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Handbuch zur Einführung - Maiz

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Insofern bleiben auch die im vorliegenden Material angeführten Ideen für einen kritischen Mathematikunterricht<br />

streckenweise eben nur „Ideen“ und stellen kein fertiges, eins zu eins umsetzbares Curriculum<br />

dar.<br />

3.4 Mathematikunterricht in der Migrationsgesellschaft<br />

Die empirische Forschung und damit auch Anregungen <strong>zur</strong> Operationalisierung der befreiungspädagogischen<br />

Leitideen für Mathematikunterricht in Migrationsgesellschaften steckt im deutschsprachigen Raum<br />

(der sich hinsichtlich seiner Migrationsgeschichte wesentlich vom amerikanischen unterscheidet) noch in<br />

den Kinderschuhen. Die vorliegenden Forschungsarbeiten beschäftigen sich vornehmlich mit „exotischen<br />

Kulturen“ und ihren mathematischen Verfahren. Eine Umsetzung auf die Ebene von ethnisch und/oder<br />

sozial definierten Minderheiten innerhalb der Zuwanderungsgesellschaften fehlt völlig. In der österreichischen<br />

Forschungslandschaft konnten wir keinerlei Anschlusspunkt an bestehende wissenschaftliche<br />

Institutionen oder Forschungsarbeiten finden.<br />

Dieser Stand der Forschung lässt einen Mathematikunterricht, der sich den Prinzipien der Befreiungspädagogik<br />

verpflichtet fühlt, im Stand des Suchens und Fragestellens <strong>zur</strong>ück. Es existieren unseres Wissens<br />

nach auch (noch) keine wissenschaftlich fundierten Kompetenzerhebungsverfahren, die einer transkulturellen<br />

Mathematikpädagogik gerecht werden, insofern sind die von uns vorgeschlagenen Methoden als<br />

Anregungen zu verstehen, die einer Weiterentwicklung bedürfen. Zu fragen und zu suchen ist jedenfalls<br />

nach den individuellen mathematischen Kompetenzen, über die die Lernenden verfügen – seien sie in<br />

formellen Bildungsinstitutionen erlernt worden oder auf informellen Wegen. Auszugehen ist dabei von<br />

der Tatsache, dass jedeR Mensch, unabhängig von den individuellen Lebenswegen und –realitäten über<br />

mathematische Kompetenzen verfügt: Wer kocht, schätzt Mengenverhältnisse ab; wer mit öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln fährt, kennt den Wert verschiedener Geldeinheiten und möglicherweise die Anzahl der<br />

Stationen, die er/sie <strong>zur</strong>ücklegen muss; wer in Arbeitsverhältnissen steht, kennt die Uhr; wer einkaufen<br />

geht, lernt zu runden und zu schätzen usw. Viele Migrant_innen in den Kursen, für die diese Materialien<br />

entwickelt wurden, verfügen auch über formelle Bildung, und haben möglicherweise Rechenverfahren<br />

erlernt, die den hierzulande gelehrten überlegen sind.<br />

Eine solche Kompetenzerhebung zu Beginn und im Verlauf eines Kurses erscheint uns zentral um der<br />

Gefahr zu entgehen, das vorhandene Wissen der Lernenden zu entwerten, zu missachten und damit ihre<br />

subalterne Position in der österreichischen Gesellschaft zu festigen.<br />

Zu betonen ist auch, dass die Rechenformen, die die Lernenden in ihrer Kindheit/Jugend gelernt haben,<br />

möglicherweise einfacher, verständlicher, praktikabler sind, als das, was sie in den vorliegenden Materialien<br />

finden werden. Insofern sind die Lernenden immer aufgerufen, Inputs und Korrekturen zum Unterricht<br />

und zum Unterrichtsmaterial zu liefern.<br />

Aus einer kulturalismuskritischen und den Ideen der Befreiungspädagogik wie der Migrationspädagogik<br />

folgenden Perspektive kann das Präfix „ethno“ jedenfalls nicht auf „ethnisch“ oder national definierte<br />

Gruppen verengt werden, sondern meint in einer breiteren und für Migrationsgesellschaften adaptierten<br />

Lesart vor allem soziopolitisch definierte Gruppen, bei denen die (zugeschriebene oder tatsächliche) ethnische<br />

Zugehörigkeit ein Definitionsmerkmal sein kann, aber nicht zwingend sein muss.<br />

18<br />

Einleitung

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