</strong> Umgebungen, in denen <strong>die</strong><br />

Kinder <strong>auf</strong>wachsen usw. Das bedeutet, dass auch <strong>die</strong> Interessen der Kinder von vornherein<br />

sehr verschieden sind. Interesse ist zu verstehen als das Bestreben des Selbst, seine<br />

148


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

immer schon bestehenden Kompetenzen zu erweitern, um Herausforderungen immer<br />

besser gewachsen zu sein.<br />

Subjektiv äußert sich das Interesse als Affekt, der eine Beziehung zwischen dem Selbst<br />

und seinen Handlungsmöglichkeiten in einer jeweils gegebenen Umgebung herstellt<br />

(vgl. auch CECI 1992). Zugleich wird der Zugang zu Assoziationen, möglichen Zusammenhängen,<br />

Anwendungen und Beispielen erleichtert sowie eine für das Lernen günstige<br />

Erregung <strong>auf</strong>gebaut. Solche Interessen anzeigende Affekte sind das Ergebnis der<br />

Verarbeitung von Information in vernetzten Regelsystemen.<br />

Aufgrund der Kenntnis von Gegenständen und ihrer Einstellung zu ihnen entwickeln<br />

Schüler Pläne zum Umgang mit <strong>die</strong>sen Gegenständen. Unter einem Plan ist dabei eine<br />

mehr oder weniger klare Vorstellung von Zielen, Handlungen oder Handlungsfolgen zu<br />

verstehen, <strong>die</strong> zu einem gewünschten Ergebnis führen 61 . Danach lassen sich auch Tagträume,<br />

in denen jemand sich vorstellt, er würde <strong>die</strong>s und jenes tun und sehr erfolgreich<br />

dabei sein, als eine Form von Plänen verstehen. Tagträume können so etwas wie der<br />

Keim sein, aus dem langfristig verfolgte Pläne entstehen. So wie Watts von einer Kraftmaschine<br />

träumte, aber erst nach langer Zeit den Plan für <strong>die</strong> Dampfmaschine fand. Der<br />

Ausgangspunkt von technischen Entwicklungen, von Büchern usw. stellt meist nur eine<br />

vage Idee dar, <strong>die</strong> man kaum als ausgereiften Plan bezeichnen würde. Aber im Verl<strong>auf</strong><br />

der weiteren Arbeit daran tritt der Plan, das innere Gerüst der Idee, zunehmend klarer<br />

hervor.<br />

Aus der interessegeleiteten Beschäftigung mit einer Sache können also komplexe Pläne<br />

entstehen. Durch <strong>die</strong> Beschäftigung mit einem Gegenstand erwirbt man sich erst das<br />

Wissen über konkrete Handlungsmöglichkeiten, d.h. über einfache Pläne, das für <strong>die</strong><br />

Erstellung komplexer Pläne, d.h. komplexer Handlungsmöglichkeiten gebraucht wird.<br />

Solche komplexen Pläne sind bedeutsam für <strong>die</strong> Arbeits- oder Lernmotivation. Denn<br />

wenn wir einen Plan entwickeln und verfolgen können, wissen wir, was wir als nächstes<br />

vorhaben und tun möchten.<br />

Erfolgt nun <strong>die</strong> Beschäftigung mit einem Unterrichtsgegenstand unter Bedingungen, <strong>die</strong><br />

keine eigenen Handlungsmöglichkeiten, also keine eigenen Pläne erkennen lassen, wird<br />

<strong>die</strong> Einstellung, <strong>die</strong> das Individuum zu dem fraglichen Gegenstand gewinnt, eher negativ<br />

sein. Solche Bedingungen liegen beispielsweise vor, wenn <strong>die</strong> Auseinandersetzung mit<br />

dem Gegenstand nur wenige Bezüge zur Erfahrung des Schülers <strong>auf</strong>weist. Auch der<br />

61<br />

Diese Bedeutung von "Plan" entspricht nicht der Definition von MILLER/ GALANTER/PRIBRAM 1973,<br />

lehnt sich aber daran an.<br />

149


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

schnelle Wechsel der Unterrichtsgegenstände, wie ihn <strong>die</strong> überfrachteten Lehrpläne und<br />

der dar<strong>auf</strong> <strong>auf</strong>gebaute Stundenplan erfordern, lässt kaum das allmähliche Begreifen eines<br />

Gegenstandes und <strong>die</strong> Abtastung <strong>auf</strong> seine Möglichkeiten hin zu. Unter solchen Bedingungen<br />

geht der behandelte Sachverhalt nicht aus dem bestehenden Wissen hervor.<br />

Er ist dann nicht in <strong>die</strong> kognitive Struktur des Schülers eingebunden, sondern wird wie<br />

ein Fremdkörper empfunden – auch oder gerade weil er nur zu einer vom Schulsystem<br />

geforderten Prüfung gebraucht wird. Er hat in <strong>die</strong>sem Fall keine wirkliche Bedeutung<br />

und ist im Extremfall subjektiv sinnlos. Solange Individuen Dinge sinnlos erscheinen,<br />

befassen sie sich auch nicht gern damit.<br />

Wenn aber durch Erfahrungsbezüge deutlich wird, was man anhand eines Unterrichtsgegenstands<br />

auch für sich gewinnen kann, wenn man sieht, dass <strong>die</strong> eigenen Fähigkeiten,<br />

das eigene Wissen dadurch erweitert werden, d.h. wenn Pläne erkennbar werden, wie<br />

man das eigene Wissen, <strong>die</strong> ja einen Teil des eigenen Selbst darstellen, erweitern und<br />

stabilisieren kann, dann wird auch <strong>die</strong> Einstellung eines Individuums zu einem Gegenstand<br />

positiv sein. Wenn das Individuum <strong>auf</strong>grund der Ausführung einiger Pläne innerhalb<br />

eines Bereiches immer mehr Handlungsmöglichkeiten für sich erkennt wird auch<br />

sein Interesse daran gestärkt. Zu einer solchen Stärkung von Interessen kann man beitragen,<br />

indem man das Individuum zur Ausführung seiner subjektiven Pläne ermutigt.<br />

Durch <strong>die</strong> Ausarbeitung seiner Pläne erfährt sich das Individuum als kompetent, was<br />

sein Interesse noch weiter stärkt. Auf <strong>die</strong>se Weise wird der Drang, <strong>die</strong> in seiner kognitiven<br />

Struktur entstandenen Pläne in <strong>die</strong>sem Bereich auszuführen. Je mehr der Einzelne<br />

<strong>die</strong>ser Pläne tatsächlich ausführt, umso mehr neue Fragen und Pläne wird er erkennen,<br />

was wiederum sein Interesse steigert.<br />

17. Selbstwerteinschätzungen<br />

Jeder Mensch trägt ein Bild von sich selbst in sich, das oft als "Selbstgefühl" bezeichnet<br />

wird (vgl. BISCHOF-KÖHLER 1985, S. 20). Das Selbstgefühl entsteht und ändert sich in<br />

der Auseinandersetzung mit den Umständen, unter denen man lebt. Bei extrinsisch motivierten<br />

Individuen sind insbesondere <strong>die</strong> Urteile und Erwartungen Anderer von Bedeutung<br />

für <strong>die</strong> Einschätzung des eigenen Selbstwerts, während <strong>die</strong>se Urteile Anderer bei<br />

intrinsisch motivierten Individuen weit weniger ins Gewicht Bedeutung haben. Das<br />

Selbstbild hängt von den jeweiligen äußeren und inneren Bedingungen für ein Individuum<br />

ab.<br />

150


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Eine gewisse Stabilität des Selbstgefühls wird durch <strong>die</strong> Überzeugungen eines Individuums<br />

begründet, über einen unverwechselbaren eigenen Körper, ein bestimmtes Wissen,<br />

Können und über eigene langfristige Pläne zu verfügen. Der Wert seines Selbst bestimmt<br />

das Individuum <strong>auf</strong>grund einer Auswahl der Urteile, <strong>die</strong> es selbst und/oder andere<br />

über Komponenten seines Selbst treffen.<br />

Da das Selbst als abgrenzbares Phänomen erlebt wird, gewinnt es für das Individuum<br />

einen "einmaligen Wert, den es zu erhalten und zu erhöhen gilt. Die Steigerung und Intensivierung<br />

des Selbstgefühls wird damit ein motivationales Ziel" (BISCHOF-KÖHLER<br />

1985, S. 20). Die Interaktion mit der Umwelt erfolgt unter dem Ziel des Erhalts, der Erweiterung<br />

und Bestätigung des Selbst (vgl. KELLY 1968).<br />

Erhaltung des Selbstwerts als (Grund-)Bedürfnis<br />

Der Ausdruck "Erhaltung des Selbst" ist ein abkürzender Sprachgebrauch. Er bedeutet<br />

<strong>die</strong> Aufrechterhaltung der Selbsteinschätzungen der Person. Das sind <strong>die</strong> Bewertungen<br />

einzelner Komponenten des Selbst. Die Gesamtheit der Selbsteinschätzungen wird als<br />

Selbstwertgefühl bezeichnet. Bedrohungen oder Herabsetzungen des Selbstwerts werden<br />

als unangenehm, Bestätigungen oder Erhöhungen dagegen als angenehm empfunden. Es<br />

besteht ein grundlegendes Motiv, das Selbstwertgefühl <strong>auf</strong>rechtzuerhalten und gegen<br />

Bedrohungen zu verteidigen (vgl. FREY/BENNING 1983).<br />

Bedrohungen wie auch <strong>die</strong> Bestätigungen des Selbstwerts hängen <strong>auf</strong>s Engste mit der<br />

Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung der Grundbedürfnisse zusammen. Im Wesentlichen sind<br />

es zwei Gruppen von Bedürfnissen, deren Befriedigung <strong>die</strong> Bestätigung bzw. Erhaltung<br />

des Selbstwerts ermöglichen bzw. deren Vorenthaltung den Selbstwert bedrohen:<br />

(1) das Bedürfnis nach Zugehörigkeit bzw. sozialer Bindung;<br />

(2) das Bedürfnis nach Selbständigkeit und das damit verknüpfte Bedürfnis nach Kompetenz;<br />

Das gleichzeitige Streben nach Selbständigkeit und nach Zugehörigkeit erzeugt immer<br />

ein Spannungsfeld, in dem das Individuum sich in der Regel Bedrohungen ausgesetzt<br />

sieht. So kann das Streben nach Zugehörigkeit zu Vereinnahmung und Abhängigkeit<br />

führen. Andererseits kann das Streben nach Unabhängigkeit mit dem Verlust von sozialer<br />

Bindung und Sicherheit verknüpft sein. Der gesamte Lebensl<strong>auf</strong> kann als Auseinandersetzung<br />

zwischen dem Eigenstreben des Individuums und seiner sozialen Anpassung<br />

151


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

oder Bindung verstanden werden, und in <strong>die</strong>ser Auseinandersetzung bestimmt und entfaltet<br />

das Individuum seinen Kern, d.h. sein Selbst (vgl. ERIKSON 1965).<br />

Nun wird Selbständigkeit häufig eher als Fähigkeit verstanden, nach eigenen Vorstellungen<br />

zu handeln und Entscheidungen zu treffen. DECI und RYAN dagegen behaupten,<br />

Selbständigkeit sei "mehr als eine Fähigkeit; sie ist auch ein Bedürfnis" und verweisen<br />

dazu <strong>auf</strong> eine Reihe von Forschungsbefunden. Danach bestehe eine "angeborene Neigung<br />

zur Selbstbestimmung, <strong>die</strong> den Organismus dazu bringt", sich für ihn bedeutsamen<br />

Reizen zuzuwenden (vgl. DECI/RYAN 1985, S. 38). Dies erst führe zur Entwicklung von<br />

Fähigkeiten und zur flexiblen Anpassung an <strong>die</strong> Umwelt. Selbständigkeit als Grundbedürfnis<br />

kann biologisch aus purer Notwendigkeit entstanden sein. Denn um zu überleben,<br />

muss jeder Organismus mit seiner Umwelt zurechtkommen und sich <strong>auf</strong> sie einstellen.<br />

Wenn lebende Systeme zwar energetisch offen, funktional aber geschlossen sind,<br />

bleibt ihnen nur <strong>die</strong> Möglichkeit der Selbstorganisation (vgl. RYAN/ POWELSON 1991).<br />

Das Bedürfnis nach Selbständigkeit löst eine Vielfalt von Aktivitäten aus. Schon das<br />

Kleinkind will seinen Bereich erkunden, will alles, was ihm in <strong>die</strong> Hände fällt, "begreifen"<br />

und damit umgehen, um es in sein Weltbild einzuordnen bzw. sein Weltbild dadurch<br />

zu erweitern und zu differenzieren (vgl. z.B. HANSEN 1965; PIAGET 1976). Indem<br />

das Individuum nach seinen Vorstellungen mit den Dingen umgeht, sie ordnet, zusammenfügt,<br />

zerlegt usw., fühlt es sich als Verursacher vieler für es wichtiger Ereignisse. Es<br />

erfährt, dass es etwas bewirken kann, dass es <strong>die</strong> Umwelt in einem gewissen Grad nach<br />

eigenen Wünschen zu beeinflussen und zu gestalten vermag.<br />

Es erfährt aber auch Widerstände. Dinge und andere Menschen lassen sich nicht nach<br />

Belieben manipulieren. Es gibt Gesetzmäßigkeiten und Regeln, <strong>die</strong> zu beachten sind,<br />

wenn man Gegenstände handhaben und Menschen erfolgreich beeinflussen will. Diese<br />

Widerstände und Grenzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Umwelt dem eigenen Drang nach Gestaltung oder<br />

Beeinflussung entgegensetzt, fordern das Individuum zum Lernen heraus. In der Auseinandersetzung<br />

mit Widerständen erkennen wir Naturgesetze sowie soziale Zusammenhänge<br />

und Regeln aller Art. Sie verdeutlichen, dass es mehr oder weniger verlässliche<br />

Bedingungen gibt, <strong>die</strong> den Umgang mit Menschen und Dingen erleichtern. Es gibt etwas,<br />

an das man sich halten kann. Die Wahlmöglichkeiten und Handlungsmöglichkeiten<br />

werden dadurch zwar begrenzter, aber auch überschaubarer. Die Überschaubarkeit von<br />

Handlungsmöglichkeiten und <strong>die</strong> Vorhersagbarkeit der Folgen von Handlungen vermitteln<br />

dem Kind Sicherheit in seiner subjektiv größer werdenden Welt.<br />

152


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Die Berücksichtigung der Bedürfnisse nach Sicherheit oder Zugehörigkeit und Unabhängigkeit<br />

ist großer Bedeutung für <strong>die</strong> Erziehung. Das Interesse der Lehrer für <strong>die</strong> ihnen<br />

anvertrauten Schüler wird von <strong>die</strong>sen nämlich nur dann als positiv erfahren, wenn<br />

<strong>die</strong> Erzieher einerseits <strong>die</strong> Selbständigkeit der Schüler unterstützen und ihnen andererseits<br />

auch Sicherheit durch Schutz, Ermutigung, Trost und eine grundlegende Akzeptanz<br />

gewähren. Wenn <strong>die</strong> schulische Umwelt <strong>die</strong> Schüler darin unterstützt, ihren Selbstwert<br />

zu erhalten und zu steigern, bedeutet <strong>die</strong> soziale Anpassung an <strong>die</strong>se vorteilhaften Umstände<br />

auch für <strong>die</strong> Schüler einen Vorteil. Ihre Lernbereitschaft und Lernerfolge werden<br />

dadurch positiv beeinflusst (vgl. RYAN / LYNCH 1989; MILLS / ALPERT / DUNHAM 1988;<br />

DECI / SCHWARTZ / SHEINMAN / RYAN 1981; RYAN / GROLNICK 1986; GROLNICK / RYAN<br />

1989).<br />

Das handlungs- und das lageorientierte Selbst<br />

Fortgesetzte Kompetenz- bzw. Inkompetenzerfahrungen beeinflussen <strong>die</strong> Selbstwerteinschätzungen<br />

von Individuen sowie auch <strong>die</strong> allgemeine Haltung, <strong>die</strong> sie gegenüber ihrer<br />

Umwelt bzw. den Situationen, in <strong>die</strong> sie geraten, einnehmen.<br />

Schüler, deren Bedürfnisse nach Sicherheit und Selbständigkeit erfüllt werden und <strong>die</strong><br />

sich als kompetent erfahren, zeigen zumeist eine Haltung, <strong>die</strong> als „Handlungsorientierung“<br />

bezeichnet wird. Bei induzierten Phantasieszenen neigen sie dazu, <strong>die</strong> Geschichten<br />

so fortzusetzen, dass sie selbst erfolgreich daraus hervorgehen. Sie nehmen stets an, einen<br />

Weg finden zu können, wie ein Problem zu lösen ist, und sie halten sich im Fall von<br />

Schwierigkeiten nicht lange mit Gedanken über ihre vielleicht ungünstige Lage <strong>auf</strong>, sondern<br />

suchen nach Möglichkeiten, wie sie aus den Schwierigkeiten wieder herauskommen<br />

können (vgl. KUHL 1984). Handlungsorientierung ist mit dem Gefühl verknüpft,<br />

sein Schicksal selbst verändern zu können, der "Meister" seiner selbst zu sein (vgl. DE-<br />

CHARMS 1979). Das fördert <strong>die</strong> Selbständigkeit und Sicherheit <strong>die</strong>ser Individuen und<br />

damit auch eine positive Selbstwerteinschätzung. Im Grunde ist Handlungsorientierung<br />

als ein Aspekt intrinsischer Motivation zu verstehen.<br />

Dagegen konstruieren Schüler, deren Bedürfnisse nach Sicherheit und Selbständigkeit<br />

nicht erfüllt werden und <strong>die</strong> sich häufig als erfolglos oder inkompetent erfahren, <strong>die</strong> weit<br />

eher Geschichten, in denen alles schief geht (vgl. BANDURA 1990). Unter solchen Bedingungen<br />

fühlen sich Schüler zu ihren Aufgaben eher gezwungen, als dass sie sich aus<br />

eigenem Antrieb damit beschäftigen. Schüler, <strong>die</strong> durch derartige Bedingungen geprägt<br />

wurden, neigen in Anforderungssituationen in hohem Maße dazu, sich mehr mit ihrer<br />

153


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Lage als mit ihren Handlungsmöglichkeiten zu beschäftigen. Ihre Informationsverarbeitungskapazität<br />

ist sozusagen mit Gedanken über ihre Lage, ihr Pech belastet. Für <strong>die</strong><br />

Lösung der jeweiligen Probleme bedeutet das eine nicht unerhebliche Behinderung, weil<br />

sozusagen nur ein Teil der Verarbeitungskapazität zur Verfügung steht und <strong>die</strong> Problembearbeitung<br />

bei jedem positiven oder negativen Teilergebnis durch Lagereflexionen<br />

gestört wird (vgl. KUHL 1984). Es ist nicht verwunderlich, wenn Menschen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> von<br />

Selbstzweifeln geplagt werden, in ihren Fähigkeiten zum synthetischen wie analytischen<br />

Denken beeinträchtigt sind. Es wird einfach zuviel Kapazität für <strong>auf</strong>gabenfremde Überlegungen<br />

verbraucht. Infolgedessen lösen sie gestellte Aufgaben deutlich schlechter (vgl.<br />

RODIN 1990).<br />

Lagereflexionen bedeuten, dass das Individuum sich immer wieder fragt, wie es in <strong>die</strong><br />

aus seiner Sicht unlösbare Situation geraten konnte, dass es inkompetent sei, welche<br />

schlimmen Folgen das Ganze für es haben könnte, dass es den Umständen ausgeliefert<br />

und eine "Marionette" sei (DECHARMS 1979). Wenn es nun gelänge, solche lageorientierten<br />

Vorstellungen durch Imaginationen zu ersetzen oder zu verdrängen, in denen <strong>die</strong><br />

Individuen sich als handelnd und erfolgreich vorstellen, dann sollten sie auch in nachfolgenden<br />

konkreten Anforderungssituationen weniger in lageorientierten Phantasien<br />

versinken, sondern sich konzentrierter den jeweiligen Aufgaben zuwenden. Eine Annahme,<br />

<strong>die</strong> in mehreren Untersuchungen bestätigt werden konnte (vgl. CORBIN 1972;<br />

KAZDIN 1978; FELTZ / LANDERS 1983; BANDURA 1986).<br />

Die Erfahrung von Erfolg bzw. Kompetenz stärkt aber nicht nur <strong>die</strong> Konzentration. Weil<br />

solche Individuen das Gefühl oder den Eindruck haben, Kontrolle über Ereignisse und<br />

das eigene Verhalten zu besitzen, können auch ihre Bedürfnisse nach Selbständigkeit<br />

und Sicherheit befriedigt werden; sie sind dann ausdauernder bei der Verfolgung ihrer<br />

Ziele (vgl. TAYLOR/ LOCKE/ LEE/ GIST 1984; im Überblick RODIN 1990). Dagegen begünstigen<br />

Misserfolge und Zweifel an der eigenen Kompetenz eher Unsicherheit, ein<br />

Gefühl der Abhängigkeit sowie <strong>die</strong> Tendenz <strong>auf</strong>zugeben (vgl. WEINBERG / GOULD /<br />

JACKSON 1979; JACOBS/ PRENTICE-DUNN / ROGERS 1984; CERVONE/ PEAKE 1986).<br />

Für den "Meister" (DECHARMS 1979) tragen gelegentliche Misserfolge eher zum Gefühl<br />

der Meisterschaft in einer Welt voller Schwierigkeiten bei. Welt- und Selbstbild brauchen<br />

davon nicht negativ beeinflusst zu werden. Denn wenn Misserfolge dazu Anlass<br />

geben, <strong>die</strong> angewandten Strategien zu verbessern, ein Problem zu zerlegen, realistische<br />

Teilziele zu setzen usw., dann beweist sich ein handlungsorientiertes Individuum gerade<br />

154


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

dadurch, dass es <strong>auf</strong>grund seiner Kompetenz in der Lage ist, am Ende auch mit schwierigsten<br />

Situationen fertig werden zu können (vgl. KUHL 1989; SCHUNK 1984).<br />

Handlungsorientierung – als Folge oder Aspekt intrinsischer Motivation – wird im Idealfall<br />

auch als eine Art mühelosen Funktionierens der eigenen Kräfte erlebt. Dieses Phänomen<br />

bezeichnet CZIKSZENTMIHALYI (1990) auch als "Flow". MONTESSORI (1977, S.<br />

173) nannte es "Polarisation der Aufmerksamkeit". Im Flow erlebt sich das Individuum<br />

in einer Position, in der es <strong>die</strong> Kontrolle über einen Teil der Umwelt in den eigenen<br />

Händen hat. Gedanken neben <strong>die</strong>ser Tätigkeit, Hoffnungen oder Sorgen und Ängste haben<br />

hier keinen Platz. In <strong>die</strong>sem Zustand absoluter Konzentration verändert sich auch<br />

das Zeitgefühl. Allerdings entsteht Flow nur, wenn kein Erfolgsdruck besteht.<br />

155


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Teil IV<br />

Beiträge zur Unterrichtspsychologie<br />

Schulen sind häufig so organisiert, dass <strong>die</strong> von ihnen geschaffenen Bedingungen vor<br />

allem rezipierend-reproduzierendes Lernen sowie extrinsische Motivation fördern.<br />

Schaut man sich solche Schulen näher an, hat zumeist man das Gefühl, <strong>die</strong>se Orte längst<br />

zu kennen. Sie haben nichts Einladendes, man findet kein Plätzchen, an dem man sich<br />

gern niederlassen, in Büchern oder Arbeitsmaterialien stöbern und sich gern mit Schülern<br />

unterhalten würde. Kahle Flure, keine Kunstwerke der Kinder und Jugendlichen,<br />

Bilder von Klassenfahrten oder Projekten. Man spürt, dass es keine Freude macht, den<br />

Tag hier zu verbringen.<br />

In der Alltagssprache würde man solche Orte als "schlechte Schulen" bezeichnen. Das<br />

sind Schulen, <strong>die</strong> unsere Kinder nicht ver<strong>die</strong>nen. Man fragt sich, warum <strong>die</strong> Kinder und<br />

Jugendlichen in Schulen gehen müssen, <strong>die</strong> noch immer genauso funktionieren wie <strong>die</strong><br />

Schulen, in <strong>die</strong> wir selber gegangen sind, in denen <strong>die</strong> Freude erstirbt, das Lernen zur<br />

Last wird, <strong>die</strong> Angst vor den Klausuren und Noten den Tag verderben.<br />

"Schlechte Schulen", das sind Schulen, in denen der Lehrer dominiert, in denen der Lehrer<br />

für alles verantwortlich ist. Die Schüler haben zu lernen, aber man traut ihnen nicht<br />

zu, dass sie Eigenaktivität entwickeln und Projekte aus eigener Entscheidung heraus<br />

angehen. Der „gute“ Lehrer in schlechten Schulen legt großen Wert <strong>auf</strong> Leistung und<br />

Mitarbeit. Er kennt seine Schüler, er lobt sie, wann immer es möglich ist, er führt regelmäßige<br />

Tests durch und weiß immer, was mit jedem seiner Schüler los ist. Aber sehen<br />

wir uns <strong>die</strong> Merkmale solcher Schulen genauer an.<br />

156


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

18. Didaktische Merkmale aus der Sicht von außen<br />

„Schlechte“ Schulen sind Schulen, <strong>die</strong> nach Verwaltungskriterien geschaffen wurden,<br />

Schulen, <strong>die</strong> nach Verwaltungsvorschriften handeln, nach Lehrplan, Stundenplan und<br />

Disziplinarordnung. Es sind Schulen, <strong>die</strong> aus der Sicht von außen konstruiert worden<br />

sind. Erziehung besteht danach in der Formung der Schüler nach vorgegebenen Zielen.<br />

Solche Schulen glauben an den Lehrplan oder Bildungsstandards – wie immer auch <strong>die</strong><br />

Sammlung ihrer von übergeordneten Verwaltungsorganen vorgegebenen Ziele heißen<br />

mag.<br />

Erziehung als Lenkung<br />

Oberflächlich betrachtet ist <strong>die</strong> Lenkung des Schülerverhaltens eine einfache und erfolgreiche<br />

Methode, um <strong>die</strong> Ziele des Unterrichts und der Erziehung zu verwirklichen. Im<br />

Wesentlichen besteht sie Anweisungen und den Maßnahmen, <strong>die</strong> zur Einhaltung der<br />

Anweisungen erforderlich sind, also Lob und Tadel sowie Belohung und Bestrafung. Je<br />

enger und bestimmter <strong>die</strong>se Anweisungen sind, desto offensichtlicher ist es, wenn Schüler<br />

davon abweichen. Allerdings können Schüler sich entscheiden, innerlich abwesend<br />

zu sein oder sich nur in minimaler Weise zu beteiligen beziehungsweise den Forderungen<br />

des Lehrers nur soweit zu genügen als nötig ist, um Strafe oder Tadel zu vermeiden<br />

oder Belohnungen zu erhalten.<br />

Schulen und Lehrer, <strong>die</strong> großen Wert <strong>auf</strong> Erfolg und Leistung legen, betrachten <strong>die</strong> Lenkung<br />

des Handelns ihrer Schüler als ihr wichtigstes Mittel. Das gleiche gilt für <strong>die</strong> Bildungs-Ministerien.<br />

Tatsächlich sieht es für den jeweiligen Moment so aus, als ließen<br />

sich mit Hilfe der Lenkung alle gewünschten Ziele erreichen. Schließlich tun Schüler<br />

vieles, um ein Lob zu erhalten oder um eine unangenehme Strafe oder schlechte Noten<br />

zu vermeiden. Langfristig jedoch ist Lenkung ein absoluter Fehlschlag. Denn sobald der<br />

Lehrer nicht mehr da ist, hören <strong>die</strong> Schüler <strong>auf</strong> zu arbeiten, sich anzustrengen, sich zu<br />

benehmen usw. Außerdem tun sie grundsätzlich nur das, was sie müssen. Ihre Leistungen<br />

liegen daher immer weit unterhalb dessen, zu dem sie wirklich in der Lage wären.<br />

Deshalb sind Schulen, in denen Lenkung eine prominente Rolle spielt, fast immer<br />

schlechte, zumindest aber keine guten Schulen. Die Leistungen ihrer Schüler erreichen<br />

nicht das Spitzenniveau und ihre Lehrer sind nicht, oder nur in seltenen Ausnahmen, in<br />

hohem Maß engagiert. Zu den langfristig durchwegs negativen Wirkungen von Lohn<br />

157


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

und Strafe, Lob und Tadel liegt eine Fülle von Befunden vor (zusammenfassend dazu<br />

ALFIE KOHN 1999).<br />

Die Zerstörung von Interessen<br />

Unter den langfristigen Folgen schulischer Lenkung ist insbesondere <strong>die</strong> Zerstörung der<br />

Interessen der Schüler zu nennen. Denn <strong>die</strong> Pläne und Interessen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schüler bei<br />

freiem Handeln entwickeln würden, werden durch <strong>die</strong> Einschränkungen eines lenkenden<br />

Unterrichts unterdrückt. Die Einengung der Pläne der Schüler hat bei einem großen Teil<br />

der Schüler <strong>die</strong> Konsequenz, dass sie kein besonderes Interesse an der Sache entwickeln,<br />

da es für sie ja nicht möglich ist, den Gegenstand in einer subjektiv bedeutsamen Weise<br />

zu betrachten und zu untersuchen. Man braucht Freiräume, um schulische Aufgaben<br />

oder Unterrichtsstoffe mit dem eigenen Wissen und Plänen zu verknüpfen, deren Verwirklichung<br />

einen persönlichen Wert für <strong>die</strong> Schüler hat.<br />

Wenn so viele junge Menschen kaum lesen, wenn viele nach der Schule und oft auch<br />

nach dem Studium nicht wissen, was sie denn beruflich tun könnten, ist das ein deutliches<br />

Zeichen für <strong>die</strong> Zerstörung der Interessen und für das Fehlen von eigenen Plänen.<br />

Die Interessen von Schülern werden in vielen Schulen nicht unterstützt und gefördert,<br />

wie <strong>die</strong>se Schulen überhaupt wenig Bezug zum Leben ihrer Schüler haben. Folgerichtig<br />

vertritt Ingo Richter, Direktor des Deutschen Jugendinstituts, <strong>die</strong> Auffassung, es sei<br />

„hochmütig, zwischen 10 000 und 20 000 Stunden des Lebens von jungen Menschen für<br />

einen Unterricht mit der Behauptung in Anspruch zu nehmen, er bereite <strong>auf</strong> das Leben in<br />

Gesellschaft und Beruf vor, während er in Wirklichkeit nur lehrt, den Anforderungen des<br />

Bildungswesens zu entsprechen.“ (RICHTER 1999, S. 88) 62<br />

Wenn <strong>die</strong> "Wünsche der Schüler, wie und was sie lernen wollen" sich nicht mit dem<br />

Unterrichtsangebot decken, dann erleben <strong>die</strong> Schüler das, was sie im Unterricht tun als<br />

nicht sehr sinnvoll, als nicht besonders nützlich und auch wenig interessant (ECKERLE /<br />

KRAAK 1993, S. 139). Sie erleben ihre eingegrenzten Handlungsmöglichkeiten und da<br />

sie nichts dagegen ausrichten können, finden sie sich damit ab. Nach Jahren fremdbestimmten<br />

schulischen Lernens können sie sich vermutlich kaum noch vorstellen wie sie<br />

den Unterricht selber mitgestalten könnten. Das geht soweit, dass sie Mitbestimmungsmöglichkeiten<br />

in Schule und Unterricht abschätzig bewerten und beurteilen (ECKERLE /<br />

62 INGO RICHTER: Die sieben Todsünden der Bildungspolitik. München, Wien 1999, C. Hanser Verlag, S.<br />

88.<br />

158


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

KRAAK 1993, S. 140, 77). Denn wenn <strong>die</strong> Schüler durch den ergebnisorientierten Unterricht<br />

erst einmal eine reproduktive Lernhaltung angenommen haben, dann fällt es ihnen<br />

schwer, eigene Pläne und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Wenn aber eigene<br />

Pläne nicht entwickelt und ausgeführt werden können, wird das Denken träge und<br />

stumpf, statt tätig und energisch. Man lässt sich lieber treiben und schiebt anderen <strong>die</strong><br />

Verantwortung zu für das, was geschieht und zu geschehen hat.<br />

Die Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten wirkt sich insgesamt lähmend aus.<br />

Denn obwohl <strong>die</strong> Schüler überzeugt sind, dass gute Schulbildung und gute Noten für ihr<br />

weiteres Leben große Bedeutung haben, sie ihre schulische Leistung gern verbessern<br />

und nützliche Dinge lernen würden (vgl. ECKERLE / KRAAK 1993, S. 37), beschränken<br />

sie sich <strong>auf</strong> das Notwendige und verschieben das Handeln <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Zukunft. Dennoch<br />

sind sie überzeugt, eigentlich mehr leisten zu können, wenn sie nur wollten (vgl. ECKER-<br />

LE / KRAAK 1993, S. 139). Das trägt zur Erhaltung des Selbstwerts bei und kann zum<br />

anderen eine an <strong>die</strong> Schule gerichtete Schuldzuweisung sein, <strong>die</strong> sie zwingt, aus ihrer<br />

Sicht mehr oder weniger Sinnloses zu lernen.<br />

Schwache Schüler werden noch weiter geschwächt<br />

Ein am Gängelband geführter Schüler, dem nicht <strong>die</strong> Möglichkeit gegeben wird, innerhalb<br />

eines <strong>auf</strong> seine Fähigkeiten abgestimmten Rahmens eigene Pläne und Interessen zu<br />

entwickeln und zu verfolgen, verkümmert dadurch allmählich in seiner Fähigkeit, sich<br />

selbst Ziele zu setzen, sie aus eigenem Antrieb zu verwirklichen, das Ergebnis kritisch<br />

zu prüfen und zu verbessern. Wenn sich ein Schüler in den ihm eigenen Möglichkeiten<br />

und Fähigkeiten, <strong>die</strong> ja nicht unbedingt mit dem Lehrplan und dem, was ein steuernder<br />

Unterricht daraus macht, konform gehen, nicht entwickeln darf, kann er sich auch als<br />

Person nicht geschätzt fühlen. Insbesondere ein schwächerer Schüler wird, wenn er sich<br />

nicht zur Wehr setzen kann und <strong>die</strong> Situation andauert, ein niedriges Selbstwertgefühl<br />

entwickeln. Ein niedriges Selbstwertgefühl wirkt sich ungünstig <strong>auf</strong> das weitere Lernen<br />

und Leben <strong>die</strong>ses Schülers aus. Nach und nach wird er das fehlende Vertrauen seiner<br />

Erzieher in seine Fähigkeiten sogar rechtfertigen. 63<br />

Letztlich führen fortgesetzte Erfahrungen von Inkompetenz und Selbstabwertung zu<br />

einem kaum revi<strong>die</strong>rbaren Misserfolgszirkel sowie zu Abneigung gegenüber der Schule<br />

63 Vgl. ELFIEDE HÖHN, Der schlechte Schüler. Sozialpsychologische Untersuchungen über das Bild das<br />

Schulversagers, München 1972;<br />

159


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

und ihren Unterrichtsgegenständen. Der Schüler fühlt sich weniger als Verursacher oder<br />

"Meister" seines Verhaltens, sondern eher als Marionette der Umstände (Vgl. DE-<br />

CHARMS 1968). Er verfängt sich zunehmend in einem Netz von Gedanken über seine<br />

Wertlosigkeit, Hilflosigkeit, <strong>die</strong> Unausweichlichkeit der eigenen Lage. Da er den Eindruck<br />

hat, keinen Einfluss <strong>auf</strong> seine Situation nehmen zu können, entwickelt eine Haltung,<br />

<strong>die</strong> man als Lageorientierung (KUHL 1984) oder auch als Hilflosigkeit bzw. erlernte<br />

Hilflosigkeit (SELIGMAN 1975) bezeichnet. Das Nachdenken über <strong>die</strong> eigene Lage und<br />

<strong>die</strong> Unausweichlichkeit der Situation, in der man sich befindet oder zu befinden glaubt,<br />

bindet <strong>die</strong> Verarbeitungskapazität der Person. Sie unternimmt nichts, um ihre Lage zu<br />

ändern, einerseits weil sie <strong>die</strong>se als feststehend akzeptiert und andererseits, weil sie ihre<br />

Kraft <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Imagination der vermeintlichen Unausweichlichkeit ihrer Lage konzentriert.<br />

In ihrer Angst vor erwarteten Misserfolgen neigen solche Schüler dazu, <strong>die</strong> Bedeutung<br />

der ihnen gestellten Aufgaben, aber auch ihre eigenen Fähigkeiten und <strong>die</strong> Wichtigkeit<br />

ihrer Pläne abzuwerten. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn Lernbehinderung auch<br />

als "eine Folge verhinderter Eigenaktivität" verstanden wird (KLEIN 1992, S. 220 ff). Die<br />

unterdrückte kreative Energie kann sich aber auch in Ausbrüchen von Destruktion, Vandalismus,<br />

politischem Extremismus usw. Luft machen (FROMM, S. 37).<br />

Die Entwicklung von Interessen in unterschiedlichen Schulsystemen mit ihren fördernden<br />

wie auch hemmenden Einflüssen und den Folgen für das spätere Leben der Absolventen<br />

ist bisher kaum untersucht worden. Das ist durchaus bezeichnend für eine Erziehungswissenschaft,<br />

<strong>die</strong> sich offenbar in hohem Maß der herrschenden Bildungspolitik<br />

und deren Fragen verpflichtet fühlt statt den Fragen und Problemen der Schüler.<br />

Schüler lehnen <strong>die</strong> Schule ab<br />

Die Haltung, dass man selber eigentlich nichts tun kann, geht über den Unterricht hinaus<br />

und betrifft <strong>die</strong> Schule. Hier trifft <strong>die</strong> Haltung der Schüler <strong>auf</strong> <strong>die</strong> entsprechende Haltung<br />

der Lehrer, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>ser Hinsicht ja selbst nicht an Handlungsmöglichkeiten glauben.<br />

Außerdem "erfordern Bemühungen der Schüler von denen, <strong>die</strong> sie unterstützen wollen,<br />

auch Durchhaltevermögen gegenüber anderen Interessen". Denn wegen zahlreicher Bestimmungen<br />

ist es nicht nur kompliziert, sondern auch lähmend langwierig bei Schülervorschlägen<br />

z.B. "zur Schulorganisation oder zur Ausgestaltung ihrer Schule" zu Ergebnissen<br />

zu gelangen (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 142).<br />

160


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Allerdings üben sich <strong>die</strong> Schüler nicht in offenem Widerstand gegen schulische Fremdbestimmung.<br />

Sie haben erkannt, dass sie letztlich <strong>die</strong> Verlierer wären. Deshalb passen<br />

ihr Verhalten "den Notwendigkeiten an" (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 139). Freilich verweigern<br />

sie sich den Lehrern, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Lenkung an ihnen vollziehen. Ganz bewusst vermeiden<br />

sie es, <strong>die</strong> "Anerkennung von Lehrern" zu suchen. Sie entziehen sich dem Einfluss<br />

ihrer Lehrer, weisen sie zurück und signalisieren ihnen: 'So wichtig seid ihr für uns<br />

nicht. Wir müssen uns halt zwangsweise mit euch abgeben, aber das ist auch alles.' (vgl.<br />

ECKERLE / KRAAK 1993, S. 78 u. 137). Diese Haltung ist durchaus zwiespältig. Denn<br />

einerseits möchten <strong>die</strong> Schüler etwas Sinnvolles tun, selbstbestimmt arbeiten und lernen,<br />

aber andererseits haben sie das Gefühl, "es lohnt sich nicht." Deshalb lehnen sie "<strong>die</strong>se<br />

Schule" ab und fügen sich, "weil es ja nun so sein muß ... Schule selbst ist nicht wichtig;<br />

sie erhält ihre Bedeutsamkeit mittelbar, als notwendige Voraussetzung" (ECKERLE /<br />

KRAAK 1993, S. 85).<br />

Der Schaden für <strong>die</strong> Gesellschaft<br />

Die Einengung des Denkens und der Entwicklungsmöglichkeiten der jungen Menschen<br />

schadet der Gesellschaft, weil ja ein vorhandenes Potential an Kreativität und Talenten<br />

nicht gefördert wird, so dass zahllose potentielle Leistungen nicht erbracht werden und<br />

der Gesellschaft auch nicht zugute kommen können. Die Gesellschaft ist dar<strong>auf</strong> angewiesen,<br />

dass ihre Mitglieder sich voll und ganz für ihre Aufgaben einsetzen, gute unternehmerische,<br />

soziale und kulturelle Leistungen erbringen. Es kommt dar<strong>auf</strong> an, dass sie<br />

das alltägliche Leben und Zusammenleben in einer für alle förderlichen Weise gestalten<br />

und bewältigen. Wenn man Kindern und Jugendlichen keine wirkliche Verantwortung<br />

für ihr Denken und Handeln lässt, wenn man ihnen keine weittragenden Entscheidungen<br />

zutraut, wenn man sie nicht in jeder Hinsicht beteiligt, sondern ständig über sie verfügt<br />

und bestimmt und <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise das Werden der mündigen Bürger behindert und verletzt,<br />

fügt man der Gesellschaft, auch wenn es unwissentlich geschieht, schwer zu heilende<br />

Wunden zu, an denen alle zu leiden haben.<br />

Natürlich sind Lehrer, Eltern und überhaupt <strong>die</strong> Erwachsenen in der Regel überzeugt,<br />

mehr zu wissen und <strong>die</strong> Dinge besser beurteilen zu können als <strong>die</strong> Jugend, aber letztlich<br />

ist es doch immer <strong>die</strong> Jugend, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Entdeckungen und Neuentwicklungen hervorbringt.<br />

Nicht <strong>die</strong> Lehrer, nicht <strong>die</strong> Väter und Mütter, sondern <strong>die</strong> Schüler, <strong>die</strong> Söhne und<br />

Töchter erschaffen das Neue. Wenn man also durch Steuerungsmaßnahmen <strong>die</strong> Schüler<br />

161


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

in das Prokrustesbett vorgeschriebener Lernvollzüge zwingt, erschwert man dadurch<br />

nicht nur <strong>die</strong> Entfaltung der individuellen Talente, sondern auch <strong>die</strong> Wandlung und Erneuerung<br />

der bestehenden Ordnungen <strong>auf</strong> allen Gebieten. Die Kraft zur Wandlung und<br />

Erneuerung ist es letztlich, <strong>die</strong> einer Gesellschaft unter sich ständig ändernden Bedingungen<br />

das Überleben – und im Idealfall das „gute Leben“ – ermöglicht.<br />

Am „Führerprinzip“ bzw. wie ich es nenne, am „Prinzip der Lenkung“ kritisiert der Philosoph<br />

KARL POPPER (1970, Bd. 1, S. 187 f.) vor allem, dass es <strong>die</strong> Entwicklung von<br />

intellektueller Vortrefflichkeit und Initiative behindere. Denn das „Geheimnis der intellektuellen<br />

Vortrefflichkeit“ sei „eine kritische Einstellung und intellektuelle Unabhängigkeit.“<br />

Genau daran aber müssten alle „autoritären Methoden scheitern“. Denn der<br />

„Vertreter autoritärer Prinzipien wird im allgemeinen <strong>die</strong> Gehorsamen, <strong>die</strong> Gläubigen zu<br />

seinen Nachfolgern machen, Menschen also, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> seine Ideen eingehen.“ Dadurch<br />

wähle er „notwendigerweise mittelmäßige Geister“. Niemals könne <strong>die</strong> leitende und<br />

lenkende Autorität zugeben, dass <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> anders denken, <strong>die</strong> eigene Ideen vertreten,<br />

<strong>die</strong> andere Maßstäbe anlegen oder sich einer anderen Moral verpflichtet fühlen,<br />

„von größtem Werte sein könnten“. Diejenigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> lenkenden Funktionen ausüben,<br />

werden zwar überzeugt sein, dass sie “zur Entdeckung von Selbständigkeit und Initiative<br />

fähig seien. Aber unter Initiative verstehen sie nur das schnelle Erfassen ihrer Absichten.<br />

Daß hier ein Unterschied vorliegt, werden sie nie begreifen.“<br />

Wir überschätzen unser Wissen<br />

Einem hohen Ausmaß an Steuerung liegt nicht nur <strong>die</strong> Auffassung zugrunde, man wisse<br />

begründet, was für <strong>die</strong> Schüler gut ist. Genauso wichtig ist <strong>die</strong> damit oft stillschweigend<br />

verknüpfte Ansicht, man könne das Lernen von Schülern tatsächlich so lenken, dass mit<br />

hoher Wahrscheinlichkeit auch ein optimales Ergebnis zustande kommt. Werden <strong>die</strong><br />

Ziele nicht erreicht, wird <strong>die</strong> Schuld weniger in der Methode als vielmehr in der Widerspenstigkeit<br />

und Unwilligkeit der Schüler gesehen.<br />

Diese Steuerungstheorie überschätzt jedoch unser Wissen über Erziehung. In Wirklichkeit<br />

werden <strong>die</strong> gesetzten Erziehungs- oder Unterrichtsziele eher selten in der geplanten<br />

Form, wenn überhaupt, erreicht. Die meisten Untersuchungen belegen, dass umfangreiche<br />

Steuerungsmaßnahmen weniger effektiv sind als einfach bloß helfende Hinweise bei<br />

Schwierigkeiten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schüler dann selbständig zu lösen versuchen (vgl. den Literaturüberblick<br />

bei FLAMMER 1975, S. 360 ff.).<br />

162


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Tatsächlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir jenes Wissen, das wir bräuchten, um<br />

effektiv steuern zu können, überhaupt gewinnen können. Denn alles theoretische Wissen,<br />

das wir über Erziehung haben können, besteht in Erklärungen mittels allgemeiner<br />

Zusammenhänge, <strong>die</strong> uns in der Regel nur sehr wenig oder nichts über den Einzelfall<br />

und seine je besonderen Gegebenheiten oder Bedingungen sagen. Die Erklärungen der<br />

Erziehungswissenschaft sind also nie vollständig, weil sie prinzipiell nicht sämtliche<br />

Bedingungsfaktoren erfassen.<br />

Es ist aber nicht nur so, dass wir nicht alle Bedingungsfaktoren von Erziehung kennen<br />

können. Darüber hinaus sind selbst <strong>die</strong> dem Erzieher bekannten Faktoren nur begrenzt<br />

beeinflussbar. Didaktische Steuerungsmaßnahmen können insofern auch nur bedeuten,<br />

dass der vorhandenen Realität Regelungen hinzugefügt werden. Das bedeutet, dass <strong>die</strong>se<br />

Regelungen <strong>die</strong> Wirklichkeit nur im Ausnahmefall im beabsichtigten Sinn beeinflussen.<br />

In den meisten Fällen passen sich <strong>die</strong> Kinder und Jugendlichen einer ergriffenen Erziehungsmaßnahme<br />

an und beziehen sie in individueller Weise in ihr Leben ein. Auf <strong>die</strong>se<br />

Weise führen <strong>die</strong> Maßnahmen dann allerdings zu anderen Ergebnissen als den erwarteten.<br />

Warum wir so hartnäckig Erziehung als Lenkung feshalten<br />

Die Frage ist, warum wir dann so hartnäckig an <strong>die</strong> positiven Wirkungen der Steuerung<br />

glauben. Wenn wir als Lehrer oder Eltern Kinder und Jugendliche zu leiten oder zu lenken<br />

suchen, sehen wir den Schüler als eine in jeder Hinsicht klar von uns selbst abgetrennte<br />

Person. Die physischen Grenzen eines Individuums unterscheiden uns ja eindeutig<br />

von dem Anderen. Und doch ist <strong>die</strong>se rein physische Abgrenzung im Hinblick <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

Psyche eine Illusion. Denn in unseren Gedanken und Gefühlen sind wir sehr eng mit<br />

andern Menschen verbunden. Es fällt uns nur sehr schwer, das im alltäglichen Umgang<br />

zu sehen und zu akzeptieren.<br />

Nur weil wir glauben, von anderen Individuen, d.h. hier also von Kindern und Jugendlichen,<br />

getrennt zu sein, sind wir nicht davon abzubringen, trotz Lügen und Unehrlichkeit<br />

bei uns selbst, Kinder und Schüler für das gleiche Verhalten zu tadeln oder zu bestrafen.<br />

Wir sind sogar überzeugt, ihre Persönlichkeit durch solche Handlungen in einer Weise<br />

formen oder dauerhaft beeinflussen zu können, wie uns das bei uns selbst nicht gelungen<br />

ist oder wie wir das bei uns selbst nicht einmal versucht haben.<br />

163


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Obwohl wir bei Anderen sehr leicht Stimmungen ohne Worte spüren, glauben wir, dass<br />

das, was andere nicht sehen können, für sie auch nicht erkennbar ist. Aber kann das, was<br />

wir als Erzieher oder Lehrer sind, wirklich bedeutungslos für das „Erziehen“ sein Wenn<br />

wir selbst Gefühlen wie Zorn, Eifersucht oder Wut ausgesetzt sind und es <strong>auf</strong>gegeben<br />

haben <strong>die</strong>se Reaktionen in uns zu beherrschen, können wir ernsthaft von den uns anvertrauten<br />

Kindern und Jugendlichen erwarten, dass sie ihr Fühlen <strong>auf</strong> unser Missfallen hin<br />

abstellen Wie sollen Schüler freiwillige Anstrengungen und Lernfreude <strong>auf</strong>bringen,<br />

wenn wir selbst Weiterbildung nur <strong>auf</strong> uns nehmen, wenn wir dazu gezwungen sind<br />

Was geht in uns vor, wenn wir vollmundig <strong>die</strong> schärfere Bewertung von Leistungen fordern<br />

und selber Prüfungen aus dem Weg gehen<br />

Warum tun wir so als hätte <strong>die</strong> innere Welt, in der wir Erwachsenen leben, nichts mit der<br />

inneren Welt von Kindern und Jugendlichen und ihren Reaktionen <strong>auf</strong> uns zu tun Sowohl<br />

unsere naiven als auch unsere wissenschaftlichen Theorien über psychische Vorgänge<br />

wie Lernen, Denken, Wollen oder Fühlen wenden wir vor allem <strong>auf</strong> andere an,<br />

<strong>auf</strong> Kinder oder <strong>auf</strong> Menschen mit „Problemen“. Es ist <strong>die</strong>se Wendung des Blicks nach<br />

außen durch <strong>die</strong> wir uns <strong>die</strong> Illusion erhalten, wir könnten <strong>die</strong> Persönlichkeit der anderen<br />

nach unseren Zielen formen. Denn der Blick nach außen vermittelt uns <strong>die</strong> Illusion völligen<br />

Abgetrenntseins.<br />

Würden wir nach innen schauen, müssten wir erkennen, dass uns an Kindern und Jugendlichen<br />

irgendwelches Verhalten nur deshalb stört, weil wir unsere eigenen Wünsche<br />

und Vorstellungen gestört oder durchkreuzt sehen. Das heißt nun nicht, dass wir unsere<br />

Wünsche <strong>auf</strong>geben müssen, nur erkennen sollten wir sie. Wenn dann mein Sohn meine<br />

Papiere, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> dem Schreibtisch liegen, zerreißen oder meine neue Digitalkamera in <strong>die</strong><br />

gefüllte Badewanne werfen möchte, verstehe ich unmittelbar, dass das mit meinen Wünschen<br />

kolli<strong>die</strong>rt. Deshalb bin ich dann innerlich nicht gezwungen mit meinem Sohn zu<br />

schimpfen, sondern ich kann ihm in aller Ruhe <strong>die</strong> Sachen abnehmen und ihm deutlich<br />

machen, dass ich nicht will, was er möchte. Ich verstehe auch, dass er meine Wünsche<br />

nicht erkennen kann und dass ich versuchen muss, ihm eine Alternative zu bieten. Deshalb<br />

kann ich leicht und fließend dazu übergehen, mit ihm Bilder zu betrachten, zu „lesen“,<br />

zu fotografieren usw. Ich erkenne, dass ich mein Kind nicht nach meinen Vorstellungen<br />

lenken und „erziehen“ kann. Vielmehr geht es darum, eine gute Beziehung <strong>auf</strong>zubauen,<br />

ihn zu verstehen, <strong>auf</strong> ihn einzugehen und ihn mit mir und meinen Wünschen<br />

164


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

vertraut zu machen. Für den Lehrer ist es im Prinzip das Gleiche. Aber solange sein<br />

Blick nur nach außen gewendet ist, kann er das nicht erkennen.<br />

Stoff- bzw. Ergebnisorientierung<br />

Wenn der zu lernende Unterrichtsstoff in der Schule das Primäre ist und nicht <strong>die</strong> Schüler<br />

mit ihren Bedürfnissen und Interessen, sind solche Schulen „stofforientiert“ oder „ergebnisorientiert“<br />

zu bezeichnen. Im Unterricht stehen wissenschaftliche Ergebnisse im<br />

Mittelpunkt und nicht der Umgang mit wirklichen Dingen und den sich daraus ergebenden<br />

Fragen und Problemen. Es werden Antworten unterrichtet und gelernt statt Phänomene<br />

zu untersuchen, dabei Fragen zu stellen und nach Lösungen zu forschen.<br />

Wenn <strong>die</strong> Interessen und Bedürfnisse der Mädchen und Jungen in <strong>die</strong>ser Weise dem<br />

„Stoff“ untergeordnet werden, wenn bürokratisch erlassene Lehrpläne oder Bildungsstandards<br />

wichtiger sind als der Einzelne, rückt <strong>die</strong> Auseinandersetzung mit dem, was<br />

<strong>die</strong> jungen Menschen wirklich beschäftigt, notwendig in den Hintergrund. Das worum es<br />

dann in einer solchen Schule geht, sind Dinge, <strong>die</strong> für viele, wenn nicht <strong>die</strong> meisten<br />

Schüler, ohne Bedeutung sind. Damit sinkt in <strong>die</strong>sen Schulen <strong>die</strong> Bereitschaft der jungen<br />

Menschen, sich zu engagieren. Ihre Leistungen und damit <strong>die</strong> Leistungen <strong>die</strong>ser Schulen<br />

sind also schlechter als <strong>die</strong> von Schulen, <strong>die</strong> in höherem Grad <strong>auf</strong> den Einzelnen einzugehen<br />

suchen.<br />

Von wissenschaftlichen Ergebnissen auszugehen, erscheint unterrichtsmethodisch als<br />

logisches Vorgehen. Denn dazu müssen wissenschaftliche Sätze oder Theorien lediglich<br />

in eine Form gebracht werden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Vermittlung an <strong>die</strong> Schüler möglichst einfach und<br />

ökonomisch macht. Den Stoff, angefangen von seinen jeweiligen Elementen bis hin zu<br />

den komplexen Zusammenhängen, in der Form seines logischen Aufbaus zu unterrichten,<br />

gilt nach wie vor als <strong>die</strong> effektivste Methode der Wissensvermittlung, auch wenn <strong>die</strong><br />

schulischen Ergebnisse sehr zu wünschen übrig lassen.<br />

Beispiel für ergebnisorientierten Unterricht<br />

Eine gute Einführung in <strong>die</strong> Geometrie beginnt damit, dass der Lehrer <strong>die</strong> Schüler fragt,<br />

welche Figuren man denn mit Zirkel und Lineal zeichnen kann. Es werden Kreise, Dreiecke<br />

Vierecke, Vielecke usw. genannt. Dabei werden sozusagen nebenbei das gleichseitige<br />

Dreieck, das Parallelogramm, das Quadrat usw. eingeführt. Der Lehrer zeichnet<br />

165


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

vielleicht einige Figuren an <strong>die</strong> Tafel oder lässt auch <strong>die</strong> Schüler selbst solche Figuren<br />

malen.<br />

Er erklärt dann, dass Geometrie <strong>die</strong> Disziplin ist, <strong>die</strong> sich mit Figuren beschäftigt und<br />

ihre Eigenschaften feststellt. Danach fragt er, welche Bausteine oder Elemente in der<br />

Geometrie benutzt werden. Einige Schüler werden sagen "Figuren". Das leuchtet auch<br />

allen ein."Auch, ja", antwortet der Lehrer vermutlich. "Aber woraus sind <strong>die</strong>se Figuren<br />

gemacht Es sind ganz allgemeine, grundlegende Dinge..."<br />

Jetzt beginnen <strong>die</strong> Schüler zu raten, bis sie <strong>auf</strong> vielleicht <strong>auf</strong> "Linien und Flächen" kommen.<br />

Enttäuscht müssen sie hören, dass Punkte, Geraden und Ebenen <strong>die</strong> Grundelemente<br />

der Geometrie sein sollen. Danach werden in rascher Folge Grundsätze und Definitionen<br />

eingeführt, <strong>die</strong> jeweils an Beispielen verdeutlicht werden.<br />

Zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt gibt es für <strong>die</strong> Schüler aber gar keine Erfahrungsgrundlage, <strong>die</strong> zur<br />

Festlegung der Grundelemente sowie der Grundsätze und Definitionen drängen würde.<br />

Erst wenn sie eine Vielfalt von Figuren konstruiert, ausgeschnitten, gefaltet, verglichen<br />

und so <strong>auf</strong> Eigenschaften und Gemeinsamkeiten untersucht hätten, würde eine solche<br />

Systematisierung ihrer Erfahrungen einen Sinn für sie ergeben.<br />

D.h. <strong>die</strong> Fragen, <strong>die</strong> aus Schülersicht sinnvoll wären, werden ausgeblendet: Welche Figuren<br />

könnt ihr zeichnen Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen <strong>die</strong>sen Figuren Was geschieht,<br />

wenn man Dreiecke an jeder Ecke so faltet, dass <strong>die</strong> Seiten genau übereinander<br />

liegen Und wenn sie den gemeinsamen Schnittpunkt der Winkelhalbierenden gefunden<br />

haben: Ist es bei allen Dreiecken so, wirklich bei allen Sind eure Zeichnungen und Ausschnitte<br />

auch genau, absolut präzise Wie könnt ihr das prüfen<br />

Aber eben <strong>die</strong>se kritische Analyse wird unterschlagen. Dem "Schüler wird das Resultat<br />

der Analyse vorgesetzt, und er darf zusehen, wie der Lehrer, der weiß, wo es hingeht, es<br />

zusammensetzt" (FREUDENTHAL 1974, Bd. 1, S. 100). Die Frage, wie man zu den<br />

Grundsätzen, Definitionen Sätzen und Beweisen gelangt, bleibt ein Geheimnis für ihn.<br />

Da er keinen Sinn darin erkennen kann, ist es <strong>die</strong> einzige Möglichkeit für ihn, zumindest<br />

das, was abgefragt wird, auswendig, d.h. als Folge von Wörtern bzw. Operationen zu<br />

speichern und für <strong>die</strong> Reproduktion bereitzuhalten. Am Beispiel der Behandlung der<br />

Euklidischen Axiome im Geometrieunterricht lässt sich, auch weil fast jeder noch einige<br />

Erinnerung daran hat, sehr schön verdeutlichen, wie <strong>die</strong> Schüler einfach auswendig ler-<br />

166


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

nen, weil ohne eigenes Probieren und damit ohne eigene Erfahrung keine Umgestaltung<br />

der bestehenden Vorstellungen möglich ist. Auswendig lernen bedeutet dabei, dass eine<br />

relativ sinnarme Folge von Wörtern und/ oder Operationen so gespeichert wird, dass sie<br />

reproduzierbar ist.<br />

Die Ergebnisorientierung wird auch als "didaktische Inversion" bezeichnet, weil man bei<br />

der Vermittlung eines Gegenstandes nicht bei seinen problemgeschichtlichen Anfängen<br />

ansetzt, sondern am Ende des Erkenntnisprozesses. Dadurch wird auch der spannungsgeladene<br />

Prozess des Suchens, Ausprobierens, des Irrens und der erneuten Suche und<br />

schließlich des Erfolgs ausgeblendet. Wenn aber nicht von der Erfahrungsgrundlage der<br />

Schüler und den sich daraus ergebenden Problemen ausgegangen wird, verbindet sich<br />

weder das Gelernte mit <strong>die</strong>ser Erfahrungsgrundlage und ihren Umformungen, noch wird<br />

ein ausgeprägtes Problemlösungswissen erworben, das auch für <strong>die</strong> Lösung neuer Aufgaben<br />

verwendet werden kann.<br />

Weil aber nicht nur in der Mathematik und den Naturwissenschaften, sondern auch in<br />

allen anderen Fächern, <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se sinnarme Weise gelernt wird, bleiben bei vielen Schülern<br />

schon nach kurzem nur Versatzstücke, Formeln und Satztrümmer im Gedächtnis.<br />

Von einem tieferen Verständnis der Phänomene kann oftmals kaum <strong>die</strong> Rede sein (NOL-<br />

TE-FISCHER 1989, S. 220 ff.). 64 Solcherart sind <strong>die</strong> Lernergebnisse bei fast allen Unterrichtsgegenständen,<br />

ob es sich nun um Grammatik, Notenschrift oder das Wissen um<br />

den Aufbau einer Fuge handelt. Immer wenn Schüler mit fertigem Wissen konfrontiert<br />

werden, das sie nur verstehen könnten, wenn sie wenigstens einen Teil der Schritte, einschließlich<br />

der Irrtümer, <strong>die</strong> erst zur Schaffung <strong>die</strong>ses „Wissens“ geführt haben, nachvollzogen<br />

bzw. selber gegangen wären. 65<br />

Das Alltagsverständnis von Lernen bedingt <strong>die</strong> Ergebnisorientierung<br />

Im Alltagsverständnis bedeutet Lernen einfach <strong>die</strong> Aufnahme von Wissensinhalten in<br />

das Gedächtnis. Im Rahmen <strong>die</strong>ser Alltagstheorie des Lernens wird Wissen als Werkzeug<br />

betrachtet. Wie Werkzeuge in einem Schrank hält man das Wissen im Gedächtnis<br />

64<br />

65<br />

Vgl. ausführlich <strong>die</strong> Zusammenstellung der Befunde zur Wirksamkeit des naturwissenschaftlichen<br />

Unterrichts NOLTE-FISCHER 1989, S. 220 ff.<br />

Zum naturwissenschaftlichen Unterricht vgl. <strong>die</strong> Zusammenfassung der Ergebnisse bei NOLTE-<br />

FISCHER 1989, S. 220 ff., ferner WAGENSCHEIN 1970, S. 385-399. Zum Geschichtsunterricht vgl. BE-<br />

CKER/ HERKOMMER/ BERGMANN 1968; TESCHNER 1968.<br />

167


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

bereit, um es später bei Gelegenheit wieder hervorzuholen und alle möglichen Aufgaben<br />

damit zu lösen oder Dinge zu bauen (LEHNER 1979, S. 85 ff.).<br />

Die Alltagstheorie des Lernens hat unsere Bildungsinstitutionen durchdrungen und<br />

gleichsam imprägniert. Die Schule hat das Wissen zu vermitteln, das in Lehrplänen oder<br />

Bildungsstandards festlegt ist. Dieses Wissen wird für den Unterricht systematisch in<br />

<strong>auf</strong>einander bezogene Einheiten mit ihren jeweiligen Grundbegriffen oder Grundelementen<br />

und Regeln zerlegt und <strong>auf</strong>bereitet. Bei der Vermittlung versucht man in der Regel<br />

durch einfache Beispiele einen allgemeinen Eindruck des zu Lernenden zu erzeugen.<br />

Dadurch sollen auch <strong>die</strong> relevanten Wissensbereiche der Schüler aktiviert werden. In<br />

<strong>auf</strong>einander bezogenen Schritten wird dann der Stoff mit Erläuterungen dargeboten und<br />

zum besseren Behalten durch <strong>die</strong> Ausführung einer Reihe von Übungs<strong>auf</strong>gaben gespeichert<br />

und auch <strong>auf</strong> neue Aufgaben angewandt. 66 Die grundlegenden Probleme und Fragen,<br />

<strong>die</strong> zu bestimmten Erkenntnissen geführt haben, spielen dabei kaum eine Rolle.<br />

Denn im ergebnisorientierten Unterricht geht es nicht um <strong>die</strong> Hintergründe, um das<br />

"Warum", sondern um <strong>die</strong> schnelle und effektive Vermittlung der Ergebnisse kanonisierter<br />

wissenschaftlicher Ergebnisse. Die Aufgabe der Schüler ist es, den Stoff zu behalten<br />

und in der Prüfung zu reproduzieren.<br />

Geringe Leistungen durch Ergebnisorientierung<br />

Als wichtigste Folgen des ergebnisorientierten Unterrichts sind das häufig unzureichende<br />

Verständnis der Lerngegenstände, das deswegen schnelle Vergessen und <strong>die</strong> Beschränkung<br />

des Erwerbs von Problemlösefähigkeiten zu nennen. Klagen über bloße<br />

Wissensanhäufung in den Köpfen und das mangelnde Verständnis der Schüler werden<br />

insbesondere von Naturwissenschaftlern häufiger vorgebracht. So meinte schon MACH<br />

(1923, S. 344 f.): "Ich kenne nichts Schrecklicheres als <strong>die</strong> armen Menschen, <strong>die</strong> zuviel<br />

gelernt haben. Statt des gesunden kräftigen Urteils, welches sich vielleicht eingestellt<br />

hätte, wenn sie nichts gelernt hätten, schleichen ihre Gedanken ängstlich und hypnotisch<br />

einigen Worten, Sätzen und Formeln nach, immer <strong>auf</strong> denselben Wegen. Was sie besitzen,<br />

ist ein Spinnengewebe von Gedanken, zu schwach, um sich dar<strong>auf</strong> zu stützen, aber<br />

kompliziert genug, um zu verwirren ... Ich wäre zufrieden, wenn jeder ... einige wenige<br />

mathematische oder naturwissenschaftliche Entdeckungen sozusagen miterlebt und in<br />

ihre weiteren Konsequenzen verfolgt hätte."<br />

66<br />

Eine didaktisch geschickte Strategie bieten auch GRELL/ GRELL 1979, S. 103 ff.<br />

168


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Eine weitere Folge ergebnisorientierten Unterrichts ist <strong>die</strong> Entstehung großer Leistungsdifferenzen.<br />

Vor allem <strong>die</strong> in einem Fach leistungsschwächeren Schüler verfügen nur<br />

über begrenzte Möglichkeiten, den dargebotenen Unterrichtsstoff im Rahmen der eigenen<br />

Wissensstrukturen zu interpretieren. Weil sie nur wenig verstehen, erleben sie Inkompetenzgefühle.<br />

Die erfahrene Inkompetenz kann zu Unmut führen. Bei Häufung der<br />

Inkompetenzerlebnisse geraten <strong>die</strong>se Schüler letztlich in einen Misserfolgszirkel. Die<br />

sich dadurch <strong>auf</strong>stauende Frustration macht Disziplinprobleme wahrscheinlich. Aufgrund<br />

der erlebten Selbstwertbedrohung verhalten sich Schüler nicht mehr erwartungskonform.<br />

Sie können beispielsweise versuchen, <strong>die</strong> nötigen Erklärungen von Mitschülern<br />

zu erhalten, sie können aber auch aggressiv reagieren, am Ende sogar resignieren<br />

und <strong>die</strong> Beteiligung am Unterricht weitgehend einstellen.<br />

Aber auch leistungsfähige Schüler werden in ihren Möglichkeiten beschränkt. Weil sie<br />

<strong>die</strong> Zusammenhänge an der Oberfläche schnell verstehen und <strong>die</strong>ses Verständnis für <strong>die</strong><br />

Prüfungen ausreicht, stellen sie weitergehende Fragen dann auch kaum. Nur wem es<br />

gelingt durch zusätzliche Anregungen, seien es Gespräche mit Eltern, Filme oder populärwissenschaftliche<br />

Bücher, <strong>die</strong> Gegenstände selbst zu untersuchen und sie dadurch<br />

immer wieder mit den eigenen Vorstellungen zu vergleichen und letztere dadurch anzupassen<br />

und zu korrigieren, wird trotz ergebnisorientierten Unterrichts ein differenziertes<br />

und tief schürfendes Wissen gewinnen. Diese Schüler können dann Pläne oder Handlungsmöglichkeiten<br />

für sich erkennen und Interessen entwickeln. Mit wachsender Einsicht<br />

in <strong>die</strong> Zusammenhänge bringen sie immer mehr Arbeit für <strong>die</strong> Gegenstände ihres<br />

Interesses <strong>auf</strong>.<br />

Das breite Mittelfeld der Schüler wird vermutlich nur lernen, <strong>auf</strong> mehr oder weniger<br />

clevere Weise befriedigende Leistungen im vorgegebenen Rahmen zu erbringen. Dafür<br />

sprechen <strong>die</strong> zahlreichen Befunde, nach denen das Verständnis naturwissenschaftlicher<br />

Phänomene bei der Mehrheit der Schüler von mechanisch angewandtem und häufig<br />

falsch reproduziertem Formelwissen geprägt ist (vgl. dazu FISCHER-NOLTE 1989).<br />

Das falsche Ideal der Fehlervermeidung<br />

Wenn nach der ergebnisorientierten Auffassung jede Abweichung vom Standard oder<br />

einer bestimmten Lehrmeinung als Fehler zu interpretieren ist, bedeutet das für den<br />

Schüler, dass er den Stoff solange nicht richtig beherrscht, als er <strong>auf</strong> Fragen dazu keine<br />

vollkommen oder wenigstens nahezu vollkommen fehlerfreien Antworten geben kann.<br />

169


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Außerdem lässt sich feststellen, in welchem Grade etwas perfekt gelernt worden ist. Der<br />

feststehende Lehrstoff gilt demnach als sicherer und im Grunde undiskutierbarer Maßstab,<br />

und es entsteht eine Art Ideal der Fehlerfreiheit bzw. der Fehlervermeidung.<br />

Um bei Schülern eine möglichst gute Beherrschung des Wissens zu gewährleisten, wird<br />

es als sinnvoll betrachtet, den Stand ihrer Wissensaneignung zu kontrollieren, weil man<br />

dann gegebenenfalls gezielt eingreifen und rechtzeitig Korrekturen vornehmen kann.<br />

Daraus folgt, dass <strong>die</strong> Möglichkeiten von Schülern, selbständig Entdeckungen zu machen<br />

als wenig sinnvoll betrachtet werden, weil sie dann sehr viele unnötige Fehler machen<br />

würden. Im Sinne des Ideals der Fehlervermeidung erscheint es vielmehr bedeutsam,<br />

bei Abweichungen vom Standard sofort zu korrigieren. Das ist für viele Schüler<br />

mit starken Frustrationen verbunden. Nicht wenige verlieren <strong>die</strong> Lust an den Bereichen,<br />

in denen sie „Fehler“ machen und geben <strong>auf</strong>, statt im freien Umgang mit den Dingen<br />

ihre Talente zu entdecken und zu entfalten.<br />

Allerdings kann <strong>die</strong> Ergebnisorientierung auch eine Art pervertierter Befriedigung gewähren.<br />

Hat man erst einmal <strong>die</strong> der Ergebnisorientierung zugrunde liegenden Überzeugungen<br />

angenommen, dann bietet sie ein fest gefügtes Weltbild, an das man sich halten<br />

kann. Als Lehrer und Vorgesetzter gewinnt man zudem eine gewisse Macht, <strong>die</strong> in der<br />

Kontrolle oder Überwachung der „Unwissenden“ besteht.<br />

Auslese / Wettbewerb<br />

Die <strong>Institution</strong>alisierung der Leistungsauslese ist besonders problematisch, weil dadurch<br />

<strong>die</strong> Aufgaben der Schule schwerpunktmäßig <strong>auf</strong> das Lehren und Zensieren festgelegt<br />

werden. Die Aufgabe des Leistungsvergleichs erfordert eine Organisation, <strong>die</strong> das Lernen<br />

im Gleichschritt und damit <strong>die</strong> Lenkung des Unterrichts durch den Lehrer, <strong>die</strong> Orientierung<br />

an den Vorgaben des Lehrplans oder den Erfordernissen der Bildungsstandards<br />

bedingen. Weitere Folgen sind regelmäßige Klausuren, Notenkonferenzen, Zeugnisse<br />

mit ihren Konsequenzen für Versetzungen usw. Das allgemeine Bild von Schule<br />

und Unterricht ist – und zwar überall <strong>auf</strong> der Welt – entscheidend durch <strong>die</strong>se Faktoren<br />

geprägt. Die Bewertung der Ergebnisse des Lernens soll nach allgemeiner Auffassung zu<br />

hohen Leistungen stimulieren und der Auswahl der Besten <strong>die</strong>nen, was aber nicht wirklich<br />

funktioniert – wie weiter unten noch ausgeführt werden wird. Tatsächlich ist der<br />

Grundsatz des Leistungsvergleichs ein Kennzeichen von Schulen, <strong>die</strong> gerade keine überragenden<br />

Leistungen erbringen.<br />

170


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Leistungsvergleiche suggerieren Lehrern, Schülern, Eltern und der Öffentlichkeit zumeist,<br />

Wettbewerb sei das geeignetste Mittel zum Erfolg. Wettbewerbsgesellschaften<br />

seien schließlich am erfolgreichsten. Das ist aber ganz offensichtlich eine kurzschlüssige<br />

Auffassung. Denn <strong>die</strong> Auswahl von jungen Menschen in der Schule ist nicht vergleichbar<br />

mit der Auswahl der besten Mitarbeiter beispielsweise für ein Unternehmen. Während<br />

ich im Unternehmen wirklich nur <strong>die</strong> „Besten“ behalte, verbleiben beim Auswahlprozess<br />

in der Schule <strong>die</strong> Erfolglosen weiterhin sowohl in der Schule. Auch wenn <strong>die</strong><br />

Schule den schlechtesten Schülern jedes Jahr bestätigt, dass sie unfähig sind, ist es unmöglich<br />

<strong>die</strong>se jungen Menschen aus der Gesellschaft auszuscheiden. Der Wettbewerb<br />

kann allerdings ein Mittel sein, um im Hinblick <strong>auf</strong> bestimmte Kriterien erfolgreichere<br />

Schulsysteme von weniger erfolgreichen zu unterscheiden, wie das derzeit beispielsweise<br />

durch <strong>die</strong> internationalen Untersuchungen von Schulen und Schülerleistungen durch<br />

<strong>die</strong> OECD geschieht. Und dabei zeigt sich, dass jene Systeme erfolgreicher sind, <strong>die</strong><br />

dem Prinzip der Leistungsauslese weniger Bedeutung beimessen.<br />

Allerdings sind <strong>die</strong> Unterschiede zwischen den Schulen verschiedener Nationen bei weitem<br />

nicht so groß, wie es in den Me<strong>die</strong>n den Anschein hat. Das liegt vor allem daran,<br />

dass <strong>die</strong> Schulsysteme aller Länder sich immer noch stark ähneln. Trotz aller äußerlichen<br />

Unterschiede ähneln sich <strong>die</strong> Schulsysteme fast aller Nationen. Fast überall sind <strong>die</strong><br />

Kriterien der Unterrichtslenkung durch den Lehrer, <strong>die</strong> Orientierung an Lehrplänen oder<br />

Bildungsstandards und ständige Leistungsvergleiche der Schüler untereinander anzutreffen.<br />

Erst allmählich und in wenigen Staaten beginnt ein Prozess des Umdenkens.<br />

Nach wie vor sind <strong>die</strong> Schulsysteme der meisten Nationen nach dem Muster des zu seiner<br />

Zeit so erfolgreichen staatlichen Schulsystems, das WILHELM V. HUMBOLDT (1957,<br />

S. 21 ff.) in Preußen <strong>auf</strong>gebaut hat, organisiert. Dabei hatte sich Humboldt zunächst entschieden<br />

gegen ein öffentliches Schulwesen gewandt, weil es „<strong>die</strong> Mannigfaltigkeit der<br />

Ausbildung hindert“ und weil es unnütz sei, da es einer freien Nation „an guter Privaterziehung<br />

nicht fehlen wird“. Öffentliche Erziehung schien Humboldt daher „ganz außerhalb<br />

der Schranken zu liegen, in welchen der Staat seine Wirksamkeit halten muss.“ 67<br />

Aber <strong>auf</strong>grund der Schwierigkeiten Preußens während der Napoleonischen Kriege und<br />

der Erfordernisse der Landesverteidigung hat er <strong>die</strong>sen Standpunkt dann zugunsten eines<br />

starken, organisierten Staates mit einem hoheitlich gelenkten Schulwesen, <strong>auf</strong>gegeben.<br />

67<br />

WILHELM VON HUMBOLDT: Ideen zu einem Versuch, <strong>die</strong> Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu<br />

bestimmen. In: Wilhelm von Humboldt. Auswahl und Einleitung von Heinrich Weinstock, Frankfurt:<br />

Fischer TB 1957, S.21 ff.<br />

171


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Leistungswettbewerb schädigt <strong>die</strong> Psyche<br />

Die schulische Leistungsbewertung erfolgt anhand der Leistungen bei gleichen Aufgaben.<br />

Dabei wird der Einzelne in der Regel im Vergleich zur Klassennorm (in manchen<br />

Ländern auch zur Jahrgangsnorm) bewertet. Die Aufgaben sollen dabei einen Schwierigkeitsgrad<br />

<strong>auf</strong>weisen, bei dem nur sehr wenige Schüler fehlerfreie Leistungen erzielen<br />

und auch nur sehr wenige Schüler versagen. Das Ergebnis soll also einer statistischen<br />

Normalverteilung nahe kommen, d.h. es gibt immer eine Menge mittelmäßiger Leistungen,<br />

einen kleinen Teil guter und sehr guter sowie einen weiteren kleinen Teil schlechter<br />

und sehr schlechter Leistungen.<br />

Da es bei gruppennormbezogener Leistungsmessung immer nur um <strong>die</strong> Position eines<br />

Schülers innerhalb <strong>die</strong>ser Verteilung gehen kann, bedeutet der Wettbewerb um Noten für<br />

viele Schüler einen hohen Leistungsdruck, bei dem der Einzelne in Konkurrenz zu seinen<br />

Mitschülern steht. Wem es gelingt, einen besseren Platz einzunehmen, verdrängt<br />

damit notwendig einen anderen. Erfolg "ist immer nur <strong>auf</strong> Kosten anderer zu erreichen,<br />

... man kann immer nur gewinnen, wenn andere verlieren" (FEND U.A. 1976, S. 186).<br />

Man kann nun – wie man es ja auch oft hört – argumentieren, dass <strong>die</strong>s doch <strong>die</strong> ideale<br />

Vorbereitung <strong>auf</strong> das Leben in der Konkurrenzgesellschaft sei. Die Schüler würden daran<br />

gewöhnt, dass sie Leistungen zu erbringen hätten, andernfalls würden sie sich gar<br />

nicht anstrengen. Wenn das zuträfe, dann müssten Schüler von Montessori- oder Jena-<br />

Plan-Schulen, in denen keine Noten vergeben werden, leistungsscheu oder zumindest<br />

weniger gut an das Leben in der Konkurrenzgesellschaft angepasst sein. Das ist aber<br />

nicht der Fall. Abgänger <strong>die</strong>ser Schulen sind offenbar nicht weniger lebenstüchtig als<br />

Schüler, <strong>die</strong> schon früh Leistungs- und Konkurrenzdruck in der Schule erlebt haben<br />

68 .Darüber hinaus haben Leistungsbewertungen und –vergleiche aber noch eine Reihe<br />

anderer, überaus ungünstiger Nebenwirkungen.<br />

Die Traumatisierung schwacher Schüler<br />

Eine Wirkung des schulischen Leistungswettbewerbs ist, dass das Selbstwertgefühl der<br />

schlechteren Schüler sinkt. Diese Schüler bemerken bald, dass <strong>auf</strong>grund des Systems am<br />

Ende doch immer <strong>die</strong> gleiche Verteilung in gute und schlechte Schüler herauskommen<br />

muss. Sind sie in den ersten Schuljahren noch überzeugt, dass gute Leistungen durch<br />

Anstrengung zu erzielen sind, gehen sie spätestens ab der fünften Klasse davon aus, dass<br />

68<br />

Vgl. hierzu <strong>die</strong> grundlegenden Erörterungen von LEWIN 1931.<br />

172


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

eher externe und interne Faktoren, <strong>die</strong> von ihnen nicht beeinflusst werden können, wie<br />

Glück, Begabung oder Intelligenz, dafür verantwortlich sind (vgl. RIES 1991).<br />

Dieses Wissen beeinflusst das Selbstwertgefühl der Schüler negativ (vgl. COVINGTON<br />

1984; HARTER 1987). Es zerstört - wie BLOOM (1968, S. 1) ausführt - "systematisch das<br />

Ich und das Selbstkonzept einer relativ großen Gruppe von Schülern, ... <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schule<br />

unter Bedingungen besuchen, <strong>die</strong> für sie enttäuschend und demütigend sind. Die Kosten<br />

eines solchen Systems sind sehr hoch; sie liegen in einer Verminderung der Bereitschaft<br />

für späteres Lernen" und in der Beeinträchtigung oder Gefährdung der psychischen Gesundheit<br />

(vgl. BLOOM 1976, S. 157 ff. ähnlich BERRY 1990; NICHOLLS 1990; HOLLER/<br />

HURRELMANN 1991).<br />

Die Erfolglosigkeit der "schlechten" Schüler erzeugt und stärkt Unterlegenheitsgefühle<br />

und führt zu Angst vor Misserfolg. Um weitere Misserfolgserlebnisse zu vermeiden,<br />

strengen manche der Schüler sich zunehmend weniger an. Denn würden sie sich anstrengen<br />

ohne am Ende erfolgreich zu sein, dann müssten sie ihrer Ansicht nach ja eingestehen,<br />

dass ihr Misserfolg durch mangelnde Fähigkeiten verursacht wäre. Misserfolge<br />

ohne Anstrengung sind weit weniger bedrohlich für ihr Selbstwertgefühl, denn immerhin<br />

hätten sie sich ja anstrengen können. In der Folge jedoch sinken <strong>die</strong> Leistungen<br />

solcher Schüler zunehmend, sie geraten in einen Misserfolgsstrudel, und das führt zu<br />

steigender Unzufriedenheit (vgl. AMES 1981, 1984; SCHUCH 1982).<br />

Die Lage des "Schulversagers" ist nahezu aussichtslos. Niemand erwartet mehr, dass er<br />

zu etwas fähig ist. Er wird von anderen abgewertet, und er wertet sich selber ab. Er verliert<br />

<strong>die</strong> Lust am Lernen und an der Mitarbeit (vgl. HÖHN 1980). Wenn der schulische<br />

Leistungsvergleich zu einer subjektiv starken sozialen Abwertung leistungsschwächerer<br />

Schüler führt und wenn <strong>die</strong>se Schüler in einem Elternhaus leben, das ihnen keinen Ausgleich<br />

und keine Hilfe bietet, sondern <strong>die</strong> Abwertung eher noch verstärkt, werden <strong>die</strong>se<br />

Schüler nicht selten in eine Randgruppenposition gedrängt (vgl. MILLER 1956; RICK<br />

1961).<br />

Hilflosigkeit und Lageorientierung<br />

Hoher Leistungs- und Konkurrenzdruck stellt immer eine Bedrohung des Selbstwerts<br />

dar. Schließlich kann jeder einmal verlieren. Und nicht wenige verlieren notgedrungen.<br />

Diese Schüler haben das Gefühl, durch eigene Anstrengung nichts bewirken zu können<br />

und von den Umständen bestimmt zu werden. Im Unterricht sind sie daher kaum motiviert.<br />

So werden sie leicht zu Problemfällen und verlieren ihre Handlungsorientierung<br />

173


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

oder eine bereits bestehende Lageorientierung wird noch weiter verstärkt. Sie werden<br />

aber nicht nur hilflos gegenüber der konkreten schulischen Situation, <strong>die</strong> sie nicht zu<br />

ändern vermögen, sondern <strong>die</strong>se erlernte Hilflosigkeit weitet sich aus <strong>auf</strong> andere Situationen<br />

(vgl. SELIGMAN 1975). In gewisser Weise kann man sogar sagen, dass das schulische<br />

Leistungssystem viele Schüler lebensuntüchtig macht.<br />

Denn wenn Schüler in Wettbewerbssituationen versagen, fragen sie weniger, wie sie es<br />

anders machen könnten, sondern eher, ob sie unfähig sind oder warum immer sie solches<br />

Pech haben. Sie fühlen sich unwohl, geben leicht <strong>auf</strong> oder reagieren passiv und mit Ü-<br />

berlegungen zu ihrer Lage, statt sich mit Handlungsmöglichkeiten zu befassen (vgl. EL-<br />

LIOT / DWECK 1988; NICHOLLS 1983, S. 216).<br />

Diese Einstellung wird noch dadurch verstärkt, weil Schüler unter Wettbewerbsbedingungen<br />

ungern um Hilfe fragen. Denn um Hilfe fragen bedeutet, dass sie nicht wirklich<br />

gut sind. Wenn Lehrer oder Mitschüler ihnen helfen, hat <strong>die</strong>s den gleichen Effekt; sie<br />

empfinden sich dann in höherem Maß als weniger fähig, weil offensichtlich wird, dass<br />

sie <strong>auf</strong> Hilfe angewiesen sind. Täuschung erscheint dagegen als ein akzeptableres Mittel<br />

(vgl. NICHOLLS 1983). Letztlich glauben solche Schüler dann nicht mehr daran, dass sie<br />

selbst etwas an ihrer Lage ändern können. Sie verstricken sich in Gedanken über ihr<br />

immerwährendes Pech, ihr Unglück und alle eigenen Handlungsmöglichkeiten zerrinnen<br />

(vgl. KUHL 1984).<br />

Förderung negativer Charaktereigenschaften<br />

Die Einstufung der Schüler in verschiedene Intelligenz- oder Fähigkeitsgrade regt in<br />

hohem Maße zu Vergleichen hinsichtlich der eigenen sozialen Lage an: "Ich bin besser<br />

als der und der", "ich bin schlechter als ...", "ich bin so gut wie ..." usw. Die Schüler sehen<br />

<strong>auf</strong> sich selbst, sie sind oder werden in hohem Maße Ego-orientiert. Bei Ego-<br />

Orientierung wird Wissen insbesondere von den guten Schülern als Mittel betrachtet, mit<br />

dem man sich als klug darstellen, Macht ausüben oder vermeiden kann, dass man als<br />

dumm gelten könnte. Die Aufmerksamkeit ist mehr <strong>auf</strong> das eigene Ich als <strong>auf</strong> den Lerngegenstand<br />

gerichtet (vgl. NICHOLLS 1983).<br />

Dabei wird Erfolg dann <strong>auf</strong> gute Befähigung oder Begabung und Misserfolg <strong>auf</strong> Dummheit<br />

oder mangelnde Begabung zurückgeführt. Also kommt es dar<strong>auf</strong> an, zu zeigen, dass<br />

man besser ist, dass man andere übertrifft und sie mit seiner Begabung "schlagen" kann<br />

(vgl. NICHOLLS 1990, S. 38).<br />

174


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Andere Nebenwirkungen bestehen darin, dass jeder vor allem den eigenen Vorteil im<br />

Auge hat und <strong>die</strong> Bereitschaft zur Kooperation abnimmt. Es entstehen Neid <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Leistungen<br />

der Besseren und Abschätzigkeit gegenüber schwächeren Schülern.<br />

Ego-Orientierung statt Sach-Orientierung<br />

Weil schulische Wettbewerbssituationen Belohnungen und Bedrohungen in komplexer<br />

Vernetzung implizieren, werden <strong>die</strong> Empfindungen und Überlegungen der Schüler <strong>auf</strong><br />

Vor- und Nachteile ihrer Handlungen gelenkt. Nicht so sehr <strong>die</strong> Gegenstände des Lernens,<br />

sondern vor allem das Ego des Schülers steht im Mittelpunkt. Aus der Sicht des<br />

ego-orientierten Schülers ist Schule eine <strong>Institution</strong>, "in der ich im Vergleich mit anderen<br />

beurteilt werde". Im Unterricht, vor dem Lehrer, den Mitschülern geht es darum,<br />

"dass ich eine gute Figur mache, dass ich nicht als unfähig erscheine" usw. Indem Wettbewerbssituationen<br />

Selbstbewertungen induzieren, stärken sie <strong>die</strong> Ego-Orientierung<br />

(vgl. NICHOLLS 1983, S. 215, AMES / FELKNER 1979.).<br />

Bei Schülern, für <strong>die</strong> Wettbewerbssituationen Bedrohungen darstellen, haben ego-orientierte<br />

Schutzmechanismen zur Erhaltung des Selbstwertgefühls langfristig negative Effekte.<br />

An <strong>die</strong> Stelle des Sachinteresses treten Ich-Orientierung und Anstrengungs-<br />

Vermeidungs-Orientierung. Auch wenn den Schülern klar ist, welche große Bedeutung<br />

<strong>die</strong> Noten für ihr weiteres Leben haben, möchten sie <strong>die</strong> Schule mit wenig möglichst<br />

wenig Aufwand hinter sich bringen, weil sie das, was sie dort lernen müssen, einfach<br />

nicht interessiert. Tatsächlich würden sie gern nützliche Dinge lernen und ihre Leistungen<br />

verbessern (vgl. ECKERLE/ KRAAK 1993, S. 37), aber unter den gegebenen schulischen<br />

Bedingungen schaffen sie das einfach nicht und verschieben daher alles <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

Zukunft. Dennoch sind sie überzeugt, eigentlich mehr leisten zu können, wenn sie nur<br />

wollten (vgl. ECKERLE/ KRAAK 1993, S. 139). Sie wollen also durchaus lernen, aber der<br />

Konkurrenzkampf raubt den meisten <strong>die</strong> Kraft und das Interesse.<br />

Charakterbildung bei leistungsfähigen Schülern<br />

Es ist nun aber nicht so, dass nur <strong>die</strong> schwachen Schüler unter Wettbewerbsbedingungen<br />

leiden. Die „guten“ Schüler werden ebenfalls beeinträchtigt, wenn auch weniger in ihren<br />

Leistungen. Zwar behalten sie <strong>auf</strong>grund ihrer Erfolgserlebnisse <strong>die</strong> handlungsorientierte<br />

Grundhaltung, aber da auch sie unter Wettbewerbsbedingungen immer scheitern können,<br />

immer auch einmal als Verlierer dastehen können, meiden sie jedes Risiko, suchen sie<br />

den Erfolg, d.h. <strong>die</strong> Belohnung an sich, unabhängig vom Gegenstand oder ihrem Interesse.<br />

Dabei verlieren sie sich selbst, ihre Interessen und ureigensten Ziele. Es geht ihnen<br />

175


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

mehr als alles andere darum, besser als andere zu sein und Anerkennung für Leistungen<br />

zu erhalten. Die Arbeit an der Sache verliert ihren intrinsischen Wert. Dafür gewinnen<br />

äußere Werte wie Erfolg und damit verknüpfte Konsequenzen wie Anerkennung und<br />

Gratifikationen immer mehr an Bedeutung (vgl. Nicholls 1983).<br />

Solche Dispositionen tragen nicht nur in der Schule, sondern auch später im Berufsleben<br />

zur Entstehung von Konflikten bei und erschweren <strong>die</strong> ernsthafte Diskussion von Sachfragen.<br />

Vor allem muss es doch bedenklich sein, wenn Menschen ihre größte Befriedigung<br />

in Erfolgen finden und den Inhalt oder Zusammenhang, in dem <strong>die</strong>se Erfolge gewonnen<br />

werden, nicht weiter wichtig erscheinen. Wer sich selbst verliert und nur noch<br />

dar<strong>auf</strong> aus ist, Aufgaben effizient auszuführen und dabei im Wesentlichen von der Hoffnung<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Verbesserung seiner Position geleitet wird, wird sich am Ende für ziemlich<br />

beliebige Zwecke einspannen lassen.<br />

So gewinnen Schüler unter den üblichen schulischen Bedingungen des Leistungswettbewerbs<br />

ein Weltbild, in dem andere als potentielle Konkurrenten betrachtet werden, mit<br />

denen Kooperation nicht gesucht wird. Man kann Freunde in der Schule haben, aber<br />

man kann nicht einfach füreinander da sein und sich helfen. Die Frage nach Zusammenarbeit<br />

mit anderen Schülern stößt <strong>auf</strong> eine reservierte Haltung, ebenso wie <strong>die</strong> Frage, ob<br />

man Anerkennung von ihnen erwarte. "Die Frage nach der Zusammenarbeit scheint so<br />

erlebt zu werden, als ob in <strong>die</strong> persönlichen Beziehungen der Schüler gleichsam verunreinigend<br />

schulische Beimischungen eingetragen würden." Zusammenarbeit ist für <strong>die</strong><br />

Schüler "kein Wert, der sich aus schulischen Situationen ergibt" (ECKERLE/ KRAAK<br />

1993, S. 136). Man ist zusammen mit Freunden und man arbeitet auch mit ihnen. Solche<br />

Freundschaftsbeziehungen entstehen durchaus in der Schule, aber das hat nichts mit geforderter<br />

Kooperation zu tun. Kooperation ist für <strong>die</strong> Schüler nur <strong>auf</strong> einer freundschaftlichen<br />

Grundlage möglich. Schulische Kooperation dagegen ist für sie ein Widerspruch<br />

in sich selbst, denn in der Schule geht es um Wettbewerb, nicht um Zusammenarbeit.<br />

Nur Freunde tragen zur Erhaltung des Selbstwerts bei, von ihnen hat man nichts zu befürchten.<br />

Man versucht jedes Risiko einer Abwertung des Selbst zu begegnen. Deshalb<br />

kann auch nur <strong>die</strong> Anerkennung von Freunden zählen und nicht <strong>die</strong> irgendwelcher Mitschüler<br />

(vgl. ECKERLE/ KRAAK 1993, S. 137).<br />

Wettbewerb, das bedeutet für <strong>die</strong> Schüler, dass sie ihren Weg in einer im Grunde feindlichen<br />

Welt gehen müssen, dass sie sich behaupten und durchsetzen müssen. Nicht nur<br />

<strong>die</strong> Schule ist so organisiert, sondern alle gesellschaftlichen <strong>Institution</strong>en. Der Rückzug<br />

176


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

ins Private <strong>auf</strong> eher als gesichert betrachtete Positionen liegt da nahe. Im begrenzten<br />

Bereich der Familie und Freunde glaubt man sich am sichersten. Situationen in <strong>die</strong>sen<br />

Bereichen glaubt man am ehesten so bewältigen zu können, dass <strong>die</strong> Erhaltung des<br />

Selbstwerts gesichert ist. "Freunde haben" und "ein gutes Zusammenleben in der Familie"<br />

stellen für <strong>die</strong> Schüler denn auch <strong>die</strong> höchsten Werte dar (vgl. ECKERLE/KRAAK<br />

1993, S. 69). So gesehen, kann es kaum verwundern, wenn <strong>die</strong> Schüler "Menschlichkeit<br />

in unserer Gesellschaft" nur in geringem Maß für gegeben halten und sie nicht mehr<br />

glauben, dass <strong>die</strong> Zukunft eine Besserung bringt (vgl. ECKERLE/KRAAK 1993, S. 71 f.)<br />

Lehrer-Schüler-Interaktion<br />

Die Lehrer- Schüler-Beziehung wird durch gegenseitige Erwartungen geformt und verändert.<br />

Dabei prägen <strong>die</strong> institutionellen Rahmenbedingungen, <strong>die</strong> eher Verwaltungs- als<br />

pädagogische Gesichtspunkte betonen, <strong>die</strong>se Erwartungen in hohem Maße mit. Spätestens<br />

ab der Mittelstufe scheinen Schüler staatlicher Regelschulen <strong>die</strong> Vermittlung fertiger<br />

Wissensinhalte zu bevorzugen. Lehrer, <strong>die</strong> dazu "<strong>auf</strong>fordern 'darüber nachzudenken'<br />

oder etwas 'selbst herauszufinden'" gelten als unbeliebt. Die Lehrer ihrerseits "zeigen ein<br />

Ausweichen des Pädagogen <strong>auf</strong> das Feld des Fachwissenschaftlers, dem allein durch<br />

Wissensüberlegenheit auch <strong>die</strong> Entscheidungsmacht über Unterrichtsinhalt und -form<br />

zuwachsen muß" (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 142).<br />

Weil große Anstrengungen unter Wettbewerbsbedingungen eher als Hinweis <strong>auf</strong> eher<br />

geringe Fähigkeit gewertet werden, erzeugt es eher Unzufriedenheit bei Schülern, wenn<br />

Lehrer fordern, dass sie hart arbeiten sollen, um etwas zu können oder zu verstehen (vgl.<br />

AMES 1978; 1981; AMES / AMES 1978; AMES / AMES / FELKNER 1977). Letztlich kommt<br />

es dann doch nur dar<strong>auf</strong> an, ein irgendwie ein akzeptables Ergebnis vorzuweisen. Schüler,<br />

<strong>die</strong> irgendwann angefangen haben, sich <strong>auf</strong> auswendig gelernte Antworten zu verlassen,<br />

werden dadurch am Ende immer unfähiger, Zusammenhänge zu verstehen, und ihre<br />

Leistungen verschlechtern sich rapide (vgl. NOLEN 1988). Wenn der Lehrer dar<strong>auf</strong>hin<br />

nur geringer Leistungen von <strong>die</strong>sen Schülern erwartet, wird er sie mit einfachen Aufgaben<br />

und eindeutigen Lösungs-Schemata konfrontieren, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Schüler noch stärker zu<br />

reproduktivem Lernen verleiten. Außerdem tragen genaue Anweisungen, wie Aufgaben<br />

zu lösen sind, zu unselbständigem Lernen bei. Die Schüler verlassen sich dann stärker<br />

<strong>auf</strong> den Lehrer als selbst Strategien zu entwickeln und zu erproben (vgl. CORNO/ ROHR-<br />

KEMPER 1985)<br />

177


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Wettbewerb um Noten als Disziplinierungsmittel<br />

Der Leistungswettbewerb <strong>die</strong>nt der Selektion und damit der Zuteilung von Lebenschancen<br />

(SCHELSKY 1957). Diese Funktion erkennen <strong>die</strong> Schüler bereits früh, schon weil <strong>die</strong><br />

Eltern in aller Regel großen Wert <strong>auf</strong> gute Noten legen. „Wenn du schlechte Noten hast,<br />

wird auch im Leben nichts aus dir“, heißt es dann. Wegen <strong>die</strong>ses Drucks erscheinen Noten<br />

als probates Mittel der Disziplinierung. Man kann den Schüler damit sozusagen "in<br />

<strong>die</strong> Zange nehmen". Der eine Hebel besteht in der Hoffnung <strong>auf</strong> gute Noten, der andere<br />

in der Furcht vor schlechten Noten bzw. in der Versagung guter Noten.<br />

Wenn der Wettbewerb um Noten, d.h. einerseits <strong>die</strong> Furcht vor schlechten und andererseits<br />

<strong>die</strong> Hoffnung <strong>auf</strong> gute Noten, der Disziplinierung der Schüler <strong>die</strong>nt, dann tangieren<br />

<strong>die</strong> dadurch ausgelösten Erwartungen den Selbstwert der Schülers ganz zentral. Und<br />

zwar nicht nur innerhalb der Unterrichtssituation, sondern auch für <strong>die</strong> Beziehung zu den<br />

Eltern und für <strong>die</strong> Zukunft des Schülers. Kommen weitere erschwerende Faktoren wie<br />

ein stark kontrollierender, <strong>die</strong> Schülerinteressen vernachlässigender oder chaotischer<br />

Unterricht und weitgehende Ergebnisorientierung hinzu, wird das Klima der Klasse,<br />

wenn nicht der ganzen Schule äußert negativ beeinflusst (vgl. JERUSALEM/SCHWARZER<br />

1991, S. 121 ff.). Als Folge des negativen Klassenklimas fühlen sich weder Schüler noch<br />

Lehrer in der Schule wirklich wohl (vgl. VIERLINGER1990, S. 53 f.). Die Lernbereitschaft<br />

und Disziplin eines großen Teils der Schüler entwickelt sich dadurch eher ungünstig,<br />

und statt konstruktiver Mitarbeit kann sich eine destruktive Haltung ausbreiten.<br />

Schüler können sich durch Störungen des Unterrichts für ihr verletztes Selbstwertgefühl<br />

am Lehrer zu "rächen" suchen. Um aber unangenehme Konsequenzen zu umgehen, lassen<br />

insbesondere schwache Schüler ihren Unmut nicht selten gerade an den Lehrern aus,<br />

<strong>die</strong> ihnen wohl gesonnen sind. Oder sie suchen sich heimlich durch Zerstörung von Gegenständen<br />

(Vandalismus) in und außerhalb der Schule Genugtuung zu verschaffen,<br />

oder indem sie Gruppen beitreten, <strong>die</strong> genauso verpönt sind sich ebenfalls abgelehnt und<br />

ausgeschlossen fühlen. Manche werden auch in Drogen ausweichen, <strong>die</strong> ein stressfreies,<br />

nicht selbstwertbedrohtes Rückzugsgebiet zu bieten scheinen. So wird ein Teil der Schüler,<br />

<strong>die</strong> ja durchaus etwas hätte leisten können und leisten wollen, an den Rand der Gesellschaft<br />

gedrängt.<br />

Es ist aber durchaus möglich, solche Konsequenzen zu vermeiden, indem man <strong>die</strong> Schüler<br />

<strong>auf</strong> den Gebieten fördert, für <strong>die</strong> sie ein gewisses Interesse <strong>auf</strong>bringen. In <strong>die</strong>sem Fall<br />

stünden <strong>die</strong> Schüler kaum in Konkurrenz zueinander, und sie könnten kooperieren, um<br />

sich gegenseitig fit zu machen für das Leben, um Nischen zu finden und für Wettkämpfe<br />

178


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

gut gerüstet zu sein. Auch wenn es natürlich immer Leistungsunterschiede gibt, ist es<br />

doch etwas anderes, ob man frühzeitig im Hinblick <strong>auf</strong> einen schmalen Ausschnitt von<br />

Fähigkeiten Auslese betreibt, oder ob man individuelle Fähigkeitsprofile und Interessen<br />

anerkennt und fördert. Die dabei zu erreichenden Leistungen übertreffen jene, <strong>die</strong> unter<br />

Auslesebedingungen entstehen, bei weitem.<br />

Wie <strong>die</strong> Schüler sich selber helfen<br />

Das übergeordnete Ziel jeden Schülers ist der Erhalt seines Selbstwerts. Das ist einerseits<br />

durch Zugehörigkeit zur Gruppe und andererseits durch Selbständigkeit möglich.<br />

Von daher ist es verständlich, wenn <strong>die</strong> Schüler im Interesse der Zugehörigkeit zu ihrer<br />

Gruppe versuchen, jeden der nicht ohnehin schon außerhalb der Gruppe steht, das Gesicht<br />

wahren zu lassen. Das bedeutet keineswegs, dass innerhalb der Klasse enge oder<br />

freundschaftliche Beziehungen bestehen müssten. Aber wenn <strong>die</strong> Schüler im Wesentlichen<br />

am eigenen Durchkommen interessiert sind, und dazu gehört ein erträgliches<br />

Selbstwertgefühl, ist es einfacher, wenn man offene Gegnerschaft bzw. offenen Wettbewerb<br />

vermeidet. Denn das würde für <strong>die</strong> meisten Nachteile mit sich bringen. Gute Schüler<br />

würden sich womöglich einer breiten Front von Schwächeren gegenübersehen, <strong>die</strong><br />

mit unfairen Mitteln versuchen könnten, sie unter Druck zu setzen. Schlechte Schüler<br />

dagegen würden offen <strong>auf</strong> ihr Versagen <strong>auf</strong>merksam gemacht und abgewertet.<br />

Um das Klima nicht noch weiter zu verschlechtern, ist es für gute Schüler vorteilhafter,<br />

sich so darzustellen, als wäre es ihnen nicht besonders wichtig, dass sie besser sind. Auf<br />

<strong>die</strong>se Weise können sie ihre Beliebtheit bei anderen sogar noch steigern. Schlechtere<br />

Schüler haben es schwerer. Sie können ihre Schwächen überspielen, indem sie sagen, sie<br />

seinen "völlig unvorbereitet" gewesen, oder indem sie sich so schwierige Aufgaben wählen,<br />

dass ohnehin nicht zu erwarten ist, dass sie sie lösen. Sie können auch vorgeben, für<br />

ihre Zukunftspläne keine besseren Noten zu brauchen, d.h. sie können ihren Selbstwert<br />

erhalten, indem sie sich als besonders unabhängig und selbständig geben. Sie können<br />

aber auch andere, von ihnen selbst nicht beeinflussbare Faktoren wie Pech oder Unbeliebtheit<br />

beim Lehrers anführen und sich möglichst cool geben (vgl. ECKERLE / KRAAK<br />

1993, S. 79 ff.).<br />

Perverse Politik<br />

Ein wettbewerbsorientiertes, gegliedertes und abgestufte Berechtigungen vergebendes<br />

Schulsystem hat SCHELSKY (1957, S. 18 ff.) als "Zuteilungsapparatur von Lebenschancen"<br />

beschrieben. Als Kriterium <strong>die</strong>nt der Leistungsvergleich bei vorgegebenen<br />

179


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Aufgaben. In <strong>die</strong> oberste Leistungsgruppe sollen nur <strong>die</strong> besten Schüler <strong>auf</strong>genommen<br />

werden. Sie bilden <strong>die</strong> künftige Elite. Die Vertreter einer elitären Bildungstheorie fordern<br />

also den Ausschluss aller jener von höherer Bildung, <strong>die</strong> bestimmte Standards nicht<br />

erfüllen.<br />

Die Prüfung <strong>die</strong>ser elitären Bildungstheorie zeigt, dass <strong>die</strong> Forderung, <strong>die</strong> schulisch beste<br />

Ausbildung nur jenen zu geben, deren Fähigkeit auch erwiesen ist, nicht so einfach<br />

erfüllt werden kann. Als erstes ist schon unklar, <strong>auf</strong> welche Fähigkeiten es überhaupt<br />

ankommt. Gute Schulnoten sind nicht unbedingt wichtig für späteren beruflichen Erfolg.<br />

Beispielsweise kann Mediziner nur der werden, der einen besonders guten Notendurchschnitt<br />

erreicht und den Eingangstest besteht. Philosophie kann man dagegen auch mit<br />

einem nur ausreichenden Notendurchschnitt stu<strong>die</strong>ren. Das belegt, dass ein guter Notendurchschnitt<br />

in erster Linie den Zugang zu finanziell attraktiven Berufen erleichtert. Ob<br />

aber <strong>die</strong> Fähigsten für <strong>die</strong> jeweilige Disziplin ausgewählt wurden, ist mehr als fraglich.<br />

Untersuchungen zeigen vielmehr, "dass nur ein geringer Zusammenhang zwischen den<br />

Ergebnissen der Reifeprüfung und den Vorexamen in verschiedenen naturwissenschaftlichen<br />

Disziplinen" und bei Medizinern besteht (WEINGARDT 1971, S. 253). Tatsächlich<br />

sind nämlich Mediziner mit relativ schlechten Schulnoten im Beruf ebenso tüchtig<br />

wie <strong>die</strong>jenigen mit sehr guten Noten (vgl. WILLIE 1982). Jedenfalls ist der Zusammenhang<br />

von Zensuren und späterem Berufserfolg im allgemeinen nur "sehr mäßig" (HOYT<br />

1965), ebenso wie der Zusammenhang zwischen IQ und Berufserfolg (vgl. zusammenfassend<br />

HOWE 1990, S. 200).<br />

Ein weiteres Problem ist <strong>die</strong> mangelnde Objektivität von Noten und Zeugnissen (vgl.<br />

INGENKAMP 1971a). Notenunterschiede zwischen Schülern können nicht ausschließlich<br />

durch unterschiedliche kognitive Leistungen erklärt werden. Anstrengung und Benehmen<br />

der Schüler, Vorurteile des Lehrers und <strong>die</strong> von <strong>die</strong>sen Faktoren beeinflusste<br />

Interaktion des Lehrers mit den Schülern scheinen ebenfalls eine bedeutsame Rolle zu<br />

spielen (vgl. z.B. FARKAS/SHEEHAN/GROBE 1990). Außerdem <strong>die</strong>nen Noten nicht<br />

nur der objektiven Leistungsmessung, sondern können von den Lehrern auch als Erziehungsmittel<br />

verwendet werden. Diese verschiedenen Aufgaben, <strong>die</strong> mangelnde Objektivität<br />

und der geringe prognostische Wert von Zensuren stellen sie als Auswahlkriterium<br />

in Frage. Zensuren für Schulleistung haben eine Vorhersagegültigkeit von etwa r = .30.<br />

Wenn nun unter 1000 Bewerbern 200 Geeignete <strong>auf</strong>grund ihrer Noten ausgewählt werden,<br />

dann sieht das Ergebnis rechnerisch folgendermaßen aus: Unter den 200 Zugelassenen<br />

sind 66 Geeignete und 134 nicht Geeignete. Man hat "aber 134 Geeignete und 666<br />

nicht Geeignete abgewiesen" (INGENKAMP 1971b, S. 222).<br />

180


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Hohe schulische Leistungsanforderungen wirken außerdem sozial selektiv. Je weiter<br />

man <strong>die</strong> Leiter der Bildung emporsteigt, umso weniger wird man sich in der Gesellschaft<br />

von Kindern aus der Unterschicht, von Minoritäten, Ausländern usw. befinden (vgl.<br />

WILLIE 1987, S. 17). Der Politologe WILLIE ist der Auffassung, dass es "unter dem<br />

Banner der Aufrechterhaltung strenger Maßstäbe" darum gehe, <strong>die</strong> Früchte langer Erziehung<br />

den Kindern jener zu sichern, <strong>die</strong> <strong>die</strong> gesellschaftlich höheren Positionen bekleiden<br />

(vgl. ebenda).<br />

Wenn das eigentliche Ziel der Bildung leistungshomogener Gruppen in der Schule darin<br />

bestanden haben sollte, <strong>die</strong> besten, tüchtigsten oder leistungsfähigsten Mitglieder der<br />

heranwachsenden Generationen zu identifizieren, dann ist <strong>die</strong>ses Ziel klar verfehlt worden.<br />

Nur in einem gewissen Sinn werden <strong>die</strong> Leistungsfähigsten gefunden. Denn das<br />

System wird <strong>die</strong>jenigen herausfiltern, <strong>die</strong> oder deren Eltern wissen, wie man <strong>die</strong>ses<br />

Schulspiel gewinnt - also <strong>die</strong> Cleveren. Ein Anteil weniger cleverer Schüler wird, auch<br />

wenn sie im Prinzip sehr gute Schulleistungen erbringen könnten, ausgesondert werden<br />

(vgl. PAQUETTE 1991).<br />

Der zentrale Schwachpunkt der Selektion nach Schulleistung, <strong>die</strong> ja <strong>die</strong> Konzentration<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Förderung der Besten ermöglichen soll, ist also, dass <strong>die</strong> Besten <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise<br />

zu einem wesentlichen Teil gar nicht erkannt werden. Ferner werden viele Schüler, <strong>die</strong><br />

zu hohen Leistungen in der Lage sind, von der Förderung ausgeschlossen und entmutigt.<br />

Die Untersuchung der L<strong>auf</strong>bahnen außergewöhnlich erfolgreicher Wissenschaftler,<br />

Künstler und Wirtschaftsführer zeigt, dass <strong>die</strong> Schule oft eher eine negative Rolle gespielt<br />

hat. Entscheidend war in fast allen Fällen <strong>die</strong> frühe Weckung und Aufrechterhaltung<br />

eines starken Interesses für einen Gegenstandsbereich und <strong>die</strong> Aufrechterhaltung<br />

der Freude am Lernen in <strong>die</strong>sem Bereich. Häufig waren es <strong>die</strong> Eltern, <strong>die</strong> den Kindern<br />

am meisten geholfen habe, seltener ein Lehrer (vgl. zusammenfassend OCHSE 1990, S.<br />

83 ff.). Man sollte denken, dass jedes Kind Ermutigung und Hilfe ver<strong>die</strong>nt, um das Beste<br />

aus dem machen zu können, was es hat. Im Übrigen kann niemand wissen, welche Schüler<br />

später sozial als besonders bedeutsam bewertete Leistungen erbringen werden.<br />

19. Didaktische Merkmale aus der Sicht von innen<br />

„Gute“ Schulen sind Schulen, in denen Lehrer und Schüler gemeinsam an Gegenständen<br />

ihres Interesses arbeiten und so das erschaffen, was im üblichen Sprachgebrauch Unterricht<br />

genannt wird. Die Vorstellung, dass Schüler nach Plan geformt oder gebildet wer-<br />

181


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

den könnten, ist <strong>die</strong>sen Schulen fremd. Es geht vielmehr immer darum, was auch der<br />

Schüler will. Erziehung wird <strong>auf</strong>gefasst als etwas, das nur von innen her erfolgen kann,<br />

etwas, das nur jeder Einzelne für sich selber tun kann und an dem er ein Leben lang arbeitet.<br />

Jeder kann sich nur selbst erziehen. Und <strong>die</strong> Schule ist ein Ort für <strong>die</strong> gemeinsame<br />

Bemühung um solche Selbst-Bildung, ein Ort, an dem jeder <strong>die</strong> Unterstützung, Hilfe<br />

und Ermutigung findet, <strong>die</strong> er gerade braucht. Das ist <strong>die</strong> entscheidende Rechtfertigung<br />

solcher Schulen.<br />

Freiheit und Ordnung<br />

Freiheit und Ordnung bedeutet, dass sowohl der Einzelne wie auch <strong>die</strong> Gruppe innerhalb<br />

gewisser Grenzen eigene Ziele setzen und Wege zu ihrer Erreichung suchen kann. In<br />

manchen Schulen oder Klassen wie der von FALKO PESCHEL (2002) oder der SUDBURY<br />

VALLEY SCHOOL werden <strong>die</strong>se Grenzen in einem geregelten demokratischen Prozess<br />

festgelegt und verändert. Voraussetzung allerdings ist eine Grundsatzentscheidung in<br />

dem Sinn, dass <strong>die</strong> Mädchen und Jungen selbst über ihr Tun bestimmen, ihre eigene<br />

Umgebung erzeugen können sollen und dass <strong>die</strong> Schule mit ihren Lehrern und all ihren<br />

Einrichtungen für <strong>die</strong> Schüler da sein soll.<br />

Von der Grundsatzentscheidung her sind sehr unterschiedliche Formen von Freiheit vorstellbar.<br />

Ähnliches gilt für <strong>die</strong> Ausformungen <strong>die</strong>ser Grundsatzentscheidungen im alltäglichen<br />

Schulleben. In jedem Fall wird es gewisse Regeln geben, wie auch immer sie eingeführt<br />

werden, <strong>die</strong> sowohl für Lehrer und Schüler bindend sein müssen. Die Anerkennung<br />

und Beachtung <strong>die</strong>ser Regeln oder Bedingungen eröffnet einen gemeinsamen<br />

Rahmen, der Handlungsmöglichkeiten absteckt, <strong>die</strong> Willkür einzelner Schüler und Lehrer<br />

sowie von Gruppen begrenzt und somit eine gewisse Sicherheit und Stabilität gewährleistet.<br />

Der Zwang, der damit verbunden sein mag, ist weit geringer als der Zwang,<br />

der von Steuerungsmaßnahmen ausgeht, <strong>die</strong> zudem völlig willkürlich sein können und<br />

das Handeln der Schüler im Detail bestimmen.<br />

Die Freiheit einer Gruppe von Schülern kann – ebenso wie <strong>die</strong> Freiheit der Gesellschaft<br />

– nicht darin bestehen, dass jeder tun kann, was er möchte. Denn dann könnten einige<br />

versuchen, <strong>die</strong> Freiheit anderer zugunsten ihres eigenen Handlungsspielraums einzuengen.<br />

Die Freiheit der Individuen einer Lerngruppe kann daher nur gewährleistet werden,<br />

wenn alle sich an gemeinsame Regeln halten. In der Schule können solche – nicht ganz<br />

so weiten – Regeln beispielsweise fordern: "Respektieren des bereitgestellten Unter-<br />

182


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

richtsmaterials; Respektieren der Arbeit und der Persönlichkeit der anderen; jede Arbeit<br />

so gut wie möglich zu machen und zu bestimmten Zeiten anwesend zu sein."<br />

Man kann, wie in MONTESSORI-Schulen, gebundene Arbeitsphasen, in denen Material<br />

und Aufgaben vorgegeben werden, und Freiarbeitsphasen festlegen, in denen <strong>die</strong> Schüler<br />

<strong>die</strong> Ziele und <strong>die</strong> Erarbeitungsweisen selbst wählen. Wie sie vorgehen, was sie zuerst,<br />

was sie als zweites tun wollen, ob sie mit einem oder mehreren Partnern, gemeinsam<br />

oder allein den Gegenstand bearbeiten möchten wie auch <strong>die</strong> Bewertung ihrer Ergebnisse<br />

können sie selbst bestimmen. In manchen Schulen wie der SUDBURY VALLEY SCHOOL<br />

können <strong>die</strong> Schüler auch bestimmen, ob sie irgend einer geregelten Lerntätigkeit nachgehen<br />

wollen oder ob sie beispielsweise das ganze Schuljahr über einfach nur spielen<br />

oder mit Kameraden im Freien herumstreifen wollen – übrigens durchaus mit insgesamt<br />

respektablen Leistungen der Schüler. Andere legen etwas einengender fest, dass das, was<br />

<strong>die</strong> Schüler zu bestimmten Zeiten tun, etwas mit Mathematik, mit Musik etc. zu tun haben<br />

muss; oder noch weiter einengend, dass sie etwa im Musikunterricht Material zu<br />

bestimmten Themenkreisen bearbeiten, oder sie mit einem Partner arbeiten sollen.<br />

Je mehr Einengungen allerdings vorgenommen werden, umso mehr verringern sich <strong>die</strong><br />

Wahlmöglichkeiten der Schüler. Eine gewisse Einengung mag in manchen Fällen für<br />

Lehrer wie Schüler hilfreich sein, um sich an <strong>die</strong> Freiheit zu gewöhnen. Außerdem kann<br />

eine überschaubare Anzahl von Alternativen in einem Bereich <strong>die</strong> Wahl der Schüler erleichtern.<br />

Eine zu starke Einengung jedoch wie <strong>die</strong> Wahl zwischen zwei gleichermaßen<br />

als unattraktiv empfundenen Alternativen, stellt wohl eher einen unzulänglich verschleierten<br />

Zwang dar.<br />

Vorteile von Selbstbestimmung der Schüler<br />

Der besondere Vorzug des Unterrichtsprinzips der Freiheit liegt darin, dass dadurch <strong>die</strong><br />

Zahl der Dinge, <strong>die</strong> der Einzelne aus eigenem Antrieb versucht, vergrößert wird. Denn<br />

bei Handlungsfreiheit wird der Einzelne, selbst wenn er mit vorgegebenen Unterrichtsmaterialien<br />

arbeitet, viel eher Risiken eingehen und seine Kraft <strong>auf</strong> Gegenstände und<br />

Fragen verlegen, wie er es im gebundenen Unterricht nie hätte versuchen können. Auf<br />

<strong>die</strong>se Weise kann er sein individuelles Wissen in Richtungen weiterentwickeln, <strong>die</strong> ihm<br />

später vielleicht einzigartige Möglichkeiten der Nutzung bieten.<br />

Nehmen wir als Beispiel das Thema Bakterien im Biologieunterricht. Bei gutem und in<br />

verschiedene Richtungen differenziertem Material werden einige Schüler sich mit Bakterien<br />

als Krankheitserregern, andere werden sich vielleicht mit gentechnischen Verfah-<br />

183


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

ren ihrer Veränderung, wieder andere mit der Verwendung von Bakterien in der Abfallverwertung,<br />

in der Gewässerreinigung usw. befassen.<br />

Im Zusammenhang mit ihren außerhalb der Schule und in anderen Fächern erworbenen<br />

Kenntnissen und Interessen können sich letztlich Kombinationen ergeben, <strong>die</strong> das Erkennen<br />

bestimmter Problemsituationen in einem Bereich begünstigen. Das kann dem<br />

jeweiligen Individuum <strong>die</strong> besten Voraussetzungen zur Lösung einer Reihe von Problemen<br />

verschaffen. Auf <strong>die</strong>se Weise wird der einzelne sozusagen in <strong>die</strong> Lage versetzt,<br />

seinen originären Beitrag zur Lösung kommender Aufgaben zu leisten, während ein<br />

weitgehend gelenkter Wissenserwerb lediglich zu einer Art Standardwissen geführt hätte,<br />

das vielleicht zu nicht viel nütze gewesen wäre.<br />

Es ist also auch gesellschaftlich nicht so unwesentlich, dass individuell differenzierte<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten und nicht ein kollektiver, standardisierter Wissenskanon<br />

angestrebt werden. Nur nach den individuellen Interessen differenzierte Kenntnisse und<br />

Fähigkeiten haben auch eine Vielfalt von Fortentwicklungen in unterschiedlichste Richtungen<br />

zur Folge, was für <strong>die</strong> Gesellschaft von höchstem ideellem Wert ist, aber auch<br />

von wirtschaftlicher Bedeutung sein kann (vgl. dazu v. HAYEK 1972, S.11 ff.). Selbst der<br />

Auf- und Abstieg von Nationen oder Wirtschaftsblöcken könnte weitgehend davon abhängen,<br />

ob in ihren <strong>Institution</strong>en, also auch der Schule, Bedingungen bestehen, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Individuen zur Entdeckung und Realisierung von Neuem ermutigen (vgl. v. HAYEK<br />

1972, S. 49 ff.).<br />

Die kurzfristigen, unmittelbaren Wirkungen, denen in der Regel größere Bedeutung zugemessen<br />

wird, bestehen in einer besseren Disziplin, einer besseren Mitarbeit und in<br />

höheren Leistungen. Freilich gilt das nur dann, wenn auch <strong>die</strong> beiden anderen Unterrichtsbedingungen<br />

der Problemorientierung und der Kooperation wenigstens in einem<br />

Mindestmaß erfüllt sind.<br />

Wege zur Freiheit<br />

Sowohl unter einigen Praktikern wie Theoretikern der Pädagogik hört man nicht selten<br />

<strong>die</strong> Auffassung, dass in der Schule Ordnung nur dann möglich sei, wenn <strong>die</strong> Lehrer Anweisungen<br />

– sprich: Befehle – geben und <strong>die</strong> Schüler gehorchen. Die Pädagogik ist sozusagen<br />

gespalten in Anhänger der Freiheit und Anhänger der "Ordnung", wobei hier<br />

"Ordnung" eigentlich "Zwang" bedeutet. Vertreter der letzteren Richtung können sich in<br />

der Regel nicht vorstellen, dass eine ganze Klasse von Schülern in der Lage sein soll, ihr<br />

Tun ohne ständige und als wirkungsvoll gedachte steuernde Eingriffe eines Erziehers zu<br />

184


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

koordinieren oder überhaupt einer im Rahmen der Schule als sinnvoll bewerteten Tätigkeit<br />

nachzugehen.<br />

Auch wenn praktische Versuche und <strong>die</strong> seit Jahrzehnten bestehenden Montessori- oder<br />

<strong>die</strong> vor allem in Holland zahlreichen Jena-Plan-Schulen zeigen, dass eine freiheitliche<br />

Ordnung hohe Leistungen bei nahezu verschwindend geringen Disziplinproblemen ermöglicht,<br />

werden <strong>die</strong>se Ergebnisse schlicht und einfach nicht zur Kenntnis genommen;<br />

bestenfalls gelten solche Schulen als Ausnahmeerscheinungen, <strong>die</strong> nur funktionieren<br />

könnten, weil bereits im Kindergarten begonnen werde, <strong>die</strong> Kinder entsprechend zu beeinflussen<br />

und weil <strong>die</strong> Kinder aus bevorzugten Elternhäusern kämen. Beide Bedingungen<br />

treffen zwar manchmal zu, aber Montessori- und Jena-Plan-Schulen funktionieren in<br />

der Praxis offenbar genauso unter ganz anderen Voraussetzungen. Nicht selten entstanden<br />

sie ja nur, weil man keinen anderen Ausweg mehr aus unlösbaren Disziplinproblemen<br />

mit Kindern aus sozial schwierigen Gegenden finden konnte.<br />

Allerdings ist eine Umstellung des Unterrichts nicht von heute <strong>auf</strong> morgen zu bewerkstelligen,<br />

besonders wenn der Unterricht vorher in einem hohen Maß <strong>auf</strong> Lenkung beruhte.<br />

In der Übergangsphase kann es durchaus zu Irritationen bei den Schülern kommen.<br />

Man darf nicht erwarten, dass sie sich unmittelbar <strong>auf</strong> neue Bedingungen einstellen.<br />

Man sollte <strong>die</strong> Freiheit und <strong>die</strong> damit verknüpften Anforderungen an <strong>die</strong> Selbststeuerung<br />

also allmählich steigern.<br />

Tatsächlich sind bei Unterrichtsversuchen mit selbständigem Lernen sind Misserfolge<br />

nicht selten. Einen häufigen Grund dafür beschreibt DECHARMS (1984) an einem Beispiel:<br />

Nach einer Schulung über selbständiges Lernen hatte sich ein Lehrer "entschieden,<br />

seine neuen Siebtklässler als selbständige Lerner zu behandeln. Als er seine Klasse zum<br />

ersten Mal traf, bat er sie, <strong>die</strong> Tische in einem Kreis <strong>auf</strong>zustellen. Die Klasse begann<br />

dann darüber zu diskutieren, was sie in <strong>die</strong>sem Schuljahr tun wollte. Sein Plan war es,<br />

<strong>die</strong> Klasse alles durch Mehrheitsbeschlüsse bestimmen zu lassen". Dieser Lehrer berichtete<br />

später, dass es "ein Fehlschlag sei, Schüler als selbständige Lerner zu behandeln".<br />

Es sei ausgeschlossen, so etwas über längere Zeit <strong>auf</strong>rechtzuerhalten, da es in Chaos<br />

münde. DECHARMS Kommentar: "Offensichtlich war <strong>die</strong>ser Lehrer von einem Übermaß<br />

an Lenkung zu einem allzu geringen Maß an Lenkung übergegangen" (S. 287, meine<br />

Übersetzung). Auch sollte man bedenken, dass <strong>die</strong> Mitbestimmung bei der Festlegung<br />

von Inhalten, <strong>die</strong> dann durch Mehrheitsvoten festgelegt werden, eigentlich nur für <strong>die</strong><br />

erfolgreichen Meinungsführer einen Zugewinn an Selbständigkeit bedeutet (DECHARMS<br />

1984, S. 288).<br />

185


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Das seinem Projekt untersuchte DECHARMS über 3 Jahre hinweg <strong>die</strong> <strong>Auswirkungen</strong> der<br />

Bedingung wachsender Freiheit mit dem traditionellen Unterricht. Der ideale selbständige<br />

Schüler wird als "Meister" bezeichnet. Er besitzt <strong>die</strong> "Fähigkeit, im Kontext persönlicher<br />

Sinn- und Zielsetzung vorwärts zu streben ... Der Meister setzt sich seine Ziele<br />

selbst und bestimmt, welche Maßnahmen er ergreifen muß, um <strong>die</strong>se Ziele zu erreichen."<br />

(DECHARMS 1979, S. 195).<br />

Die Untersuchung wurde mit allen Schulen eines Bezirks in einem sozialen Problemgebiet<br />

– es waren 11 Schulen, 32 Klassen, 1200 Schüler und 32 Lehrer – durchgeführt. Die<br />

16 Lehrer der nach einem Zufallsverfahren gebildeten Versuchsgruppe wurden gezielt<br />

<strong>auf</strong> ihre Aufgabe vorbereitet. Die Schulleistungen der Versuchsklassen im standardisierten<br />

Leistungstest (Iowa Test of Basic Skills) steigerten sich hochsignifikant und dauerhaft<br />

gegenüber der Kontrollgruppe. Außerdem blieben <strong>die</strong> Schüler der Versuchsgruppe<br />

signifikant seltener dem Unterricht fern als <strong>die</strong> der Vergleichsgruppe (vgl. de DECHARMS<br />

1979, S. 138 ff.). Nach vier Jahren wiesen Schüler der Versuchsgruppe immer noch höhere<br />

Meister-Werte <strong>auf</strong>, und ein signifikant höherer Prozentsatz der trainierten gegenüber<br />

den untrainierten Schülern machte <strong>die</strong> Abschlussprüfung. Schüler mit höheren<br />

Meister-Werten waren mit größerer Wahrscheinlichkeit unter den Schülern mit bestandener<br />

Abschlussprüfung zu finden als Schüler mit niedrigen Meister-Werten (vgl. DE-<br />

CHARMS 1984, S. 292 f.).<br />

Grundsätzlich besteht der größte Vorteil der Freiheit darin, dass der einzelne Schüler in<br />

einem gewissen Maß sein eigenes Wissen in einer mehr oder weniger von ihm zu bestimmenden<br />

Weise verwenden und seine persönlichen Interessen einbringen kann. Das<br />

trägt zu einer positiveren Einstellung zum Lerngegenstand und <strong>auf</strong> Dauer auch zur Schule<br />

bei.<br />

Indem der Schüler sein bestehendes Wissen erweitert, entwickelt er Pläne, <strong>die</strong> sein Handeln<br />

leiten und antreiben. Durch <strong>die</strong>se selbstbestimmte Tätigkeit, bei der er sich von<br />

Mitschülern helfen lassen und ihnen auch seinerseits helfen kann, erfährt er zumindest<br />

<strong>auf</strong> bestimmten Gebieten Anerkennung. Man weiß, jeder kann einige Dinge und leistet<br />

darin wertvolle Beiträge. Dadurch fühlt er sich der Gruppe zugehörig. Das gibt Selbstsicherheit.<br />

Zusammen mit der durch selbständiges Handeln erfahrenen Kompetenz hebt<br />

oder erhält das den Selbstwert der Person.<br />

Weil <strong>die</strong> Schüler in einem gewissen Ausmaß ihre eigenen Pläne entwickeln können,<br />

verbessert sich ihre Mitarbeit. Durch ihre eigene Arbeit differenzieren sie ihr Wissen, so<br />

186


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

dass sie auch in Tests bessere Leistungen zeigen, als wenn sie unter einem Übermaß an<br />

Lenkung nur das erledigen, was sie unbedingt müssen.<br />

Zur Theorie der Selbstbestimmung<br />

Nach Auffassung von Reformpädagogen wie Montessori sind Selbstbestimmung und <strong>die</strong><br />

sie ermöglichende Freiheit notwendige Voraussetzungen des Lernens. Wenn das zutrifft,<br />

dann wirkt jede Pädagogik oder Erziehung, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Voraussetzung nicht beachtet, beeinträchtigend<br />

und schädigend. Tatsächlich kann man Kindern und Erwachsenen weder<br />

Wissen noch Wertgrundsätze irgendwie eingeben oder einflößen. Man kann also nichts<br />

lehren. Der Lehrer kann nur eine für das Lernen und <strong>die</strong> Entwicklung der Schüler günstige<br />

oder ungünstige Umgebung schaffen, indem er Lernmittel bereitstellt, indem er selber<br />

ein erstrebenswertes Vorbild abgibt usw.<br />

"Der Lehrer kann nicht für den Schüler lernen noch für ihn denken. Er kann nur Ideen so<br />

sinnvoll wie möglich darbieten. Die eigentliche Arbeit, neue Ideen in einen persönlichen<br />

Bezugsrahmen zu gliedern, kann nur vom Lernenden selbst geleistet werden. Daraus<br />

folgt, daß Ideen, <strong>die</strong> Schülern gewaltsam eingegeben oder von ihnen passiv und unkritisch<br />

akzeptiert werden, unmöglich im wahren Sinn des Wortes sinnvoll sein können."<br />

AUSUBEL (1974, Bd. II, S. 405). Daraus folgt, dass man in der Erziehung nur Angebote<br />

machen kann. Man kann nicht einmal direkt helfen, sondern nur indirekt, weil es dar<strong>auf</strong><br />

ankommt, was ein Individuum aus der ihm angebotenen "Hilfe" zu machen versteht.<br />

Das ist vielleicht besser zu verstehen, wenn wir bedenken, dass unsere Theorien, Grundsätze<br />

usw., <strong>die</strong> wir den Schülern nahe zu bringen suchen, nicht <strong>die</strong> Realität an sich darstellen<br />

können, sondern bloß Mittel sind, um <strong>die</strong> Realität zu verstehen, sich in ihr zurechtzufinden<br />

und mit ihr umzugehen.<br />

Das gilt auch soziale Regeln; auch sie sind nichts weiter als Mittel, um sich in der sozialen<br />

Umgebung zurechtzufinden. Diese Regeln entsprechen aber der Wirklichkeit nicht in<br />

jedem Fall, zumindest nicht voll. Die sozialen Beziehungen sind meist weit komplexer<br />

ist als vereinfachende Regeln oft glauben machen. Die genauen Ge- und Verbote der<br />

Regeln, denen wir in unserem Verhalten folgen, dürften uns nur selten ausdrücklich bekannt<br />

sein. Wir folgen ihnen in unserem Handeln, aber sie sind uns nur zum Teil bewusst.<br />

Das hartnäckige Bestehen nun, <strong>die</strong> bewusst vorgegebenen Regeln im Denken und<br />

Verhalten genauestens zu berücksichtigen, führt daher eher zu einem unangemessenen<br />

Verständnis sozialer Vorgänge und zu einem ebenfalls unangemessenen Verhalten.<br />

187


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Handlungs- und Lernstrategien durch selbstbestimmtes Tun<br />

Selbstbestimmung über einen langen Zeitraum ist eine wesentliche Bedingung für <strong>die</strong><br />

Entstehung von Handlungsorientierung. Handlungsorientierung liegt vor, wenn eine Person<br />

<strong>auf</strong> große Schwierigkeiten nicht mit Verzweiflung oder Selbstmitleid reagiert, sondern<br />

unverdrossen seine verfügbaren Handlungsmöglichkeiten untersucht und anwendet<br />

(vgl. KUHL 1984; neuerdings wird statt von Handlungsorientierung auch von Resilienz<br />

gesprochen).<br />

Im Unterschied dazu würde eine lageorientierte Person in einer entsprechenden Situation<br />

über sich selbst nachdenken. Sie würde sich überlegen, wo überall ihre Fähigkeiten unzulänglich<br />

sind, um das Problem zu lösen, anstatt geeignete Maßnahmen zu planen und<br />

auszuprobieren (vgl. KUHL 1984).<br />

Um Handlungsorientierung gewinnen oder stabilisieren zu können, braucht ein Mensch<br />

Kompetenzerlebnisse. Indem er sich selbst als kompetent erfährt wächst das Vertrauen<br />

in seine Fähigkeit, Problemsituationen auch in Zukunft lösen zu können. Die Fähigkeit<br />

der Problemlösung wiederum wird unterstützt durch den Erwerb von Strategien des Lernens.<br />

Wenn <strong>die</strong> Schüler im Unterricht über <strong>die</strong> Ziele, Inhalte und Ergebnisse ihres Lernens<br />

selbst bestimmen können, dann werden sie auch über ihr eigenes Tun nachdenken.<br />

Die Auswahl einer Aufgabe, eines Problems steht am Anfang, und durch geeignetes Unterrichtsmaterial<br />

kann man dem einzelnen Schüler Hilfen bereitstellen, sich selbst angemessene,<br />

d.h. erreichbare Ziele zu setzen. Das Setzen realistischer Ziele ist eine Problemlösetätigkeit.<br />

Dazu gehört auch das Zerlegen von Globalzielen in Teilziele, so dass<br />

der Schüler relativ schnell feststellen kann, was er erreicht hat, was er kann und noch<br />

nicht kann, wo er Hilfe braucht usw.<br />

Die Möglichkeit in gewissem Maß eigene Wahlen treffen zu können und <strong>die</strong> eigenen<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten <strong>auf</strong> eine Weise zu verbessern und zu erweitern, <strong>die</strong> man<br />

selbst als wertvoll betrachtet, ermöglicht dem Schüler eine Art organischen, d.h. subjektiv<br />

als sinnvoll erlebten Zugewinn von Kompetenz. Die erlebte Kompetenz schafft <strong>die</strong><br />

Voraussetzung für erfolgreiches weiteres Lernen und motiviert dazu (vgl. WHITE 1959).<br />

Für <strong>die</strong> Lösung von Aufgaben bieten bereichs- oder fachspezifische Lösungsstrategien<br />

den größten Nutzen. Ihr Erwerb wird vor allem <strong>die</strong> Zusammenarbeit von Schülern in<br />

Lernpartnerschaften gefördert. Sie werden von Schülern äußerst positiv eingeschätzt<br />

(BECK u.a. 1991). Die Partner besprechen ihre Lernerfahrungen, offene Probleme und<br />

Fragen und entscheiden darüber, welche Erkenntnisse, welche inhaltlichen oder strategi-<br />

188


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

schen Schwierigkeiten sie besser in einem größeren Kreis oder mit dem Lehrer erörtern.<br />

Die Schüler entwickeln dabei selbst Lernstrategien, <strong>die</strong> sie auch effektiv einzusetzen<br />

verstehen (vgl. BECK u.a. 1991).<br />

Zu den Lernstrategien zählt auch <strong>die</strong> selbständige Bewertung der eigenen Leistung. Da<br />

<strong>die</strong> Selbstbewertung häufig <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Erkenntnis von Mängeln hinausläuft, trägt <strong>die</strong> eigenständige<br />

Bewertung in höherem Maß zur Verbesserung späterer Leistungen bei als<br />

Fremdbewertung, <strong>die</strong> weniger leicht zu akzeptieren ist. Das gilt insbesondere dann,<br />

wenn <strong>die</strong> Fremdbewertung unmittelbar in Benotungen mündet.<br />

Vertrauen statt. Überwachung<br />

Schülern innerhalb eines vorgegebenen Ordnungsrahmens Freiheit zuzugestehen, bedeutet<br />

Vertrauen in sie zu haben. Solches Vertrauen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen<br />

des Erziehers, wenn er Freiheit und Selbstbestimmung im Unterricht verwirklichen<br />

will. Wie Untersuchungen zeigen, können sich Erwartungen <strong>auf</strong> das Verhalten der davon<br />

Betroffenen im Sinne sich selbst erfüllender Prophezeiungen auswirken (vgl. ROSEN-<br />

THAL/ JACOBSEN 1974) 69 . Das macht auch verständlich warum jemand, der Schülern<br />

vertraut, sich durch <strong>die</strong> Praxis ebenso bestätigt sieht wie derjenige, der der Auffassung<br />

ist, man könne den Schülern nur misstrauen.<br />

Einem Schüler zu vertrauen bedeutet, daran zu glauben, dass er, wie schwierig er auch<br />

sein und welche Fähigkeiten er auch besitzen mag, doch ein nach Erkenntnis und Ordnung<br />

strebendes Wesen ist. Jeder Mensch gilt danach in seinem innersten Kern als gesund<br />

und als entwicklungsfähig. Das braucht uns nicht blind für psychische und soziale<br />

Probleme des Einzelnen machen. Und <strong>die</strong>se Probleme können überaus ernsthaft sein und<br />

sind vielleicht innerhalb der Schule nicht korrigierbar.<br />

69<br />

Vgl. ROSENTHAL/JACOBSEN 1974. Literarisch wurde das Thema von Bernhard Shaw in "Pygmalion<br />

behandelt. Seine Eliza bringt den Sachverhalt <strong>auf</strong> den Punkt: "Sehen Sie, wenn man davon absieht,<br />

was ein jeder sich leicht aneignet, sich anziehen, richtige Aussprache und so weiter, dann besteht der<br />

Unterschied zwischen einer Dame und einem Blumenmädchen wahrhaftig nicht in ihrem Benehmen,<br />

sondern darin, wie man sich gegen sie benimmt. Für Professor Higgins werde ich immer ein Blumenmädchen<br />

sein, weil er mich immer wie ein Blumenmädchen behandelt und behandeln wird. Aber ich<br />

weiß, daß ich für Sie wie eine Dame sein kann, weil Sie mich immer wie eine Dame behandeln und<br />

behandeln werden."<br />

Wie ernst <strong>die</strong>se Möglichkeit zu nehmen ist, geht auch daraus hervor, daß man in der medinzinischen<br />

Forschung (wo man mit kleinen Versuchsgruppen arbeitet, bei denen sich in der Regel ein persönlicher<br />

Kontakt von Versuchsleiter und Versuchspersonen herausbildet) im wesentlichen nur noch Doppel-Blind-Versuche<br />

als hinreichend frei von solchen Erwartungs-Übertragungen betrachtet.<br />

189


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Dass auch in sehr schwierigen Fällen Akzeptanz und Vertrauen <strong>auf</strong>rechtzuerhalten sind,<br />

mag nicht realistisch klingen. In jedem Fall muss zugegeben werden, dass es sehr<br />

schwierig sein kann. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist eine innere Distanz – nicht<br />

zum schwierigen Schüler – sondern zu den eigenen Gefühlen und Impulsen. Denn wenn<br />

Zorn, Ärger, Enttäuschung usw. das Bewusstsein mit Beschlag belegen, dann ist es unmöglich,<br />

noch Vertrauen zu haben und den Schüler zu akzeptieren. Dann beginnt man<br />

den Schüler aus seinen Gefühlen heraus zu strafen, abzuwerten usw. Den eigenen Gefühlen<br />

ausgeliefert, versucht man den Schüler zu kontrollieren. Wenn man <strong>die</strong> Strafen<br />

nicht steigert, sondern gleich mit den schärfsten Strafen beginnt und bei nachfolgendem<br />

Wohlverhalten Lob und Belohnung einsetzt, können damit sogar „gute Erfolge“ in dem<br />

Sinn erreicht werden, dass der Schüler sich in der Gegenwart des Lehrers „benimmt“.<br />

Allerdings verschwindet <strong>die</strong> Wirkung mit dem kontrollierenden Lehrer.<br />

Der von seinen Gefühlen gesteuerte Lehrer kann nun freilich kaum als „Erzieher“ bezeichnet<br />

werden, vielmehr ist er ein Sklave seiner Gefühle. Das ist seine Schwäche. Und<br />

der Schüler weiß das. Er kann <strong>die</strong>se Schwäche des Lehrers ausnutzen, indem er den Lehrer<br />

immer wieder zur „Weißglut“ treibt. Auf <strong>die</strong>se Weise hat der Schüler Macht über den<br />

Lehrer. Dieses „Spiel“ wird solange weitergehen als keine grundlegende Änderung der<br />

Situation eintritt. Eine solche Änderung würde im Idealfall in einer Veränderung der<br />

Haltung des Lehrers bestehen. Eine solche grundlegende Änderung kann er erreichen,<br />

wenn es ihm gelingt, Distanz zu seinen Gefühlen zu gewinnen. Wenn er ihnen nicht<br />

mehr ausgeliefert ist, wenn es ihm gelingt, sich selbst mit seinen Gefühlen zu akzeptieren,<br />

werden sie ihre Macht über ihn verlieren. Dann kann er auch den Schüler mit all<br />

seinen Problemen und Schwierigkeiten akzeptieren und dar<strong>auf</strong> vertrauen, dass <strong>die</strong>ser<br />

Schüler letztlich eine Lösung seiner Probleme finden wird.<br />

Nur wenn der Lehrer selber frei ist von eigenen negativen Gefühlen, kann er mit den<br />

Schülern, sofern sie dazu bereit sind, ehrlich und offen über ihre Schwierigkeiten sprechen.<br />

Die Schüler werden sich dann mit der Zeit selber besser verstehen und ihr Verhalten<br />

nach und nach in den Griff bekommen. Die Klärung solcher Probleme steigert also<br />

<strong>die</strong> Fähigkeit der Schüler im zwischenmenschlichen Umgang und wirkt damit indirekt<br />

selbstwerterhöhend. Auch der Lehrer lernt aus solchen Konfliktlösungen, sie steigern<br />

auch sein Selbstwertgefühl und stärken damit sein Zutrauen in den erfolgreichen Umgang<br />

mit weiteren Konflikten. 70<br />

70<br />

Wer versuchen will, mit negativen Gefühlen besser klar zu kommen oder sich davon zu befreien,<br />

findet eine einfache und wirksame Hilfe in den Emotional Freedom Techniques. Sie sind leicht zu ler-<br />

190


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Problemorientierung<br />

Kinder sehen überall Fragen und sie stellen ständig Fragen, weil ihnen irgendetwas unklar,<br />

komisch oder nicht stimmig erscheint. In der Wissenschaft bezeichnet man solche<br />

Unklarheiten oder Unstimmigkeiten als Probleme. Von Problemen oder Fragen geht alle<br />

Forschung, <strong>die</strong> es wert ist, so bezeichnet zu werden, aus. Problemorientierung bedeutet<br />

also, dass man sich im Unterricht an den Problemen oder Fragen der Kinder und Jugendlichen<br />

orientiert, dass man im Unterricht Antworten <strong>auf</strong> Fragen der Schüler sucht, dass<br />

man herauszufinden sucht, welche Fragen oder Probleme <strong>die</strong> Mädchen und Jungen haben,<br />

wenn sie an einer Sache arbeiten.<br />

Problemorientierung unterscheidet sich durch <strong>die</strong> Konzentration <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Fragen und Interessen<br />

der Schüler von der Stoff- oder Ergebnisorientierung. Letztere geht vom Lehrplan<br />

aus, erstere vom Schüler. Problemorientierung kann also nicht gut nach Lehrplan funktionieren,<br />

sondern erfordert, dass man sich im Unterricht von den Fragen und Interessen<br />

der Schüler leiten lässt. Durch entsprechendes Material, wenn es von den Schülern akzeptiert<br />

wird, kann durchaus eine gewisse Kanalisierung der Schülerinteressen erfolgen.<br />

Wenn das erfolgreich sein soll, muss <strong>die</strong> Kanalisierung allerdings sehr flexibel sein und<br />

dem Einzelnen immer wieder <strong>die</strong> Freiheit der Abweichung anbieten. Eine stark lehrplanorientierte<br />

Schulorganisation wird dagegen kaum Problemorientierung zulassen.<br />

Auch der Lehrer muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wenn er Problemorientierung<br />

als Unterrichtsprinzip realisieren möchte. Als Lehrer sollte ich immer <strong>auf</strong>s Neue<br />

herausfinden wollen, wie <strong>die</strong> Dinge wirklich sind, denn dann bin ich auch offen für neue<br />

Ideen und kann mich für <strong>die</strong> Vorstellungen meiner Schüler interessieren. Wenn ich dazu<br />

den Schüler als gleichwertigen Gesprächspartner akzeptiere, kann ich wirklich mit ihm<br />

fachsimpeln, mich ernsthaft über einen Gegenstand mit ihm austauschen. Denn der<br />

Schüler wird dem Lehrer seine Gedanken nur mitteilen, wenn er fühlt, dass er ernst genommen<br />

wird und dass der Lehrer sich für das, was er denkt und sagt, auch interessiert.<br />

Problemorientierung fördert das Forschen und Lernen der Kinder und Jugendlichen,<br />

denn nur wer nach Antworten <strong>auf</strong> Fragen sucht, lernt wirklich. Er kann das, was er erfährt<br />

sinnvoll verknüpfen und anwenden. Er ist an den Dingen interessiert, nicht an Noten<br />

oder dem, was andere über ihn denken oder von ihm halten. Er wendet seine gesamte<br />

geistige Kapazität der Untersuchung des Gegenstandes zu, ohne Furcht vor Fehlern oder<br />

Bewertungen durch andere. Wer das herausfindet und lernt, was er wissen will, wird <strong>die</strong><br />

nen und können von jedem selbst angewendet werden. EFT wurde entwickelt von Gary Craig. Sein<br />

Handbuch ist als kostenloser Download verfügbar unter: www.emofree.com<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

besten Leistungen erbringen, zu denen er fähig ist, gerade weil er dabei nicht an Leistung,<br />

Noten oder Belohnung denkt.<br />

Bedingungen für Problemorientierung im Unterricht<br />

Problemorientierung setzt grundsätzlich voraus <strong>die</strong> Akzeptanz der Eigenständigkeit des<br />

einzelnen Schülers voraus. Wenn Problemorientierung bedeutet, dass man als Lehrer <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Fragen des Einzelnen einzugehen versucht, muss man ihn als jemanden sehen, der<br />

Probleme erkennt und nach Lösungen sucht. Das setzt aber voraus, dass dem Schüler<br />

eine große Freiheit zu irren, zu fragen, mit anderen Schülern zusammen Überlegungen<br />

anzustellen, <strong>die</strong>se Überlegungen durch selbst entwickelte Experimente auszuprobieren,<br />

wobei es wiederum zu Fehlschlägen kommen kann. Problemorientierung kann also nicht<br />

einfach ein Lückenfüller im normalen Unterricht sein, sondern setzt einen Rahmen für<br />

freies Denken und Handeln voraus. Es ist auch wichtig, dass <strong>die</strong> Schüler sich untereinander<br />

helfen können, weil <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong> Herausforderung durch schwierige Fragen<br />

dann annehmen können, wenn gleichzeitig ein hohes Maß an Sicherheit durch Zusammenarbeit<br />

besteht. Außerdem darf keine Bedrohung durch Benotung im Hintergrund<br />

stehen. Vielmehr sprechen <strong>die</strong> von den Schülern gelösten Aufgaben für sich selbst.<br />

Solche Bedingungen sind ihrerseits nur dann möglich, wenn der Lehrer bereit ist, seine<br />

mentalen und gefühlshaften Mechanismen oder Impulse in sich selber zu erkennen.<br />

Denn <strong>die</strong> Bewertungen von Schülern oder ihrer Verhaltensweisen, <strong>die</strong> Versuche <strong>die</strong>ses<br />

Verhalten zu regulieren, zu belohnen oder bestrafen entstehen beim Lehrer aus Gefühlen<br />

und Impulsen heraus. Unreflektierte Ängste und verletzter Stolz spielen dabei eine zentrale<br />

Rolle. Diese Mechanismen und <strong>die</strong> sie begleitenden Gefühle muss der Lehrer sich<br />

bewusst machen. Denn sie zwingen ihn zu einem entsprechenden Handeln und lassen<br />

ihm keine Freiheit der Entscheidung. Nur wenn er <strong>die</strong>se Impulse und Gefühle und <strong>die</strong><br />

davon ausgelösten zwingenden Reaktionstendenzen in sich erkennt und akzeptiert, kann<br />

er Distanz zu ihnen gewinnen und sich allmählich von ihnen befreien. Hat er das zumindest<br />

zu einem Teil geschafft, wird er frei genug sein, <strong>die</strong> Bedürfnisse der Schüler zu sehen<br />

und zu erkennen, dass <strong>die</strong> Kinder nicht mutwillig stören, sondern dass sie einfach<br />

nicht anders können, auch <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Gefahr von Strafen hin. Dann gibt es eine Chance,<br />

dass er ihre Bedürfnisse akzeptieren und sie ermutigen kann, <strong>die</strong> daraus resultierenden<br />

192


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Probleme zu erkennen und konstruktiv nach Lösungen zu suchen. Denn <strong>die</strong> Lösungen<br />

können nur von den Schülern selber kommen. 71<br />

Sofern solche Rahmenbedingungen bestehen, kann Problemorientierung in verschiedener<br />

Form realisiert werden: vom Lehrervortrag bis hin zur freien Arbeit an selbst gewählten<br />

oder selbst gestellten Fragen und Aufgaben.<br />

Problemorientierter Lehrervortrag<br />

Ein Vortrag z. B. geht dann von einem bestimmten Problem und allgemein akzeptierten<br />

Lösungsvorschlägen dazu aus. Nach und nach versucht man, <strong>die</strong>se Vorschläge als falsch<br />

zu erweisen und durch möglichst bessere zu ersetzen. Oder man geht von einem noch<br />

unklaren Problem aus und versucht, es allmählich immer genauer zu fassen, man entwickelt<br />

Lösungsvorschläge, <strong>die</strong> der Kritik immer besser standhalten. FREUDENTHAL beschreibt<br />

anschaulich, wie ein solcher Vortrag vorbereitet wird und welche <strong>Auswirkungen</strong><br />

er <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Zuhörer hat. Er stellt sich zunächst vor, wie der Vortragende sich vorbereitet<br />

hat:<br />

„Da sagte er, in seinem Arbeitszimmer ‚liebe Zuhörer’, und er sah vor sich, <strong>die</strong> er im<br />

Geiste <strong>auf</strong>gerufen hatte. Er redete sie an, und sie neigten ihr Ohr; er fixierte einen, und<br />

der antwortete, es kam ein Zuruf aus dem Saal der Einbildung, und er diskutierte mit<br />

dem Interpellanten, man stimmte ihm zu oder griff ihn an, und er wehrte sich. Das alles<br />

schrieb er <strong>auf</strong> oder memorisierte er, sogar Irrtümer, <strong>die</strong> er rechtzeitig korrigiert hatte,<br />

setzte er an <strong>die</strong> rechte Stelle, und auch den richtigen Augenblick für einen Witz hatte er<br />

angekreuzt. Schließlich hielt er <strong>die</strong> Rede ... Und dann gingen <strong>die</strong> Hörer nach Hause und<br />

sagten ,er hat mir aus dem Herzen gesprochen’, oder ,er hat mich Punkt für Punkt widerlegt’,<br />

als ob er gewußt hätte, was ich sagen wollte’ oder ,nun weiß ich, warum ich anderer<br />

Meinung bin als er’.“ (FREUDENTHAL 1974, Bd. 1, S. 98)<br />

Eine problemorientierte Darbietung ist also eine Art Dialog, da sie <strong>die</strong> Gedanken in ihrer<br />

Entwicklung zeigt, sie sozusagen dramatisiert. Der Gegenstand wird so dargestellt, als<br />

71<br />

Wer versuchen will, mit solchen Gefühlen und Reaktionstendenzen besser klar zu kommen oder sich<br />

davon zu befreien, findet eine einfache und wirksame Hilfe in den Emotional Freedom Techniques.<br />

Sie sind leicht zu lernen und können von jedem selbst angewendet werden. EFT wurde entwickelt von<br />

Gary Craig. Sein Handbuch ist als kostenloser Download verfügbar unter www.emofree.com<br />

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HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

würde er erst während des Sprechens erkannt. Der Schüler sieht <strong>die</strong> Problemstellungen<br />

und -lösungen in ihrer Entstehung 72 .<br />

Man kann sicher viele Beispiele für derartige Darbietungen, vom Niveau des Kindergartens<br />

bis zum Universitätsniveau finden. Das folgende Beispiel ist eine Stelle aus einem<br />

Fernunterrichtsbrief des Mathematikers LEONHARD EULER an eine deutsche Prinzessin,<br />

in dem er über NEWTONS Gravitationstheorie schreibt (1773, Bd. 1, S. 179-180):<br />

„Dieser große Philosoph und Mathematiker lag einst in einem Garten unter einem<br />

Apfelbaume, als ein Apfel, der ihm <strong>auf</strong> den Kopf fiel, bey ihm eine Menge von<br />

Betrachtungen veranlaßte. Das wußte er sehr wohl, daß <strong>die</strong> Schwere <strong>die</strong> Ursache<br />

sey, warum der Apfel gefallen war, nachdem ihn der Wind oder eine andere Ursache<br />

von seinem Aste abgerissen hatte. Diese Vorstellung war sehr natürlich, und<br />

jeder ehrliche Bauer hätte sie vielleicht eben so gut haben können; aber der englische<br />

Weltweise gieng weiter. Der Baum, sagte er, muß sehr hoch gewesen seyn;<br />

und das brachte ihn <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frage: Würde wohl der Apfel gefallen seyn, wenn der<br />

Baum noch weit höher gewesen wäre Daran konnte er unmöglich zweifeln.<br />

Wie aber wenn der Baum so hoch gewesen wäre, daß er bis an den Mond gereicht<br />

hätte Hier wurde er verlegen zu entscheiden, ob der Apfel noch gefallen seyn<br />

würde oder nicht. Wenn er alsdann noch fiele (welches ihm noch sehr wahrscheinlich<br />

zu seyn schien, weil man in der Höhe des Baums sich keine gewisse bestimmte<br />

Grenze denken kann, wo der Apfel <strong>auf</strong>hören sollte zu fallen); wenn das also geschähe,<br />

so müßte der Apfel doch noch einige Schwere haben, <strong>die</strong> ihn gegen <strong>die</strong><br />

Erde triebe. Also müßte auch der Mond, der sich mit dem Apfel an einerley Orte<br />

befände, mit eben der Gewalt, wie der Apfel, gegen <strong>die</strong> Erde getrieben werden. Da<br />

ihm aber doch der Mond nicht <strong>auf</strong> den Kopf fiel; so sah er ein, daß davon <strong>die</strong> Bewegung<br />

des Mondes <strong>die</strong> Ursache seyn könne, so wie eine Bombe über uns weg<br />

fliegen kann; ohne gerade herunter zu fallen.“<br />

Bei einer derartigen, in problemorientierter Weise <strong>auf</strong>gebauten Darbietung können <strong>die</strong><br />

Schüler <strong>die</strong> Gedanken NEWTONS nachvollziehen. Sie entdecken so NEWTONS Theorie<br />

wieder, durch <strong>die</strong> ihnen bisher Unerklärtes und Unzusammenhängendes plötzlich erklärbar<br />

wird und einen Zusammenhang erhält. Sie lernen etwas Neues in verständlicher<br />

Weise kennen und dadurch werden sie motiviert, selbständig weiter nachzudenken.<br />

Problemorientierter Mathematik-Lehrgang<br />

Ein Lehrgang ist dann problemorientiert, wenn er Fragen bei den Schülern hervorruft,<br />

zumindest aber sie <strong>die</strong> Fragen, <strong>die</strong> im Lehrgang <strong>auf</strong>tauchen, lebendig nachvollziehen<br />

72<br />

Nach <strong>die</strong>ser Regel schrieb auch LEIBNIZ: „Ich nahm mir vor, so zu schreiben, dass der Leser jederzeit<br />

den inneren Grund des Gelesenen sehen könne, ja möglichst sogar so, dass <strong>die</strong> Quelle der Entdeckung<br />

deutlich werde, ja sogar <strong>auf</strong> solche Weise, dass der Leser alles so verstehe, als ob er es selbst<br />

erfunden hätte." (LEIBNIZ, Mathematische Schriften, hrsg. von GERHARDT, Bd. VII, S. 9; hier zit.<br />

nach POLYA 1967, S. 152)<br />

194


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

lässt. Sie Fragen oder Probleme müssen dann durch <strong>die</strong> Anregung veränderter Sichtweisen<br />

so drängend werden, dass <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong> Lösungen dazu finden wollen. Der Lehrgang<br />

sollte <strong>die</strong> Schüler aber zudem ermutigen, eigene Lösungen zu den von ihnen gestellten<br />

Fragen zu suchen.<br />

Verdeutlichen wir uns das am Beispiel des Dreiecks (vgl. den Geometrielehrgang von<br />

WITTENBERG 1963). Ein Dreieck ist zunächst nichts weiter als ein mit drei Strichen <strong>auf</strong><br />

ein Blatt Papier gemalter Gegenstand, <strong>die</strong> an den drei Ecken aneinander stoßen. Möglicherweise<br />

ist es für einen Schüler ein Dreieck nur dann, wenn <strong>die</strong> Striche in etwa gleich<br />

lang sind und alle Ecken sich ähneln. Wenn <strong>die</strong> Schüler nun <strong>auf</strong>gefordert werden, möglichst<br />

verschiedene Dreiecke zu zeichnen und auszuschneiden, erhält das Wort Dreieck<br />

eine immer umfassendere Bedeutung für sie.<br />

Diese Bedeutung wird gesteigert, wenn <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong> ausgeschnittenen Dreiecke nach<br />

gemeinsamen Merkmalen untersuchen. Sie finden dann beispielsweise, dass es solche<br />

mit gleich langen Seiten gibt. Sie gelten möglicherweise als besonders schön. Lässt man<br />

<strong>die</strong> Schüler der Frage nachgehen, warum das so ist, entdecken sie wiederum eine Menge<br />

interessanter Eigenschaften. Zum Beispiel kann man gleichseitige Dreiecke so falten,<br />

dass <strong>die</strong> Hälften sich genau decken. Die Ecke an der man das Dreieck faltet wird dabei<br />

genau halbiert. Ist das nur bei gleichseitigen Dreiecken so<br />

Wenn man gleich große gleichseitige Dreiecke mit einer Spitze um einen Punkt herum<br />

legt und <strong>die</strong> Seiten aneinander stoßen, dann entsteht immer <strong>die</strong>selbe Figur, nämlich ein<br />

regelmäßiges Sechseck. Was geschieht, wenn man dasselbe mit anderen Dreiecken versucht<br />

Durch Zeichnen, Ausschneiden, Falten, Neben- und Übereinanderlegen, Kombinieren<br />

und Vergleichen verschieden gestalteter Dreiecke wird <strong>die</strong> Bedeutung des Namens<br />

"Dreieck" immer reicher, immer umfassender, d.h. <strong>die</strong> Schüler wissen immer mehr<br />

über <strong>die</strong>sen Sachverhalt. 73<br />

Indem <strong>die</strong> Schüler mit dem Gegenstand umgehen, ihn mit den Operationen handhaben,<br />

<strong>die</strong> ihnen zur Verfügung stehen, entdecken sie eine Menge Dinge, <strong>die</strong> ihnen als solche<br />

nicht unbekannt sind. Sie wissen in etwa was "gleich große Ecken" sind, was "Halbieren"<br />

meint, was "Gleichmäßigkeit" ist, dass man eine Figur nach der Zahl ihrer Ecken<br />

benennen kann, dass man aus einzelnen Gegenständen neue Gegenstände zusammenfügen<br />

kann usw. Neu aber ist <strong>die</strong> Kombination all <strong>die</strong>ser Wissenselemente.<br />

73<br />

Vgl. ausführlich hierzu den Geometrielehrgang von WITTENBERG 1963.<br />

195


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Außerdem dürften <strong>die</strong> vorhandenen Wissenselemente oder Annahmen über Gegenstände<br />

nicht selten mehr oder weniger fehlerhaft oder ungenau sein, was durch Vergleich mit<br />

der Realität und <strong>die</strong> Diskussion gemeinsamer Erfahrungen festgestellt werden kann.<br />

Diese Annahmen werden dann durch angemessenere und den Prüfungen besser standhaltende<br />

Auffassungen ersetzt. So baut der Schüler nach und nach eine immer differenziertere<br />

Wissensstruktur über geometrische Gegenstände <strong>auf</strong>.<br />

Tatsächlich können wir gar nicht anders, als einem Gegenstand mit den Annahmen zu<br />

begegnen, über <strong>die</strong> wir bereits verfügen. Sie sind sozusagen das Netz, mit dessen Hilfe<br />

wir <strong>die</strong> Wirklichkeit einzufangen und zu verstehen versuchen. Wir haben zunächst nichts<br />

anderes als eben <strong>die</strong> schon vorhandenen Wissenselemente, und nur aus ihnen können wir<br />

unsere Annahmen für neue Gegenstände formen, mit denen wir sie dann zu erfassen<br />

versuchen.<br />

Lernen bedeutet danach also den Aufbau von kognitiven Schemata, <strong>die</strong> der Wirklichkeit<br />

immer besser angemessen sind. Ausgangspunkt sind <strong>die</strong> jeweils vorhandenen, mehr oder<br />

weniger bereichsspezifischen Alltagsschemata der Lernenden, d. h. <strong>die</strong> Wissenselemente,<br />

aus denen sie ihre Annahmen formen. Diese vorhandenen Wissensschemata können<br />

nach und nach immer besser an <strong>die</strong> realen Phänomene angepasst werden. Denn wenn <strong>die</strong><br />

Anwendung <strong>die</strong>ser Schemata nicht zu befriedigenden Ergebnissen führt, z.B. weil Versuche<br />

den durch ein Schema bedingten Erwartungen widersprechen, dann können <strong>die</strong><br />

Schemata verändert, angepasst oder neu strukturiert werden. Auf <strong>die</strong>se Weise werden<br />

<strong>die</strong> verfeinerten Schemata in der Erfahrungswelt der Lernenden verankert.<br />

So erwirbt der Schüler nicht nur ein differenziertes Können und Wissen. Er erwirbt auch<br />

Strategien zum Erwerb von Können und Wissen. Er lernt, wie er <strong>die</strong> Merkmale von Gegenständen<br />

erforschen kann. Er lernt das Lernen, wie man oft sagt. Und was vielleicht<br />

noch wichtiger ist – auch wenn es damit zusammenhängt –, er lernt, dass er fähig ist,<br />

sich selbst Wissen über <strong>die</strong> Welt und den Umgang mit ihr anzueignen. Er lernt, dass er<br />

<strong>die</strong> Angemessenheit <strong>die</strong>ses Wissens an den Gegenständen selbst prüfen kann, und dass<br />

<strong>die</strong>se Prüfung nicht in der persönlichen Macht von irgendjemandem liegt. Der Schüler<br />

kann sich selbst als kompetent erleben. Und <strong>die</strong>ses Kompetenzerlebnis motiviert ihn zu<br />

weiterem Lernen (vgl. WHITE 1959).<br />

Problemorientierter Physik-Lehrgang<br />

DIETMAR HERDT (1990) hat einen problemorientierten Lehrgang zur Einführung in <strong>die</strong><br />

elementare Optik entwickelt und überprüft. Die Schüler den Versuchsklassen haben mit<br />

196


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

<strong>die</strong>sem Lehrgang insgesamt beinahe doppelt so viele Fragen richtig beantworten können<br />

wie <strong>die</strong> Schüler im normalen Unterricht. Die Leistungen der schwachen Schüler verbesserten<br />

sich so sehr, dass sie sogar <strong>die</strong> besten Schüler des Normalunterrichts übertrafen. 74<br />

Offensichtlich regen problemorientierte Lehrgänge das Lernen an und fördern es.<br />

Im normalen Physikunterricht beginnt man zunächst mit einfachen optischen Erscheinungen<br />

beispielsweise anhand eines Spiegels. Nach kurzer Beschreibung solcher Phänomene<br />

stellt der Lehrer Fragen, anhand deren er <strong>die</strong> Gesetze der Reflexion an ebenen<br />

und sphärischen Flächen, Reflexionswinkel, Brechungsgesetz, Linsen, Linsenformel<br />

usw. einführt. Alles das sind Ergebnisse, Fakten. Dahinter aber steht eine Fülle von Ü-<br />

berlegungen, <strong>die</strong> von den konkreten Dingen abstrahieren und deren Formulierung <strong>die</strong><br />

frühen Forscher oft Jahre gekostet hat. Eine Menge von Hypothesen mussten verworfen<br />

werden, bevor man zu <strong>die</strong>sen Gesetzen kam. Diesen Wissenskanon zerlegt man nun in<br />

kleine Häppchen und bietet sie im Unterricht dar. Die Schüler lernen <strong>die</strong> Antworten,<br />

ohne eigene Fragen gestellt zu haben. Ihre Aufgabe sehen sie darin, sich <strong>die</strong>se Antworten<br />

einzuprägen und Prüfungen damit zu bestreiten. Das Lernen wird so zu einer bewussten<br />

Anstrengung. Doch das Ergebnis kann kaum mehr sein als eine oberflächliche<br />

Kenntnis von Lehrmeinungen. Das eigene Nachdenken, Suchen und Forschen wird unterdrückt.<br />

Die Schüler glauben nach einer Weile fast nicht mehr, dass sie in <strong>die</strong>sen Bereichen<br />

zu eigenen Ideen in der Lage wären. Bilden sie sich aber keine eigenen Auffassungen<br />

– weil weder ihre Lehrer noch sie selbst genügend Vertrauen in ihre Fähigkeiten<br />

haben – kann das Ergebnis nur etwas Zweitrangiges sein. 75<br />

Im problemorientierten Lehrgang von DIETMAR HERDT nun werden Mädchen und Jungen<br />

dazu angeregt, selber herauszufinden, was mit dem Licht passiert, wenn es beispielsweise<br />

durch einen Spalt in der Tür oder der Jalousie ins Zimmer fällt. Sie machen<br />

den Spalt enger oder weiter, verwenden eine künstliche Lichtquelle, um <strong>die</strong> Wirkungen<br />

verschiedener Anordnungen auszuprobieren. Sie streiten sich über ihre „Theorien“ und<br />

wollen herausfinden, ob und wie ihre Richtigkeit zu testen ist. Natürlich holen sie auch<br />

<strong>die</strong> Meinung anderer ein und konsultieren Bücher. Aber all das <strong>die</strong>nt nur dazu, um immer<br />

tiefer in das Feld optischer Erscheinungen einzudringen und sich ein eigenes Bild zu<br />

machen, es immer wieder zu prüfen und zu vervollständigen. Der Gegenstand steht also<br />

74<br />

75<br />

Vgl. DIETMAR HERDT: Einführung in <strong>die</strong> elementare Optik. Vergleichende Untersuchung eines neuen<br />

Lehrgangs. Essen: Westarp-Wissenschaften 1990<br />

Siehe JOHN DEWEY: On Education. Selected Writings. Edited and with an Introduction by Reginald D.<br />

Archambault. New York: Random House 1964, 392 f.; HELMUT LEHNER: Erkenntnis durch Irrtum als<br />

Lehrmethode. Bochum: Kamp 1979, 88 ff.<br />

197


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

im Mittelpunkt. Lernen ist einfach eine Folge, eine natürliche Belohnung der Auseinandersetzung<br />

mit den Phänomenen der Optik.<br />

Bei HERDT wird anfangs das Alltagswissen der Schüler über optische Zusammenhänge<br />

verwendet, um optische Erscheinungen zu deuten. Diese Deutungen werden dann gründlich<br />

<strong>auf</strong> ihre Richtigkeit hin befragt und untersucht. Die Ergebnisse der Schüler werden<br />

dann von <strong>die</strong>sen – mit Hilfestellung des Lehrers – an anderen, aber einfachen und den<br />

Schülern vertrauten Alltagsphänomenen untersucht und <strong>die</strong> Schüler übertragen sie zunehmend<br />

auch <strong>auf</strong> komplexere optische Erscheinungen. Erst zum Schluss des Lehrgangs<br />

kleiden sie ihre Erkenntnisse zusammen mit dem Lehrer in Formeln und werteten sie<br />

rechnerisch aus.<br />

An den Ergebnissen <strong>die</strong>ses problemorientierten Lehrgangs besonders interessant ist, dass<br />

<strong>die</strong> gemessene Intelligenz der Versuchspersonen erheblich geringere Bedeutung für den<br />

Lehrerfolg hatte als <strong>die</strong> Lehrmethode. So ist das schlechteste Lernergebnis, in der untersten<br />

Intelligenzklasse in der Versuchsgruppe (22,8 von 40 möglichen Punkten) erheblich<br />

besser als das beste Lernergebnis der obersten Intelligenzklasse der Vergleichsgruppe<br />

(13,7) (vgl. HERDT 1990, S. 410 f.).<br />

Problemorientierte Lernmaterialien<br />

Materialien zum selbständigen Arbeiten sollten grundsätzlich so beschaffen sein, dass<br />

sie den Schülern als Mittel verwendet werden können, um einen Gegenstand zu erforschen<br />

und sich eigene Vorstellungen der ihm zugrunde liegenden Zusammenhänge zu<br />

bilden und <strong>die</strong>se Vorstellungen selbständig <strong>auf</strong> ihre Richtigkeit hin zu prüfen.<br />

Diese Voraussetzungen sind in nahezu idealer Weise beim mathematischen MONTESSO-<br />

RI-Material erfüllt, wobei ich hier nur das so genannte Goldene Perlenmaterial herausgreife.<br />

Dieses Material besteht, wie der Name sagt, aus goldfarbenenen Plastik- oder<br />

Glasperlen. Die Zahlenmengen sind in Einer, Zehner, Hunderter und Tausender. Die<br />

Zehner sind zu einem Stab verbunden, zehn Zehnerstäbchen bilden in der Form eines<br />

flachen Quadrats einen Hunderter und zehn Hunderter einen Tausenderkubus. Implizit<br />

stecken also im Material <strong>die</strong> natürlichen Zahlen, das Zehnersystem und <strong>die</strong> geometrische<br />

Grundformen des Punkts (Einer), der Linie (Zehner), des Quadrats (Hunderter) und des<br />

Kubus (Tausender).<br />

Dieses Material ist, innerhalb der Grenzen der natürlichen Zahlen, ein wunderbares Mittel<br />

zum Umgang mit der Welt der Zahlen und für <strong>die</strong> Entdeckung der Gesetze <strong>die</strong>ser<br />

198


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Welt. Nach der schrittweisen Einführung des Materials und der Zahlen, beginnen <strong>die</strong><br />

Kinder schon sehr früh mit großen Zahlen umzugehen. Zunächst beginnen <strong>die</strong> Kinder<br />

mit dem Zählen der Perlen, sie tauschen zehn Einer gegen einen Zehnerstab, zehn Zehnerstäbe<br />

gegen einen Hunderter usw. und schaffen so aus einem H<strong>auf</strong>en von Einern eine<br />

zählbare, gut zu überschauende Ordnung.<br />

Fordert man <strong>die</strong> Kinder <strong>auf</strong>, von einem Hunderter eine Perle wegzulegen, dann kommen<br />

sie bald <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Idee, ihn in zehn Zehner und dann einen Zehner in zehn Einer zu tauschen.<br />

Sie probieren das dann natürlich auch bald mit dem Tausender. Das richtige<br />

Rechnen beginnt mit der Verwendung der Kartensätze, <strong>die</strong> zu jeder Perlenmenge gehören.<br />

Auf den Karten sind <strong>die</strong> zugehörigen Zahlen <strong>auf</strong>gedruckt: <strong>die</strong> Einer grün, Zehner<br />

blau, Hunderter rot, Tausender wiederum grün. Die Karten 9000-300-20-6 liegen zunächst<br />

untereinander:<br />

9000<br />

300<br />

20<br />

6<br />

Schieben <strong>die</strong> Kinder <strong>die</strong> Karten übereinander entsteht <strong>die</strong> Zahl 9326. Die Kinder legen<br />

dazu <strong>die</strong> entsprechenden Perlenmengen. Jetzt können sie im Rahmen der natürlichen<br />

Zahlen beliebig ad<strong>die</strong>ren, subtrahieren, verteilen (divi<strong>die</strong>ren) und multiplizieren (xmaliges<br />

Ad<strong>die</strong>ren gleicher Summanden). Die Kinder rechnen also bereits im ersten<br />

Schuljahr mit großen Zahlen.<br />

Wenn <strong>die</strong> Kinder sich dann selber beliebige Aufgaben stellen, stoßen sie an <strong>die</strong> Grenzen<br />

des Raums der natürlichen Zahlen. Beispielsweise, wenn beim Verteilen das Ergebnis<br />

nicht „<strong>auf</strong>geht“ oder wenn beim Subtrahieren mehr Perlen weggenommen werden müssten<br />

als eigentlich da sind. Das sind interessante Fragen, <strong>die</strong> zu einer Erweiterung des<br />

Zahlenraums führen und eine auch eine Erweiterung der Mittel zur Erkundung <strong>die</strong>ser<br />

neuen Zahlenräume und der in ihnen geltenden Gesetzmäßigkeiten erfordern.<br />

Ein weiteres Beispiel für problemorientierte Lernmaterialien ist <strong>die</strong> Lautier- oder Buchstabentabelle<br />

von JÜRGEN REICHEN (2001). Das ist eine Tabelle, <strong>auf</strong> der <strong>die</strong> wichtigsten<br />

im Deutschen vorkommenden Laute als Grapheme in Druckschrift <strong>auf</strong>gedruckt sind.<br />

Diese Tabelle gibt den Schülern <strong>die</strong> Möglichkeit, Laut-Buchstaben-Zuordnungen vorzunehmen,<br />

also <strong>die</strong> Laute eines Wortes in schriftlichen Zeichen auszudrücken, d.h. Wörter<br />

zu schreiben. Dieses Mittel ist nicht perfekt, weil <strong>die</strong> Umsetzung schon <strong>auf</strong>grund unterschiedlicher<br />

Aussprache nicht immer so eindeutig ist. Dennoch lösen <strong>die</strong> Kinder das<br />

Problem der Verschriftlichung ihrer Erzählungen in kürzester Zeit, wenn auch anfangs<br />

199


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

mit zahlreichen Abweichungen von der Norm. Das Lesen erfolgt dann nach wenigen<br />

Wochen ganz spontan.<br />

Manche Lehrer lassen <strong>die</strong> Kinder auch selber ihre eigenen Buchstabentabellen erstellen,<br />

indem sie Bilder von Gegenständen malen <strong>die</strong> mit dem entsprechenden Buchstaben beginnen<br />

(beispielsweise können sie zu dem Buchstaben B einen Baum malen).<br />

Andere Mittel wie der Morgenkreis regen das problemorientierte Handeln in sozialen<br />

Situationen an. Wie bei allen anderen genannten „Mitteln“ hängt <strong>die</strong> Wirkung im Wesentlichen<br />

davon ab, ob Bedingungen der Selbständigkeit der Schüler (Freiheit und Ordnung)<br />

sowie der Kooperation (im Unterschied zum Wettbewerb) ab. FALKO PESCHEL<br />

beschreibt eine solche Situation in seiner Klasse:<br />

„Morgens bin ich gegen halb acht in meiner Klasse. Unser Raum ist nicht gerade<br />

typisch eingerichtet, denn <strong>die</strong> Schülertische stehen bei uns alle ringsum an der<br />

Wand entlang. Bei Verzicht <strong>auf</strong> ‚Frontalunterricht’ müssen <strong>die</strong> Tische ja auch<br />

nicht zur Tafel zeigen und <strong>die</strong> Klasse erhält so eine schöne, große Freifläche in der<br />

Mitte. Kurz nach mir trudeln <strong>die</strong> ersten Kinder ein, arbeiten ein wenig oder sprechen<br />

miteinander. ... Irgendwann nach dem eigentlichen Stundenbeginn gegen<br />

zehn nach acht ruft der ‚Kreisleiter’ <strong>die</strong> Kinder dann mit der unüberhörbaren Mitteilung<br />

‚Kreis’ in unsere <strong>auf</strong> einem Podest fest installierte Sitzecke aus selbst gezimmerten<br />

Holzbänken. Wenn ich mich lieber mit den Hospitanten weiterunterhalten<br />

oder ein Kind lieber an seiner Arbeit weiter machen möchte, fragt man den<br />

Kreisleiter, der einem dann <strong>die</strong> entsprechende Erlaubnis gibt – oder auch nicht.<br />

Die Kinder haben beschlossen, dass alle zwei Tage jemand neues Kreischef wird.<br />

Alle zwei Tage, damit eine gewisse Kontinuität entsteht, aber auch jeder in überschaubarer<br />

Zeit dran kommen kann. Entsprechend wählt der bisherige Chef dann<br />

ein anderes Kind aus, das nun den Kreis leiten will. Der neue Kreischef hat dann<br />

<strong>die</strong> Gesprächsleitung inne und nimmt Kinder oder Lehrer dran, achtet <strong>auf</strong> Zwischenfragen,<br />

bricht evtl. abschweifende Gespräche nach Rücksprache mit der<br />

Klasse ab usw. Kinder und Lehrer haben dabei <strong>die</strong> Gelegenheit, Sachen zu erzählen,<br />

Termine abzustimmen, nachzufragen, Probleme zu klären, andere zur Verantwortung<br />

zu ziehen, Regeln abzustimmen, Arbeitsergebnisse vorzustellen, Gruppen<br />

zu organisieren, Ausflüge zu planen usw. Wenn niemand mehr etwas zu sagen hat,<br />

oder wenn der Kreisleiter merkt, dass es unruhig wird, beendet er den Kreis.<br />

Heute ist B. ‚Kreischef’, er hat <strong>die</strong> Gesprächsleitung inne. Zuerst fragt er, ob jemand<br />

etwas Wichtiges zu sagen hat. Ich zeige schon mal mit <strong>auf</strong>, denn ich muss<br />

noch etwas … fragen. … Einfach reden will ich nicht. Wenn ich davon ausgehe,<br />

dass <strong>die</strong> Kinder sich an <strong>die</strong> Regeln halten sollten, dann muss ich das ja wohl auch<br />

(was mir zugegebenermaßen oft sehr schwer fällt.) Oh, heute komme ich sogar<br />

schon als Dritter dran. Dann kann ich meine Sachen ja noch schnell abklären, bevor<br />

B. jedes Kind danach fragt, was es heute tun will. In <strong>die</strong>ser Zeit können wir eigentlich<br />

schon aus dem Kreis gehen – wenn B. es erlaubt …“ (FALKO PESCHEL<br />

2002, Bd. 1. S. 128 ff.)<br />

200


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Wer nun denkt, dass es dazu besonders guter und sozial angepasster Schüler bedürfe, irrt<br />

gewaltig. PESCHEL erzählt: B., der gerade den Kreis leitet, war im Kindergarten hyperaktiv,<br />

aggressiv und unsozial <strong>auf</strong>gefallen. Er konnte sich an keine Regeln halten, erst allmählich<br />

fiel <strong>auf</strong>, dass wohl „hochbegabt“ war.<br />

Noch viel schwieriger war K. Er war vorher bereits in der Sonderschule und <strong>die</strong> Lehrerin<br />

dort meinte, dass man bei ihm an Lernen noch gar nicht denken könne.<br />

G. galt weder als kindergarten- noch als schulkindergartenfähig. Nach einem Aufenthalt<br />

in der Psychiatrie und einem gescheiterten Schulversuch sollte er in <strong>die</strong> Erziehungshilfe<br />

eingewiesen werden. Während einer „Wartezeit“ kam er in PESCHELS Klasse und blieb<br />

dann da, wo er nie ein Problem war, weil er nie zu irgendwas gezwungen wurde, vor<br />

allem nicht zum Lernen.<br />

Noch etliche andere Kinder waren problematisch, aber im offenen Unterricht von PE-<br />

SCHEL viel weniger als im normalen Unterricht. Sie lösten <strong>die</strong> Probleme ihres Zusammenlebens<br />

in der Klasse gemeinsam und selbständig; sie lernten alles das, was ihnen<br />

interessant erschien, was also Fragen anregte, was ein subjektives Problem für sie darstellte.<br />

Freies problemorientiertes Arbeiten<br />

Freies problemorientiertes Arbeiten bedeutet, dass der Unterricht sich ganz <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Fragen<br />

jedes einzelnen Schülers einstellt. Das mag für viele Lehrer schwer vorstellbar sein,<br />

aber es ist möglich und es verbessert langfristig <strong>die</strong> Leistungen der Schüler, weil sie ja<br />

immer ihre persönliche Könnens- und Fähigkeitsgrenzen erweitern (vgl. PESCHEL 2002,<br />

S. 121 ff.). Es gibt also keine feste Unterrichtsstruktur, weil ja jeder Schüler selbst seine<br />

eigenen Inhalte, Interessen, Fragen, Erarbeitungsabläufe, Aufgaben, Zusammenarbeit<br />

mit anderen, Einzelarbeit, Übungen, Ergebnisdarstellungen usw. findet. Aufgrund ihres<br />

Interesses setzen sich <strong>die</strong> Schüler mit anderen auseinander, befragen beispielsweise Geschwister,<br />

Freunde, Verwandte, aber auch den Lehrer, suchen nach Anregungen in Büchern,<br />

Zeitschriften oder vorliegenden Arbeitsheften in der Klasse. Durch <strong>die</strong>se stete<br />

Auseinandersetzung wird das Lernen ständig vorangetrieben. Solche selbständige Arbeit<br />

der Schüler erfordert ein entsprechendes Engagement, das <strong>die</strong> Schüler aber <strong>auf</strong>bringen,<br />

„wenn daneben nicht ein bequemerer, verlässlicher Lehrgang angeboten wird“ (PESCHEL<br />

2002, S. 121).<br />

201


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Ausgangspunkt solcher selbständiger Arbeit kann der „Kreis“ (siehe oben) sein, in dem<br />

Neuigkeiten erzählt, Arbeitsvorhaben oder Sachen vom Vortag vorgestellt und Fragen<br />

geklärt werden. In der „Regel gibt es dann schnell eine Runde, in der jedes Kind der<br />

Gruppe mitteilt, was es heute tun möchte und dann aus dem Kreis geht“ (PESCHEL 2002,<br />

S. 123).<br />

Vom Lehrer fordert <strong>die</strong>ses freie problemorientierte Arbeiten eine völlig andere Rolle. Er<br />

braucht nun nicht mehr in <strong>die</strong> verschiedenen Dinge einzuführen, sondern unterstützt eher<br />

einzelne Schüler, sofern sie das möchten, lässt sich von ihnen erklären, wie sie warum<br />

vorgehen usw. Vor allem aber muss er versuchen, den Überblick zu behalten. Um selber<br />

Sicherheit zu gewinnen, muss er <strong>die</strong> Lehrpläne oder Bildungsstandards seiner und der<br />

nächsten Klassenstufen im Kopf haben, nach Möglichkeit auch <strong>die</strong> anderer Schulformen.<br />

Auf <strong>die</strong>se Weise kann er dann <strong>die</strong> von den Schülern erarbeiteten Inhalte und Ergebnisse<br />

verorten und sich ein Bild ihrer Leistungen machen. Wenn alle Stufen und alle Inhalte<br />

gleichzeitig vertreten sind, muss der Lehrer sich auch mit der Vielfalt der Inhalte vertraut<br />

machen. So ist er selber ständig am Lernen und Erkunden. Er muss sich mit den<br />

Forschungsmethoden in den verschiedenen Bereichen befassen und in der Klasse dafür<br />

sorgen, dass entsprechende Werkzeuge, Bücher und sonstige Utensilien bereitstehen<br />

(PESCHEL 2002, S. 122).<br />

Genetisches Lehren als Hilfe für den Lehrer<br />

Um vor allem den Lehrern den Zugang zur Problemorientierung zu erleichtern, hat WA-<br />

GENSCHEIN (z.B. 1970, S. 68 ff.) das "Genetische Lehren" vorgeschlagen. Das methodische<br />

Prinzip des genetischen Lehrens besteht darin, <strong>die</strong> Ergebnisse der Wissenschaft, der<br />

Technik, der Musik, Kunst usw. wieder in Fragen oder Probleme <strong>auf</strong>zulösen oder zurückzuverwandeln.<br />

Die Probleme, <strong>die</strong> einmal zur ursprünglichen Entdeckung von Lösungen<br />

geführt haben, seien auch <strong>die</strong> Fragen, <strong>die</strong> ganz einfach am Anfang der Beschäftigung<br />

mit einem Gegenstand stehen. Der Lehrer muss sich dazu mit der Geschichte seines<br />

Faches oder Gegenstandes befassen. Er kann dann <strong>die</strong> der Entstehung einer bestimmten<br />

Lösung vorausgegangenen Probleme nachvollziehen und dadurch auch besser<br />

<strong>die</strong> Fragen seiner Schüler verstehen und ihnen entsprechende Anregungen geben, weiterführende<br />

Fragen stellen usw.<br />

Den Ausgangspunkt im problemorientierten Unterricht sollte allerdings nach Möglichkeit<br />

immer der Schüler mit seinen Interessen und Fragen sein. Denn nur der Schüler<br />

selbst kann <strong>die</strong> subjektive Bedeutung von Lerngegenständen konstruieren bzw. rekonstruieren.<br />

Das wird am ehesten möglich sein, wenn man ihm Spielräume gibt, "<strong>die</strong> Frei-<br />

202


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

heit, einen eigenen Zugang aus seiner Perspektive zu finden" (PRENZEL 1990, S. 181).<br />

Wenn im Unterricht in <strong>die</strong>ser Weise gearbeitet wird, sind <strong>die</strong> Schüler bereit, selbst verpflichtende<br />

Lehrstoffe in ihre subjektiven Bedeutungsstrukturen einzubinden, sofern<br />

man ihnen nur unterschiedliche Zugänge und Erarbeitungsweisen erlaubt.<br />

Eine Interesse erweckende Frage hat immer eine affektive Komponente. Denn wenn<br />

etwas subjektive Bedeutung gewinnt, wenn es als wichtig für einen selbst betrachtet<br />

wird, führt das zu einer emotionalen Erregung oder Spannung. Eröffnet der Umgang mit<br />

einem Gegenstand Wissens- und Fähigkeitserweiterungen oder neue Handlungsmöglichkeiten,<br />

wird <strong>die</strong> ausgelöste emotionale Erregung als positiv und förderlich erlebt. Der<br />

Lehrer kann sie freilich ins Negative kehren, wenn er keine Geduld hat und <strong>die</strong> Schüler<br />

zu Ergebnissen drängt oder wenn er bestimmte Formulierungen von ihnen will.<br />

Dagegen kann <strong>die</strong> Bedeutung, <strong>die</strong> allein durch den Hinweis <strong>auf</strong> Noten oder Zeugnisse<br />

"oder eine ferne Zukunft" entsteht, Schüler kaum zu einer intensiven, selbständigen, aus<br />

eigenem Antrieb gespeisten Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen bringen; "im<br />

Gegenteil, sie verhindert sie geradezu" (PRENZEL 1990, S. 181; ähnlich GROLNICK / RY-<br />

AN 1987).<br />

Die problemorientierte Auffassung von Fehlern<br />

Aus problemorientierter Sicht kann unser Wissen nichts anderes als eine freie Konstruktion<br />

von Vermutungen oder Theorien sein. Bei wirklichkeitsbezogenen Theorien kann<br />

man durch den Vergleich mit der Realität lediglich feststellen, ob sie falsch sind. Aber<br />

auch, wenn sie sich in allen Tests bewähren, kann man kann niemals sicher sein, ob sie<br />

auch fehlerfrei oder wahr sind. Sie gelten vielmehr als vorläufige Problemlösungen, <strong>die</strong><br />

durch bessere ersetzt werden können.<br />

Bei Regelsystemen, wie sie etwa dem Gebrauch von Sprachen zugrunde liegen, handelt<br />

es sich um Konventionen, <strong>die</strong> in einem langen Prozess geschaffen wurden, und von denen<br />

man annehmen kann, dass sie nicht vollkommen sind. Deshalb werden sie auch z.T<br />

<strong>auf</strong>grund von Schwierigkeiten, sie einzuhalten, z.T. weil abweichende Regeln in der<br />

Praxis sich <strong>auf</strong>grund größerer Einfachheit durchgesetzt haben, stets gewissen Veränderungen<br />

ausgesetzt sein. Auch <strong>die</strong> bestehenden Konventionen werden danach als vorläufige<br />

Lösungen für Probleme betrachtet, für <strong>die</strong> immer weiter nach besseren Lösungen<br />

gesucht wird.<br />

203


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Wenn Schüler Fehler im Umgang mit unserem vorläufigen Wissen und mit unseren unvollkommenen<br />

Konventionen machen, dann sind beispielsweise Abweichungen vom<br />

Standard der Rechtschreibung als Versuche des Schülers <strong>auf</strong>fassen, <strong>die</strong> konventionellen<br />

Regeln nachzuvollziehen und zu verstehen. Das bedeutet, dass im problemorientierten<br />

Unterricht Fehler als Anlässe für <strong>die</strong> Entdeckung von Zusammenhängen zu betrachten<br />

sind, <strong>die</strong> bisher womöglich unberücksichtigt geblieben sind. Dabei ist es sinnvoll, wenn<br />

<strong>die</strong> Schüler selber oder gegenseitig ihre Lösungen prüfen. Tatsächlich sind Mitschüler in<br />

vielen Fällen <strong>die</strong> effektiveren Helfer (vgl. CLOWARD 1967; BECK u.a. 1991). Entscheidend<br />

ist, dass <strong>die</strong> Schüler als denkende und nach effektivem Wissen und Handeln strebende<br />

Individuen behandelt werden.<br />

Problemorientierung in der Entwicklung der Kinder<br />

Problemorientierung ist <strong>die</strong> natürliche Haltung des Menschen von klein <strong>auf</strong>. Aber <strong>die</strong><br />

Schule geht oft nicht dar<strong>auf</strong> ein, sondern traktiert <strong>die</strong> Kinder mit dem Lehrplan. Auch<br />

viele Eltern wissen nicht so recht, wie sie <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Haltung ihrer Kinder eingehen sollen.<br />

Sehen wir uns dazu folgende Dialoge (vgl. FEUERSTEIN 1980) an:<br />

Bitte geh in den Laden an der Ecke und k<strong>auf</strong> drei Flaschen Milch.<br />

Warum so viel<br />

Weil wir soviel brauchen!<br />

Bitte geh in den Laden an der Ecke und k<strong>auf</strong> drei Flaschen Milch.<br />

Warum soviel<br />

Morgen ist Sonntag; da sind <strong>die</strong> Geschäfte zu.<br />

Dem Kind kommt <strong>die</strong> Bitte, drei Flaschen Milch <strong>auf</strong> einmal zu k<strong>auf</strong>en, offenbar etwas<br />

seltsam vor. Im ersten Beispiel muss es sich mit einer Erklärung abfinden, <strong>die</strong> nicht über<br />

das hinausgeht, was es schon vorher wusste, denn es wäre nicht gebeten worden, soviel<br />

Milch zu k<strong>auf</strong>en, wenn sie <strong>die</strong> Milch nicht brauchten, aber warum, wozu, weshalb<br />

Wenn ein Kind immer solche Antworten erhält, mag es schließlich zu der Auffassung<br />

gelangen, dass <strong>die</strong> Welt einfach nicht verständlich ist. Nach Feuersteins Untersuchungen<br />

leiden solche Kinder unter einer "reduced modifiability", einer verringerten Fähigkeit,<br />

sich zu ändern, d.h. zu lernen (vgl. FEUERSTEIN / HOFFMAN / JENSEN / RAND 1985).<br />

Solche Kinder mögen vieles wissen, soziale Gewohnheiten beherrschen usw., aber es<br />

handelt sich für sie dabei um feststehende Gegebenheiten. Diese Kinder lernen nur<br />

schwer dazu und gewöhnen sich kaum an neue Situationen und neue Regeln. Sie bauen<br />

ein sozusagen endgültiges Weltbild <strong>auf</strong>. Sie lernen reproduktiv bestimmte Ergebnisse.<br />

Da sie <strong>auf</strong>hören, nach Antworten <strong>auf</strong> ihre Fragen zu suchen, verringert sich ihre Fähig-<br />

204


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

keit zu lernen. Wenn <strong>die</strong> Kinder genügend andere soziale Kontakte haben, kann <strong>die</strong>se<br />

reproduktive Lernhaltung <strong>auf</strong> das Elternhaus begrenzt bleiben. Alles, was von den Eltern<br />

kommt oder mit Belehrung zu tun hat, wird von ihnen als reproduktiv zu lernende Gegebenheit<br />

<strong>auf</strong>gefasst. Außerhalb des Elternhauses, <strong>auf</strong> der Straße unter Gleichaltrigen können<br />

sie in vieler Hinsicht geschickt und schlau sein und eine schnelle Auffassungsgabe<br />

besitzen (vgl. FEUERSTEIN / HOFFMAN / JENSEN / RAND 1985). 76<br />

Dialoge, <strong>die</strong> dem zweiten Beispiel entsprechen, regen das Kind dazu an, Hintergründe<br />

zu erforschen, Bedingungen und dar<strong>auf</strong> abgestimmte Planungen zur Erreichung bestimmter<br />

Ziele zu untersuchen. Das Kind lernt mit Argumenten umzugehen, es lernt<br />

Forderungen und Hinweise <strong>auf</strong> zugrunde liegende Zusammenhänge zu prüfen. Es lernt<br />

<strong>die</strong> unausgesprochenen, konnotativen Beziehungen zu erahnen oder mitzudenken, <strong>die</strong><br />

dem Wortlaut einer Äußerung nicht unmittelbar anzusehen sind. Insbesondere auch im<br />

Hinblick <strong>auf</strong> das Lernen sozialer Regeln sind solche Fähigkeiten von grundlegender Bedeutung.<br />

Denn soziale Regeln sind im Unterschied zu Befehlen nicht <strong>auf</strong> eine ganz bestimmte<br />

Handlung bezogen, sondern stecken einen Raum von Möglichkeiten ab, d.h. sie<br />

müssen interpretiert und verstanden werden.<br />

Feuerstein konnte zeigen, dass Kinder, deren Lerngeschichte von überwiegend ergebnisorientierten<br />

Erziehungsbedingungen geprägt war, durch <strong>die</strong> Bewältigung von interessanten<br />

Problem<strong>auf</strong>gaben sich nach einer gewissen Zeit ganz normal entwickelt haben.<br />

Die Beseitigung von Lernstörungen durch Problemorientierung<br />

Lernstörungen entstehen nach FEUERSTEIN (1983) durch inadäquate Lerngelegenheiten,<br />

d.h. insbesondere durch ergebnisorientierte Lernanforderungen, <strong>die</strong> rezeptivreproduktives<br />

Lernen fordern. Stellt man in ihrer Entwicklung retar<strong>die</strong>rten Kindern oder<br />

Jugendlichen aber vor Probleme, d.h. Aufgaben, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Anwendung forschendentdeckender<br />

Operationen von ihnen fordern, dann werden damit <strong>die</strong> Ursachen für <strong>die</strong><br />

Retar<strong>die</strong>rung, <strong>die</strong> offenbar in ergebnisorientierten Lernanforderungen liegen, beseitigt.<br />

Freilich dürfen in der Anfangsphase nicht zu hohe Anforderungen an das selbständige<br />

Erforschen und Entdecken gestellt werden. Die Schüler brauchen anfangs noch Hilfe<br />

und Ermutigung. Sie müssen sich daran gewöhnen, nicht impulsiv, sondern überlegt zu<br />

76<br />

Wie <strong>die</strong> Erfahrung zeigt, halten Schüler sich im lehrergelenkten Unterricht oft auch dann an <strong>die</strong> Anweisungen<br />

des Lehrers, wenn <strong>die</strong>se offensichtlich unsinnig sind. Sollen sie dagegen in eigener Verantwortung<br />

umfangreiche Aufgaben mit Hilfe von Arbeitsblättern erledigen, <strong>die</strong> Anleitungen und<br />

Hinweise geben, dann gleichen sie Unstimmigkeiten oder unpraktikable Anweisungen usw. selbständig<br />

aus.<br />

205


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

handeln, indem sie eine Annahme formulieren und <strong>die</strong>se prüfen: hat sie sich bewährt<br />

Warum trifft sie zu Warum nicht Der typischen Impulsivität ist durch eine entsprechende<br />

Begleitung zu begegnen. Wenn sie Fehler machen, sind <strong>die</strong> Ursachen der Fehler<br />

zu suchen, indem man den Gedankengang des Schülers ernst nimmt und zurückverfolgt.<br />

Auch wenn schwere Lernstörungen im frühen Kindesalter entstanden sind, können sie<br />

durch adäquate Lernbedingungen oft noch verändert und Retar<strong>die</strong>rungen nicht selten<br />

deutlich verringert werden. Häufiger als gemeinhin angenommen, können selbst<br />

schlimmste Fälle eine günstige Wendung nehmen (vgl. CLARKE/CLARKE 1976). Auch<br />

wenn <strong>die</strong> Umstellung <strong>auf</strong> problemorientierte Lernbedingungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Übung forschend<br />

entdeckender Operationen fordern, erst spät erfolgt, können noch erstaunliche Korrekturen<br />

erzielt werden, wie FEUERSTEIN (1983, S. 10) an Beispielen wie dem des 15-jährigen<br />

M. darstellt:<br />

M. war zur Verwahrung ins Heim überwiesen worden. In den vorliegenden Berichten<br />

wurde sein „IQ zwischen 35 und 45 angegeben. M.s Wortschatz bestand aus 40-50 Wörtern<br />

und er zeigte ernste Beeinträchtigungen der raum-zeitlichen Orientierung, der Fähigkeit<br />

zur Nachahmung, der Gedächtnisleistungen und des Sozialverhaltens.“ Unter den<br />

denkbar ungünstigsten Verhältnissen <strong>auf</strong>gewachsen, zu früh und mit zu geringem Gewicht<br />

geboren, „litt M. von Geburt an einem Gehirnschaden“.<br />

Feuerstein wendete das vom ihm entwickelte Learning Potential Assessment Device an,<br />

einen Test, der im Unterschied zu Intelligenztests nicht <strong>die</strong> Leistung festzustellen sucht,<br />

<strong>die</strong> bei einem gegebenen Maß an Fähigkeiten erbracht wird, sondern das Lernpotential<br />

<strong>auf</strong>decken soll (vgl. FEUERSTEIN 1979). Dieser Test zeigte, „entgegen allen Erwartungen<br />

... eine erstaunlich hohe Lernkapazität“.<br />

Nach 11 Jahren intensiver Betreuung, in denen M. mittels problemorientierter Aufgaben<br />

Operationen des forschend-entdeckenden Lernens wie Vergleichen, antizipatorisches<br />

und schlussfolgerndes Denken, Analogien bilden usw. erwarb, ist er zu einem selbständigen<br />

jungen Mann geworden, sprachlich gewandt und mit „einem Sinn für Humor, sozialen<br />

Fertigkeiten und beruflichen Ambitionen. Er ist verantwortlich für den Betrieb<br />

eines großen Hallenschwimmbads und hat Französisch und etwas Deutsch gelernt. Trotz<br />

M.s belasteter Erbanlagen, organischem Schaden“ und extremer frühkindlicher Deprivation<br />

konnte er sich noch zu dem relativ späten Zeitpunkt, an dem man ihn in lebenslängliche<br />

Heimverwahrung geben wollte, in einer adäquaten Lernumwelt mit problemorientierten<br />

Lernhilfen zu einem anpassungsfähigen intelligenten Menschen entwickeln, der<br />

sein Leben selbstverantwortlich gestalten kann.<br />

206


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

FEUERSTEIN berichtet etliche Fälle von Jungen und Mädchen im Alter von 12 bis 15 Jahren,<br />

<strong>die</strong> in hohem Maß impulsiv, manchmal auch aggressiv und unvorhersehbar reagierten,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Sprachbeherrschung von 6- bis 8-jährigen sowie extrem eingeschränkte Rechenfähigkeiten<br />

zeigten. Mit Hilfe eines Programms (Feuerstein Instrumental Enrichment,<br />

FIE), das dar<strong>auf</strong> ausgerichtet ist, an problemorientierten Aufgaben Operationen<br />

des forschend-entdeckenden Lernens zu üben und in verschiedenen Situationen anzuwenden,<br />

wurden erstaunliche Erfolge erzielt. Relativ viele <strong>die</strong>ser Kinder wurden später<br />

selbst „Lehrer und Schulleiter und haben eine sehr viel optimistischere Haltung hinsichtlich<br />

der Möglichkeiten“ des Lernens angenommen (FEUERSTEIN 1983, 65).<br />

Es wurden auch mehrere Langzeituntersuchungen der Wirkungen des FIE durchgeführt.<br />

In einer <strong>die</strong>ser Untersuchungen wurden zwei Formen der Förderung miteinander verglichen<br />

(ebenda, S. 325 ff.). Die eine Gruppe erhielt eine allgemeine Förderung (General<br />

Enrichment, GE), <strong>die</strong> dar<strong>auf</strong> ausgerichtet war, durch zusätzliche Hilfen, <strong>die</strong> Lücken im<br />

Wissen und Können der Schüler zu schließen. Die andere Gruppe erhielt neben dem<br />

sonstigen Unterricht das FIE, d.h. es wurden an problemorientierten Aufgaben gezielt<br />

forschend-entdeckende Operationen geübt und angewandt.<br />

Der größere Teil der am Programm beteiligten Kinder war schwer geschädigt. Die meisten<br />

der Heranwachsenden im Alter von 12 bis 15 kamen aus Nordafrika. In ihren sozialen<br />

und intellektuellen Fertigkeiten lag <strong>die</strong> Entwicklung zwischen drei und sechs Jahren<br />

unterhalb der Altersnorm. Viele hatten einen IQ zwischen 50 und 70 und sogar niedriger.<br />

Die Mehrzahl konnte entweder gar nicht oder nur begrenzt lesen und schreiben. Nur<br />

ein Viertel beherrschte drei der vier Grundrechenarten. Im Handeln überwog eine ungezügelte<br />

Impulsivität und es bestand <strong>die</strong> Tendenz, sterotype und unangepasste Verhaltensweisen<br />

zu wiederholen.<br />

Nach zwei Jahren schnitten <strong>die</strong> Schüler, <strong>die</strong> das FIE erhalten hatten im Primary Mental<br />

Abilities sowie verschiedenen anderen Tests deutlich besser ab, als <strong>die</strong> Gruppe mit dem<br />

Programm der allgemeinen Förderung (GE), das eher ergebnisorientierte Aufgaben verwendete.<br />

Ein größerer Teil der Gruppen wurde, als <strong>die</strong> Schüler zwei bis drei Jahre nach<br />

Abschluss des Programms zum Militär eingezogen wurden, noch einmal hinsichtlich<br />

verschiedener Testleistungen verglichen werden. Jetzt schnitten <strong>die</strong> FIE-Probanden noch<br />

weit besser ab als <strong>die</strong> GE-Schüler. Die Kluft zwischen den Gruppen hatte sich erweitert.<br />

D.h., dass <strong>die</strong> Übung in forschend-entdeckenden Operationen anhand von problemorientierten<br />

Aufgaben nach Beendigung der Schule weit größere Transferleistungen ermög-<br />

207


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

lichte, als ein vorwiegend <strong>auf</strong> lehrplangemäße Kenntnisse und Fertigkeiten ausgerichtetes<br />

ergebnisorientiertes schulisches Programm.<br />

Für <strong>die</strong> Verfügbarkeit forschend-entdeckender Operationen, wie problemorientierte Aufgaben<br />

sie erfordern, spricht auch, dass Jugendliche aus Kulturen, <strong>die</strong> eine Kluft von<br />

Jahrhunderten von unserer modernen technologischen Gesellschaft trennt, sich schnell<br />

und leicht anpassen können, wenn sie zu uns kommen. Vermutlich haben sie als Kinder<br />

durch Teilnahme an den in ihrer Umgebung anfallenden Fragen und Problemen ihre<br />

Kultur <strong>auf</strong> forschend-entdeckende Weise erkundet. Die dabei angewandten forschendentdeckenden<br />

Operationen ermöglichen ihnen nun <strong>die</strong> Anpassung an <strong>die</strong> völlig anderen<br />

Umstände einer fremden Kultur (vgl. FEUERSTEIN 1983, 24 f.).<br />

Kooperation<br />

Kooperation ist zu verstehen als Zusammenarbeit, als gegenseitige Hilfe unter den Schülern<br />

sowie als Zusammenarbeit und Hilfe zwischen Lehrer und Einzelschüler oder Lehrer<br />

und Schülergruppe. Kooperation bedeutet zudem ein gegenseitiges Verstehen und<br />

Akzeptieren mit allen Stärken und Schwächen. Vor allem bedeutet es, dass der Lehrer<br />

lernen muss, seine Schüler so zu akzeptieren wie sie sind.<br />

Eine freie Kooperation ist nicht gut möglich, wenn der Lehrer über den Schülern steht<br />

und ihre Leistungen bewertet und vergleicht. Unter Bedingungen der Kooperation sollte<br />

Leistungsbewertung, wenn es vorgeschrieben ist oder wenn <strong>die</strong> Schüler das wollen, ein<br />

gemeinsamer Prozess sein. D.h. <strong>die</strong> Kinder schätzen ihre Leistung selbst ein, fragen andere<br />

nach ihren Einschätzungen und finden so zu einer angemessenen Leistungsbewertung,<br />

der in der Regel auch der Lehrer zustimmen kann.<br />

Es gibt verschiedene Bedingungen durch <strong>die</strong> Kooperation gefördert werden kann. So ist<br />

es z.B. notwendig, dass <strong>die</strong> Schüler nicht im Gleichschritt lernen, sondern sich im Unterricht,<br />

geleitet durch ihre Interessen und entsprechende Aufgaben, mit verschiedenen Gegenständen<br />

befassen. In <strong>die</strong>sem Fall haben Schüler mit ähnlichen Interessen Gelegenheit<br />

sich zusammen zu tun. Wenn andere Schüler später ähnliche Fragen bearbeiten, können<br />

sie sich an <strong>die</strong> Kameraden wenden, <strong>die</strong> sich schon mit solchen Aufgaben befasst haben.<br />

Grundsätzlich fördert Verschiedenheit <strong>die</strong> Kooperation. Solche Verschiedenheiten bestehen<br />

<strong>auf</strong>grund der verschiedenen Gegenstände, <strong>die</strong> im Unterricht bearbeitet werden,<br />

den unterschiedlichen Interessen und Fähigkeiten der Schüler und, wie in Jena-Plan-<br />

208


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Schulen üblich, durch altersgemischte Schüler-Gruppen, wobei <strong>die</strong> Älteren oder Fortgeschritteneren<br />

als Helfer der anderen fungieren. Wenn solche Unterschiede bestehen und<br />

akzeptiert werden, haben <strong>die</strong> Schüler einander auch vieles zu bieten. Gerade <strong>die</strong> Verschiedenheit<br />

trägt zu einer komplexen Struktur von Schülergruppen bei. In einem solchen<br />

Zusammenhang hat <strong>die</strong> Leistung des einzelnen den Sinn, einen Beitrag für das<br />

Ganze zu erbringen. Und von der Leistung des Einzelnen hat jeder Beteiligte einen Gewinn.<br />

Folgen von Kooperation<br />

Untersuchungen zeigen, dass nicht nur gute, sondern auch durchschnittliche und selbst<br />

unterdurchschnittliche Schüler für Mitschüler, sogar wenn <strong>die</strong>se komplexe Lernschwierigkeiten<br />

und Defizite haben, nicht selten weit überlegenere Lehrer sind als selbst fachlich<br />

ausgebildete Spezialisten (vgl. CLOWARD 1967). Vermutlich verstehen Schüler <strong>die</strong><br />

Probleme ihre Kameraden besser als der Lehrer, dessen kognitive Struktur von der seiner<br />

Schüler so verschieden ist, dass er deren Denkwege nicht so einfach nachvollziehen<br />

und ohne weiteres verstehen kann. Die Erklärungen des Lehrers sind daher oft zu weit<br />

von der Denkweise der Schüler entfernt.<br />

Ferner gewinnen Schüler, <strong>die</strong> anderen helfen, selber durch <strong>die</strong>se Tätigkeit. Indem sie<br />

anderen helfen, verstehen sie auch ihre eigenen Schwierigkeiten besser, weil sie ja <strong>auf</strong><br />

einer Metaebene über das Lernen und <strong>die</strong> dabei angewandten Strategien nachdenken.<br />

Die Strategien, <strong>die</strong> sie für oder mit anderen entwickeln, können sie auch selber anwenden.<br />

Das scheint nicht nur für leistungsstärkere, sondern auch für leistungsschwächere<br />

Schüler zu gelten, <strong>die</strong>, wenn sie selbst Nachhilfe bekommen, <strong>auf</strong>grund erniedrigender<br />

Erfahrungen in der Schule eher rebellisch reagieren und kaum etwas hinzulernen. Wenn<br />

<strong>die</strong>se Schüler aber selbst noch schwächeren helfen und dabei sozusagen gemeinsam erfolgreich<br />

sind, dann scheint der Lerngewinn beim helfenden eher noch höher auszufallen<br />

als beim betreuten Schüler (vgl. CLOWARD 1967).<br />

Unter Kooperationsbedingungen können alle Schüler eine berechtigte Hoffnung <strong>auf</strong> Erfolg<br />

haben. Die Hoffnung <strong>auf</strong> Erfolg wird unter Kooperationsbedingungen jedenfalls<br />

sehr viel seltener enttäuscht wird als unter der Bedingung des Wettbewerbs (vgl. SLAVIN<br />

1983). Die Aussicht, Leistungen erbringen zu können, <strong>die</strong> auch von anderen erkannt und<br />

anerkannt werden, fördert <strong>die</strong> Bereitschaft zur Mitarbeit, schon weil <strong>die</strong>s eine Möglichkeit<br />

darstellt, den eigenen Selbstwert <strong>auf</strong>rechtzuerhalten. Die Schüler können beim kooperativen<br />

Arbeiten weit mehr selbstwertstabilisierende Erfahrungen machen als im lehrergeleiteten<br />

Frontalunterricht.<br />

209


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Weil zudem bei gegenseitiger Hilfe <strong>die</strong> Aufmerksamkeit in erster Linie <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Aufgabe<br />

gerichtet wird und nicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong> eigenen Fähigkeiten, sind <strong>die</strong> Schüler unter <strong>die</strong>ser Bedingung<br />

nicht Ich-orientiert, sondern Aufgaben-orientiert. Bei Aufgaben-Orientierung<br />

erfahren <strong>die</strong> Lernenden zudem, dass der Erfolg nicht ausschließlich von den Fähigkeiten<br />

des Einzelnen, sondern auch von seiner Anstrengung, seinem Interesse, seinen Versuchen,<br />

<strong>die</strong> Zusammenhänge zu erkennen und von der Zusammenarbeit mit anderen, <strong>die</strong><br />

etwas dazu beitragen können, abhängt (NICHOLLS 1990, S. 38).<br />

Wenn leistungsschwächere Schüler sehen, dass sie bei der gemeinsamen Arbeit auch<br />

selber nachvollziehbare und einsehbare, sachlich richtige Lösungen finden können,<br />

stärkt das ihre Handlungsorientierung. Sie gewinnen <strong>die</strong> <strong>die</strong> Einstellung, dass sie durch<br />

eigenes Tun fähiger werden, dass sie ihr Wissen erweitern und ihre Situation ändern<br />

können. Sie brauchen weniger Verarbeitungskapazität für lageorientierte Reflexionen,<br />

und es gelingt ihnen, das Gefühl abzubauen, unfähig zu sein und nur herumgestoßen zu<br />

werden.<br />

Außerdem führen sowohl Erfahrungen, anderen helfen zu können wie auch Erfahrungen,<br />

im Notfall nicht allein gelassen zu werden, zu positiven Gefühlserlebnissen, was sich<br />

letztlich in einem angenehmeren Klassenklima bemerkbar macht. Dadurch wird <strong>die</strong> soziale<br />

Bindung bzw. das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gruppe gestärkt. Schon kurzfristig<br />

trägt <strong>die</strong>s zu einer Besserung der Disziplin in der Klasse bei. Denn wenn <strong>die</strong> Schüler <strong>die</strong><br />

Erfahrung machen, dass <strong>die</strong> bestehende Unterrichtsordnung ihnen hilft, erscheint es ihnen<br />

auch sinnvoll, <strong>die</strong>se Ordnung zu stützen (vgl. LAZAROWITZ/ SCHACHAR 1990).<br />

In einer Reihe von Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass leistungsschwache<br />

Schüler in leistungsheterogen Lerngruppen eher Durchschnittsniveau erreichen als<br />

wenn sie alleine lernen (vgl. HOFSTÄTTER 1967, S. 85; SHARAN 1990; SLAVIN 1983;<br />

DIETRICH 1991). Insbesondere bei Unsicherheiten vermitteln Lerngruppen oder Lernpartnerschaften<br />

dem Einzelnen <strong>die</strong> für sie wichtige Sicherheit (vgl. BECK u.a. 1991). Sie<br />

sind dann nicht <strong>auf</strong> sich allein gestellt, können Probleme mit anderen besprechen, eigene<br />

Lernstrategien finden und ausprobieren, Hilfsmittel verwenden und auch außerhalb ihrer<br />

Lerngruppe um Rat fragen. Nach und nach trauen sich dann auch schlechtere Schüler<br />

immer mehr zu und werden aus der Sicherheit heraus zusehends selbständiger.<br />

Nach den vorliegenden Ergebnissen sind <strong>die</strong> Leistungen beim kooperativen Lernen zumindest<br />

genauso hoch wie beim lehrergeleiteten und -kontrollierten Unterricht (SLAVIN<br />

1983, S. 31 ff.). Vermutlich würde das Ergebnis im Vergleich mit Unterricht unter forcierten<br />

Wettbewerbsbedingungen noch günstiger zugunsten des kooperativen Lernens<br />

210


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

ausfallen. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass bei Kooperation neben kognitiven<br />

ja auch wichtige soziale Fähigkeiten erworben werden.<br />

Die Leistungssteigerungen bei kooperativem Lernen dürften neben der Verminderung<br />

von Stress, von lageorientierten Reflexionen und vermehrten Möglichkeiten der Selbstwertbestätigung<br />

durch <strong>die</strong> Förderung des Denkens und der Problemlösefähigkeit unter<br />

Kooperationsbedingungen zu erklären sein. Da <strong>die</strong> Schüler bei Zusammenarbeit mit<br />

Mitschülern eher bereit sind ihre Ansichten zu äußern und zu diskutieren, versuchen sie<br />

aktiv, ihre bestehenden kognitiven Schemata anzuwenden und bei erkannter Unzulänglichkeit<br />

umzuformen. Diese Umformung erwächst sozusagen aus dem jeweils individuellen<br />

Wissen durch Konstruktion von Lösungshypothesen. Auf <strong>die</strong>se Weise differenzieren<br />

sie ihr bestehendes Wissen und passen es an <strong>die</strong> Wirklichkeit an.<br />

Indem sich <strong>die</strong> Schüler beim kooperativen Lernen mit Argumenten und Gegenargumenten<br />

auseinandersetzen, betrachten sie einen Sachverhalt von verschiedenen Seiten. Sie<br />

lernen daher nicht nur <strong>die</strong> zur Lösung führenden Wege kennen, sondern auch Irrwege,<br />

<strong>die</strong> aber zur Erkenntnis der Sachlage bedeutsam sind, weil man dadurch erst <strong>die</strong> Gründe<br />

für <strong>die</strong> Richtigkeit eines bestimmten Lösungsweges erkennt. Zudem zwingen gerade<br />

Irrwege dazu, das Wissen über einen Gegenstand zu durchforsten, zu prüfen und zu ordnen.<br />

Auf <strong>die</strong>se Weise werden bestehende Schemata tief greifend umgeformt. 77 Die Problemlösefähigkeit<br />

kann beim kooperativen Lernen gefördert werden, indem man <strong>die</strong><br />

Schüler dazu anregt, über ihr Vorgehen nachzudenken. Dadurch verbessern sie ihre Lösungsstrategien<br />

und lernen, <strong>auf</strong> einer Metaebene zu argumentieren(vgl. BECK u.a. 1991).<br />

Durch den beim kooperativen Lernen in höherem Maß selbstbestimmten Lernprozess<br />

"verbeißen" sich <strong>die</strong> Schüler auch eher in <strong>die</strong> Probleme und schrauben mit zunehmendem<br />

Verständnis ihre Anforderungen selber immer höher, d.h. sie sind intrinsisch motiviert<br />

(vgl. WELLS / CHANG / MAHER 1990; SLAVIN 1983, S. 53 ff.).<br />

Kooperation und das Problem der Noten<br />

Grundsätzlich begünstigen Noten <strong>die</strong> Entstehung von extrinsischer Motivation. Die<br />

Schüler fangen an, wegen der Noten zu lernen und nicht weil <strong>die</strong> Sachen selber sie inte-<br />

77<br />

"Auch ist das Suchen und Irren gut", meinte Goethe zu Eckermann, "denn durch Suchen und Irren<br />

lernt man. Und zwar lernt man nicht bloß <strong>die</strong> Sache, sondern den ganzen Umfang. Was wüßte ich von<br />

der Pflanze und der Farbe, wenn man meine Theorie mir fertig überliefert und ich beides auswendig<br />

gelernt hätte! Aber daß ich eben alles selber suchen und finden und auch gelegentlich irren mußte, dadurch<br />

kann ich sagen, daß ich von beiden Dingen etwas weiß, und zwar mehr als <strong>auf</strong> dem Papiere<br />

steht." (ECKERMANN 1976, S.590 f.)<br />

211


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

ressieren. Gute Noten machen <strong>die</strong> Schüler überheblich, schlechte machen sie mutlos.<br />

Aus pädagogischer Sicht machen Noten schlicht und einfach keinen Sinn. Benotungen<br />

sind ungenau und ungerecht. Es ist einfach absurd <strong>die</strong> Leistungsfähigkeit der gesamten<br />

Bevölkerung <strong>auf</strong> einer Notenskala einzustufen. Wenn man <strong>die</strong>se Zerstörung des Sachinteresses<br />

vermeiden möchte, muss man Leistungsvergleiche grundsätzlich <strong>auf</strong>geben. Da<br />

der einzelne Lehrer eine solche Entscheidung im Rahmen der mir bekannten Schulsysteme<br />

aber nicht treffen darf, stellt sich <strong>die</strong> Frage nach verbleibenden Handlungsmöglichkeiten.<br />

Wenn ein Lehrer sich des Problems der Leistungsbewertung bewusst ist, wird er damit<br />

anfangen, Noten nicht mehr so ernst zu nehmen. Es kommt ihm nicht dar<strong>auf</strong> an, <strong>die</strong><br />

Kinder und Jugendlichen zu bewerten, sondern er will ihnen helfen, das was sie können,<br />

so gut wie möglich zu tun. Er will ihnen helfen, in ihren Fähigkeiten zu wachsen, Zusammenhänge<br />

zu erkennen, stark zu sein und ihr Leben mit Mut und Freude führen.<br />

Wenn er aus solchen Motiven heraus in seiner Klasse Kooperationsbedingungen einführt,<br />

werden dadurch nebenbei auch <strong>die</strong> Leistungen steigen. Wenn aber der Leistungsstandard<br />

in einer Klasse insgesamt steigt, wird man es durchaus rechtfertigen können,<br />

wenn der Notendurchschnitt besser ausfällt, als er nach der Normalverteilung sein dürfte.<br />

Denn es ist klar, dass der Lehrer aus Gründen der Aufrechterhaltung der Normalverteilung<br />

den Notenspiegel nicht gleich halten kann. Das würde seinen pädagogischen Zielen<br />

widersprechen, würde ihn insgesamt unglaubhaft machen und hätte selbstverständlich<br />

auch zerstörerische Folgen für <strong>die</strong> Leistungsbereitschaft und Lernfreude seiner<br />

Schüler. Es bleibt also nur der Weg, dass der Lehrer das Problem mit seinen Schülern in<br />

aller Offenheit bespricht und gemeinsam mit Ihnen nach einer tragfähigen Lösung sucht.<br />

Lösungsansätze sind beispielsweise in einer Kombination aus der Selbstbewertung der<br />

Schüler, kriterienbezogener Leistungsbewertung (HELLER 1974, S. 137 ff.) und direkter<br />

Leistungsvorlage (VIERLINGER 1999; 1990 S. 56 ff.) zu sehen.<br />

Bei der kriterienbezogene Leistungsmessung wird, im Unterschied zur gruppennormbezogenen<br />

Leistungsbewertung, nicht gemessen, welcher Rangplatz einem Schüler zukommt,<br />

sondern in welchem Ausmaß er eine Sache beherrscht.<br />

Beim Konzept der „Direkten Leistungsvorlage“ werden nicht <strong>die</strong> Noten, sondern <strong>die</strong><br />

Leistungen selbst, also "direkt" vorgelegt. Das sagt weit mehr als eine bloße Ziffer.<br />

Wenn Schüler beispielsweise Jahresarbeiten zu sie interessierenden Themen schreiben,<br />

können <strong>die</strong>se als Leistungen in einer Mappe zusammengefasst und zur direkten Vorlage<br />

verwendet werden. Je nach Fach können das auch Zeichnungen, Gemälde, Werkstücke,<br />

212


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Ton- oder Video<strong>auf</strong>nahmen usw. sein, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schüler anfertigen. Bei solchen selbst gewählten<br />

Arbeiten sind <strong>die</strong> Schüler ja hoch motiviert und geben ihr Bestes. Solche Arbeiten<br />

können <strong>die</strong> Schüler bei Bewerbungen vorlegen. Sie vermitteln dem Beurteiler in der<br />

Regel einen weit genaueren Einblick in <strong>die</strong> Fähigkeiten und Leistungen eines Bewerbers<br />

als <strong>die</strong> undifferenzierten Ziffernnoten (vgl. VIERLINGER 1990, S. 58 ff.; 1999).<br />

Für den Schüler bedeutet <strong>die</strong> "Direkte Leistungsvorlage", dass er mit der Hilfe der Schule<br />

– und hier wiederum insbesondere durch <strong>die</strong> Kooperation mit anderen – seine besonderen<br />

Interessen und damit auch bestimmte individuelle Fähigkeiten entwickeln kann.<br />

Eben weil <strong>die</strong> Leistung <strong>auf</strong> einem oder mehreren Interessengebieten des Schülers erbracht<br />

und anderen Interessierten vorgestellt wird, kann dadurch eine realistische Selbsteinschätzung<br />

des Schülers gefördert werden. Möglicherweise wird dadurch dann auch<br />

der Ehrgeiz angestachelt, <strong>die</strong> eigene Leistung, wenn der Schüler erkennt, dass sie unter<br />

dem eigenen Anspruchsniveau zurückbleibt, zu steigern. Zudem kann der Schüler darin<br />

einen Ausgleich für vielleicht nicht so zufrieden stellende Noten sehen.<br />

213


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Teil V<br />

Diskussion schulischer Rahmenbedingungen<br />

Die wesentlichen Rahmenbedingungen der Schule sind ihre Ziele, <strong>die</strong> Organisation, mit<br />

der man <strong>die</strong>se Aufgaben zu erreichen versucht und <strong>die</strong> abhängige oder autonome Stellung<br />

der Einrichtung. Diese Rahmenbedingungen entsprechen bestimmten Grundmustern.<br />

Im konkreten Fall können sie natürlich recht unterschiedliche Formen haben, dennoch<br />

lassen sie sich dem einen oder dem anderen der zu beschreibenden Grundtypen<br />

zuordnen.<br />

Die Rahmenbedingungen bestimmen zum Teil das Lehrerverhalten sowie <strong>die</strong> Unterrichtsumgebung.<br />

Insbesondere begünstigen sie <strong>die</strong> Anwendung von Maßnahmen, <strong>die</strong><br />

entweder vom einzelnen Schüler mit seinen Bedürfnissen und Interessen ausgehen oder<br />

von gesellschaftlichen Erwartungen, wie sie in den bürokratischen Vorgaben Schulverwaltung<br />

zum Ausdruck kommen. Über <strong>die</strong>se Wirkungskette tragen entsprechende Rahmenbedingungen<br />

zumindest mittelbar zur Entstehung und Aufrechterhaltung zentraler<br />

Probleme der Schule wie geringe Lernmotivation, Disziplinschwierigkeiten, unzureichende<br />

Leistungen usw. bei. Eine Änderung der Rahmenbedingungen kann daher am<br />

ehesten <strong>die</strong> Probleme der Schule lösen helfen.<br />

Wesentlich dazu ist eine differenzierte Zieldiskussion, <strong>die</strong> bisher kaum geführt worden<br />

ist. D.h. ob <strong>die</strong> Auswahl von Eliten bereits im frühen Schulalter beginnen muss, indem<br />

Schüler regelmäßig Leistungsprüfungen unterworfen werden, oder ob man <strong>die</strong> Leistungsprüfungen<br />

für einen Zeitpunkt <strong>auf</strong>hebt, wo <strong>die</strong> Schüler gut vorbereitet worden sind,<br />

und sich dem Wettbewerb besser gerüstet stellen können. Kinder, <strong>die</strong> erst einmal Selbstsicherheit<br />

erwerben können bevor sie Wettbewerben ausgesetzt werden, scheinen besser<br />

mit <strong>die</strong>sen umgehen zu können.<br />

214


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

20. Die Ziele: Gesellschaftliche Erwartungen vs.<br />

Entfaltung der Persönlichkeit<br />

Die Schule soll Grundwissen und Grundfertigkeiten vermitteln, <strong>die</strong> Schüler für das Berufsleben<br />

und <strong>die</strong> Rolle des Staatsbürgers sowie <strong>auf</strong> ein selbstverantwortliches Leben<br />

vorbereiten (vgl. DREEBEN 1968). Das ist <strong>auf</strong> verschiedene Weise möglich und hängt<br />

ganz wesentlich von unserem Menschenbild ab.<br />

Betrachtet man das Individuum im Wesentlichen als Teil und Produkt der Gesellschaft,<br />

wird man es für gerechtfertigt halten, <strong>die</strong> Schüler weitgehend den jeweils als wünschenswert<br />

geltenden gesellschaftlichen Anforderungen zu unterwerfen und sie <strong>die</strong>sen Zielen<br />

entsprechend zu formen.<br />

Sind wir dagegen der Auffassung, dass der Einzelne bereits alles in sich trägt, was ihn zu<br />

einem vollkommenen menschlichen und gesellschaftlichen Wesen machen kann, dann<br />

kommt es in Elternhaus und Schule vor allem dar<strong>auf</strong> an, Bedingungen zu schaffen, unter<br />

denen Kinder und Jugendliche ihr Potenzial in bestmöglicher Weise entfalten können.<br />

Erst dadurch erhält das Individuum <strong>die</strong> Möglichkeit, einen originären Beitrag zum Ganzen<br />

zu leisten.<br />

Bei <strong>die</strong>sen Menschenbildern handelt es sich um wertbestimmte Grundsätze. Im Folgenden<br />

geht es darum, Einflüsse <strong>die</strong>ser Menschenbilder <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Gestaltung schulischer<br />

Rahmenbedingungen darzustellen und zu untersuchen, wie sie sich <strong>auf</strong> den Unterricht<br />

und letztlich <strong>die</strong> Schüler auswirken können.<br />

Die so genannten Leistungsanforderungen<br />

Gesellschaftliche Anforderungen betreffen <strong>die</strong> Reproduktion kultureller Systeme und<br />

den Erwerb grundlegender Qualifikationen, <strong>die</strong> Reproduktion der Sozialstruktur bzw.<br />

<strong>die</strong> Verteilung sozialer Positionen sowie <strong>die</strong> Reproduktion "von solchen Normen, Werten<br />

und Interpretationsmustern ..., <strong>die</strong> zur Sicherung ... (von) Herrschaftsverhältnissen<br />

<strong>die</strong>nen" (FEND u.a. 1976; S. 8). Dies soll erreicht werden indem <strong>die</strong> Schule alles das tut,<br />

was von den Lehrplänen oder Bildungsstandards gefordert wird. D.h., <strong>die</strong> Schule soll<br />

bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln und <strong>die</strong> Schüler je nach Leistungsniveau<br />

mit entsprechenden Qualifikationsnachweisen versehen. Es überwiegt der gesellschaftliche<br />

Anspruch, <strong>die</strong> Kinder und Jugendlichen im Hinblick <strong>auf</strong> soziale Erfordernisse<br />

auszubilden und zu formen.<br />

215


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Das ist in der Regel verbunden mit der Aufgabe, <strong>auf</strong> das Leben in der bestehenden Sozialstruktur<br />

vorzubereiten (vgl. FEND u.a. 1976, S. 7 ff.). In jeder Gesellschaft gibt es verschiedene<br />

Schichten, wobei der Aufstieg bzw. <strong>die</strong> Zugehörigkeit zu höheren Schichten<br />

stets mit besonderen Gratifikationen verknüpft ist. Familien der oberen Schichten wollen<br />

daher ihre Position behalten oder verbessern, während <strong>die</strong> unteren eher nach oben streben.<br />

Das bei uns weithin anerkannte Kriterium für <strong>die</strong> Verteilung sozialer Positionen<br />

wird in der Leistung oder Leistungsfähigkeit des Einzelnen gesehen.<br />

Vom Aspekt <strong>die</strong>ser gesellschaftlichen Anforderungen ist das Schwergewicht der Schule<br />

<strong>auf</strong> einen Prozess der Leistungsforderung und Leistungserbringung mit anschließender<br />

Leistungsprüfung zu legen. Die Verteilung sozialer Positionen sollte dann abhängig sein<br />

vom gesellschaftlichen Wert der erworbenen Qualifikationen. Unter <strong>die</strong>sem Aspekt hat<br />

SCHELSKY (1957, S. 18 ff.) <strong>die</strong> Schule als "Zuteilungsapparatur von Lebenschancen"<br />

verstanden.<br />

Die Betonung gesellschaftlicher Anforderungen führt im Unterricht – wie WALLER<br />

(1932, 1965, S. 195 f.) es formuliert hat – zu einem Verhältnis "institutionalisierter Dominanz<br />

und Unterwerfung." Der dadurch entstehende Konflikt zwischen Lehrer und<br />

Schüler,<br />

"kann in seiner Stärke zwar gemildert werden, aber selbst wenn er weitgehend im<br />

Verborgenen schwelt, ist er dennoch stets vorhanden. Der Lehrer steht für <strong>die</strong><br />

Gruppe der Erwachsenen, <strong>die</strong> immer der Feind des spontanen Lebens der Gruppe<br />

der Kinder ist. Der Lehrer steht für den formalen Lehrplan, zu dessen Erfüllung er<br />

den Schülern Aufgaben <strong>auf</strong>erlegt; <strong>die</strong> Schüler sind mehr am Leben ihrer eigenen<br />

Welt interessiert als an den langweiligen Bruchstücken des Erwachsenenlebens,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Lehrer anzubieten haben... Schüler sind das Material, in dem <strong>die</strong> Lehrer ihre<br />

Ergebnisse erzielen sollen. Schüler sind auch menschliche Wesen, <strong>die</strong> sich<br />

selbst in ihrer eigenen spontanen Weise verwirklichen möchten und ihre eigenen<br />

Resultate <strong>auf</strong> eigenen Wegen anstreben. Jede <strong>die</strong>ser feindlichen Parteien steht der<br />

anderen im Weg; insoweit <strong>die</strong> Ziele einer von ihnen realisiert werden, erfolgt es<br />

<strong>auf</strong> Kosten der anderen... (Aber) der Ausgang des Kampfes ist vorherbestimmt"<br />

(Übers. H.L.).<br />

Folgen für das Selbstbild von Lehrern<br />

Wie das Zitat von WALLER verdeutlicht, führen gesellschaftliche Leistungsanforderungen<br />

im Unterricht zu einem hohen Ausmaß an Fremdbestimmung. Nun kann das Lehrer-<br />

Schüler-Verhältnis heute sicher nicht mehr angemessen mit den Worten "Dominanz und<br />

216


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Unterwerfung" beschrieben werden. Der Lehrer hätte wohl auch kaum <strong>die</strong> erforderlichen<br />

Druckmittel dazu. Letztlich jedoch fordert der Lehrplan von ihm, abweichende Bedürfnisse<br />

und Interessen der Schüler zu übergehen.<br />

Die Fülle der in jedem Fach zu vermittelnden Lehrinhalte trägt ferner dazu bei, dass <strong>die</strong><br />

Lehrer ihren Unterricht im Wesentlichen ergebnisorientiert gestalten werden. D.h. sie<br />

neigen dazu, Auffassungen, Theorien, Methoden usw. als fertige Produkte darzubieten,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Schüler in ihr Gedächtnis <strong>auf</strong>zunehmen und / oder anzuwenden haben.<br />

Mit der regelmäßigen Durchführung geforderter Leistungsprüfungen und Benotungen<br />

wird der Lehrer schließlich ein Klima des Wettbewerbs erzeugen. Auch wenn er durch<br />

Hilfsangebote, gute Vorbereitung und andere Angst reduzierende Mittel <strong>die</strong> <strong>Auswirkungen</strong><br />

des Wettbewerbs ein wenig mildert, sind sie doch nicht zu beseitigen. Werden Prüfungen<br />

und Noten benutzt, um Druck auszuüben, verschärft das noch das Wettbewerbsklima.<br />

Einige Folgen <strong>die</strong>ser Unterrichtsbedingungen <strong>auf</strong> das Selbstbild von Lehrern und Schülern<br />

lassen sich anhand der Ergebnisse einer Befragung an hessischen Gesamtschulen<br />

<strong>auf</strong>zeigen (vgl. ECKERLE / KRAAK 1993). Diese Art von Gesamtschulen spiegelt im Wesentlichen<br />

das übliche dreigliedrige Schulsystem, denn kooperative Gesamtschulen sind<br />

eigentlich nur leicht modifizierte dreigliedrige Schulen. Nach der Grundschule kommen<br />

<strong>die</strong> Schüler zunächst in eine 2-jährige Orientierungsstufe, so dass <strong>die</strong> Auslese erst zum<br />

Ende des 6. Schuljahres erfolgt. Die Schüler sind im Unterricht getrennt, haben aber in<br />

den Pausen Gelegenheit, Kontakt zueinander <strong>auf</strong>zunehmen und sich auszutauschen. Die<br />

Befragungen wurden an je zwei großstädtischen, mittelstädtischen und drei kleinstädtisch-ländlichen<br />

Schulen durchgeführt. "Die Charakterisierungen von Lehrern benachbarter<br />

Schulen" reichten von chaotisch über ordentlich bis hin zu elitär (ECKERLE /<br />

KRAAK 1993, S. 6) Die Autoren vermuten, "daß <strong>die</strong> befragten Schüler weder spezifisch<br />

hessische Stellungnahmen abgegeben haben noch ausgesprochen gesamtschultypische,<br />

daß sie also weitgehend repräsentativ für ihre Altersklasse im deutschsprachigen Raum<br />

geantwortet haben. Grund für <strong>die</strong>se Vermutung ist <strong>die</strong> eindrucksvolle Gleichförmigkeit<br />

der Antworten sowie <strong>die</strong> Übereinstimmung einiger Ergebnisse mit anderen Erhebungen<br />

bei Jugendlichen" (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 9).<br />

Zunächst zu den Lehrern:<br />

Die Aufgabe, Schülern vorgeschriebene Inhalte zu vermitteln und im Anschluss daran zu<br />

prüfen und zu bewerten, in welchem Grad sie behalten wurden und angewendet werden<br />

können, engt <strong>die</strong> Handlungsmöglichkeiten von Lehrern entschieden ein. Dieser Rahmen<br />

217


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

lässt ihnen lediglich <strong>die</strong> methodische Freiheit, <strong>auf</strong> eine von ihnen bestimmte Weise z.B.<br />

<strong>die</strong> Integralrechnung oder <strong>die</strong> Kreuzzüge zu behandeln. Aber <strong>die</strong>se Freiheit kann als<br />

beträchtlich erscheinen, da kaum eine Kontrolle gegeben ist. Wenn <strong>die</strong> Lehrer Zusammenarbeit<br />

mit Kollegen nicht sehr <strong>auf</strong>geschlossen gegenüberstehen, hängt das vermutlich<br />

auch damit zusammen, dass sie dadurch eine Einschränkung <strong>die</strong>ser Freiheit befürchten.<br />

Diese „Freiheit“ ermöglicht ihnen, selbstbestimmt an Aufgaben zu arbeiten, "<strong>die</strong> sie<br />

sinnvoll und interessant finden können", und sie scheinen darin auch <strong>die</strong> zentrale Möglichkeit<br />

beruflicher Erfüllung zu erblicken (vgl. ECKERLE / KRAAK 1993, S. 92). Doch<br />

<strong>die</strong>se Erfüllung ist offenbar nur schwer zu erreichen. Einerseits sind <strong>die</strong> Lehrer überzeugt,<br />

dass der Lernerfolg der Schüler von ihnen "sehr gut beeinflußbar" ist, andererseits<br />

aber tritt er "nicht im gewünschten Maß ein", und was noch schlimmer ist, sie erwarten,<br />

dass er "in Zukunft weiter nachlassen" wird. Es verwundert also nicht, wenn im Schnitt<br />

<strong>die</strong> Zufriedenheit unter Lehrern gering ist. (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 149).<br />

Wer sich nicht in außergewöhnlicher Weise engagiert, muss lernen, mit unzulänglichem<br />

Erfolg und spärlicher Anerkennung zu leben. Wenn man einerseits möchte, dass Schüler<br />

"viel lernen" und ein gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis besteht, andererseits aber betont,<br />

dass Anerkennung von Schülern und persönliche Kontakte zu ihnen keine besondere<br />

Bedeutung für einen haben (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 92), will man damit erwarteten<br />

Misserfolgsrückmeldungen aus dem Wege gehen. Unter Rahmenbedingungen, <strong>die</strong> in<br />

hohem Maß "Fremdbestimmung", "Ergebnisorientierung" und "Wettbewerb" begünstigen,<br />

muss es ungeheuer schwierig sein, Unterricht zu machen, <strong>die</strong> Schüler schätzen und<br />

als profitabel bezeichnen. Es würde ja bedeuten, dass man <strong>die</strong> den gegebenen Umständen<br />

entgegen gesetzten Bedingungen von "Freiheit und Ordnung", "Problemorientierung"<br />

und "Kooperation" durchsetzen müsste.<br />

Auch unter den gegebenen widrigen Umständen stellt <strong>die</strong> Überzeugung, den Unterrichtserfolg<br />

bewirken zu können, eine notwendige Voraussetzung der Aufrechterhaltung<br />

des beruflichen Selbstwertgefühls von Lehrern dar. Wenn man sich <strong>die</strong>ses Erfolgs aber<br />

nicht sicher sein kann, muss man sich potentiell bedroht fühlen, zumindest ist man leicht<br />

verletzbar. Das könnte ein weiterer Grund dafür sein, dass Lehrer <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

mit Kollegen nur schwach bewerten, dass ihnen persönliche Beziehungen zu Kollegen<br />

nur "wenig erstrebenswert" erscheinen (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 92) und dass sie "das<br />

Ziel, Anerkennung von ihren Kollegen zu erhalten", brüsk zurückweisen (ECKERLE /<br />

KRAAK 1993, S. 148). Enge kollegiale Kontakte nämlich könnten in selbstwertbedro-<br />

218


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

hender Weise verdeutlichen, dass man selbst gesetzten Ansprüchen nicht in erwünschter<br />

Weise genügen kann (ähnlich ECKERLE / KRAAK 1993, S. 149).<br />

Die Arbeitsbedingungen werden von den Lehrern "pauschal als in Gegenwart und Zukunft<br />

unzureichend, aber auch nur wenig beeinflußbar bezeichnet" (ECKERLE / KRAAK<br />

1993, S. 147). Die Lehrer schätzen also ihre Möglichkeiten, <strong>die</strong> Entwicklung der <strong>Institution</strong><br />

Schule mitzugestalten, als sehr gering ein. Deswegen konzentrieren sie sich <strong>auf</strong> den<br />

Unterricht, der ihnen wenigstens methodische Freiheit und entsprechende Handlungsmöglichkeiten<br />

gewährt und igeln sich dort ein. Deswegen haben sie auch nur wenig mit<br />

der <strong>Institution</strong> Schule im Sinn. "Sie sehen sich nicht als Mitglieder einer Organisation,<br />

<strong>auf</strong> deren Funktionieren sie Einfluß nehmen möchten" (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 92).<br />

Die Schulreform liegt außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs.<br />

Folgen für das Selbstbild der Schüler<br />

Die Haltung der Lehrer, sich den gegebenen Umständen zu fügen und das zu tun, was<br />

subjektiv am lohnendsten erscheint, spiegelt sich auch im Verhalten der von ECKERLE/<br />

KRAAK befragten Schüler der 9. Jahrgangsstufe.<br />

Die Fremdbestimmung wirkt sich erwartungsgemäß dergestalt aus, dass <strong>die</strong> "Wünsche<br />

der Schüler, wie und was sie lernen wollen" sich nicht mit dem Unterrichtsangebot decken,<br />

das ja keine wirklich freie Wahl nach den eigenen Interessen zulässt. Was sie lernen<br />

und im Unterricht tun, scheinen sie als nicht sehr sinnvoll zu erleben, es erscheint<br />

ihnen nicht besonders nützlich und auch nur wenig interessant ( ECKERLE/ KRAAK 1993,<br />

S. 139).<br />

Sie erleben ihre eingegrenzten Handlungsmöglichkeiten und finden sich damit ab. Nach<br />

Jahren fremdbestimmten Lernens können sie sich oft kaum noch vorstellen, wie sie<br />

selbst den Unterricht mitgestalten könnten. Das geht soweit, dass sie Mitbestimmungsmöglichkeiten<br />

in Schule und Unterricht abschätzig bewerten und beurteilen (ECKERLE/<br />

KRAAK 1993, S. 140, 77).<br />

Im Rahmen unseres Modells sind solche negativen Erfahrungen mit selbständigem Lernen<br />

sogar als wahrscheinlich anzunehmen. Wenn <strong>die</strong> Schüler nämlich <strong>auf</strong>grund des<br />

durch <strong>die</strong> Rahmenbedingungen begünstigten ergebnisorientierten Unterrichts eine reproduktive<br />

Lernhaltung angenommen haben, dann muss es ihnen schwer fallen, eigene Pläne<br />

und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Wenn aber eigene Pläne nicht entwi-<br />

219


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

ckelt und ausgeführt werden können, wird das Denken träge und stumpf, statt tätig und<br />

energisch. Man lässt sich lieber treiben und schiebt anderen <strong>die</strong> Verantwortung zu für<br />

das, was geschieht und zu geschehen hat.<br />

Die Haltung, dass man selber eigentlich nichts tun kann, überträgt sich vom Unterricht<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Schule insgesamt. Hier trifft <strong>die</strong> Haltung der Schüler <strong>auf</strong> <strong>die</strong> entsprechende Haltung<br />

der Lehrer, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>ser Hinsicht ja selbst nicht an Handlungsmöglichkeiten glauben.<br />

Außerdem "erfordern Bemühungen der Schüler von denen, <strong>die</strong> sie unterstützen wollen,<br />

auch Durchhaltevermögen gegenüber anderen Interessen". Denn wegen zahlreicher<br />

Bestimmungen ist es nicht nur kompliziert, sondern auch lähmend langwierig bei Schülervorschlägen<br />

z.B. "zur Schulorganisation oder zur Ausgestaltung ihrer Schule" zu Ergebnissen<br />

zu gelangen (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 142).<br />

Die Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten wirkt sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Leistungsfähigkeit<br />

der Schüler insgesamt lähmend aus. Denn obwohl <strong>die</strong> Schüler überzeugt sind, dass gute<br />

Schulbildung und gute Noten für ihr weiteres Leben große Bedeutung haben, dass sie<br />

gern ihre schulische Leistung gern verbessern und nützliche Dinge lernen würden (ECK-<br />

ERLE/ KRAAK 1993, vgl. S. 37), beschränken sie sich zunächst <strong>auf</strong> das Notwendige und<br />

verschieben das Handeln <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Zukunft. Aber sie sind überzeugt, eigentlich mehr leisten<br />

zu können, wenn sie nur wollten (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 139). Diese Auffassung<br />

ist nützlich für <strong>die</strong> Erhaltung des Selbstwerts und stellt zum anderen eine an <strong>die</strong> Schule<br />

gerichtete Schuldzuweisung dar, weil <strong>die</strong> Schüler gezwungen werden, aus ihrer Sicht<br />

mehr oder weniger Sinnloses zu lernen.<br />

Doch üben sich <strong>die</strong> Schüler nicht in offenem Widerstand gegen schulische Fremdbestimmung<br />

– vermutlich gehen sie davon aus, dass sie letztlich immer Verlierer wären –,<br />

sondern passen ihr Verhalten "den Notwendigkeiten an" (ECKERLE / KRAAK 1993, S.<br />

139). Eine gewisse Verweigerung allerdings lässt sich darin sehen, dass sie "Anerkennung<br />

von Lehrern" bewusst nicht suchen. Dadurch entziehen sie sich dem Einfluss ihrer<br />

Lehrer, weisen sie sozusagen zurück, signalisieren ihnen, so wichtig seid ihr für uns<br />

nicht, und unser Selbstwert hängt von euch bestimmt nicht ab' (ECKERLE / KRAAK 1993,<br />

S. 78, 137).<br />

Diese Haltung ist durchaus zwiespältig. Denn einerseits möchten <strong>die</strong> Schüler Sinnvolles<br />

tun, arbeiten und etwas lernen, aber andererseits haben sie das Gefühl, "es lohnt sich<br />

nicht." Deshalb lehnen sie "<strong>die</strong>se Schule" ab und fügen sich, "weil es ja nun so sein muß<br />

... Schule selbst ist nicht wichtig; sie erhält ihre Bedeutsamkeit mittelbar, als notwendige<br />

Voraussetzung" (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 85). Unter den Bedingungen von Fremd-<br />

220


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

steuerung, Ergebnisorientierung fällt es den Schülern naturgemäß schwer, sinnvolle, d.h.<br />

für sie selbst bedeutsame Probleme zu erkennen an denen sie gern arbeiten und sich bewähren<br />

würden.<br />

Eine weitere Folge gesellschaftlicher Leistungserwartungen ist, dass mit den geforderten<br />

regelmäßigen Leistungsprüfungen ein Klima des Wettbewerbs erzeugt wird. Das muss<br />

nicht bedeuten, dass sozusagen jeder jederzeit andere auszustechen oder zu übertrumpfen<br />

versucht. Aber wenn beispielsweise schon durch den lehrergesteuerten und ergebnisorientierten<br />

Unterricht, das Interesse an den Gegenständen sehr gering ist, wird Wettbewerb<br />

dazu beitragen, dass es durch den Zwang eine annehmbare Note zu erzielen ganz<br />

in den Hintergrund tritt. An <strong>die</strong> Stelle des Sachinteresses treten Ich-Orientierung und<br />

Anstrengungs-Vermeidungs-Orientierung. D.h. <strong>die</strong> Schüler möchten eher, dass man sie<br />

für der Situation gewachsen hält, dass sie den Eindruck machen, vollkommen "cool" zu<br />

sein und / oder dass sie das, was von ihnen erwartet wird, mit wenig Aufwand hinter sich<br />

bringen.<br />

Die Schüler wissen, Erfolg "ist immer nur <strong>auf</strong> Kosten anderer zu erreichen, ... man kann<br />

immer nur gewinnen, wenn andere verlieren" (FEND u.a. 1976, S. 186). Ihr Weltbild entspricht<br />

bereits <strong>die</strong>ser Einsicht in das Gesetz des Wettbewerbs, bei dem andere als potentielle<br />

Konkurrenten betrachtet werden müssen, mit denen man also auch nicht kooperieren<br />

darf. Man kann Freunde haben, aber man kann nicht mit jedem gut Freund sein. Die<br />

Frage nach Zusammenarbeit mit anderen Schülern stößt <strong>auf</strong> eine reservierte Haltung,<br />

ebenso wie <strong>die</strong> Frage, ob man Anerkennung von ihnen erwarte. "Die Frage nach der Zusammenarbeit<br />

scheint so erlebt zu werden, als ob in <strong>die</strong> persönlichen Beziehungen der<br />

Schüler gleichsam verunreinigend schulische Beimischungen eingetragen würden." Zusammenarbeit<br />

ist für <strong>die</strong> Schüler "kein Wert, der sich aus schulischen Situationen ergibt"<br />

(ECKERLE / KRAAK 1993, S. 136). Man ist zusammen mit Freunden und man arbeitet<br />

auch mit ihnen. Solche Freundschaftsbeziehungen entstehen durchaus in der Schule,<br />

aber das hat nichts mit geforderter Kooperation zu tun. Die Freunde tragen zur Erhaltung<br />

des Selbstwerts bei, von ihnen hat man nichts zu befürchten. Man versucht jedes Risiko<br />

einer Abwertung des Selbst zu begegnen. Deshalb zählt auch nur <strong>die</strong> Anerkennung der<br />

eigenen Freunde und nicht <strong>die</strong> der Mitschüler im allgemeinen (ECKERLE / KRAAK 1993,<br />

S. 137).<br />

Wettbewerb bedeutet für <strong>die</strong> Schüler, dass sie ihren Weg in einer im Grunde feindlichen<br />

Welt gehen müssen, dass sie sich behaupten und durchsetzen müssen. Nicht nur <strong>die</strong><br />

Schule ist so organisiert, sondern alle gesellschaftlichen <strong>Institution</strong>en. Der Rückzug ins<br />

221


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Private <strong>auf</strong> „gesicherte“ Positionen liegt nahe. Im begrenzten Bereich der Familie und<br />

Freunde glaubt man <strong>die</strong>se Sicherheit am ehesten zu finden. "Freunde haben" und "ein<br />

gutes Zusammenleben in der Familie" sind denn auch <strong>die</strong> von den Schülern am höchsten<br />

bewerteten Lebensbereiche (ECKERLE / KRAAK 1993, S. 69). So gesehen, kann es kaum<br />

verwundern, wenn <strong>die</strong> Schüler "Menschlichkeit in unserer Gesellschaft" nur in geringem<br />

Maß für gegeben halten und auch nicht glauben, dass <strong>die</strong> Zukunft eine Besserung bringt<br />

(ECKERLE/ KRAAK 1993, S. 71 f.)<br />

21. Organisation des Unterricht: Mechanisierung vs.<br />

Individualisierung<br />

Schule als <strong>Institution</strong> muss verwaltet bzw. organisiert werden. Die Organisation ist ein<br />

wesentliches Mittel zur Erreichung der jeweiligen schulischen Ziele, wie auch immer<br />

<strong>die</strong>se beschaffen sein mögen. Sie kann <strong>die</strong>sen Zweck mehr oder weniger gut erfüllen und<br />

neben den erwünschten Wirkungen auch zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.<br />

Planerfüllung<br />

Wenn gesellschaftliche Leistungsanforderungen <strong>die</strong> Schule bestimmen, liegt es nahe,<br />

ihre Erfüllung durch eine mehr oder weniger detaillierte Planung von zu erwerbenden<br />

Kenntnisse und Fertigkeiten, der dafür <strong>auf</strong>zuwendenden Zeit usw. herbeizuführen. Der<br />

Lehrplan ist sozusagen <strong>die</strong> zentrale Instanz, <strong>die</strong> alle Aktivitäten leitet und alle Schüler<br />

<strong>die</strong>ser Einrichtung den gleichen Anforderungen unterwirft.<br />

Detaillierte Lehrplanvorschriften sind also blind gegenüber individuellen Unterschieden,<br />

sie führen dazu, dass <strong>die</strong> Inhalte immer weiter vermehrt werden, dass als Unterrichtsform<br />

der Frontalunterricht überwiegt, <strong>die</strong> Fachgrenzen betont werden und <strong>die</strong> Stundenpläne<br />

entsprechend der Vielfalt der Anforderungen zerfasern. Die Aufgaben des Lehrers<br />

beschränken sich im Sekundarbereich im Wesentlichen <strong>auf</strong> das "Stundengeben" und <strong>die</strong><br />

Wahrung der dazu erforderlichen Disziplin.<br />

Gleichbehandlung der Schüler<br />

Lehrpläne enthalten in der Regel nur sehr begrenzte Wahlmöglichkeiten. Die verbindlichen<br />

Lehrinhalte im Sekundarbereich sind derart umfassend, dass außerdem nur wenig<br />

Zeit für ihre Abarbeitung verbleibt. Es kann also nur sehr begrenzt <strong>auf</strong> individuelle Inte-<br />

222


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

ressen oder Neigungen von Schülern eingegangen werden. Ausnahmen bilden Projektwochen,<br />

Klassen- oder Stu<strong>die</strong>nfahrten usw. Ansonsten werden <strong>die</strong> Schüler auch an Entscheidungen,<br />

<strong>die</strong> Disziplin- oder Verhaltensregeln, <strong>die</strong> Organisation des Unterrichts usw.<br />

betreffen, zumeist im Interesse zügiger Durchführung nicht beteiligt.<br />

Das bedeutet ein hohes Maß an Fremdbestimmung. Solche Bedingungen werden von<br />

Schülern als selbstwertbedrohend erfahren. Die Folgen bestehen u.a. in mangelnder Mitarbeit,<br />

Verringerung der Lernmotivation und Steigerung der Konfliktbereitschaft. Diese<br />

Folgen werden nur insofern gemildert, als <strong>die</strong> Fremdbestimmung zumeist in berechenbaren<br />

Bedingungen besteht. Die Schüler wissen, was <strong>auf</strong> sie zukommt. Das gibt eine gewisse<br />

Sicherheit, auch weil dadurch Möglichkeiten für selbstbestimmte Formen der Nutzung<br />

oder Ausnutzung der schulischen Regelungen eröffnet werden.<br />

Der Gleichbehandlung der Schüler entspricht ihre Gruppierung in Altersklassen, <strong>die</strong> im<br />

Wesentlichen von Verwaltungsgesichtspunkten bestimmt ist. Bedürfnisse, Neigungen<br />

und Entwicklung der Schüler werden dabei kaum beachtet. Die Jahrgangsklasse setzt<br />

voraus, dass alle Schüler gleich schnell vorankommen. Wer im Gleichschritt nicht mitkommt,<br />

bleibt entweder sitzen oder wird mitgeschleift, was sehr ungünstige <strong>Auswirkungen</strong><br />

<strong>auf</strong> das Selbstwertgefühl und <strong>die</strong> weitere Entwicklung der Persönlichkeit der betroffenen<br />

Schüler hat (vgl. HÖHN 1972; PETILLON 1978).<br />

Eine andere Form der Einteilung der Schüler besteht in der Gruppierung nach Leistung.<br />

So werden beispielsweise in manchen Gesamtschulen <strong>die</strong> „wenig begabten“ Schüler in<br />

Leistungsfächern in gesonderten Gruppen zusammengefasst und mit leichten Aufgaben<br />

gefördert. Trotz der guten Absicht werden <strong>die</strong>se Schüler dadurch aber eher stigmatisiert.<br />

Die Maßnahme verdeutlicht den Schülern, dass man im Grunde nur geringe Erwartungen<br />

an sie hat. Zudem werden dabei jedoch <strong>die</strong> Gefühle der Schüler ignoriert. So gaben<br />

acht- bis dreizehnjährige Schüler unterer Leistungsgruppen Beschreibungen wie <strong>die</strong> folgenden:<br />

"Schüler in der Untergruppe zählen nicht."<br />

"Ich bin in der höchsten Gruppe ... Schüler in den anderen Gruppen sind Unterentwickelte."<br />

"Sie sind einfach nicht gut genug."<br />

"Ich fühle mich wie jemand, der nicht sehr gut ist. Es bringt mich vom Lernen ab.<br />

Bald verwendest du deine Zeit dafür, Arbeit zu vermeiden."<br />

"Wenn man in der Untergruppe ist, fühlt man sich, als ob man aus dem Weg geräumt<br />

worden wäre. Es ist eine Art Bestrafung, weil man zu dumm ist, um <strong>die</strong> Arbeiten zu<br />

machen. Die merkst, <strong>die</strong> anderen können es; warum kannst du es nicht ... irgendwas<br />

muß falsch sein."<br />

223


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Manche Schüler sagen, sie selbst seien nicht betroffen, aber andere: "Es kümmert einige;<br />

sie fühlen sich ziemlich blöd. Es hält sie vom Lernen ab, aber mir macht es<br />

nichts aus" (MASON 1974).<br />

Lerninhalte und breite Allgemeinbildung<br />

Ist das Lehren in der Schule von Lehrplänen geleitet, führen veränderte Bedingungen zu<br />

neuen Anforderungen und Zusatzstoffen. KOZDON (199.., S. 64 ff.) spricht von einer<br />

"springflutartigen Vermehrung schulischer Additiva" wie Me<strong>die</strong>n- und Zukunftskunde,<br />

Technik- und Wirtschaftsunterricht, Informationstechnische Grundbildung, Friedens-,<br />

Interkulturelle und Umwelterziehung, Erziehung zu mehr Verständnis für ältere und<br />

behinderte Menschen, ferner Verkehrs-, Sexual- und Gesundheitserziehung, Drogenprävention,<br />

Aufklärung über Okkultismus und Organspenden, Verbrechensvorbeugung und<br />

vieles andere mehr.<br />

Jeder Schüler soll eine breite Allgemeinbildung erwerben. Er soll nicht nur in größtmöglichem<br />

Umfang mit seiner Kultur vertraut werden, sondern auch instand gesetzt werden,<br />

zahlreiche Schwierigkeiten des Lebens mit Hilfe des in der Schule Gelernten bewältigen<br />

zu können. Doch inwieweit <strong>die</strong> Schule darin erfolgreich ist, ist sehr umstritten.<br />

Frontalunterricht<br />

Bei der Fülle der Stoffe, <strong>die</strong> jeder Schüler lernen soll, kann von Freiheit der Methode<br />

kaum noch <strong>die</strong> Rede sein. Denn um allen Schülern möglichst gleiche Informationen und<br />

Lernbedingungen zu geben, scheint nur der Frontalunterricht geeignet, der ja auch in<br />

nahezu allen Fächern <strong>die</strong> bei weitem überwiegende Unterrichtsmethode ist.<br />

Frontalunterricht bedeutet Fremdbestimmung der Schüler. Es verbleiben nur begrenzte<br />

Möglichkeiten für eigene Entscheidungen und selbstständiges Lernen. Frontalunterricht<br />

ist in der Regel ergebnisorientiert, d.h. der Schüler erhält Antworten, <strong>die</strong> ihn nicht interessieren,<br />

weil er noch gar keine Fragen gestellt hat. Weil Antworten <strong>auf</strong> nicht gestellte<br />

Fragen kaum subjektive Bedeutung haben, sind solche Stoffe uninteressant und wenig<br />

sinnvoll. In solchen Fällen ist reproduktives Lernen, bei dem man <strong>die</strong> Inhalte kurzfristig<br />

speichert, ohne sich intensiver mit der Sache auseinandersetzen zu müssen, das einfachste,<br />

um <strong>die</strong> nächste Prüfung zu bestehen. Die Fülle der Stoffe, im Frontalunterricht dargeboten,<br />

führt somit vielfach zu oberflächlichem Wissen und zur Verschüttung des Sachinteresses.<br />

224


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Betonung der Fachgrenzen<br />

Fachgrenzen sind nichts Natürliches; denn sie ergeben sich nicht aus der Sache. Die Unterscheidung<br />

von Fächern gründet vielmehr in historischen Entwicklungen, zum Teil hat<br />

sie auch administrative Ursachen, da Lehrende für bestimmte Fächer oder Teilgebiete<br />

eines Faches angestellt werden. Vom Gesichtspunkt der Gewinnung von Wissen über<br />

<strong>die</strong> Wirklichkeit sind solche Unterscheidungen aber nicht von Bedeutung. Denn Wissenschaftler<br />

befassen sich nicht mit einem Fach, sondern mit ungelösten Fragen oder Problemen,<br />

auch wenn sie <strong>die</strong>se gewohnheitsmäßig einem Fach zuordnen. Überschreiten ihre<br />

Theorien bestehende Fachgrenzen, entstehen oft neue Fächer (vgl. POPPER 1972, S.67).<br />

Detaillierte Lehrpläne sind zumeist streng fächerbezogen. Inzwischen sind verstreute<br />

Hinweise <strong>auf</strong> Verknüpfungen mit anderen Bereichen üblich. Sie sollen helfen, <strong>die</strong> fachliche<br />

Beengung wenigstens stellenweise zu durchbrechen.<br />

In der Schule hat <strong>die</strong> Betonung der Fachgrenzen verschiedene Folgen. Zunächst verführt<br />

sie zu ergebnisorientiertem Unterricht. Denn ein Fach zu lehren bedeutet, es in seine<br />

Elemente wie Definitionen, Sätze, Regeln usw. zu zerlegen und <strong>die</strong>se dann schrittweise<br />

darzubieten. Auf <strong>die</strong>se Weise führt der Lehrer <strong>die</strong> Schüler durch sein Fach wie durch ein<br />

Museum. Man "besichtigt" <strong>die</strong> Teile, man verwendet einzelne Elemente für Aufgaben,<br />

aber man geht kaum von Fragen oder erlebten Schwierigkeiten aus, <strong>die</strong> zur Suche nach<br />

Lösungen anregen, und wobei man Entdeckungen machen, geeignete Mittel finden und<br />

sinnvoll anwenden lernen kann. Ein solches forschendes Vorgehen ist aber nicht gut<br />

möglich, weil <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Schüler interessanten Probleme oft weder mit den Fachgrenzen,<br />

noch mit der Systematik des Faches zusammenfallen. Ihre Fragen gründen eher in praktischen<br />

oder Alltagserfahrungen und würden eine stärker exemplarische Auseinandersetzung<br />

mit bestimmten Bereichen des Faches erfordern, wobei <strong>die</strong> erforderlichen Grundlagen<br />

im Zusammenhang – also nicht systematisch – anzueignen wären.<br />

Die Beschäftigung mit Fächern anstelle von Problemen hat auch Konsequenzen für <strong>die</strong><br />

Berufwahl. Weil <strong>die</strong> Interessen der Schüler vielfach mit den Fachgrenzen zusammenfallen,<br />

bleiben ihre beruflichen Vorstellungen oft vage und unklar. Denn Unterrichtsfächer<br />

und Berufe haben in der Regel nur begrenzt etwas miteinander zu tun.<br />

Zerfaserung der Stundenpläne<br />

Wenn es darum geht, Stundendeputate zur Erfüllung des Lehrplans zu verteilen, werden<br />

Entscheidungen zumeist nach den rein mechanischen Kriterien von Verwaltungen getroffen.<br />

Da kann dann Französisch an einem Tag in der ersten und letzten Stunde <strong>auf</strong><br />

225


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

dem Plan stehen, und wenn <strong>die</strong> Schüler sich nach 45 Minuten eingearbeitet haben, klingelt<br />

es. All das stärkt <strong>die</strong> Tendenz zu fremdbestimmtem, ergebnisorientiertem Unterrichten.<br />

Wozu soll man das Interesse der Schüler wecken, wenn man den Prozess nach wenigen<br />

Minuten wieder abbrechen muss, um <strong>die</strong> Ergebnisse zu sichern Mit dem Stoff<br />

durchzukommen wird wichtiger als andere Ziele.<br />

Stundengeben und Disziplinieren als Aufgaben des Lehrers<br />

Unter solchen Bedingungen wird <strong>die</strong> Aufgabe des Lehrers im Wesentlichen <strong>auf</strong> Stundengeben<br />

reduziert. Der Lehrer steht vorne, gibt <strong>die</strong> Ziele an, erklärt, verteilt Aufgaben,<br />

leitet Unterrichtsgespräche, erarbeitet im fragend-entwickelnden Verfahren den Stoff<br />

usw. Für <strong>die</strong> Schüler ist der Tag damit ausgefüllt stillzusitzen und <strong>auf</strong>zupassen. Das ist<br />

nicht leicht. Frontalunterricht zeichnet sich durch ein hohes Maß an Fremdbestimmung<br />

aus und ist dadurch eine er störanfälligsten Unterrichtsformen. Weil fast alle Aktivitäten<br />

vom Lehrer ausgehen und wieder zu ihm zurückl<strong>auf</strong>en, bedeutet jede abweichende<br />

Handlung der Schüler einen Verstoß. Einen nicht geringen Teil des Unterrichts ist der<br />

Lehrer damit beschäftigt, solche Schüler zur Ordnung zu rufen und zu disziplinieren.<br />

Die Förderung der Pläne von Schülern<br />

Besteht <strong>die</strong> Aufgabe der Schule darin, <strong>die</strong> Schüler zur Entwicklung und Ausführung von<br />

Plänen anzuregen, dürfen <strong>die</strong> Vorgaben eines Lehrplans nur sehr allgemein sein, d.h. sie<br />

müssen Freiheit für eigene Entscheidungen der Schüler bieten. Es ist ferner eine Organisation<br />

erforderlich, <strong>die</strong> dem Lehrer eine Gestaltung entsprechender Unterrichtssituationen<br />

ermöglicht und auch von ihm fordert.<br />

Für Schülerinteressen offenes und allgemeines Minimalcurriculum<br />

Die erste Bedingung ist ein für Schülerinteressen offenes und allgemeines Minimalcurriculum.<br />

Die Teilbedingung "für Schülerinteressen offen" bedeutet, dass <strong>die</strong> Schüler ihre<br />

Erfahrungen hinreichend einbringen können bzw. ihre Erfahrungsbasis vordringlich berücksichtigt<br />

wird. Wie schon KERSCHENSTEINER (1914, S. 114) festgestellt hat, sind <strong>die</strong><br />

"natürlichen Schülerinteressen" zunächst praktisch. Mit dem Ausdruck "praktisch" meinte<br />

er manuelle Arbeit. Hier wird <strong>die</strong>ser Ausdruck in dem weiteren Sinn von "erfahrungsbezogen"<br />

verstanden. So sind das Schreiben einer Geschichte, das Zeichnen geometrischer<br />

Figuren oder das Erfinden eines Liedes ebenfalls praktische bzw. erfahrungsbezogene,<br />

wenn auch nicht so sehr manuelle Arbeiten.<br />

226


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Das Ausgehen von Erfahrungen ist eine zentrale Voraussetzung für entdeckendes Lernen.<br />

Denn wenn Erfahrungen untersucht werden, können <strong>die</strong> Schüler Unstimmigkeiten,<br />

Unvollständigkeiten usw. erkennen, und <strong>die</strong>se Erkenntnis regt dazu an, Pläne zur Verbesserung<br />

zu machen und auszuführen. In <strong>die</strong>sem Sinn ermöglichen für Schülerinteressen<br />

offene Lehrpläne problemorientiertes Unterrichten.<br />

Die zweite Teilbedingung fordert ein "allgemeines Minimalcurriculum". Wenn nämlich<br />

erreicht werden soll, dass <strong>die</strong> Schüler Pläne entwickeln und verwirklichen und dadurch<br />

Techniken geistigen Arbeitens einüben, grundlegende vernetzte Kenntnisse erwerben<br />

und zu selbständig handelnden Persönlichkeiten werden, dann müssen sie sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

intensive eigene Arbeit an einem beschränkten Stoffgebiet konzentrieren können. Man<br />

darf dann nicht enzyklopädische Kenntnisse von den Schülern verlangen. Vielmehr<br />

muss man den Lehrstoff <strong>auf</strong> ein Minimalcurriculum begrenzen.<br />

Um den unterschiedlichen und sich ändernden Schülerinteressen gerecht werden zu können,<br />

sollte <strong>die</strong>ses Minimalcurriculum außerdem allgemein gehalten sein. Denn je genauer<br />

<strong>die</strong> Angaben sind, desto weniger Möglichkeiten werden offen gelassen, einen Gegenstand<br />

zu erkunden und zu verstehen. 78<br />

Produktive Beschränkung statt Allgemeinbildung 79<br />

Minimalcurricula können und sollen nicht zu jener Art von Allgemeinbildung führen,<br />

<strong>die</strong> den heutigen Abiturienten auszeichnen soll. Der "Ruf nach Wissensmassen", spottete<br />

KERSCHENSTEINER, (1914, S. V f.) sei "ein Kennzeichen für <strong>die</strong> Oberflächlichkeit vieler<br />

unserer Gebildeten... In den Lehrplänen unserer Schulen spiegelt sich deutlich <strong>die</strong>se O-<br />

berflächlichkeit ab, eben weil jeder Vertreter einer Wissenschaft erklärt, dass von dem,<br />

was er selbst lehrt, der Schüler unbedingt einiges wissen müsse..."<br />

Statt um breites und damit notgedrungen oberflächliches Wissen, soll <strong>die</strong> produktive<br />

Beschränkung Vertiefung ermöglichen und herausfordern. Der Einzelne muss nicht von<br />

allem etwas wissen, sondern <strong>die</strong> Arbeit der Wissensgewinnung soll durch entdeckendes<br />

Lernen, durch Selbstbestimmung innerhalb eines Rahmens von Freiheit und Ordnung,<br />

durch Kooperation, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Diskussion und Reflexion fördert, den ganzen Menschen<br />

erfassen, damit er sein Denkvermögen, seine Einstellungen, Motive, Interessen, Wert<strong>auf</strong>fassungen<br />

entfalten kann.<br />

78<br />

79<br />

Vgl. zur Frage der Lernzielformulierung auch <strong>die</strong> kritischen Ausführungen bei MACDONALD-ROSS<br />

1973; POPHAM 1987; LEHNER 1979, S. 127 ff.; SCHÜMER 1993, S. 18 ff.<br />

Der Titel bezieht sich <strong>auf</strong> V. CUBEs Schrift: "Allgemeinbildung oder produktive Einseitigkeit".<br />

227


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Wechsel von individuellen und gemeinsamen Aktivitäten<br />

Durch <strong>die</strong> Individualisierung Lernwege versucht <strong>die</strong> Schule dem Bedürfnis der Schüler<br />

nach Selbständigkeit gerecht zu werden. Um auch das Bedürfnis nach Sicherheit durch<br />

Zugehörigkeitsgefühle zu größeren Lerngruppen zu befriedigen, können in einem Teil<br />

der Unterrichtszeit gebundene bzw. lehrergeleitete Pflichtkurse sowie frei wählbare<br />

Lehrgänge durchgeführt werden. Demselben Zweck <strong>die</strong>nen Feiern, Theater<strong>auf</strong>führungen,<br />

Konzerte, Versammlungen in Großgremien, um Entscheidungen bei den Fragen zu<br />

diskutieren und zu treffen, <strong>die</strong> jeweils <strong>die</strong> ganze Gruppe oder <strong>die</strong> Schule betreffen.<br />

Auch <strong>die</strong> Darstellung eigener Arbeiten vor der Großgruppe oder <strong>die</strong> Durchführung von<br />

Übungen unter Leitung wechselnder Schüler bzw. Schülergruppen kann ein geeignetes<br />

Mittel sein, um Gefühle der Sicherheit durch soziale Bindung zu fördern. Hinzu kommt,<br />

dass schülergeleitete Übungen für Mitschüler in der Regel besonders effektiv sind, d.h.<br />

<strong>die</strong> Mitschüler lernen in <strong>die</strong>sen Übungen erheblich mehr und besser als durch lehrergeleitete<br />

Übungen.<br />

Der Austausch mit der Gruppe kann auch <strong>die</strong> Planungsfähigkeit fördern helfen. So können<br />

Montagmorgenkreise wie in Jenaplan-Schulen genutzt werden, um ihre Pläne für <strong>die</strong><br />

Woche vorzustellen und zu diskutieren. Da Einwände von Mitschülern nicht selten ernster<br />

genommen werden als Vorschläge des Lehrers, können sie in effektiverer Weise dazu<br />

beitragen Irrtümer zu korrigieren und Fehler zu beseitigen.<br />

Wenn derart individualisiert, kooperativ und durchaus leistungsbestrebt, aber ohne Leistungsdruck,<br />

gearbeitet wird, kann <strong>die</strong> Lerngruppe Schüler unterschiedlichen Alters, sehr<br />

heterogener Leistungsstufen sowie Behinderte und Nichtbehinderte umfassen. Unter<br />

selbstwerterhaltenden Unterrichtsbedingungen ermöglicht das vielfältige soziale Erfahrungen<br />

und fördert den verständnisvollen Umgang miteinander, und zwar ohne kognitive<br />

Leistungseinbußen. Das konnte für <strong>die</strong> Grundschule in der Integrierten Erziehung der<br />

Montessori-Schulen des Kinderzentrums München nachgewiesen werden (vgl.<br />

HELLBRÜGGE 1986, S. 312 ff.).<br />

Stundenblöcke durch Fächergruppen<br />

Um <strong>die</strong> Zerstückelung des Stundenplans und damit <strong>die</strong> häufigen Unterbrechungen der<br />

Arbeit der Schüler durch Fachwechsel zu vermeiden, bietet sich <strong>die</strong> Zusammenfassung<br />

verwandter Fächer an. Das würde <strong>die</strong> Möglichkeit eröffnen, <strong>die</strong> Arbeit in den Fächergruppen<br />

in größeren Blöcken zu organisieren. Die Lehrer könnten gemeinsame fächergruppenspezifische<br />

Arbeitsräume einrichten, <strong>die</strong> grundlegenden Lernmaterialien erstel-<br />

228


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

len oder ank<strong>auf</strong>en usw. Das Material kann fachspezifische und dar<strong>auf</strong> bezogene fächerübergreifende<br />

Einheiten umfassen, in denen komplexere Themen aus unterschiedlichen<br />

Perspektiven erarbeitet werden können.<br />

Nach einem Vorschlag von MAYER (1992, S. 50) könnten <strong>die</strong> Fächer in folgende fünf<br />

Bereiche gruppiert werden:<br />

• Mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Bereich. Er würde - teilweise erst in<br />

der Sekundarstufe II - <strong>die</strong> Fächer Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und Technik<br />

umfassen.<br />

• Sprachlich-literarischer Bereich. Er würde aus Fächern Deutsch, Englisch, Französisch<br />

usw. bestehen.<br />

• Gesellschaftlich-politischer Bereich, mit den Fächern - wiederum z.T. erst in der Sekundarstufe<br />

II - Geographie, Geschichte, Politik / Sozialwissenschaften usw.<br />

• Musisch-künstlerischer Bereich (Kunst / Gestaltung, Musik, Sport, Tanz, Gymnastik).<br />

• Philosophisch-religiös-weltanschaulicher Bereich ( aus den Fächern Ethik / Philosophie,<br />

Religion).<br />

22. Organisation zu Sicherung von Leistung: Selektion<br />

von Individuen vs. Selektion von Maßnahmen<br />

Aus gesellschaftlicher Sicht geht es um <strong>die</strong> Unterscheidung der Schüler hinsichtlich ihrer<br />

Leistungsfähigkeit bei vorgegebenen Aufgaben. Diese Unterscheidung soll vor allem<br />

zu Leistungen stimulieren und <strong>die</strong> Auswahl von Leistungseliten ermöglichen. Die Aufgabe<br />

des Leistungsvergleichs erfordert eine Organisation, <strong>die</strong> regelmäßige Klausuren,<br />

Notenkonferenzen, Zeugnisse mit ihren Konsequenzen für Versetzungen usw. vorschreibt.<br />

Das allgemeine Bild von Schule und Unterricht ist entscheidend dadurch geprägt<br />

worden.<br />

Steht das Ziel der Entfaltung des Individuums im Vordergrund, dann sollte es nicht besonders<br />

wichtig sein, wie gut ein Schüler eine Aufgabe im Vergleich zu anderen beherrscht.<br />

Vielmehr kommt es in erster Linie dar<strong>auf</strong> an, wie gut er <strong>die</strong> Sache verstanden<br />

hat und wie er sich weiter verbessern kann. Schüler und Lehrer können sich so stärker<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Sache konzentrieren und das Lernen wird weniger durch soziale Vergleiche gestört.<br />

Die Hauptfrage lautet nicht "Wer kann es besser", sondern "Ist es richtig" und<br />

"Wie kann man es noch besser machen"<br />

229


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Leistungsvergleiche führen zu Wettbewerb<br />

Leistungsvergleiche setzen voraus, dass <strong>die</strong> Schüler einer Klasse das Gleiche gelernt<br />

haben. Nur so lässt sich anhand der gleichen angeeigneten Kenntnisse und Fertigkeiten<br />

feststellen, wer mehr und wer weniger leistet. Jeder soll <strong>die</strong> „gleiche Chance“ haben,<br />

sich mit dem jeweiligen Gebiet vertraut zu machen bevor der Vergleich vorgenommen<br />

wird. Das ist <strong>die</strong> häufigste Begründung für den Gleichschritt im Unterricht. Um <strong>die</strong>sen<br />

Gleichschritt <strong>auf</strong> Dauer <strong>auf</strong>rechterhalten zu können, werden <strong>die</strong> Schüler nach Leistung<br />

sortiert: in <strong>die</strong> Schnellen, <strong>die</strong> Mittelmäßigen und <strong>die</strong> Langsamen.<br />

Eine ähnliche Sortierung gibt es in Gesamtschulen, in denen versucht wird, <strong>die</strong> Ungleichheiten<br />

zwischen den Schülern, <strong>die</strong> durch ungünstige häusliche Umwelt, geringere<br />

Vorkenntnisse, sprachliche Schwierigkeiten usw. entstehen, zu verringern. Auch hier ist<br />

das wichtigste Mittel <strong>die</strong> Aufteilung der Schüler in Leistungsgruppen, <strong>die</strong> dann getrennt<br />

unterrichtet werden. Allerdings beschränkt man <strong>die</strong>se Gruppierung in Gesamtschulen <strong>auf</strong><br />

Leistungsfächer, in den anderen Fächern bleiben <strong>die</strong> Schüler zusammen.<br />

Im Rahmen gruppennormbezogener Leistungsbewertung erhält Differenzierung also <strong>die</strong><br />

Aufgabe, langsame Lerner zu fördern und schnelle Lerner durch Erweiterungen oder<br />

Zusätze zu beschäftigen. Der unterrichtliche Gleichschritt wird somit zwar abgemildert,<br />

aber nicht <strong>auf</strong>gehoben, denn letztlich geht es darum, möglichst alle Schüler im Hinblick<br />

<strong>auf</strong> den Unterrichtsstoff zu gleicher Zeit an den gleichen Punkt zu bringen und dann ihre<br />

Leistungen zu vergleichen (vgl. v. CUBE 1972, S.105 ff.).<br />

Wie bereits beschrieben, tragen solche Bedingungen zur Entstehung einer Reihe von<br />

Problemen bei. Insbesondere ist es schwieriger, <strong>die</strong> Schüler für den Unterrichtsstoff zu<br />

interessieren, d.h. sie zu aktiver Mitarbeit durch Entwicklung, Diskussion und Ausführung<br />

eigener Pläne anzuregen. Außerdem fördern Leistungsvergleiche <strong>die</strong> Entstehung<br />

von Wettbewerb.<br />

Wettbewerb bedeutet nicht, dass <strong>die</strong> Schüler das Gefühl haben, ständig gegeneinander<br />

antreten und kämpfen zu müssen, auch wenn sie sich bewusst sind, dass sie nach ihrer<br />

Leistungsfähigkeit sortiert werden. Wer erfolgreich ist, sieht <strong>die</strong> Ursache dafür stärker in<br />

seinen guten Fähigkeiten als in seinen Anstrengungen, denn sich besonders anstrengen<br />

zu müssen würde bedeuten, nicht wirklich fähig zu sein. Aber auch, wer sich bedroht<br />

fühlt, schreibt <strong>die</strong>s seinen – allerdings unzulänglichen – Fähigkeiten zu.<br />

230


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Um nun das Verhalten der Schüler in der Klasse zu beurteilen, muss man beachten, dass<br />

ein übergeordnetes Ziel des Individuums im Erhalt des Selbstwerts besteht. Das ist gegeben,<br />

wenn der Schüler sich sicher oder geborgen fühlt und wenn er selbständig und<br />

aus eigener Kompetenz handeln kann. Es ist also zu erwarten, dass <strong>die</strong> Schüler im Interesse<br />

des Gefühls der eigenen Sicherheit versuchen werden, jeden der nicht ohnehin<br />

schon außerhalb der Gruppe steht, das Gesicht wahren zu lassen. Das bedeutet nicht,<br />

dass innerhalb der Klasse enge oder freundschaftliche Beziehungen bestehen müssten.<br />

Denn Wettbewerb dürfte eher das Zurückziehen von der Klasse begünstigen. Man muss<br />

schließlich sehen, wie man durchkommt, und dabei helfen einem nur gute Freunde.<br />

Trotzdem will man es sich nicht unnötig erschweren; daher ist man bestrebt, offene<br />

Gegnerschaft bzw. offenen Wettbewerb zu vermeiden. Denn das würde für <strong>die</strong> meisten<br />

Nachteile mit sich bringen. Gute Schüler würden sich womöglich einer breiten Front von<br />

Schwächeren gegenübersehen, <strong>die</strong> mit unfairen Mitteln versuchen könnten, sie unter<br />

Druck zu setzen. Schlechte Schüler dagegen würden offen <strong>auf</strong> ihr Versagen <strong>auf</strong>merksam<br />

gemacht und so noch mehr abgewertet.<br />

Um das Klima einer gewissen Sicherheit nicht zu gefährden, ist es für gute Schüler vorteilhafter,<br />

sich so darzustellen, als wäre es ihnen nicht besonders wichtig, dass sie besser<br />

sind – auch wenn sie im Geheimen stolz dar<strong>auf</strong> sind, besser als andere zu sein, andere zu<br />

schlagen usw. Indem sie ihre eigentlichen Gefühle geheim halten und so tun, als sei ihnen<br />

Leistung nicht so wichtig, können sie ihre Beliebtheit bei anderen sogar noch steigern.<br />

Schlechtere Schüler haben es schwerer. Sie können ihre Schwächen überspielen, indem<br />

sie sagen, sie seinen "völlig unvorbereitet" gewesen, oder indem sie sich so schwierige<br />

Aufgaben wählen, dass man ohnehin nicht erwarten kann, dass sie sie lösen. Sie können<br />

auch vorschützen, dass sie für ihre Zukunftspläne keine besseren Noten brauchen, d.h.<br />

sie können ihren Selbstwert erhalten, indem sie sich als besonders unabhängig und selbständig<br />

geben. Sie können aber auch andere, von ihnen selbst nicht beeinflussbare Faktoren<br />

wie Pech, größere Sorgen usw. anführen und sich cool geben, möglichst auch vor<br />

sich selber – was Schüler auch offensichtlich tun. 80<br />

Weil schulische Wettbewerbssituationen Belohnungen und Bedrohungen in komplexer<br />

Vernetzung implizieren, werden <strong>die</strong> Empfindungen und Überlegungen der Schüler <strong>auf</strong><br />

Vor- und Nachteile ihrer Handlungen gelenkt. Nicht so sehr <strong>die</strong> Aufgaben, sondern vor<br />

80<br />

vgl. das von ECKERLE / KRAAK (1993, S. 79 ff.) geführte Klassengespräch sowie <strong>die</strong> Interpretation der<br />

Autoren.<br />

231


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

allem das Ego des Schülers steht im Mittelpunkt. Aus der Sicht des ego-orientierten<br />

Schülers ist Schule eine <strong>Institution</strong>, "in der ich im Vergleich mit anderen beurteilt werde".<br />

Im Unterricht, vor dem Lehrer, den Mitschülern geht es darum, "dass ich eine gute<br />

Figur mache, dass ich nicht als unfähig erscheine" usw. Indem Wettbewerbssituationen<br />

Selbstbewertungen induzieren, stärken sie <strong>die</strong> Ego-Orientierung (vgl. NICHOLLS 1983,<br />

215; AMES/ FELKNER 1979.).<br />

Insbesondere bei Schülern, <strong>die</strong> Wettbewerbssituationen als Bedrohungen sehen, können<br />

ego-orientierte Schutzmechanismen zur Erhaltung des Selbstwertgefühls langfristig negative<br />

Effekte haben. Denn wenn Schüler in Wettbewerbssituationen versagen, fragen<br />

sie weniger, wie sie es anders machen könnten, sondern eher ob sie unfähig sind oder<br />

warum immer sie solches Pech haben. Sie fühlen sich unwohl, geben schneller <strong>auf</strong> oder<br />

reagieren eher passiv und mit Überlegungen zu ihrer Lage, statt sich mit Handlungsmöglichkeiten<br />

zu befassen (vgl. ELLIOT/ DWECK 1988; NICHOLLS 1983, S. 216).<br />

Weil große Anstrengungen unter Wettbewerbsbedingungen eher als Hinweis <strong>auf</strong> eher<br />

geringe Fähigkeit gewertet werden, erzeugt es eher Unzufriedenheit bei Schülern, wenn<br />

sie hart arbeiten müssen, um etwas zu können oder zu verstehen (vgl. AMES 1978; 1981;<br />

AMES /AMES 1978; AMES/ AMES /FELKNER 1977). Gerade leistungsschwache Schüler<br />

neigen unter dem Eindruck, dass es weniger <strong>auf</strong> das Verstehen ankomme, sondern mehr<br />

dar<strong>auf</strong>, irgendwie ein akzeptables Ergebnis vorzuweisen, sich nicht mehr intensiv mit<br />

inhaltlichen Fragen auseinander zu setzen. Weil es ihnen leichter erscheint, sich nur reproduktiv<br />

Ergebnisse anzueignen, werden sie dadurch am Ende immer unfähiger, Zusammenhänge<br />

zu verstehen, und ihre Leistungen verschlechtern sich rapide (vgl. NOLEN<br />

1988).<br />

Dieses Problem wird ferner dadurch verstärkt, dass Schüler unter Wettbewerbsbedingungen<br />

ungern um Hilfe fragen, weil auch das bedeutet, dass sie eigentlich nicht besonders<br />

gut sind. Wenn Lehrer oder Mitschüler ihnen helfen, hat <strong>die</strong>s den gleichen Effekt;<br />

sie empfinden sich dann in höherem Maß als weniger fähig, weil offensichtlich wird,<br />

dass sie <strong>auf</strong> Hilfe angewiesen sind. Täuschung erscheint dagegen als ein akzeptableres<br />

Mittel (vgl. NICHOLLS 1983). In Verbindung mit Misserfolgserlebnissen verstärkt Ego-<br />

Orientierung also <strong>die</strong> Lageorientierung und <strong>die</strong> Selbst<strong>auf</strong>merksamkeit. D.h. das Individuum<br />

glaubt nicht mehr daran, dass es selbst etwas an seiner Lage ändern kann, es verstrickt<br />

sich immer mehr in Gedanken über sein ständiges Pech, dass nur ihm so was passieren<br />

kann usw. (vgl. KUHL 1984).<br />

232


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Aber auch leistungsfähige Schüler werden unter Wettbewerbsbedingungen beeinträchtigt.<br />

Zwar gelingt es ihnen <strong>auf</strong>grund von Erfolgserlebnissen ihre Handlungsorientierung<br />

zu behalten, aber Zweck und Ziel ihres Handelns ist stärker <strong>auf</strong> das Ziel bezogen, besser<br />

als andere zu sein, "andere zu schlagen" und Anerkennung für Leistungen zu erhalten.<br />

Die Arbeit an der Sache ist für sie weniger in sich selbst lohnend und wertvoll, es ist<br />

mehr das damit verknüpfte „Aus-dem-Feld-Schlagen“ anderer und <strong>die</strong> erzielte Anerkennung,<br />

<strong>die</strong> ihnen wichtig werden (vgl. NICHOLLS 1983). Das gilt, auch wenn sie <strong>die</strong>ses<br />

Streben vor anderen nicht zeigen, um so den offenen Kampf zu vermeiden. Wie <strong>die</strong> leistungsschwachen<br />

Schüler sind auch sie gefangen in den um das Ego kreisenden Gedanken.<br />

Dieses Gefangensein im Ego erschwert ernsthafte Diskussion von Sachproblemen.<br />

Unter Zugrundelegung ethischer Kriterien erscheint es ferner bedenklich, wenn Individuen<br />

dazu neigen, ihre größte Befriedigung in Leistungen zu finden, wobei sie den Inhalt<br />

ihrer Leistungen und den Zusammenhang, in dem sie erbracht werden, nicht ernsthaft<br />

reflektieren. Wer gelernt hat, Aufgaben effizient auszuführen ohne viel nachzufragen<br />

und in hohem Maß von der Hoffnung <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Verbesserung seiner Position und/ oder<br />

Anerkennung geleitet wird, wird sich womöglich auch für mehr oder weniger beliebige<br />

Zwecke "einspannen" lassen.<br />

Homogene Leistungsgruppen führen nicht zu besseren Leistungen<br />

Die Bildung von Schülergruppen mit hohen, mittleren und niedrigen Leistungen wird<br />

meist damit begründet, dass <strong>die</strong> großen Leistungsunterschiede eine solche Trennung<br />

erfordern, um <strong>die</strong> Schüler angemessen unterrichten zu können. Die Effektivität des Unterrichts<br />

bzw. <strong>die</strong> leistungsgerechte Förderung der Schüler ist eines der Argumente, mit<br />

dem <strong>die</strong> Auslese begründet wird (vgl. SLAVIN 1990, S. 473 f.).<br />

Argumente gegen homogene Leistungsgruppen betonen, dass leistungsschwache Schüler<br />

dadurch diskriminiert und stigmatisiert würden. Die Gruppierung entspreche weitgehend<br />

der sozialen Herkunft der Schüler. Kinder aus der Unterschicht, von Minderheitsgruppen<br />

oder Ausländern würden in leistungsschwächere Klassen abgedrängt. Ihr Selbstwertgefühl<br />

sinke durch <strong>die</strong> niedrigere Gruppierung stark ab und Aufstiegsmöglichkeiten würden<br />

ihnen verwehrt (vgl. ROSENBAUM 1980, S. 371 ff.).<br />

Das Argument, homogene Leistungsgruppierung fördere <strong>die</strong> Effektivität des Unterrichts<br />

ist kaum <strong>auf</strong>rechtzuerhalten, da bei heterogener Gruppierung <strong>die</strong> Leistungen nicht niedriger<br />

sind. Insgesamt sind <strong>die</strong> Ergebnisse der Untersuchungen hierzu zwar uneinheitlich,<br />

233


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

aber in den meisten Überblicksartikeln und Metaanalysen wird der Schluss gezogen,<br />

dass homogene Leistungsgruppierung gegenüber heterogener Gruppierung selbst in<br />

Langzeituntersuchungen nur geringe oder keine Effekte hinsichtlich der Leistung der<br />

Schüler erbringt (BORG 1965; FINDLEY / BRYAN 1971; ESPOSITO 1973; GOOD / MARS-<br />

HALL 1984; KULIK / KULIK 1982, 1987; SLAVIN 1990).<br />

Das scheint im Wesentlichen sowohl für lernstarke wie für lernschwache Schüler zu<br />

gelten. Beispielsweise erzielen lernbehinderte Schüler in Regelschulen keine schlechteren<br />

Ergebnisse als in Sonderschulen. "Es kann keine Untersuchung gefunden werden,<br />

welche <strong>die</strong> Überlegenheit der Sonderschule gegenüber der Regelschule für <strong>die</strong> Förderung<br />

der Schulleistungen von schwachen Schülern empirisch nachgewiesen hätte"<br />

(HAEBERLIN 1991, S. 180). Vorteile durch <strong>die</strong> Sonderschulplazierung ergäben sich erst<br />

bei einem IQ unter 75 (MADDEN / SLAVIN 1983).<br />

Die Effektivität des Unterrichts scheint weniger von der Gruppierungsform und stärker<br />

von der didaktischen Gestaltung des Unterrichts abhängig zu sein. So führten SLAVIN/<br />

KARWEIT (1985) folgende experimentelle Vergleichsuntersuchung im Mathematikunterricht<br />

in der vierten bis sechsten Jahrgangsstufe durch. Die heterogenen Klassen wurden<br />

mittels einer individualisierenden und innerhalb der Klassen differenzierenden Methode<br />

unterrichtet. Die homogenen Klassen wurden mittels einer schüleraktivierenden, häufiges<br />

Feedback vermittelnden Methode unterwiesen. Unter <strong>die</strong>sen Bedingungen hatte <strong>die</strong><br />

Art der Fähigkeitsgruppierung keinen messbaren Einfluss <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Leistungen der Schüler.<br />

Die Frage ist allerdings, ob <strong>die</strong> Anwendung der individualisierenden Methode, wenn<br />

man sie in homogenen Gruppen anwendete, dort nicht zu einem noch höheren Leistungsgewinn<br />

als in den heterogenen Klassen führen würde. Denn <strong>die</strong> Effektivität der<br />

Instruktion hängt weitgehend davon ab, in welchem Ausmaß <strong>auf</strong> <strong>die</strong> individuellen Lernprobleme<br />

einzelner Schüler eingegangen wird (vgl. HELMKE / SCHRADER 1987).<br />

Das Lehrerverhalten und mithin <strong>die</strong> Differenziertheit der angewandten Methoden hängen<br />

u.a. von den Wertvorstellungen ab, <strong>die</strong> in einer Schule vertreten werden (vgl. GA-<br />

MORAN 1989, S. 132). Wo vor allem Leistung geschätzt wird und <strong>die</strong> leistungsstarken<br />

Schüler besonders gefördert werden, scheinen sich vor allem Lehrer guter Klassen besonders<br />

um Leistungsverbesserungen und um <strong>die</strong> Anwendung entsprechender Methodenvielfalt<br />

zu bemühen (vgl. ROSENBAUM 1976; OAKES 1985). Lehrer leistungsschwacher<br />

Klassen würden dagegen demotiviert, weil ihre Klassen ja ohnehin keine besonde-<br />

234


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

ren Leistungen erbringen könnten (vgl. EVERTSON 1982; OAKES 1982; HARGREAVES<br />

1967; ROSENBAUM 1976).<br />

Schulen, <strong>die</strong> sich am Wert der Gleichheit orientieren, scheinen <strong>die</strong> Lehrer eher zur Unterstützung<br />

leistungsschwacher Schüler zu ermutigen. Entsprechend werden Leistungssteigerungen<br />

verstärkt in den schwächeren und mittleren Leistungsgruppen erzielt (vgl.<br />

VALLI 1986, zit. nach GAMORAN 1989). Für den Lernerfolg allein scheinen also geeignete<br />

Lehrerverhaltensweisen und Unterrichtstechniken von größerer Bedeutung als homogene<br />

oder heterogene Leistungsgruppen.<br />

Hinsichtlich der <strong>Auswirkungen</strong> der Fähigkeitsgruppierung <strong>auf</strong> das Selbstwertgefühl sind<br />

<strong>die</strong> Befunde schwieriger zu interpretieren. Das Selbstwertgefühl ist ja vor allem das Resultat<br />

der in einem bestimmten Kontext erfahrenen Erfolgs- bzw. Misserfolgsgeschichte<br />

eines Individuums. Wettbewerbsbedingungen begünstigen bei leistungsschwachen Schülen<br />

niedrige und bei leistungsstarken Schülern hohe Selbstwerteinschätzungen. Homogene<br />

Gruppierung schränkt <strong>die</strong> Leistungsbreite ein. Bei Wettbewerb haben Schüler in<br />

leistungsschwachen homogenen Gruppen daher eher ein besseres Selbstwertgefühl als in<br />

stark heterogenen Gruppen. So verfügen Gymnasiasten im fünften Schuljahr zwar über<br />

ein deutlich gestärktes und <strong>die</strong> Hauptschüler ein geschwächtes Selbstwertgefühl, aber<br />

<strong>auf</strong>grund der Orientierung an der eigenen Gruppe gleichen sich Gymnasiasten und<br />

Hauptschüler im L<strong>auf</strong>e von drei Jahren stark an (vgl. JERUSALEM / SCHWARZER 1983).<br />

So ist zunächst auch "das Begabungskonzept von leistungsschwachen Schülern in Sonderklassen<br />

für Lernbehinderte etwa gleich hoch ... wie dasjenige von begabten Schülern<br />

in Regelklassen" (HAEBERLIN 1991, S. 178; vgl. auch HAEBERLIN u.a. 1990; BATTLE /<br />

BLOWERS 1982; KRAMPEN / ZINSSER 1981; KRUG / PETERS 1977; RHEINBERG / ENSTRUP<br />

1977). Allerdings scheint es relativ "gut gesichert zu sein, dass das höhere Begabungskonzept<br />

von Sonderschülern in den oberen Klassen wieder zu sinken beginnt" (HAEBER-<br />

LIN 1991, S. 178), nämlich dann, wenn sie ihre Berufschancen im Vergleich mit der gesamten<br />

Altergruppe einzuschätzen beginnen. Die Illusion des relativ guten Selbstwertgefühls,<br />

das <strong>die</strong> homogene Gruppenbildung Schülern der unteren Leistungsgruppen unter<br />

Wettbewerbsbedingungen zu bieten scheint, scheint also nicht sehr tief zu gehen.<br />

Wurde Wettbewerb durch Kooperation ersetzt, dann ließ sich auch innerhalb heterogener<br />

Gruppen eine gute Selbstwerteinschätzung für alle Schüler erzielen (vgl. LAZARO-<br />

WITZ/ KARSENTY 1990). Dasselbe gilt für schulleistungsschwache Sonderschüler in Regelschulklassen<br />

(vgl. AFFLECK U.A. 1988; WANG / BIRCH 1984)<br />

235


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Problematik der Leistungsauslese<br />

Auslese erzeugt Bürokratie<br />

Von Leistungen hängt <strong>die</strong> Möglichkeit des Erwerbs besserer Bildungschancen und damit<br />

auch besserer Berufschancen ab. Leistung ist heute das im Wesentlichen von allen anerkannte<br />

Kriterium für <strong>die</strong> Auswahl von Eliten, d.h. jener Leute, "<strong>die</strong> politisch und wirtschaftlich<br />

entscheidende Funktionen innehaben" (LÜTHJE 1995, S. 180).<br />

Um eine Auslese mit derart weit reichenden Folgen rechtfertigen zu können, bedarf es<br />

entsprechender Regelungen, Regelungen, <strong>die</strong> vorspiegeln, es gehe alles mit rechten Dingen<br />

zu. Dazu ist in den Leistungsfächern in der Regel eine Mindestzahl von Teilprüfungen<br />

vorgeschrieben. Sie sind nach einer als hinreichend betrachteten Behandlung des<br />

zugrunde gelegten Lehrstoffes durchzuführen. Die Klausuren werden bewertet, und aus<br />

dem Durchschnitt der Noten und einer gewichteten Berücksichtigung mündlicher Leistungen<br />

wird <strong>die</strong> Zeugnisnote errechnet.<br />

Bewertungen sind nicht gerecht<br />

Was <strong>die</strong> Leistungsbewertung selbst angeht, so soll <strong>die</strong>se möglichst objektiv gestaltet<br />

werden. Tatsächlich ist sie das aber nicht (vgl. INGENKAMP 1977; 1981). Die geringe<br />

Objektivität von Noten ist teils dar<strong>auf</strong> zurückzuführen, dass <strong>die</strong> Zensurengebung mangels<br />

Vergleichsnormen nicht an der entsprechenden Altergruppe, sondern an den Leistungen<br />

der jeweiligen Lerngruppe orientiert ist.<br />

Bei den in der Schule üblichen Beuteilungsverfahren spielen ferner Faktoren wie Anstrengung<br />

und Benehmen der Schüler, wie und ob sie dem Lehrer Anerkennung zeigen,<br />

wie höflich oder unhöflich sie sich gegenüber anderen verhalten oder ihre körperliche<br />

Attraktivität eine nicht unwesentliche Rolle (vgl. z.B. FARKAS / SHEEHAN / GROBE<br />

1990). Außerdem <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> Notengebung nicht immer nur der Leistungsmessung, sondern<br />

wird auch als Erziehungsmittel verwendet. Hinzu kommt, dass Prüfungen nicht<br />

oder nicht nur <strong>die</strong> Qualität der vergangenen Lernarbeit erfassen, sondern auch <strong>die</strong> künftigen<br />

zu erwartenden Leistungen voraussagen soll (vgl. z.B. AEBLI 1976, S. 336).<br />

Insbesondere <strong>die</strong>se Voraussage, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Grundlage für weit reichende Entscheidungen<br />

über Berufs- und Bildungschancen des einzelnen bildet, ist nach wie vor höchst umstritten.<br />

Die Aufgabe objektiver Leistungsbewertung ist also nicht nur äußert komplex und<br />

236


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

schwierig, sie wird auch kaum jemals in objektiver Weise durchzuführen sein (vgl. IN-<br />

GENKAMP 1987, S. 73 f.).<br />

Auslese erzeugt Looser<br />

Erstens trägt <strong>die</strong> Einteilung in "gute" und "schlechte" Schüler dazu bei, dass Schüler in<br />

den "schlechten" Gruppen sich selber als weniger fähig betrachten. Die Schüler trauen<br />

sich dann von vornherein weniger zu und sie strengen sich auch nicht mehr an. Wer sich<br />

selber für dumm hält, bemüht sich nicht besonders, nach ungeeigneten Ansätzen, Lernstrategien<br />

oder Fehlerquellen zu forschen, auch wenn deren Beseitigung erheblich zur<br />

Verbesserung der Leistungen beitragen könnte, sondern versucht eher, sich Arbeit zu<br />

ersparen, indem er rät, von anderen abschaut, schwierige Aufgaben auslässt usw. (vgl<br />

MEECE / BLUMENFELD / HOYLE 1988).<br />

Zweitens betrachten <strong>die</strong> Lehrer – und in der Regel auch <strong>die</strong> Eltern – <strong>die</strong>se Schüler als<br />

weniger fähig und erwarten keine besonderen Leistungen von ihnen. Sie neigen dazu,<br />

ihre Schüler mit einfachen Aufgaben und eindeutigen Lösungs-Schemata zu konfrontieren,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Schüler eher noch stärker zu reproduktivem Lernen verleiten. Starke Vereinfachungen<br />

nehmen Aufgaben den Reiz der Schwierigkeit, der Herausforderung; sie verlieren<br />

dadurch an Anziehungskraft für <strong>die</strong> Schüler (vgl. STODOLSKY 1988) Außerdem<br />

tragen genaue Anweisungen, wie Aufgaben zu lösen sind eher zu unselbständigem Lernen<br />

der Schüler bei. Sie verlassen sich dann stärker <strong>auf</strong> den Lehrer als selbst Strategien<br />

zu entwickeln und zu erproben (vgl. CORNO/ ROHRKEMPER 1985).<br />

Drittens sollen leistungsschwächere Schüler in der Regel nur minimale Lernziele erreichen.<br />

Der Unterricht wird also kaum individualisiert, sondern zumeist wird versucht, <strong>die</strong><br />

ganze Lerngruppe Schritt für Schritt der niedrigen Lehrzielnorm anzunähern.<br />

Wenn man möchte, dass möglichst viele Schüler Leistungsfreude entwickeln und hohe<br />

Leistungen erbringen, muss man es als problematisch betrachten, wenn <strong>auf</strong>grund vergleichender<br />

Leistungsbewertung Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden, durch<br />

<strong>die</strong> so viele junge Menschen benachteiligt werden. Vor allem Schüler, <strong>die</strong> im Vergleich<br />

zu anderen schlecht abschneiden, <strong>die</strong> häufiger Misserfolge als Erfolge erleben, entwickeln<br />

ein schwaches Selbstwertgefühl, werden eher ängstlich, unsicher und von äußeren<br />

Bedingungen abhängig (vgl. FUCHS 1979; SCHIEFELE 1974, S. 271 FF.; KÜHN 1983; NI-<br />

CHOLLS 1983).<br />

237


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Wenn man <strong>die</strong>ses Problem lösen will, wird man unter anderem fragen müssen, wie Leistungsbeurteilung<br />

so gestaltet werden kann, dass das Leistungspotential von Schülern<br />

dadurch nicht beeinträchtigt, sondern eher gefördert wird.<br />

Koppelung von Unterricht und Berechtigungswesen: Schule als Ausleseagentur<br />

Wenn der Unterricht Aufgaben des Berechtigungswesens übernimmt, geschieht das<br />

durch gruppennormbezogene Leistungsvergleiche. Die schulische Auslese hat einen<br />

prägenden Einfluss. In unserer Wahrnehmung hat Schule neben ihrem Bildungs<strong>auf</strong>trag<br />

vor allem <strong>die</strong> Funktion der Auslese der Leistungsfähigsten. Das Problem ist jedoch, dass<br />

<strong>die</strong> Auslesefunktion für <strong>die</strong> Erfüllung des Bildungs<strong>auf</strong>trag in höchstem Grad störend ist.<br />

Wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, beeinträchtigt der durch <strong>die</strong> Leistungsauslese<br />

bedingte Wettbewerb das Interesse an der Sache und fördert <strong>die</strong> Entstehung von<br />

Ego-Orientierung und eher geringe Anstrengungsbereitschaft. Schüler, <strong>die</strong> unter <strong>die</strong>sen<br />

Umstände dennoch sachorientiert bleiben, schwimmen sozusagen gegen den Strom. Sind<br />

sie erfolgreich, dann vielleicht trotz und nicht wegen der Schule und der ihnen dort bestätigten<br />

oder auch nicht bestätigten Leistungsfähigkeit.<br />

Untersuchungen der L<strong>auf</strong>bahnen außergewöhnlich erfolgreicher Wissenschaftler, Künstler<br />

und Wirtschaftsführer zeigen, dass <strong>die</strong> Schule oft eine eher negative Rolle gespielt<br />

hat. Entscheidend war vor allem <strong>die</strong> frühe Weckung und Aufrechterhaltung eines starken<br />

Interesses für einen Gegenstandsbereich und <strong>die</strong> Aufrechterhaltung der Freude am Lernen<br />

in <strong>die</strong>sem Bereich. In den meisten Fällen waren es <strong>die</strong> Eltern, <strong>die</strong> den Kindern <strong>die</strong><br />

entscheidenden Anstöße und weiterführenden Hilfen gegeben haben und nur selten <strong>die</strong><br />

Schule oder ein Lehrer (vgl. OCHSE 1990, S. 83 ff.).<br />

Insbesondere aber beeinträchtigen l<strong>auf</strong>ende Leistungsvergleiche das Selbstwertgefühl<br />

schwacher Schüler, sie fördern eher lageorientierte Reflexionen bei <strong>die</strong>sen Schülern, was<br />

zu emotionalen Belastungen und verringerter Verarbeitungskapazität führt und dadurch<br />

eher zur Verschlechterung der Leistungen beiträgt. Durch mehrfache Misserfolge kann<br />

der Schüler dann in einen Misserfolgszirkel geraten, aus dem er unter Wettbewerbsbedingungen<br />

oft nicht mehr herauskommt.<br />

Da vergleichende Leistungsprüfungen erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten prüfen<br />

und nicht den Weg, <strong>auf</strong> dem <strong>die</strong>se erworben wurden und auch nicht <strong>die</strong> Höhe des Poten-<br />

238


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

tials, das den Erwerb solcher Kenntnisse und Fertigkeiten erst ermöglicht, wird daher<br />

nicht untersucht, wodurch es zu schlechten Leistungen gekommen ist und ob ein Schüler<br />

im Prinzip bessere Leistungen erbringen könnte. Auch eine gute Leistung kann ja <strong>auf</strong><br />

Zufall beruhen. Nehmen wir nun an, eine schlechte Leistung beruht <strong>auf</strong> einer grundlegenden<br />

falschen Annahme, <strong>die</strong> aus dem bloßen Prüfungsergebnis nicht zu erschließen<br />

ist. Wenn <strong>die</strong>se Annahme nicht korrigiert wird, kann das zu fatalen <strong>Auswirkungen</strong> führen,<br />

wie folgendes Beispiel verdeutlicht.<br />

Gustav ist Schüler der ersten Klasse, ein "Sitzenbleiber". Der Lehrerin fällt <strong>auf</strong>, dass er<br />

nicht gerne liest. Auf ihre Fragen hin erklärt er ihr, dass es anfangs ja leicht aussehe,<br />

man müsse sich auch nur wenige Wörter merken, aber jede Woche würden es mehr.<br />

"Zum Schluss sind des Tausend oder eine Million." Die könne man nicht alle behalten<br />

und dann bleibe man sitzen. Die Lehrerin erklärt ihm, dass er in der anderen Klasse etwas<br />

falsch verstanden haben müsse. Es sei lediglich erforderlich 26 Buchstaben zu behalten,<br />

weil alle Wörter aus <strong>die</strong>sen Buchstaben zusammengesetzt seien. Nachdem Gustav<br />

das überprüft hatte, ging er zusammen mit der Lehrerin an <strong>die</strong> Arbeit. "Drei Wochen<br />

später konnte Gustav lesen." 81 Hätte auch Gustavs zweite Lehrerin ausschließlich <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

bloße Leseleistung geachtet statt <strong>die</strong> Hintergründe dafür zu erkunden, hätte Gustav gut<br />

und gerne in der Sonderschule landen können. Die Vermengung der Aufgaben des Unterrichts<br />

und des Berechtigungswesens beeinträchtigt den Unterricht also in hohem Maß.<br />

Weiter ist zu fragen, ob <strong>die</strong> vergleichenden Leistungsbewertungen im Unterricht überhaupt<br />

zu dem gewünschten Ergebnis führen. Denn <strong>die</strong> Frage, ob Leistungsbewertung<br />

tatsächlich <strong>die</strong> Auslese der Leistungsfähigsten ermöglicht ist durch ihr bloßes Bestehen<br />

ja keineswegs geklärt. Hierzu zeigen in den frühen 70er Jahren durchgeführte Untersuchungen,<br />

deren wesentliche Voraussetzungen und Folgerungen auch heute zutreffen,<br />

dass <strong>die</strong> mit den üblichen Methoden schulischer Leistungsmessung gewonnenen Ergebnisse<br />

weder hinlänglich objektiv noch von hinlänglichem prognostischem Wert sind<br />

(vgl. INGENKAMP 1977a).<br />

Die Vorhersagegültigkeit von Grundschulzeugnissen für Leistungen im Gymnasium<br />

beispielsweise liegt kaum über r = .30. Wenn also unter 1000 Bewerbern 200 Geeignete<br />

<strong>auf</strong>grund ihrer Noten ausgewählt werden, dann sieht das Ergebnis rechnerisch folgen-<br />

81<br />

BERT / GUHLKE 1977, S. 51. Eine Fülle weiterer Beispiele, <strong>die</strong> u.a. <strong>auf</strong> ein Versagen der Schule <strong>auf</strong>grund<br />

ihrer Orientierung an bloßen Ergebnissen hinweisen, berichtet FEUERSTEIN 1983, der einen Test<br />

zur Erfassung des Lernpotentials entwickelt hat. Mithilfe <strong>die</strong>ses Tests vermochte er bei zahlreichen<br />

Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit schwersten Lerndefiziten und -behinderungen<br />

Potentiale zu erkennen, <strong>die</strong> anschließend auch entwickelt werden konnten.<br />

239


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

dermaßen aus: Unter den 200 Zugelassenen sind 66 Geeignete und 134 nicht Geeignete.<br />

Man hat "aber 134 Geeignete und 666 nicht Geeignete abgewiesen" (INGENKAMP 1977b,<br />

S. 222). Wobei zu beachten ist, das Geeignetheit hier lediglich bedeutet: „für <strong>die</strong> üblichen<br />

Anforderungen des Gymnasiums geeignet“.<br />

Es ist sicher nicht zu erwarten, dass <strong>die</strong> Zuweisung von Stu<strong>die</strong>nplätzen <strong>auf</strong>grund von<br />

Abiturzeugnissen einen höheren Prognosewert hat. Denn Stu<strong>die</strong>nplätze werden "nach<br />

einer unsinnigen Notenarithmetik von einer Zentralstelle vergeben", <strong>die</strong> <strong>die</strong> Gültigkeit<br />

der getroffenen Entscheidungen nicht überprüft, und <strong>die</strong> Übergangsauslese wird immer<br />

noch nach den Methoden gestaltet, "<strong>die</strong> schon in den sechziger Jahren überholt und unzureichend<br />

waren" (INGENKAMP 1987, S. 40). Es ist also nicht überraschend, wenn nur<br />

ein geringer Zusammenhang zwischen den Ergebnissen der Reifeprüfung und den Vorexamen<br />

in verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen und bei Medizinern besteht<br />

(TROST 1975; WEINGARDT 1977, S. 253). Tatsächlich scheinen Mediziner mit<br />

schlechten Schulnoten im Beruf ebenso tüchtig zu sein wie solche mit guten Noten (vgl.<br />

WILLIE 1982). Jedenfalls ist der Zusammenhang zwischen Zensuren und späterem Berufserfolg<br />

im allgemeinen nur "sehr mäßig" (HOYT 1965).<br />

Insoweit das Ziel der Leistungsauslese darin bestanden hat, <strong>die</strong> besten, tüchtigsten oder<br />

leistungsfähigsten Mitglieder der heranwachsenden Generationen zu identifizieren, ist<br />

<strong>die</strong>ses Ziel durch <strong>die</strong> Koppelung von Unterricht und Berechtigungswesen ganz sicher<br />

nicht zu erreichen. Nur in einem gewissen Sinn werden <strong>die</strong> Leistungsfähigsten gefunden.<br />

Denn das System wird vermutlich <strong>die</strong>jenigen begünstigen, <strong>die</strong> oder deren Eltern wissen,<br />

wie man das "Schulspiel" gewinnt (PAQUETTE 1991). Viele Schüler, <strong>die</strong> im Prinzip zu<br />

guten Leistungen in der Lage wären, aber nicht clever genug sind, <strong>die</strong> also nicht verstehen,<br />

dass es vor allem dar<strong>auf</strong> ankommt, sich <strong>auf</strong> sprachlich ausgewogen vorgebrachte<br />

Darstellungen, Einwände, Argumente etc. zu konzentrieren, sich gezielt <strong>auf</strong> Tests vorzubereiten,<br />

einen guten Eindruck im Umgang mit dem Lehrer zu hinterlassen, in prekären<br />

Situationen dem Lehrer ein positives, angenehmes Bild von sich zu bieten und ähnliches,<br />

werden durch negative Etikettierungen frühzeitig entmutigt und verlieren im schulischen<br />

Wettbewerb (vgl. PAQUETTE 1991).<br />

Die Auslese durch l<strong>auf</strong>ende Leistungsvergleiche, Halbjahres- und Jahreszeugnisse wird<br />

von allen Beteiligten zwar akzeptiert und bestimmt das Denken und Handeln von Lehrern,<br />

Schülern und Eltern im schulischen Alltag, aber das in der Schule vermittelte Wissen<br />

und Können und <strong>die</strong> darüber erteilten Übergangs- und Abschlusszertifikate geben<br />

240


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

keine hinreichend gültigen Urteilsgrundlagen dafür, welche Schüler <strong>auf</strong> weiterführenden<br />

Schulen, im Studium und später im Beruf erfolgreich sein werden.<br />

Trennung von Unterricht und Berechtigungswesen<br />

Die Entkoppelung von Unterricht und Aufgaben des Berechtigungswesens ermöglicht<br />

Schulen und Lehrern Freiräume für <strong>die</strong> Gestaltung des Unterrichts, den man dann ja<br />

nicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong> nächste Prüfung ausrichten muss. Eine Lösung bestünde in der Errichtung<br />

externer Prüfungsbehörden. Die Erstellung zuverlässiger und valider Tests ist ja eine<br />

Aufgabe, <strong>die</strong> Kenntnisse und auch Mittel erfordert, über <strong>die</strong> Schulen wohl kaum verfügen.<br />

Außerdem werden <strong>die</strong> Lehrer in der Regel nicht für <strong>die</strong>se Aufgabe ausgebildet.<br />

Eine andere und kostengünstige Lösung wird von einigen Privatschulen praktiziert. Sie<br />

gehen einfach so vor, dass sie erst dann, wenn der Zeitpunkt für einen Übergang <strong>auf</strong> eine<br />

andere Schulform oder der Erwerb eines Abschlusses ansteht, gezielt dar<strong>auf</strong> vorbereiten<br />

und <strong>die</strong> entsprechenden Prüfungen durchführen. Wer beispielsweise das Abitur an einer<br />

Waldorfschule machen möchte, kann sich, nachdem bis dahin ohne Notendruck gearbeitet<br />

wurde, im letzten Schuljahr gezielt <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Prüfung vorbereiten. Die Entkoppelung<br />

von Prüfungen zur Vergabe von Berechtigungen und Unterricht ermöglicht es der Waldorfschule,<br />

sich <strong>auf</strong> ihren pädagogischen Auftrag zu konzentrieren, "junge Menschen ...<br />

in ihrem eigenen Wesen und Können so zu wecken und zu steigern, daß sie in sich und<br />

aus sich selber <strong>die</strong> Mittel und Wege finden können, ihr Leben zu meistern" (LINDEN-<br />

BERG 1975, S. 23).<br />

Auf <strong>die</strong>se Weise können zwar viele Nachteile vermieden werden, <strong>die</strong> ein in den Unterricht<br />

integrierter jahrelanger Prozess des Leistungsvergleichs und der Zuordnung von<br />

Leistungsrängen erzeugt, aber das Problem der geringen Objektivität und der fehlenden<br />

prognostischen Kraft solcher Prüfungsergebnisse wird hierdurch nicht gelöst.<br />

Was <strong>die</strong> begrenzte Bedeutung von Schulzeugnissen für Stu<strong>die</strong>n- und Berufserfolg angeht,<br />

ist zu fragen, ob <strong>die</strong> üblichen schulischen Lerninhalte und Lernweisen überhaupt<br />

bedeutsame Bezüge zu Studium und Beruf <strong>auf</strong>weisen. Wenn aber <strong>auf</strong>grund der Entkoppelung<br />

von Unterricht und Berechtigungswesen Schulen Freiräume zur Gestaltung eigener<br />

Bildungsprogramme haben, ließen sich auch Beziehungen zwischen Unterricht, Unterrichtserfolg<br />

sowie Stu<strong>die</strong>n und Berufserfolg differenzierter untersuchen. Dann dürfte<br />

sich zeigen, dass Bildungsprogramme, <strong>die</strong> sich stärker an der Entwicklung des Individuums<br />

orientieren als an gesellschaftlichen Anforderungen und den Schülern Wahl- und<br />

241


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Lerngelegenheiten einräumen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Entstehung und Ausprägung von Interessen begünstigen,<br />

eher Fähigkeiten fördern, <strong>die</strong> auch Stu<strong>die</strong>n- und berufsrelevant sind.<br />

Außerdem könnte eine derartige Interessendifferenzierung zur konkreteren Klärung beruflicher<br />

Wünsche und Vorstellungen beitragen, so dass das Stu<strong>die</strong>n- und Berufswahlverhalten<br />

vermutlich einen geringeren Grad an Unsicherheit <strong>auf</strong>weisen würde. 82 Indem<br />

<strong>die</strong> Schüler z.B. selbständig Arbeiten (Texte, Modelle, Filme, Tonmaterial usw.) anfertigen,<br />

lernen sie einen Aufgabenbereich und seine Techniken genauer kennen. Solche<br />

Direkten Leistungsvorlagen können außerdem bei Bewerbungen eingereicht werden<br />

(VIERLINGER 1990). Gymnasiasten können sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise nicht nur mit einem<br />

Fragenbereich, sondern auch mit den Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens vertraut<br />

machen. Wenn Schüler sich immer nur mit eng umgrenzten Aufgaben befassen, fällt es<br />

ihnen schwer, einen Sinn oder Zusammenhang in der Abfolge <strong>die</strong>ser Aufgaben zu erkennen,<br />

<strong>die</strong> nirgendwohin zu führen scheinen und sie an der Oberfläche der Sache zurücklassen.<br />

Für den Fall, dass Leistungen in Interessenschwerpunkten relativ gute Prognosen für<br />

Stu<strong>die</strong>n und Berufserfolge abgeben, könnte <strong>die</strong>s zur Differenzierung des Berechtigungswesens<br />

beitragen, indem in <strong>die</strong> Abschlusszeugnisse derartige Leistungen <strong>auf</strong>genommen<br />

werden.<br />

Es ist aber im Grunde kaum möglich, ein für allemal jene Ziele, Maßnahmen Organisationsformen<br />

usw. zu bestimmen, durch <strong>die</strong> eine Schule den größten Nutzen für den weiteren<br />

Werdegang ihrer Schüler und für <strong>die</strong> Allgemeinheit bietet. Außerdem ändern sich<br />

unsere Werte und Ziele, an denen wir den Erfolg messen, so dass sich auch unsere Anforderungen<br />

an <strong>die</strong> Schule ändern. Da wir wohl kaum im einzelnen wissen können, welche<br />

schulischen Ziele, Organisationsformen und Methoden sich in Zukunft unter veränderten<br />

Bedingungen bewähren werden, dürfte es unter dem Gesichtspunkt der Anpassung<br />

an <strong>die</strong>se Bedingungen günstiger sein, wenn Schulen eigene Programme entwickeln<br />

und durchführen als wenn sie den Weisungen monopolartiger Behörden unterstehen.<br />

82<br />

Zu den Problemen der Ausbildungs- und Berufswahlentscheidungen vgl. LANGE/ BÜSCHGES 1975;<br />

PEISERT 1981.<br />

242


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

23. Schulpolitische Rahmenbedingungen<br />

Schulen oder Schulsysteme werden – wie andere gesellschaftliche <strong>Institution</strong>en auch –<br />

gegen den Wettbewerb mit alternativen Einrichtungen und Konzepten abgeschirmt, indem<br />

man grundlegende Prinzipien wie letzte Axiome, d.h. nicht mehr diskutierbare<br />

Standpunkte behandelt bzw. akzeptiert.<br />

Ein solcher Standpunkt ist das sogenannte Leistungsprinzip. Seine Abschrimungsfunktion<br />

zeigt sich, wenn beispielsweise in einer Auseinandersetzung über Waldorfschulen,<br />

Montessori-Schulen und staatliche Regelschulen <strong>die</strong> Diskussion mit dem Hinweis beendet<br />

wird, es handle sich dabei um grundverschiedene, nicht vergleichbare Systeme; in<br />

der Staatsschule stehe das Leistungsprinzip im Mittelpunkt, bei den anderen nicht. Tatsächlich<br />

werden aber in allen Schulen Leistungen erbracht. Man könnte sie also durchaus<br />

hinsichtlich der Lernergebnisse und anderer Wirkungen vergleichen. Das Problem<br />

ist, dass im Rahmen leistungsideologischer Auffassungen "Leistung" nahezu als identisch<br />

mit lehrplanmäßigem Unterricht und nachfolgender vergleichender Leistungsmessung<br />

betrachtet wird.<br />

Die <strong>Auswirkungen</strong> einer solchen Haltung können verstärkt werden, wenn <strong>auf</strong>grund von<br />

Vorgaben vorgeordneter Behörden den davon abhängigen Schulen der Spielraum für<br />

Versuche zur eigenen Gestaltung unverhältnismäßig erschwert und eingeengt wird.<br />

Wettbewerb setzt dagegen eine größere Autonomie der Schulen voraus, so dass sie <strong>auf</strong><br />

verschiedene Ziele, Grundsätze, Programme und Methoden gründende Wege versuchen<br />

können.<br />

Die aus Autonomie erwachsende Vielfalt allein gibt allerdings keine Gewähr dafür, dass<br />

besser bewährte Prinzipien auch von anderen Schulen übernommen werden. Wettbewerb<br />

entsteht, wenn erstens ideologisch abgestützte Untersuchungsschranken fallen und wenn<br />

zweitens Schulen einschließlich der vorgeordneten Behörden sich Prüfungen und Untersuchungen<br />

sowie der öffentlichen Verbreitung und Diskussion <strong>die</strong>ser Informationen<br />

nicht verschließen können.<br />

Abhängigkeit vs. Autonomie<br />

Abhängigkeit oder Autonomie ist in zweifacher Hinsicht von Bedeutung. Zum einen<br />

hinsichtlich des eigenen Programms, also der Ziele, der Gestaltung der organisatorischen<br />

Struktur und der räumlich-materiellen Umgebung, und zum anderen hinsichtlich der<br />

243


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Mittel, <strong>die</strong> ja gebraucht werden, um das eigene Konzept im Rahmen bestehender Möglichkeiten<br />

zu realisieren, zu verbessern oder den sich wandelnden Ansprüchen, Vorstellungen<br />

und Bedingungen anzupassen.<br />

Abhängige Schulen zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen <strong>die</strong> Ziele, <strong>die</strong> Organisation<br />

und vielfältige Handlungsregeln vorgegeben sind. Verbleibende Spielräume können<br />

zwar genutzt und erweitert werden, was aber <strong>die</strong> Überwindung von Hindernissen und<br />

damit einen erheblichen Aufwand an Energie erfordern würde. Konformität und <strong>die</strong> Einfügung<br />

in bestehende Routinen ist weit weniger <strong>auf</strong>wendig und daher meist der bequemere<br />

Weg. da er außerdem das Risiko mindert, für bestimmte Ergebnisse haftbar gemacht<br />

zu werden, ist er auch relativ risikolos. 83<br />

Autonome Schulen dagegen verfügen über relativ große Handlungsspielräume, <strong>die</strong> sie<br />

zur Erfüllung ihrer Aufgaben selber gestalten können. Beispielsweise kann ihnen ein<br />

Grundkanon an Lerninhalten und -zielen vorgegeben sein, wobei sie Schwerpunkte und<br />

Lehrmethoden in eigener Verantwortung bestimmen. Autonomie bedeutet also nicht,<br />

dass eine Schule tun und lassen kann, was sie möchte, sondern es können ihr Grundpflichten<br />

<strong>auf</strong>erlegt und ihre Einhaltung kann kontrolliert werden. Autonomie muss auch<br />

nicht notwendig zu einem eigenständigen Programm führen, aber zumindest besteht <strong>die</strong><br />

Möglichkeit dazu.<br />

Zur Autonomie von Schulen gehören eigene Finanzmittel. Ohne zusätzliche Kosten<br />

könnten Spielräume geschaffen werden, wenn beispielsweise der Etat für <strong>die</strong> l<strong>auf</strong>enden<br />

Kosten den Schulen zur eigenen Verwaltung überlassen wird. Bei selbst ausgeführten<br />

Reparaturen, eingesparten Heizkosten usw. entstünden dann Überschüsse, <strong>die</strong> frei genutzt<br />

werden könnten.<br />

Ferner ist <strong>die</strong> Möglichkeit, <strong>die</strong> (Um-)Gestaltung der Räume, der Möbel und Lehrmittel<br />

selbst bestimmen zu können, wichtig für <strong>die</strong> Verwirklichung eines eigenen Programms.<br />

Besonderer Bedeutung hat <strong>die</strong> Leitung der Schule. Eine partizipative Leitung wird nahezu<br />

immer eine Vielzahl von Ideen hervorbringen und etliche davon zu realisieren versuchen.<br />

Die Beteiligung der verschiedenen Gruppen an der Leitung erhöht zumindest längerfristig<br />

<strong>die</strong> Motivation, <strong>die</strong> Innovationsbereitschaft und <strong>die</strong> Zufriedenheit der Beteiligten.<br />

Eine hierarchisch-bürokratische Leitung wird sehr häufig eher <strong>die</strong> gegenteiligen<br />

Effekte <strong>auf</strong>weisen (vgl. BOSSERT / DWYER / ROWAN / LEE 1982; BLASE 1988). Es könnte<br />

83<br />

Vgl. zu Anpassungsbereitschaft allgemein z.B. BERKOWITZ 1980, S. 304 ff.<br />

244


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

daher <strong>die</strong> innovative Qualität und Effektivität einer Schule schon ganz erheblich steigern,<br />

wenn <strong>die</strong> nähere Bestimmung der Leitungsfunktionen in ihren Händen liegen würde.<br />

Schulen könnten dann diskutieren und für eine bestimmte Dauer festlegen, ob sie<br />

eine Leitung unter Partizipation von Lehrern, Schülern und möglicherweise auch Eltern<br />

möchten oder ob sie lieber eine hierarchisch-bürokratische Leitung wünschen, ob <strong>die</strong><br />

Leitung vom Kollegium, Schülern und Eltern gewählt oder von der Schulverwaltung<br />

bestimmt werden soll, ob <strong>die</strong> Leitung <strong>auf</strong> Dauer oder zeitlich begrenzt sein soll usw.<br />

Um umfassend gestalten zu können, braucht <strong>die</strong> einzelne Schule außerdem das Recht,<br />

ihr Personal selbst einzustellen. Für <strong>die</strong> Verwirklichung des Programms kann z.B. <strong>die</strong><br />

Einstellung eines Computerfachmanns entscheidend sein. Nur <strong>die</strong> Schule selbst kann<br />

wissen, wer für ihr bestimmtes Programm geeignet erscheint und am besten ins Kollegium<br />

passt.<br />

Wenn eine über lange Zeit abhängige Schule in <strong>die</strong> Autonomie entlassen werden soll,<br />

muss das von den betroffenen Lehrern und Schülern nicht notwendig positiv <strong>auf</strong>genommen<br />

werden. Spielräume können wegen der im Einzelnen nicht abzuschätzenden Folgen<br />

Angst und Ablehnung erzeugen. Wo also ein solcher Übergang vollzogen wird, wird es<br />

den Schulen helfen, wenn mittels Beratern <strong>die</strong> für <strong>die</strong> einzelne Schule sinnvolle Nutzung<br />

der eröffneten Spielräume geklärt und <strong>die</strong> Erstellung und Ausgestaltung eines eigenen<br />

Programms wenigstens teilweise begleitet wird. Im Folgenden werden zur Verdeutlichung<br />

einige mögliche Programmpunkte genannt.<br />

So könnten schulische Programme zunächst ethische Grundsätze enthalten. Z.B.:<br />

- keine Mittel anzuwenden oder ihre Anwendung einzustellen, sofern zu erwarten ist,<br />

dass sie zu Beeinträchtigungen des Selbstwerts und der Fähigkeiten des Einzelnen<br />

führen oder beitragen.<br />

- Jeder (Schüler und Lehrer) soll Fehler machen dürfen, aber Ziel ist es, aus Fehlern<br />

zu lernen und dadurch besser zu werden.<br />

- Toleranz zu praktizieren. Auch wenn ein Schüler oder Lehrer selbst nicht tolerant<br />

ist, intolerante Handlungen <strong>die</strong>ser Personen zwar nicht zuzulassen, aber denjenigen<br />

deshalb als Person nicht auszugrenzen, sondern zu versuchen, <strong>die</strong>se Person so zu<br />

akzeptieren wie sie ist.<br />

Pädagogische Ziele (unter Berücksichtigung von Elternwünschen) könnten sein:<br />

- Lehrplan und Organisation an den Grundbedürfnissen von Schülern zu orientieren<br />

und <strong>die</strong> freie Leistungsentfaltung des Einzelnen zu fördern.<br />

- Demokratisches Verhalten in einer demokratischen Schulorganisation, <strong>die</strong> auch <strong>die</strong><br />

Schüler beteiligt, zu üben.<br />

- Selbständigkeit und Schülerinteressen zu fördern.<br />

245


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

- Entsprechend den eigenen Möglichkeiten (Personal, räumliche Bedingungen usw.)<br />

behinderte Schüler zu integrieren.<br />

- Handwerkliche, künstlerische u.a. Sonderprogramme anzubieten.<br />

Die Organisation kann umfassen:<br />

- Räume von Lerngruppen für selbständiges und individualisiertes Arbeiten gestalten.<br />

- Vorbereitete Lernmaterialien einsetzen und ständig neue Materialien entwickeln.<br />

- Zusammenarbeit mit Industrie, Handwerk oder öffentlicher Verwaltung bei einzelnen<br />

Projekten <strong>auf</strong>bauen. Wenn Schulen solche Kontakte knüpfen, können erstaunliche<br />

Ergebnisse zustande kommen. So haben Schüler des Oberhausener Elsa-<br />

Brandström-Gymnasiums, dessen Gebäude durch eine dreispurige Straße getrennt<br />

sind, "detaillierte Pläne ausgearbeitet". Sie wurden dabei vom Stadtplanungsamt<br />

unterstützt, wo sie sich mit Bauordnungen und Vorschriften vertraut machen konnten.<br />

"Eine hilfsbereite Angestellte der Behörde kam immer wieder in den Unterricht."<br />

Mitarbeiter des Amtes bezeichneten <strong>die</strong> erarbeiten Pläne als "professionell".<br />

"Jetzt wollen <strong>die</strong> Schüler eine Bürgerinitiative gründen, um Eltern und Nachbarn zu<br />

mobilisieren" (DER SPIEGEL 35/ 1994, S. 40 f.).<br />

- Zur Förderung besonderer Interessen von Schülern zeitweilig externe Betreuer engagieren.<br />

- Altersgemischte Gruppen bilden.<br />

- Ganztägige Betreuung anbieten.<br />

- Enge Zusammenarbeit mit Eltern.<br />

- Mitbestimmung von Eltern und Schülern (in dazu geregelten Formen).<br />

- Individuelle Leistungserfassung<br />

- neben staatlichen Abschlüssen auch schuleigene Zeugnisse über besondere Fertigkeiten<br />

und Persönlichkeitsmerkmale von Schülern ausgeben.<br />

Das Programm einer Schule kann zum einen der Klärung der Ziele, zum anderen ihrer<br />

Diskussion sowie der Kontrolle ihrer Erreichung <strong>die</strong>nen. Außerdem können ausformulierte<br />

Programme auch zu einem höheres Maß an Transparenz oder Offenheit beitragen.<br />

Geschlossenheit vs. Offenheit<br />

Geschlossenheit liegt vor, wenn es einer <strong>Institution</strong> gelingt, Kritik an zentralen Maßnahmen<br />

oder Maßnahmekomplexen immer wieder durch Hinweise <strong>auf</strong> Grundsätze zu<br />

entkräften, <strong>die</strong> weithin als selbstverständlich <strong>auf</strong>gefasst und akzeptiert werden. Es geht<br />

also nicht notwendig um <strong>die</strong> Immunisierung ganzer Systeme, sondern vielmehr um wesentliche<br />

Bestandteile.<br />

Die Geschlossenheit oder Abschirmung vor öffentlicher Kritik kann sich auch <strong>auf</strong> ein<br />

einzelnes Prinzip oder Merkmal beziehen. Ein Beispiel dafür ist das Leistungsprinzip<br />

246


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

(vgl. FEND u.a. 1976, 173 ff.), das im Selbstverständnis der Schule und breiter gesellschaftlicher<br />

Schichten von zentraler Bedeutung ist. Durch eine einseitige Auffassung<br />

von Leistung wird das Missverständnis begünstigt, alternative Formen des Unterrichts<br />

müssten notwendig zu einer Vernachlässigung des Leistungsaspekts ten<strong>die</strong>ren. Sofern<br />

Leistung nämlich mit lehrplanmäßigem Unterricht und nachfolgendem sozialem Leistungsvergleich<br />

gleichgesetzt wird, müssen nicht wettbewerbsorientierte Formen der Forderung<br />

und Förderung von Leistungen, der Leistungserbringung und Leistungsbeurteilung<br />

als nonkonform hinsichtlich des einseitig gedeuteten Leistungsprinzips erscheinen.<br />

Geschlossenheit ist kein Merkmal das mit dem Status einer Schule – sei sie nun privat,<br />

staatlich oder kirchlich – zusammenhängt. Auch autonome Schulen können sich einigeln<br />

und sich gegenüber Kritik taub stellen. So beklagt SKIERA (1982, S. 107) den Isolationismus<br />

vieler der autonomen niederländischen Schulen.<br />

Offenheit setzt zum einen den Zugang für Eltern und Untersucher voraus, zum anderen<br />

vergleichende Untersuchung und <strong>die</strong> Veröffentlichung der Ergebnisse. Dabei ist zu beachten,<br />

dass ein umfassender Eindruck der Leistungen einer Schule sich nur gewinnen<br />

lässt, wenn Untersuchungen eine Vielfalt von Vergleichskriterien einbeziehen, <strong>die</strong> auch<br />

<strong>die</strong> Ziele der jeweiligen Schulen berücksichtigen. 84 Dazu kann z.B. gehören, <strong>auf</strong> welche<br />

Art und mit welchen Konsequenzen für das Selbstwertgefühl, für Zufriedenheit, Leistung,<br />

Berufschancen usw. (benachteiligte) Schüler gefördert wurden; welchen Zusammenhang<br />

zwischen den verschiedenen schulischen Maßnahmen und an Aggressivität,<br />

Orientierungslosigkeit bzw. Verhaltenssicherheit, Durchsetzungskraft, Kooperationsund<br />

Problemlösungsfähigkeit usw. besteht. Auch <strong>die</strong> Beurteilung durch Arbeitgeber, der<br />

Erfolg im Studium und andere langfristige <strong>Auswirkungen</strong> können von Bedeutung für <strong>die</strong><br />

Beurteilung sein.<br />

Offenheit in <strong>die</strong>sem Sinn ist also gleichbedeutend mit der Bereitschaft zu offenem Wettbewerb.<br />

Dieser Wettbewerb vollzieht sich nicht nur über <strong>die</strong> Ergebnisse wissenschaftlicher<br />

Untersuchungen, sondern hängt in hohem Maß auch von der Selbstdarstellung der<br />

Schule in der Öffentlichkeit und von der Elternarbeit ab. Wenn beispielsweise Schulen<br />

mit Betrieben zusammenarbeiten, könnten Schüler im Rahmen von Unterrichtsprojekten<br />

beispielsweise lokale Marktanalysen oder Werbekampagnen durchführen oder zumindest<br />

begleiten. Betriebe können Schüler-Wettbewerbe in bestimmten Bereichen ausschreiben<br />

und so öffentliche Foren für Schulen und <strong>die</strong> von ihnen geförderten Talente<br />

schaffen.<br />

84<br />

Zur Problematik der Untersuchung von Schuleffektivität vgl. Madaus / Airasian / Kellaghan 1980.<br />

247


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Offenheit führt damit nicht nur zu Wettbewerb, sondern hat auch didaktische Konsequenzen,<br />

weil <strong>die</strong> Öffnung zur Umgebung neben Auseinandersetzungen auch Kontakte<br />

eröffnet und <strong>die</strong> Kooperation mit anderen <strong>Institution</strong>en fördert. Schließlich erwirbt eine<br />

Schule damit Wettbewerbsvorteile. Der Wettbewerb muss im Übrigen nicht oder zumindest<br />

nicht in erster Linie der Verdrängung unterlegener Schulen <strong>die</strong>nen. Der Hauptzweck<br />

ist vielmehr <strong>die</strong> Ausführung oder Erprobung unterschiedlicher Versuche und <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

voneinander zu lernen.<br />

248


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Teil VI<br />

Ausblick<br />

24. Wege zu besseren Schulen<br />

Wenn ich über Wege zu besseren Schulen nachdenke, bin ich mir durchaus bewusst,<br />

dass niemand <strong>die</strong>se Wege im Detail zu kennen und zu beschreiben vermag. Wir können<br />

lediglich <strong>die</strong> allgemeinen Bedingungen erkunden, <strong>die</strong> langfristig zu „schlechten“ oder<br />

„guten“ Schulen führen. Verfolgt man jedoch Diskussionsrunden, drängt sich zumeist<br />

der Eindruck <strong>auf</strong>, als wüssten <strong>die</strong> beteiligten Bildungspolitiker und Erziehungswissenschaftler<br />

bis ins Einzelne, was getan werden muss, um Schulen grundlegend und dauerhaft<br />

zu verbessern. Offenbar sind <strong>die</strong> Reformer allzu sehr davon überzeugt, komplexe<br />

Prozesse steuern zu können, obwohl weder Behörden noch wissenschaftliche Disziplinen<br />

jemals über <strong>die</strong> Kenntnis aller erforderlichen speziellen Tatsachen verfügen können.<br />

Tatsächlich haben bisherige Reformen ja auch kaum nennenswerte Verbesserungen erbracht.<br />

85 Doch der Irrglaube, Behörden und beratende Wissenschaftler würden wissen,<br />

wie Schulen reformiert werden müssen, wird in der Regel in den in der Öffentlichkeit<br />

zum Ausdruck gebrachten Meinungen vertreten. Gerade solche Einstellungen und<br />

Denkmuster bestätigen und stärken <strong>die</strong> derzeitige Gestalt und Funktion der Schule. Die<br />

Frage ist also, wie und unter welchen Bedingungen sich <strong>die</strong>ses Vertrauen in Planungsbürokratien<br />

wandeln und ein Druck in Richtung freierer Entwicklungsprozesse entstehen<br />

kann.<br />

85<br />

Tatsächlich hat es in den vergangenen Jahrzehnten ja eine ganze Reihe von Schulleistungsuntersuchungen<br />

in verschiedenen Fächern gegeben, <strong>die</strong> zwar manchmal zu Änderungen, aber nie zu grundlegenden<br />

Verbesserungen geführt haben (mit Ausnahme der skandinavischen Länder). Dazu kommt,<br />

dass <strong>die</strong>se Änderungen eigentlich immer politisch motiviert waren, und fast nie wegen der Kinder o-<br />

der Jugendlichen vorgenommen worden sind, was schon Robert Dottrens (The Primary School Curriculum.<br />

Unesco 1962, 145 ff.) beklagt hat.<br />

249


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Schulentwicklung als evolutionären Prozess verstehen lernen<br />

Das Auseinanderdriften zwischen den Zielen der Schulen und ihren Ergebnissen ist geeignet<br />

Resignation, Schuldzuweisungen und ähnlich unproduktive Verhaltensweisen zu<br />

provozieren. Schulentwicklung dürfte aber überall dort schleppend in Gang kommen<br />

und lange dauern, wo <strong>die</strong> Betroffenen sich selbst mit ihren Wünschen und Ängsten im<br />

Blick haben. Denn sind <strong>die</strong> Menschen daran gewöhnt, von den Regierungen vor allem<br />

den Schutz ihrer Privilegien zu erwarten, werden sie Einschränkungen immer nur bei<br />

anderen akzeptieren. Solche Privilegien sind in Deutschland beispielsweise der Beamtenstatus<br />

(der Lehrer), <strong>die</strong> Vorteile bestimmter Lehrergruppen oder auch <strong>die</strong> Vorzüge,<br />

<strong>die</strong> eine bestimmte Schulform in den Augen mancher Eltern besitzen mag. In <strong>die</strong>sem<br />

Zusammenhang sind auch <strong>die</strong> Forderungen nach Hebung der Leistungsstandards zu sehen.<br />

Denn <strong>die</strong>s bedeutet <strong>die</strong> Auslese der Kinder sozial benachteiligter Gruppen. Ihnen<br />

eine gute Schulbildung vorzuenthalten führt jedoch nur zu einer Verschiebung des Problems,<br />

weil <strong>die</strong>se jungen Menschen ja weiterhin Mitglieder der Gesellschaft sind.<br />

Da Behörden Forderungen der verschiedenen Interessengruppen nicht angemessen berücksichtigen<br />

können, unterbleiben <strong>die</strong> erforderlichen grundlegenden Änderungen. Aus<br />

der Sicht der <strong>auf</strong> ihre Wünsche und Ängste eingeengten Interessengruppen erscheint das<br />

immer noch als das Vorteilhafteste. Eine breite Unterstützung für eine grundlegende<br />

Reform setzt eine Änderung <strong>die</strong>ser Haltungen voraus.<br />

Ein solcher Bewusstseinswechsel muss seinen Ausdruck zunächst im Handeln der Bürger<br />

finden. In Deutschland scheint es hier am ehesten im Bereich der Grundschule eine<br />

gewisse Bewegung zu geben. Grundschulen sind seit jeher Gesamtschulen, <strong>die</strong> von allen<br />

als schulreif beurteilten Kindern unabhängig von Leistungseinstufungen besucht werden.<br />

Hier ist in den Präferenzen der Eltern und Lehrer ein wachsender Trend hin zu reformpädagogischen<br />

Schul- und Unterrichtsformen zu beobachten. Das ist leicht zu verstehen.<br />

Denn um mit den sehr großen Unterschieden zwischen den Schülern in kultureller, sozialer<br />

und kognitiver Hinsicht umgehen zu können, sind <strong>die</strong> Konzepte der traditionellen<br />

Staatsschule ungeeignet. Inzwischen werden land<strong>auf</strong> landab – häufig mit Zustimmung<br />

oder Förderung der Behörden – Montessori- und andere an reformpädagogischen Vorstellungen<br />

orientierte Schulen gegründet, <strong>die</strong> eine weit stärkere Individualisierung ermöglichen.<br />

Die Eltern verstehen durchaus, dass sie Vorteile für ihre Kinder nur erhalten<br />

können, wenn alle Kinder in den Genuss erweiterter, besserer Bildungsmöglichkeiten<br />

gelangen.<br />

250


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren durch private Initiativen wie <strong>die</strong> Bertelmann-Stiftung<br />

eine Vielzahl schulischer Projekte, Versuche der Qualitätsverbesserung<br />

und vieles andere angeregt. Eine wachsende Zahl von Lehrern, Schülern, Eltern und<br />

interessierten Bürgern werden in solche Prozesse einbezogen. Darüber hinaus wurden<br />

durch einige Me<strong>die</strong>n Diskussionen angeregt. Es ist verständlich, dass dabei insbesondere<br />

Veröffentlichungen eine wichtige Rolle spielen, <strong>die</strong> von herrschenden Lehrmeinungen<br />

abweichen. Internationale Organisationen und Forschungsinstitute fördern <strong>die</strong>se Prozesse<br />

durch <strong>die</strong> nationalen und internationalen Schulvergleichsuntersuchungen. Zudem ist<br />

<strong>die</strong> Konkurrenz durch Privatschulen geeignet das Denken in Alternativen zu fördern.<br />

Derartige Initiativen werden das Schulwesen zwar nicht grundlegend verändern, aber sie<br />

sind geeignet, <strong>die</strong> Bereitschaft zur Aufnahme neuer Ideen zu steigern. Es ist anzunehmen,<br />

dass immer wieder bürokratisch-kosmetische Reformen für eine Weile das Feld<br />

beherrschen. Letztlich kann <strong>die</strong>s aber nicht von Dauer sein. Denn von den Regierungen<br />

verordnete Reformen werden <strong>die</strong> wachsenden schulischen Probleme nicht nachhaltig<br />

lösen können. Weil bürokratische Planung und Steuerung der individuellen Initiative zu<br />

wenig Freiräume bietet, können sich kaum nennenswerte alternative Schulformen, Methoden,<br />

Lehrinhalte, Prüfungsformen und Abschlüsse entwickeln. Solche Alternativen<br />

sind jedoch notwendig, weil durch sie erprobt und gezeigt werden kann, welche Mittel<br />

nachweislich bessere Lösungen erlauben.<br />

Schon <strong>die</strong> gegenwärtigen minimal-alternativen Schulversuche haben auch das wissenschaftliche<br />

Denken über Schule und Erziehung stimuliert. Häufig ist Wissenschaft nämlich<br />

nur ein Prozess der Ausarbeitung, Auswahl und Prüfung von bereits gebildeten I-<br />

deen. Entfällt <strong>die</strong> Anregung durch eine breite Palette alternativen Handelns, konzentrieren<br />

sich auch Wissenschaftler einseitig <strong>auf</strong> das, was ist. 86 Dabei sollte ihre Aufgabe doch<br />

gerade sein, hypothetische Modelle von prinzipiell möglichen Alternativen zu entwickeln<br />

und zu prüfen. Auf <strong>die</strong>se Weise können wir nämlich erfahren, was Schulen leisten<br />

könnten, wenn der Staat einen anderen Rahmen für ihr Handeln schaffen würde.<br />

Nun nehmen aber in einer Zeit der Globalisierung auch in Schule und Bildungsforschung<br />

<strong>die</strong> Vergleichsmöglichkeiten zu. Nationen, <strong>die</strong> ihre Schulen von den Fesseln der<br />

86<br />

Tatsächlich konzentrieren sich Forschung und Literatur einseitig <strong>auf</strong> <strong>die</strong> allgemeine „Staatspädagogik“.<br />

Es gibt auch nur relativ wenig Vergleiche zwischen den staatlichen und den wenigen alternativen<br />

Schulen – angeblich weil Alternativschulen mit staatlichen nicht vergleichbar seien (vgl. dazu<br />

auch Anm. 31).<br />

251


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Bürokratie befreien, könnten gegenüber anderen Nationen Vorteile gewinnen. Es könnten<br />

bereits nach relativ wenigen Jahren <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> Wirtschaft, Gesundheit, gesellschaftliche<br />

Harmonie und andere Faktoren erkennbar sein. Solche zumindest teilweise<br />

durch Schulsysteme bewirkten Unterschiede zwischen Nationen werden unweigerlich<br />

auch <strong>die</strong> Schulentwicklung in anderen Ländern vorantreiben. Auch wenn einzelne Interessengruppen<br />

sich <strong>die</strong>sem Prozess hartnäckig verweigern, werden sie dem Druck <strong>auf</strong><br />

Dauer nicht standhalten können.<br />

Durch geeignete Rahmenbedingungen <strong>die</strong> Entwicklung der Schulen<br />

fördern<br />

Was geschehen muss, ist nichts weniger als der Übergang von einer Planungsbürokratie<br />

hin zu einer freien Entwicklung der Schulen. Die Frage für muss also letztlich sein, wie<br />

man <strong>die</strong> Betroffenen in den einzelnen Schulen dazu bringen kann, selbst <strong>die</strong> Anpassungen<br />

an <strong>die</strong> Erfordernisse einer sich ständig verändernden Welt zu vollziehen.<br />

Gelegenheit zu eigenständigem Denken und Handeln kann geschaffen werden durch<br />

eine mehr oder weniger weitreichende Lockerung aller bürokratischen Vorgaben von<br />

den Lehrplänen bis hin zu den Abschlüssen. Die Schulen würden nicht zum Wandel gezwungen.<br />

Anfangs könnten herkömmliche Bildungsinstitutionen noch samt ihrer Bürokratie<br />

bestehen bleiben. Aber durch <strong>die</strong> Lockerung der derzeitigen Vorgaben würde eine<br />

Suche nach Alternativen in Gang gesetzt. Man würde beginnen, sich an Schulen zu orientieren,<br />

<strong>die</strong> in Vergleichsstu<strong>die</strong>n besser abschneiden. Die Bürokratien müssten wohl<br />

oder übel versuchen, den Schulen bei ihrer Entwicklungsarbeit eine Hilfe zu sein. Die<br />

bisherigen Vorschriften würden für eine gewisse Zeit zwar noch einen gewissen Halt<br />

geben, aber nach und nach von schuleigenen, dem jeweiligen Bedarf entsprechenden<br />

Regelungen ersetzt werden. Insbesondere freie Schulen und Schulen mit mutigen Leitern,<br />

Lehrern und Eltern hätten <strong>die</strong> Möglichkeit ihre Vorstellungen einer besseren Schule<br />

zu erproben. Sie würden sozusagen <strong>die</strong> Speerspitze der Entwicklung bilden. In ihrem<br />

eigenen Veränderungsprozess könnten Schulen <strong>die</strong> Beratung von Lehrern weiter fortgeschrittener<br />

Einrichtungen auch aus anderen Ländern in Anspruch nehmen.<br />

Die Entwicklung der Schulen wird also im wesentlichen von innen heraus erfolgen müssen,<br />

auch wenn grundlegende Anstöße zunächst von außen kommen. So würden Lehrer,<br />

Schüler und Eltern <strong>auf</strong>grund des Bestehens weiter fortgeschrittener Schulen dazu ange-<br />

252


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

regt, ihre eigenen Auffassungen zu prüfen und womöglich allmählich zu verändern. Diese<br />

Bewegung würde eine ständig wachsende Vielfalt von Versuchen hervorbringen. Es<br />

wären individuelle Konzepte, <strong>die</strong> erneuert, verbessert und weiter entwickelt werden,<br />

indem Einzelne und Schulen versuchen, <strong>die</strong> besten Lösungen für sich zu finden und weiter<br />

zu entwickeln. Andere Schulen könnten Elemente oder Kombinationen von Elementen<br />

<strong>auf</strong>greifen und sie im Hinblick <strong>auf</strong> <strong>die</strong> für sie wesentlichen Umstände weiter entwickeln.<br />

Das ist ein quasi organischer Prozess und nicht durch den konstruierenden und<br />

von oben her planenden Staat bewirkt.<br />

Hier stehen wir vor dem Problem der Kontrolle. Kaum eine Regierung wird bereit sein,<br />

<strong>die</strong> Verbindlichkeit all <strong>die</strong>ser Regelungen <strong>auf</strong>zuheben, ohne eine Möglichkeit der Kontrolle<br />

und Eindämmung von Willkür zu haben. In Deutschland ist <strong>die</strong> Aufsicht sogar<br />

grundgesetzlich vorgeschrieben. Es wäre jedoch problematisch, <strong>die</strong>se Kontrolle den alten<br />

Bürokratien zu überlassen. Um ihre Macht zu erhalten, müssten sie <strong>die</strong> alten Strukturen<br />

verteidigen. Es gibt jedoch andere Lösungen. In Schweden beispielsweise sind <strong>die</strong><br />

Schulen zwar selbständig, also unabhängig von Weisungen, müssen aber ihrer Kommune<br />

jährlich Bericht erstatten. So spüren <strong>die</strong> Bürger viel direkter <strong>die</strong> Verpflichtung, sich<br />

um <strong>die</strong> Jugend zu kümmern. Die alte Schulbürokratie haben <strong>die</strong> Schweden <strong>auf</strong>gelöst,<br />

aber <strong>die</strong> Regierung gibt Bildungsstandards vor und legt <strong>die</strong> Fächer sowie <strong>die</strong> Anzahl der<br />

Stunden pro Fach, bezogen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> gesamte Schulzeit, fest. Wenn solche Bildungsstandards<br />

sehr allgemein gehalten sind, geben sie den Schulen viel Freiraum für selbständiges<br />

Gestalten und Handeln. 87 Die Überprüfung solcher Standards sollte weniger der<br />

Kontrolle als vielmehr der Hilfe und Anregung für Verbesserungen <strong>die</strong>nen. Vor allem<br />

sollten sich <strong>die</strong> Überprüfungen sich nicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Schulleistungen konzentrieren, sondern<br />

auch andere Merkmale beachten. So könnte man erfahren, wie sich unterschiedliche<br />

Bedingungen auswirken beispielsweise <strong>auf</strong> Selbstwertgefühl, Aggressivität, Verhaltenssicherheit,<br />

Kreativität, Durchsetzungskraft, Teamgeist, Berufs- und Stu<strong>die</strong>nerfolg, Beurteilungen<br />

durch schulfremde Personen und Einrichtungen usw. 88<br />

Zur Finanzierung der Schulen hat sich ein Gutscheinsystem bewährt, bei dem <strong>die</strong> Schüler<br />

das Geld sozusagen in ihre Schule mitbringen, <strong>die</strong> davon alle Ausgaben von den Leh-<br />

87<br />

88<br />

Allgemein hierzu Helmut Lehner: Einführung in <strong>die</strong> empirisch-analytische Erziehungswissenschaft.<br />

Bad Heilbrunn: Klinkhardt 1994, S.126 ff.<br />

Vgl. Helmut Lehner: Lassen sich Alternativ- und Regelschulen vergleichen In: Ztschr. F. Soz. d. Erz.<br />

u. Sozialisation, 18, 1998, 53-65.<br />

253


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

rergehältern bis zur Gebäudereinigung bestreitet. 89 Das Modell wird mit Anpassungen<br />

an <strong>die</strong> jeweiligen Umstände beispielsweise in den Niederlanden, in Schweden und teils<br />

in den USA genutzt. Auf <strong>die</strong>se Weise können <strong>die</strong> Kosten der allgemeinen Schulbildung<br />

vom Staat bestritten werden, ohne dass <strong>die</strong> Schulen notwendig staatlich sein müssen.<br />

Wenn <strong>die</strong> Schüler ihre Gutscheine einer frei gewählten Schule übergeben könnten, hätte<br />

das zudem den Vorteil, dass zunehmend <strong>die</strong> Schulen entstehen könnten, <strong>die</strong> Kindern und<br />

Jugendlichen in ihren eigenen wie in den Augen ihrer Eltern zur bestmöglichen Bildung<br />

verhelfen. Bei freier Schulwahl würden Schüler und Eltern grundsätzlich dazu angeregt,<br />

sich Gedanken über <strong>die</strong> Schule, ihre Methoden, ihre zu erwartenden Wirkungen und<br />

vieles andere zu machen. Sie würden vermehrt Berichte über Schulen lesen. So würde<br />

<strong>die</strong>se Form der Finanzierung auch <strong>die</strong> öffentliche Diskussion von Schulfragen erheblich<br />

anregen.<br />

Bei eigenständig agierenden Schulen würden Unterschiede bald offensichtlich werden.<br />

Gerade durch <strong>die</strong>se Unterschiede würde <strong>die</strong> eigene Schule für alle Betroffenen erst so<br />

richtig interessant. Selbstständige Schulen werden allein aus dem Interesse an ihrer<br />

Selbsterhaltung damit beginnen, ihren Schülern und deren Eltern echte Mitbestimmung<br />

einzuräumen, Ziele und Schwierigkeiten mit ihnen zu teilen und gemeinsam mit ihnen<br />

nach Lösungen zu suchen. So wird eine echte Zusammenarbeit möglich, und <strong>die</strong> Schulen<br />

können zunehmend eine Funktion als kulturelle Zentren ausüben und sich für andere<br />

gesellschaftliche Bereiche öffnen, mit der lokalen Wirtschaft gemeinsame Projekte planen,<br />

sich mit Aufgaben und Problemen ihrer Kommunen in sozialen, technischen, kulturellen<br />

Bereichen beschäftigen, intensiven internetgestützten Austausch mit Partnerschulen<br />

in anderen Ländern und Erdteilen pflegen. Das würde nicht nur das Schulleben bereichern,<br />

sondern auch das Leben der Kommunen und eine frühe soziale Einbindung der<br />

Kinder und Jugendlichen fördern.<br />

Die Selbständigkeit der einzelnen Schulen also ist entscheidend. Das bedeutet, dass <strong>die</strong><br />

Schulen für alles verantwortlich sind: für <strong>die</strong> Einstellung, Vertragsgestaltung und Bezahlung<br />

der Lehrer. Sie könnten sich beispielsweise für den Fremdsprachenunterricht verstärkt<br />

ausländische Lehrer holen und so ihrer Schule auch einen internationalen Charakter<br />

geben. Sie könnten <strong>die</strong> Arbeitszeit und Aufgaben ihrer Lehrer bestimmen (wobei<br />

89<br />

Das Modell stammt ursprünglich von Milton Friedman: The Role of Government in Education, in:<br />

Robert A. Solo (Ed.): Economics and the Public Interest. New Brunswick: NJ Rutgers Universtiy<br />

Press 1955<br />

254


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Übergangsregelungen für <strong>die</strong> noch beamteten Lehrer erforderlich sind). Sie können, zumindest<br />

innerhalb eines gewissen Rahmens, den Lehrplan gestalten, <strong>die</strong> Aufteilung der<br />

Stunden über das Schuljahr vornehmen und <strong>die</strong> ganze Einrichtung in eigener Verantwortung<br />

führen sowie <strong>die</strong> Schüler und Eltern an <strong>die</strong>ser Aufgabe beteiligen. Sie können ganztägige<br />

Betreuung einführen, mit nahegelegenen Kindergärten oder weiterführenden<br />

Schulen, mit Universitäten, Firmen und Museen kooperieren. Die Vielfalt der Anregungen,<br />

<strong>die</strong> solche Schulen <strong>auf</strong>greifen würden und <strong>die</strong> wiederum von ihnen ausgehen würden,<br />

wäre viel größer als heute.<br />

Langfristig wären auch Rückwirkungen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Hochschulen und insbesondere <strong>die</strong> Lehrerausbildung<br />

zu erwarten. Denn Staatsprüfungen für <strong>die</strong> Lehrer könnten entfallen. Die<br />

Schulen würden Lehrer nach eigenen Kriterien einstellen, was letztlich zu Veränderungen<br />

bei den Stu<strong>die</strong>ngängen führen würde. Denn <strong>die</strong> Schulen könnten Bewerber vorziehen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> herkömmliche Ausbildung nicht durchl<strong>auf</strong>en oder berufliche Erfahrungen in<br />

ganz anderen Bereichen gesammelt haben. Sie könnten von sich aus anregen, dass angehende<br />

Lehrer erst ein Praktikum an der Schule absolvieren und sich danach bei reduziertem<br />

Gehalt der Lösung oder theoretischen Durchdringung von Problemen widmen, <strong>die</strong><br />

sich aus den von ihnen gewonnenen schulischen oder erzieherischen Erfahrungen ergeben.<br />

Diese angehenden Lehrer würden sich dann Hochschulen und Stu<strong>die</strong>ngänge aussuchen,<br />

<strong>die</strong> dazu sinnvolle individuelle Hilfen anbieten können. 90<br />

Bei Wegfall der Lehrpläne würden Schulen <strong>die</strong> Kinder und Jugendlichen verstärkt entsprechend<br />

deren individuellen Neigungen oder Talenten fördern. Die üblichen Formen<br />

der Leistungsprüfung wären unter <strong>die</strong>sen Umständen sinnlos. Weitaus vorteilhafter wären<br />

direkte Leistungsvorlagen, denn Leistung spricht für sich selbst. Das würde auch<br />

dem normalen Leben mehr entsprechen. Denn wer einen guten Handwerker sucht,<br />

schaut sich am besten dessen Produkte an statt seine Zeugnisse. Man entscheidet sich für<br />

ein Stammlokal, weil man beim ersten Besuch zufrieden war und nicht weil das Zeugnis<br />

des Kochs oder der Be<strong>die</strong>nung irgendwelchen formalen Ansprüchen genügt. Desgleichen<br />

sind <strong>die</strong> Leistungen der Schüler, <strong>die</strong> sie mit umfassenden eigenen Arbeiten dokumentieren,<br />

aussagekräftiger als bloße Ziffernzensuren. RUPERT VIERLINGER hat <strong>die</strong>se<br />

90<br />

Dabei könnten <strong>Institution</strong>en wie <strong>die</strong> School of Independent Study eine besondere Attraktivität gewinnen<br />

(Eunice Hinds: The School for independent study and international links. Ziff Papiere 69, Hagen:<br />

FernUniversität 1987; Helmut Lehner: Autonomous Learning in Distance Education: Methodology<br />

and Results / Autonomes Lernen und Fernlehre: Methoden und Wirkungen. In: Börje Holmberg /<br />

Gerhard E. Ortner (Hrsg.): Research into Distance Education / Fernlehre und Fernlehrforschung.<br />

Frankfurt 1991 (Lang), S. 160-176.<br />

255


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Form der Leistungsbeurteilung ausgiebig untersucht und gezeigt, dass sie nicht nur bei<br />

Personalchefs Zustimmung findet, sondern darüber hinaus auch <strong>die</strong> Schüler selbst ermutigt,<br />

sich mehr als üblich anzustrengen, Schwächen zu überwinden und <strong>die</strong> ihnen möglichen<br />

Höchstleistungen zu erbringen. 91<br />

Die Befreiung von der Einhaltung der Lehrpläne hätte somit zur Folge, dass <strong>die</strong> Abschlüsse<br />

zunehmend individueller würden. Fachliche und fächerübergreifende Leistungen<br />

könnten durch konkrete Projekte samt Bewertung belegt werden. Darüber hinaus<br />

könnten Leistungen einbezogen werden, <strong>die</strong> bei schulischen Abschlüssen heute eher<br />

wenig Beachtung finden, aber im beruflichen Alltag von großer Bedeutung sind. Beispielsweise<br />

kann ein Schüler oder eine Schülerin bei einem Tüftlerwettbewerb mitgemacht<br />

und einen funktionierenden Apparat entwickelt haben; oder ein Schüler war erfolgreich<br />

im Schülerparlament tätig, hat eine Schülerzeitung herausgegeben, eine Reihe<br />

von interessanten Arbeiten geschrieben, interessante Musik komponiert; ein anderer ist<br />

von seinen Kameraden als Leiter umfangreicher Projekte gewählt worden. Die Gesamtheit<br />

solcher Leistungen ist sicher aussagekräftiger als ein herkömmlicher Schulabschluss<br />

und würde auch im Leben eher weiterhelfen. Für <strong>die</strong> Schulen würde es dann immer<br />

wichtiger, <strong>die</strong> Stärken der Kinder und Jugendlichen in ihren Lebensbezügen zu fördern,<br />

ihren Forscher- und Entdeckerdrang zu unterstützen und zu erhalten.<br />

Eine weitere Folge wäre der Wegfall der ministeriellen Zensur der Schulbücher. Die<br />

Verlage würden ebenso wie <strong>die</strong> Schulen nach Wegen suchen, <strong>die</strong> Schüler bei der Vorbereitung<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Zukunft zu unterstützen. Da <strong>die</strong>ses allgemeine Ziel viele Möglichkeiten<br />

offen lässt, würde eine intensive Suche einsetzen. Die Verlage würden sich mit geeigneten<br />

Büchern zu übertreffen suchen. Es entstünde eine wirkliche Vielfalt. Statt nur in Details<br />

zu unterscheidenden Büchern stünde eine Fülle von Alternativen zur Auswahl.<br />

Doch würden Anregungen nicht nur von Büchern ausgehen, sondern auch von den unterschiedlichen<br />

Arbeiten der Schüler oder Schülergruppen, von Erfinderklassen mit ihren<br />

teils patentierten Erzeugnissen, von Schülerunternehmen, -theatern oder Kunstgruppen.<br />

Den Möglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt. 92<br />

91<br />

92<br />

Rupert Vierlinger: Leistung spricht für sich selbst. „Direkte Leistungsvorlage“ (Portfolios) statt Ziffernzensuren<br />

und Notenfetischismus. Heinsberg: Dieck Verlag 1999<br />

Alles das existiert bereits an einzelnen Schulen. So gibt es am Maristengymnasium in der Marktgemeinde<br />

Fürstenzell bei Passau eine Erfinderklasse, <strong>die</strong> der Oberstu<strong>die</strong>nrat Hubert Fenzl gegen den erbitterten<br />

Widerstand der Schulbürokratie durchgesetzt und <strong>die</strong> inzwischen eine stattliche Reihe von<br />

Patenten vorzuweisen hat.<br />

256


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Eine Gefahr könnte in einer zu starken Orientierung an Erwartungen der Wirtschaft oder<br />

einer anderen Gruppe bestehen. Immer wenn das Wissen einer bestimmten Gruppe derart<br />

überschätzt wird, bedeutet das, dass unsere grundlegende Unwissenheit außer Acht<br />

gelassen wird. Dadurch wird <strong>die</strong> Realisierung von Zielen behindert, deren Wert für <strong>die</strong><br />

Zukunft heute nicht zu erkennen ist. Doch jedes Hindernis, das gegen <strong>die</strong> Verfolgung<br />

ungewohnter oder aus heutiger Sicht wenig sinnvoll erscheinender Ziele <strong>auf</strong>gerichtet<br />

wird, kann zukünftig bedeutsamen Interessen schaden. Die Freiheit in der Verfolgung<br />

der verschiedensten Ziele – soweit <strong>die</strong>s nicht offensichtlich schädlich ist oder im Widerspruch<br />

zu unseren Gesetzen steht – ist so wesentlich, weil <strong>die</strong> Chance, <strong>die</strong> Zukunft erfolgreicher<br />

zu bewältigen, größer ist, wenn wir der heranwachsenden Generation Raum<br />

für <strong>die</strong> Beschäftigung mit dem Unvorhersehbaren oder dem Unvoraussagbaren lassen. 93<br />

Erziehung als Hilfe zur individuellen Entwicklung <strong>auf</strong>fassen<br />

Traditionell wird unter Erziehung <strong>die</strong> Formung von Menschen nach erwünschten Zielen<br />

verstanden. Die Educanden sollen Wissen, Fertigkeiten, Einstellungen oder Werthaltungen<br />

erwerben, <strong>die</strong> in einer Gesellschaft als wertvoll gelten. Durch entsprechende Maßnahmen<br />

sollen <strong>die</strong> Lehrer <strong>die</strong> Verwirklichung <strong>die</strong>ser Ziele bei den Schülern herbeiführen.<br />

Erziehung ist also in der Regel ein Prozess, der das Denken und Verhalten der Kinder<br />

und Jugendlichen von außen her bestimmt.<br />

Die Entwicklung von Alternativen zur herkömmlichen Schule wird <strong>die</strong>ser Erziehung von<br />

außen eine „Erziehung von innen“ entgegensetzen. Bildung und Erziehung werden verstanden<br />

als Hilfe für den Einzelnen, seine individuellen Kräfte zu entfalten. 94 Es ist ja<br />

nicht zu übersehen, dass Kinder aktive Wesen sind, Wesen mit einem eigenen Willen,<br />

eigenen Vorstellungen, einem eigenen Charakter, einem eigenen Geist. Über all das verfügen<br />

sie nicht erst nach einer gewissen Entwicklung, sondern von Anfang an. Schon der<br />

Säugling ist ein Forscher und Entdecker, ein geborener Kommunikator und Beobachter,<br />

aber auch ein regelrechtes Willensbündel. Alternative Formen von Erziehung und Bildung<br />

streben danach, <strong>die</strong>se inneren Kräfte zu nutzen, sich ihnen anzupassen und Erziehung<br />

als Hilfe im Prozess <strong>die</strong>ser Entwicklung von innen heraus zu sein.<br />

93<br />

94<br />

Vgl. Friedrich A. v. Hayek: Die Verfassung der Freiheit. Tübingen: Mohr 1971, 49 ff.<br />

Dieses Ideal wurde von Wilhelm von Humboldt formuliert: Ideen zu einem Versuch, <strong>die</strong> Grenzen der<br />

Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. In: Wilhelm von Humboldt. Auswahl und Einleitung von<br />

Heinrich Weinstock. Frankfurt: Fischer TB, 1957, 21-55.<br />

257


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

Denn es scheint gewissermaßen das Gesetz im Einzelnen, das ihn leitet, ihn dazu drängt,<br />

seine Umwelt zu erobern, ihn zwingt, <strong>die</strong> ihn umgebende Sprache zu lernen, Mengen<br />

verschiedener Mächtigkeit zu unterscheiden, <strong>die</strong> grundlegende Verschiedenheit von Lebewesen<br />

und Dingen zu erkennen und vieles mehr. Diese Kraft im Lebewesen ist stark.<br />

Sie bewegt kleine Kinder, sich <strong>die</strong> Lautbildung und <strong>die</strong> Sprache ihrer Umwelt zu erobern.<br />

Sie haben dabei wohl kaum das Gefühl, sie würden Sprechen lernen, sondern der<br />

Spracherwerb ist eher etwas, das mit ihnen geschieht. Sie setzen sich mit ihrer Umgebung<br />

auseinander, und <strong>die</strong> Folge davon ist, dass sie lernen. Aber <strong>die</strong>ses Lernen ist kein<br />

Einfüllen von Wissen und Können in einen mehr oder weniger leeren Geist, sondern der<br />

Geist ist – selbst beim Säugling – bereits voller Wissen und Fähigkeiten, wie <strong>die</strong> neuere<br />

Entwicklungspsychologie zeigt. 95<br />

Lernen bedeutet demnach <strong>die</strong> Entwicklung oder Auswicklung von Potenzialen, <strong>die</strong> im<br />

Individuum bereits vorhanden sind. Wir werden immer mehr erfahren und <strong>die</strong> Überzeugung<br />

gewinnen, dass Kinder und Jugendliche nicht nur von sich aus <strong>die</strong> Welt entdecken<br />

und erobern wollen, sondern, sofern ihnen <strong>die</strong> Möglichkeit dazu eingeräumt wird, schon<br />

früh aus sich heraus ihre besonderen Stärken entwickeln. Montessori war der Überzeugung,<br />

dass Kinder in einer Welt ihrer eigenen Interessen leben, und dass wir das Werk,<br />

das sie dort verrichten, respektieren müssen. Lehrer und Eltern sollen sich nur „ruhig in<br />

Bereitschaft ... halten und dafür ... sorgen, dass <strong>die</strong> Kinder frei sind, sich in ihrer eigenen<br />

Weise zu entwickeln.“ 96<br />

Diese Sichtweise trägt ihrerseits zu einer Verbesserung der Schulen bei. Denn wenn der<br />

Unterricht von den Schülern ausgeht, ihre Wünsche und Interessen <strong>auf</strong>greift, werden<br />

sich <strong>die</strong> Schüler verstanden fühlen. Eine Schule, <strong>die</strong> Kinder als Forscher und Erfinder<br />

betrachtet, wird versuchen, sie durch Werkbänke, Laboratorien, Bibliotheken usw. zu<br />

stimulieren. Die Vielfalt der Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten fördert <strong>die</strong> Entstehung<br />

einer Fülle von Ideen und Kräften, Vorhaben und Erfindungen, <strong>die</strong> das Leben<br />

und Arbeiten in einer solchen Schule spannend und <strong>auf</strong>regend machen. Wesentlich für<br />

den Einzelnen ist <strong>die</strong> Möglichkeit, nach dem zu streben, was für ihn <strong>die</strong> größte Bedeutung<br />

hat. Nie leisten wir mehr, als wenn uns eine Sache interessiert. Da aber <strong>die</strong> für uns<br />

95<br />

96<br />

Vgl. z.B.: Doris Bischof-Köhler: Kinder <strong>auf</strong> Zeitreise. Theory of Mind, Zeitverständnis und Handlungsorganisation.<br />

Göttingen: Huber 2000; Alison Gopnik, Andrew N Meltzoff, Patricia K. Kuhl.:<br />

The Scientist in the Crib: Minds, Brains, and How Cildren Learn. W.Morrow & Company 1999<br />

Maria Montessori: Spannungsfeld Kind-Gesellschaft- Welt. Auf dem Wege zu einer „Kosmischen<br />

Erziehung“. Freiburg: Herder 1979, 14 u 13<br />

258


HELMUT LEHNER:<br />

GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

interessanten und wichtigen Dinge in der Regel komplex sind, schließt <strong>die</strong> Beschäftigung<br />

damit viele Fähigkeiten ein, <strong>die</strong> der einzelne dabei verbessern oder entfalten kann.<br />

Dazu gehören auch Kontakte zu anderen, Wissen, wo etwas zu finden ist, wen man fragen<br />

kann, der Umgang mit Menschen, mit Werkzeugen, mit Computerprogrammen, mit<br />

dem Internet. Solche interessengeleitete Aktivität bedeutet einen Zustand der Munterkeit<br />

und Freude. Die Schüler dürften unter solchen Bedingungen eher gern in <strong>die</strong> Schule gehen<br />

und nicht fehlen wollen, um nichts zu versäumen.<br />

Die Förderung der Vielfalt individueller Fähigkeiten und Interessen erbringt aber auch<br />

für <strong>die</strong> Gesellschaft einen weit größeren Nutzen als <strong>die</strong> herkömmliche Art der schulischen<br />

Erziehung nach Lehrplan. Denn <strong>die</strong> Lösung zukünftiger wirtschaftlicher, kultureller,<br />

sozialer, ökologischer und anderer Probleme hängt von uns noch unbekanntem besonderen<br />

Wissen und einer Vielzahl von Fähigkeiten ab, <strong>die</strong> wir im Einzelnen nicht kennen<br />

können. Deshalb sind individuelles Wissen und individuelle Fähigkeiten für <strong>die</strong><br />

Entwicklungen in allen Bereichen so wichtig.97 Die Verschiedenheit der Individuen und<br />

ihrer Fähigkeiten sind der größte Segen einer Nation. Dieses Potential an unterschiedlichen<br />

Fähigkeiten aus Unverständnis einem Streben nach (Chancen-)Gleichheit oder aber<br />

der Auswahl der Leistungsstärksten im Hinblick <strong>auf</strong> einen amtlichen Lehrplan zu opfern,<br />

bedeutet eine Verschleuderung von Hoffnungen, Kräften und Möglichkeiten.<br />

Wir können nicht wissen, welche Ideen, Vorhaben oder Kombinationen von Fähigkeiten<br />

und Wissen für <strong>die</strong> Zukunft der Gesellschaft wie auch des Einzelnen am bedeutsamsten<br />

sein werden. Deshalb sollten wir den Einzelnen mit seinen besonderen Interessen, Fähigkeiten,<br />

Vorstellungen, Zielen und Kontakten fördern, weil er dadurch Beiträge leisten<br />

kann, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> andere Weise kaum entstehen würden. Wenn wir <strong>die</strong> Schüler in ihrer Individualität<br />

fördern, werden sie letztlich ihre höchstmöglichen Leistungen erbringen und<br />

als Erwachsene der Gesellschaft in mehrfacher Weise zurückgeben, was <strong>die</strong>se ihnen hat<br />

zukommen lassen.<br />

97<br />

Vgl. Friedrich A. v. Hayek: Die Verfassung der Freiheit, Tübingen: Mohr 1971, 54<br />

259


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GUTE SCHULEN – BESSERE ZUKUNFT<br />

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