heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

hohenzollerischer.geschichtsverein.de
von hohenzollerischer.geschichtsverein.de Mehr von diesem Publisher
09.11.2012 Aufrufe

HÖH ENZOLLER ISCHE HEIMAT Herausgegeben vom Orchester des Gymnasiums Hedingen 1910 M 3828 F Hohenzollerischen Geschichtsverein 38. Jahrgang Nr. 1 / März 1988 Das Bild zeigt die Stirnwand der Aula des Sigmaringer Gymnasiums mit den Büsten der Kaiser Wilhelm I., Wilhelm II. und Friedrich III.; darunter die Bilder von Bismarck und Moltke. Von den Schülern, die im Orchester mitspielen, sind noch zwei bekannt. Der Violinspieler vorn in der Mitte (mit Brille) ist Anton Haas, spater Studienrat und Vorstandsmitglied des Hohenzollerischen Geschichtsvereins. Link hinten stehend (mit Stehkragen) Anton Flad aus Starzein, später Dr. med. vet. und Oberstveterinär. Noch war tiefster Frieden und niemand konnte ahnen, daß mancher dieser Schüler im Krieg fallen würde. Acht Jahre später wurden auch die Insignien des Kaiserreiches abgenommen. Das Hedinger Gymnasium blieb aber noch für mehr als ein halbes Jahrhundert Pflanzstätte humanistischer Bildung in Hohenzollern. Heute ist das alte Pennal in die Gebäude der Theodor-Heuß-Realschule integriert. Vergeblich hatte sich die Denkmalspflege bemüht, das Ensemble Gymnasium-Direktorsvilla-Turnhalle zu erhalten. Repro: H. Burkarth

HÖH ENZOLLER ISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herausgegeben vom<br />

Orchester des Gymnasiums Hedingen 1910<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

38. Jahrgang Nr. 1 / März 1988<br />

Das Bild zeigt die Stirnwand der Aula des Sigmaringer Gymnasiums mit den Büsten der Kaiser Wilhelm I., Wilhelm II. und Friedrich III.;<br />

darunter die Bilder von Bismarck und Moltke. Von den Schülern, die im Orchester mitspielen, sind noch zwei bekannt. Der Violinspieler vorn in<br />

der Mitte (mit Brille) ist Anton Haas, spater Studienrat und Vorstandsmitglied des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s. Link hinten stehend<br />

(mit Stehkragen) Anton Flad aus Starzein, später Dr. med. vet. und Oberstveterinär. Noch war tiefster Frieden und niemand konnte ahnen, daß<br />

mancher dieser Schüler im Krieg fallen würde. Acht Jahre später wurden auch die Insignien des Kaiserreiches abgenommen. Das Hedinger<br />

Gymnasium blieb aber noch für mehr als ein halbes Jahrhundert Pflanzstätte humanistischer Bildung in Hohenzollern. Heute ist das alte<br />

Pennal in die Gebäude der Theodor-Heuß-Realschule integriert. Vergeblich hatte sich die Denkmalspflege bemüht, das Ensemble<br />

Gymnasium-Direktorsvilla-Turnhalle zu erhalten. Repro: H. Burkarth


Es war an einem kalten Dezemberabend oben in einem Dorf<br />

der Gammertinger Alb. Da hockten in der Wirtsstube zum<br />

»Bären« einige dem wenig begüterten Seidnerstande angehörende<br />

Dorfbewohner am wärmespendenden Kachelofen<br />

beim oft geübten Würfelspiel beisammen. Matt erhellte eine<br />

schwindsüchtige Petroleumfunzel den rauchgeschwängerten<br />

Raum. Draußen heulte der »Unterluft«, ein ruppiger Geselle,<br />

der jedem Albler die Haare stellt. Es saßen da der schwarze<br />

Kasper, ein bekannter Wirtshaussitzer, der durch Arbeitsscheu<br />

und schlechtes Hausen ziemlich viel Geld umgekehrt<br />

am Zins liegen hatte. Ferner der Boinerkarle, der wegen seiner<br />

Magerkeit diesen klapprigen Namen führte, keiner von den<br />

Tapfersten. Weiter der Baatle, welcher meistens das große<br />

Wort führte und gewöhnlich alles besser wußte. Dann der<br />

Zitterenes, der eigentliche Geisterzitierer und spiritus rector<br />

beim Tischlesrücken, ein kleines, schmächtiges Männchen,<br />

das beständig mit dem Kopf wackelte, als ob er sich über sich<br />

selbst verwundere. Auch der Pfannejockel war da, der einen<br />

guten Tropfen »Weihwasser« über alles schätzte. Endlich<br />

noch der Katzamanges mit dem Spitznamen »Rälling«, der<br />

nicht zur Tafelrunde gehörte und heute anscheinend zufällig<br />

im »Bären« war. Er galt bei den Tischlesrückern als ein<br />

»Eiskalter«, weil er im Gegensatz zu ihnen nichts von der<br />

Geisterei hielt.<br />

Besagter Katzamanges war ein eingefleischter Junggeselle,<br />

schon in reiferen Jahren, der bei jeder Gelegenheit die armen<br />

Ehemänner aufzog und verspottete, weshalb er bei diesen<br />

nicht in besonderer Gunst stand. Im übrigen hatte er eine<br />

besondere Vorliebe für Theaterspielen und Vermummungen.<br />

Daher wurde er von den »Ledigen«, deren Bürgermeister er<br />

war, für ihre alljährlichen Aufführungen zum Theaterdirektor<br />

und Regisseur erkoren. Die Aufführungen fanden stets im<br />

geräumigen Saal des »Bären« statt. Dorthin waren nun vor ein<br />

paar Tagen die nötigen Requisiten, als da Kulissen, Kostüme<br />

und Larven, eingetroffen, und zwar aus Sigmaringen, von wo<br />

aus man die ländlichen Spielbestrebungen kräftig förderte.<br />

Die schauerlichsten Masken waren da angekommen, denn in<br />

diesem Winter gab es ein romantisches Ritterstück, wie man<br />

es nie gesehen im Dorfe, mit schauerlichem Femegericht,<br />

Hexen, Teufel- und Geistererscheinungen. Katzamanges<br />

hatte sich schon mittags in den »Bären« begeben, um die<br />

Sachen sorgfältig zu prüfen, zu ordnen und aufzuheben für<br />

das kommende große Ereignis.<br />

2<br />

oon Hans Hanner=Mannheim<br />

Die Anwesenheit des Katzamanges behagte unserer Tafelrunde<br />

keineswegs. Es waren, wie gesagt, Leute, die mit<br />

Glücksgütern nicht besonders gesegnet waren und nach einer<br />

Gelegenheit spähten, die spröde Fortuna auf einem angenehmeren<br />

Wege als dem des Schweißes sich geneigter zu machen.<br />

Es waren keineswegs die angesehensten Dorfgenossen, die<br />

sich da so kappengleich brüderlich gefunden hatten. Das viele<br />

Wirtshaussitzen war ein schlechtes Beispiel für die ganze<br />

Gemeinde und brachte Zank und Hader in die Familien.<br />

Meistens mußten es die armen Frauen entgelten, die mit ihren<br />

zahlreichen Kindern oft nicht wußten, wie sie sich durchschlagen<br />

sollten, indes der Mann alles ins Wirtshaus trug.<br />

Sagten sie ein Wort, dann setzte es nicht selten Prügel ab;<br />

Baatle hatte sogar seine eigene alte Mutter geschlagen, weil sie<br />

ihm Vorhaltungen machte, was im Dorf große Empörung<br />

hervorrief.<br />

An besagtem Abend war man in einer ganz bestimmten<br />

Absicht zusammengekommen. Einer der Tischlesrücker<br />

hatte nämlich einen alten Schmöker in die Hände bekommen<br />

und darin gelesen, der Hunnenkönig selig sei mit ungeheuren<br />

Schätzen zuerst in einem goldenen, dann in einem silbernen<br />

und mit beiden zuletzt in einem kupfernen Sarg beigesetzt<br />

worden. Niemand aber wisse, wo die Grabstätte sich befinde.<br />

Nun gab es da oben seit uralters eine Sage, wonach in der<br />

Nähe von Hayingen, bei dem abgegangenen Ettenhain, eine<br />

Schlacht zwischen Hunnen und Alemannen stattgefunden<br />

habe, wobei der Hunnenkönig gefallen sein soll. Unser guter<br />

Tischlesrücker dachte nun in seiner Einfalt, wenn sie durch<br />

Geisterbefragung auf dem Wege des Tischlesrückens den<br />

Bestattungsort des berühmten Königs erfahren könnten<br />

- und in der Nähe müsse er ja begraben sein, da gäbe es gar<br />

keinen Zweifel -, dann wären sie ja alle gemachte Männer,<br />

»Millionöhre«, und brauchten nichts mehr zu arbeiten. An<br />

diesem Abend also wollte man den Geist des Hunnenkönigs<br />

zitieren, um seinen Begräbnisort zu erfahren. Alles weitere<br />

sollte dann verabredet werden.<br />

Zunächst galt es einmal, den Katzamanges, der gleich Lunte<br />

gerochen zu haben schien und mit boshaften Sticheleien<br />

aufwartete, aus der Wirtsstube zu beißen. Baatle wurde<br />

sackgrob, aber Katzamanges zog nicht, als Baatle mit dröhnender<br />

Baßstimme versicherte, es gebe gescheitere Leute wie<br />

manchen, die an die Existenz der Geister und an ihr Erscheinen<br />

glaubten. Katzamanges, der Eiskalte, war nicht zu bekeh-


en, nicht aus der Ruhe und auch nicht vom Biertisch<br />

wegzubringen.<br />

Der Bärenwirt, bei dem die Tischlesrücker stets zusammenkamen<br />

und der selbst im stillen über die alberne Geisterseherei<br />

lachte, wollte keinen Streit aufkommen lassen, blinzelte<br />

dem Katzamanges heimlich zu und fragte dann den schwarzen<br />

Kasper, ob jetzt in seinem Hause Ruhe eingekehrt sei.<br />

Der Gefragte verneinte, es sei nachts immer noch so unruhig<br />

auf der Bühne. Er und seine Frau würden hin und wieder<br />

durch ein polterndes Geräusch aus dem Schlafe geschreckt,<br />

das oben im Haus von der Schütte auszugehen scheine und<br />

sich anhöre, als ob jemand Kegel umwerfe. Das Rollen der<br />

Kugel wäre ganz deutlich zu hören. Man hätte herausgebracht,<br />

daß der verstorbene frühere Besitzer des Hauses im<br />

Leben ein leidenschaftlicher Kegler gewesen sei. Einmal wäre<br />

Streit unter den Kegelbrüdern entstanden, und da hätte ihm<br />

sein Gegner eine Kegelkugel an den Kopf geworfen. Die<br />

Folge sei ein Schädelbruch gewesen, der später den Tod<br />

herbeigeführt habe. Jetzt müsse er »goistweis« gehen, zur<br />

Strafe für seine Leidenschaft.<br />

Katzamanges blies große Dampfwolken aus seiner Porzellanpfeife,<br />

kniff nach seiner Weise das linke Auge ein und<br />

meinte dann trocken: »Ih glaub ällaweil dees sind Katza, dia<br />

Siacha keglet ällemol bei Naacht, wenns uff Weihnächte<br />

zuagoht. Wer wött suscht keglet hau?«<br />

Aber da kam er bös an. Baatle sagte ihm unverfroren seine<br />

Meinung ins Gesicht, es war kein Wörtlein Französisch<br />

darunter, nämlich, daß er ihn, den Katzamanges, für einen<br />

ausgesprochenen Esel und Schafskopf halte und daß man<br />

nicht den mindesten Wert auf seine Gesellschaft lege. Im<br />

übrigen scheine er als »Rälling« (Kater) sehr genau zu wissen,<br />

wann die Katzen Kegelabend hätten, es wäre Zeit für ihn, sich<br />

dorthin zu verfügen. Damit spielte er auf etwas anderes an.<br />

Seine Freunde quittierten mit schallendem Gelächter und<br />

geräuschvoller Zustimmung, so daß Katzamanges endgültig<br />

zugedeckt wurde. Diesem schien das nun doch zu starker<br />

Tabak zu sein, er trank sein Glas aus, holte seine Pelzkappe<br />

vom Nagel, wechselte noch einen vielsagenden Blick mit dem<br />

verschmitzten Bärenwirt und ward nicht mehr gesehen.<br />

Allgemeines Aufatmen der Tischlesrücker; man war angenehm<br />

überrascht, daß der Rälling so schnell das Feld geräumt<br />

hatte, solches war man von ihm sonst nicht gewöhnt. Jetzt<br />

konnte man ungestört und unberufen ans Werk gehen.<br />

Der Wirt wurde aufgefordert, die Requisiten der Geisterherbeischaffung,<br />

nämlich ein kleines wackeliges Tischlein sowie<br />

ein Zifferblatt mit leicht beweglichem Zeiger, aus dem<br />

Nebenzimmer zu holen. Dann mußten die Fensterläden<br />

geschlossen werden. Die zwölfte Stunde war unterdessen<br />

näher gerückt. Zitterenes machte sich fertig zum Geisterbeschwören.<br />

Seine Anhänger mußten sich um das runde Tischlein<br />

setzen und die Hände an den Rand der Platte legen. Der<br />

Wirt schraubte während dieser Vorbereitungen das Licht<br />

herunter und sagte dann, er wolle nicht dabei sein, er nicht, es<br />

rege ihn immer so auf. Er wolle unterdessen in den Stall gehen<br />

und nachsehen, was die Kuh mache, die schon seit einigen<br />

Tagen das Kalb bringen solle. »Hoffentlich ist's kein Ochs«,<br />

rief ihm Baatle nach. Vom nahen Kirchturm schlug die Uhr<br />

zwölf. Der Geisterbeschwörer Zitterenes gab die letzten<br />

Instruktionen. Krampfhaft spannten sich die Finger um den<br />

Plattenrand, fingen an zu zucken, ruckweise bewegte sich das<br />

Tischlein, der Zeiger auf dem Zifferblatt bekam plötzlich<br />

Leben, glitt gespenstisch von einer Ziffer zur anderen, übersprang<br />

zum zweiten Mal die 9, und als er wieder in deren<br />

Nähe kam, fuhren die Hände wie elektrisiert zurück. Der<br />

Zeiger hielt auf der 9.<br />

Auf sprang Zitterenes, stellte sich in die Mitte der Stube,<br />

machte mit den Händen beschwörende Zeichen und rief mit<br />

dünner, kläglicher Stimme, indes die anderen schweißgebadet<br />

der kommenden Dinge harrten: »Geist des Hunnenkönigs,<br />

ich banne Dich! Weile!« Boinerkarle fing an, das Knieschlottern<br />

zu bekommen und mit den Zähnen zu klappern. Und<br />

wirklich, es geschah das Unerhörte, das auch den kältesten<br />

Teilnehmern das Mark in den Knochen gefrieren ließ: Der<br />

Geist meldete sich.<br />

Engel und Boten Gottes steht uns bei! Von irgendwoher, es<br />

war schwer zu lokalisieren, vermutlich aber aus der Gegend<br />

des im Finsteren liegenden Herrenzimmers kam eine hohle<br />

Grabesstimme, heiser, wie aus weiter Ferne: »Wer bannt<br />

mich?« Zitterenes rief, indem er sich an der Mittelsäule<br />

festhielt: »Ich beschwöre dich, sage mir, wo du begraben<br />

liegst!« Die Stimme gurgelte: »Auf dem Dachsberg zwischen<br />

Wilsingen und Juchzenhausen!« Zitterenes: »Woraus deine<br />

Särge?« Die Stimme: »Aus Gold der erste, aus Silber der<br />

zweite, aus Kupfer der dritte. Laß mich!« Es folgte ein tiefer,<br />

mark- und beindurchdringender Seufzer, dann war alles<br />

totenstill. Sichtlich erleichtert rief Zitterenes: »Ich verbanne<br />

dich! Schwinde, Schwinde! Schwinde!« Dann fuchtelte er mit<br />

den Armen nach allen Himmelsrichtungen, die Augen rollend<br />

wie ein echter Hexenmeister. Seine Freunde aber saßen<br />

da, wie es im Liede heißt, mit schlotternden Knien und<br />

totenblaß. Keiner wagte sich zu rühren. Wie angeleimt saßen<br />

sie an ihrem Wackeltischchen.<br />

Da fuhren sie plötzlich zusammen, aufschreckend, die Türe<br />

hatte sich geöffnet. Bald löste sich der Zauber, denn herein<br />

trat der Bärenwirt. »So ist es schau feetig?« fragt er obenhin<br />

und schraubte das Licht höher, »hott-se eabbes verzoigt?«<br />

Baatle erwiderte: »Herrgott nei, man sotts et glauba, aber der<br />

Zitterenes versteht sich uff d'Goist, seall ist schau feetig.« Der<br />

lange Kasper aber meinte: »Jetzt brauchet mir nix maih<br />

z'schaffet mir sind alle reiche Kerle.« Der Bärenwirt tat sehr<br />

erstaunt: »Ja saget ist der Goist komma?« Zitterenes klärte<br />

ihn auf, alles sei eingetroffen wie erwartet. Auf dem Dachsberg<br />

liege der Hunnenkönig begraben, da beiße keine Maus<br />

den Faden ab. Das Gold liege gleichsam haufenweise auf der<br />

Straße, sie brauchten es nur aufzuheben. Aber er dürfe ja um<br />

Gottes willen nichts verlauten lassen, er bekomme auch<br />

seinen Teil davon. Morgen nacht zwischen zwölf und eins<br />

gingen sie hinaus auf den Dachsberg, um den Grabhügel auf<br />

der Kuppe aufzuräumen.<br />

Der Bärenwirt tat maßlos erstaunt. Aber so etwas habe er<br />

denn doch nicht für möglich gehalten. Sie seien aber Malefizkerle.<br />

Boinerkarle, der sich von dem ausgestandenen Schrekken<br />

wieder einigermaßen erholt hatte, warf dann ein, ob man<br />

das Graben nicht ebensogut bei Tag machen könnte. Zitterenes<br />

winkte aber ab und Baatle gab auf seine grobklotzige Art<br />

die Belehrung, das müsse ganz heimlich und in der Stille<br />

geschehen, sie müßten sonst die Schätze abgeben; in Sigmaringen<br />

seien sie sowieso den Schatzgräbern nicht hold. Das<br />

hätte, meinte Baatle, dem Boinerkarle der Unverstand sogar<br />

eingeben müssen, geschweige denn der Verstand. Er werde<br />

wohl Angst haben, dann könne er ja zu hause bleiben bei<br />

seinem Bäbale.<br />

Boinerkarle sagte, Angst habe er, wie er glaube, keine.<br />

Es wurde dann beschlossen, jeder solle morgen nacht mit<br />

Hacke und Schaufel bewaffnet zur bestimmten Stunde am<br />

Dachsberg antreten.<br />

Pfannajockel mahnte zum Aufbruch:<br />

»Ausere Weiber haud heut au wieder lange Zähn kriagt. Die<br />

mei wead au anfanga schlofa. Suscht geits wieder a Dunderweatter.<br />

Noch ist der Deufel laus und et bloß der Hunnakönig.«<br />

Die Tischlesrücker verdrückten sich, teilweise profitlich die<br />

Hände reibend, und der Bärenwirt rief ihnen noch nach, sie<br />

sollten nur keine Angst haben, dann werde alles gut gehen.<br />

Dann drehte er schmunzelnd das Licht aus.<br />

3


In einer der folgenden »Heiligen Zwölfe« begaben sich, wie<br />

verabredet, dieSchatzgräber auf den etwa eine halbe Stunde<br />

vom Dorf entfernten Dachsberg, einen ausgedehnten, mit<br />

Gestrüpp, Weidebuchen, Föhren und einzelnen Wacholdergruppen<br />

bestandenen Höhenrücken, auf dessen Kuppe sich<br />

in der Tat eine grabhügelartige Erhöhung befand. Es war<br />

bitterkalt, in kurzen, schauerlichen Stößen heulte der Unterluft<br />

den armen Glücksuchern um die schmerzenden Ohren.<br />

Die vor Kälte steifen Finger klammerten sich um die Hackenund<br />

Schaufelstiele. Die geisterhaft vom Vollmond beleuchtete<br />

Landschaft war in ein tiefes, weißes Schneekleid gehüllt,<br />

an den Bäumen hing dicker Rauhreif.<br />

Es war kurz vor Zwölf. Pfannajockel, dem die Kälte am<br />

meisten zu schaffen machte, griff in die Tasche und holte seine<br />

bewährte Wärmeflasche, nämlich den Schnapsbudel, hervor,<br />

und nahm einen tiefen Schluck. Er müsse geh einheizen,<br />

meinte er, dann könne seinetwegen der Unterluft pfeifen,<br />

solange er wolle.<br />

Die andern waren ziemlich »doucement«, wie man hierzulande<br />

sagt, keiner konnte sich eines bangen Gefühls erwehren,<br />

dem Boinerkarle Ausdruck gab mit den Worten:<br />

»'s ist halt doch a gwogte G'schicht, so z' Nacht uma zwölfe,<br />

man ist es et g'wöhnt.«<br />

Baatle suchte dies ins Lächerliche zu ziehen, er solle doch<br />

gleich in die Hosen machen, was ihn angehe, so spüre er<br />

nichts von Angst. Ob er vielleicht dem Vollmond sein großes<br />

Maul fürchte?<br />

Aber seine aufgelegte Lustigkeit wirkte keineswegs überzeugend.<br />

Man wäre allerseits fast froh gewesen, wenn man unter<br />

irgend einem Vorwand dem Dachsberg hätte den Rücken<br />

kehren und zu Hause ins warme Federbett kriechen können.<br />

Und nur der Einfluß, den Zitterenes auf alle ausübte, der<br />

Glaube an seine Macht über die Geister und die Hoffnung auf<br />

die zu ergrabenden Schätze vermochte sie bei der Stange zu<br />

halten.<br />

So gelangte man mit gemischten Gefühlen an den Grabhügel.<br />

Beim Uberschreiten eines im Schnee versteckten Steinriegels<br />

stolperte der schwarze Kasper und fiel der Länge nach auf den<br />

Boden. Beim Aufstehen bemerkte er Fußspuren und machte<br />

seine Begleiter darauf aufmerksam. Es müsse da schon<br />

jemand oben gewesen sein, meinte er. Aber Zitterenes<br />

4<br />

erklärte, die Spuren kämen von den Holzmachern, die im<br />

nahen Herrschaftswald beschäftigt seien und den Rückweg<br />

über den Dachsberg wählten.<br />

Unten vom Dorf herauf klangen die zwölf Schläge der<br />

Mitternacht, und man machte sich händespuckend ans Schätzeheben.<br />

Das ging so eine Zeitlang. Durch die glasklare Stille<br />

der Winternacht drangen die Hackenschläge und das Geklirr<br />

der eisernen Schaufeln, die an die Steine stießen. Boinerkarle<br />

hielt einen Augenblick inne, um auszuschnaufen, wobei er die<br />

Blicke über das Gelände schweifen ließ. Plötzlich fuhr er<br />

erschrocken zusammen.<br />

Was war das?<br />

Die übrigen Schatzgräber wurden aufmerksam und fragten,<br />

was er habe.<br />

Herkules nei«, sagte er, »was ist jetz au dees g'sei? Mir ist es<br />

vorkomma, als ob so en Wacholderboscha deet hinta gega<br />

au's rausgloffa wär.«<br />

Alle schauten gespannt nach der angegebenen Richtung. Es<br />

war aber nichts zu bemerken. Da lachten sie den Boinerkarle,<br />

diesen ewigen Angstmeier, gründlich aus, und Baatle rief<br />

belustigt: »Ih moin grad, man sott di ge Zwiefalta schicka, mo<br />

die sealle sind mit ema Sparra z'viel. Hott ma au amol g'hairt,<br />

daß d' Wacholderboscha da Bearg rauflaufet? Ha, Ha, Ha.«<br />

Beim Weitergraben kam ein verrostetes Eisenstück zum<br />

Vorschein, das man mit einiger Phantasie für einen Sporn<br />

halten konnte. Freudige Überraschung. Und Zitterenes<br />

wurde noch zappliger, als er von Natur aus schon war. Das sei<br />

jedenfalls ein Sporn, der einem der vielen Diener gehört habe,<br />

die mit dem Hunnenkönig begraben worden seien.<br />

Pfannajockel aber holte zu feierlicher Bestätigung wieder<br />

seine Schnapsflasche und nahm einen tiefen Schluck, indem er<br />

die Augen zum Mond erhob. Als er sie wieder in seiner<br />

Tasche verstaute, sagte er:<br />

»Der Mau' do hoba lachet; der hott guat lacha, dea fruits et<br />

wia au's. Der Hunnakönig wead hoffentlich bald komma,<br />

suscht gang ih noh hoim.«<br />

Der schwarze Kasper drauf:<br />

»Jo, do föllt mer grad eabbes ei'. Herrgott nei, sind mir<br />

dumme Siacha! Jetz saget sealber, wia bringet mir dia schwere<br />

Särg äll hoi? Mir haud jo koin Schlitta!«


Die Tischlesrücker sind inzwischen in<br />

Kettenacker zu einer Fasnetsgruppe<br />

geworden. Sie sind 1988 zum ersten<br />

Mal aufgetreten. Hier beim Umzug<br />

am Fastnachtsdienstag in Cammertingen.<br />

Foto: H. Burkarth.<br />

Aber Zitterenes beschwichtigte:<br />

»Noi, noi, für dees brauchet ihr et z' sorget, dees hauni et<br />

vergeassa. Um oins rum kommt der Bärawit mit em Schlitta.<br />

Er wöll au noh a bitzle zuagucka, hott er g'sait.«<br />

Boinerkarle aber war seit jener vermeintlichen Feststellung<br />

nicht mehr so recht bei der Sache. Alle Augenblicke hielt er<br />

inne mit Graben und widmete seine Aufmerksamkeit mehr<br />

dem Hintergrund der Szenerie. Und ließ mit einemmale die<br />

Schaufel fallen mit den Worten:<br />

»Oh hoilige Muattergottes, dees ist, schla mi 's Weatter, oi<br />

Mol aso, wian-n-ih gsait hau. Oh gucket au, was ist au dees?«<br />

Das Suchen nach des Hunnenkönigs Gold- und Silbersarg<br />

kam mit einem Male ins Stocken. Alle schauten gespannt nach<br />

dem Hintergrund, wo sich eine Geistererscheinung den<br />

entsetzten Blicken darstellte: Man sah eine königliche Gestalt<br />

feierlich gemessenen Schrittes über den Bergrücken wandeln<br />

und sich, oh Entsetzen, dem Grabhügel nähern. Ganz vermummt<br />

in Leichengewänder war das Gespenst, auch das<br />

Haupt von diesem Grauen einflößenden Weiß eingehüllt. Im<br />

Mondlicht sah man eine Krone goldig flimmern, zur Linken<br />

baumelte das breite, mächtige Schlachtschwert.<br />

Keiner der Schatzgräber vermochte sein Grauen zu verbergen,<br />

auch dem großmauligen Baatle hatte die furchtbare<br />

Erscheinung die Stimme verschlagen, von Boinerkarle ganz<br />

zu schweigen, der zähneklappernd sich dünne machen wollte.<br />

Aber Zitterenes, dem selbst die Haare zu Berge standen, hielt<br />

ihn zurück, indem er ihm zuflüsterte: »Doblieba! Nu jetz et<br />

fottgauh, dees wär 's ällerg'fährlichst. Ih kenn mih aus mit da<br />

Goist, ih schrei-en an.<br />

Wer bist du, der du uff'em Dachsberg rumgoistest?«<br />

Mit hohler Grabesstimme antwortete das Gespenst:<br />

»Wer pocht an mein Grab und stört meine tausendjährige<br />

Ruhe?«<br />

Boinerkarle jammerte verzweifelt:<br />

»Ih gang oifach jetz hoi, lau'd mih gauh; ih hau nia rauswölla.<br />

O Bäbale, wenn ih nu au bei dir wär!«<br />

Zitterenes aber, den schlotternden Hasenfuß festhaltend,<br />

flüsterte den andern zu:<br />

»Des ist der Goist vom Hunnakönig.«<br />

Dann gegen den Geist gewandt in gewähltem Hochdeutsch:<br />

»Wir wollen dich, o großer König, aus deinem Sarggefängnis<br />

erlösen.«<br />

Wieder ertönte die Grabesstimme des Geistes:<br />

»Frevler verletzen mein Grab!<br />

Ihr höllischen Geister<br />

In Wäldern und Klüften,<br />

In Wasser und Lüften,<br />

Erzählts eurem Meister.<br />

Herbei! Herbei! Herbei!«<br />

Kaum waren diese Worte, im fernen Hart das schlummernde<br />

Echo weckend, verhallt, da tauchten plötzlich, als hätte sie die<br />

Erde ausgespuckt, an allen Ecken und Enden des Dachsberges<br />

teuflische Gestalten auf, welche die vor Schrecken fast<br />

versteinerten Tischlesrücker mit dem Hohngelächter der<br />

Hölle im Nu umringt hatten. Jeder trug außer der schauerlichen,<br />

nie gesehenen fabelhaften Teufelsmaske eine sehr elastische<br />

Fuhrmannspeitsche, die durchaus dem Diesseits anzugehören<br />

schien, was aber von den Gefoppten im Drange des<br />

Gefechts nicht gemerkt wurde. Der geneigte Leser hat bereits<br />

etwas gemerkt, aber die Tischlesrücker merkten nichts, da<br />

ihnen der plötzliche Spuk so auf die Nerven gegangen war,<br />

daß in ihrem Kopf Kurzschluß entstand und das Gehirn<br />

gänzlich ausgeschaltet wurde. /<br />

Seine Schürgabel klirrend in den Boden stemmend, stieg der<br />

Höllenrichter auf den Grabhügel, während der Geist sich in<br />

dem bereits gegrabenen Loch plazierte. In der Nähe des<br />

Höllenrichters aber hatte sich der Leibhaftige selbst postiert,<br />

mit glühenden Augen die geknickten Schatzgräber anfunkelnd.<br />

Der Höllenrichter knurrte sie an: »Was trieb euch an,<br />

zu mitternächt'ger Stunde Des Grabes eherne Riegel aufzusprengen.<br />

Darin der Hunnen großer König schlief?«<br />

Die Tischlesrücker jammerten durcheinander: »Oh wia<br />

weads au's au gauh! - Oh, wenn ih nu dahoim wär! - Ih hau's<br />

ällaweil gsait, mir solle et rausgauh! - Oh ihr Herra Deufel,<br />

verhauet au's und laud-a-ne springa, aber nu et in d' Holl, nu<br />

seall et!«<br />

Endlich faßte Zitterenes ein Herz und sagte mit gebrochener<br />

Stimme: »Mir haud jo wölla da Hunnakönig aus seim Sarggefängnis<br />

erlaisa!«<br />

Aber Pfannajockel platzte heraus: »Jo, dear seall sei ima<br />

goldana und silberna Sarg eing'sperrt vergraba!«<br />

5


Mit höllischem Pathos deklamierte da der Höllenrichter:<br />

»Klar vor des Richters Augen liegen die Gedanken:<br />

Gier nach Mammon trieb hierher euch Leichenschänder,<br />

Im Königsgrab wühlt ihr nach gold'nem Raube!<br />

Entkopple, Satan, deine Höllenhunde,<br />

Laß sie zerfleischen, die verweg'nen Frevler!«<br />

Der Leibhaftige aber gab seinen Teufeln den Befehl, die<br />

Mammonsknechte nach allen Regeln der Unterwelt um den<br />

»Berg ihrer Schandtat« zu geißeln. Was alsbald geschah.<br />

Die Teufel ließen ihre Peitschen unter die vergeisterten<br />

Schatzgräber zischen, wobei sie besonders ausgiebig Baatle<br />

und den schwarzen Kasper bedachten. Sie fuhren nach allen<br />

Richtungen auseinander. Weithin weckte das Echo ihr<br />

schmerzerfülltes Angstgeheule und das schrille Pfeifen der<br />

entfesselten Meute, die es mit den Opfern eines albernen<br />

Wahns fast etwas zu arg trieben.<br />

Das beim Grabhügel zurückgebliebene Kleeblatt aber, der<br />

Höllenrichter, der Geist des Hunnenkönigs und der Leibhaftige,<br />

wanden sich in Lachkrämpfen über die da zu mitten der<br />

Nacht auf dem Dachsberg im Flor stehende Gerberei, die<br />

allerdings geeignet war, den schmerzlich Beteiligten das<br />

Schätzegraben gründlich und für alle Zukunft auszutreiben.<br />

Sie erfuhren die Wahrheit des Sprichworts: Mancher geht<br />

nach Wolle und kehrt geschoren heim.<br />

Als es 1 Uhr schlug, verschwand der Spuk, wie er gekommen<br />

war. Die zum Grabhügel zurückgeprügelten Leidensgenossen<br />

aber ließen sich erschöpft in den Schnee fallen, die<br />

jeweiligen Platten reibend und unartikulierte Schmerzenslaute<br />

von sich gebend, wobei der Baatle fortwährend versicherte,<br />

er spüre »koin Fiidla« mehr.<br />

Auf einmal hörte man Schellengeläute gar tröstend von der<br />

nahen Straße heraufklingen, und nach wenigen Minuten kam<br />

der Bärenwirt mit dem Schlitten angefahren.<br />

RUDOLF HAUG<br />

»Guata Obend z'säma!« rief der falsche Kloben, »wia weit<br />

sind-er? Kann ih d' Särg glei auflada? Mo haud ers stauh?«<br />

Als er keine Antwort erhielt, trat er näher und rief erstaunt:<br />

»Ja, was haud er? Ist eabbes passiert?«<br />

Zitternes aber erwiderte kleinlaut: »Es muaß beim Zitiera<br />

eabbes et gstimmt hau. Aubruafne Auhra haud scheints<br />

mitglosnet, noch ist der Goist mißtrauisch woara. Mir haud a<br />

bitzle Malheur kriagt.«<br />

»A bitzle Malheur?« fauchte Baatle ihn wütend an, »mir<br />

langets für mei Lebtag. Laß di hoimgeiga mit deiner verfluachta<br />

Zitiererei!« -<br />

»Herrschaft nei!« staunte der Wirt, ist am End der Goist<br />

sealber komma? Gott behüat au's vor-em.«<br />

Zitterenes bestätigte: »Jo, so ist es ganga. Noch hott's Auannehmlichkoita<br />

gea.«<br />

»Jetz ist es noh erger«, drückte der Wirt durch die Zähne,<br />

»noch kommet nu woidle uf mein Schlitta, daß mer machet,<br />

daß mer hoimkommet!«<br />

Er setzte sich grinsend auf den Bock und fuhr die geprellten<br />

Glücksjäger mit Peitschenknall und Schellenklang wieder in<br />

die nahrhafte, unromantische Wirklichkeit des Albdörfleins<br />

zurück.<br />

So hatte in dieser Nacht das Tischlesrücken und Schätzegraben<br />

in jenem Dörflein und bald auch auf der übrigen benachbarten<br />

Alb auch ohne Särge ein klangvolles Begräbnis gefunden,<br />

wenn es auch nur der Schellenklang der Fastnacht war.<br />

Das schicksalsschwangere Tischlein aber, das wackelige Geistertischlein,<br />

träumt vielleicht noch irgendwo in einem verstaubten<br />

Dachwinkel von jenen Nächten seiner Herrlichkeit,<br />

da es sogar einen Hunnenkönig herbeigezaubert hatte, da es<br />

zu einem wahren »Tischlein deck dich« hätte werden sollen.<br />

Es kam anders. Sic transit gloria mundi!<br />

Die »Tischlesrücker« erschienen im Hohenz. Kalender 1936.<br />

Depotfund der Späten Bronzezeit von Hur »Vordere Lauren« bei Sigmaringen<br />

Ein Zufallsfund beim Bau der Umgehungsstraße<br />

Oberhalb des Römergrabens bei Sigmaringen ratterten Ende<br />

März 1978 Baumaschinen. Sie schürften den Humus der<br />

projektierten Nord-Süd-Umgehungsstraße ab. Es war schönes,<br />

warmes Frühlingswetter und man konnte sich an der<br />

herrlichen Landschaft nicht satt sehen. An den Baustellen der<br />

Umgehungsstraße waren nun der vor kurzem in den Ruhestand<br />

getretene langjährige Ordnungsamtsleiter der Kreisstadt<br />

Sigmaringen, Rudolf Haug, und der 15jährige Schüler<br />

Mathias Behrendt unterwegs, in der stillen Hoffnung, vielleicht<br />

einen kleinen Fund aus der Römerzeit zu machen, da in<br />

dieser Gegend schon einige Römerbauten gefunden wurden.<br />

So wurde 1964 unweit dieser neuen Umgehungsstraße eine<br />

römische Polizei- und Poststation ausgegraben und die<br />

Grundmauern freigelegt. Eine Luftaufnahme hatte durch die<br />

Hellerfärbung des Feldes den Hinweis hierauf gegeben.<br />

Römische Funde in dieser Gegend gaben auch dem Römergraben<br />

seinen Namen. Überhaupt ist die Gegend reichlich<br />

Zeuge römischen Vordringens und römischer Besiedelung.<br />

Es ist daher auch naheliegend, daß bei diesen Straßenneubauarbeiten<br />

in erster Linie Funde aus der Römerzeit erwartet<br />

wurden.<br />

Nun fiel an diesem riesigen, breiten Lehmband plötzlich auf,<br />

daß eine Stelle von kleinen, grünlichen, auch rotbraunen<br />

Streifen durchzogen war. Die genauere Untersuchung ergab,<br />

6<br />

daß der Lehm teilweise von diesen Farben durchdrungen war.<br />

Es mußte also eine Metalldurchsetzung des Lehmes sein. Eine<br />

Metallegierung hatte ihre Farben im Lehm hinterlassen! Was<br />

oxydiert in diesen Farben? Kupfer und Kupferlegierungen.<br />

Ist hier also Kupfer oder Bronze im Spiel? Noch war alles nur<br />

Vermutung. Bis jetzt sah man nur den Lehm mit leichten,<br />

farbigen Streifen.<br />

Ein für seine geringe Größe besonders schwerer Lehmbrokken<br />

wurde von Rudolf Haug nach Hause genommen, um ihn<br />

zu untersuchen und um endlich auf des Pudels Kern zu<br />

kommen. Mit Wasser und Bürste wurde viel Lehm entfernt,<br />

bis plötzlich ein grünlicher Gegenstand hervorkam. Es<br />

konnte sich nur um Bronze handeln. Ein ganzer Spankorb<br />

voll des schweren, Lehm überzogenen Materials wurde<br />

sichergestellt. Der Baggerführer hatte nichts bemerkt. Beinahe<br />

hätten die Sucher den Fund auch übersehen, hätten sie<br />

nicht so hartnäckig nachgeforscht. Statt der möglicherweise<br />

erwarteten weiteren römischen Funde geriet man hier, wie so<br />

oft durch Zufall, an den ersten vorgeschichtlichen Fund von<br />

diesen Fluren bei Sigmaringen, einen Depotfund der Späten<br />

Bronzezeit. Die Überraschung war also perfekt. Die geringfügige<br />

Andersfärbung des Lehmes war hier der Schlüssel zum<br />

Fund.<br />

Hatte nun ein verängstigter Zeitgenosse vor wohl etwa<br />

dreitausend Jahren seinen letzten beweglichen Schatz, eben


Hier wurde beim Bau der Umgebungsstraße<br />

im März 1978<br />

der bronzezeitliche Depotfund<br />

entdeckt. Im Hintergrund<br />

Laiz und das Donautal.<br />

diesen Bronze-Fund an dieser Stelle vergraben, um ihn<br />

zunächst sicher aufzubewahren, also zu deponieren, Banksafes<br />

gab es zu jenen Zeiten ja auch noch nicht, mit der Absicht,<br />

ihn dann in sicheren Zeiten wieder auszugraben und zu<br />

verwerten? Manche dieser vergrabenen Sachen konnten ja aus<br />

irgendwelchen Gründen nicht mehr abgeholt werden, so<br />

vermutlich auch dieser Bronzeschatz, der hier deponiert war.<br />

Sicherstellung des Fundes<br />

Nach der Sicherstellung des Fundes galt es nun, diesen bei der<br />

zuständigen Stelle zu melden. Da der örtliche Vertrauensmann<br />

für Bodendenkmalpflege, Johann Jerg, verstorben war,<br />

war es mit einigen Schwierigkeiten verbunden, an die zuständige<br />

Stelle zu gelangen. Uber das Staatsarchiv Sigmaringen<br />

gelangte Rudolf Haug schließlich an das Landesdenkmalamt<br />

Baden-Württemberg - Außenstelle Tübingen - Abteilung<br />

Bodendenkmalpflege im Schloß Tübingen, Fünfeckturm,<br />

und konnte seine Fundmeldung an zuständiger Stelle anbringen.<br />

Der damalige Konservator, Dr. Hartmann Reim, besah<br />

sich dann am 11. April 1978 im Hause des Rudolf Haug den<br />

Fund und war über diesen hocherfreut. Mit dessen Einverständnis<br />

nahm Dr. Reim dann den Fund mit nach Tübingen<br />

zur wissenschaftlichen Auswertung.<br />

Die Fundstelle wurde Dr. Reim vor Ort gezeigt. Dieser ließ<br />

am 13. April 1978 am Fundort noch eine Fläche von rund<br />

100 qm nachschürfen. Es blieb jedoch bei nur diesem einen<br />

Depotfund. Farbaufnahmen des Fundgeländes, des Fundes<br />

und der neuen Umgehungsstraße, wie sie sich nach Befestigung,<br />

Anpflanzung und Rekultivierung des umliegenden<br />

Geländes zeigt, wurden gefertigt. Die Straße am Römergraben,<br />

deren Straßenniveau nach Fertigstellung ca. 8 m tiefer als<br />

die ursprüngliche obere Feldfläche liegt, ist kartenmäßig bei<br />

den touristischen Anziehungspunkten als »landschaftlich<br />

schöne Strecke« ausgewiesen.<br />

Dies gilt natürlich im wesentlichen erst nach der Ausfahrt aus<br />

dem Einschnitt, wenn der Blick in das Donautal und die<br />

gegenüberliegenden bewaldeten Höhenrücken fällt. Diese<br />

schöne Landschaft war vorher zwar dem Wanderer, jedoch<br />

nicht dem Autofahrer blickmäßig erschlossen.<br />

Und ohne diese Umgehungsstraße gäbe es auch keinen<br />

Depotfund der Späten Bronzezeit.<br />

Das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Außenstelle<br />

Tübingen, Dr. H. Reim, bedankte sich mit Schreiben vom<br />

6. Juni 1978 bei Rudolf Haug, Sigmaringen, ganz herzlich<br />

dafür, daß er diese wichtigen spätbronzezeitlichen Depotfunde<br />

sichergestellt und gemeldet hat. In seinem Betreff<br />

bezeichnete er diesen Fund wie folgt: Depotfund der Späten<br />

Bronzezeit von Flur »Vordere Lauren« bei Sigmaringen.<br />

Der Fund<br />

Fundzeit: Ende März 1978, Fundort: Flur »Vordere Lauren«<br />

bei Sigmaringen, und zwar an der neuen Nord-Süd-Umgehungsstraße<br />

bei Sigmaringen, Teilstück L 546 neu, zwischen<br />

Römergraben und Torwarthaus Josefslust. Festpunkt nach<br />

Fertigstellung der Straße: Ab landwirtschaftlicher Überführungsbrücke<br />

- Nähe des Waldes Morgenwaide - ca. 150 m in<br />

Richtung Römergraben. Die Höhenverhältnisse: Die Fundstelle<br />

ist mehrere hundert Meter in Richtung Laiz vom<br />

Wasserhochbehälter Hohkreuz in Sigmaringen entfernt. Der<br />

Hochbehälter liegt 654,95 m über NN, der Donauspiegel in<br />

der Stadt Sigmaringen im Durchschnitt 567,5 m ü.M. Der<br />

Fund lag auf der Anhöhe, vergleichbar der Höhe des Wasserhochbehälters,<br />

ca. 50 cm tief unter der Humusschicht im<br />

Lehmboden.<br />

Fundgegenstände: Bronzegeräte und Waffen. Lappenbeil,<br />

Sicheln, Lanzenspitze und über 50 Stück Bronzegußkuchenunbearbeitete<br />

Bronzestücke - verschiedener Größe und<br />

Schwere. Der schwerste Bronzegußkuchen wog 2,5 kg. Seine<br />

Größe: Länge 20 cm, Breite 14 cm, Stärke bis zu 4 cm.<br />

Gewicht des gesamten Fundes: 11,5 kg. Einordnung des<br />

vorgeschichtlichen Fundes: Zeitlich: Späte Bronzezeit; kulturell:<br />

Frühe Urnenfelderkultur. Verbleib des Fundes: Der<br />

Fund lagert beim Landesdenkmalamt Baden-Württemberg,<br />

Abteilung Bodendenkmalpflege. Laut Auskunft des Oberkonservators<br />

Dr. Hartmann Reim vom Landesdenkmalamt,<br />

Außenstelle Tübingen, befindet sich der Fund im September<br />

1987 noch in Tübingen. Voraussichtlich kommt aber der<br />

Fund später nach Stuttgart.<br />

Die Frage des Aufbewahrungsortes<br />

Diesen Depotfund der Späten Bronzezeit von Flur »Vordere<br />

Lauren« bei Sigmaringen hätte nach dessen Bekanntwerden<br />

die Kreisstadt Sigmaringen nun selbst gerne gehabt. Bürgermeister<br />

Rudolf Kuhn schrieb bereits am 2. August 1978 in<br />

einer Anfrage an das Landesdenkmalamt Baden-Württem-<br />

7


Teil des bronzezeitlichen Depotfundes.<br />

berg, ob es möglich wäre, den geborgenen Fund - oder<br />

wenigstens wichtige Teile davon - für Ausstellungszwecke<br />

der Stadt Sigmaringen zu überlassen. Dieser erfreuliche Vorgang<br />

wecke in Sigmaringen den Wunsch, solche Gegenstände<br />

am Ort ihres Auffindens bewahren und zeigen zu können. Es<br />

böten sich hierfür an, das Sigmaringer Schloß mit seiner vorund<br />

frühgeschichtlichen Sammlung, in der sich solche Leihgaben<br />

in guter Gesellschaft befänden und auch das städtische<br />

Heimatmuseum im Runden Turm. Für die sichere und<br />

sachgerechte Aufbewahrung würde an beiden Stellen gesorgt.<br />

In Sigmaringen wären sie hochgeachtete und interessante<br />

Zeugen der Ortsgeschichte.<br />

Dem Wunsche des Sigmaringer Bürgermeisters konnte vorerst<br />

nicht, auch nicht teilweise, entsprochen werden und so<br />

lagert der Fund weiter beim Landesdenkmalamt.<br />

Doch das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg - Abteilung<br />

Bodendenkmalpflege - war von sich aus auch bereits<br />

tätig geworden und hatte die Funde öffentlich gezeigt. So<br />

waren sie anläßlich der Jahrestagung der Gesellschaft für Vorund<br />

Frühgeschichte vom 2.-4. Juni 1978 in einer Vitrine des<br />

Volkshochschulheimes Inzigkofen ausgestellt.<br />

Der Runde Turm in Sigmaringen als Heimatmuseum<br />

Aus dem ursprünglichen Fund steht dem Heimatmuseum<br />

jedoch noch ein Stück Bronzegußkuchen im Gewicht von 631<br />

Gramm als »Leihgabenstiftung Rudolf Haug« zur Verfügung.<br />

Die Stadt Sigmaringen will nun das Ausstellungsgut im<br />

Heimatmuseum erweitern, möglichst auch um eine Abteilung<br />

für Vor- und Frühgeschichte, und bemüht sich daher um<br />

Exponate. Es wäre daher schön und bleibt zu hoffen, daß in<br />

absehbarer Zeit weitere Teile des bedeutenden Depotfundes<br />

vom Landesdenkmalamt wieder nach Sigmaringen zurückkommen<br />

werden. Die Kreisstadt Sigmaringen wäre hierfür<br />

sicher sehr dankbar. Sigmaringen, das im Jahre 1077 nach<br />

Christi Geburt erstmals urkundlich in der Chronik des<br />

Klosters Petershausen erwähnt wird, als Rudolf von Schwaben<br />

deren Burg erfolglos belagerte, wurde um die Mitte des<br />

15. Jahrhunderts unter den Werdenbergern baulich erweitert.<br />

Die Ausdehnung ging über die Schwabstraße hinaus bis zur<br />

heutigen Antonstraße. Reste des Mauergürtels und der<br />

Runde Turm, einst ein bedeutender Teil der Sigmaringer<br />

Stadtbefestigung, haben sich bis in die Gegenwart erhalten.<br />

Dieser Runde Turm, früher auch »Rondell« genannt, wurde<br />

ab 1971 grundlegend renoviert und zu einem Heimatmuseum<br />

mit drei Stockwerken ausgebaut und 1972 fertiggestellt. Die<br />

Fassade des alten, unter Denkmalschutz stehenden Turmes<br />

wurde erhalten, sein Inneres wurde jedoch völlig neu gestaltet.<br />

8<br />

Die Hülle blieb, das Innere wurde neu.<br />

Die Kunstausstellungen, die seither ebenfalls im Runden<br />

Turm stattfanden, sowie die Kunstgalerie werden ihr endgültiges<br />

Zuhause im alten Realschulgebäude finden, das ab 1987<br />

zu einem Kulturzentrum mit Bibliothek ausgebaut wird.<br />

Diese »Alte Schule beim Turm« war von 1879-1958 Volksschule<br />

und von 1962-1975 Realschule. Künftig soll also der<br />

Runde Turm nur noch als Heimatmuseum dienen.<br />

Zur Bedeutung der Depotfunde<br />

Die sogenannten »Depotfunde« verraten uns mancherlei.<br />

Zunächst geben sie Auskunft über Handelswege, auf denen<br />

die Bronze von ihrem Ursprungsort nach dem Norden<br />

gebracht wurde, und daß die Händler an bestimmten Stellen<br />

dieser Wege sich Niederlagen oder Warenlager errichteten,<br />

indem sie ihre gewichtige Ware dort diebessicher vergruben.<br />

Der größte derartige Depotfund bei Bologna enthielt in<br />

einem riesigen Tongefäß fast 15000 Bronzegegenstände verschiedenster<br />

Art und Form. Aus unbekannten Gründen hat<br />

der Händler dann später seine Ware im Stich lassen müssen.<br />

Auch ansässige Bronzegießer haben oft ihre Vorräte an<br />

gegossener Ware und Rohmaterial, sowie die Gußgeräte an<br />

Ort und Stelle versteckt. Man hat hier und dort gegossene<br />

Waffen und Schmuckgegenstände des gleichen Musters nebst<br />

den zu ihrem Gusse erforderlichen Ton- und Sandsteinformen<br />

in großer Zahl gefunden. An anderen Stellen wies das<br />

Depot nur zerbrochenes Bronzegerät auf. Das legt die Vermutung<br />

nahe, daß diese Bruchstücke im damaligen Tausch-<br />

Vitrine mit dem Depotfund im Volkshochschulheim Inzigkofen.<br />

handel die Rolle des späteren Geldes gespielt haben. Der<br />

Händler dürfte zerbrochenes Gerät nach Gewicht gegen neue<br />

Gegenstände in Tausch genommen haben. Der Käufer<br />

erstand dies gegen ein Tauschmittel, um sie von ortsansässigen<br />

Bronzehandwerkern dann zu dem jeweils gewünschten<br />

Gegenstande umgießen zu lassen.<br />

Die Funde in ihrer Gesamtheit, ihre Lagerung in den Erdschichten<br />

- was oben liegt, wird zumeist jünger sein als das<br />

darunter gelagerte -, die verschiedene Formgebung der<br />

Geräte usw. gestatten eine Einteilung der Bronzezeit nach<br />

Zeiträumen und Entwicklungsstufen vorzunehmen. Neben<br />

den sogenannten »Depotfunden« gibt es auch Funde, die<br />

Gräbern entstammen und die »Moorfunde«, hauptsächlich<br />

im Norden in Schleswig und auf der dänischen Insel Fünen<br />

zwischen dem Großen und dem Kleinen Belt.<br />

Mit den großen Depotfunden der Bronzezeit, wie Bologna<br />

u. a., kann sich der Sigmaringer Fund sicherlich nicht messen.<br />

Trotzdem ist er ein Teil einer Kette von Funden, die uns<br />

Einblick gibt in die Handelstätigkeit und in die Kultur der<br />

Zeit vor ca. dreitausend Jahren.


WOLFGANG HERMANN<br />

Reinhart von Neuneck Ein adeliges »Dienerleben« der deutschen Renaissance - (Fortsetzung)<br />

b) Casimir von Brandenburg<br />

In der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach regierte bis<br />

1515 Friedrich IV., Vater der Brüder Casimir und Georg. Der<br />

regierende Vater belastete den landesherrlichen Haushalt<br />

durch einen erheblichen Hofaufwand und hatte dadurch das<br />

Land mächtig verschuldet. Beide Söhne, unzufrieden mit der<br />

Lage, bildeten ein Komplott, das die Abdankung des Vaters<br />

zum Ziele hatte. Sie gewannen die landsässige Ritterschaft für<br />

ihren Plan. Um jedoch ganz sicher zu gehen, nahmen sie<br />

Friedrich gefangen und kerkerten ihn für zwölf Jahre auf der<br />

Plassenburg ein 86, die hoch über Kulmbach liegt. Ein für<br />

Casimir günstigeres Urteil fällte Carl Jäger, der eine Geisteskrankheit<br />

des Vaters ins Feld führte und nur von einem<br />

erzwungenen Rücktritt Friedrichs IV. sprach. Dagegen werden<br />

wir über Casimirs große Verdienste in der Reichspolitik<br />

am Vorabend der Wahl Karls von Spanien zum deutschen<br />

König informiert 87.<br />

Sehr bald hatte Casimir das Heft allein in der Hand, da sein<br />

Bruder Georg meistens als Freund und Helfer am ungarischen<br />

Hof verweilte und dadurch seinem Bruder die Regentschaft<br />

überließ 88. Der beabsichtigte, aus der Markgrafschaft<br />

einen rechtseinheitlichen und zusammenhängenden Staat zu<br />

formen. Dazu war es nötig, sich den Adel dieses zersplitterten<br />

Raumes Untertan zu machen. Die militärischen Druckmittel<br />

wollte der Markgraf durch die Schaffung einer Landwehr<br />

gewinnen. Ab 1520 begann dieser ein Milizheer aufzubauen,<br />

welches er schwarz-weiß uniformierte. Durch das Los ließ<br />

Casimir aus Stadt- und Landgemeinden Männer ausheben.<br />

Den Unterhalt der Landwehr sollten jedoch die Gemeinden<br />

tragen. Der Zwang, der den Gemeinden auferlegt wurde,<br />

verdeutlicht die finanziell schlechte Lage des Landesherrn,<br />

welcher trotz allem den Hofluxus immer höher trieb. Deswegen<br />

ist begreiflich, daß Casimir danach trachtete, weitere<br />

Finanzquellen zu erschließen, die sich zum Beispiel in den<br />

Klöstern anboten. Die neuen Steuern, die er den Untertanen<br />

auferlegt hatte, konnten nicht ewig vermehrt werden 89.<br />

So kam ihm die bäuerliche Bewegung gerade recht, und er<br />

suchte sie für seine Zwecke dienstbar zu machen. Solange die<br />

Bauern kleine Herren und geistliche Gebiete schädigten, war<br />

es ihm recht. »Er sucht in den Wogen nach Beute« 90. Sobald<br />

seine Bauern aber darangingen, an den Säulen der eigenen<br />

Herrschaft zu rütteln, war er entschlossen, hart vorzugehen.<br />

Stets hatte er jedoch vor Augen, sein Land so weit wie<br />

möglich dem Aufstand zu entziehen, die eigenen Bauern als<br />

Arbeits- und Geldquelle nicht zu verlieren und gleichzeitig<br />

bei den Standesgenossen nicht als Verräter dazustehen. So<br />

sollte sich Casimir dann als gerissener Taktiker erweisen.<br />

Über den Markgrafen schreibt Adolf Waas: »(Er) hatte sich<br />

zunächst zurückgehalten und versucht, eine unparteiische<br />

Stellung einzunehmen. Als aber in der ersten Hälfte des Mai<br />

(1525) die Bauern wiederholt geschlagen wurden, entschloß<br />

er sich einzugreifen und wurde nun einer der schärfsten<br />

Gegner der Aufständischen 91. Seine Kriegshandlungen richteten<br />

sich vor allem gegen die Bauern aus dem Ries und dem<br />

Bistum Eichstätt. Darüber berichtete der Chronist Kessler 92.<br />

Von diesen Kriegsgeschäften hatte Reinhart von Neuneck mit<br />

Sicherheit Kenntnis aus erster Hand; wie weit er aber mit<br />

Casimir im Feld gegen die Bauern stand, muß noch untersucht<br />

werden.<br />

Am 18. März hatten sich auch dessen Bauern am Hesselberg,<br />

das ist östlich von Dinkelsbühl, zusammengefunden. Entwe-<br />

der war Casimir nicht genügend gerüstet, oder weil er seine<br />

Landwehr schonen wollte, ersuchte er die Grafen von Ottingen<br />

um Hilfe. Der gemeinsame Zug gegen die Bauern war<br />

rasch erfolgreich.<br />

Diesen Sieg ausnutzend, gedachte Casimir, sich als Speerspitze<br />

gegen die Bauern zu offerieren. Allerdings nicht auf<br />

seinem Gebiet. Bevor sich der Aufstand im Ansbachischen<br />

ausbreiten konnte, sollten die Bauern in den benachbarten<br />

Gebieten besiegt werden. Auf zwei Fürstentagen in Neustadt<br />

an der Aisch, am 4. und 11. April 1525, trug er sich als<br />

Feldherr an. Im Auftrag und mit dem Geld seiner Nachbarn<br />

wollte er an ihrer Stelle den Krieg führen. Casimirs Plan<br />

mißlang: Nur die Räte der Bistümer Würzburg und Eichstätt<br />

trafen sich mit den seinen. Die übrigen Fürsten dachten nicht<br />

daran, die Arbeit und die einkalkulierte Beute dem Markgrafen<br />

zu überlassen. Sie kamen nicht nach Neustadt, mit der<br />

Begründung, daß sie durch die Erhebungen in ihren Ländern<br />

gebunden seien 93. Nach der Meinung Carl Jägers hatte diese<br />

Antwort der Fürsten zur Folge, daß sich der Markgraf auf<br />

sein Gebiet zurückzog, um durch Verhandlungen mit den<br />

eigenen Landständen die innere Ruhe zu erhalten 94.<br />

Schon am 2. Mai gab Casimir seinen Bauern einen Wink 95.<br />

Mit Hilfe von Vereinbarungen zwischen ihm und dem Landtag<br />

wollte er sie aus der Front der aufständischen Bauern<br />

herausbrechen. Indessen gingen die Kämpfe im Ries weiter.<br />

Dort war das Kloster Heidenheim in Gefahr. Nachdem dieses<br />

den Markgrafen schon zuvor um Hilfe gebeten hatte, sammelte<br />

dieser seine Mannschaften um sich. Nicht nur der<br />

Süden seines Territoriums war bedroht, sondern auch der<br />

Aischgrund nördlich von seiner Residenzstadt geriet in den<br />

Aufruhr. Seit dem 30. April sammelten sich die dortigen<br />

Bauern. Sie zogen weiter nach Creglingen und in den Steigerwald.<br />

Um den Kontakt mit den Standesgenossen nicht ganz zu<br />

verlieren, fand sich Casimir bereit, dem Herzog und Pfalzgrafen<br />

Friedrich 100 Pferde zu schicken, mit denen jener gegen<br />

die Bauern in Richtung Eichstätt zog 96. Wie wir in dem<br />

vorausgehenden Abschnitt gesehen haben, hielt dieses Bündnis<br />

zunächst nicht. Es wurde erst nach dem 7. Mai gefestigt,<br />

als Friedrich und Casimir gegen das Schloß Schopfloch<br />

zogen, dieses niederbrannten und dem Ritter Heinrich Jörg<br />

von Ellrichshofen die Lehen entzogen, da dieser mit den<br />

Oettinger und den Crailsheimer Bauern gemeinsame Sache<br />

gemacht hatte 97.<br />

c) Reinhart von Neuneck und seine Aufgaben als<br />

Feldhauptmann<br />

Reinhart von Neuneck handelte als Anführer seines Fähnleins<br />

nicht selbständig. Die Befehle erteilten Pfalzgraf und<br />

Herzog Friedrich oder dessen Neffen Ottheinrich und Philipp.<br />

Weiter kann man annehmen, daß Reinhart gegen alle<br />

zuvor beschriebenen Haufen zu Felde zog. Bevor aber die<br />

bayerischen Quellen und Veröffentlichungen nicht ausgewertet<br />

sind, läßt sich aus den Beständen im FAS und StAS nur<br />

ein ungefähres Bild über Reinharts Kriegszüge ermitteln.<br />

Die Informationen, die wir von ihm erhalten, stammen aus<br />

dem Rückblick, welchen der Ritter in seinem Bericht von<br />

1525 gibt:<br />

- »...(seine Brüder) und ich haben diesse ampt getragen,<br />

Nemlich ich Reinhart bei dem Churfürstentumb der Pfaltz<br />

9


und dem Haus Bayrn, Hauptmann über zway hundert<br />

pferd und pfleger zu Laugingen gewesen...<br />

- Die bauren der obern Pfaltz, auch<br />

- myner gnedigen jungen hern Fürstentumb (Pfalz-Neuburg),<br />

- die Marggrafschaft Brandenburg, den Stifft aychstet (Eichstätt)<br />

überzogen, dem Stifft ein Schloß nemlich Messingen<br />

uff dem berg genannt, dasselbig eingenommen, biß an<br />

zwölfen tag ingehabt. Und bis in die acht dausend Starck<br />

dagelegenn, gweltiglich in dem Stifft aychstet geherschd,<br />

- derohalb ich erfordert von allen myn gnedigen hern von<br />

bayrn, dz ich dem selbigen hauffen soll mitt andern zu<br />

ziehen, dz ich dan gethon.<br />

- Und ist myn gn. her Hertzog Fridrich Pfaltzgraf zu aigner<br />

person alda gewesen, als Kriegsfürst, und uns gott dz glück<br />

geben, die Bauren gestrafft und dz Schloß mit gwalt wider<br />

erobert.<br />

- Derohalb ich myn brüder Hans Oswalden bevolhen hab,<br />

myn haus (Glatt) zubesetzen...«<br />

Wir wissen also aus diesem Bericht, daß Reinhart unter dem<br />

Befehl seines Pfalzgrafen gegen den Eichstätter Haufen gezogen<br />

war. Reinhart war dabei, als der Waffenstillstand<br />

geschlossen wurde und sein Herr in listiger Weise die Bauern<br />

vom Schloß auf dem Obermässinger Berg vertrieb. Möglicherweise<br />

befand sich Reinhart an der Spitze der Eroberer.<br />

Die anderen Helfer, welche er in seinem Bericht anspricht,<br />

waren die 300 böhmischen Bogenschützen und der eichstättische<br />

Lehensadel sowie eine Hundertschaft brandenburgischer<br />

Reiter.<br />

Wir können abschließend annehmen, daß sich Reinhart zwischen<br />

dem 24. und 29. April 1525 vor Obermässing befunden<br />

hat. Seine übrigen Aktivitäten finden sich teilweise in den von<br />

Ludwig Baumann herausgegebenen Quellen beschrieben, sie<br />

werden in Briefen der Grafen von Ottingen und des Markgrafen<br />

von Brandenburg faßbar. Diese Quellen belegen die<br />

Zusammenarbeit der Territorialherren, wobei Reinhart als<br />

Führer einer überterritorialen Reitereinheit eingesetzt wurde.<br />

Nachfolgend soll gezeigt werden, an welchen Schauplätzen<br />

Reinhart von Neuneck im Einsatz war bzw. wohin man ihn<br />

abkommandiert haben könnte. Danach wird versucht, seine<br />

Kriegseinsätze in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen. Ein<br />

weiterer Punkt ist die Kampfesweise des schwäbischen Ritters,<br />

wie sie sich besonders am Beispiel der Klöster zeigte.<br />

Den Schluß bildet die Aufgabe, Reinhart andeutungsweise in<br />

seiner Rolle als »Bluthund« zu zeichnen, der die Entschädigungen<br />

hereinholte und die flüchtigen Bauern zu stellen<br />

hatte.<br />

d) Die Unternehmungen Reinharts von Neuneck<br />

Der genaue Aufbruch zu den Kämpfen gegen die Bauern im<br />

Donauraum einerseits zwischen Altmühl und Wörnitz andererseits<br />

ist nicht feststellbar. Aber Anfang April 1525 war<br />

Reinhart im Auftrag der Pfalzgrafen mit seinen Reitern<br />

unterwegs. Durch Sebastian Locher erhalten wir einige Hinweise<br />

auf Ort und Zeit 98:<br />

8. April vor dem Kloster Maria Medingen<br />

9. bis 16. April bei Donauwörth<br />

16. bis 23. April im Ries, zwischen Dillingen und<br />

Nördlingen<br />

27. bis 5. Mai im Gebiet des Stifts Eichstett und<br />

im oberpfälzischen Amt Stein und<br />

Hilpoltstein<br />

7. Mai bis 20. Mai zwischen Lauchheim und Crailsheim<br />

Die Angaben Lochers sind aber nicht ohne weiteres nachprüfbar,<br />

sofern man auf die Archivalien der Sigmaringer<br />

Bestände angewiesen ist 99. Was Sebastian Locher unberücksichtigt<br />

ließ, sind die Verbindungen Reinharts bzw. seiner<br />

10<br />

Herren mit den Grafen zu Oeningen und dem Markgrafen<br />

von Brandenburg. Zwei vorliegende Hilfeersuchen geben zur<br />

Vermutung Anlaß, daß der Neunecker nicht nur für die<br />

Pfalzgrafen, sondern auch für die Grafen von Oeningen und<br />

den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach ins Feld gezogen<br />

sein könnte.<br />

Auf die Gefährdung, die für die Grafen von Oettingen von<br />

dem vereinigten Nördlinger und Oettinger Haufen ausging,<br />

bezieht sich ein Brief, der im Auftrag der Grafen Ludwig des<br />

Älteren, Martin und Ludwig des Jüngeren am 10. April 1524<br />

an den »hochgebornnen Fürsten und Hern, Hern Philipsen<br />

Pfalzgrauen bey Rein, Hertzogen in Nidern und Obern<br />

Bayrn, unnserm Gnedigen Hern« geschrieben wurde lu;l.<br />

Inhaltlich geht der Brief von der Bauernversammlung bei<br />

Deiningen (»Teyning«) aus. Wir erfahren, daß ein Bote der<br />

Grafen, Hans von Hurnheim, in Lauingen gewesen war, um<br />

den Pfalzgrafen Philipp um Kriegsgerät zu bitten. Nachdem<br />

sich die Grafen bedankt haben, schoben sie den Wunsch um<br />

zirka 200 Pferde nach, die Philipp ihnen gnädiglich leihen<br />

möge. Damit sollten ihr Kloster und der Ort Neresheim<br />

gesichert werden. Seit 1263 besaßen die Grafen von Oettingen<br />

die Schirmherrschaft über das Kloster 101. Sobald die<br />

Reitertruppe in Neresheim angekommen wäre, sollte sie ihre<br />

Befehle erhalten. Die die Hilfe des Schwäbischen Bundes<br />

ausblieb, ersuchten sie den jungen Pfalzgrafen Philipp um<br />

eine »anzal fußfolks und zimblichen veldtgeschütz«. Am<br />

9. April schon hatten die Oettinger Grafen an Casimir von<br />

Brandenburg geschickt, um den Bauernhaufen im Ries niederzuwerfen,<br />

und worauf der Markgraf sein Einverständnis<br />

gezeigt hätte 102. Im Brief der Oettinger an Philipp heißt es:<br />

»...Wie wir dann von unserm gnedigen Hern Markgraff<br />

Casimir zu Brandenpurg mit geraisigen fußfolkh und veldgeschütz<br />

auch entlich vertröst sind...«<br />

Reinhart von Neuneck hatte das Schreiben und vielleicht die<br />

Order, nach Neresheim aufzubrechen, von seinem Pfalzgrafen<br />

erhalten. Ob er aber wirklich zur Hilfe für die Grafen von<br />

Oettingen dort einschreiten mußte, ist noch nicht erwiesen,<br />

da sich der Haufe von Deinigen am 12. April auflöste. Auf<br />

sein ansbachisches Gebiet bezieht sich ein dringliches Schreiben<br />

103 des Markgrafen Casimir, das er in Ansbach am Donnerstag<br />

nach Misericordia 1525 (4. Mai) verfaßte und an<br />

Reinhart von Neuneck richtete. Dieser befand sich, der<br />

Meinung des Absenders nach, während dieser Zeit zu Lauingen<br />

oder zu Heideck. Das Gebiet, in welchem aufständische<br />

Bauern bekämpft werden sollten, war vermutlich der Aischgrund,<br />

nordwestlich des reichsstädtischen Gebietes von<br />

Nürnberg gelegen. Einerseits ersteckte sich das betroffene<br />

Gebiet links und rechts des Flüßchens Aisch, andererseits<br />

wurde sein Ende durch die Städte Rothenburg ob der Tauber<br />

und Forchheim bestimmt.<br />

Casimir schrieb aus seiner Hauptstadt: »...du wollest dich<br />

mit allen den reuttern, die du bey dir hasst, und was du weitter<br />

bey unserem lieben Oheim und Schwegern, Deinen Herren,<br />

Inn der eill auffbringen magst, ungehindert annderer<br />

geschefft und sachen, zu unns hierher fuegen, alls das du auf<br />

Sonntag schirst zu abennt, gewißlich hie zu Ansbach bey uns<br />

steest...« Unmittelbar nach dem Eintreffen Reinharts sollte<br />

der Zug gegen einen »hauffen paurn« gehen. Die Mitteilungen<br />

an Reinhart lassen den Schluß zu, daß die militärische<br />

Situation für den Markgrafen so bedrohlich war, daß<br />

Reinhart von Neuneck sogar begonnene Kriegs- bzw. Strafzüge<br />

abbrechen sollte. Die Koordination zwischen dem<br />

Herzog Wilhelm von Bayern und Markgraf Casimir muß<br />

unvollkommen gewesen sein, da man nicht wußte, wo der<br />

Neunecker mit seinem Fähnlein derzeit stand.<br />

Zu Plankstetten lagen angeworbene böhmische Söldner.<br />

»Vetter Veit von Auerberg« hatte diese offenbar im Auftrag<br />

Wilhelms von Bayern angeworben. Und nun erbat Casimir


300 dieser Böhmen, die er auch besolden wollte. Den Brief<br />

mit dieser Bitte sollte der Auerberg noch am selben Tag oder<br />

in der Nacht erhalten. Weil Casimir jedoch Zweifel hegte, ob<br />

der Bote während der Nacht den Weg nach Plankstetten<br />

finden würde, ersuchte der Markgraf den Kriegsmann<br />

Reinhart, »sollichen brieff hiebey« - vielleicht ein zweites<br />

ähnlich lautendes Informationsschreiben - durch einen Boten<br />

an Veit von Auerberg abzuschicken. Es wäre denkbar, daß<br />

zwischen den Söldnern bei Plankstetten und der Stadt Ansbach<br />

wachsame Bauern lagen.<br />

Uber die militärische Stärke des Markgrafen wird nichts aus<br />

seinem Schreiben ersichtlich, außer daß etliche Reiter unter<br />

dem Kommando eines Steffan Schinerher bei Casimir lägen,<br />

die ihm vom Bayernherzog Wilhelm überlassen worden<br />

waren. Bei diesem Reiterführer handelte es sich wahrscheinlich<br />

um Stephan von Schmiehen, der bereits am 22. April mit<br />

30 Berittenen zum Markgrafen gestoßen war. Bei diesem<br />

Anführer handelte es sich um den Pfleger von Vohburg, der<br />

noch am 30. April seinem Herzog Wilhelm berichtete, daß<br />

sich Casimir erheblich rüstete und etwa 400 Reiter bei sich in<br />

Ansbach hätte 104. Der Hauptmann nun, den Casimir in<br />

seinem Schreiben an Reinhart von Neuneck zitierte, war am<br />

selbigen Tag aufgebrochen, um in Hilpoltsstein die böhmischen<br />

Söldner anzumieten und sicher nach Ansbach zu<br />

bringen.<br />

Das Glück stand dem Markgrafen nicht bei, auch wenn er,<br />

ebenso wie die Bauern, Gott als Zeugen für die eigene<br />

gerechte Sache anrief. Bevor er auf die militärischen Details<br />

einging, erklärte er die Generallinie des obrigkeitlichen Handelns:<br />

»... und sie (die Haufen) mit der hillf gottes zu schlagen, und<br />

wann dann dasselbig geschieht, so hoffen wir und sind<br />

ontzweivel, die auffrurn am Nercker (Neckar) und im rieß,<br />

sollen dadurch auch gestillt werden; wi nit, so gedenken wir,<br />

nach ausrichtung unseres fürnemens den negsten, mit deiner<br />

und ander hilff, zu denselben andern hauffen auch zu ziehen<br />

...« Darin deutet sich ein Bündisversprechen für den Fall<br />

an, daß die Aufstände in Schwaben und im Ries, sofern sie<br />

nicht im Anschluß an die Niederlage der Bauern im Aischgrund<br />

zusammenbrächen, gemeinsam von den Herzögen »in<br />

Bayern« und ihm bekämpft würden.<br />

Die Verhandlungen um die 300 Böhmen in Beilngries, die<br />

Veit von Auerberg als bayerischer Kriegsmann mit dem<br />

ansbachischen Abgesandten führte, zerschlugen sich. Auerberg<br />

wurde mit den Böhmen nach Schongau gesandt. Auch<br />

Reinhart von Neuneck konnte nicht zu Casimir stoßen, da<br />

ihn Herzog Philipp wegen der erneut ausgebrochenen Unruhen<br />

im Ries nach Monheim beorderte ltb.<br />

Da Casimir nun allein stand - die Böhmen hätten sich ihm<br />

verweigert, weil der Markgraf mit etlichen ihrer Herren und<br />

Freunde in Fehde gestanden wäre wandte sich dieser zuerst<br />

gegen die Riesbauern. Kloster und Ort Heidenheim hatten<br />

ihn ja um Hilfe ersucht. Der Zufall half Casimir: Am 8. Mai<br />

- über den Tag gibt es Widersprüche - traf die verfolgende<br />

Vorhut des Markgrafen auf die Nachhut der Bauern, die nach<br />

Heidenheim vorrückte. Casimirs Vorhut soll aus 250 Reitern<br />

und 450 Fußknechten bestanden haben 106. Er selbst zog nach<br />

Günzenhausen und blieb dort 107. Von der Schlacht erfuhr<br />

Casimir vermutlich durch einen Boten, die am »sonntag<br />

Jubilate« in Gang kam, nämlich am 7. Mai l08. Über die<br />

Anzahl sämtlicher Kämpfer liegen verschiedene Aussagen<br />

vor, vielleicht sind die bei Jäger am genauesten 109. Die Bauern<br />

führten in ihren Reihen nicht nur Freunde aus dem Ries,<br />

sondern auch solche vom Dinkelsbühler Haufen mit. Die<br />

markgräflichen Söldner griffen die Bauern an, zerteilten diese<br />

mit Hilfe der Geschütze und trieben sie nach Ostheim hinein.<br />

Dort stießen die Angreifer auf gute Schützen der Bauern,<br />

welche die Markgräflichen zurückwarfen. Als das Fußvolk<br />

Casimirs eintraf, wurden die Bauern ins Dorf zurückgetrieben.<br />

Da ließ es der Markgraf in Brand stecken. Nun zogen<br />

sich die Bauern in ein Gehölz zurück. Um Zeit und Aufwand<br />

zu sparen, wechselte Casimir die Taktik. Durch den Ritter<br />

von Heßberg verhandelte er mit den ansbachischen Bauern,<br />

damit sich diese erneut unterwürfen. Zirka 3000 von ihnen<br />

taten dies, da man ihnen Hoffnungen wegen dem noch<br />

dauernden Landtag machte 1'". Ein Rest von 600 Bauern gab<br />

nicht nach und zog weiter vor das Schloß Baldern 1", das als<br />

ellwangisches Lehen seit 1250 im Besitz der Grafen von<br />

Oettingen war 11". Dieser Rest gehörte zu dem Ellwanger-<br />

Dinkelsbühler Haufen, welcher vor Baldern jedoch nichts<br />

mehr erreichte" 3.<br />

In dem Gefecht bei Ostheim verloren die Bauern 400<br />

Leute" 4, der Markgraf dagegen nur drei. Unter Casimir<br />

seien, berichtete der Chronist Keßler, »bei dritthalb tusend<br />

erwürgt, viel gefangen, viel mit ihren Dörfern verbrennt« " 5.<br />

Das Aufgebot der Bauern benannte der Schweizer Chronist<br />

mit 600 Pferden und 11000 Mann zu Fuß.<br />

Mit diesem Sieg hatte der Markgraf im Süden seines Territoriums<br />

Ruhe geschaffen, und nun konnte er sich dem Norden<br />

um Kitzingen und dem Aischgrund zuwenden. Am 10. Mai<br />

schrieb er nach Ansbach, daß er sich »gütlich mit dem Haufen<br />

verglichen und seine Untertanen von dem selben zurückgefordert<br />

habe« " 6.<br />

Welche militärischen Kontakte Reinhart von Neuneck mit<br />

dem Markgrafen Casimir noch gehabt haben sollte, es wäre<br />

darüber nachzuforschen.<br />

Ein Beispiel für die Kriegstaktik Reinharts von Neuneck war<br />

sein Verhalten vor dem Kloster Kaisheim. Seine Überlegungen<br />

wurden offensichtlich von den Kräfteverhältnissen her<br />

bestimmt: das heißt er maß die Anzahl der Bauern und stellte<br />

ihnen im Geiste sein Fähnlein gegenüber, um den leichten<br />

Sieg zu finden. Die Klöster spielten in seinen Betrachtungen<br />

ebenso eine gewichtige Rolle wie für die Bauern: Stellte für<br />

ihn das Kloster einen Ort der Versorgung für die Truppe dar,<br />

so bestimmten die Bauern das Kloster als Beute für sie. So war<br />

es kein Wunder, daß der Zisterzienser Johann Knebel d. A. in<br />

seiner Chronik des Klosters Kaisheim vermerkte: »...so lag<br />

Kayserßhaim, daß closter, miten under den feinden: auf aim<br />

ort die bauren, die vermainten vil da zu gewinnen, auf dem<br />

andern die pfalzgrafischen von Neuburg, da inen der hauptman<br />

deß selbigen reutersvolks, her Renhart von Neynegk,<br />

pfleger zu Laugingen, offenlich zugesagt, wider drüeß zu<br />

thon und sein eer bewaret ... aus diser ursach, dan von den<br />

Stenden deß punts waß den fursten von Neuburg geschafft,<br />

auf gemeines punts kosten 150 pferd zu halten an disen orten,<br />

darmit kain aufruor wurd«" 7.<br />

Reinhart von Neuneck indessen schien sich nicht stark genug<br />

zu fühlen, um mit seinen Reitern die Bauern anzugreifen. Er<br />

verhielt sich ruhig, weil er möglicherweise auf Fußvolk<br />

wartete, das ihm entweder der Markgraf oder Pfalzgraf<br />

Friedrich zuführen sollte. So lag er also seit »der heiligen<br />

wuchen«, zwischen dem 9. und 15. April vor dem Kloster.<br />

Noch einige Tage zuvor war er im Kloster(bereich) der<br />

Frauen von Maria Medingen, die sich am 8. April bei Reinhart<br />

über Unkosten, die ihr jener auferlegt hatte, beschwerten " 8.<br />

Wahrscheinlich von dort kam der Neunecker mit seinen<br />

Reitern vor das Männerkloster Kaisheim. Der Abt ließ ihn<br />

versorgen: »... da wurd im also nach eren nachtseid, futer und<br />

mal geschenckt. Er kam dieselben wochen wider, also daß er<br />

die karwochen 3 nächt da waß, wurd im alles geschenckt<br />

gutwilligelich«<br />

Während das Kloster und sein Vorstand der Meinung waren,<br />

die Versorgung des Ritters und vielleicht seiner Reiteroffiziere<br />

geschähe nur aus freien Stücken, war Reinhart wohl<br />

anderer Ansicht: Wenn der Schwäbische Bund bzw. er gegen<br />

die Bauern vorginge und damit auch die Rechte und die<br />

11


• Klöster, Stifte 0<br />

A Aufhausen • Reichsstädte<br />

E Eichstätt U Ulm<br />

Ell Ellwangen N Nürnberg<br />

K Kaisheim D Dinkelsbühl<br />

MM Maria Medingen B Bopfingen<br />

Ne Neresheim Nö Nördlingen<br />

0 Burgen, Schlösser # Gewässer<br />

H Hirschberg D Donau<br />

O.B. Obermässinger Berg A Altmühl<br />

Ba Baldern W Wörnitz<br />

R Rezat<br />

• Hesselberg • P Pegnitz<br />

12


An diesen Tagen war<br />

Reinhart von Neuneck<br />

zu finden in:<br />

Sicherheit der geistlichen Herrschaften sicherte, so sei es recht<br />

und billig, daß diese gleichfalls einen Beitrag zu den Kriegskosten<br />

leisteten. Und zwar in der Form der Verpflegung<br />

seiner Leute, der Fütterung ihrer Pferde und der Gewährung<br />

eines Nachtquartiers.<br />

90 Ders., ebd.<br />

91 Adolf Waas, Die Bauern im Kampf um Gerechtigkeit, München<br />

1964, S. 214. Dem Briefwechsel der Grafen von Oeningen zufolge<br />

muß dessen Aktivität mehrere Wochen vordatiert werden.<br />

92 Kesslers Bericht, aus »Flugschriften des Bauernkriegs« aus der<br />

Reihe Texte deutscher Literatur 1500-1800, Rowohlt 1970, S. 235.<br />

Joh. Kessler, geb. in St. Gallen um 1502, febd. am 7.3.1574, war<br />

Schweizer Reformationschronist. Er hatte in Basel studiert, u. a.<br />

bei Erasmus, kam 1522 nach Jene, wo er Luther traf, studierte bei<br />

Melanchthon. In St. Gallen arbeitete er als Sattler, führte Bibellesungen<br />

durch und schrieb seine »Sabbata«, eine bedeutende Chronik<br />

der Jahre 1519-1539. Zit. nach Meyers Enzyklop. Lexikon,<br />

Bd. 13, S. 640.<br />

93 Wilh. Zimmermann, wie Anm. 60, S. 344.<br />

94 Carl Jäger, wie Anm. 79, S.38.<br />

95 Wilh. Zimmermann, wie Anm. 60, S. 614.<br />

96 Ders., ebd., S.610.<br />

97 Ders., ebd., S.614.<br />

98 Locher, Regesten, S. 201, Anm. 2; S.202, Anm. 4.<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Sprößlinge der Trochtelfinger Heidegg-Burg<br />

In der »Hohenzollerischen Heimat« 1967, 20-21 wurde von<br />

der ehemaligen Burg Heidegg auf der Trochtelfinger Haid<br />

(2,5 km nördlich der Stadt) und dann seit 1100 nachweisbaren<br />

hochadeligen Geschlecht der Herren von Heidegg (Haideck)<br />

berichtet. Ihm gehörten zwei Aebte des Klosters Reichenau<br />

im Bodensee an: Fridelo 1139-1159 und sein Bruder Ulrich<br />

von Haideck 1159-1174 und noch andere bekannte Glieder.<br />

vor dem 8. 4. 1525 Kloster Maria Medingen (Locher, Reg.)<br />

vor dem 9. 4. 1525 Lauingen (Locher, Reg.)<br />

zwischen dem 9. 4. Donauwörth und (Locher, Reg.)<br />

und 16. 4. 1525 dem Kloster Kaisheim (Baumann)<br />

am 17. 4. 1525 Kloster Aufhausen (Müller, S. 91)<br />

zwischen dem 16. 4. zwischen Dillingen<br />

und 23. 4. 1525 und Nördlingen (Locher, Reg.)<br />

am 29. 4. 1525 Obermässinger Berg (Jäger, S. 44 f.)<br />

am 5. 5. 1525 Kloster Kaisheim (Baumann)<br />

am 6. 5. 1525 Monheim (Müller, S. 133)<br />

am 12. 5. 1525 Donauwörth (Müller, S. 150)<br />

zwischen dem 27. 4. zwischen Eichstätt<br />

und 5. 5. 1525 und Hilpoltstein (Locher, Reg.)<br />

am 5. 5. 1525 Hilpoltstein (Locher, Reg.)<br />

am 15. 5. 1525 Kloster Neresheim (Müller, S. 150)<br />

am 17. 5. 1525 Stift Ellwang ;en und<br />

18. 5. 1525 Neresheim (Müller, S. 153)<br />

zwischen dem 7. 5. zwischen Lauchheim<br />

und 20. 5. 1525 und Crailsheim (Locher, Reg.)<br />

am 23. 5. 1525 Kloster Kaisheim (Baumann)<br />

99 Die Quellen werden anschließend zitiert. Erst nach der Ausgabe<br />

von Lochers Regestensammlung wurde der Bauernkrieg in Franken<br />

wissenschaftlich aufgearbeitet. In dem vorliegenden Aufsatz<br />

habe ich mich stark auf die Werke von Müller und Jäger gestützt.<br />

100 FAS-Glatt, 115, 3.<br />

101 Hist. Stätten in Bad.-Württ., 2. Aufl. 1980, S.557.<br />

102 Carl Jäger, wie Anm. 79, S. 32.<br />

103 FAS-Glatt, 115, 3.<br />

104 Ludwig Müller, wie Anm. 63, S. 133, don auch Anm. 2.<br />

105 Ders., ebd., S. 133.<br />

106 Günther Franz, wie Anm. 59, S. 349.<br />

107 Ludwig Müller, wie Anm. 63, S. 135.<br />

108 Carl Jäger, wie Anm. 79, S. 84 f.<br />

109 Ders., ebd., S. 86.<br />

110 Wilh. Zimmermann, wie Anm., S.615.<br />

111 Ders., ebd., S.616.<br />

112 Handbuch der Hist. Stätten Bad.-Württ., S.61.<br />

113 Carl Jäger, wie Anm. 79, S. 88.<br />

114 Günther Franz, wie Anm. 59, S. 349, ebenso Angaben dazu bei<br />

Carl Jäger, S. 87.<br />

115 Kesslers Bericht, wie Anm. 92, S.235.<br />

116 Wilh. Zimmermann, wie Anm.60, S.616.<br />

117 Joh. Knebels Bericht, in: F. L. Baumann, Quellen zur Geschichte<br />

des Bauernkriegs in Oberschwaben, ediert 1876 in Tübingen, neu<br />

herausgegeb. 1975 im Georg Olms Verlag, S. 260.<br />

118 Locher, Regesten, S. 201.<br />

119 F. L. Baumann, wie Anm. 117, S.260.<br />

Fortsetzung folgt<br />

Nachträglich fand sich im Wirtembg. UB 2,138 der 1161<br />

lebende Gerold von »Gaidege« (verschrieben) vor. Nun<br />

berichtete Dr. Dieter Deeg in seinem Buch 1 folgendes: »Ein<br />

Hademar von Heideck taucht am 10. Januar 1192 im Gebiet<br />

der heutigen Stadt Heideck (8548 bei Nürnberg) als Landbesitzer<br />

auf, dessen Vorgänger noch 1189 ein hochadeliger<br />

Swigger von Liebenstadt war.« Offenbar hat Hademar den<br />

13


Namen Heideck mitgebracht und darf m. E. als Gründer des<br />

Weilers u. der Burg Heideck gelten, woraus dann die Stadt<br />

Heideck erwuchs. Ich halte ihn für einen Abkömmling der<br />

Trochtelfinger »von Heidegg«, die sonst um 1180-1200 in die<br />

Schweiz abgewandert sind, wo durch sie die Burg Heidegg<br />

entstand. Noch einige Nachkommen Hademars, die eine<br />

Herrschaft Heideck errichteten, macht Deeg namhaft. Eine<br />

Annahme des genannten Verfassers (im Buch S. 36), der<br />

Name »Heide« weise auf ein Waldgebiet, kann nicht bewiesen<br />

werden! Heute freilich heißt Heide das Gelände rings um<br />

die Stadt Heideck, aber das beweist für das 12. Jahrhundert<br />

gar nichts! Heide und Wald sind nicht dasselbe. Die Trochtelfinger<br />

Heide (mundartlich »Haid« oder »Hoed«) zeigt keinen<br />

Waldbestand, sondern eben am südlichen »Eck« den bewaldeten<br />

Berg mit den schwachen Ruinen (Gräben und Erdhaufen)<br />

der heutigen »Hinteren Burg«, da Heidegg im J. 1311 von<br />

den Reutlingern mit dem Lichtenstein und anderen »Festen«<br />

zerstört wurde. Eine bürgerliche Familie Heidegger war (laut<br />

Merz-Hegis »Zürcher Wappenrolle« 1930, S. 153 f) in Zürich<br />

aus Nürnberg zugezogen. Ob zu dieser auch der am 25. Mai<br />

1976 verstorbene berühmte Freiburger Philosophieprofessor<br />

Dr. Martin Heidegger aus Meßkirch gehörte, ist nicht erwiesen.<br />

Seine Ahnen erforschte Herr Wilhelm Burth-Freiburg<br />

bis zum Jahr 1645 in Leibertingen beim Wildenstein, wohin<br />

sie aus dem »Lendlin ob der Ens« (Oeterreicht) gekommen<br />

seien. Die Nürnberger Heidegger kamen zweifellos vom<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Hirtenbrief und NS-Polizei<br />

Wer nach Abschluß des Konkordats zwischen der katholischen<br />

Kirche in Deutschland und der Hitlerpartei unter<br />

Kanzler von Papen geglaubt hatte, das Verhältnis zwischen<br />

Kirche und Staat würde sich friedlich gestalten, wurde bald<br />

eines anderen belehrt. Die katholische Kirche wurde mehr<br />

und mehr geknebelt. Als dann um's Jahr 1939 der Freiburger<br />

Erzbischof einen energischen Hirtenbrief an seine Gläubigen<br />

erließ, erhoben sich gleich schwerste Bedenken, ob diese<br />

Verlautbarung durch die Post den einzelnen Pfarrern zugestellt<br />

werden könne ohne staatlicherseits behindert und das<br />

Schriftstück gar beschlagnahmt werden könne. Im Landkapitel<br />

Sigmaringen beschloß der Klerus daher, das Schreiben der<br />

Kirchenbehörde heimlich unter der Hand zu verteilen. Der<br />

damalige geistliche Direktor des katholischen Waisenhauses<br />

Nazareth in Sigmaringen, Karl Kaupp (geb. 1887) stellte mir<br />

sein Auto zwecks heimlicher Verteilung des Hirtenschreibens<br />

zur Verfügung und so fuhr ich durch den Südteil des<br />

Dekanats und gab das Schreiben den geistlichen Mitbrüdern<br />

zum Verlesen ab. Mein eigenes Exemplar verwahrte ich nach<br />

Kenntnisnahme des Inhalts unter der Fußmatte meiner Pfarrkanzel<br />

in Dietershofen. Zu meinem größten Erstaunen, (ich<br />

meine sofort am selben Abend), erschien ein Polizist in<br />

Uniform im Pfarrhaus mit dem Befehl, er müsse das betreffende<br />

Schriftstück beschlagnahmen! Wer Anzeige erstattet<br />

hatte, weiß ich nicht. Ich erfuhr aber vom Beamten, er habe<br />

kurz zuvor dem völlig überraschten und erschreckten Mitbruder<br />

in Einhart, Pfarrer Viktor Burkhart (geb. 1884) den<br />

ihm durch mich zugestellten Hirtenbrief kurz aus der Hand<br />

genommen! Nun verlangte er auch mein Exemplar aufgrund<br />

eines polizeilichen Befehls. Ich erklärte ihm jedoch, meinem<br />

Bischof gehorchen zu müssen, mehr als der staatlichen Polizei.<br />

Doch er befahl: »Geben Sie das Schriftstück heraus! oder<br />

ich muß Anzeige erstatten!« Ich erklärte ihm »Ich tue meine<br />

Pflicht, tun Sie die ihre auch und suchen Sie den Brief!«<br />

14<br />

nahen Heideck. Nach freundlicher Auskunft des Staatsarchiv<br />

Sigmaringen vom 9. 2.1988 gibt es laut der Telefonbücher den<br />

Namen Heideker(!) heute in Blaubeuren, Ulm, Metzingen,<br />

Münsingen 16 mal, Reutlingen 5 mal, die wohl auf die<br />

Trochtelfinger Heideck zurückgehen dürften. Ob sie illegitime<br />

Nachkommen der Adeligen waren, oder lediglich<br />

Bebauer der Güter der 1311 abgegangenen Burg, wer will das<br />

entscheiden? Uber die bei Hitzkirch in der Schweiz stehende<br />

Burg Heidegg und deren Bewohner gab Herr Stefan Sonderegger<br />

am städtischen Archiv (Vadiana) in St. Gallen gütigst<br />

Auskunft aus dem »Genealogischen Handbuch der Schweiz«<br />

III, 309 f: Als älteste Nachricht erscheint ein Heinrich im<br />

Jahre 1185 »von Heidesche«, 1210 »H. der Ritter von Heideko«,<br />

1223 »von Heideka« mit einem gleichnamigen Sohn,<br />

der 1223 »Ritter von Heidekke« heißt und 1241 mit Gattin<br />

Elisabeth und mehreren Söhnen und Töchtern erwähnt wird.<br />

Das erste Wappen der »von Heidegg« (Schweiz) zeigte in gelb<br />

einen schwarzen Eisenhut, später den Schild gespalten von<br />

schwarz und gelb, als Kleinod ein Hörnerpaar in den Schildfarben,<br />

usw. Ihr Name »von Heidegg« deutet m. E. zweifelsfrei<br />

auf die Trochtelfinger Haid!<br />

Anmerkung:<br />

1 »Heideck, Stadt und Landschaft«, Nürnberg 1971, S ii und 35/36.<br />

Den Hinweis auf dieses Buch des Herrn Deeg verdanke ich Herrn<br />

Georg Fleischmann an der Heimatkundlichen Sammlung im<br />

Rathaus zu 8548 Heideck in Nähe von Nürnberg.<br />

Darauf griff der Beamte in die hintere Hosentasche, als hole er<br />

seine Pistole heraus, brachte jedoch nur ein Notizbuch<br />

zutage. Dann fragte er »Wie heißen Sie?« Ich antwortete:<br />

»Das wissen Sie so gut wie ich!«<br />

Doch habe ich den Mann vorher nie beachtet gehabt. Er<br />

erklärte, er werde Anzeige erstatten. Ich drauf: »Tun Sie ihre<br />

Pflicht, ich werde die meine auch tun, den Hirtenbrief<br />

bekommen Sie nicht!« Drauf verschwand er. Am Sonntag zog<br />

ich das Schriftstück unter der Fußmatte der Kanzel hervor<br />

und las den Inhalt vor. Ob die Parteimänner auch unter den<br />

Hörern waren, die Anstoß genommen hatten, daß ich die<br />

polnischen Zwangsarbeiter der Pfarrei hatte auch an unseren<br />

Gottesdiensten teilnehmen ließ und sie nicht hinauswies,<br />

blieb mir unbekannt.<br />

Die polizeiliche Anzeige erfolgte sofort gegen mich und die<br />

hohenzollerischen Mitbrüder, die dem Bischof gehorsam<br />

waren und zwar bei dem preußischen Regierungspräsidenten<br />

in Sigmaringen, der m. W. Simon hieß. Und bald folgte ein<br />

Strafbefehl über 300 Mark (wenn ich mich recht entsinne).<br />

Die benachbarten Badener, z.B. der Stadtpfarrer in Meßkirch<br />

und Umgebung, lasen den Hirtenbrief »aus Klugheit« nicht<br />

vor.<br />

Inzwischen erfuhr Stadtpfarrer Bogenschütz in Trochtelfingen<br />

durch einen Polizisten des benachbarten Mägerkingen,<br />

unser Strafbefehl sei widerrechtlich erfolgt auf Grund eines<br />

königlich württembergischen Strafgesetzbuchs vom Jahr<br />

1879, das unser Land Hohenzollern gar nichts anging. Das<br />

gab ein triumphierendes Hallo im hohenzollerischen Klerus<br />

und einen geharnischten Protest gegen die Strafverfügung.<br />

Wohl oder übel mußte der Herr Präsident in Sigmaringen<br />

oder sein Stellvertreter den Strafbefehl aufheben! Die Stimmung<br />

der Nazis darauf kann man sich vorstellen.


Buchbesprechungen<br />

Heinfried Wischermann, Romanik in Baden-Württemberg,<br />

340 Seiten, 195 teils farbige Tafeln und 57 Abbildungen,<br />

DM 98.- Konrad Theiss Verlag.<br />

Das Land Baden-Württemberg ist erst in jüngster Zeit entstanden<br />

und keineswegs eine einheitliche Kunstlandschaft.<br />

Der einführende Teil gibt deshalb einen Überblick über die<br />

Territorial- und Kirchengeschichtliche Entwicklung in fünf<br />

verschiedenen Zeiträumen, die von der merowingischen bis<br />

zur staufischen Epoche reichen. Das Buch zeigt den, aus der<br />

Romanik erhaltenen Bestand an Bauwerken, Bau-Plastiken<br />

und Wandmalereien. Der Bildteil enthält eine erstaunliche<br />

Fülle von Kunstwerken, wie man sie in unserem Land<br />

eigentlich nicht erwarten würde. Die meisten Fotos sind neu<br />

und sehr sorgfältig aufgenommen von Joachim Feist und<br />

Peter Fuchs. Im Katalogteil findet man einen Beschreibung<br />

der Objekte, ihre Geschichte und ihre kunstgeschichtliche<br />

Bedeutung. Aus Hohenzollern werden die drei berühmten<br />

Reliefs von der St. Michaelskapelle auf der Burg Hohenzollern<br />

gezeigt. Von Bietenhausen sieht man das romanische<br />

Tympanon mit seiner rätselhaften Inschrift. Größte Objekte<br />

aus romanischer Zeit in Hohenzollern sind die Weilerkirche<br />

bei Owingen und die St. Michaelskirche in Veringendorf.<br />

Während die Weilerkirche Beispiel einer Dorfkirche aus dem<br />

12. Jahrhundert ist, stellt die St. Michaelskirche eine Adelskirche<br />

aus dem 11. Jahrhundert dar. Neben Literaturangaben<br />

enthält der Katalogteil auch viele Abbildungen und Pläne. Ein<br />

umfangreiches Literaturverzeichnis am Schluß des Bandes<br />

regt zu weiterführender Lektüre an. Dankbar ist man für das<br />

Glossar, welches viele Fachausdrücke erklärt. Vermutlich<br />

wird dieses Buch bald in vielen Bücherschränken stehen,<br />

zumal es sich auch als anspruchsvolles Geschenk eignet. B.<br />

Jörg Biel, Vorgeschichtliche Höhensiedelungen in Südwürttemberg-Hohenzollern,<br />

Konrad Theiss Verlag, Stuttgart,<br />

DM 98.-<br />

Das Werk ist erschienen als Band 24 der »Forschungen und<br />

Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg«,<br />

herausgegeben vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg.<br />

Es handelt sich, das sei vorweggenommen, um ein<br />

Standardwerk, das für Jahrzehnte gültig sein wird. Weder<br />

Inhalt, noch Ausstattung lassen irgendwelche Wünsche<br />

offen. Die Arbeit von Biel wurde schon 1972 abgeschlossen;<br />

sie umfaßt das Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirkes<br />

Südwürttemberg-Hohenzollern. Die inzwischen erfolgten<br />

Veränderungen in der Gemeinde- und Kreiseinteilung sind<br />

jeweils angegeben.<br />

Berge wurden schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt, da<br />

sie trotz mancher Nachteile, den Bewohnern der Siedlung<br />

Schutz boten. Der Autor hat das teilweise recht verstreute<br />

Fundmaterial erfaßt und die einzelnen Fundstellen begangen.<br />

Es gelang ihm, für bestimmte Zeitabschnitte charakteristische<br />

Siedlungstypen herauszuarbeiten. Sie reichen von der<br />

»Schutzsiedlung« des Neolithikums bis zum »Herrensitz«<br />

der späten Hallstattzeit. Dazwischen gab es immer wieder<br />

Zeiträume, für die sich keine Höhensiedlungen nachweisen<br />

lassen. Die Höhensiedlungen innerhalb der verschiedenen<br />

Zeitabschnitte sind an Hand des Geländes und der Funde<br />

eingehend beschrieben. Zu den Nachbargebieten im weitesten<br />

Sinne (bis Ostfrankreich und Mitteldeutschland) werden<br />

Verbindungen hergestellt; Höhen- und Höhlenfunde sind in<br />

umfangreichen Listen dargeboten. Im Text findet man zahl-<br />

Johann Adam Kraus feierte<br />

das 60. Priesterjubiläum<br />

Am 11. März 1928 wurde J.A. Kraus zum Priester geweiht.<br />

Seine seelsorgerische Tätigkeit begann er in badischen<br />

und württembergischen Pfarreien. Im »Hohenzollerischen«<br />

war er Vikar in Burladingen, Kaplan in Bingen<br />

und 1938 Pfarrer in Dietershofen. Nach Kriegsdienst<br />

und Gefangenschaft kam er 1946 an das Erzbischöfliche<br />

Archiv in Freiburg. Zweifellos ein Amt, für das er als<br />

Theologe und Historiker aus Neigung die besten Voraussetzungen<br />

mitbrachte. Aus seiner Feder stammen<br />

mehr als 800 wissenschaftliche Aufsätze und Schriften.<br />

Kein anderer Autor ist in der Hohenzollerischen Bibliographie<br />

so oft verzeichnet, wie Johann Adam Kraus.<br />

Heute, im Alter von 84 Jahren, ist er der Nestor der<br />

Hohenzollerischen Geschichtsforschung. Schon in der<br />

dritten Nummer des »Zollerländle« schrieb stud. theol.<br />

J.A. Kraus aus Ringingen zwei Beiträge - über Ringingen<br />

natürlich. Mehr als 60 Jahre später erscheinen immer<br />

noch seine Beiträge in der »Hohenzollerischen Heimat«.<br />

Aber auch in Tageszeitungen meldet er sich oft zu Wort,<br />

wenn es zu einem historischen oder volkskundlichen<br />

Thema etwas anzumerken gibt. Schon vor Jahrzehnten<br />

hat er »Kärrnerarbeit« geleistet und durch Veröffentlichung<br />

von Regesten, Archivfunden, Genealogien, Pfarrerlisten<br />

usw. vielen Heimatforschern Material geliefert,<br />

das ihnen sonst nie bekannt geworden wäre.<br />

Wegen seiner Verdienste wurde J.A. Kraus schon vor<br />

Jahren Ehrenmitglied des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s.<br />

Er ist ein besonderer Förderer der Hohenzollerischen<br />

Heimatbibliothek in Hechingen. Er hat<br />

ihr nicht nur Geldspenden überwiesen, sondern auch<br />

viele alte und wertvolle Bücher und Archivalien überlassen.<br />

Die »Hohenzollerische Heimat« hat wohl am meisten<br />

Grund, sich bei Herrn Pfarrer Kraus zu bedanken.<br />

In 37 Jahren erschienen 148 Nummern und nur in ganz<br />

wenigen, ist kein Beitrag von Kraus zu finden. Aber auch<br />

mit Rat und Hilfe und nicht zuletzt mit erheblichen<br />

finanziellen Beiträgen hat er die »Hohenzollerische Heimat«<br />

gefördert. Dafür sei ihm hier besonders gedankt.<br />

Zum 60. Priesterjubiläum und zum 84. Geburtstag die<br />

herzlichsten Glückwünsche von der »Hohenzollerischen<br />

Heimat«, von ihren Lesern und von der Schriftleitung.<br />

Dr. Herbert Burkarth<br />

reiche Abbildungen und Pläne. Der Katalogteil umfaßt 120<br />

Seiten und ist mit vielen Luftbildern und Kartenausschnitten<br />

ausgestattet. Die Lage und Form jeder gesicherten oder<br />

vermuteten Höhensiedlung ist eingehend beschrieben, auch<br />

wann und von wem sie entdeckt wurde, ob Grabungen<br />

vorgenommen wurden und wo ev. Funde aufbewahrt sind.<br />

Die meisten erwähnten Funde sind auf den 162 Tafeln<br />

abgebildet. Sicher kann sich nicht jeder Interessent dieses<br />

Werk leisten. Es wäre jedoch wichtig, daß man es in möglichst<br />

vielen Bibliotheken finden würde. Jeder, der an der<br />

Geschichte seiner engeren Heimat interessiert ist, wird in<br />

dem Buch etwas finden. Es wird immer noch viel über<br />

angebliche »Volksburgen« phantasiert, hier erfährt man, was<br />

wissenschaftlich gesichert ist, und was für immer ins Reich<br />

der Fabel gehört. B.<br />

15


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

M 3828 F<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Museen und Galerien zwischen Neckar und Bodensee«<br />

Ein neuer Führer<br />

Daß es in Hechingen drei bedeutende Museen, in Haigerloch<br />

das Atom-Museum und in Saulgau die Galerie am Markt gibt,<br />

ist (hoffentlich) bekannt. Weniger bekannt dagegen dürfte<br />

sein, daß es in Melchingen ein Dorfmuseum, in Inzigkofen<br />

ein Bauernmuseum, in Hundersingen das Heuneburgmuseum,<br />

in Jungingen, Mengen, Meßkirch, Ostrach, Riedlingen,<br />

Sigmaringen und Veringenstadt Heimatmuseen gibt,<br />

oder daß Gruppen nach Voranmeldung das Schloß in Wiltingen<br />

besichtigen können. Diese Informationslücke hat der<br />

Arbeitskreis Heimatpflege im Regierungsbezirk Tübingen<br />

e.V. in Zusammenarbeit mit dem Regierungspräsidium<br />

Tübingen geschlossen, indem er einen sehr informativen und<br />

schön aufgemachten Führer herausgegeben hat, in dem auf 97<br />

Seiten, in überschaubarer Form etwa 150 Museen und 80<br />

Register 1987<br />

Bad Imnau, Erkerbau S. 21<br />

Buchbesprechungen:<br />

Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württbg. S. 48<br />

Beiträge zur Volkskunde in Baden-Württemberg S. 15<br />

Haigerlocher Fastnacht S. 15<br />

Gesammelte Grüße S. 32<br />

Kunst im Landkreis Sigmaringen S. 14<br />

Nautur, Heimat, Wandern Bd. Zolleralb S. 48<br />

Neue Musik in Donaueschingen S. 32<br />

Die Sprache des Ghettos ist schwäbisch S. 63<br />

Tübingen 1945, Chronik von Hermann Werner S. 14<br />

Thaddäus Trolls Schwäbische Schimpfwörterei S. 32<br />

O Hechingen Du traute, Film S.64<br />

Musik am Fürstenhof und Stift Hechingen (Schallplatte)<br />

S. 32<br />

Burladingen, Volkstümliches S. 48<br />

Erhaltung und Erforschung von Kleindenkmalen S. 63<br />

Frundsbürgle, Schnattere und Lägstein S. 47<br />

Gauselfingen, Holzschuhfabrikation S. 5<br />

Haigerloch,Fastnachtvom 15.-18.Jahrhundert S. 2<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der<br />

Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: 8.00 DM jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 65351050).<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

16<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

f Hans Hanner, Mannheim<br />

Rudolf Haug, Stadtamtsrat a. D.<br />

Am Hang 9, 7480 Sigmaringen<br />

Wolfgang Hermann<br />

Fischinger Straße 55, 7247 Sulz<br />

Pfr. Johann Adam Kraus<br />

Badstraße 8, 7800 Freiburg-Littenweiler<br />

Galerien vorgestellt werden. Die Angaben von Adresse,<br />

Öffnungszeiten, auskunftgebenden Stellen, Führungen,<br />

Höhe der Eintrittsgelder, Eignung für Kinder, vor allem aber<br />

eine Kurzbeschreibung der Sammlungen und jeweils ein Bild<br />

der Einrichtung erlauben eine gezielte Vorbereitung eines<br />

Besuches. Eine beigefügte Karte enthält die Standorte der<br />

Museen wie auch kunsthistorische Routen und Sehenswürdigkeiten.<br />

Der Museumsführer sollte in viele Hände gelangen.<br />

Seine Größe erlaubt es, ihn jederzeit mitzuführen, selbst<br />

bei Fahrradwanderungen. Auch ist der Preis so gehalten (9,80<br />

DM + Porto), daß sich jeder sofort ein Exemplar beim<br />

Arbeitskreis Heimatpflege im Regierungsbezirk Tübingen<br />

e.V., Geschäftsstelle: Regierungspräsidium Tübingen, Nauklerstr.<br />

47, 7400 Tübingen 1, bestellen sollte.<br />

Hechingen, Kollegialstift S. 17<br />

Hechinger Synagoge S. 1<br />

Hohenzollerische Landesbahn u. Entw. d. gewerbl. Wirtschaft<br />

S. 49<br />

Hohenzollerische Landesbahn i. d. Zeitgesch. S. 23<br />

Hohenzollern, Fürsten u. ihr Füsilierregiment S. 9<br />

Junginger Heimatmuseum S. 30<br />

Killer, Goldmünzen in der Kirche S. 31<br />

Langenenslingen, Orgel S. 40<br />

Meidelstetten, Burg S. 48<br />

Meister von Meßkirch S.28<br />

Meister von Meßkirch, Londoner Rundscheibe S. 13<br />

Namenskunde:<br />

Simmendinger S. 29<br />

Hipp S. 30<br />

Neufra, Grabmal des Albrecht Speth S. 3 7<br />

v. Neuneck, Reinhart S. 42 S. 60<br />

Oberwachingen, Scharfrichter S. 6<br />

Ringinger Rausse S.57<br />

Ringinger Schächerchristus S. 58<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen Telefon 07574/4211<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herausgegeben vom<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

38. Jahrgang Nr. 2/Juni 1988<br />

Bruderschaftsstatue des Heiligen Sebastian in Hechingen. Höhe 1,25 m, Lindenholz. Um 1500


OTTO WERNER<br />

Die Sebastiansbruderschaft in Hechingen<br />

Von den Seuchenpatronen des Mittelalters (Christopherus,<br />

Rochus 1, Sebastian) erhebt sich besonders der hl. Sebastian<br />

und sein Kult im Spätmittelalter und zu Beginn der Neuzeit<br />

zu großer Volkstümlichkeit. Sebastian wurde wohl wegen<br />

seiner Todes- oder Darstellungsart, den Pfeilen, zum Pestpatron.<br />

Die Pest selbst wurde gewöhnlich durch Pfeile angedeutet,<br />

die vom Himmel geschleudert werden 2.<br />

Satzungsurkunde<br />

Am Sonntag nach dem Dreikönigstag des Jahres 1513 kamen<br />

der Pfarrer von Hechingen. Meister (= Magister) Hans<br />

Vögelein. Bürgermeister Claus Held(en) und der andere<br />

Pfleger der Bruderschaft zu Graf Franz Wolfgang von Zollern<br />

und zeigten ihm an, daß sie zusammen mit anderen eine<br />

Bruderschaft zum Lob des allmächtigen Gottes, der himmlischen<br />

Königin und reinen Mutter Maria und des ganzen<br />

himmlischen Heeres, besonders aber zur Ehre des heiligen<br />

Himmelsfürsten und Märtyrers Sebastian gegründet hätten.<br />

Sie baten ihn, eine Urkunde über ihre Satzung auszustellen<br />

und zu siegeln. Die Artikel der Satzung sollten für alle<br />

Mitglieder der Bruderschaft verbindlich und rechtsgültig<br />

sein.<br />

Die einzelnen Artikel der Satzung<br />

Die einzelnen Artikel der Satzung besagen: Der Pfarrer oder<br />

ein anderer Priester verkündete alljährlich am Sonntag vor<br />

Sebastian zuerst in der Pfarrkirche St. Luzen und hernach in<br />

der Kapelle zu Unserer Lieben Frau die Bruderschaft, d. h. er<br />

kündete für den 20. Januar den Bruderschaftstag an.<br />

Am Sebastianstag selbst, am 20.Januar also, wurden die<br />

Namen aller lebenden wie toten Brüder und Schwestern der<br />

Bruderschaft in der Kapelle Unserer Lieben Frau verlesen.<br />

Außerdem begingen die Mitglieder den Jahrtag für alle<br />

Brüder und Schwestern und die Wohltäter, ob sie noch am<br />

Leben oder aus dieser Zeit geschieden waren, mit einem<br />

gesungenen Seelenamt und einem Amt zum Gedächtnis des<br />

hl. Sebastian. Diese beiden Amter feierte die Bruderschaft mit<br />

allen Chorherren des Stifts ebenfalls in der Kapelle zu<br />

Unserer Lieben Frau. Dabei trugen die Frauen brennende<br />

Kerzen, die von den Pflegern oder Kerzenmeistern beschafft<br />

worden waren. Den beiden Ämtern sollten alle Mitglieder,<br />

aber auch, wer neu aufgenommen werden wollte, in bruderschaftlicher<br />

Liebe beiwohnen und zu opffer geen. Jeder<br />

Chorherr las anschließend noch eine hl. Messe an einem von<br />

ihm ausgewählten Altar. Andere Priester aus der Umgebung,<br />

die der Bruderschaft angehörten, lasen zum Trost der Lebenden<br />

und Toten der Bruderschaft ebenfalls eine Messe in der<br />

Kapelle zu Unserer Lieben Frau in Hechingen oder in ihrer<br />

Kirche.<br />

An allen Fronfasten (das war mittwochs, freitags und samstags<br />

nach Aschermittwoch, Pfingsten, Fest Kreuzerhöhung<br />

und Fest hl. Lucia beteten die Brüder und<br />

Schwestern 15 Vaterunser, 15 Ave Maria und ein Glaubensbekenntnis<br />

zum Lobe und zur Ehre der Leiden des Herrn und<br />

als Hilfe und zum Trost der lebenden und toten Mitglieder.<br />

Die Priester jedoch, die Mitglieder der Bruderschaft waren,<br />

lasen an den Fronfasten hl. Messen. Mittwochs an den vier<br />

Fronfasten sang ein Priester, den die Pfleger dazu auswählten<br />

oder darum baten, zum Gedächtnis der Brüder und Schwestern,<br />

die der Bruderschaft Gutes getan (- z. B. eine Stiftung<br />

vermacht hatten -) ein Seelenamt. Zur Teilnahme an diesen<br />

Jahrzeiten waren die Mitglieder nicht verpflichtet.<br />

18<br />

Starb ein Bruder oder eine Schwester, so war dies den<br />

Pflegern in Hechingen zu melden. Diese veranlaßten, daß mit<br />

allen Glocken zwei Zeichen gegeben wurden. Zwei Priester<br />

hielten in der Kapelle Unserer Lieben Frau Vigil und lasen<br />

tags darauf die Messe; die Teilnahme daran war für die<br />

Mitglieder nicht verpflichtend.<br />

Kommen wir nun zur Organisation der Bruderschaft, denn<br />

diese war durchaus nicht eine bloß lose Vereinigung, sondern<br />

festgefügt.<br />

Am Jahrtag mußten die Pfleger vor allen Brüdern Rechnung<br />

legen und die Einnahmen und Ausgaben nachweisen. Dann<br />

wählten die Anwesenden zwei neue Pfleger, denen die bisherigen<br />

das Bargeld und die Ausstände zu übergeben hatten.<br />

Die Überschüsse wurden zum Nutzen der Bruderschaft<br />

angelegt. Die Pfleger oder Kerzenmeister sollten der Bruderschaft<br />

frumen vnnd nutzen schaffen und schaden (von ihr)<br />

wennden.<br />

Beim Eintritt in die Bruderschaft und jedes Jahr am Bruderschaftstag<br />

war von jedem Mitglied ein Beitrag (ain Behemisch)<br />

zu entrichten, um die Bruderschaft in ihrem Bestand<br />

zu sichern. Ehefrauen von Mitgliedern waren beitragsfrei.<br />

Von den jährlichen Beitragszahlungen befreite die einmalige<br />

Zahlung in Höhe eines Guldens (Böhmisch). Der Leibfall<br />

beim Tod eines Bruders und einer Schwester betrug drei<br />

Schilling Kreuzer.<br />

Wer am Bruderschaftstag wegen zu weiter Entfernung oder<br />

aus anderen Gründen nicht teilnehmen konnte, sollte dies den<br />

Pflegern melden und seinen Beitrag zahlen, als wäre er<br />

anwesend. Er sollte auch von sich aus an einer Meßfeier<br />

teilnehmen.<br />

Konnte jemand am Jahrtag seinen Beitrag nicht entrichten, so<br />

hatte er die Pfleger um Aufschub und um einen neuen Termin<br />

zu bitten. Die Beitragszahlung mußte aber vor dem neuen<br />

Bruderschaftstag erfolgen, sonst verfiel man der Strafe.<br />

Ebenso verfiel der Strafe von einem Schilling Heller, wer<br />

nicht zum Jahrtag erschien und dies den Pflegern nicht<br />

meldete oder um keinen späteren Zahlungstermin nachsuchte.<br />

Falls ein Bruder oder eine Schwester so weit fortzog, daß er<br />

die jährliche Abgabe nicht abliefern konnte, sollte er bzw. sie<br />

ihn mit einem halben Gulden ablösen; damit war man von<br />

ferneren Beitragszahlungen befreit. Den Leibfall mußte man<br />

aber entrichten.<br />

Die Beiträge und Strafen konnten von den Pflegern noch<br />

geistlichem und weltlichem Recht eingefordert werden. Wer<br />

drei Jahre lang seinen Beitrag (und die Strafe) nicht bezahlte,<br />

wurde am Bruderschaftstag von den Pflegern öffentlich<br />

bekanntgegeben und ausgeschlossen. Die verfallenen Beiträge<br />

und Strafen wurden aber eingetrieben.<br />

Die Statuten waren von Bischof Hugo von Hohenlandenberg<br />

genehmigt 3.<br />

Anlaß zur Gründung und zur Erneuerung<br />

Anlaß zur Gründung wie zur Erneuerung der Sebastiansbruderschaft<br />

in Hechingen waren Zeiten einer Pestepidemie.<br />

Eine solche Pestzeit darf vor dem Jahr 1513 angenommen<br />

werden 4.<br />

In den Pestjahren 1610 und 1611, in denen auch der neue<br />

Hechinger Pfarrer Magister Paulus Breinlin gleich zu Anfang


der Epidemie dahingerafft wurde, taten sich in der Kranken-<br />

seelsorge besonders Stadtpfarrer Melchior Seitz und der<br />

junge Kanoniker Gall Buckenmayer hervor 5. Sie erneuerten<br />

die Sebastiansbruderschaft; Gall Buckenmayer und Schult-<br />

heiß Michael Maysing wurden zu Pflegern gewählt 6.<br />

Sebastiansreliquie und Bruderschaftsstatue<br />

Besonders verehrt wurde die Sebastiansreliquie: ein Zahn des<br />

hl. Sebastian. - Dazu eine kleine Begebenheit: Im Jahre 1699<br />

traten die Metzger geschlossen in die St. Sebastiansbruder-<br />

schaft ein. Am Metzgertag wurde der ganzen Zunft der Zahn<br />

des hl. Sebastian zum Kusse gereicht.« 7<br />

Die Sebastiansbruderschaft bestand bis ins 19. Jahrhundert.<br />

Unterlagen der Sebastianspflege sind bis zum Jahre 1850<br />

erhalten 8.<br />

Die noch erhaltene Lindenholzstatue 9 des hl. Sebastian war<br />

die Bruderschaftsstatue. Sie stammt aus der Zeit der Entste-<br />

hung der Bruderschaft 10.<br />

Anmerkungen<br />

' Der hl. Rochus war der Schutzheilige der Weber. Der Jahrtag war<br />

am 16. August, am Tag nach Maria Himmelfahrt, dem Rochustag.<br />

Auf ihrem Zunftsiegelstock ist er mit ekelhaften Beulen neben<br />

einem die Beulen öffnenden Engel dargestellt. - Städtisches<br />

Museum Hechingen, 84/1528 (undatiert).<br />

2 Auf dem am Ende des 15. Jahrhunderts entstandenen Tafelbild in<br />

der Pfarrkirche von Oeningen Krs. Nördlingen, einer ehemaligen<br />

Sebastianskapelle, findet sich eine Darstellung Gottvaters, der mit<br />

einem Bogen Pestpfeile auf die sündige Menschheit sendet. Das<br />

dazugehörige Spruchband wiederholt die Ankündigung der Sündflut<br />

(Gen 6,7); zu deutsch: »Ich will den Menschen, den ich<br />

erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh,<br />

die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie<br />

gemacht zu haben.« Auf der Erde liegen die Opfer von Gottes<br />

Zorn: Pesttote aus dem weltlichen und geistlichen Stand. Links<br />

und rechts Maria und Sebastian als große Gestalten dargestellt, die<br />

vor der Pest schützen können, wer sich ihnen im Gebet zuwendet.<br />

3 Lagerort der Gründungsurkunde: Pfarrarchiv Hechingen,<br />

Urkunden, Ausstellungen: Graf Franz Wolfgang von Zollern.<br />

Datum: Sonntag nach dem hl. Dreikönigstag des Jahres 1513.<br />

4 In dem Verbesserungsvorschlag der Vormünder der Kinder des<br />

verstorbenen Grafen Franz Wolfgang 1520 an den Bischof von<br />

Konstanz heißt es, daß der Kanoniker Michael Zimmermann seine<br />

drei Amter »besonders bei Sterbensläuten und grassierender Pest«<br />

nicht zugleich versehen könne. - Siehe Johann Adam Kraus, Vom<br />

Collegialstift Hechingen, in: Hohenzollerische Heimat, 1954, S.<br />

44.<br />

5 über letzteren heißt es, daß »er sich anno 1611 in den großen<br />

Sterbensläufen bei männiglich (= jedermann) sowohl Tags als<br />

Nachts mit allem Eifer und Fleiß nit allein, sondern auch in der<br />

Kirche so eifrig verhalten, daß jedermänniglich ein sonders Belie-<br />

OTTO WERNER<br />

Fastnachtstanz der Juden im Jahre 1827<br />

Vermutungen<br />

Die Notiz in der Chronik der Stadt Hechingen unterm Jahr<br />

1827. Der Stadtpfarrer beklagte sich über einen Fastnachts-<br />

tanz der Hechinger Juden in der Kirche des aufgehobenen<br />

Klosters St. Luzen 1 erregte meine Aufmerksamkeit. Bei der<br />

Unzuverlässigkeit mancher Angaben in der »Chronik der<br />

Stadt Hechingen« mußte die Notiz mit der gebotenen Vor-<br />

sicht aufgenommen werden. Eine Nachprüfung war ange-<br />

zeigt. Was konnte nicht alles vermutet werden:<br />

Hechinger Sebastians-Reliquie<br />

ben für ihn gehabt und zum Seelsorger haben vorgeschlagen.«<br />

6 Ein Hechinger Stadtpfarrer in Pest-, Hungers- und Kriegsnot. In:<br />

Der Zoller, Nr. 125 v. 2.Juni 1919.<br />

7 Heinrich Fassbender, Aus der Geschichte des Hechinger Handwerks.<br />

1933. Ms. - Fassbender lieferte folgende Beschreibung der<br />

1933 im Pfarrhaus verwahrten Reliquie: »Sebastiansreliquie: 7,5<br />

cm hoch und breit; die Grundplatte ist Silber-vergoldet; der Zahn<br />

freistehend in Silber gefasst: vorne reiche Silberornamente aufgelegt,<br />

dazu vier Edelsteine.« Auf der Rückseite »Inschrift: Ren<br />

1729 Sancte Sebastian Ora Pro Nobis.« - Lageron: HHBH,<br />

K. 906, S. 10 und 26.<br />

8 Siehe Pfarrarchiv Hechingen /St. Luzen, Behälter 4.<br />

9 gefaßt: h = 1,25 m.<br />

10 Im Kunstdenkmälerwerk lautet die Beschreibung: »Um 1500. Das<br />

Lendentuch und die vor dem Körper gekreuzten Arme sind um<br />

einen dünnen Baumstamm gelegt, das Haupt reich gelockt, der<br />

linke Fuß vorgestellt.« - Siehe Walter Grenzmer (Hrsg.), Die<br />

Kunstdenkmäler Hohenzollerns. Erster Band: Kreis Hechingen.<br />

Hechingen, 1939, S. 161.<br />

in der Kirche St. Luzen?<br />

- War nach der Säkularisation und dem Auszug bzw. Aus-<br />

sterben der Franziskanermönche 2 nicht nur das Kloster,<br />

sondern auch die St. Luzenkirche einer fremden Bestimmung<br />

übergeben worden?<br />

- War sonst ein organisiertes Ereignis wie ein Fastnachtstanz<br />

mit Musikern und Tanzpaaren durchführbar?<br />

- Wie aber konnte sich dann der Hechinger Stadtpfarrer - es<br />

19


muß zu jener Zeit Severin Fuchs gewesen sein - darüber<br />

beschweren? Bei wem reichte er die Klage ein?<br />

- War der religiösen Minderheit der Juden zuzutrauen, in<br />

eine christliche Kirche einzudringen und dort einen Fastnachtstanz<br />

abzuhalten?<br />

- Handelte es sich überhaupt um einen Fastnachtstanz? Die<br />

Juden hätten einen Tanz an Fastnacht doch wohl nur in<br />

Verbindung mit dem Narrentreiben der Christen durchgeführt?<br />

- Handelte es sich möglicherweise um ein nur jüdisches Fest,<br />

um einen Purimball etwa? Das Losfest (Purim), das in die<br />

Monate März/April fällt, ist ein besonders fröhliches, ja<br />

ausgelassenes Fest. Angelehnt ist es an die Ereignisse, die im<br />

Buch Esther geschildert werden. Es berichtet über die Begebenheiten,<br />

die sich vor etwa 2000 Jahren im Perserreich<br />

zugetragen haben. Damals konnte sich die dortige jüdische<br />

Gemeinschaft vor einer drohenden Ausrottung retten. Seitdem<br />

wird das Fest vor allem in Deutschland und in einigen<br />

Ländern Europas, wie etwa Fasching begangen 3. Wie konnte<br />

der Sachverhalt aufgeklärt, die »Wahrheit« herausgefunden<br />

werden? Woher hatte der Chronist seine Informationen? Die<br />

bisherigen Darstellungen von Max Heinrichsperger bis Karl<br />

Mors gehen über diesen Zeitraum allzu raffend hinweg 4.<br />

Das Ärgernis gelangt Generalvikar Wessenberg in Konstanz<br />

zu Ohren<br />

Bei der Einlagerung und Verzeichnung von Akten im Archiv<br />

der Pfarrei St.Jakobus Hechingen 5 stieß ich auf ein Bündel<br />

mit der Aufschrift Religion und Seelsorge. Betreff: Ärgernisse<br />

6. Darin fand ich denn auch ein Schreiben des Bistumsverwesers<br />

Ignaz Heinrich Wessenberg 7 vom 15. Juni 1827, in<br />

dem er sein Erstaunen darüber äußert, daß den Juden am<br />

Pfingsttag und sogar während des Gottesdienstes in St. Luzien<br />

ein Tanz gestattet werden konnte, und vom Hechinger<br />

Stadtpfarrer einen genauen Bericht von dem wahren Hergang<br />

der Sache anfordert. Er fragt an, was anzuordnen sei, um<br />

künftig derartige Ärgernisse zu vermeiden, oder ob die<br />

Kirche gar als entweiht anzusehen sei.<br />

Im »Auszug« ist ein ihm zugestellter Brief wiedergegeben; er<br />

lautet:<br />

Es war am Pfingsttag, wo in Hechingen gegen alle sonst<br />

christliche Staaten in dem ehemaligen Kloster St. Luzian die<br />

Juden einen Tanz hielten. Mit außerordentlichem Lärmen<br />

und Getöße zogen sie in den Gängen des Klosters umher,<br />

während der Kaplan Kohler, der in der Kirche pfarrliche<br />

Verrichtungen zu erfüllen hat, beicht saß. Die Juden 50 an der<br />

Zahl giengen von der talmudischen Lehren begeistert mit<br />

ihren Mädchen in die Kirche, giengen daselbst mit Getöß und<br />

Gelärm auf und ab, während Kaplan Kohler zu beicht saß,<br />

dieser stund auf und geboth den Juden Ruhe und Stille; diese<br />

aber drohten ihm mit ihren Fäusten, überhäuften ihn mit allen<br />

möglichen Schimpfnamen und zwangen ihn mit seinen<br />

Beichtkindern in die Sakristey zu flüchten - während er selber<br />

zuschloß - holten die Juden ihre Musigkanten fiengen an zu<br />

tanzen, u. alle möglichen unsittliche Unfuge in der Kirche zu<br />

treiben, und zuletzt die Altäre und Beichtstühle zu beschmeißen.<br />

Kohler lief um Hilfe, und endlich wurden sie abgeführt, und<br />

sitzen in der Rathsstube zu Hechingen gefangen, wurden mit<br />

Uberfluß von Speiß und Trank versehen, und zeigen in dem<br />

Arrest den Triumpf über eine christliche Kirche im 19. Jahrhundert.<br />

Demnach hat das Ereignis an Pfingsten 1827 stattgefunden.<br />

Also: Ein Purimball kann es ebensowenig gewesen sein wie<br />

ein Fastnachtstanz. Stutzig macht uns auch die Aufforderung<br />

Wessenbergs an Stadtpfarrer Fuchs, den wahren Hergang der<br />

20<br />

Sache zu berichten. Traut Wessenberg dem Briefschreiber<br />

nicht zu, den Sachverhalt objektiv darzustellen? Mißtraut er<br />

ihm? (Später erfahren wir durch Stadtpfarrer Severin Fuchs 8,<br />

daß der Vorfall ganz entstellt und unrichtig an das Generalvikariat<br />

berichtet worden sei.)<br />

Der Briefschreiber: Joseph Glatz<br />

Im Erzbischöflichen Archiv Freiburg war dann auch der<br />

Briefschreiber zu ermitteln 9. Wer war Joseph Glatz? Er kam<br />

am 5. März 1776 in Haigerloch zur Welt. Ordiniert wurde er<br />

am 15. September 1800. Am 20. Oktober 1800 trat er die Stelle<br />

als Nachprediger 10 in Sigmaringen an. Später war er Stadtkaplan<br />

und Professor in Hedingen, seit 3. Mai 1830 Pfarrer in<br />

Hausen am Andelsbach. Gestorben ist er am 24. Dezember<br />

1839".<br />

In einem umfangreichen »Handbuch der Erziehung und<br />

Bildung des Menschen zur Religion nach den Bedürfnissen<br />

unserer Zeit«, das Joseph Glatz 1818 veröffentlichte 12, führt<br />

er als Paragraph 120 an: Es ist Pflicht - Niemanden zu<br />

verläumden. Er sagt darin: Der Verleumder haßt seine Mitmenschen,<br />

schaut sie mit scharfspähendem Blicke von allen<br />

Seiten an, und denkt: unter so vielen Schritten, unter so vielen<br />

Handlungen wird doch eine seyn, die die Probe nicht aushält,<br />

welche man aus einem widrigen Gesichtspunkte betrachten<br />

kann, - die man verdrehen, vergrößern, verkleinern könne -<br />

es gelingt dem Verläumder, mit Freuden läuft er von Haus zu<br />

Haus, von Gesellschaft zu Gesellschaft, schüttet das Gift aus,<br />

tausend verschlingen es begierig, und speien es dann mit<br />

tausend Zusätzen wieder aus 13. - Jedoch vertritt Glatz darin<br />

auch die Meinung, daß es Fälle giebt, wo es sogar Pflicht für<br />

den Menschen ist, die böse Seite eines Mitmenschen aufzudecken.<br />

Allerdings fordert er dabei die strengste Wahrheiten<br />

- der Christ hütet sich sorgfältig seinem Nebenmenschen<br />

nicht 14 Unrecht zu thun - er sagt nicht mehr und nicht<br />

weniger, als er genau weiß; wie er ihn kennt, so spricht er, und<br />

hütet sich namenlose Sagen, pöbelhaftes Gepläuder, und<br />

täuschende Vermuthungen für Gewißheit auszugeben 15.<br />

Am 9. Juni 1827 nun schrieb Joseph Glatz aus Sigmaringen an<br />

Generalvikar Wessenberg. Aus dem vollen Wortlaut seines<br />

Briefes geht hervor, daß er sich verpflichtet fühlte, den Vorfall<br />

dem Bistumsverweser bekanntzumachen. Er schreibt, er sei<br />

weit entfernt Euer Excellenz eine Maßregel vorzuschlagen,<br />

doch rückt er im selben Satz damit heraus: die Schließung der<br />

Kirche des ehemaligen Franziskaner-Klosters St. Luzen.<br />

Außerdem regt er an, die Sache von einer geistlichen Regierung<br />

untersuchen (zu) lassen, um so mehr, da es in einem<br />

Ländchen ist, wo nicht nur kein Gesetzbuch sondern nicht<br />

einmal die Rede von einer Verfolgung sei. Nun wissen wir<br />

nicht, woher Joseph Glatz von dem Geschehen Kenntnis<br />

hatte. Wir wollen ihm zugute halten, daß er davon vom<br />

Hörensagen erfuhr und ihm keine bewußte Falschdarstellung<br />

unterstellen. Offensichtlich wird jedoch, daß er gegen die<br />

Regierung des Fürstentums Hohenzollern-Hechingen negativ<br />

eingestellt war und ihr nicht zutraute, den Vorgang<br />

objektiv zu untersuchen und gerecht zu entscheiden. Ja, er<br />

meint sogar, man werde ihn in der Stille unterdrücken, und<br />

die jüdisch gesinnte und bestochene Afterregierung selbe (die<br />

Juden) so galand als möglich zum Ärgerniß des christlichen<br />

Volkes behandeln 16.<br />

Versuchen wir noch, aus seinem bereits erwähnten Werk<br />

seine Einstellung zu den Juden herauszufinden. In Paragraph<br />

73 »Juden Denkmäler erfüllter Weissagungen« schreibt<br />

er: Die ersten Bekenner Jesu hatten die Juden, ungeachtet<br />

ihrer hartnäckigen Verwerfung der christlichen Lehre, die<br />

ihnen so manche traurige Empfindung erregten, doch lieb,<br />

und sprachen bey jeder Gelegenheit mit Achtung von ihnen,<br />

entschuldigten sogar selbst ihren falschen Religionseifer<br />

gegen die Christen. Von diesem sind die Christen selbst in


unseren Tagen weit entfernt geblieben. Sie hatten oft nicht<br />

einmal die Achtung gegen sie, welche ihnen als Menschen<br />

gebührt, und entschuldigten gern jede Mißhandlung, Beeinträchtigung<br />

eines Juden, weil sie ja nur einem Juden widerfahren<br />

sey; schon dem Herzen der zarten Jugend ward eine<br />

Geringschätzung dieses Volkes, ja ein gewißer Abscheu vor<br />

demselben eingepflanzt, vermöge welchem man sich gegen<br />

einen Israeliten manches in Wort und That erlaubte, was man<br />

gegen einen andern Menschen nie gewagt hätte. Wenn man<br />

noch den entehrenden Leibzoll, in Erwähnung bringt welchen<br />

man von ihnen in vielen Ländern forderte, und wodurch<br />

sie in eine Klasse mit dem unvernünftigen Vieh gesetzt<br />

wurden, so kann man gewiß dieses Betragen für keine<br />

Einladung ansehen, welche die Juden zur Annahme des<br />

Christenthums bewogen hätten, ja vielmehr den Juden alle<br />

Lust benahm, Christen zu werden 17. - Nein, von einem Haß<br />

gegen die Juden kann nicht die Rede sein.<br />

Der Bericht von Stadtpfarrer Severin Fuchs<br />

Am 28. Juni 1827 berichtete Stadtpfarrer 18 Severin Fuchs den<br />

wahren Hergang der Sache an das Generalvikariat nach<br />

Konstanz.<br />

Die Sache verhält sich so: Ein großer Theil der Klostergebäude<br />

sammt dem anliegenden Garten ist verpachtet. Der<br />

Pächter hat das Recht, ein Wirthshaus zu halten. Daher<br />

geschieht es, daß zu verschiedenen Zeiten viele Leute dahin<br />

kommen, und sich so betragen, wie es in gemeinen Wirthshäusern<br />

gewöhnlich ist. Auch wird vielleicht dieses Klosterwirthshaus<br />

darum gern besucht, weil die größern Gebäulichkeiten<br />

und der Garten manche erwünschten Schlupfwinkel<br />

und verborgenen Orte darbieten. An den Sabbaten kommen<br />

nun gewöhnlich auch viele Juden in dieses Wirthshaus. So<br />

war es am Vorabend vor Pfingsten als an den jüdischen<br />

Sabbat, an welchem sich eine große Menge Juden da einfand.<br />

Und dieser Vorabend, nicht der Pfingsttag selbst, war es, an<br />

welchem Nachmittags sich der fragliche Vorfall folgendermaßen<br />

ereignete:<br />

Die Juden zerstreuten sich in den Klostergängen und in dem<br />

Garten, und überließen sich der lärmendsten Lustbarkeit. Es<br />

kamen auch ein Paar Pfeifer, welche sogleich einen Tanz<br />

veranlaßten: ohne Wissen und Bewilligung der Polizey.<br />

Pfingsten ist eine Zeit, wo dahier viele Christen wieder zur<br />

Kommunion gehen, von denen die meisten am Vorabende<br />

ihre Beicht verrichten. Da man weiß, daß ein Geistlicher in<br />

St. Luzien wohnt, so kommen gewöhnlich auch einige in<br />

diese Kirche, um zu beichten, was eben am Pfingstsamstage<br />

der Fall war. Der Lärm in den Klostergebäuden und im<br />

Garten, welcher die Kirche umgibt, war nun so groß, daß in<br />

der Kirche keine hl. Verrichtung vorgenommen werden<br />

konnte; obschon kein einziger Jude in der Kirche sich befand.<br />

Der Kapitelvikar Koler, der da war, entließ also die Beichtleute,<br />

und beschied sie auf den Pfingsttag in der Frühe, was<br />

sich die Leute auch gern gefallen ließen. H. Koler begab sich<br />

am nämlichen Samstage noch einige Male vom Kloster aus auf<br />

die Emporkirche 19, um zu sehen, ob nicht noch andere<br />

Beichtleute gekommen seyen, und um ihnen den nämlichen<br />

Bescheid, wie den vorigen zu geben. Einmal sah er auch drey<br />

oder vier Paar Juden in der Kirche, welche die Bilder und<br />

Gemälde besichtigten, und ihre vielleicht unanständigen<br />

Bemerkungen dazu machten. Er hieß sie hinausgehen, was sie<br />

auch sogleich ohne Widerrede thaten. Dieß letzte ist alles, was<br />

von den Juden in der Kirche geschah.... Später am nämlichen<br />

Tage kamen noch ein Paar alte Personen, um zu beichten.<br />

H. Koler wollte diese nicht auch fortschicken; er nahm sie in<br />

die Sakristey, um da ihre Beicht anzuhören. Allein der Lärm<br />

hinderte ihn auch hier; zudem fand er noch die Sakristey von<br />

den Juden verunreinigt. Das empörte ihn. Er verließ die Leute<br />

und die Sakristey, begab sich im Kloster unter ein Fenster,<br />

und rief von da den Juden in den Garten hinab, wo ein großer<br />

Theil derselben versammelt war, zu um ihnen Ordnung und<br />

Ruhe zu gebieten, indem er ihnen vorstellte, daß er durch sie<br />

in seinen Amtsverrichtungen gänzlich gestört werde. Hier<br />

war es nun, wo die Juden seiner spotteten, und ihm wirklich<br />

mit den häßlichsten unwürdigsten Schimpfworten begegneten.<br />

H. Koler brachte sogleich seine Klage bey mir an, und ich<br />

traf die Einleitung, daß die Sache zur Kenntniß der Obrigkeit<br />

gelangte. Diese hat den Vorfall genau untersucht. Die Juden<br />

sind zur verdienten Strafe gezogen, und Herrn Koler ist<br />

gebührende Genugthuung geleistet worden. Dieß ist die<br />

ganze Geschichte.<br />

unterthänigst gehorsamster<br />

Fuchs Stadtpfarrer 20.<br />

Die verdiente Strafe<br />

Schon aus dem Brief von Joseph Glatz wird deutlich, daß die<br />

beteiligten Juden wegen des Vorfalls von der Polizei vorläufig<br />

festgenommen, abgeführt und in der Ratsstube (vermutlich<br />

zum Verhör) festgehalten wurden 21. Stadtpfarrer Severin<br />

Fuchs berichtet dann an Wessenberg, daß er - nachdem ihn<br />

Kapitelskaplan Kohler von dem Vorfall informiert hatte - die<br />

Obrigkeit verständigte, und diese den Vorfall genau untersucht<br />

habe und die Juden zur verdienten Strafe gezogen<br />

worden seien. Kaplan Kohler gegenüber mußten sie sich<br />

entschuldigen 22.<br />

Die Befürchtung des Joseph Glatz, die Angelegenheit werde<br />

unter den Teppich gekehrt, traf also nicht zu.<br />

Schließung der St. Luzenkirche und anderweitige Verwendung?<br />

In St. Luzen befand sich neben der Kirche und dem Kloster<br />

ein Bräuhaus 23 und ein Stall und eine Remise 24. Der Klosterbesitz<br />

war bei der Säkularisation (1803) dem Fürsten von<br />

Hohenzollern-Hechingen zugesprochen worden. Nach den<br />

Ausführungen von Stadtpfarrer Severin Fuchs war 1827 ein<br />

großer Teil der Klostergebäude mit dem zugehörigen Garten<br />

verpachtet. Der Pächter hatte das Recht, ein Wirthshaus zu<br />

halten. In dem nicht verpachteten Teil des Klosters lebte<br />

Laienbruder Isaak Schmidt 25, der ja bis zu seinem Tode am<br />

23. Oktober 1857 als Mesner in St. Luzen diente, und dort<br />

wohnte auch Kapitelskaplan Paul Kohler 25.<br />

Was die St. Luzenkirche betrifft, so erfahren wir aus dem<br />

Schriftwechsel zwischen Generalvikar Wessenberg und dem<br />

Hechinger Stadtpfarrer Severin Fuchs, daß vormittags kein<br />

Hauptgottesdienst, sondern nur eine Frühmesse und Homilie<br />

27 stattfand. Nachmittägliche Funktionen sollten dort nicht<br />

mehr durchgeführt werden, weil an den Beichttagen in der<br />

Pfarrkirche Platz und Gelegenheit genug sei.<br />

Ein nahe des Eingangs angebrachtes Gitter, das die ganze<br />

Breite der St. Luzenkirche einnahm, verhinderte das Umhergehen.<br />

Es war nur während der Gottesdienstzeiten geöffnet<br />

28.<br />

Den von Joseph Glatz vorgeschlagenen Gedanken einer<br />

Schließung der Kirche, den Wessenberg bereits in seinem<br />

ersten Brief aufgegriffen hatte, da er der Meinung war,<br />

St. Luzen wäre der pfarrlichen Gottesdienstordnung eher<br />

hinderlich als förderlich und deshalb zu erwägen gab, ob<br />

nicht ein schicklicher Anlaß zu ergreifen wäre, um auf (die)<br />

Schließung dieser Nebenkirche anzutragen, diesen Vorschlag<br />

lehnte Stadtpfarrer Fuchs für itzt (1827) ab. Er hob hervor,<br />

daß vor allem die Bewohner der Unterstadt eine große<br />

Anhänglichkeit an diese Kirche hätten. Dabei wies er auf<br />

einen Umstand hin, der dazu wesentlich beitrug: An den<br />

ehemaligen Klosterfesten als Antonii, Portiuncula, Franciszi<br />

21


etc. kämen immer gern auswärtige Geistliche zum Messefeiern<br />

in diese Kirche. An solchen Tagen ströme deshalb das<br />

Volk immer noch zahlreich herbei, und zum Theil aus weit<br />

entfernten Orten 25. Pfarrer Fuchs bemerkt, daß er seine<br />

Amtsbrüder schon oft ersucht habe, an solchen Klosterfesten<br />

nicht mehr zu erscheinen. Er habe sie dabei auf die bischöflichen<br />

Verordnungen, sein pfarrliches Recht auf Verweigerung<br />

und auf die Nachteile ihres Erscheines aufmerksam gemacht.<br />

Obwohl die meisten inzwischen ausgeblieben seien, würden<br />

doch noch einige an dieser bisherigen Übung festhalten.<br />

Diesen Umstand hielt Stadtpfarrer Fuchs neben religiösen<br />

und pfarrlichen vor allem aus dem Grunde für ungut, weil<br />

man im Falle einer anderweitigen Benutzung des Kirchengebäudes<br />

vom nahen und fernen Volke Widerstand zu gewärtigen<br />

hätte. Eine Schließung der Kirche und eine andere<br />

Verwendung könne ohne vielen Lärm und große Unzufriedenheit,<br />

ohne ärgerliche und nachtheilige Gespräche, und<br />

mancherley Unordnungen unter dem Publikum nicht geschehen,<br />

ja die mindeste Veränderung des Hergebrachten würde<br />

üble Wirkungen machen.<br />

Heute freuen wir uns über die Beharrlichkeit und Unverrückbarkeit<br />

des Kirchenvolkes, die damals die Funktion einer<br />

»Bürgerinitiative« hatte. Wer weiß, welcher Bestimmung das<br />

Kirchengebäude sonst übergeben worden und ob uns dieses<br />

Kleinod der Renaissance erhalten geblieben wäre.<br />

Auswirkungen auf die Pastoration von St. Luzen<br />

Wessenberg zeigte sich darüber beruhigt, daß der Stadtpfarrer<br />

verfügt habe, in der Filialkirche nachmittags keine Art<br />

Anmerkungen:<br />

1 Chronik der Stadt Hechingen III (1980), S.215. - In der ChH II<br />

von 1906 findet sie sich noch nicht, so daß wohl Walter Sauter bei<br />

seiner Materialsammlung über die Hechinger Juden (-gemeinde)<br />

auf eine Nachricht über das Ereignis gestoßen sein wird.<br />

2 Der letzte Pater Aurelius Lusser starb im Jahre 1819 im Kloster<br />

St. Luzen.<br />

3 Joel Berger, Landesrabbiner von Baden-Württemberg. In: Festnummer<br />

des jüdischen Sportvereins »Makkabi Stuttgart« 1987,<br />

S. 11. - In der Hohenzollerischen Heimatbücherei Hechingen hat<br />

sich die Ausgabe eines »Purim-Kladderadatsch« (vergleichbar<br />

einer Fastnachtszeitung) aus dem Jahre 1880 erhalten [HHBH,<br />

R. 12 IX.].<br />

4 Max Heinrichsperger, Hechingen/Hohenzollern. Franziskaner-<br />

Observanten. In: Alemania Franciscana Antiqua, Bd. XVI, S. 178.<br />

- Karl Mors, Zur Geschichte der Franziskaner in St. Luzen. In:<br />

Stadt Hechingen (Hrsg.), 1200 Jahre Hechingen. Beiträge zur<br />

Geschichte, Kunst und Kultur der Stadt Hechingen. Hechingen<br />

1987, S. 172ff.<br />

5 Dep. St. Luzen.<br />

6 Kasten 61.<br />

7 * 4. Nov. 1774 in Dresden, 1802 Generalvikar des Fürstprimas<br />

Dalberg in Konstanz, erst 1812 Priester, 1817/27 Bistumsverweser,<br />

t 9. August 1860 zu Konstanz.<br />

8 Wie Anm. 20.<br />

9 An dieser Stelle möchte ich mich sehr herzlich beim Erzbischöflichen<br />

Archivar Dr. Franz Hundsnurscher für seine Bemühungen<br />

bedanken.<br />

10 Nachprediger = Hilfsprediger. - Hermann Fischer, Schwäbisches<br />

Wörterbuch. Vierter Band. Tübingen 1914, Sp. 1893.<br />

11 Joseph König, Necrologium Friburgense. 1827-1877. Beitrag zur<br />

Personalgeschichte und Statistik der Erzdiözese. Erste Abtheilung:<br />

1827-1846. In: Freiburger Diözesan Archiv, Freiburg i.B.,<br />

16. Band, 1883, S.321.<br />

12 Lagerort eines Exemplars: HHBH, V 116.<br />

13 S. 401.<br />

14 Hier unterlief Professor J. Glatz offensichtlich ein Lapsus.<br />

15 S. 405<br />

22<br />

geistlicher Verrichtungen mehr zuzulassen. Zweifellos werde<br />

damit ähnlichen Unordnungen begegnet, wie sie berichtet<br />

worden waren. - Er wiederholte aber auch mit Bestimmtheit<br />

die schon früher dargelegte Ansicht, daß in St. Luzen von<br />

keinem auswärtigen Geistlichen - auch nicht an Werktagen -<br />

die hl. Messe gelesen werden sollte. Außerdem schiene es ihm<br />

zweckmäßiger, wenn auch an Vormittagen das Beichthören<br />

auf die Pfarrkirche in der Oberstadt beschränkt werde.<br />

Stadtpfarrer S. Fuchs solle sich zur Ausführung der Absichten<br />

des Bistumsverwesers mit Dekan Giegling ins Benehmen<br />

setzen und über den Erfolg berichten 30.<br />

Nach einer Besprechung mit dem Kapitelsdekan Franz<br />

Joseph Giegling, Pfarrer in Weilheim, der als früherer Kanoniker<br />

31 mit den Hechinger Verhältnissen wohl vertraut war,<br />

berichtete Stadtpfarrer Fuchs am 12. Juli 1827 an Wessenberg,<br />

der Dekan habe zugesagt, bei der Beachtung des ersten<br />

Punktes mitzuwirken. Bei der Beratung zu Punkt 2 seien sie<br />

darin übereingekommen, daß das Beichthören zu den Hauptbeichtzeiten<br />

(Ostern, Pfingsten, Allerheiligen etc.) auch an<br />

Vormittagen nur noch in der Pfarrkirche durchgeführt<br />

werde. An Tagen aber, wo nur einzelne Personen in St. Luzen<br />

zum Beichten erscheinen, könne man diese wohl nicht weiterschicken.<br />

Der Stadtpfarrer dachte dabei vor allem an alte,<br />

kränkliche Leute aus der Unterstadt, denen es beschwerlich<br />

wäre, in die Pfarrkirche zu kommen; für sie müßte und<br />

könnte man besondere Sorge tragen, wie es auch geschehen ist<br />

zu den Zeiten, wo weniger Geistliche hier waren 32.<br />

Offizial 33 Hermann von Vicari 34 zeigte sich darüber befriedigt<br />

und vertraute ganz auf die einsichtsvolle Veranstaltung<br />

zur zweckmäßigen Pastorations-Einrichtung 35.<br />

16 Erzbischöfliches Archiv Freiburg. Bündel: Bischöffliches General-Vicariat.<br />

Pfarrey Hechingen. Einen ärgerlichen Vorfall in der<br />

Klosterkirche ad St. Lucium in Hechingen betr. Jahr 1827.<br />

17 S. 196f.<br />

18 Er war auch Kammerer des Kapitels.<br />

19 Emporkirche = Empore.<br />

20 »Gehorsamster Bericht über einen Vorfall in der hiesigen Klosterkirche<br />

ad Sanctum Lucium« vom 28. Juni 1827. - Lagerort wie<br />

Anm. 16.<br />

21 In den Stadtgerichtsprotokollen finden sich keine Aufzeichnungen<br />

darüber. - Auch in den einschlägigen Beständen (Fürstliche<br />

Regierung Hechingen, Geheime Konferenz Hechingen, Kabinett<br />

Hechingen, Oberamt Hechingen) des Staatsarchivs Sigmaringen<br />

konnte ich keine Aufzeichnungen darüber ermitteln.<br />

22 Wie Anm. 20.<br />

23 das 1843 »cassirt, u[nd] an dessen Stelle ein neues errichtet<br />

worden« ist. - Im StAS (Dep. 39, NVA 9379) lagert ein »Inventarium<br />

über die beweglichen Gegenstände in der Fürstlichen Brauerei<br />

St. Lützen nach dem Stande vom 4. September 1848«.<br />

24 Nach dem »Brand-Versicherungs-Kataster« aus dem Jahre 1839<br />

(Lagerort: Stadtarchiv Hechingen). - Siehe hierzu Otto Werner,<br />

Herrschaftliche Gebäude in Hechingen vor 150 Jahren. In:<br />

Hohenzollerische Heimat 4/1984 S.59f.<br />

25 Bruder Isaak Schmid (bürgerlicher Vorname: Friedrich) war<br />

gebürtiger Hechinger (* 1783) und kam am 4. Okt. 1810 im Alter<br />

von 27 Jahren vom Franziskanerkloster Rastatt nach St. Luzen.<br />

Siehe StAS, Dep. 39, DH 73, Nr. 219: Aufnahmegenehmigung.<br />

26 Paul Kohler, geb. am 25. März 1800 in Jungingen, wurde am<br />

19. September 1826 zum Priester geweiht. Zur Zeit des Vorfalls<br />

war er Kapitels-Vikar, seit 20. Februar 1828 Stadtkaplan in Hechingen.<br />

27 Predigt über einen Abschnitt der hl. Schrift.<br />

28 Dieses Holzgitter war noch bis zur Renovierung 1971 in der<br />

Kirche.<br />

29 Vgl. hierzu die Schilderung eines Augenzeugen in »Katholik«<br />

1841, zitiert von Gustav Hebeisen, Zur Geschichte des Klosters<br />

St. Luzen bei Hechingen. In: Mitteilungen des Vereins für<br />

Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern. 53.Jahrgang,<br />

1919/1920, Hechingen, S.57.


31 Chorherr im Stift<br />

32 Schreiben des Stadtpfarrers Severin Fuchs vom 12. Juli 1827 an das<br />

bischöfliche Generalvikariat die hiesige Nebenkirche St. Luzien<br />

betreffend. - Lagerort: Erzbischöfliches Archiv Freiburg.<br />

33 Offizial (spätlat.) = urspr. Gehilfe, Beamter; Kirchendiener,<br />

Kirchenbeamter; Stellvertreter des Bischofs in der streitigen und<br />

Strafgerichtsbarkeit.<br />

34 Hermann von Vicari (geb. am 13. Mai 1773 in Aulendorf) war seit<br />

HERBERT RÄDLE<br />

Eine Medaille Christoph Friedrichs Graf zu Zollern<br />

Zu den Schätzen der Staatlichen Münzsammlung München<br />

gehört auch eine silberne Medaille Christoph Friedrichs Graf<br />

zu Zollern (1508-1536) aus dem Jahr 1528. Als einzige<br />

erhaltene Porträtdarstellung Christoph Friedrichs vermittelt<br />

sie uns ein lebensnahes Bild des damals zwanzigjährigen<br />

Grafen.<br />

Die Aufschrift der Medaille lautet: »Cristoff Friderich Graf<br />

zuo Zollern des Reichs Erbkamerer. Sein Alter XX.« Im Feld<br />

erkennen wir das Datum M.D.XX.VIII (= 1528), darunter<br />

links die ligierte Signatur FH (= Friedrich Hagenauer).<br />

Der Zollerngraf ist im Brustbild mit weitem Mantel, Amtskette<br />

und schwungvollem Federbarett nach links wiedergegeben.<br />

Der beigefügte Titel »Erbkammerer des Reiches« weist<br />

ihn als hohen Amtsträger im Dienste der Habsburger aus.<br />

Christoph Friedrich war ein Enkel des durch mehrere hohe<br />

Reichsämter ausgezeichneten Zollerngrafen Eitelfriedrich II.<br />

(1452-1512). Am brandenburgischen Hofe erzogen, war dieser<br />

Diplomat, Berater und Vertrauter Kaiser Maximilians,<br />

sowie Oberhofmeister, Reichskammerrichter und - wie sein<br />

auf der Münze abgebildeter Enkel - Erbkammerer des Reiches<br />

geworden. Um sein Territorium abzurunden, hatte<br />

Eitelfriederich als kluger Landesherr 1497 mit König Maximilian<br />

Rhäzüns gegen die Herrschaft Haigerloch getauscht.<br />

Eitelfriederich II. ruht in der Stiftskirche seiner Residenzstadt<br />

Hechingen (Grabplatte, die ihn mit seiner Gemahlin Magdalena<br />

Markgräfin von Brandenburg, gestorben 1496, zeigt).<br />

Mit einem Sohn dieses hochbedeutenden Zollerngrafen, mit<br />

Eitelfriedrich III. (1494-1525) verbindet den auf der Medaille<br />

abgebildeten Christoph Friedrich der Dienst im Heer Kaiser<br />

Karls V., den beide in gleicher Weise geleistet haben, insbesondere<br />

die Teilnahme an den Feldzügen Karls gegen Franz I.<br />

von Frankreich. Hierbei fanden beide den Tod: Eitelfriedrich<br />

III. 1525 bei Pavia, Christoph Friedrich elf Jahre später, 1536,<br />

vor Marseille. Von Eitelfriedrich III., einem Spielgefährten<br />

Karls V., existiert übrigens ein Porträt von der Hand des<br />

Meisters von Meßkirch (Pinacoteca Vaticana) 1.<br />

Auf die abgebildete Medaille und ihren Schöpfer zurückkommend<br />

ist mitzuteilen, daß Friedrich Hagenauer einer der<br />

bedeutendsten Medailleure des 16. Jh. gewesen ist. Geboren<br />

in Straßburg, lebte er 1526-1531 in Äugsburg, wo auch unsere<br />

Medaille geschaffen wurde, 1532-1535 am Oberrhein, dann<br />

bis 1546 in Köln. Seine Medaillen sind Erzeugnisse von hoher<br />

handwerklicher Kunstfertigkeit. Mit großer Feinheit sind auf<br />

ihnen die Einzelheiten von Porträt und Kleidung der Dargestellten<br />

wiedergegeben, wie auch die Medaille des Zollerngrafen<br />

Christoph Friedrich zeigt.<br />

Medaillen, das sei hier noch ganz allgemein hinzugefügt,<br />

besitzen im Gegensatz zur Münze keinen Geldwert. Die<br />

Medaille dient vielmehr der Erinnerung an eine bestimmte<br />

Person oder ein bestimmtes Ereignis. Mit der Münze verbindet<br />

sie lediglich ihre äußere Gestaltung, das ein- oder zweisei-<br />

1816 Offizial der bischöflichen Kurie in Konstanz, kam am<br />

21. Oktober 1827 als Generalvikar und Domkapitular nach Freiburg,<br />

wurde 1830 Domdekan, 1832 Weihbischof, war 1836 und<br />

1842 Bistumsverweser und seit 1842 Erzbischof. Gestorben ist er<br />

am 14. April 1868 zu Freiburg i.B.<br />

35 Schreiben des Officials v. Vicari vom 19.Juli 1827. - Lagerort:<br />

Pfarrarchiv Hechingen, Dep. St. Luzen. Kasten 61.<br />

Medaille Christoph Friedrichs Graf von Zollern. Augsburg 1528,<br />

Silber, gegossen, Durchmesser 72 mm, Staad. Münzsammlung München.<br />

Bild aus »Die Renaissance« (Ausstellungskatalog) Karlsruhe<br />

1986, S.592<br />

tige Relief. Seit Beginn des 16.Jahrhunderts wurde diese<br />

Kunstgattung vorwiegend in Augsburg und Nürnberg<br />

gepflegt. Die ersten Medaillen, meist Portätmedaillen, sind<br />

durchwegs von einem lebensnahen Realismus getragen.<br />

Anmerkung<br />

' Vgl. Chr. Salm, Der Meister von Meßkirch, Diss. Freiburg 1950,<br />

S. 10. Eitelfriedrichs III. Sohn, Karl, das Patenkind Kaiser Karls V.,<br />

wurde - als Karl I. von Hohenzollern - der Stammvater des Hauses<br />

Hohenzollern-Sigmaringen. Die folgende Stammtafel verdeutlicht<br />

die Verwandtschaftsverhältnisse der genannten Grafen:<br />

Eitelfriedrich I.<br />

t J439<br />

Franz<br />

(1483-1517)<br />

I.<br />

Christoph Friedrich<br />

(1508-1536)<br />

Jos Nikiaus I.<br />

1-1488<br />

I<br />

Eitelfriedrich II.<br />

(1452-1512)<br />

Joachim Eitelfriedrich III.<br />

1485-1538) (tl525)<br />

I I<br />

Jos Nikiaus II. Karl I.<br />

(1513-1558) (1516-1576)<br />

(nach R. Seigel, Schloß Sigmaringen und das Fürstliche Haus Hohenzollern,<br />

Konstanz 1966, dritte Umschlagseite)<br />

23


WOLFGANG HERMANN<br />

Reinhart von Neuneck Ein adeliges »Dienerleben« der deutschen Renaissance - Schluß<br />

Am 16. April brach der Abt von Tecking nach Ulm auf, um<br />

am Rat des Bundes, in den er als erwählter Prälat gehörte,<br />

teilzunehmen 120. Seinen Amtleuten schärfte er ein, »...wo<br />

dise reuter mer körnen mit sollichem häufen und begerten<br />

nachtsöld, solten sys mit gutem beschaid und gutlich abweysen,<br />

sonder (= besonders weil) daß sy vor genug hetten thon,<br />

so vil pferd und leut so lang umsunst speysen, die weil sy doch<br />

all von gemaynen pund iren sold hetten...« 121. Reinhart von<br />

Neuneck betrachtete das Kloster weiterhin als eine Art<br />

Stützpunkt, von dem aus er Strafzüge ins Land unternahm.<br />

Man muß das aus der nachfolgenden Notiz Knebels entnehmen,<br />

der so fortfährt: »... Also onlang danach (16. April) kam<br />

Neinegker mit seinem häufen vir daß closter, begeret aber<br />

nachtsolt, suchten also ursach wider daß gozshauß, wurd im<br />

nach befelch des abbts geantwurt...« 122. Reinhart erhielt zur<br />

Antwort, daß er und seine adeligen Offiziere aufgenommen<br />

werden könnten, das andere Volk könnten sie nicht mit dem<br />

Nötigen versehen. Der Ritter drohte daraufhin dem Prior<br />

und dem Konvent mit den Worten: »So will ich bald kumen,<br />

daß ir noch ungerner secht und muest mich einlassen, und will<br />

auf sollichs vir mich und die meinen mein und ir err bewart<br />

haben, schaut auf!« 123. Der Convent benachrichtigte den<br />

Abt, der die übrigen Räte auf der Tagung informierte. Die<br />

Mönche selbst erlangten von der Stadt Donauwörth die<br />

Zusage, sie in ihren Schutz aufzunehmen. Am 5. Mai entfloh<br />

während der Nacht ein großer Teil des Convents, und ein<br />

kleiner Teil war mit den Mutigsten zur Beobachtung zurückgelassen<br />

worden. Ob Reinhart ins Kloster jetzt eindrang, ist<br />

nicht bekannt, denn die Schilderung des Chronisten bezeichnet<br />

erst wieder den 23. Mai 1525 als den Tag, an dem Reinhart<br />

von Neuneck erneut vor dem Kloster lag.<br />

Auf die Nachricht von der Niederlage der Bauern, bei Ostheim<br />

am 8. Mai gedachten die Conventualen, von Donauwörth<br />

zurückzukehren, da die Lage nun ruhig wäre. Sie<br />

wählten der Sicherheit halber den 21. Mai für ihren Heimzug<br />

aus. Just zwei Tage danach stand Reinhart von Neuneck<br />

wieder vor den Toren. Diesmal hätte er 160 Reiter und 600<br />

Fußknechte besessen. Mit sich führte er Geschütz und Leitern,<br />

was darauf schließen ließ, daß Reinhart bereit war, seine<br />

frühere Drohung wahrzumachen. Er verlangte also am<br />

23. Mai die Öffnung des Klosters für seine Leute, was ihm<br />

nach einiger Zeit und Verhandlungen gewährt wurde.<br />

Danach wollte der Neunecker »sy sichern an leib und gut,<br />

und wo ains heilers wert wurd genomen, so solt es widerlegt<br />

werden...« und dem Convent seine Achtung erweisen,<br />

»... daß er selb vor bapst, konig, pund und aller erberkait wol<br />

verantwurten (künde)« 124.<br />

Man zog also in Freuden durchs Klostertor ein. Die Fußknechte<br />

Reinharts taten jedoch nichts eiliger, als die Weinfässer<br />

zu leeren, so daß der Chronist weiter feststellen mußte:<br />

»...den wein mit kübeln herauß genomen, in allen dingen,<br />

wie die seu (= Säue) gelebt« 125. Der Streit, der daraufhin mit<br />

dem Konvent entstand, enthüllte die Meinung des Kriegers<br />

Reinhart ganz deutlich. Anstatt das Vorgehen seines Fußvolks<br />

zu ahnden, machte er dem Kloster Vorwürfe. Man hätte<br />

ihn und die Leute Anfang des Monats nicht aufgenommen,<br />

jetzt jedoch hätten er und die Söldner weit mehr zur Verköstigung<br />

nötig. Als Hauptmann verlangte er weiterhin, daß der<br />

Verhandlungsführer des Klosters als »Abt« sowie die Amtsleute<br />

des Klosters »ihm da, anstatt seiner fürstlichen gnaden<br />

schweren, alle gehorsam, wie bey herzog Jorgen (Georg von<br />

Bayern-Landshut, 11504) seilig wär gewest...« 126. Man<br />

begeht wohl keinen Fehler zu sagen, daß Reinhart damit seine<br />

Kompetenzen überschritt, indem er mit der verlangten Eidesleistung<br />

landeshoheitliche Fragen berührte. Denkbar wäre<br />

24<br />

auch, daß Reinhart meinte, auf diese Weise seinen bayerischneuburgischen<br />

Herren einen Dienst zu tun.<br />

Da sich der Abt immer noch in Ulm befand, lastete auf dem<br />

Prior und dem Convent eine große Verantwortung. Würde<br />

sich das Kloster den Forderungen Reinharts nicht beugen, so<br />

zöge jener aus den Mauern des Klosters, um anschließend<br />

dessen Vorwerk zu besetzen. Reinhart gestattete dem Convent<br />

eine knappe Beratungszeit, und die Mönche schickten<br />

dann nach Ulm zum Abt, der sofort die Angelegenheit dem<br />

Schwäbischen Bund zutrug. Inzwischen nahm der Kaisheimer<br />

Prior das Ultimatum an. Reinhart meinte sogar, sein<br />

Vorhaben verantworten zu können: »...so waiß ich sollichs<br />

verantwurten vor dem bapst, wie wol vor Zeiten, so hette<br />

ainer müssen den bann furchten, der euch, ir die gaistlich<br />

haißend, uberfallen hett, aber iz ists ain anders, item auch vor<br />

kaiserlicher mayestat, auch vor den stönden des punts und<br />

aller erbarkayt...« 127.<br />

Die im Bund versammelten Fürsten ließen den Abt dann<br />

sagen, daß Reinhart von Neuneck ohne ihren Auftrag solchermaßen<br />

gegen das Kloster gehandelt hätte. Der Ritter, der<br />

danach vor die Fürsten gerufen wurde, ward den Worten<br />

Knebels nach »schlechtlich verantwurt« 128. Das Ergebnis der<br />

Unterhandlung war, daß die Fürsten Reinharts Handlungen<br />

wegen der Zeiten des Kriegs akzeptierten, das Kloster jedoch<br />

von dem Eid und der Dienstbarkeif lösten, die ihm der<br />

Neunecker aufgezwungen hatte 129.<br />

Kann man Reinharts militärisches Verhalten erklären? Es<br />

scheint, daß er zunächst mit unzulänglicher Kraft den Bauern<br />

gegenüber gestanden hatte, wenn man die vom Chronisten<br />

Kessler überlieferte Anzahl an Streitern im Bauernhaufen des<br />

Ries annimmt. Daher wäre der (unerklärte?) Waffenstillstand<br />

des Neuneckers mit den Bauern vor Kaisheim verständlich.<br />

Von den Klöstern hielt Reinhart nicht viel, und ihr Reichtum<br />

galt ihm unverdient. Den Schwur, den er abverlangte, sollte<br />

dazu dienen, die Versorgung seiner Reiterei und seines<br />

Fußvolks zu garantieren. Es war eine Maßnahme, die er vor<br />

Ort ohne Absprache mit den Herren getroffen hatte. Ein<br />

Vorgehen, das diese auch im voraus nicht gebilligt hätten<br />

— kurz, Reinharts militärische Logik war nicht mit dem<br />

politischen Denken der Bundesfürsten in Einklang zu<br />

bringen.<br />

Ein Beispiel für die zeitweilige Abwesenheit Reinharts vom<br />

Kampfplatz vor dem Kloster Kaisheim war die nur kurze Zeit<br />

dauernde Befreiungsaktion des Stiftes Ellwangen.<br />

Der Haufe von Ellwangen und Dinkelsbühl sollte endlich<br />

niedergeworfen werden (siehe oben), und Reinhart von<br />

Neuneck erhielt am 15. Mai den Auftrag, das Unternehmen<br />

zu leiten. Mit einer Reiterschar von etwa 300 Reisigen und<br />

einer gleichen Anzahl Fußvolk erreichte er die schwach<br />

besetzte Stadt Ellwangen 13°. Dort war der Neunecker seinem<br />

Bericht an den Schwäbischen Bund vom 18. Mai zufolge auf<br />

400 Bauern und 80 Kriegsknechte gestoßen. Diese hatten in<br />

den vorausgegangenen Gefechten von Ostheim und Böblingen<br />

den Mut verloren 131. Um die Stadtbesatzung Ellwangens<br />

herauszulocken, ließ Reinhart drei Dörfer in Brand stekken<br />

132. Bürger und Bauern eilten daraufhin aus der Stadt,<br />

gerieten aber ins Feuer der anrückenden bündischen Reisigen.<br />

Es gelang den Aufständischen die Stadt wieder zu<br />

erreichen. Der Stadtvogt Eberhard von Gemmingen war<br />

bereit, mit diesem über die Ubergabe Ellwangens zu unterhandeln.<br />

Die Übergabe der Stadt wurde bewilligt und der<br />

Bürgerschaft, den Bauern und Kriegsknechten die Erhaltung<br />

von Leib und Leben zugesichert. Unter den gefangenen<br />

Bauernräten und Geistlichen befanden sich auch der Chor-


herr Wilhelm von Hessberg, der Stiftsprediger Johann Kress<br />

und der Stadtpfarrer Georg Mumbach (für den Ersteren siehe<br />

oben, Abschnitt 3aa).<br />

Reinhart von Neuneck, der Verantwortliche, ließ den Stiftsprediger<br />

und den Stadtpfarrer nach Lauingen bringen. Sie<br />

wurden dort hingerichtet. Die Verurteilung der beiden Männer<br />

wird sicherlich nicht auf den Neunecker zurückgehen, er<br />

jedoch hatte sich sicherlich mitschuldig gemacht, weil er die<br />

Zusage der Schonung von Leib und Leben nicht eingehalten<br />

hatte 133.<br />

Nach Abschluß der Kriegshandlung sprach Probst Heinrich<br />

zum Dank für den erfolgreichen Einsatz Reinhart Pfründen<br />

aus dem Stift zu. Dieses war bereit, ihm eine Chorherrenstelle<br />

nach dem Tod eines Mitglieds abzutreten. Diese Möglichkeit<br />

wurde am 13. Juli 1525 von Wildhans (II.) von Neuneck<br />

wahrgenommen 134.<br />

Zu den Geschehnissen um Ellwangen meldet der Chronist<br />

Kessler: »UfX. tag maji bei Ellwangen, so von den buren<br />

ingenommen, sind by vier hundert erschlagen, XXIII enthoptet«<br />

135. Wir sind im Augenblick nicht im Stande, diese<br />

Angaben zu bestätigen oder zu verneinen bzw. anzugeben,<br />

wann und unter wessen Führung eine sehr große Anzahl von<br />

Bauern hingemordet wurde. Daß Reinhart von Neuneck mit<br />

großer Härte die Strafaktionen durchführte läßt sich daran<br />

erkennen, daß ihm ein Jahr später Rachehandlungen drohten.<br />

Darüber gingen ihm Warnungen von seiten der jungen<br />

Pfalzgrafen Ottheinrich und Philipp zu 136. Anders verhielt er<br />

sich in der eigenen Herrschaft Glatt, nachdem er zurückgekehrt<br />

war. Seine Bauern schworen Urfehde, in Einzelfällen<br />

verloren sie Güter 137. Die Bauern seiner Verwandtschaft in<br />

der Herrschaft Dießen wurden mit Geld- und Gefängnisstrafen<br />

härter getroffen 138.<br />

e) Die Bestrafung der aufrührerischen Bauern<br />

Ende April, nach der Einnahme der Burg Obermässing durch<br />

den Pfalzgrafen Friedrich, hatten viele der vornehmsten<br />

Anführer zu Nürnberg ein augenblickliches Asyl gefunden<br />

oder waren zu anderen Bauernhaufen geflüchtet 139. Im<br />

Anschluß an den Sieg ging es den hohen Adeligen aber nicht<br />

in erster Linie darum, den Flüchtigen nachzusetzen, wie es<br />

Reinhart von Neuneck gerne getan hätte. Vielmehr waren sie<br />

interessiert, möglichst bald finanziell oder gar territorial<br />

entschädigt zu werden, da die Kriegskosten erheblich gewesen<br />

waren. So hätte der Herzog Wilhelm von Bayern die von<br />

seinen Truppen besetzten eichstättischen Orte sogleich<br />

annektiert, wenn ihm nicht Pfalzgraf Friedrich energisch<br />

widersprochen hätte. Dieser bestand darauf, daß jeder Landesherr,<br />

gemäß der mit Casimir von Brandenburg und dem<br />

Bischof von Eichstätt geschlossenen Abmachung, seine eigenen<br />

Untertanen strafen sollte 140 und nicht mehr.<br />

Das Strafen der Bauern erschöpfte sich nicht in den Bluturteilen<br />

über die Teilnehmer an der Erhebung. Kontributionen<br />

lasteten auf jedermann. Hier trat vor allem der Schwäbische<br />

Bund auf und verlangte Abgaben verschiedener Art, um seine<br />

Kosten decken zu können. Als allgemeine Norm erhob man<br />

von jeder Feuerstelle sechs bis acht Gulden, was nach den<br />

Verwüstungen, welche auf die Herren zurückgingen, nicht<br />

immer leicht zu bezahlen war. Oft meldeten sich aber auch<br />

die geschädigten Landesherren im Anschluß an die erste<br />

Brandschatzung, um nochmals eine halben Gulden einzutreiben<br />

141.<br />

Reinhart von Neuneck, so wird aus den Quellen im Staatsarchiv<br />

Sigmaringen 142 deutlich, war auch für den Einzug von<br />

Brandschatzungsgeldern verantwortlich. Er war verpflichtet,<br />

darüber Rechenschaft abzulegen. Es hat dabei den Anschein,<br />

daß er sich von Herrschaftsgrenzen nicht abhalten ließ, seinen<br />

Auftrag zu erfüllen. Er war es vermutlich, der am Ostermontag,<br />

dem 17. April 1525, zwölf Gemeindemitglieder von<br />

Aufhausen nach Lauingen abgeführt und dort die ganze<br />

Gemeinde um 400 fl. geschätzt hatte. Das Kloster nun, dem<br />

der größte Teil des Ortes gehörte, wurde bei Reinhart<br />

vorstellig und erwirkte eine Ermäßigung des Betrages auf<br />

150 fl. 143. Die Grafen von Oeningen sahen aber so lange über<br />

die Verletzung ihrer Hoheitsrechte hinweg, wie sie Vorteile<br />

aus den »Befriedungsaktionen« Reinharts von Neuneck ziehen<br />

konnten 144. Locher hat die in Sigmaringen vorliegenden<br />

Tabellen Reinharts untersucht und in seinen Regesten wiedergegeben.<br />

Danach trieb dieser die Brandsteuer in verschiedenen<br />

Territorien ein 145:<br />

- im Amt Stein (Oberpfalz) 2081 fl.<br />

- in Osterberg (Eichstett) 38 fl.<br />

- im Amt Ellwangen 720 fl. 35 kr.<br />

- im Ries (Oeningen) 210 fl.<br />

Als eine Summe für die Brandschatzung im Amt Stein,<br />

Heideck und im Ries gab Reinhart von Neuneck 2557 fl. an.<br />

Diese Bilanz zog er am 25. Mai 1525 in Hilpoltstein, das zu<br />

Pfalz Neuburg gehörte. In Ellwangen schien er die harte<br />

Aufgabe der Brandschatzung mit einem Amtmann geteilt zu<br />

haben, der davon dem Hofmeister 245 fl. und 2 kr. ablieferte.<br />

Die Helfer Reinharts wurden von ihm mitbedacht, sie erhielten<br />

für ihre schauerliche Tätigkeit 600 fl., die der Neunecker<br />

in die vorausgehenden Auflistungen nicht eingebracht hatte.<br />

Beim flüchtigen Lesen scheint es, daß Reinhart noch großzügig<br />

verfahren war. Größere Beträge, solche über 100fl.,<br />

mußten die Dörfer bzw. Kleinstädte oder Bauern nicht auf<br />

einmal bezahlen, sondern erhielten zwei Zahlungstermine,<br />

meistens kurzfristig Pfingsten oder Jakobi (25.Juli) und<br />

Martini (11. November). Es muß aber berücksichtigt werden,<br />

daß die Armen ja kein Bargeld in solchen Mengen besaßen,<br />

und die Herren wohl oder übel warten mußten, bis die<br />

Bauern Getreide und Vieh auf den Herbstmärkten veräußert<br />

hatten. Es handelte sich bei Reinhart also nur um eine<br />

scheinbare Großmut. Er fügte sich in die Notwendigkeiten.<br />

Sonst aber scheute der Neunecker nichts, koste es, was es<br />

auch wolle, seinen Willen durchzusetzen: »Reinhard von<br />

Neuneck hat am 12. August 1526 müssen ufrührige Bauern<br />

fahen. Er entschuldigt sich, wann etwas entwehrt (= entwertet)<br />

worden (ist), weil das Fahen bei Nacht müssen geschehen.<br />

- Gabelk(ofer); 1582, b.« 146. Wir ersehen daraus, daß<br />

Reinhart auf Schwierigkeiten gestoßen war, als er dabei war,<br />

aufrührige Bauern aufzuspüren und gefangenzunehmen.<br />

Die Gesamtsumme, die Reinhart am Ende seiner Aufstellung<br />

angab, bezifferte er auf 3257 fl. und 35 kr. Des weiteren hätte<br />

er in der Gegend zwischen Lauchheim und der ansbachischen<br />

Stadt Crailsheim die aufrührerischen Bauern gejagt und<br />

neben Naturalien 965 fl. als Strafe eingezogen. Als Zeitraum<br />

dafür gibt Locher die Zeit vom 7. bis 20. Mai an 147.<br />

Sollte Reinhart von Neuneck sich bei seinen Aktionen gegen<br />

die Bauern so verhalten haben, wie er in seinem Bericht den<br />

Brüdern zu handeln empfahl, verliert er die Sympathien des<br />

heutigen Lesers. Reinhart schrieb: »Bitt euch ier myn bruedern<br />

und vettern, wolt solichs als zu Hertzen fassen, so es<br />

wider darzu kern, kain misericordiam In der Handlung zu<br />

haben, sondern erstechen und verprennen waß ier kondett<br />

ankommen.« Dies sind die letzten Sätze in seinem Text, und<br />

er nahm genau die Verben auf, die auch Martin Luther in<br />

seiner Schrift »wider die räuberischen und mörderischen<br />

Rotten der Bauern« verwendete. Dieser Schluß verrät<br />

Reinharts großen Zorn. Ob er an die Folgen seiner Worte<br />

dachte, was nämlich aus den Herren würde, erschlügen sie<br />

jene Bauern und anderen Untertanen, von denen sie ja lebten?<br />

4. Das Verhältnis von Herren und Diener: Reinhart von<br />

Neuneck und seine Pfalzgrafen<br />

Herrschaftliche Schreiben, die an Reinhart von Neuneck<br />

gerichtet waren, leiteten ihre Mitteilungen mit der Formel<br />

25


Aufsatz des Sakramentshauses in der Glatter Pfarrkirche von 1550.<br />

Oben das Wappen des Ritterordens vom Heiligen Grabe. Links<br />

Wappen mit Jakobsmuschel, rechts Wappen mit Insignien der<br />

hl. Katharina. Foto W. Hermann<br />

»Unserem lieben getreuen Diener/Hauptmann/Pfleger zu<br />

Lauingen« ein. Daraus darf man sich jedoch nicht zu der<br />

Annahme verleiten lassen, die Übereinstimmung zwischen<br />

dem Ritter und dem Pfalzgrafen Friedrich bzw. dessen<br />

Neffen Ottheinrich und Philipp wäre stets vorhanden gewesen.<br />

Gerade in den Monaten nach dem für die Fürsten erfolgreichen<br />

Abschluß des Bauernkrieges wird deutlich, wie wenig<br />

Dankbarkeit Reinharts Herren ihm gegenüber bewiesen. Der<br />

schwäbische Ritter hatte als treuer Diener alles dafür getan,<br />

um die Herrschaft Pfalz-Neuburg sowie noch andere Territorien<br />

von der »aufständischen Plage« zu reinigen und dabei<br />

mit keinen Heldentaten glänzen können. So wird verständlich,<br />

daß er dafür die zu Nördlingen versammelten Stände am<br />

19. November 1525 um eine Verehrung, das heißt wohl im<br />

heutigen Sinne um ein »Erfolgshonorar« bat. Dieses Gesuch<br />

wurde aber von den Ständen abgelehnt. Außerdem beschuldigten<br />

sie den Ritter, Brandschatzungsgelder in Aufhausen<br />

im Ries zweimal erhoben zu haben. Somit mußte sich<br />

Reinhart verteidigen, anstatt sich in aller gebührenden<br />

Bescheidenheit loben zu dürfen 148.<br />

Es mag sein, daß seine eigenen Herren dazu auch bereit<br />

gewesen wären, doch Reinhart hatte während seines Kampfes<br />

gegen die Bauern zu Mitteln gegriffen, die zwar den Bauern,<br />

gleich welcher Herrschaft Untertan, schwer schadeten, jedoch<br />

auch gleichzeitig deren Herren Verdruß schafften. So hatten<br />

Reinharts Leute zwischen dem 14. und 17. April 1525 etliche<br />

Bauern und deren Vieh aus oettingischen Orten nach Lauingen<br />

geführt. Ebenso taten diese es mit Weidevieh, das Metzgern<br />

aus Nördlingen gehörte. Nur auf energischen Widerspruch<br />

wegen »merklicher Verunrechtung« bei Reinhart von<br />

Neuneck wurde das Vieh zurückgegeben 149.<br />

Andere Beschwerden kamen wohl von Seiten des Klosters<br />

Kaisheim, das bereits angesprochen wurde. Ebenso übereifrig<br />

war Reinhart in Ellwangen. Nicht nur, daß er auch dort drei<br />

Dörfer zuerst in Brand stecken ließ, um die Bauern herauszulocken<br />

130, er ließ die Bürger Ellwangens am 17. Mai 1525<br />

huldigen: jedoch nicht etwa ihrem landesherrn, dem Probst<br />

Heinrich, sondern dem pfalzgräfischen Hause insgesamt,<br />

dem Kurfürsten Ludwig von der Pfalz, dem Herzog Hein-<br />

26<br />

rich, Bischof zu Utrecht und Herrn zu Ellwangen, den<br />

Herzögen Friedrich, Ottheinrich und Philipp 151. Dem<br />

Schwäbischen Bund hätte Reinhart jedoch nur die Vereidigung<br />

auf den Probst gemeldet. Am 18. Mai zog Reinhart dann<br />

nach Neresheim ab, wobei er aus Ellwangen vier Büchsen<br />

mitnahm, von denen drei nach Dinkelsbühl gehörten 152, und<br />

welche dieser wohl auch nicht zurückerstattete. Reinharts<br />

Wille, den Kampf nach den von ihm erkannten Notwendigkeiten<br />

zu führen, wurde von seiner Herrschaft nicht anerkannt.<br />

Sie berief ihn nach Lauingen zurück, wobei er selbst<br />

jedoch den Gaildorfer Haufen gerne weiterverfolgt und<br />

angegriffen hätte. Das heißt, daß der Neunecker eben zuerst<br />

und vor allem für die Pfalzgrafschaft Neuburg zur Verfügung<br />

stehen sollte.<br />

Wegen diesen Querelen mit seinen jungen Herren und den<br />

übrigen Fürsten kann man vermuten, daß Reinhart ganz froh<br />

war, 1529 einen kaiserlichen Auftrag übernehmen zu dürfen.<br />

Als Untersuchungsrichter wurde er nach Konstanz geschickt,<br />

dorthin, wo die Reformation in voller Blüte und die Bürgerschaft<br />

gegen den Bischof Hugo von Landenberg stand 153.<br />

Auch die Aufgaben im kaiserlichen Kriegsrat und als Hauptmann<br />

gegen die Türken kamen ihm sicher gelegen, um 1530<br />

nach Wien abzureisen. Für diese Aufgabe wurde Reinhart<br />

seinem altbekannten Herrn, dem Pfalzgrafen Friedrich, beigeordnet<br />

134.<br />

Auch an den Besoldungen oder ganz allgemein an dem<br />

Umgang mit Geld wird das eigentümliche Verhältnis von<br />

Diener und Herren deutlich. Für heutige Zeiten ist das<br />

Folgende wohl undenkbar. Die Pfalzgrafen und späteren<br />

Herzöge Ottheinrich und Philipp lebten auf großem Fuß,<br />

eben so, wie sie es für sich angemessen hielten. Je höher der<br />

Stand war, um so größer hatte der Standard adeligen Lebens<br />

zu sein. Ein »Staatsdiener«, wenn auch vom Adel, war<br />

nützlich - aber Reinhart stand als Ritter weit unter ihnen.<br />

Und doch scheuten sich seine Herren nicht, ihn als Bürgen in<br />

ihre Geldschwierigkeiten einzubeziehen. Die Bürgschaften<br />

Reinharts sicherten die Pfalzgrafen ihrerseits jedoch durch<br />

sogenannte Schadlosbriefe ab und gaben ihrem Diener<br />

Sicherheiten. Zwischen 1524 und 1539 wurde Reinhart achtmal<br />

bemüht. Die Gesamtsumme, die dabei im Spiel war,<br />

betrug 24 100 fl. und einmal mehr als 1000 Kronen. Letztere<br />

bei Graf Wilhelm von Fürstenberg 153.<br />

Am 2. Februar 1530 bestätigten die Brüder Ottheinrich und<br />

Philipp, daß sie bei ihrem Diener 7000 fl. gegen einen jährlichen<br />

Zins von 350 fl. entlehnt hatten. Als Sicherheit verpfändeten<br />

sie dem Ritter ihr Schloß, ihr Dorf, das Gericht, den<br />

'Bann und Kirchensatz zu Tatenhausen 156. Wie wenig sicher<br />

eine Rückzahlung war, geht aus der Tatsache hervor, daß am<br />

1. März 1546 anstelle Eitels von Westernach, einem der drei<br />

Bürgen, Hans Kraft von Vestenberg eintrat 137.<br />

Was den Reichtum und das Vermögen Reinharts betraf,<br />

wissen wir noch wenig. Er schien jedoch über Bankeinlagen<br />

in Höhe einiger Tausend Gulden zu verfügen. Neben seinem<br />

Konto beim Bankhaus des Hans Paumgarten d.J. unterhielt<br />

er auch beim Bankier Fugger in Augsburg ein beträchtliches<br />

Geldvermögen, das er um 1532/1533 von dort abzog 158. Das<br />

läßt die Vermutung zu, daß Reinhart für sein Schloß in Glatt<br />

Geldmittel bereithalten mußte. Der Gedanke dafür gründet<br />

sich auf den »Bauanschlag« von Wendelin Kurtz aus Rottenburg,<br />

den dieser im Dezember 1533 für die Wirtschaftsgebäude<br />

längs des Mühlkanals angefertigt hatte 158a.<br />

Seit dem 25. Juli 1530 besaß Reinhart auf Lebenszeit das<br />

Pflegamt zu Lauingen. Ottheinrich und Philipp übertrugen es<br />

»unserem Rathe und lieben getruwen Renhardten von Neunegkh<br />

zu Glatt, Ritter« 159. Dazu statteten sie ihm mit 75 Mit.<br />

Vesen, 100 Mtl. Haber, mit Brennholz, einem Fischwasser<br />

und 200 fl. Jahreseinkommen aus. Diese Einkünfte stammten


aber aus jenem Tatenhausen, das die Pfalzgrafen am<br />

2. Februar an den Ritter verpfändet hatten. Auf dem Papier<br />

wirkte die Anstellung auf Lebenszeit recht gut, doch am<br />

3. Dezember 1544 sprachen die Herren Reinhart die Kündigung<br />

aus, welche zu Neuburg übergeben wurde. Zuvor hatte<br />

man noch wegen der anstehenden 7000 fl. und den Zinsen<br />

verhandelt - wohl vergeblich. Auch das Dienstgeld waren die<br />

Herzöge schuldig geblieben 160. Es wäre kein Wunder gewesen,<br />

wenn sich der Ritter dafür an den Bauern schadlos<br />

gehalten hätte.<br />

Die Kündigung kam vielleicht beiden Parteien gelegen. Man<br />

verstand sich nicht mehr. Der Generationenkonflikt, die<br />

Schulden der bankrotten Landesherren und der Ubertritt<br />

Ottheinrichs 1542 zu den Lutheranern waren Gründe und<br />

Handlungen genug, die Reinhart mißfielen und ihn seiner<br />

Aufgaben in Lauingen überdrüssig werden ließen.<br />

5. Die Festigung über die Dorfherrschaft Glatt und Reinharts<br />

letzte Jahre in der Heimat<br />

1521 schon hatte Reinhart bedeutende Herrschaftsrachte<br />

erhalten, doch war das Jahr 1541 noch höher für den Ritten/u<br />

werten. Kaiser Karl zeichnete ihn als einen »Reichsgetreuen«<br />

aus und ernannte ihn zum kaiserlichen Rat. KarlV. nahm<br />

Hab und Gut des Ritters unter seinen persönlichen Schutz 161.<br />

Schloß Glatt wurde zu einer Reichsfreistatt erklärt, die<br />

kaiserlichen Frieden für alle jene bieten sollte, die wegen<br />

»Schulden, Totschlag und anderen Handlungen in die Ringmauern<br />

des Schlosses« kamen. Ausgenommen wurden solche<br />

Personen, die sich gegen den Kaiser gestellt oder in böser<br />

Absicht gemordet oder Brände gestiftet hatten 162.<br />

Seit den 40er Jahren war der Ritter immer schwächer geworden.<br />

Schon am 19. März 1539 hatte er in Lauingen ein<br />

Testament gemacht 163, am 28. April 1540 ließ er ein Verzeichnis<br />

über die Bewaffnung und das Mobiliar des Wasserschlosses<br />

in Glatt anfertigen 164. Im Alter von ungefähr 75 Jahren,<br />

am 10. März 1550, wandte sich Reinhart an die Innsbrucker<br />

Regierung und bat um kaiserlichen Schutz, da ihm dieser<br />

doch am 31. Mai 1541 zugesichert worden war. Diese verwies<br />

ihn an Graf Jos Niklas von Hohenzollern, dem damaligen<br />

Hauptmann der Herrschaft Hohenberg. Reinhart bat also<br />

dann seinen Nachbarn, ihn bei Recht und Pflicht zu schützen<br />

und zu schirmen, so oft er dessen benötigt sei und darum<br />

nachsuchen werde 165. Im übrigen sah er seinen Dienst für<br />

Kaiser, Reich und Pfalz für beendet an - und bald auch sein<br />

Leben.<br />

In diesen noch kommenden Jahren dachte der Herr von Glatt<br />

daran, seinen »Totenstein« erstellen zu lassen und sich der<br />

Nachwelt so zu repräsentieren, wie er gelebt hatte: als<br />

Feldhauptmann und nicht als Beter. Ottmar hält es für<br />

möglich, daß sein Stein in der Glatter Kirche vor 1551, dem<br />

Todesjahr, fertiggestellt wurde 166. Er glaubt ferner, daß die<br />

Arbeit hierfür in Reinharts Glatter Zeit ab 1544 ausgeführt<br />

wurde 167. Das Grabmal zeigt den Ritter mit gebrochener<br />

Lanze, was nicht nur wie üblich den Tod bedeuten kann,<br />

sondern auch vermitteln will, daß Reinhart ohne legitimen<br />

männlichen Erben starb 16S.<br />

Ohne männliche Erben blieb die Herrschaft Glatt freilich<br />

nicht. Das Erbe traten seine Neffen an: Hans Heinrich, der<br />

Sohn des Wildhansen, und die Brüder Hans Georg und<br />

Reinhart d. J., die Söhne von Hans Oswald. Das Testament 169<br />

enthielt die Bestimmung, daß die Güter beim Stamm und<br />

Namen Neuneck verbleiben sollten.<br />

Weitere Bestimmungen im Testament galten den zahlreichen<br />

Nichten. Es waren Verfügungen, die darauf abgestimmt<br />

waren, ob sich die Mädchen verheirateten oder in ein Kloster<br />

eintraten. Als Heiratsgut für eine jede bestimmte Reinhart<br />

1000 fl. In diese Gunst kamen Maria Cleova, eine der zwei<br />

Grabmal des Reinhart von Neuneck in der Pfarrkirche von Glatt.<br />

Foto W. Hermann<br />

Töchter von Wildhans, und Maria und Dorothee, beide<br />

Töchter des Hans Oswald, der außer diesen noch zwei<br />

weitere Mädchen hatte 170.<br />

Reinhart selbst war der Vater einer Tochter namens Barbara.<br />

Sie entstammte der Zuneigung zu seiner Köchin Anna<br />

Schmid. Nach den testamentarischen Bestimmungen wurde<br />

Barbara den heiratenden Nichten gleichgestellt. Der Tochter<br />

und Mutter wies der Erblasser Geld, Hausgeräte, Vieh und<br />

Grundstücke zu. Eine vornehme Braut konnte Barbara zwar<br />

nicht werden, zumindest aber wird sie in bürgerlichen Kreisen<br />

sehr begehrt gewesen sein. Mutter und Tochter verblieben<br />

offensichtlich in Lauingen. Dort erhielten sie Wiesen und<br />

Gärten sowie einige Kühe. Die Pferde, die Reinhart dort<br />

besessen hatte, mußten nach Glatt gebracht werden. Von dort<br />

sollten dann zum Ausgleich nochmals drei Kühe und eine<br />

Kalbin nach Lauingen befördert werden. Beide Frauen konnten<br />

aber im Amtshaus nicht wohnen bleiben, deswegen<br />

sollten sie die Möglichkeit haben, in dieser Stadt ein Haus zu<br />

kaufen. Zu gleichen Teilen erhielten sie 200 fl. in Gold, was<br />

Reinharts Rechnung nach 1800 fl. Münzwert entsprach, oder<br />

einer Rente von je 15 fl. jährlich für beide Frauen gleichkam.<br />

An Geld erhielt die Tochter 1000 fl. in Gold als »Ehegeld«,<br />

die Mutter 300 Goldgulden und die Schlafstatt, in der sie<br />

(zuletzt) geschlafen hatte. Die Tochter erhielt das Bett des<br />

Vaters. Das Geschirr, der umfangreichere Teil in Zinn, der<br />

kleinere und wertvollere in Silber wurde an Mutter und<br />

Tochter verteilt. Becher, Schale und Kreuz erhielt die Tochter,<br />

deren Ruf und »Wert« er zweifellos dadurch erhöhen<br />

wollte.<br />

Die Zuwendungen für die Kirche standen zwar an erster<br />

Stelle im Testament, jedoch stand ihm die Familie viel näher<br />

als die Kirche. Das Testament beginnt mit den Worten: »Ich<br />

27


Reinhart von Neuneck zu Glatt, Ritter, bekenne hiermit, da<br />

nichts gewisser als der Tod und nichts ungewisser als die<br />

Stunde desselben...«. Rang und Sitte verlangten hohen Auf-<br />

wand an Zeremonien mit neun Priestern und den Prior von<br />

Reichenbach m. Die Pfarrei sollte drei Gulden Gilt pro Jahr<br />

erhalten, der Frühmeßaltar fünf Gulden Gilt, damit die<br />

beiden Geistlichen jährlich zu Quatember seines Todes<br />

gedächten und beteten. Eigennützig waren auch die Bestim-<br />

mungen über die Almosen für die Gemeindearmen: 100fl.<br />

zur Austeilung in Glatt, Dettingen und Dürrenmettstetten,<br />

damit diese für ihn beteten.<br />

155 Locher, Regesten, S.200 und dort Anm.4.<br />

156 Ders., ebd., S. 209. Tatenhausen, heute vielleicht Tattenhausen,<br />

Post 8901 Post Dasing südlich von Donauwörth, wäre eine<br />

mögliche Ortsbestimmung. Aus dem Ortsverzeichnis der Bundespost<br />

1984, S. 518.<br />

157 Locher, Regesten, S.209, Anm.4. Dieser Eitel von Westernach<br />

hielt sich 1533 an der Spitze bei den Einlagen des Adels im<br />

Bankhaus Fugger mit 10250fl. Zit. bei Pölnitz, Götz Frhr. v.,<br />

Anton Fugger, Bd. 1, Tübingen 1958, S.292 und S.624<br />

(Anm. 148).<br />

158 Reinhart v. Neuneck hielt 1533 beim Fugger-Bankhaus 5250 fl.<br />

Quelle ebenso Pölnitz, wie Anm. 157, S. 624. Für das Bankguthaben<br />

Reinharts beim Haus Paumgarten d.J. teilte Dr. W. Baer vom<br />

Archiv der Stadt Augsburg am 8.11. 1985 mit: »Der einzige<br />

Hinweis, den wir finden konnten ist, daß Hans Paumgarner d.J.<br />

von diesem Ritter ein Darlehen über 500 fl. gegen 5% Verzinsung<br />

erhielt. Der Zeitpunkt für dieses Geschäft war der 22.6. 1526«.<br />

Diese Angaben stehen im Widerspruch zu Ottmar, der in »Burg<br />

Neuneck« aus K.O. Müller, Quellen zur Handelsgeschichte der<br />

Paumgartner von Augsburg 1480-1570, Wiesbaden 1955, S.233<br />

zitiert. Bei Ottmar S.227.<br />

158a StAS, Ho 163, Akte 72. Joh. Nep. Wetzel, Glatt und das Adelsgeschlecht<br />

von Neuneck, HH 1953, S.39, Wolfg. Hermann, Rettet<br />

Sulz sein Wasserschloß, HH 1984, S. 18.<br />

159 Locher, Regesten, S. 210.<br />

160 Den., ebd., S.220.<br />

161 Locher, Regesten, S.217 und Anm.4.<br />

162 StAS, Ho 163, Urk. Nr. (92). Es ist nicht anzunehmen, daß sich<br />

die Schuldigen unbestraft wähnen durften, vielmehr bot ihnen das<br />

Schloß Schutz vor der Selbstjustiz der Opfer, dadurch gewannen<br />

sie ein kaiserliches Gericht für eine kommende Verhandlung.<br />

163 Locher, Regesten, S.216.<br />

164 Den., ebd., S.216, FAS-Glatt, 72, 2.<br />

165 Locher, Regesten, S.225.<br />

166 Joh. Ottmar, wie Anm. 1, S. 17.<br />

167 Den., ebd., S. 18.<br />

168 Den., ebd., S. 15.<br />

169 Joh. Ad. Kraus, wie Anm. 7, S.92.<br />

170 Die anderen Frauen, die in ein Kloster eintraten, erhielten ein<br />

Leibgeding von nur 10fl., die Angehörigen der Ritterorden<br />

dagegen 25 fl.<br />

1,1 Kloster Reichenbach, heute Gemeinde Baiersbronn, war das erste<br />

auswärtige Priorat des Klosters Hirsau. Zu den Schutzvögten von<br />

Klosterreichenbach gehörten die Markgrafen von Baden im Zeitalter<br />

der Reformation, hingegen wurde das Mutterkloster Hirsau<br />

1534 von Herzog Ulrich von Württ. reformiert. Reichenbach war<br />

1551 noch katholisch, aber immer noch von Hirsau abhängig.<br />

Alpirsbach erfuhr 1535 durch Ambrosius Blarer die Reformation.<br />

Handbuch d. hist. Stätten, Bad.-Württb., S. 15 und 411.<br />

KARL WERNER STEIM<br />

Als Testamentsvollstrecker bestellte Reinhart Herrn Konrad<br />

von Hohenrechberg zu Staufeneck und Wilhelm von Neu-<br />

neck zu Vörbach (Obervogt zu Altensteig). Sie mußten<br />

30 Bestimmungen überwachen. Die 26. von diesen sollte dem<br />

Streit ums Erbe grundsätzlich vorbeugen, vielleicht um seiner<br />

Tochter das Erbe zu erhalten: »Wer von meinen Erben dieses<br />

Testament angreift, soll leer ausgehen.« Damit zeigte der<br />

Ritter und ehemalige Hauptmann, daß er den festen Willen<br />

und seine schon früh ausgebildete Beharrlichkeit bis an sein<br />

Lebensende bewahrt hatte. Kaum einer seiner Nachfahren<br />

sollte ihn darin erreichen.<br />

120 F. L. Baumann, wie Anm. 117, S.262.<br />

121 Ders., ebd.<br />

122 Ders., ebd.<br />

123 Ders., ebd., S.263.<br />

12< F. L. Baumann, wie Anm. 117, S.263, 264.<br />

125 Ebd.<br />

126 Ebd.<br />

127 F. L. Baumann, wie Anm. 117, S.264, 265, 266. Auf Seite 265<br />

wird der Adel, welcher vor dem Kloster lag, verzeichnet. Dabei<br />

fand sich auch der Ber von Hürnheim, identisch vielleicht mit dem<br />

oettingischen Boten, der nach Lauingen geschickt worden war.<br />

Siehe in diesem Beitrag nach der Anmerkungszahl 100.<br />

128 Ebd.<br />

129 Ebd.<br />

130 Ludw. Müller, wie Anm. 63, S. 153; Günther Franz, wie Anm. 59,<br />

S. 350.<br />

131 A. Lichtschlag, Mitth. Höh. IX. 1875/76. Die Angabe in der<br />

HH 1984, S. 18, wonach Reinhart bei Böblingen gekämpft hatte,<br />

ist irrig. Statt dessen muß es heißen: bei Nördlingen.<br />

132 Ludwig Müller, wie Anm. 63, S. 153.<br />

133 Den., ebd., S. 153 und Anm. 3.<br />

134 Locher, Regesten, S. 204-205.<br />

135 Kesslers Bericht, wie Anm. 92, S.235.<br />

136 Locher, Regesten, S. 204.<br />

137 Joh. Ottmar, wie Anm. 56, S. 54-55. Siehe auch J. Wetzel, Glatt<br />

und das Adelsgeschlecht von Neuneck, HH 1953, S.25. W.Hermann,<br />

Herrschaftliche Rechtssetzungen unter Hans d.Ä. und<br />

Reinhart von Neuneck, Glatter Schriften3,- 1986, S.25, 35.<br />

138 Joh. Ottmar, wie Anm. 56, S.44ff.<br />

139 Carl Jäger, wie Anm. 79, S. 45.<br />

140 Ebd.<br />

Haigerlocher Ehrenbürger im 19. Jahrhundert<br />

Im Jahre 1957 hat der damalige Haigerlocher Bürgermeister<br />

Hans-Joachim Bäuchle in der »Hohenz. Heimat« 1 über die<br />

Ehrenbürger-Urkunden für Stadtpfarrer Maximilian Schnell,<br />

Pater Desiderius Lenz, Geistlicher Rat Josef Marmon und<br />

28<br />

141 Adolf Waas, wie Anm. 91, S. 242-243.<br />

142 StAS, Ho 163, Akten 51.<br />

143 Ludwig Müller, wie Anm. 63, S.91.<br />

144 Den., ebd., S. 89 und 91.<br />

145 Locher, Regesten, S. 202. Dabei ist ein Druckfehler für Eichstätt:<br />

nämlich 238 fl. Die Summe aus dem Ries setzt sich aus oben<br />

genanntem Betrag von 210 fl. und 20 fl. aus dem Dorf Pechingen<br />

zusammen.<br />

146 Locher, Regesten, S.204, Anm.4.<br />

147 Ders., ebd., S.202, Anm.4.<br />

148 Locher, Regesten, S.203.<br />

149 Ludwig Müller, wie Anm. 63, S. 89-90.<br />

150 Siehe oben bei Anm><br />

151 Ders., ebd., S. 155.<br />

152 Ders., ebd., S. 153.<br />

153 Dt. Rtg.-A., VII/1, S. 842ff., auch Anm. 1.<br />

154 Locher, Regesten, S. 210. Mit Reinhart wurden Sigmund von<br />

Habsberg, Wolf von Affenstein und Ulrich von Schellenberg<br />

abgeordnet. Seine Quelle: Spangenberg II, 246.<br />

Kunstmaler Friedrich Schüz - sowie im selben Jahrgang über<br />

die Ehrenbürgerurkunde für den Appellationsgerichtsrat<br />

Xaver Dopfer 2 - berichtet. Ein Zusammenstellung aller<br />

Ehrenbürgerurkunden bzw. Ernennungen von Ehrenbür-


gern in Haigerloch fehlt bisher bzw. ist nur in der Tagespresse<br />

3 erschienen. Deshalb werden nachstehende Kurzbiographien<br />

der Ehrenbürger - soweit sie sich auf die Tätigkeit in<br />

bzw. für Haigerloch beziehen - veröffentlicht. Es ist aber<br />

nicht ausgeschlossen, daß einige Ehrenbürger heute nicht<br />

mehr bekannt sind.<br />

1862: Ferdinand E. A. Riefenstahl 4<br />

Erster Ehrenbürger der Stadt Haigerloch war Kreisrichter<br />

Ferdinand E. A. Riefenstahl (*28. Februar 1826 in Münster/<br />

Westfalen). Er wirkte ab 1856 bis 1862 an der seit 1854<br />

bestehenden Kreisgerichtskommission in Haigerloch 5. Uber<br />

seine politische Tätigkeit ist nicht viel überliefert. Im Februar<br />

1861 hielt Riefenstahl bei einer landwirtschaftlichen Bezirksversammlung<br />

in Haigerloch einen Vortrag über den im Haus<br />

der Abgeordneten eingebrachten Gesetzentwurf über die<br />

Einführung der Gewerbefreiheit 6. Als sich am 6. Mai 1862 im<br />

Gasthaus »Hirsch« in Gammertingen die Wahlmänner der<br />

Hohenzollerischen Lande zur Wahl zweier Abgeordneten in<br />

den Preußischen Landtag versammelten, hielt Riefenstahl<br />

eine längere Rede über das Programm der Fortschrittspartei.<br />

Im ersten Wahlgang wurde Appellationsgerichtsrat Xaver<br />

Dopfer von Ehrenbreitenstein gewählt, als zweiter Abgeordneter<br />

für Hohenzollern dann Kreisgerichtsrat Riefenstahl. Er<br />

erhielt 145 Stimmen, seine Gegenkandidaten, der Hechinger<br />

Staatsanwalt Evelt 59 und der weitere Kandidat Hipp 11<br />

Stimmen 7. Sehr anschaulich ist der damalige Zeitungsbericht<br />

über die Ernennung Riefenstahls zum Ehrenbürger der Stadt<br />

Haigerloch: 8 »Haigerloch, 27. Oktbr. Vorige Woche erfolgte<br />

die Ankunft des im hiesigen Bezirke allbeliebten und verehrten<br />

Hohenz. Abgeordneten Hrn. Kreisrichter Riefenstahl,<br />

und nachdem dieselbe hier bekannt wurde, begab sich der<br />

Stadtrath in dessen Wohnung, um denselben zu begrüßen,<br />

und demselben Mittheilung zu machen, daß, in dankbarer<br />

Anerkennung seiner politischen Thätigkeit im Abgeordnetenhause<br />

die Vertreter hiesiger Stadt ihm das Ehrenbürgerrecht<br />

verliehen haben. Hierauf fand am vergangenen Sonntag<br />

Abend ein von dem hiesigen Stadtrathe zu Ehren des Herrn<br />

Abgeordneten Riefenstahl in der Post veranstaltetes Festessen<br />

statt, an welchem circa 80 Personen aus Haigerloch und<br />

Umgebung Theil nahmen. Herr Stadtbürgermeister Stehle<br />

begrüßte Hrn. etc. Riefenstahl im Namen der städtischen<br />

Korporationen mit herzlichen Worten und überreichte demselben<br />

unter stürmischen Bravo's der Gesellschaft zum<br />

Danke für seine speziellen Verdienste um die Stadt Haigerloch<br />

das Diplom der Aufnahme als Ehrenbürger. Hr. Kreisrichter<br />

Riefenstahl gab einen kurzen Ueberblick über die<br />

Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten und des Herrenhauses<br />

und dankte dann den Vertretern der Stadt Haigerloch<br />

für die große Auszeichnung, welche ihm heute zu Theil<br />

geworden, indem er namentlich hervorhob, daß die Ertheilung<br />

eines Ehrenbürgerrechtes Jeden mehr freuen müsse, als<br />

wenn er mit Orden decoriert werde. Die Versammelten<br />

bedauerten, daß Hr. etc. Riefenstahl von hier fort nach<br />

Hechingen versetzt worden, und dieses wohl mit Recht, denn<br />

derselbe ist ein Mann des Volkes, welcher Jedem gerne mit<br />

Rath und That an die Hand gieng, und auch geselliger<br />

Beziehung ungerne vermißt wird...« Die Ehrenbürgerurkunde<br />

hatte der Haigerlocher Maler, Lithograph und Buchbinder<br />

Joseph Brucker sehr kunstvoll gefertigt und dafür 1<br />

Gulden 12 Kreuzer berechnet 9. Im Herbst 1862 verließ<br />

Reifenstahl die Stadt Haigerloch und wurde Kreisrichter am<br />

Kreisgericht Hechingen 10. Von dort wurde er zum 1. April<br />

1868 als Rechtsanwalt bei dem Kreisgericht in Wesel und<br />

zugleich zum Notar im Departement des Appellationsgerichts<br />

zu Hamm, mit Anweisung des Wohnsitzes in Wesel,<br />

ernannt 11. Ferdinand Riefenstahl, der mit Katharina geb.<br />

Legemann verheiratet war, ist am 21. Mai 1870 im 45.<br />

Lebensjahr in Wesel/Rheinland gestorben 12.<br />

Sv<br />

fs/fs'X's/r/s //s*>rf'//f.* //*•/* r/ff<br />

JKhfßt'itf*/*trfr f/f\ A/, r


Der Haigerlocher Ehrenbürger Franz Xaver Dopfer (1806-1867)<br />

geworden und kam 1875 als solcher nach Haigerloch. Mit<br />

seiner Versetzung 1868 nach Trier wurde er dort Domkapitular.<br />

Obwohl Stadtpfarrer Dannegger nur drei Jahre in Haigerloch<br />

gewirkt hatte, muß er sich hier großer Beliebtheit erfreut<br />

haben. Das geht auch aus dem Bericht über seine Verabschiedung<br />

hervor. Am 25. Oktober 1868 hielt der Pfarrer seinen<br />

letzten Gottesdienst in Haigerloch und verabschiedete sich<br />

»in den herzlichsten und eindringlichsten Worten«. Nach<br />

dem Vormittagsgottesdienst überreichte ihm eine Deputation<br />

der bürgerlichen Kollegien (Stadtrat und Bürgerausschuß)<br />

das Diplom über die Ernennung zum Ehrenbürger 16, das der<br />

Gerichtsschreiber Mathä Laubis in seiner schönen Handschrift<br />

für 4 Gulden »auf Doppelpapier gezeichnet« hatte 17.<br />

Am Abend fand in der »Post« die eigentliche Abschiedsfeier<br />

statt. Es kamen: »die Kapitularen (Geistlichen) des Bezirks<br />

Haigerloch, fast alle Bürger der Stadt ohne Unterschied des<br />

Bekenntnisses und viele Bekannte des Scheidenden von nah<br />

und fern.« Oberamtmann Emele lobte Verdienst und Tüchtigkeit<br />

des Stadtpfarrers. Für die geistlichen Mitbürder sprach<br />

Dekan Schnell. Stadtbürgermeister Stehle »hob dann in ausführlicher,<br />

sehr gelungener Rede die Verdienste Danneggers<br />

um Haigerloch hervor und die Gründe, welche die Stadt<br />

bestimmt hätten, ihm das Ehrenbürgerrecht zu verleihen.«<br />

Sanitätsrat Dr. Rehmann dankte dem scheidenden Pfarrer als<br />

Vorstand der Spitalkommission. Pfarrer Blumenstetter von<br />

Trillfingen, der wohl bedeutendste hohenzollerische Geistliche<br />

in der Zeit der 48er-Revolution, widmete Dannegger<br />

einen poetischen Nachruf. Im Auftrag des Bischofs von<br />

Rottenburg sagte Pfarrer Dr. Menz aus Wachendorf ein<br />

herzliches Adieu. Zum Schluß sprach der neuernannte Domkapitular<br />

Franz Xaver Dannegger. »Eindringlich und tief zu<br />

Herzen gehend waren die ebenso milde als entschieden<br />

gehaltenen Worte, insbesondere als er seine Mitbürger<br />

30<br />

beschwor, den Frieden in allen Bekenntnissen aufrecht zu<br />

erhalten und dem Gebote der Liebe in allen Lagen des Lebens<br />

zu folgen 18.« Am 21. Mai 1871 starb er in Berlin an den<br />

Pocken.<br />

1876: Anton Back 19<br />

Nächster Haigerlocher Ehrenbürger war im Jahre 1876<br />

Anton Back. Er wurde am 8. Februar 1802 in Haigerloch als<br />

Sohn des damaligen Stadtschultheißen Mathäus Back und der<br />

Maria Magdalena geb. Eger geboren. Den ersten Lateinunterricht<br />

erhielt er vom damaligen Oberstadtkaplan Erasmus<br />

Bieger aus Hart, der das Präzeptorat im Kaplaneihaus leitete.<br />

Der Zufall fügte es, daß Back später seinem Lehrer in der<br />

Seelsorge auf mehreren Stationen unmittelbar nachfolgte: als<br />

Pfarrverweser in Betra, Stetten bei Haigerloch und Straßberg.<br />

Nach dem Besuch der Klosterschule in Kreuzlingen und des<br />

Lyzeums in Konstanz nahm Back 1822 an der Universität<br />

Tübingen das Studium der Theologie auf und trat 1825 in das<br />

Priesterseminar in Meersburg ein. 1826 wurde er dort vom<br />

Rottenburger Bischof zum Priester geweiht. Ab 1826 wirkte<br />

er als Pfarrverweser in Betra, Stetten bei Haigerloch und<br />

Weildorf mit Bittelbronn. 1833 erhielt er die Pfarrei Imnau<br />

und 1846 die Pfarrei Straßberg. Er war auch mehrere Jahre<br />

lang Schulkommissar im früheren Oberamt Straßberg, zumal<br />

er in den Schulwissenschaften überaus bewandert war. Als er<br />

am 21. September 1876 sein goldenes Priesterjubiläum feierte,<br />

erhielt er rund 100 Gratulationsschreiben, der Fürst verlieh<br />

ihm den Hohenzollerischen Hausorden. Backs Geburtsstadt<br />

Haigerloch und die Gemeinden Imnau, Straßberg mit Kaiseringen<br />

drückten ihre besondere Dankbarkeit durch die Verleihung<br />

des Ehrenbürgerrechts aus. Die Haigerlocher<br />

Urkunde fertigte Kreisgerichtsbüreau-Assistent Laubis für<br />

4,50 Mark 20. Am 4. November 1878 starb Anton Back<br />

versehen mit den Sterbesakramenten im Alter von 77 Jahren.<br />

1898: Maximilian Schnell 21<br />

Zum letzten Ehrenbürger im letzten Jahrhundert wurde<br />

Geistlicher Rat Maximilian Schnell ernannt. Geboren am<br />

20. Juni 1824 in Sigmaringen, wurde er 1848 zum Priester<br />

geweiht. Anschließend war er Kaplaneiverweser und Leiter<br />

des Präzeptorats in Haigerloch, dann Hofkaplan. 1857 wurde<br />

er Pfarrer in Heiligenzimmern und 1866 Dekan des Kapitels<br />

Haigerloch. 1869 wurde er Stadtpfarrer in Haigerloch. Als er<br />

im Jahre 1898 sein goldenes Priesterjubiläum feiern konnte,<br />

hatte er 38 Jahre in Haigerloch gewirkt, 9 Jahre als Kaplan<br />

und 29 Jahre als Stadtpfarrer. So war es eine Selbstverständlichkeit,<br />

daß ihn die Bürgerkollegien zum Ehrenbürger der<br />

Stadt ernannten. Sein 50jähriges Priesterjubiläum feierte er im<br />

Beisein sämtlicher Kapitelgeistlicher, der staatlichen und<br />

städtischen Beamten und der gesamten Pfarrgemeinde Haigerloch.<br />

Nach dem Gottesdienst erschienen im Pfarrhof die<br />

offiziellen Gratulanten. Die weltliche Feier wurde im Gasthof<br />

»Post« abgehalten, wobei u. a. Oberamtmann Sauerland<br />

die Glückwünsche aussprach. Den Ehrenbürgerbrief fertigte<br />

auf Vermittlung von Musikdirektor August Reiser die Firma<br />

Wilhelm Hammann, Fahnenfabrik und Atelier für Bühnenmalerei<br />

in Düsseldorf in Aquarellmalerei in einer mit Seide<br />

ausgeschlagenen Samtmappe 22. Der Pfarrer und Schriftsteller<br />

Heinrich Hansjakob besuchte den totkranken Schnell noch in<br />

Haigerloch und schrieb darüber: 23 »Nach mühsamer Steigung<br />

im Pfarrhaus angekommen, war ich überrascht, den<br />

totkranken Dekan nicht etwa im Bett, sondern aufrecht<br />

stehend und in tadellosem Anzug in seinem Empfangszimmer<br />

zu finden. Man sah dem hochgewachsenen, imponierenden<br />

Manne an, daß er alle seine Energie zusammen nahm, um<br />

sich aufrecht zu halten. Er kam mir vor wie ein Fürst, der<br />

seine letzte Audienz gibt, sich dabei aber noch zeigen will in<br />

der alten Kraft und Art. Nobel wie ein Fürst bot mir der


sterbende Held auch eine Flasche Champagner an. Ich dankte<br />

und empfahl mich bald, denn Mitleid und Bewunderung<br />

stritten in mir.« Schnell starb am 22. Juli 1900 in Haigerloch<br />

24.<br />

Ehrenbürger im 20. Jahrhundert<br />

Der Vollständigkeit halber seien auch die bisherigen Ehrenbürger<br />

der Stadt Haigerloch des 20. Jahrhunderts genannt:<br />

1906 Fabrikant Heinrich Meyer sen. (1860-1930), 1922 Pater<br />

Desiderius (Peter) Lenz (1832-1928), 1922 Geistlicher Rat<br />

Kuno Schmid (1849-1927), 1932 Geistlicher Rat Josef Marmon<br />

(1858-1934), 1933 Reichspräsident Paul von Hindenburg<br />

(1847-1934), 1933 Reichskanzler Adolf Hitler 25 (1889-<br />

1945), 1954 Kunstmaler Friedrich Schüz (1874-1954), 1960<br />

Brauereibesitzer Josef Zöhrlaut (1890-1972), 1975 Monsignore<br />

Marquard Guide (* 1905).<br />

Anmerkungen<br />

1 Baeuchle, Hans-Joachim: Drei Ehrenbürger-Urkunden im Haigerlocher<br />

Stadtarchiv. Hohenz. Heimat 7 (1957) 28<br />

2 Baeuchle, Hans-Joachim: Eine neue Urkunde im Haigerlocher<br />

Stadtarchiv. Hohenz. Heimat 7 (1957) 55<br />

3 Karl Werner Steim: Die Ehrenbürger werden immer mehr (Anton<br />

Back), in: Hohenz. Zeitung Nr. 249 vom 28.10.1987; Karl Werner<br />

Steim: Franz Xaver Dopfer - Ehrenbürger mit Urkunde und<br />

Zeichnung, in: Hohenz. Zeitung Nr. 67 vom 21.3.1988 u.a.<br />

4 Der Dank gilt Herrn Vizepräsident des Landgerichts i. R. Dr. Wilhelm<br />

Haase in Hechingen für wertvolle Hinweise. Die Personalakten<br />

konnten trotz Anfragen in zahlreichen Archiven nicht festgestellt<br />

werden<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Ringingen: 's Hairies Luschtgaata<br />

Es gibt leider beide nicht mehr! Die Pfarrei ist seit 1966 mit<br />

Weggang unseres »Hairle« (= Pfarrer = Herrle, wie Hairawald<br />

für Herrenwald!) Peter Heinzelmann nach Melchingen<br />

nicht mehr besetzt. Der 1972 ins Hairieshaus eingezogene<br />

Pensionär Johannes Duffner mußte im Oktober 1982 ins<br />

Altenheim nach Gammertingen gebracht werden und der am<br />

23. April 1986 als Nachfolger aus Weildorf pensionierte Josef<br />

Straubinger (von Salmendingen stammend) feierlich eingezogene<br />

Geistliche ist schon am 15. Mai durch Herzinfarkt in<br />

himmliche Gefilde entführt worden.<br />

Vom ehemaligen »Lustgarten« rechts vor dem Pfarrhaus<br />

blieb schon seit Heinzelmanns Zeit nur ein Rest des Syringenhages<br />

am Kirchplatzrand übrig, in den dieser seine Autogarage<br />

hatte einbauen lassen. Zudem war das größte Stück des<br />

Lustgartens an den südlichen Nachbarn Rupp (früher<br />

Schmid, zuvor Bailer) gegen ein rückliegendes Stück Garten<br />

vertauscht worden. Einst schmückten die Anlagen des Lustgartens<br />

ein zierliches Gartenhäuschen inmitten von Gemüseund<br />

Blumenbeeten mit Fußwegen, auf denen »das Hairle«<br />

sein Brevier betend Gottes Segen auf Dorf und Flur herabrief.<br />

Dieses Syringenhag war ehedem wegen seiner weißen und<br />

blauen Blütendolden als einzigartig im ganzen Ort für alt und<br />

jung eine Augenweide. Am wichtigsten für die Buben war in<br />

meiner Jugend die Möglichkeit, aus den glatten Zweigen des<br />

norddeutsch sog. Flieders (dessen Name aber dort auch für<br />

Holunder gebraucht wird!) Hupen, Flöten, Pfeifen und<br />

Mundstücke zu Waldhörnern zu fabrizieren, da durch Klopfen<br />

die Rinde sich leicht ablösen läßt. Wir kannten dazu noch<br />

ein »Zaubersprüchlein«: »Glatt dura, glatt dura, zuih deam<br />

Steackle d'Hosa na!«<br />

Das Wort Syringe ist ein griechisch-botanischer Name,<br />

5 Stadtarchiv Haigerloch, Bände, Nr. 213<br />

6 Hohenz. Wochenblatt Nr.21 vom 22.2.1861<br />

7 S.Anm.6, Nr. 59 vom 9.5.1862<br />

8 S. Anm. 6, Nr. 124 vom 5.11.1862<br />

9 S. Anm. 5, Bände, Nr. 219<br />

10 S.Anm.6<br />

11 Freundl. Mitteilung Dr. Haase<br />

12 Schreiben der Evang. Kirchengemeinde Wesel vom 12.10.1987<br />

13 Unterlagen zur Familiengeschichte sowie Ehrenbürgerurkunde<br />

und Bilder im Besitz von Herrn Hans-Joachim Dopfer, Sigmaringen-Laiz<br />

14 S. Anm. 9<br />

15 Lebenslauf in: Hohenz. Blätter Nr. 248 vom 29.10.1868 und<br />

Nr. 71 von 871, Im Familienkreise 7 (1871) 89-91<br />

16 Hohenz. Blätter Nr. 248 vom 29.10.1868<br />

17 S. Anm. 5, Bände, Nr. 225<br />

18 S. Anm. 16<br />

19 Lebenslauf u.a. in verschiedenen Nachrufen: Der Zoller Nr. 131<br />

vom 7.11.1878 (dort auch Todesanzeige) und Nr. 133 vom<br />

12.11.1878; Schwarzwälder Bote Nr. 261 vom 8.11.1878<br />

20 S. Anm. 5, Bände, Nr. 234<br />

21 Lebensläufe in: Hohenz. Volks-Zeitung Nr. 165 vom 26.7.1894,<br />

Nr. 178 vom 10.8.1898 und Nr. 182 vom 14.8.1898<br />

22 S. Anm. 5, Bände, Nr. 255<br />

23 Hans Friedrich Autenrieth: Heinrich Hansjakob reist durch<br />

Hohenzollern (1900). Hohenz. Heimat (1969) 38-41.<br />

24 Laut Autobiographie von Anton Fink, der sich auf Pfarrer Joseph<br />

Blumenstetter (1807-1885) bezieht, den er noch persönlich kannte,<br />

soll Schnell den Pfarrer Josef Sprissler (1795-1879) in Freiburg<br />

denunziert habe, worauf dieser suspendiert wurde. (Hohenz.<br />

Heimatbücherei Hechingen Nr. K 800)<br />

25 Auf Antrag der NSDAP-Fraktion im Haigerlocher Gemeinderat<br />

(Hohenz. Blätter Nr. 88 vom 15.4.1933).<br />

Syrinx heißt im Griechischen die Hirtenflöte! Wir »huupten«<br />

und bliesen nach vieltausendjährigem Brauch, den älteren<br />

Leuten oft noch zum Ärger. Seit wann es in Ringingen<br />

Syringen gibt, weiß niemand. Sie hängen offenbar mit denen<br />

am Kornbühl zusammen, die wohl ein Einsiedler bei der<br />

Annakapelle um 1700 beschafft hat (Hz. Heimat 1951, 26).<br />

Zwischen Syringenhag und Kirchplatz befand sich vordem<br />

auch ein etwas erhöhter Beerengarten, der dann abgegraben<br />

wurde. Dort habe ich oft als »Milchbringer« von der »Hairleskeche«<br />

(Pfarrköchin) Theres ein Quantum Stachelbeeren<br />

pflücken dürfen. Heute dient der erniedrigte Platz mit dem<br />

Missionskreuz als Parkplatz, den man ja früher nicht benötigte.<br />

Ob noch jemand weiß, daß das ganze Gelände des Lustgartens<br />

um 1710 eine eigene Hofstatt mit Haus und Scheuer war,<br />

die man gegen ein Stück der pfarrlichen Schächerwiese am<br />

Kohlgärtle eintauschte? (Mein »Häuserbuch« im Rathaus<br />

u. Fürstl. Archiv i. Sigmaringen).<br />

Dort steht jetzt das Wohnhaus der Familie Räch, ehemals des<br />

Altrosen-Wirts Neser mit seiner Judith, wo der Seffer und ich<br />

oft spielten und dem Peitschenmachen zuschauten oder (um<br />

1914) vom hinteren Fenster aus die »Seefahrtkünste« der<br />

ledigen Burschen mittels »Metzgermuot« oder »Gelt« auf<br />

dem jährlich im sog. Kessel erscheinenden Weiber mit großem<br />

Interesse beobachteten und später auch selber solche<br />

probierten. Heute gibt es solches Schauspiel dank der Kanalisation<br />

nicht mehr! (Nachtrag: Der Bericht über die »Quelle in<br />

der Kirche zu Killer« vom 12. Juni der Hz. Ztg. redet von<br />

»Familie Mathias Wahl in Ringingen«, statt richtig von »Fa.«,<br />

das heißt: Firma, bzw. Baugeschäft).<br />

31


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

M 3828 F<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Das Wiedendrehen oder die Kunst Bäumchen zu drillen<br />

Flurnamen wie Wiedenhalde, Wiedenhau und ähnliche kommen<br />

auf vielen Ortsmarkungen vor. Nicht selten handelt es<br />

sich um Standorte, an denen niemals Weiden gepflanzt<br />

werden konnten. Hier erklärt man die Flurnamen mit wied,<br />

witun althochdeutsch für Holz, Wald. In der »Schwäbischen<br />

Heimat« Nr. 2/1988 zeigt Oswald Schoch, Forstdirektor in<br />

Enzklösterle, was »Wieden« tatsächlich bedeutet. Alle von<br />

Holzgewächsen gewonnenen Bindematerialien nannte man<br />

Wieden.<br />

Der Bedarf an Wieden war außerordentlich groß. Vieles, was<br />

heute genagelt und geschraubt wird, hat man früher zusammengebunden.<br />

Natürlich gab es immer schon Schnüre und<br />

Seile aus Hanf für spezielle Zwecke. Im alltäglichen Gebrauch<br />

waren sie jedoch zu teuer und für manche Zwecke, wie die<br />

Flößerei auch zu schwach.<br />

Der Werdegang einer Wiede war folgender: Ein frisch<br />

geschlagener junger Stamm wurde von Ästen gesäubert und<br />

Buchbesprechung<br />

Eberhard Rothermel- Thomas Stephan: Oberschwaben. 152<br />

Seiten mit 103 Tafeln, davon 36 in Farbe. 24,5 x 25 cm.<br />

Kunstleinen. DM 59,-. ISBN 3806204381<br />

Wer Oberschwaben kennt, ist leicht geneigt, ein Loblied auf<br />

diesen Landstrich zwischen Schwäbischer Alb und Bodensee<br />

anzustimmen. Dem Naturfreund sind Moore und Weiher,<br />

Wiesen und Wälder bewahrenswerte Paradiese. Der Kunstliebhaber<br />

ist nicht nur vom »Himmelreich des Barock«<br />

überwältigt. Der Geschichtskenner sieht in dieser scheinbar<br />

so gleichmäßigen, still in sich ruhenden Landschaft den<br />

einstigen Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen. Oder<br />

man genießt Oberschwaben als anziehendes und leistungsfähiges<br />

Erholungs- und Freizeitgebiet. Aber Oberschwaben ist<br />

darüber hinaus und vor allem Heimat, in der man sich<br />

wohlfühlen kann. Heimat abseits der großen Zentren, ländlich<br />

abgeschieden und doch nichts weniger als »provinziell«,<br />

altem Brauchtum verpflichtet und der Tradition zugetan,<br />

aber auch dem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Hier soll<br />

nicht ein weiteres Mal ein Kunst- oder Naturführer über<br />

Oberschwaben vorgelegt werden. Es geht vielmehr darum, in<br />

Bild und Wort Land und Leute im Zusammenhang darzustel-<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der<br />

Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: 8.00 DM jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 653 51050).<br />

Druck:<br />

M. Lithners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

32<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Wolfgang Hermann<br />

Fischinger Straße 55<br />

7247 Sulz<br />

Pfarrer Johann Adam Kraus<br />

Badstraße 8<br />

7800 Freiburg-Littenweiler<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a<br />

8430 Neumarkt<br />

Karl Werner Steim<br />

Wegscheiderstraße 26<br />

7940 Riedlingen<br />

Rektor Otto Werner<br />

Friedrich-List-Straße 56<br />

7450 Hechingen<br />

in einem speziellen Ofen erhitzt, daß der Saft kochte<br />

(»gebäht«). Mit dem dünnen Ende beginnend, wurde das<br />

Bäumchen um eine Hartholzstange (»Wiedstange«) gewunden.<br />

Das starke Ende des Bäumchens im Loch eines feststehenden<br />

Balkens befestigt, von der »Wiedstange« abgedreht<br />

und um den »Wiedstock« gewunden. Durch das Drehen<br />

sprang die Rinde ab und der Saft strömte aus dem Bäumchen.<br />

Die Wieden wurden zu Ringen geflochten und trocken<br />

aufbewahrt. Vor Gebrauch legte man sie ins Wasser, um sie<br />

wieder geschmeidig zu machen. Durch Erhitzen, Abdrehen<br />

und Erkalten teilten sich die kompakten Holzkörper in<br />

kabel- bzw. seilartig gewundene Faserstränge auf.<br />

Eine große Rolle spielten »Ernd- und Kornwieden«, welche<br />

jeder Bauer in großer Zahl benötigte. Um den Wald zu<br />

schonen, wurden zahlreiche einschränkende Bestimmungen<br />

erlassen. Im Schwarzwald wurden noch bis in unser Jahrhundert<br />

hinein Wieden für die Flößerei hergestellt. B.<br />

len, so, wie sich die Einheimischen selbst sehen, und zugleich<br />

aus einem Blickwinkel, der Geschichte und Gegenwart Oberschwabens<br />

auch dem Besucher verständlich - und liebenswert<br />

- macht.<br />

Nachtrag zum Aufsatz<br />

»Trochtelfinger Heidegg«<br />

Nach frdl. Mitteilung des Bayrischen Hauptstaatsarchivs<br />

München durch Archivoberrat Dr. Leidel vom 5. Mai 1988<br />

gehört die Stadt Heideck bei Nürnberg, die aus der verlegten<br />

Burg Haideke von 1197 entstand, heute zum Lkr. Roth. Die<br />

hochedlen Herren der Trochtelfinger Heidegg besaßen außer<br />

den schon erwähnten Gütern auch solche in Vorarlberg.<br />

Auch in der Steiermark gab es ein Vasallengeschlecht »Hayd<br />

von Haydegg« mit einer Burg Weyer bei Graz, das erst 1822<br />

ausstarb. Die angeblich »uralte« Gleichsetzung von »Heide«<br />

mit Wald oder Forst, die noch der Dichter Schiller gebraucht<br />

habe, will jedoch schlecht überzeugen! J.A.K.<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen Telefon 07574/4211<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HÖH ENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herausgegeben vom<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

38. Jahrgang Nr. 3 / September 1988<br />

Johanna von ßerselle. Ölbild des Meisters von Meßkirch. 22 x 33 cm. Rom, Vatikan. Auf sie als<br />

Gattin des letzten Werdenbergers ließen sich die Ansprüche ihres Sohnes aus erster Ehe Karll.<br />

von Zollern, auf die bis dato (1534) werdenbergischen Grafschaften Veringen und Sigmaringen<br />

stützen.


HERBERT RÄDLE<br />

Ein Frauenporträt des Meisters von Meßkirch in der Pinacoteca Vaticana<br />

Bei einem Gang durch die Pinakothek der vatikanischen<br />

Museen ist man einigermaßen erstaunt, im Saal XIII zwei<br />

kleinformatige Porträtbilder zu entdecken, die jeweils in der<br />

linken oberen Ecke das Zollernwappen aufweisen: die Porträts<br />

Eitelfriedrichs III. von Zollern und seiner Frau Johanna<br />

von Berselle aus dem Jahr 1523. Christian Salm weist beide<br />

Bilder dem Meister von Meßkirch zu (Kindlers Malerei-<br />

Lexikon, Bd. 9, 1976, S. 102-104). Johanna von Berselle, die<br />

Gattin des zwei Jahre später (1525) bei Pavia umgekommenen<br />

Zollerngrafen hat als Mutter Karls I. von Hohenzollern-<br />

Sigmaringen eine eigenartige Rolle im territorialen Werdegang<br />

des Landes Hohenzollern gespielt.<br />

I. Das Porträt<br />

Das als Hüftbild gegebene Porträt stellt die etwa 30jährige<br />

Gräfin nach links blickend dar. Sie trägt ein an Brust und<br />

Ärmeln mit goldenen Litzen besetztes dunkles Samtkleid mit<br />

eckigem Miederausschnitt und goldgesticktem Stehkragen.<br />

Als Schmuck trägt sie unter anderem, über dem feinplissierten<br />

weißen Miedereinsatz, ein goldenes mit Edelsteinen<br />

besetztes Andreaskreuz. Um die Schultern hat sie einen<br />

prächtigen, schweren Mantel gelegt. Ihre Tracht wird vervollständigt<br />

durch eine über einem weißen Kopfschleier getragene<br />

schneckenförmige modische Kopfbedeckung. Das<br />

runde Gesicht mit der derben Nase und dem für den Meister<br />

von Meßkirch charakteristischen kleinen Mund drückt eher<br />

Vitalität und Tüchtigkeit als Adel aus.<br />

II. Johanna von Berselles Rolle<br />

im Werdegang des hohenzollerischen Territoriums<br />

Nach dem Tod ihres ersten Gatten heiratete Johanna 1526<br />

den Grafen Christoph von Werdenberg. Die Werdenberger,<br />

eine Teillinie der Grafen von Montfort, die ihrerseits einen<br />

Nebenzweig der Grafen von Tübingen darstellten, besaßen<br />

damals nicht nur die Grafschaft Heiligenberg, die Herrschaf-<br />

CASIMIR BUMILLER<br />

Der Schultheiß und seine Frau, die Hexe<br />

ten Trochtelfingen mit Melchingen, Salmendingen und Ringingen,<br />

Jungnau mit Inneringen und Dietfurt mit Vilsingen<br />

(als eigen), sondern auch die Grafschaften Sigmaringen und<br />

Veringen (als Reichs- bzw. österreichisches Lehen).<br />

Die Ehe Christophs von Werdenberg und Johannas von<br />

Berselle blieb ohne männliche Nachkommenschaft. Als Christoph<br />

1534 starb, drohte daher das ganze Erbe an Friedrich<br />

von Fürstenberg zu fallen, der mit einer Werdenbergerin<br />

verheiratet war. Doch das Haus Osterreich wußte diese<br />

seinen Interessen nicht dienliche Machterweiterung des Fürstenbergers<br />

zu verhindern. Als Oberlehensherr der beiden<br />

Grafschaften Veringen und Sigmaringen machte es von seinem<br />

Heimfallrecht Gebrauch. Neu belehnt wurde eine Familie,<br />

die sich in Habsburgs Diensten schon bisher besonders<br />

hervorgetan hatte 1: In Anbetracht der Tatsache, daß er als<br />

»Stiefsohn« des letzten Werdenbergers einen gewissen<br />

Anspruch vorweisen konnte, belehnte man den erst ^jährigen<br />

Zollerngrafen Karl (1516-1576), Sohn Eitelfriedrichs<br />

III. 2 und Johannas von Berselle, jenen Karl also, der als<br />

Karll. von Hohenzollern-Sigmaringen der Begründer der<br />

Sigmaringer Linie der Hohenzollern wurde 3.<br />

Anmerkungen<br />

Bemerkenswerte Quellen um den ersten Hexenprozeß in Hechingen 1583<br />

Es ist bekannt, daß den Deutschen seit alten Zeiten ein<br />

gewisser Hang zur Trunksucht nachgesagt wird. An der<br />

Schwelle zur Neuzeit nahmen sich unzählige Landes-, Polizei-<br />

und Kirchenordnungen dieses Lasters an. Auch die<br />

Prediger und Moralisten wurden nicht müde, gegen den<br />

»Saufteufel« zu wettern. Der schwäbische Gelehrte und<br />

Moralist Sebastian Franck etwa hat seinen Landsleuten deutliche<br />

Worte ins Stammbuch geschrieben: Nun ist doch sollich<br />

sauffen nye gewesen von dem weib biß auff das kinde. Summa<br />

/ es will alles fressen vnnd sauffen / man gewanet die kinnde<br />

bey zeit daran / schüttet in den wein inn der wiegen ein /<br />

sorgenn es mochte es vyleicht von im selbs nit lernen... Da<br />

treybt eyner den andern / der paur den burger / der burger<br />

den edelmann etc. Da ist kayn regiment noch Ordnung /<br />

kompt alle ding auff das höchst / vnnd ist alles verfressen /<br />

versoffen was wir auff bringen... Wz wundert vns dann das<br />

wir arm seind vnnd kayn gelt im teutschenland ist / weil wir<br />

34<br />

1 Uber Zollerngrafen im Dienste Habsburgs vgl. R. Seigel, Schloß<br />

Sigmaringen und das Fürstliche Haus Hohenzollern, Konstanz<br />

1966, S.10.<br />

2 Die Hauschronik der Grafen von Zollern (angelegt von Karl I. von<br />

Hohenzollern-Sigmaringen, Urhandschrift in der Hofbibliothek<br />

zu Sigmaringen) berichtet, daß Eitelfriedrich III. - dort nach der<br />

alten Zählung als »der Sechst« bezeichnet - von Jugend auf am<br />

Hofe Karls V. gelebt habe, großen Kriegsruhm erworben habe und<br />

schließlich von einem neidischen spanischen Offizier zu Pavia<br />

vergiftet worden sei. Vgl. zur Zollernschen Hauschronik auch<br />

R. Seigel, Zur Geschichtsschreibung beim schwäbischen Adel in<br />

der Zeit des Humanismus. In: ZWL 40, 1981, S. 93-118.<br />

3 Der erste Karl in der Reihe der Zollern trug übrigens seinen Namen<br />

nach Kaiser KarlV. persönlich, dessen Patenkind er war.<br />

vollen / truncknen teutschen mer verthond dann wir habenn<br />

im zypffel vnnd sack 1. Aber alles Moralisieren nützte nichts.<br />

Gerade die unablässige Wiederholung des Abstinenzgebots<br />

in Polizeiordnungen und Predigten verweist auf seine tiefgreifende<br />

Wirkungslosigkeit.<br />

In Hechingen griff man Ende des 16. Jahrhunderts zu dem<br />

Mittel, die Trunksucht der Hofbediensteten und Beamten<br />

öffentlich zu kontrollieren. So wurden etwa 1583 die Musiker<br />

der berühmten Hofkapelle Graf Eitelfriedrichs IV. von<br />

Hohenzollern-Hechingen in ihrem Alkoholkonsum streng<br />

überwacht. Gleichzeitig ermahnt der Obervogt Dr. Dretzler<br />

am 22. Dezember 1583 den Schultheißen Caspar Hindenlang<br />

nach dessen gef englicher erlassung sich dess übermäßigen Voll<br />

Sauffens vnd Zechens gentzlich zu enthalten 2.<br />

Zur Kontrolle muß sich der Schultheiß täglich morgens,<br />

mittags und abends im Marstall melden. Nun kann der Hang<br />

zum Trinken vielerlei Gründe und Anlässe haben, und nicht


immer verbirgt sich dahinter eine Geschichte zum Schmunzeln.<br />

Den Fall des Hechinger Schultheißen Hindenlang lassen<br />

einige weitere Quellen aus jener Zeit in einem ganz anderen<br />

Licht erscheinen. In der Ermahnung des Obervogts an Hindenlang<br />

fällt die Formulierung: nach dessen gefenglicher<br />

erlassung auf. Der Schultheiß war also erst vor kurzem aus<br />

dem Gefängnis entlassen worden und die Frage drängt sich<br />

auf: Was hatte ihn dort hinein gebracht?<br />

Die Urfehde<br />

Eine Urfehde vom 4. September 1583 gibt Antwort auf diese<br />

Frage 3. Darin bekennt Caspar Hindenlang von Straßburg der<br />

Zeytt Schuldthaiß Zu Hächingen, daß er eingesperrt worden<br />

sei, weil er sich öffentlich gegen die Art der Prozeßführung im<br />

Falle seiner sei. Frau beklagt hatte. Wir ahnen bereits, um<br />

welche Art Prozeß es sich gehandelt hatte: Caspar Hindenlangs<br />

Frau war als Hexe angeklagt und verurteilt worden.<br />

Nachdeme kurtz Verschinnener Zeytt mein Haußfrawe<br />

Catharina seeligh Wegenn deß Schandtlichen Lasters der<br />

Hex- vnnd Zauberei vnnd auff gnugsame Argwöhnische<br />

Inditia... hingerichtet worden, habe Hindenlang im öffentlichen<br />

Wirtshaus gegenüber fremden und einheimischen Leuten<br />

vernehmen lassen, daß meiner Haußfrawenn Vnrecht<br />

vnnd Zuvihll angetan und sie von den zollerischen Beamten<br />

mitt vngebührlichenn mittelnn Zu der Bekhandtnuß gedrungen<br />

worden sei. Jetzt im Gefängnis bekennt der Schultheiß,<br />

daß er solche Klagen auß villfalttiger bekhümmernuß vnnd<br />

trüebsahll Onbedächtlich geführt habe und bittet den Grafen<br />

Eitelfriedrich, ihm zu verzeihen und mein gnediger Herr seyn<br />

vnnd pleiben zu wollen. Aus dem Gefängnis wird er entlassen,<br />

nachdem er unter Eid versprochen hat, keine weiteren<br />

gerichtlichen Schritte - es sei denn vor dem Hechinger<br />

Gericht - gegen Verfahrensweise und Urteil im Fall seiner als<br />

Hexe gerichteten Frau einzuleiten. So war der Schultheiß<br />

wieder auf freiem Fuß, jedoch, wie der Hinweis auf seine<br />

Trunksucht drei Monate später andeutet, als ein gebrochener<br />

Mann.<br />

Was hätte eine Klage Hindenlangs gegen das Prozeßverfahren<br />

für seine persönlichen Verhältnisse auch erreichen können,<br />

war seine Frau Catharina doch de facto abgeurteilt und ihre<br />

Asche seit Tagen und Wochen in Staub verwandelt! Immerhin<br />

zeigt das emotionale Aufbegehren des Schultheißen, daß<br />

in der Anfangsphase der Hexenverfolgung in Hohenzollern<br />

durchaus Zweifel am Inquisitionsverfahren gegen als Hexen<br />

verdächtigte Frauen bestanden. Hindenlangs Klage gegen die<br />

ungebührlichen Mittel, durch die seine Frau zu einem Hexengeständnis<br />

gebracht worden war, dürfte sich auf die Anwendung<br />

der Folter beziehen. Und selbst der Graf und seine<br />

Beamten gestehen in der zitierten Urfehde ein, daß des<br />

Schultheißen Frau Catharina zwar auff gnugsame, aber<br />

immerhin doch nur auf Inditia (Indizien) hin verurteilt<br />

worden war. Hindenlangs Zweifel an dem Verfahren waren<br />

also auch aus dem Rechtsverständnis der Zeit heraus völlig<br />

berechtigt 4. Seine Gefangennahme und die sehr demütigend<br />

formulierte Urfehde (die er auch noch selbst niederzuschreiben<br />

hatte) zeigen, daß hier jeder Funke von Widerstand gegen<br />

die beginnende Hexenverfolgung in Hohenzollern im Keim<br />

erstickt werden sollte 5.<br />

Ein Geständnisprotokoll<br />

Die Prozeßakten im Fall der Schultheißin Catharina Hindenlang,<br />

die über die Verfahrensweise nähere Auskunft geben<br />

könnten, sind von mir im Staatsarchiv Sigmaringen nicht<br />

aufgefunden worden, obwohl sie erhalten sein müssen.<br />

J.A. Kraus, der seine Quelle leider nicht angibt, kennt zum<br />

Jahr 1583 drei Hechinger Hexen, eine Catharina Baderin alias<br />

Daikerin* eine Margaretha Sattlerin (Lehlins Weib) und<br />

schließlich Catharina die Schultheißin, also offensichtlich die<br />

Monsignore Dr. Walter Kaufhold<br />

zum 80. Geburtstag<br />

Am 16. Juli 1988 konnte Monsignore Dr. Walter Kaufhold<br />

seinen 80. Geburtstag feiern. Grund genug, an<br />

dieser Stelle seine Verdienste um Geschichte und<br />

Kunst Hohenzollerns zu würdigen.<br />

Von 1950 bis 1973 leitete Dr. Walter Kaufhold die<br />

Fürstl. Hohenz. Sammlungen und Hofbibliothek, wobei<br />

er zusätzlich als Hofkaplan des Fürstenhauses<br />

Hohenzollern tätig war. Fürst Friedrich ernannte ihn<br />

1961 zum Direktor. Auch nach seiner Pensionierung<br />

betreute Dr. Walter Kaufhold noch bis 1981 zeitweilig<br />

die Fürstl. Sammlungen.<br />

Eine glückliche Verbindung von Theologie und<br />

Kunstgeschichte, Priester und Konservator, befähigte<br />

Dr. Walter Kaufhold zu universalwissenschaftlicher<br />

Pflege, Erschließung und Deutung der vielfältigen<br />

Fürstl. Sammlungen. Sein besonderes Interesse galt<br />

und gilt der schwäbischen Malerei und Plastik des<br />

Mittelalters und der frühen Neuzeit, der sakralen<br />

Kunst des 12. bis 16.Jahrhunderts. Im Vorfeld des<br />

100jährigen Jubiläums des Fürstl. Museums (1967)<br />

widmete sich Dr. Walter Kaufhold mit großem Engagement<br />

der Renovierung und neuen Präsentation des<br />

Museums, das er zudem durch einige Erwerbungen<br />

bereichern konnte.<br />

Als Vorstandsmitglied und Mitarbeiter der »Zeitschrift<br />

für Hohenzollerische Geschichte« und der<br />

»Hohenzollerischen Heimat« unterstützte Dr. Walter<br />

Kaufhold tatkräftig die Anliegen des Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>s.<br />

Aus seiner Feder stammen zahlreiche<br />

Studien, die sich vornehmlich mit der Kunstgeschichte<br />

Hohenzollerns befassen. Stellvertretend seien zwei<br />

verdienstvolle und häufig gefragte Werke genannt:<br />

Walter Kaufhold/Rudolf Seigel, Schloß Sigmaringen<br />

und das Fürstliche Haus Hohenzollern, Sigmaringen<br />

1966/2. Aufl. 1979;<br />

Walter Kaufhold, Fürstenhaus und Kunstbesitz, Sigmaringen<br />

1969.<br />

Zum 80. Geburtstag herzliche Glück- und Segenswünsche<br />

vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>!<br />

Peter Kempf<br />

hier in Frage stehende Frau Caspar Hindenlangs. Nach den<br />

Kraus zur Verfügung stehenden Akten wurde bei diesen drei<br />

Frauen die Folter angewendet und wenigstens zwei von ihnen<br />

wurden zum Tode verurteilt. Rolf Burkarth nennt in seiner<br />

Arbeit über die Hexenprozesse in Hohenzollern zum Jahr<br />

1583 lediglich eine Margaretha, Lehlins Weib, die wohl<br />

identisch ist mit Margaretha Sattlerin bei Kraus 7.<br />

Nun gibt es im Staatsarchiv Sigmaringen ein weiteres Aktenbruchstück<br />

von 1583, das in das Umfeld dieses Hechinger<br />

Hexenprozesses gehört, nämlich ein Geständnisprotokoll<br />

zweier weiterer Frauen, das Zue Hechingen Denn 14ten<br />

Augusti Zwischenn 1 Uhrenn vnnd 3 Uhrenn Nachts Anno<br />

[15]83 aufgenommen wurde 8. Entsprechend dieser ungewöhnlich<br />

späten Stunde ist das Aktenstück weitgehend unleserlich,<br />

denn auch der Schreiber hätte in jener Nacht um diese<br />

Zeit wohl lieber das Bett gehütet. Was er notiert hat, sind die<br />

Geständnisse einer Catharina Zumprechtin und einer Ursula<br />

35


Knapp, die darin auch über weitere Frauen Aussagen machen.<br />

Genannt werden die schon bekannte Gret Sattlerin, eine<br />

gewisse Schneider Anna, Eleaser Jonas Weiblin und die<br />

Schultheißen, zweifellos wiederum die Frau Caspar Hindenlangs.<br />

Es zeichnet sich also im Jahr 1583 ein Hexenprozeß ab, bei<br />

dem wenigstens fünf Hechinger Frauen angeklagt waren:<br />

Catharina Zumprechtin, Ursula Knapp, Catharina Baderin,<br />

Margaretha Sattlerin und Catharina Schultheißin. Ob die<br />

weiter genannten Frauen, Schneider Anna und Eleaser Jonas'<br />

Frau ebenfalls vor Gericht gestellt wurden, ist bisher nicht<br />

bekannt. Es muß in diesen Sommertagen in Hechingen einige<br />

Aufregung geherrscht haben, nicht nur weil niemand wußte,<br />

wen die Angeklagten unter der Folter noch angeben würden,<br />

sondern auch weil diese Prozeßserie von 1583 nach meiner<br />

Kenntnis der erste Hexenprozeß in der Grafschaft Zollern ist,<br />

bei dem die Angeklagten tatsächlich zum Feuertod verurteilt<br />

wurden. Zwar hatte es zwischen etwa 1540 und 1577 bereits<br />

fünf Anklagen wegen Zauberei und Hexerei gegeben - die<br />

Fälle betrafen Burladingen, Grosselfingen und dreimal Jungingen<br />

aber die betroffenen Frauen waren alle mit dem<br />

Leben davongekommen. Seit 1583 wurde allerdings ernst<br />

gemacht mit der Hexenverfolgung im Land. In der Regierungszeit<br />

Graf Eitelfriedrichs IV. (1576-1605), der auch in<br />

anderen Herrschaftsbereichen ein rigoroseres Regiment<br />

führte, wurden in Wellen von 1583,1589,1598 und 1604 nicht<br />

weniger als 17 Frauen und ein Mann wegen Zauberei und<br />

Hexerei angeklagt und fast alle endeten auf dem Scheiterhaufen.<br />

Dem hier in Frage stehenden Prozeß kommt insofern wegen<br />

seines Pioniercharakters besondere Bedeutung zu. Daß die<br />

Richter in diesem Bereich der Rechtsprechung noch wenig<br />

geübt waren, macht sich auch in den Protokollen bemerkbar.<br />

Was an Geständnissen der Catharina Zumprechtin und der<br />

Ursula Knapp festgehalten wurde, wirkt im Vergleich zu<br />

späteren Prozessen eher blaß. Die Geständnisse wirken wie<br />

dem Handbuch der Hexenlehre entnommen und lediglich<br />

mit einigen konkreten Namen, Orten und Fakten ausgeschmückt.<br />

Die standardisierten Antworten erwecken den<br />

Eindruck, als sei hier das klassische Hexeneinmaleins, das die<br />

Richter abfragen wollten, aus den beiden Frauen herausgefoltert<br />

worden.<br />

Bereits vor zehn, fünfzehn Jahren habe sich die genannte<br />

Gruppe von Frauen einem Teufel mit dem wohlklingenden,<br />

aber hierzulande üblichen Namen Greßlin verschrieben,<br />

welcher abwechselnd in einem grünen Rock oder im schwarzen<br />

Häs auftrat. Er habe Gems- oder Geißfüße gehabt und<br />

auch die Buhlschaft mit ihm hauen die Frauen als unangenehm<br />

in Erinnerung, da er Khalter Natur gewesen. Der Böse<br />

habe ihnen abverlangt, Gott und alle Heiligen zu verleugnen<br />

und ihnen dafür Zauberkräfte in Form von Salben und<br />

Pulvern an die Hand gegeben. Mit deren Hilfe hätten sie<br />

verschiedentlich Unwetter veranstaltet, aber auch Leute und<br />

Vieh geschädigt. Um den Bund mit dem bösen Feind zu<br />

erneuern, hätten sie regelmäßig Konventikel und Tänze<br />

abgehalten, etwa in einem Hanfgarten im oberen Buloch oder<br />

beim Butzenweiher. Mit dem Ruf oben auß vnd nienett ahn<br />

seien sie dann auf Stecken und Ofengabeln im namen des<br />

teuffels zum Cameth außgefahren. Bei den Hexentänzen sei<br />

es hoch hergegangen. Sie hätten immer genug zu essen und zu<br />

trinken gehabt, allerdings kein Brot und Salz (wegen ihrer<br />

hexenbannenden Kraft). Den Wein, roten und weißen, habe<br />

die Schneider Anna oder die Gret Sattlerin aufgetragen, die<br />

Schultheißin habe dagegen das Fleisch gebracht. Überhaupt<br />

wird die Schultheißin in den Aussagen der beiden Frauen als<br />

extravagante Frau geschildert: dreimal heißt es, sie habe bei<br />

den Hexentänzen ein Schleierhütlein, ein Schlappenhütlein<br />

oder gar einen Pelzhut getragen.<br />

36<br />

Wenn diese genormten Protokolle überhaupt Realität beinhalten,<br />

dann mag sie am ehesten vielleicht in solchen Charakterisierungen<br />

stecken. Es ist ja immerhin bemerkenswert, daß<br />

diesem ersten Hechinger Hexenbrand die Schultheißin, also<br />

die Frau des Ersten Mannes der Stadt zum Opfer fiel. Von den<br />

Mitangeklagten wird sie durch ein modisches Détail aus ihrer<br />

Garderobe noch beim Hexentanz als Angehörige der städtischen<br />

Oberschicht gekennzeichnet.<br />

Schultheiß Caspar Hindenlang: Bruchstück einer Biographie<br />

Besonders heikel mußte die Konstellation dieses Prozesses<br />

auch dadurch wirken, daß Caspar Hindenlang in seiner<br />

Eigenschaft als Hechinger Stadtschultheiß und Untervogt der<br />

Grafschaft Hohenzollern-Hechingen eigentlich die Untersuchungen<br />

zu leiten gehabt hätte. Das war aber wegen der<br />

Befangenheit im Falle seiner Frau nicht möglich. So mußte<br />

der juristisch geschulte Mann zusehen, wie seine Frau Catharina<br />

im Verlauf des Prozesses und, wie anzunehmen ist, unter<br />

der Folter zur Hexe gemacht wurde.<br />

Es ist nicht viel, was wir über den Schultheiß Caspar Hindenlang<br />

wissen. Sein Familienname ist nicht in Hechingen heimisch;<br />

in seiner Urfehde vom 4. September 1583 nennt er sich<br />

von Straßburg. Weder in der Literatur zu Straßburg noch in<br />

den Matrikeln der einschlägigen Universitäten begegnet sein<br />

Name. So mochte er vielleicht kein gelehrter Jurist gewesen<br />

sein, aber doch ein Mann mit Verwaltungserfahrung. Als<br />

solcher war er etwa im Januar 1582 befähigt, in herrschaftlichem<br />

Auftrag die Jahrgerichte in den einzelnen Orten der<br />

Grafschaft abzuhalten 9. Er dürfte erst wenige Jahre der<br />

hohenzollerischen Beamtenschaft angehört haben, als die<br />

Fama, seine Frau sei eine Hexe, seiner Karriere ein Ende<br />

bereitete. Ob Catharina mit ihm von Straßburg gekommen<br />

oder eine gebürtige Hechingerin war, ist nicht zu entscheiden.<br />

Im August 1583 hatte sie sich mit den anderen genannten<br />

Frauen wegen des Vorwurfs der Hexerei zu verantworten,<br />

noch in diesem Monat dürfte sie den Scheiterhaufen bestiegen<br />

haben, denn vom 4. September stammt bereits Hindenlangs<br />

Urfehde, die ihren Tod voraussetzt.<br />

Die Urfehde ist ein großartiges Dokument dafür, daß Hindenlang<br />

den Tod seiner Frau nicht ohne weiteres hingenommen<br />

hatte. Sie liefert eines der seltenen Beispiele für den<br />

Widerstand gegen das Inquisitionsverfahren bei Hexenprozessen.<br />

Dabei mag Caspar Hindenlang durchaus wie das Gros<br />

seiner Zeitgenossen an die Existenz von Hexen geglaubt<br />

haben, aber er war wie wenige »aufgeklärt« genug, um die<br />

Folter als Methode zu ihrer Überführung abzulehnen.Und er<br />

machte diese Ablehnung in den Hechinger Wirtshäusern<br />

öffentlich und schrie den Schmerz über den ungerechtfertigten<br />

Tod seiner Frau in die Gassen des Städtchens hinaus. Dies<br />

hat ihm letztlich seinen aufrechten Gang und seine Laufbahn<br />

gekostet. Zwar gilt Hindenlang noch während seiner Gefangenschaft<br />

im September als Schultheiß und noch im Dezember<br />

1583 wird er gelegentlich seiner Ermahnung wegen des<br />

Trinkens Schultheiß genannt. Möglicherweise beließ man ihn<br />

dieses Jahr noch in seinem Amt, weil im Januar 1584 ohnehin<br />

ein neuer Schultheiß bestimmt wurde. Da die Jahrgerichtsprotokolle<br />

der folgenden Jahre fehlen, ist sein Schicksal<br />

allerdings nicht genau zu fassen. Ende der 80er Jahre fehlt<br />

jedenfalls der Name Hindenlang in Hechingen.<br />

Auch wenn dieser Mann nur wenige Jahre an der Spitze der<br />

Stadt Hechingen gestanden hat und seine Amtszeit insofern<br />

eine Episode bildet, sollte er nicht nur durch den Hinweis auf<br />

seine Trunksucht in die Geschichte der Stadt eingehen.<br />

Caspar Hindenlang hatte versucht, den Anfängen der Hexenverfolgung<br />

in Hohenzollern zu wehren und mußte daran<br />

scheitern.


Anmerkungen<br />

1 Sebastian Franck, Von dem grewlichen Iaster der trunckenheit so in<br />

disen letsten Zeiten erst schier mit den Franzosen auffgekommen...<br />

(1531), S. 23 f.<br />

2 Kleine Mitteilung von Max Schaitel in Zoller<strong>heimat</strong> 9 (1940) S. 6.<br />

3 Staatsarchiv Sigmaringen Ho 1 C II 2 aa Nr. 4 (Pak. 262).<br />

4 Als Prozeßgegner ist etwa der Zeitgenosse Johann Weyer zu<br />

nennen.<br />

5 Casimir Bumiller, »Ich bin des Teufels, wann er nur kam und holte<br />

HERBERT RÄDLE<br />

mich!« Zur Geschichte der Hexenverfolgung in Hohenzollern. In:<br />

Hohenz. Heimat 33 (1983) S.2-7.<br />

6 J.A. Kraus, Opfer des Hexenwahns. In: Hohenz. Heimat 17 (1967)<br />

S. 1 Nr. 3-5.<br />

7 Rolf Burkarth, Die Hexenprozesse in Hohenzollern. Zulassungs-<br />

arbeit PH Reutlingen 1965, S. 16 Nr. 9.<br />

8 Staatsarchiv Sigmaringen Ho 1 Nr. 932 foll. 67 ff.<br />

9 Staatsarchiv Sigmaringen Ho 1 Nr. 1503 fol.304 r.<br />

Ein Münzbildnis des aus Veringendorf gebürtigen Reformators Simon Grynaeus<br />

(1493-1541)<br />

Die hier abgebildete Gedächtnismedaille auf Simon Grynaeus<br />

ist ein Werk des wohl bekanntesten Schweizer Medailleurs<br />

des 16.Jhs., Jakob Stampfer. Sie wurde anläßlich von<br />

Grynaeus' Tod im Jahre 1541 in Zürich herausgebracht.<br />

I. Die Grynaeusmedaille und ihre Einordnung<br />

Auf der Vorderseite des sehr schön erhaltenen Stückes ist<br />

Grynaeus im Brustbild nach links barhäuptig wiedergegeben.<br />

Die Umschrift lautet: SIMON GRYNAEUS. OBLIT<br />

AN.DN. MDXLI AET. XLVIII (= Simon Grynaeus. Er<br />

starb im Jahre des Herrn 1541 im Alter von 48 Jahren). Die<br />

Rückseite zeigt in 7 Zeilen folgendes lateinische Distichon:<br />

INGENIO ET VITA TOTUM COMPLEVERAT ORBEM<br />

EXIGUO VÜLTUM CUIUS IN ORBE VIDES (= der<br />

Mann, dessen Bild du auf dieser kleinen Scheibe siehst,<br />

erfüllte mit Geist und vorbildlicher Lebensführung den Erdkreis).<br />

Darunter erkennt man die ligierte Signatur JS (= Jakob<br />

Stampfer).<br />

Als Auftraggeberin kommt die Basler Kirche oder die Stadt<br />

Basel in Frage. In Basel hatte Grynaeus seit 1529 als Professor<br />

für Griechisch (und später für Theologie) und als einer der<br />

wichtigsten Männer der Basler Kirche gewirkt. Nach dem<br />

frühen Tod Oekolampads 1531 war Grynaeus »ohne den<br />

Namen zu haben, das Haupt der Basler Kirche« '. Die Basler<br />

anerkannten dies, indem sie ihn, seinem Wunsche folgend 2,<br />

1541 im Grabe Oekolampads beisetzten, zusammen mit dem<br />

frommen Bürgermeister Jakob Meyer zum Hirzen, der<br />

damals ebenfalls der Pest erlag. Ein gemeinsames Epitaph im<br />

Kreuzgang des Basler Münsters erinnert noch heute an die<br />

drei großen Männer der Basler Reformation 3. Mit der Herausgabe<br />

unserer Gedenkmünze sollte wohl dazu beigetragen<br />

werden, Grynaeus im Bewußtsein nicht nur der Schweizer<br />

Öffentlichkeit in die Zahl der denkwürdigen Schweizer<br />

Reformatoren einzureihen. Wurde sie doch bei demselben<br />

hochangesehenen Züricher Medailleur in Auftrag gegeben,<br />

der 10 Jahre zuvor auch die offiziellen Gedächtnismedaillen<br />

für Zwingli und Oekolampad gefertigt hatte. 4<br />

II. Zur Medaillenkunst der Renaissance<br />

Die Sitte, bedeutende Persönlichkeiten nicht nur des Adels,<br />

sondern auch des Bürgertums auf Medaillen zu »verewigen«,<br />

entstand zuerst in Italien. Als erstes bekanntes Beispiel gilt die<br />

Medaille Antonio Pisanos auf den oströmischen Kaiser<br />

Johannes Palaiologos aus dem Jahre 1438. Die Medaillen der<br />

deutschen Renaissance hat Georg Habich erforscht 5. Sie<br />

waren in Deutschland im 19. Jh. mit seiner Schwärmerei für<br />

das »Vaterländisch-Altdeutsche« begehrte Sammelobjekte<br />

geworden. Medaillen sind keine Münzen. Zwar ähneln sie<br />

diesen in der äußeren Gestalt, doch haben sie nie Geldcharakter.<br />

In der Regel auf beiden Seiten plastisch gestaltet, sind sie<br />

von vornherein als selbständige Kunstwerke und als Vermittler<br />

von Bildinhalten gedacht. Die Medaille ist - nach einer<br />

Definition des genannten Georg Habich - »ein doppeltes<br />

Simon Grynaeus, Medaille von Jakob Stampfer, Zürich 1541, Silber<br />

gegossen, 36 mm, Paris, Bibliothèque Nationale, Cabinet des Médaillés.<br />

37


Rundrelief, das in plastisch-bildhafter Form eine Person oder<br />

Begebenheit in dauerndem Material festhält«. Die ersten<br />

Medaillen der Renaissance, fast ausschließlich Porträtmedaillen,<br />

sind von einem lebensnahen Realismus getragen und<br />

vermeiden jedes Pathos. Das Aussehen von manchen Abgebildeten<br />

ist uns nur aus diesen Münzbildern bekannt. Die<br />

großen Ausdrucksmöglichkeiten, die das Medaillenbildnis<br />

besitzt, sind vor allem in der Herstellungstechnik begründet.<br />

Die deutsche Renaissancemedaille wurde im Gußverfahren<br />

hergestellt 6. Die Hersteller der Modelle - aus Holz oder<br />

weichem Stein - stammten aus den Kreisen der Holzschnitzer,<br />

Steinschneider, Kleinbildhauer, Goldschmiede und Siegelschneider.<br />

Auch wenn sie sich dem Medaillenschaffen<br />

zuwandten, blieben sie meist weiterhin in diesen Berufen<br />

tätig.<br />

III. Der Schöpfer der Grynaeusmedaille<br />

Der Schöpfer unserer Medaille, Hans Jakob Stampfer<br />

(1505-1579), war Goldschmied und Stempelschneider in der<br />

Heimatstadt Zwingiis, Zürich. Er gilt als der bedeutendste<br />

Medailleur der Schweiz und gehörte einer Goldschmiedfamilie<br />

an. Er ging wohl bei seinem Vater Hans Ulrich I Stampfer<br />

in die Lehre. Seine Söhne Hans Ulrich II, Hans I und Hans<br />

Jakob II Stampfer übten ebenfalls das Goldschmiedehandwerk<br />

aus. Seine Wanderjahre als Geselle führten ihn in die<br />

damaligen Zentren der deutschen Medaillenkunst, Augsburg,<br />

Nürnberg und Straßburg, wo so bedeutende Meister wie<br />

Friedrich Hagenauer und Matthes Gebel wirkten. »In Zürich<br />

KARL WERNER STEIM<br />

Der Judenpogrom 1938 in Haigerloch<br />

Die Schüsse des polnischen Juden Herschel Grynszpan am<br />

7. November 1938 auf den Legationssekretär Ernst vom Rath<br />

in der deutschen Botschaft in Paris wurden von der NS-<br />

Führung eiskalt und geistesgegenwärtig ausgenutzt, um zum<br />

entscheidenden Schlag gegen die Juden auszuholen. Es ging<br />

auch um die Behebung einer finanziellen Notlage des Reichs,<br />

um die endgültige Ausschaltung der jüdischen Deutschen aus<br />

der Wirtschaft. Als »Reichskristallnacht« ist jene Nacht zum<br />

10. November 1938 in die Geschichte eingegangen, als in<br />

Deutschland fast alle Synagogen zerstört und die meisten von<br />

ihnen niedergebrannt wurden. Tausende jüdische Geschäfte<br />

und unzählige Wohnhäuser von Juden wurden demoliert.<br />

Auf den Straßen türmte sich das Glas der zerbrochenen<br />

Fensterscheiben - daher der verharmlosende Begriff »Kristallnacht«,<br />

der heute besser durch »Pogrom« ersetzt wird.<br />

Ähnlich wie im ganzen Reich ging es in jener Nacht auch in<br />

Haigerloch zu. Im ausschließlich von - damals etwa 160 -<br />

Juden bewohnten »Haag« wurden um 4 Uhr früh durch rund<br />

50 SA-Leute aus Sulz am Neckar die Synagoge, das jüdische<br />

Gemeindehaus und viele Fensterscheiben an Gebäuden, die<br />

von Juden bewohnt waren, beschädigt. Elf jüdische Mitbürger<br />

kamen für Wochen in »Schutzhaft« im Konzentrationslager<br />

Dachau.<br />

»In der Nacht vom Mittwoch, den 9. auf Donnerstag, den 10.<br />

ds. kamen morgens gegen 4 Uhr ca. 50 Mann von Richtung<br />

Weildorf, hier an. Wie ich hörte sind sie sodann in den<br />

Ortsteil >Haag< gezogen und haben dort an folgenden Gebäuden<br />

Fenster demoliert...« So beginnt der Bericht des Haigerlocher<br />

Bürgermeister-Stellvertreters Wilhelm Winter, den er<br />

am 11. November 1938 auf telefonische Anfrage an den<br />

38<br />

ist Hans Jakob Stampfer seit 1539 als Münzwardein nachgewiesen,<br />

1540-42 Zeugherr, 1544 Zwölfer im Großen Rat,<br />

1554/55 Eherichter, 1555 Zunftmeister im Kleinen Rat, 1560<br />

Obermeister, 1566-69 Obervogt des Neuamts, 1567-69<br />

Schirmvogt, 1570-77 Landvogt zu Wädenswil. Als Münzprobierer<br />

stand er in hohen Ehren und wurde auch von<br />

benachbarten Münzstätten zugezogen« (S. Müller-Wirth).<br />

Anmerkungen<br />

1 K. Gauß, Die Berufung des Simon Grynaeus nach Tübingen, in:<br />

Basler Jahrbuch 1911, S. 118. Vgl. R. Teuteberg, Simon Grynaeus,<br />

in: Der Reformation verpflichtet. Hrsg. vom Kirchenrat der evangelisch-reformierten<br />

Kirche Basel-Stadt, Basel 1979, S.29.<br />

2 Oporin an Vadian, am 8.8. 1541. E. Arbenz,<br />

sammlung, St. Gallen 1908, Nr. 1192.<br />

Vadianische Brief-<br />

3 Grabschrift abgedruckt bei E. Staehelin, Briefe und Akten zum<br />

Leben Oekolampads, Bd. 2, Leipzig 1934, Nr. 988.<br />

4 Die Zwinglimedaille ist abgebildet bei W. Köhler, Huldrych<br />

Zwingli, Neuausgabe, Leipzig 1983, S.292; die Oekolampadmedaille<br />

in: Die Renaissance, Ausstellungskatalog, hrsg. vom Badischen<br />

Landesmuseum Karlsruhe, Bd. 2, 1986. S.603.<br />

5 G. Habich, Die deutschen Schaumünzen des 16. Jhs., 4 Bde.,<br />

München 1929-1934.<br />

6 Die Technik der Prägung, die größere Auflagen ermöglichte, kam<br />

erst später auf. Die Modelle für den Guß wurden in Deutschland<br />

aus Holz oder weichem Stein geschnitten. Davon wurde ein<br />

Abdruck in einer Formmasse hergestellt. Diese Masse, die vor dem<br />

Guß gebrannt werden mußte, bestand aus feinem Ton mit verschiedenen<br />

Beimengungen, deren Zusammensetzung Werkstattgeheimnis<br />

blieb. Nach dem Guß wurden Grate und Nähte beseitigt,<br />

Feinheiten nachziseliert und das Stück manchmal patiniert oder<br />

vergoldet.<br />

Üechinger Landrat erstattete. Es folgt ein Verzeichnis von 16<br />

Gebäuden, an denen zwischen 1 und 17 Fensterscheiben<br />

zertrümmert worden waren, insgesamt 111 Scheiben. Besonders<br />

betroffen waren das jüdische Gasthaus »Rose« (17<br />

Scheiben) und die Gebäude der Juden Sally und Jette Levi<br />

(12), Alfred Levi (11), Witwe Eugen Nördlinger (10) und<br />

J.B. Reutlinger (10). Außerdem gingen drei Glasscheiben an<br />

Haustüren sowie drei Fensterläden zu Bruch. »Anschließend<br />

wurden an der Synagoge sämtliche Fenster eingeschlagen, die<br />

Türen eingedrückt und in der Synagoge selbst die gesamte<br />

Einrichtung demoliert. Auch wurde in einem Nebengebäude<br />

die vorhandene Badeeinrichtung schwer beschädigt. Der<br />

Schulraum im Isr. Gemeindehaus wurde ebenfalls völlig<br />

demoliert, ferner im gleichen Hause die Wohneinrichtung des<br />

Lehrer Spier und die Kücheneinrichtung des Emil Ullmann<br />

teilweise.« So lautet das Schreiben weiter. Ferner wurden -<br />

wohl versehentlich - am Gebäude Nr. 233, das erst seit kurzer<br />

Zeit im Besitze der Hohenz. Landesbank war, ebenfalls zwei<br />

Fenster zertrümmert. Es fällt auf, daß Winter - Haigerloch<br />

hatte damals gerade keinen Bürgermeister - von sich aus seine<br />

vorgesetzte Behörde nicht informierte. Landrat Schraermeyer<br />

war vielmehr unverzüglich von der Haigerlocher<br />

Gendarmerie verständigt worden. Die Täter waren fast ausschließlich<br />

Angehörige der SA und der SA-Reserve Sulz a. N.,<br />

die während der Nacht mit einem Omnibus hierher gekommen<br />

waren.<br />

Der Landrat schilderte die Ereignisse des Pogroms in Haigerloch<br />

am 11. November dem Sigmaringer Regierungspräsidenten<br />

wie folgt: »Die in der Nacht zum 10. November im<br />

ganzen Reich durchgeführten Demonstrationen und Aktio-


nen gegen das Judentum setzten in Haigerloch... gegen<br />

4 Uhr... ein. Gegen 4.15 Uhr meldete mir der Gendarmerieposten<br />

Haigerloch, daß er in das sog. Haag, wo 160 Juden in<br />

geschlossener Siedlung wohnen, gerufen sei, und daß bei<br />

seinem Eintreffen bereits sämtliche Jüdischen Wohnungen<br />

sowie die Synagoge und das zugehörige Badhaus von etwa 50<br />

jungen Leuten demoliert wurden. Er bat um Weisung. Ich<br />

verständigte sofort den Vertreter des Herrn Regierungspräsidenten,<br />

den Kommandeur der Gendarmerie sowie den Herrn<br />

Oberstaatsanwalt. Während ich im Begriffe stand, mich<br />

gegen 4.30 Uhr nach Haigerloch zu begeben, erreichte mich<br />

ein fernmündlicher Anruf der Außendienststelle der Geheimen<br />

Staatspolizei, die mich ersuchte, sofort 15 tunlichst<br />

reiche Juden verhaften zu lassen. Falls Aktionen gegen die<br />

Juden eingeleitet würden, dürften, nach Mitteilung der<br />

Außendienststelle der Geheimen Staatspolizei nicht dagegen<br />

eingeschritten werden. Ich verständigte darauf den Beamten<br />

der Außendienststelle, daß die Aktion in Haigerloch bereits<br />

im Gange sei. Um die angeordneten Verhaftungen durchführen<br />

zu können, zog ich die hierfür benötigten Gendarmeriebeamten<br />

auf das hiesige Rathaus zusammen und gab...<br />

fernmündlich dem Stellv. Bürgermeister in Haigerloch... die<br />

für die Durchführung der Verhaftungen erforderlichen Weisungen<br />

... Nachdem mich ein weiterer fernmündlicher Anruf<br />

der Außendienststelle erreichte, wonach alte und kranke<br />

Juden nicht zu verhaften seien, schritten die inzwischen<br />

eingetroffenen Gendarmerie- und Polizeibeamten zu nachstehenden<br />

Verhaftungen... Auf Ersuchen des Kreisleiters<br />

von Horb... ordnete die Außendienststelle der Geheimen<br />

Staatspolizei folgende weitere Verhaftungen an:... Die Inhaftierten<br />

sind in das Amtsgerichtsgefängnis... in Haigerloch<br />

eingeliefert worden...«<br />

Da der Landrat teilweise falsche Namen weitergab, seien die<br />

der tatsächlich Verhafteten angegeben: Kaufmann Leopold<br />

Hirsch, Handelsmann Siegfried Katz, Kaufmann Alfred Levi,<br />

Kaufmann Hermann Levi, Handelsmann Wilhelm Levi,<br />

Kaufmann Benno Reutlinger, Kaufmann Paul Singer, Lehrer<br />

Gustav Spier, Kaufmann Max Ullmann, Handelsmann Louis<br />

Ullmann und Kaufmann Sally Ullmann.<br />

Der Regierungspräsident informierte erst in einem Schnellbrief<br />

vom 1. Dezember den Preußischen Ministerpräsidenten<br />

über die Vorfälle in Haigerloch (und Hechingen). Aus dem<br />

sachlichen Bericht geht hervor, daß der Haigerlocher Lehrer<br />

Gustav Spier bei der Zerstörung seiner Wohnungseinrichtung<br />

»als einziger Jude Verletzungen davontrug«. Interessant<br />

ist die weitere Notiz: »Auch in Haigerloch wurde die Synagoge<br />

nicht in Brand gesteckt. Eine für die Nacht zum 13.11.<br />

1938 geplante nachträgliche Inbrandsetzung wurde auf Mitteilung<br />

des für Haigerloch zuständigen Kreisleiters... in<br />

Horb durch das Eingreifen der Gendarmerie verhindert.«<br />

Weiter beklagte sich der Regierungspräsident, er sei von der<br />

Geheimen Staatspolizei weder von den Aktionen noch von<br />

den Verhaftungen in Kenntnis gesetzt worden. Am<br />

12. November ersuchte der Regierungspräsident bei der<br />

Geheimen Staatspolizei in Stuttgart »um Bericht über die<br />

anlässlich der Demonstrationen gegen die feige jüdische<br />

Mordtat in Paris in Hohenzollern erfolgten Inschutzhaftnahmen<br />

von Juden unter Angabe der Namen der Verhafteten«.<br />

28 Personen umfaßte die Liste, die der Präsident drei Tage<br />

später in Händen hatte, darunter die elf aus Haigerloch.<br />

Die verhafteten Juden kamen am 12. November in das KZ<br />

Dachau. Man weiß heute, »daß die Aktion auf einige Wochen<br />

begrenzt war, daß sie der Einschüchterung und der Pression<br />

zur Auswanderung, aber (noch) nicht der Vernichtung der<br />

Opfer diente«. Auch in Haigerloch ist ein deutlicher Zusammenhang<br />

zwischen Pogrom, »Schutzhaft« und Auswanderungsbemühungen<br />

festzustellen. Im November und Dezem-<br />

ber 1938 erteilte das Bürgermeisteramt zahlreiche sog. Unbedenklichkeitsbescheinigungen,<br />

die Voraussetzungen für das<br />

Ausreiseverfahren waren. Auch erfolgten in jener Zeit eine<br />

Reihe von Auswanderungen - von den insgesamt<br />

(1934-1941) registrierten 70 waren es allein im November<br />

1938 16 - überwiegend nach Uruguay und in die USA.<br />

Milly Singer, geb. Stern, beantragte zum Beispiel wenige Tage<br />

nach dem Pogrom für sich und ihren Mann Paul Singer, der<br />

»bei der kürzlichen Aktion gegen die Juden« in das Konzentrationslager<br />

Dachau »übergeführt worden« war, die Ausstellung<br />

von Reisepässen. »Sobald der Häftling wieder auf freiem<br />

Fusse ist, soll die Auswanderung erfolgen«, teilte der Bürgermeister-Stellvertreter<br />

dem Landrat mit und befürwortete den<br />

Antrag.<br />

In einem Schreiben an den Regierungspräsidenten hatte auch<br />

der Hechinger Landrat am 15. November den verstärkten<br />

Ausreisewillen Haigerlocher Juden bestätigt: »Aus Haigerloch<br />

beabsichtigen voraussichtlich noch in diesem Monat<br />

insgesamt 13 Juden, für die die Ausreisepapiere bereits ausgefertigt<br />

sind, nach Uruguay auszuwandern.« Unter ihnen auch<br />

zwei Juden, die von der Geheimen Staatspolizei bereits aus<br />

der Haft entlassen seien, »um ihnen die Ausreise zu ermöglichen«<br />

(Louis Bernheim und Jakob Levi).<br />

Wie die Gestapo Sigmaringen am 19. November dem Landrat<br />

in Hechingen mitteilte, konnte Anträgen auf Entlassung aus<br />

der Schutzhaft nur stattgegeben werden, wenn<br />

»1) dies zur Durchführung von Arisierungsverhandlungen<br />

notwendig ist; bei der Prüfung dieser Frage ist großzügig zu<br />

verfahren.<br />

2) dies zur Durchführung der Auswanderung erforderlich ist;<br />

dem Antrag auf Entlassung sind die zur Auswanderung<br />

notwendigen Papiere anzuschließen.<br />

3) ein dringendes Interesse der deutschen Wirtschaft (z.B.<br />

Export) dies erfordert«.<br />

Weiter wurde darauf hingewiesen, der Chef der Sicherheitspolizei<br />

habe angeordnet, »dass gegen die im Zusammenhang<br />

mit der Protestaktion vorgekommenen Plünderungen rücksichtslos<br />

einzuschreiten ist; die Täter sind festzustellen und<br />

festzunehmen. Die Sachwerte sind sicherzustellen...«<br />

Nach einem Erlaß des Chefs der Sicherheitspolizei vom<br />

28. November waren auf Anordnung des Ministerpräsidenten<br />

Generalfeldmarschall Göring »alle Juden, die im Zuge der<br />

Vergeltungsaktion festgenommen worden sind und Frontkämpfer<br />

waren, zu entlassen«. Darunter fielen alle jüdischen<br />

Häftlinge, die im Besitz des Ehrenkreuzes für Frontkämpfer<br />

waren oder in Einzelfällen den Nachweis über die Frontkämpfertätigkeit<br />

erbrachten. Die Geheime Staatspolizei Sigmaringen<br />

teilte am 5. Dezember über den Hechinger Landrat<br />

mit, »die Namen derjenigen jüdischen Schutzhäftlinge, die<br />

nachweisbar Frontkämpfer waren, sind sofort hierher mitzuteilen.<br />

Wenn im Einzelfall einer Entlassung besondere<br />

Gründe entgegenstehen würden, ist dies unter Angabe der<br />

Gründe hierher zu berichten«. Der Landrat in Hechingen<br />

meldete sofort am 8. Dezember auch die von Haigerloch<br />

stammenden jüdischen Frontkämpfer, die sich in Schutzhaft<br />

befanden: Handelsmann Siegfried Katz, Kaufmann Hermann<br />

Levi, Handelsmann Wilhelm Levi, Kaufmann Benno Reutlinger<br />

und Lehrer Gustav Spier sowie als mögliche Frontkämpfer<br />

Kaufmann Alfred Levi und Handelsmann Louis<br />

Ullmann.<br />

Tatsächlich wurden am 1. Dezember Paul Singer und am<br />

6. Dezember Lehrer Gustav Spier aus dem Schutzhaftlager<br />

Dachau entlassen. Zum Glück hatte sich die Meinung des<br />

Hechinger Landrats nicht durchgesetzt, der noch am<br />

15. November gegenüber dem Regierungspräsidenten betont<br />

hatte, daß durch die Verhaftung des Lehrers Spier der Unterricht<br />

für die sieben schulpflichtigen jüdischen Kinder unmög-<br />

39


lieh gemacht sei. »Eine Aufhebung der Schutzhaft erscheint<br />

mir mit Rücksicht darauf, daß Spier gleichzeitig das Amt des<br />

Rabbiners versah, ausgeschlossen.« Siegfried Katz, Wilhelm<br />

Levi, Benno Reutlinger, Sally und Louis Ullmann durften am<br />

12. Dezember Dachau verlassen, Sally Ullmann konnte am<br />

12. Dezember gehen. Am 15. Dezember öffneten sich die<br />

Tore für Alfred Levi, erst am 23. Dezember für Leopold<br />

Hirsch. Zuletzt wurden Hermann Levi am 28. Dezember und<br />

Max Ullmann am 5.Januar 1939 entlassen. Die meisten<br />

Frontkämpfer aus Haigerloch wurden also wirklich etwas<br />

früher als die übrigen Leidensgenossen freigelassen, ebenso<br />

ausreisewillige Juden.<br />

Der Regierungspräsident in Sigmaringen ordnete am<br />

10. Dezember, nachdem Lehrer Spier aus der Schutzhaft<br />

entlassen war, an, »zu veranlassen, daß der Unterrichtsraum<br />

der jüdischen Schule in Haigerloch soweit das erforderlich ist,<br />

von den Juden entsprechend eingerichtet wird..., damit der<br />

Unterricht wieder aufgenommen werden kann«. Bürgermeister-Stellvertreter<br />

Winter teilte dann am 19. Dezember dem<br />

Landrat mit, der Unterrichtsraum der jüdischen Schule sei am<br />

selben Tag wieder geöffnet worden, Lehrer Spier habe den<br />

Schlüssel für das Schullokal erhalten. Der Unterricht wurde<br />

am 21. Dezember wieder aufgenommen. Lehrer Gustav Spier<br />

wurde schließlich vom Regierungspräsidenten zum 1. Juli<br />

1939 zwangspensioniert, die öffentliche jüdische Volksschule<br />

am 1. Oktober 1939 aufgehoben.<br />

»Die Sonderaktion gegen die Juden ist einzustellen.« So<br />

beginnt eine Weisung der Geheimen Staatspolizei Sigmaringen<br />

vom 11. November, die der Landrat am 15. an den<br />

Haigerlocher Bürgermeister weitergab: »Es ist dafür Sorge zu<br />

tragen, daß zertrümmerte Läden durch Holzverkleidungen<br />

usw. so verschlossen werden, daß Zerstörungen möglichst<br />

wenig sichtbar sind. Hausbesitzer sind anzuweisen, die erforderlichen<br />

Arbeiten gegebenenfalls im Auftrage der Polizei<br />

ausführen zu lassen. Trümmer von Synagogen usw. sind<br />

beschleunigt zu beseitigen. Personen, die beim Fotografieren<br />

von zerstörten Läden, Synagogen und Straßenaufläufen<br />

getroffen werden, bzw. nachträglich festgestellt werden<br />

konnten, sind hierzu zu vernehmen. Das sichergestellte Fotomaterial<br />

(Platten oder Filme) ist unter kurzer Darlegung des<br />

Sachverhalts mit den Personalien dieser Personen der Außendienststelle<br />

Sigmaringen unverzüglich in 3facher Fertigung<br />

zuzuleiten. Auf Anordnung des Chefs der Sicherheitspolizei<br />

im Einvernehmen mit dem Reichsjustizministerium sind alle<br />

Fälle spontaner Angriffe gegen Juden und jüdischen Besitz<br />

sofort unbearbeitet der Staatspolizei abzugeben. Bezüglich<br />

der Sicherstellung von Fotomaterial weise ich darauf hin, daß<br />

sämtliche Fotogeschäfte mit Unterstützung der Ordnungspolizei<br />

zu überprüfen sind.«<br />

Am 21. November forderte das Bürgermeisteramt den Kaufmann<br />

Ludwig Reutlinger als Stellvertreter des Israelitischen<br />

Gemeindevorstehers schriftlich auf, »die Fenster am Israelitischen<br />

Gemeindehaus, hier, umgehend in Ordnung bringen<br />

zu lassen«. Dieselbe Weisung erhielten Sally und Julius Levi.<br />

Schon am 22. November teilte der Bürgermeister-Stellvertreter<br />

dem Landrat - teils etwas voreilig - mit: »Die durch die<br />

Sonderaktion gegen Juden beschädigten Fenster usw. sind<br />

repariert bzw. auf Kosten der Hauseigentümer neu ergänzt<br />

worden. Auch wurden die entsprechenden Aufräumungsarbeiten<br />

vor und in der Synagoge durch die Gemeindeverwaltung<br />

vorgenommen. Personen wurden beim Fotografieren<br />

von zerstörten Läden, Synagogen usw. nicht angetroffen,<br />

auch konnten solche nachträglich nicht festgestellt werden.<br />

Das hiesige Fotogeschäft Weber wurde ... überprüft.« Tatsächlich<br />

waren noch nicht alle Schäden beseitigt worden,<br />

denn das Israelitische Vorsteheramt bemühte sich am<br />

22. November erneut bei Schreinermeister Pfeffer in Haigerloch,<br />

»die Fenster im jüdischen Gemeindehaus umgehend in<br />

Ordnung zu bringen«.<br />

40<br />

Das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin bestimmte auf<br />

Anordnung des Ministerpräsidenten Generalfeldmarschall<br />

Göring am 26. November, die anläßlich der Protestaktion<br />

gegen Juden sichergestellten »Sachwerte wie Wertpapiere,<br />

Bargeld, Schmuck, hochwertige Gebrauchsgegenstände,<br />

Lebensmittel und leichtverderbliche Gegenstände listenmäßig<br />

zu erfassen... und unverzüglich an die Staatspolizeileitstelle<br />

Stuttgart - Außendienststelle Sigmaringen - einzusenden<br />

...« Das Bürgermeisteramt Haigerloch meldete als einzigen<br />

eingezogenen Sachwert eine Geldkassette der Judengemeinde<br />

im Wert von 10 RM.<br />

Schon am 10. November hatte die Geheime Staatspolizei<br />

Sigmaringen über den Landrat auch die Beschlagnahme des<br />

jüdischen Archivmaterials angeordnet: »In allen Synagogen<br />

und Geschäftsräumen der jüdischen Kulturgemeinde ist das<br />

vorhandene Archivmaterial polizeilich zu beschlagnahmen<br />

und der Staatspolizeileitstelle Stuttgart bzw. der Außendienststelle<br />

Sigmaringen zuzuführen.«<br />

Kriminal-Obersekretär Wolff von der Gestapo in Sigmaringen<br />

informierte am 4. Januar 1939 den Bürgermeister, »dass<br />

das gesamte, in politischer Hinsicht wertlose Material der<br />

jüdischen Gemeinde alsbald freizugeben ist«. Dies teilte<br />

Winter am 9. Januar der Jüdischen Gemeinde mit: »Das hier<br />

lagernde Material von der Jüd. Gemeinde kann heute nachmittag<br />

2 Uhr vor dem Rathaus abgeholt werden. Vorhanden<br />

sind 7 größere Kisten. Die Abholung mittels Pferdefuhrwerk<br />

ist daher notwendig. Zum Aufladen werden 2 Mann benötigt.«<br />

Alfred Levi bestätigte den Empfang von 6 Kisten und<br />

1 Karton sowie am 30. Januar von 3 Kisten und 2 Säcken mit<br />

»Ritualien«. Damit schweigen die Akten über weitere unmittelbare<br />

Auswirkungen der Reichskristallnacht. Zu erwähnen<br />

ist schließlich die »Sühneleistung«, die den Juden in Deutschland<br />

auferlegt wurde. Die von Hitler schon zwei Jahre früher<br />

gebilligte »Sondersteuer« wurde nun als »Sühneleistung«, in<br />

Form einer einmaligen Kontribution von einer Milliarde<br />

Reichsmark, erhoben.<br />

Eine von der Stadtverwaltung Haigerloch erarbeitete Statistik<br />

weist für die Jahre 1934 bis 1941 insgesamt 70 Auswanderungen<br />

auf, und zwar in den einzelnen Jahren: 1934 5, 1935 1,<br />

1936 3,1937 4,1938 15,1939 25,1940 11,1941 6. Daraus kann<br />

man ablesen, daß die Ereignisse des Jahres 1938 wohl die<br />

stärksten Beweggründe für die Auswanderung waren. Als<br />

Auswanderungsländer wurden gewählt: Vereinigte Staaten<br />

von Amerika 34, England 16, Südamerika 12, Palästina 3,<br />

Kuba 2, Luxemburg 1, Dänemark 1, Schweiz 1. Es müssen<br />

aber in der Relaität mehr Auswanderungen gewesen sein. Auf<br />

der anderen Seite wurden insgesamt 272 Juden (einschließlich<br />

der nach Haigerloch von auswärts Zwangsevakuierten) in<br />

Konzentrationslager deportiert, 109 im Jahre 1941 und 163<br />

im Jahre 1942. Nur neun Haigerlocher Juden kehrten 1945<br />

zurück.<br />

Quellen:<br />

Stadtarchiv Haigerloch: Akten Nr. 695; Altregistratur Nr. 5001 und<br />

Nr. 9880<br />

Staatsarchiv Sigmaringen: Ho 235 (Preußische Regierung Sigmaringen)<br />

I/VIII Nr. 338, Nr. 339 und I/XI Nr. 1423 Bd. I<br />

Literatur:<br />

Avrabam Barkai, Vom Boykott zur »Entjudung«. Der wirtschaftliche<br />

Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933-1945. Frankfurt<br />

1988<br />

Walter H.Pehle (Hrsg.), Der Judenpogrom 1938. Von der >Reichskristallnacht<<br />

zum Völkermord. Frankfurt 1988<br />

Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern.<br />

Stuttgart 1966<br />

Paul Sauer, Dokumente über die Verfolgung der jüdischen Bürger in<br />

Baden-Württemberg durch das Nationalsozialistische Regime<br />

1933-1945. I. und II. Teil, Stuttgart 1966<br />

Karl Werner Steim, Juden in Haigerloch. Photos von Paul Weber.<br />

Haigerloch (1987)


MAREN KUHN-REHFUS<br />

Der Sigmaringer Turnerbund und die Revolution von 1848<br />

Wie zahlreiche andere Turnvereine, so ist auch der Sigmaringer<br />

Turnerbund ein Kind der Revolution von 1848. Die<br />

damals gegründeten Turnvereine sahen ihre Aufgabe keineswegs<br />

ausschließlich in turnerischer Betätigung, sondern<br />

machten sich von Anfang an die Ziele der revolutionären<br />

Bewegung zu eigen, nämlich die Herstellung der nationalen<br />

Einheit und die Einführung liberaler Verfassungen.<br />

Unter dem Einfluß der Februarrevolution in Paris kam es<br />

auch in ganz Deutschland zu Versammlungen und Demonstrationen.<br />

In Hohenzollern-Sigmaringen begann die Märzrevolution<br />

mit einer Bürgerversammlung im Sigmaringer<br />

Rathaus und einem Volksauflauf auf dem Marktplatz am<br />

.5. März 1848. Unter dem Druck der Bevölkerung, die ihre<br />

Forderungen in einer Flut von Petitionen präsentierte, mußte<br />

die fürstliche Regierung verschiedene Konzessionen machen.<br />

Es waren dies Aufhebung der Zensur, Einführung von<br />

Schwurgerichten und Volksbewaffnung, Einberufung eines<br />

außerordentlichen Landtags und grundsätzlich die Bewilligung<br />

all jener Zugeständnisse, die im Großherzogtum Baden<br />

bereits bewilligt worden waren. Kurze Zeit später verzichtete<br />

der Fürst auf eine Reihe von feudalen Rechten, vorwiegend<br />

auf Abgaben und Fronen. Trotzdem gelang es nicht, die Lage<br />

im Land zu beruhigen. Ende März meuterte sogar das Militär.<br />

Im Mai und Juni verschärften sich die politischen Gegensätze<br />

weiter. Im Mai waren in Sigmaringen zwei politische Vereine<br />

entstanden, die bereits als politische Parteien bezeichnet<br />

werden können, nämlich der »Vaterländische Verein« und<br />

der »Konstitutionelle Verein«. Der Vaterländische Verein<br />

stützte sich auf eine Gruppe von liberalen und politisch<br />

aktiven Kaufleuten, Lehrern, Wirten, Handwerkern, Advokaten<br />

und Offizieren. Er bekannte sich zu demokratischen<br />

Grundsätzen sowie sozialen Reformen und trat außerdem für<br />

die Einführung der Republik ein. Gründer und Vorsitzender<br />

war Advokat Würth, der später Abgeordneter in der Frankfurter<br />

Nationalversammlung wurde. Das Presseorgan des<br />

Vaterländischen Vereins war der »Erzähler«, der später auch<br />

den Turnverein unterstützte. Der Konstitutionelle Verein<br />

dagegen setzte sich aus liberalen Beamten, freisinnigen Bürgern<br />

und monarchisch gesinnten Bauern zusammen. Er<br />

strebte die konstitutionelle Monarchie an, d.h. die an eine<br />

Verfassung gebundene Monarchie, und lehnte jede Radikalisierung<br />

ab. In den Hintergrund gedrängt worden waren die<br />

Konservativen, die sich auch zu keiner Partei zusammenschlossen.<br />

Ihre politische Richtung kam jedoch in der Zeitung<br />

»Der Volksfreund aus Hohenzollern« zu Wort.<br />

Vom Vaterländischen Verein erwartete man Mitte Juni den<br />

förmlichen politischen Umsturz und vermutete, sein Vorsitzender<br />

Würth werde die Republik ausrufen. Als prophylaktische<br />

Gegenmaßnahme veranlaßte der Erbprinz die Einquartierung<br />

bayerischer Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung.<br />

Der Umsturz fand indes nicht statt, dagegen rief die<br />

militärische Besetzung Mißstimmung und Unruhe hervor.<br />

Am 1. Juli trat endlich der von großen Hoffnungen begleitete<br />

außerordentliche Landtag zusammen, der neben politischen<br />

Fragen hauptsächlich die Einführung von materiellen<br />

Erleichterungen für die Bevölkerung behandelte.<br />

In dieser politisch aufgewühlten Zeit wurde der Sigmaringer<br />

Turnverein gegründet. Am 30. Juni 1848 erschien im »Erzähler«,<br />

der Zeitung der Demokraten, ein Aufruf, der alle<br />

»Männer und Jünglinge« über 16 Jahren zu einer Besprechung<br />

im Zollerischen Hof am 1. Juli einlud'. Unterzeichner<br />

waren Julius und Gustav Blau, Parmenio Fatio, Hermann<br />

Raible, Julius Fivaz und Josef Rhein. Schon am 6. Juli fand die<br />

Gründung unter dem Namen »Turngemeinde Sigmaringen«<br />

statt. Erster Vorsitzender wurde Julius Blau, an dessen Stelle<br />

aber schon bald Josef Rhein trat, der anfänglich Sprecher des<br />

Vereins gewesen war. Parmenio Fatio wurde Turnwart.<br />

Für die Stellung der Turngemeinde im politischen Spektrum<br />

Sigmaringens aufschlußreich ist, daß der Vaterländische Verein<br />

die Gründung »mit Vergnügen« zur Kenntnis nahm und<br />

»beschloß, diesen Verein junger, wackerer Männer aufrichtiger<br />

Teilnahme und brüderlicher Unterstützung zu versichern«<br />

2. Die Obrigkeit befand, der Turnverein verfolge<br />

»ganz die Richtung des Vaterländischen Vereins oder vielmehr<br />

seiner Führer«, und stufte ihn damit als eine Art<br />

Anhängsel dieser Partei ein 3.<br />

In der Tat betrachtete sich die Turngemeinde durchaus auch<br />

als politische Vereinigung und vertrat ausdrücklich den<br />

Standpunkt der Sigmaringer Demokraten. So legte ihre Satzung<br />

vom 1. Januar 1849 in § 1 fest: »Der Zweck der Turngemeinde<br />

ist die Heranbildung geistig und leiblich rüstiger<br />

Männer, welche neben Erlangung körperlicher Anlagen einen<br />

wackeren, deutschen, demokratischen Sinn und Reinheit der<br />

Sitten zu erstreben, zu verbreiten und zu bewahren bemüht<br />

sein wollen.« Die Einstellung der Turner geht aus einem<br />

offenen Brief von 1849 hervor, der zwar von der Riedlinger<br />

Männerturngemeinde veröffentlicht wurde 4, offenkundig<br />

aber mit der Auffassung der Sigmaringer Turngemeinde<br />

übereinstimmte. Die Riedlinger Turner hielten es für zwingend<br />

geboten, daß sich auch Turner mit der Politik befaßten.<br />

Denn, so formulierten sie, »Es ist eine heilige Pflicht der<br />

tatkräftigen Jugend, des in Blüte des Lebens glühenden<br />

Jünglings, sich in diesen verworrenen, bewegten Zeiten mit<br />

staatlichen Verhältnissen vertraut zu machen, denselben sein<br />

ernstes Nachdenken zu widmen und zu dessen Nutzen seine<br />

Kräfte freudig zu weihen. Jeder biedere Staatsbürger, der<br />

Verpflichtungen gegen den Staat zu erfüllen hat,... soll die bis<br />

jetzt verschmälerten und verkümmerten Ansprüche des Bürgers,<br />

seine Rechte an den Staat kennen und sich dessen zu<br />

sichern lernen. Das kann jetzt leider bei dem politisch<br />

ungebildeten Volke nur durch fleißiges Benützen des Vereinsrechts<br />

geschehen. ... Will sich nun der Turner dessen<br />

gänzlich entziehen, so blamiert er sich selbst und spielt das<br />

>Schach-Matt< als Mann, der ein einiges großes Deutschland<br />

will.« Der Turner müsse sich »unstreitig auf die demokratische<br />

(Seite stellen), welche die Seele des fortschreitenden<br />

Prinzips ist«. Denn: »Liefert uns nicht schon die Geschichte<br />

unserer selbstgemachten Erfahrungen den Beweis, wie sehr<br />

das Volk bis jetzt durch leere Versprechungen unter den<br />

hohlen konstitutionell-monarchischen Formen angeführt<br />

und betrogen worden ist? Wie sind denn die großartigen<br />

Erhebungen des deutschen Volkes gegen seine Unterdrücker<br />

in der französischen Revolution gelohnt worden? Der Kongreß<br />

zu Aachen gewährte ihm statt >Erleichterungen< Verkümmerung<br />

seiner bürgerlichen Rechte. Das Recht, das<br />

vorgebliche - von Fürst und Krone - wurde vergrößert, das<br />

des schlichten Bürgers verkleinert; ... Freilich ist man noch<br />

gewöhnt, die Größe und Kraft eines Landes mit dem Nimbus;<br />

einer Krone, eines Thrones und eines goldenen Szepters zu<br />

umgeben, bedenkt aber nicht, daß sich in dem Prunke voneinigen<br />

30 fürstlichen Familien das Elend vieler tausend und<br />

tausend Familien spiegelt.... Folglich ist dieses Verhüllen des<br />

fortschreitenden Prinzips in konstitutionell-monarchischer<br />

41


Form eine Finte, eine Nichtanerkennung der Rechte des<br />

Volkes ...«<br />

Die Sigmaringer Turngemeinde stellte ihre Parteinahme für<br />

die Ideen der Demokratie bei mehreren Anlässen öffentlich<br />

unter Beweis. So beteiligte sie sich beispielsweise Anfang<br />

September an einem Fackelzug, den die Republikaner zu<br />

Ehren des Vorsitzenden des Vaterländischen Vereins veranstalteten<br />

3. Besonders aber boten die Fahnenweihe und das<br />

damit verbundene Turnerfest auf dem Turnplatz in den<br />

Burgwiesen am 17. September 1848 Anlaß und Möglichkeit<br />

zur Selbstdarstellung. Die Presse berichtete, je nach politischem<br />

Standort, mit deutlich unterschiedlicher Tendenz. So<br />

schrieb der demokratische »Erzähler« 6: »Es war nicht nur ein<br />

Fest der jugendlichen Turngemeinde, die unter der vorzüglichen<br />

Leitung ihres Turnwartes P. Fatio in kurzer Zeit sich<br />

kräftig entwickelte und ansehnlich vermehrte, sondern ein<br />

wahres Volksfest, an dem sich die größtenteils ganz demokratische<br />

Bevölkerung der Stadt und der Umgegend zahlreich<br />

beteiligte. Besonders waren es unsere freundnachbarlichen<br />

Meßkircher, welche sich in großer Zahl hierbei einfanden,<br />

und deren Gesinnungstüchtigkeit längst bekannt ist. Böllerschüsse<br />

begrüßten die ersten Strahlen der aufgehenden<br />

Sonne; schon gegen 9 Uhr wogte es in den Straßen, und viele<br />

mit deutschen Fahnen beflaggte und anders gezierte Wagen<br />

kamen von allen Seiten der Stadt zugefahren. Unter diesen<br />

befanden sich auch die Turner von Riedlingen, über 20 an der<br />

Zahl, und Deputationen der Turngemeinden Buchau, Biberach,<br />

Meßkirch und Ravensburg.... Um 10 Uhr versammelten<br />

sich die Turner und die zum Feste geladenen auswärtigen<br />

Gäste, sowie auch die städtischen Bürgerkollegien unter dem<br />

Schmucke von 20 weiß gekleideten und mit den deutschen<br />

Farben gezierten Jungfrauen auf dem Karlsplatz (heute Leopoldplatz),<br />

von wo sich der große Zug sehr schön geordnet<br />

unter dem Vortritt eines Musikchors nach dem Fest- und<br />

Turnplatz bewegte. Dort waren mindestens 2000 Menschen<br />

versammelt, welche ohne alle polizeiliche oder andere besondere<br />

Aufsicht dem Feste in größter Ordnung und mit solcher<br />

Ruhe anwohnten, daß kein einziges Wort der Redner verloren<br />

ging. Die sehr sinnig gezierte und überhaupt geschmackvoll<br />

gebaute Tribüne betrat zuerst der Sprecher der hiesigen<br />

Turngemeinde, J. Rhein, welcher in wenigen aber ansprechenden<br />

Worten die Turner und die ganze Versammlung<br />

begrüßte. Hierauf führte der Turnwart eine der Jungfrauen<br />

auf die Tribüne, welche die der Turngemeinde gewidmete<br />

schöne Fahne feierlich übergab und diese Übergabe mit einer<br />

warmen, aus der Tiefe des Herzens fließenden und allgemein<br />

begeisternden Ansprache begleitete. Der Turnwart enthüllte<br />

endlich die Fahne, stellte sie zu Händen des Fahnenträgers<br />

und sprach die Versammlung in einem längeren, sehr passenden<br />

und allgemeines Interesse erregenden Vortrag an, worin<br />

er insbesondere den Jungfrauen, welche der Turngemeinde<br />

dieses Geschenk unter ernsten und inhaltsschweren Äußerungen<br />

gereicht hatten, Worte tiefgefühlten Dankes ausdrückte.<br />

Die nachfolgenden Redner, Perochet, Sprecher der<br />

Turngemeinde Riedlingen, Müller, Stadtrat und Vorstand des<br />

demokratischen Vereins von dort, Langer, Sprecher der<br />

Turngemeinde Biberach, und Advokat Würth von hier als<br />

Vorstand des demokratischen Vaterlandsvereins, wurden alle<br />

mit Aufmerksamkeit angehört, und es fanden insbesondere<br />

die auswärtigen Sprecher den verdienten Beifall. Zum<br />

Abschied begrüßte die Versammlung noch den Sprecher der<br />

hiesigen Turngemeinde in einer längeren, sehr dezidierten<br />

und auch beifällig aufgenommenen Rede. ... Erglühten und<br />

begeisterten die vormittags gehaltenen patriotischen Reden<br />

die Zuhörer allgemein und in hohem Grade, so überraschten<br />

sie nicht minder die trefflichen Turnübungen, wobei die<br />

hiesige Turngemeinde alle Erwartungen übertroffen hat, da<br />

sie nach wenigen Monaten der Übung mit den älteren Turnern<br />

glücklich konkurrierte, und es muß auch hier wieder die<br />

42<br />

Tätigkeit und Geschicklichkeit des Turnwarts, der den<br />

Unterricht der Turngemeinde mit der größten Uneigennützigkeit<br />

besorgte, die verdiente Anerkennung gezollt werden.<br />

Nachdem die Turner und die Gäste den Rest des Nachmittags<br />

und den Abend an verschiedenen Orten und insbesondere<br />

auch in Strohdorf in brüderlicher Eintracht und in republikanischen<br />

Siegeshoffnungen zugebracht hatten, endete ein festlicher<br />

Turnerball den schön und erhebend verlebten Tag.«<br />

Hingegen kommentierte der konservative »Volksfreund aus<br />

Hohenzollern« das Fest folgendermaßen 7: »Die einem schon<br />

von weitem entgegengehende >rote Republik< 8 mochte einen<br />

Vorgeschmack geben von den Reden, die gehalten werden<br />

würden, und wirklich hatten die Melodien, die gespielt<br />

wurden, einen ziemlich roten Anstrich. Gegen sechs Redner<br />

traten ... nacheinander auf. Zuvor übergab eine Jungfrau aus<br />

der Stadt Sigmaringen eine den Turnern gewidmete Fahne<br />

und redete mit seltenem Mute einige Worte: Sie, die Turner,<br />

sollten die Fahne treu beschützen im Kugelregen und Pulverdampf,<br />

sie sollten, wenn das Vaterland sie rufe, gedenken<br />

ihrer Mütter, ihrer Schwestern und derer, die ihnen diese<br />

Fahne geweiht. Die Redner bewegten sich meist auf politischem<br />

Gebiete. Ein Panegyricus auf Hecker, eine Philippinca<br />

gegen die deutschen Guizots 9 und die deutschen Louis<br />

Philippes 10 ... sowie gegen die langweiligen Schwätzer zu<br />

Frankfurt und den Popanz von Zentralgewalt bildeten die<br />

Brennpunkte ihrer Reden. Nur einer der Redner, seinem<br />

Dialekt nach ein Norddeutscher, sprach von der Turnerei<br />

und ihren Schicksalen. Der alte selige Bundestag hätte sie<br />

beinahe gänzlich unterdrückt, auch wollten sie von ihrem<br />

Vater Jahn


zurück, so daß sie im Frühjahr 1849 praktisch keine Bedeutung<br />

mehr hatten. Mit ihnen verlor auch der Sigmaringer<br />

Vaterländische Verein seine beherrschende Rolle. Nicht<br />

erstaunlich ist, daß auch die Turner wegen ihrer dezidiert<br />

demokratisch-republikanischen Haltung mancherlei Anfeindungen<br />

bis hin zu staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren.<br />

Beispielsweise wurden im Juli die Teilnehmer an der Fahnenweihe<br />

des Buchauer Turnvereins von bayerischen Soldaten<br />

mit Waffen angegriffen und dabei auch einige Turner aus<br />

Sigmaringen verwundet 12. Sofort nach der militärischen<br />

Besetzung im Oktober 1848 wurden verschiedene Demokraten<br />

und darunter auch der Sigmaringer Turner Gauggel<br />

verhaftet 13. Gleichzeitig mußte die bis dahin auf dem Turnplatz<br />

aufgestellte »blutrote« Fahne des Vereins, wie der<br />

Sigmaringer Oberamtmann sie bezeichnete, entfernt werden<br />

14. Als Turnwart Parmenio Fatio im Oktober nach Amerika<br />

abreiste, wurden in der Öffentlichkeit politische Beweggründe<br />

und eine bevorstehende Verhaftung wegen republikanischer<br />

Umtriebe vermutet 15. Zudem wurde er verleumdet,<br />

unbezahlte Schulden hinterlassen und die Turnvereinskasse<br />

veruntreut zu haben. Über weitere Vorfälle berichtete die<br />

Zeitung »Der Erzähler« im Februar 1849 in unüberhörbar<br />

sarkastischem Ton 16: »17 Turner ziehen zu einer Hochzeit,<br />

da die Braut eine Turnschwester ist; die Turner sind mit<br />

Hirschfängern bewaffnet, und einige sogenannte konstitutionelle<br />

Vereinigungsmänner, welche diese jungen Leute längst<br />

für Mörder, Kommunisten und derlei halten, bitten einen<br />

Landjäger, ja die Polizeibehörde von diesem revolutionären<br />

aufreizenden Treiben in Kenntnis zu setzen. Dies geschieht.<br />

Die Behörde aber schüttelt den Kopf, denn sie hat das<br />

Volksbewaffnungsgesetz in der Hand, wo es heißt: ...Das<br />

Recht, Waffen zu tragen, ist anerkannt und unterliegt nur<br />

gesetzlichen Beschränkungen, und: ... Ebenso ist verboten,<br />

Schießwaffen in Wirtshäusern mitzuführen. Bekanntlich sind<br />

aber Hirschfänger keine Schießwaffen. Jetzt war guter Rat<br />

teuer. Da fällt ihr auf einmal §29 der Grundrechte ein,<br />

welcher lautet: Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich<br />

und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubnis<br />

bedarf es nicht. Frage: Ist der Besuch einer Hochzeit der einer<br />

Versammlung? Jawohl, also das Bürgermeisteramt beauftragt,<br />

den Turnern zu verbieten, im Tanzsaale Waffen zu<br />

tragen. Der Befehl trifft die Turner, aber keine Waffen im<br />

Tanzsaale, denn diese waren zwar nicht wegen §29 der<br />

Grundrechte, dagegen aus Anstandsrücksichten abgelegt<br />

worden, was sofort der Polizei angezeigt wird, die sich auf<br />

dem Absatz dreht und hinter dem Ohr kratzt.« Zwei Soldaten,<br />

die sich auf Urlaub befanden und in Turnerkleidung an<br />

derselben Hochzeit teilnahmen, wurden wegen ihrer Turnjacken<br />

von Offizieren beschimpft und mit 2 Tagen militärischem<br />

Arrest belegt.<br />

Im Mai 1849 wurde Deutschland noch einmal von einer<br />

allgemeinen Begeisterung für die nationale Einheit und die<br />

Durchsetzung der von der Nationalversammlung beschlossenen<br />

Reichsverfassung ergriffen. Hierbei lebte auch die Sigmaringer<br />

Revolutionsbegeisterung erneut auf, allerdings zum<br />

letzten Mal. Zum Aufstand kam es hier jedoch nicht. Bezeichnend<br />

war die Haltung der Sigmaringer Turner 17. Von einem<br />

Reichstagsabgeordneten namens Schmitt aus Löwenberg aufgerufen,<br />

sich bewaffnet an der badischen Erhebung zu beteiligen,<br />

sagten nur 7 Turner spontan zu; alle übrigen baten um<br />

Bedenkzeit. Vollends verebbte die Sigmaringer Revolution,<br />

nachdem preußische Truppen den badischen Aufstand niedergeschlagen<br />

hatten. Ihr endgültiges Ende aber fand sie, als<br />

Anfang August 1849 preußisches Militär auch Hohenzollern<br />

besetzte, um den Anschluß der beiden Fürstentümer an<br />

Preußen vorzubereiten.<br />

Mit dem Niedergang der Revolution schwand auch die<br />

anfänglich große Anziehungskraft der Turngemeinde Sigma-<br />

ringen dahin. Zwar schloß sich ihr der zu Beginn des Jahres<br />

1849 in Bingen gegründete Turnverein vorübergehend an.<br />

Dagegen konnte sie nicht verhindern, daß sich am 5. März<br />

1849 ein zweiter Turnverein unter dem Namen »Neue Turngemeinde<br />

Sigmaringen« als Konkurrenzverein konstituierte<br />

18. Diese betonte zwar, keiner politischen Richtung<br />

anzugehören und deshalb jedermann offenzustehen, tatsächlich<br />

aber hing sie den konstitutionell-monarchischen Vorstellungen<br />

an. Die jüngere Turngemeinde führte die Vereinsfarben<br />

Rot und Blau, die ältere Turngemeinde die Farben Rot<br />

und Gelb. Fortan nannte man den demokratischen Turnverein<br />

die »Roten«, den konstitutionellen die »Blauen«.<br />

Die Gründe für den Verfall der Sigmaringer Turngemeinde<br />

analysierte die demokratische Zeitung »Der Hochwächter«,<br />

Nachfolgeblatt des »Erzählers«, in einem umfänglicheren<br />

Artikel vom März 1850 folgendermaßen 19: »Der im Jahr 1848<br />

dahier gegründete Turnverein erweckte durch die anfängliche<br />

große Teilnahme junger und bejahrterer Männer die schönsten<br />

Hoffnungen auf ein kräftiges Gedeihen des diesseitigen<br />

Turnwesens. Nach einem Verlaufe von zwei Jahren ist an die<br />

Stelle dieser anfänglichen allgemeinen Teilnahme eine gänzliche<br />

Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit getreten, in<br />

Folge dessen der Verein auf ein kleines Häuflein Getreuer<br />

heruntergesunken ist. Der Grund des Verfalls des hiesigen<br />

Turnwesens liegt unseres Erachtens teils in den innern, teils in<br />

den äußern Verhältnissen des Vereins. Einmal war der Verein<br />

ein Kind politisch aufgeregter Zeiten, und die notwendige<br />

Folge war, daß er in Zeiten politischer Abgespanntheit und<br />

Erschlaffung an seiner anfänglichen Kraft verlor. So geschah<br />

es auch wirklich. Die Ungunst der öffentlichen Verhältnisse<br />

Deutschlands und die lange, ununterbrochene Besetzung des<br />

Landes durch fremde Truppen waren hauptsächlich die Ursachen<br />

der Schwächung des Vereins. Dazu kamen noch die in<br />

dem Verein selber entstandenen Zwistigkeiten und Uneinigkeiten,<br />

welche in Folge der an die Spitze des Vereins gestellten<br />

demokratischen Tendenz hervorgerufen wurden. Die Turnerei<br />

ist ein Teil der Volkserziehung, und darum soll sie auch die<br />

Bildung der Jugend für ihre spätere bürgerliche und öffentliche<br />

Stellung in sich schließen. Allein dessen ungeachtet halten<br />

wir es für einen Mißgriff, wenn man die Turnvereine zu<br />

politischen Parteivereinen macht. Den schlagendsten Beweis<br />

hierfür liefert die mit unserem Verein gemachte Erfahrung.<br />

Wollen wir die diesseitige Turnerei neu aufblühen sehen, so<br />

müssen wir zu dem wahren Zweck derselben zurückkehren.<br />

Dieser aber besteht in der Heranbildung geistig und leiblich<br />

kräftiger Männer, welche neben Entwicklung und Kräftigung<br />

körperlicher Anlagen einen wackern deutschpatriotischen<br />

Sinn und Reinheit der Sitten zu erstreben und zu verbreiten<br />

bemüht sein sollen. Wir sind also weit entfernt davon, daß wir<br />

die Besprechungen und Meinungsäußerungen über bürgerliche<br />

und öffentliche Angelegenheiten aus dem Kreise der<br />

Jünglinge von 18 und mehr Jahren verbannt wissen wollen.<br />

Bürgersinn und Vaterlandsliebe sind die Tugenden, welche<br />

nach unserer Ansicht durch die Turnvereine gepflanzt und<br />

verbreitet werden sollen. Stellen wir den politischen Zweck<br />

der Turngemeinde so allgemein hin, so werden wir durch<br />

keine Polizeimaßregeln in unserm Streben gehindert werden;<br />

desgleichen wird jedermann die Teilnahme an den Turnvereinen<br />

möglich gemacht sein. Wir dürfen auch nicht befürchten,<br />

daß wir deswegen weniger Turner von demokratischer<br />

Gesinnung haben werden; indem die Jugend Deutschlands<br />

von diesem Prinzipe bereits vollkommen durchdrungen ist,<br />

wenn sie auch bisweilen aus was immer für Gründen gehindert<br />

ist, ihre Ansichten offen zu bekennen. Lassen wir also<br />

davon ab, die Turnvereine zu politischen Parteivereinen zu<br />

stempeln, weil wir es ohne Gefahr für das demokratische<br />

Prinzip tun können. Der Turnverein soll zum Teil der<br />

Volkserziehung und darum nicht zunächst politischen Partei-<br />

43


zwecken dienen. Halten wir diesen allgemeinen Zweck des<br />

Turnvereins fest, so wird es von jedem wohlmeinenden<br />

Familienvater, von jeder Gemeinde, ja vom Staate selbst<br />

unterstützt und befördert werden.«<br />

Dieser Artikel wurde, wenn auch unbeabsichtigt, zum Nachruf<br />

auf die demokratische Sigmaringer Turngemeinde. Denn<br />

dem Verein gelang es nicht mehr, sich zu regenerieren.<br />

Nachdem nämlich Hohenzollern 1850 preußisch geworden<br />

war, löste die Preußische Regierung Sigmaringen noch im<br />

selben Jahr die Turngemeinde wegen »staatsgefährdender<br />

Umtriebe« auf. Die Vereinsfahne, die schon im Sommer bei<br />

einer Veranstaltung in Bingen nur knapp der staatlichen<br />

Konfiskation dadurch entgangen war, daß man sie beim<br />

Binger Engelwirt verstecken konnte, wurde auch diesmal<br />

gerettet: Der Vereins Vorsitzende, Malermeister Lütz, brachte<br />

sie unter dem Dachfirst seines Hauses in Sigmaringen in<br />

Sicherheit und hängte sie später als »Rouleau« getarnt an ein<br />

Fenster seiner Werkstatt.<br />

Im Jahr 1862 kam es jedoch zur Wiedergründung, die man<br />

vorsichtshalber freilich als Neugründung bezeichnete und<br />

deshalb auch die Jahreszahl 1848 auf der Vereinsfahne in 1862<br />

abänderte. Der Einladung zu einer Vorbesprechung über die<br />

Wiedergründung folgten 56 Männer, so daß die »Turngemeinde<br />

Sigmaringen« sich am 6. Juli 1862 wieder offiziell<br />

konstituieren konnte. Vorsitzender wurde der Oberamtsdiurnist<br />

Georg Stehle.<br />

Zwischen der Gründung der Turngemeinde Sigmaringen und<br />

dem Turnerbund von 1988 liegen nicht nur 140 Jahre,<br />

sondern auch grundlegend verschiedene Auffassungen von<br />

den Aufgaben des Vereins. Entstanden unter spezifischen<br />

politischen Vorzeichen, zeichneten sich die Anfänge der<br />

Turngemeinde durch eine Verquickung von sachbezogenen<br />

und politischen Zielen aus, die heutigen Vereinen ganz<br />

generell fremd geworden sind.<br />

Anmerkungen<br />

' »Der Erzähler« Nr.52, 30.Juni 1848, S.220.<br />

2 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 55, 11. Juli 1848, Beilage S.234.<br />

HANS PETER MÜLLER<br />

Der Fürstliche Kameralhof in Dettensee<br />

Das Jahr 1843 markiert sicherlich einen bedeutsamen Einschnitt<br />

in der langen und wechselhaften Geschichte des<br />

Dorfes Dettensee, denn damals fand ein Stück feudaler<br />

Vergangenheit sein endgültiges Ende. In zwei Kaufverträgen<br />

trat der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen die noch übriggebliebenen<br />

Schloßgebäude samt den dazugehörigen Gütern<br />

mit Ausnahme der Waldungen an die Gemeinde bzw. Bürgerschaft<br />

ab, was er sich mit 86000 Gulden vergelten ließ.<br />

Dettensee war erst durch den Reichsdeputationshauptschluß<br />

von 1803 als Bestandteil der dem Stift Muri gehörigen<br />

Herrschaft Glatt an Hohenzollern gekommen. Als am 3. September<br />

1803 in Glatt die Huldigung für den neuen Herrn<br />

stattfand, waren bei diesem feierlichen Akt 46 Bürger und 16<br />

ledige Burschen von Dettensee anwesend. Neben den diver-<br />

44<br />

3 Bericht des Oberamts Sigmaringen über die hier bestehenden<br />

politischen Vereine vom 17. Oktober 1848 (Staatsarchiv Sigmaringen,<br />

Geheime Konferenz Hohenzollern-Sigmaringen, Neuverzeichnete<br />

Akten II 6809).<br />

4 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 30, 13. April 1849, S. 120.<br />

5 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 71, 5. September 1848,<br />

S. 214-215.<br />

6 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 75, 19. September 1848, S.234.<br />

7 »Der Volksfreund aus Hohenzollern« Nr. 60, 19. September<br />

1848, S. 326.<br />

8 Gemeint ist vermutlich das Heckerlied der Studenten: »Wenn die<br />

Roten fragen, lebt der Hecker noch, sollt ihr ihnen sagen, ja, er lebet<br />

noch. Er hängt an keinem Baume, er hängt an keinem Strick,<br />

sondern an dem Traume der roten Republik.«<br />

9 Französischer Staatsmann, dessen ablehnende Haltung gegenüber<br />

einer Wahlreform zur Februarrevolution 1848 führte.<br />

10 Der französische sogenannte Bürgerkönig, der sich vom liberalen<br />

zum absolutistischen und reaktionären Herrscher wandelte und<br />

bei der Februarrevolution 1848 abdankte und floh.<br />

11 Eberhard Gönner: Die Revolution von 1848/49 in den hohenzollerischen<br />

Fürstentümern und deren Anschluß an Preußen (Arbeiten<br />

zur Landeskunde Hohenzollerns 2) 1952, S. 134—135.<br />

12 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 58, 21. Juli 1848, S.247.<br />

13 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 83, 13. Oktober 1848, S.268.<br />

14 Bericht des Oberamts Sigmaringen über die hier bestehenden<br />

politischen Vereine vom 17. Oktober 1848 (Staatsarchiv Sigmaringen,<br />

Geheime Konferenz Hohenzollern-Sigmaringen, Neuverzeichnete<br />

Akten II 6809).<br />

15 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 88, 31. Oktober 1848, S.290.<br />

16 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 17, 27. Februar 1849, S. 68, und<br />

Nr. 18, 2. März 1849, S. 72.<br />

17 Gönner (wie Anmerkung 11) S. 160.<br />

18 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 20, 9. März 1849, S. 80, und<br />

Nr. 30, 13. April 1849, S. 120.<br />

19 »Der Hochwächter. Organ der Demokratie« Nr. 23, 19. März<br />

1850, S. 91.<br />

Literatur:<br />

Eberhard Gönner: Die Revolution von 1848/49 in den hohenzollerischen<br />

Fürstentümern und deren Anschluß an Preußen (Arbeiten zur<br />

Landeskunde Hohenzollerns 2) 1952.<br />

Gerhard Kramer: Geschichte des Turnerbundes 1848 e.V. Sigmaringen<br />

(maschinenschriftliches Manuskript) 1988.<br />

sen obrigkeitlichen und grundherrschaftlichen Rechten fiel<br />

dem Fürsten v.a. der beträchtliche Herrschaftsbesitz zu, der<br />

aus dem Schloß und den dazugehörigen Feldern und Waldungen<br />

bestand. Nach der »Statistischen Übersicht des Fürstenthums<br />

Hohenzollern-Sigmaringen« von 1836 betrug der<br />

herrschaftliche Eigenbesitz in Dettensee nicht weniger als 473<br />

Morgen, was mehr als 40 Prozent der nur 1109 Morgen<br />

großen Markung ausmachte. Auch wenn davon über die<br />

Hälfte auf Waldungen entfiel, so war doch ein bedeutender<br />

Teil der Anbaufläche der Nutzung durch die Bevölkerung<br />

entzogen, die zudem noch Frondienste für das Schloß leisten<br />

mußte.<br />

Wie Pfarrer Johler in seiner 1824 veröffentlichten hohenzollerischen<br />

Landeskunde schreibt, wurde das Dettenseer


Dettensee, Ausschnitt aus der Ur-Karte von 1842. Nr. 1 Pächterwohnung<br />

Nr. 2/3 ehemalige Vogtei<br />

Nr. 6 Gasthaus »Hirsch«<br />

Nr. 63 Stall- und Scheurengebäude<br />

Nr. 43 Zehntscheuer<br />

Schloß in den Jahren 1817/18 abgebrochen, wobei die Steine<br />

für den Bau der Synagogen Verwendung fanden. Das aus der<br />

2. Hälfte des 16. Jhs. stammende Gebäude stand an der<br />

Ostseite des Schloßbezirks und war mit einem direkten<br />

Zugang zur Kirchenempore verbunden, der heute noch vorhanden<br />

ist, wie auch die geräumigen Keller. Anscheinend<br />

wurde damals auch die an der Südseite zum Schloßgarten hin<br />

gelegene Vogtei verkauft, welches Gebäude zur Zeit gerade<br />

restauriert wird. Uber das Schicksal der übrigen Gebäude, die<br />

samt den Feldern als Kameralhof verpachtet wurden, informieren<br />

uns die Akten des Rentamts Haigerloch (NVA 8821)<br />

im Fürstl. Archiv Sigmaringen.<br />

Der erste Vertrag stammt aus dem Jahre 1817, als das<br />

Oberamt Glatt die Pacht mit dem bisherigen Pächter Martin<br />

Dettling um 9 Jahre verlängerte. Die Grundstücke sind darin<br />

zwar nicht näher beschrieben, wohl aber die Gebäude. Es<br />

waren dies zum einen die Maiereiwohnung samt Kasten,<br />

Vieh- und Schafstall und zum andern die Fruchtscheuer samt<br />

Viehstall und Heuboden. Als Zins hatte der Pächter die<br />

Hälfte aller angebauten Früchte und des Obstes abzuliefern,,<br />

für die Wiesen und Gärten dagegen 12 Gulden pro Mannsmahd.<br />

Das Schafweiderecht wurde ihm ebenfalls überlassen,<br />

wofür er extra 40 Gulden jährlich zu bezahlen hatte. Er war<br />

verpflichtet, gegen Vergütung die der Herrschaft zustehenden<br />

Zehnten einzusammeln und die Kuh des Pfarrers zu<br />

füttern. Dagegen hatte er Anspruch auf die Frondienste und<br />

bekam jährlich 16 Klafter Holz aus den herrschaftlichen<br />

Waldungen zugewiesen.<br />

Nach Ablauf der Pachtzeit verlängerte das Oberamt im Jahre<br />

1827 den Vertrag mit Dettling und seinem Konsorten Johann<br />

Schäfer um weitere 9 Jahre. Die Grundstücke sind dabei mit<br />

212/2 Morgen angegeben, wobei X7TA Mg. auf die Acker in<br />

den 3 Zeigen entfielen, ll'A Mg. auf die Wiesen und 23/2 Mg.<br />

auf die Gärten. Die Pachtbedingungen blieben im wesentlichen<br />

unverändert.<br />

Genaueres über den herrschaftlichen Waldbesitz können wir<br />

einem 1830 zwischen dem Rentamt Haigerloch und der<br />

Gemeinde Dettensee abgeschlossenen Vertrag entnehmen.<br />

Damals verzichtete die Gemeinde auf das ihr in den herrschaftlichen<br />

Waldungen zustehende Weiderecht, wofür sie<br />

als Entschädigung zwei Grundstücke von zusammen 10<br />

Jauchert Fläche als Eigentum erhielt. Danach bestanden die<br />

Waldungen aus 9 größeren und kleineren Stücken mit einem<br />

Gesamtumfang von 215/ Morgen.<br />

Im Jahre 1836 wurde zwischen dem Rentamt und Hirschwirt<br />

Schäfer ein neuer Pachtvertrag über 9 Jahre abgeschlossen.<br />

Der Pachtzins war jetzt anders gestaltet und betrug jährlich<br />

460 Gulden nebst 197 Scheffel Getreide von verschiedenen<br />

Sorten, dazu wie bisher 40 Gulden für die Schafweide.<br />

Ausführliche Beschreibungen der herrschaftlichen Gebäude<br />

samt Grundrissen ließ das Rentamt 1838 anfertigen. Das<br />

45


Maiereigebäude an der Westseite des Schloßhofs war 105 Fuß<br />

lang und 43 Fuß breit und hatte 3 Stockwerke. Das Stall- und<br />

Scheurengebäude, das auf der anderen Straßenseite bei der<br />

Wette lag, maß 132 auf 43 Fuß. Im Jahr darauf kaufte das<br />

Rentamt noch die Scheuer des Josef Fischer bei der Wette um<br />

600 Gulden zur Aufbewahrung der Zehntfrüchte.<br />

Hirschwirt Schäfer konnte die neue Pachtperiode indes nicht<br />

ganz zu Ende bringen, denn Anfang 1843 kündigte die Fürstl.<br />

Hofkammer ihm den Pachtvertrag auf. Als Begründung<br />

wurde vorgebracht, daß der Pächter neben dem Kameralhof<br />

auch noch seine eigenen Grundstücke bewirtschaftet hatte,<br />

was laut Pachtbedingungen ausdrücklich verboten war. Zu<br />

einer Neuverpachtung sollte es nicht mehr kommen, denn am<br />

20. April 1843 schloß das Rentamt Haigerloch zwei Kaufverträge<br />

mit der Gemeinde bzw. der Bürgerschaft von Dettensee<br />

ab.<br />

Der erste, mit der Gemeinde abgeschlossene Vertrag betraf<br />

folgende Gebäude: das Maiereigebäude im Schloßhof, das<br />

Stall- und Scheurengebäude bei der Wette, der 1834 neugebaute<br />

Schweinestall, die 1839 gekaufte Zehntscheuer bei der<br />

Wette und schließlich noch die beiden Brunnen bei der<br />

Scheuer und in der Dorfwiese. Verkauft wurden ferner die<br />

der Herrschaft zustehenden Zehntanteile und das Schafweiderecht.<br />

Der Kaufpreis betrug 22 575 Gulden und war in 10<br />

Jahresraten bei 5prozentiger Verzinsung aufzubringen.<br />

Außerdem verzichtete das Rentamt auf die Frondienste,<br />

wofür die Gemeinde jährlich 60 Gulden zu entrichten hatte.<br />

Der zweite Vertrag wurde mit »sämtlichen Aktivbürgern«<br />

der Gemeinde Dettensee abgeschlossen und betraf die<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Ehrwürdige Heimat-Glocken<br />

Außer der ehemaligen Quelle im Inneren der früheren<br />

Marien-Pfarrkirche in Killer (»Kilchwiler«) (vgl. »Hohenz.<br />

Heimat« 1986, 59), zu der ja einst als Filialen Hausen,<br />

Starzein und Jungingen gehörten, ist eine sehr alte Glocke mit<br />

88 cm Durchmesser und 370 kg Gewicht bemerkenswert, die<br />

vermutlich ins 12. Jahrhundert oder weiter zurückreicht, also<br />

die älteste ihrer Art in Hohenzollern sein dürfte.<br />

Die von dem rührigen Heimatforscher Roland Simmendinger<br />

gezeichnete Skizze (siehe Bild) zeigt von oben gesehen auf der<br />

Platte oder Haube zwischen den hier dunkel angedeuteten<br />

Stegen der Krone (bzw. »Aufhängers«) in auffällig ungelenker<br />

Schrift die Namen der Evangelisten: »Matevs, Markvs,<br />

Luc, (J)Ohannes« in rückläufigen Großbuchstaben nach der<br />

Mitte zu. Der Glockenton wurde durch den erzbischöflichen<br />

Sachverständigen Kramer 1984 als »b -I- 5« festgestellt, als<br />

man durch die Firma Metz in Karlsruhe zum Ersatz der<br />

Bochumer Stahlglocken von 1923 neue Werke beschaffte.<br />

Man schuf diese nach den Plänen des berühmten verstorbenen<br />

Meisters Friedrich Wilhelm Schilling in Heidelberg, der<br />

aus Apolda in Thüringen zugezogen war. Durch eine<br />

Unachtsamkeit im neuen weiträumigen Stuhl der Turmstube<br />

wurden leider die Bügel stark beschädigt. Jedoch der<br />

bekannte Glockenfachmann Hans Lachenmeyer in Nördlingen<br />

behob meisterhaft den Bruch, wie er schon 1962 den<br />

Durchschuß eines französischen Wachtpostens durch das<br />

Glöckle der Ringinger Friedhofkapelle um 1946 (einem Werk<br />

des Rottenburger Johannes Rozier vom Jahr 1686), sowie den<br />

tödlichen Riß der weitberühmten »Hosanna« im Erfurter<br />

Domturn (DDR) vor einigen Jahren zu heilen verstand. Auf<br />

der Zeichnung Simmendingers habe ich außerhalb des Kreises<br />

46<br />

Grundstücke mit einem Umfang von 211'A Morgen. Davon<br />

bestanden 177/2 Mg. aus Ackern, IVA Mg. aus Wiesen und<br />

23 Mg. aus Gärten. Der Kaufpreis hierfür betrug 63425<br />

Gulden und war auf dieselbe Weise zu bezahlen. Die Kaufbedingungen<br />

besagten, daß, wenn ein Bürger mit den Ratenzahlungen<br />

nicht nachkommen sollte, die übrigen seinen Gutsanteil<br />

an sich ziehen und anderwärts verkaufen konnten. Auch<br />

die Juden, sofern sie Aktivbürger waren, durften Gutsanteile<br />

erwerben, jedoch nur, wenn sie diese selbst bewirtschafteten.<br />

Eine weitere, recht eigenartige Bedingung hatte folgenden<br />

Wortlaut: »Die Käufer verzichten auf die bisher bestandene<br />

Befugnis, gegen Abreichung von je 4 Bund Stroh die Abtritte<br />

der Juden reinigen zu dürfen, vielmehr bleibt den Israeliten<br />

überlassen, ihre Abtritte und Cloaken selbst zu säubern und<br />

den Dünger zu benützen, wogegen die Käufer auch kein<br />

Stroh mehr abzugeben haben.«<br />

Die beiden Kaufverträge wurden von der Fürstl. Landesregierung<br />

und Hofkammer genehmigt und traten am 28. April<br />

in Kraft. Zusammengenommen hatte die Dettenseer Einwohnerschaft,<br />

die damals aus rund 500 Personen bestand, also die<br />

enorme Summe von 86000 Gulden innerhalb von 10 Jahren<br />

aufzubringen. So konnte es nicht ausbleiben, daß viele<br />

Grundstückskäufer mit ihren Zahlungen nicht nachkamen,<br />

was durch die bald hereinbrechenden Mißjahre noch verschärft<br />

wurde und zu jahrelangen Rechtsstreitigkeiten führte.<br />

Die Gemeinde Dettensee hatte von den erworbenen Gebäuden<br />

nur das Pächterwohnhaus für sich behalten, das seitdem<br />

als Rathaus diente, bis es im Jahre 1945 durch Kriegseinwirkungen<br />

abbrannte, wobei auch das Gemeindearchiv in Rauch<br />

aufging.<br />

nochmal die Namen der Evangelisten zu besserem Verständnis<br />

angemerkt.<br />

Im nahen Starzein findet man im engen Türmchen der<br />

Kapelle neben einem neuen auch ein uraltes Glöcklein von 42<br />

cm Weite, dessen Abbild im Denkmälerwerk von 1896 S. 160<br />

etwas zu schlank erscheint, und um 1220 datiert werden<br />

dürfte. Nur teilweise sind die Evangelistennamen gelungen:<br />

»MARCVS + MATEVS + LVC«, während für Johannes<br />

kein Platz mehr im Rundband geblieben ist. Das Werk wurde<br />

1769 vom ehemaligen Johanniter-Haus und Klösterlein »Jungental«<br />

westlich des Dorfes an der sog. Kirchstaig nach dessen<br />

Abbruch übernommen. Das Gebäude wird schon 1256<br />

erwähnt und ist käuflich vom Johanniterorden 1605/10 ans<br />

zollerische Grafenhaus übergegangen gewesen.<br />

Melchingen hat den Ruhm, die ältest datierte Glocke in<br />

Hohenzollern zu besitzen. Sie trägt neben den Evangelistennamen<br />

in lateinischer u. deutlicher Schrift: »Die Glocke<br />

wurde im Jahr 1293 gegossen.« Dabei stehen die vier Rätselbuchstaben<br />

»AGLA«. Die Erklärung gab das »Zollerländle«<br />

1926, S. 40 aufgrund der »Glockenkunde« von Walter des<br />

Jahres 1913, 152, die mir als Student des theologischen<br />

Konvikts zu Freiburg in die Hand kam. Das hohz. Denkmalwerk<br />

von 1938, 241 berichtete dann die ganze Aufschrift und<br />

Erklärung: AGLA sind die lateinischen Anfangsbuchstaben<br />

eines hebräischen Spruches: »Atta Gibbor Leolam, Adonai«<br />

= »Du bist groß in Ewigkeit, Herr!«. Seit Jahrhunderten<br />

klingt demnach das Gotteslob von dem Melchinger Kirchturm!<br />

Aber wieviele wissen und beachten es?<br />

Der Gießer der großen Glocke von Jungingen, die 1938 (mit


Durchmesser 1,10 m) auf dem Kirchplatz erwähnt ist, wurde<br />

als Kreuz-Glocke von einem »Jerg Roet« im J. 1495 geschaffen.<br />

Nach anderen Quellen stammte der Gießer aus Pfullingen,<br />

der als »Jerg Rot« schon 1485 eine Glocke für Vöhringen<br />

bei Sulz schuf. Hier sieht man als sein Wappen zwei aufrechte<br />

Fische. Zwei Meisterwerke der Gießkunst mit 1,15 m Durchmesser<br />

(Ton fis) lieferte ein Jos (= Jodokus, nicht Josef!) Egen<br />

(= Egeno) aus Ritlingen sowohl für Ringingen als Melchingen.<br />

Der Herkunftsname Ritlingen ist jedoch falsch; den<br />

Umständen nach muß er Reutlingen heißen, nicht Riedlingen<br />

(wie das Denkmalwerk irrig angibt). Aus Urkunden ergibt<br />

sich nämlich Reutlingen eindeutig als Heimat der Familie<br />

Egen. Auch Tiegerfeld hatte m. W. ein Werk der Reutlinger<br />

Egen. Meines Erachtens muß auch der Meister der Steinhofer<br />

Glocke von 1512 Hans Egen von Reutlingen heißen, nicht<br />

»Eger von Ritlingen«! Oder sollte inzwischen im Volksmund<br />

aus Egen ein Eger geworden sein? Eine Probe auf dem Turm<br />

wäre notwendig.<br />

Die beiden Ringinger Glöckle aus der 1834 abgerissenen<br />

Galluskirche auf dem Gallenberg am westlichen Ortsende<br />

blieben aus Pietät erhalten. Das eine mit den Evangelistennamen<br />

hängt heute auf dem Schulhaus, das aufschriftlose steht<br />

jetzt im Kirchturm. Über Größe und Alter ist mir nichts<br />

bekannt. Das unbeschriftete scheint älter zu sein, das andere<br />

kann ins 13.Jahrhundert zurückreichen. Die (evangelische)<br />

Gemeinde Willmandingen (laut Urkunden um 800 mit Kloster<br />

St. Gallen befaßt), entlieh vor einigen Jahren diese Gallusglocke<br />

vom Kirchturm zu einem historischen Dorffest.<br />

Die Galluskirche mit Bauernhof von Ringingen gehörten<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Allerlei Bei- oder Nebennamen<br />

Fast in allen Ortschaften unserer Heimat gibt es neben den<br />

amtlich festgeschriebenen Familiennamen auch beliebte oder<br />

unerwünschte althergebrachte Beinamen von Familien oder<br />

Häusern. Sie entstanden meist aus unbekannten oder längst<br />

vergessenen Anlässen. Von Haß- oder Streitigkeitsnamen<br />

sind sie streng zu scheiden, wenn sie harmlos und nicht aus<br />

böser Absicht oder Schimpf entsprungen als Übernamen<br />

empfunden werden. Freilich sind die »Geschmäcker« sehr<br />

verschieden, oft gemütlich, andere überempfindlich. Die<br />

Gemeinde Jungingen im Killertal ist für wohlgelittene Beiund<br />

Hausnamen weitum bekannt. Man benutzt sie, schon um<br />

die vielen Speidel, Bosch, Bumiller, Haiß, usw. leicht auseinander<br />

halten zu können. Anderwärts findet man diese Harmonie<br />

nicht in gleichem Maße. Es wird erzählt: Ein Neuzugezogener<br />

habe sich am Biertisch dort geäußert, er sei »der<br />

oazig« (Einzige) im Ort ohne einen Beinamen, was ihm auch<br />

sofort die Bezeichnung »der Oazig« eingebracht habe!<br />

Anderwärts nimmt man die harmloseste Bemerkung gleich<br />

als Beleidigung auf, was sogar zu böser Feindschaft führen<br />

kann. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Vor etwa 30 Jahren<br />

erfuhr ich von einer weitläufig verwandten Frau, man habe<br />

früher meine Familie Kraus »unverschämt« als »Nantes«<br />

tituliert. Sie fügte hinzu, das sei doch ein schlimmer Schimpfname.<br />

Ich lachte ihr ins Gesicht: »Wo ist da ein Schimpf?<br />

Hieß doch ums Jahr 1750 mein direkter Vorfahr Ferdinand<br />

und wurde vom Hairle (Pfarrer) und den Leuten hochspurig<br />

>Ferdinantus< geheißen, von dem in der Folge nur noch<br />

>Nanntes< übrig blieb.« Darauf ein beschämtes Schweigen.<br />

Genau so blieb bei der kritischen Frau Bärbele vom Namen<br />

ihres mir sehr befreundeten Sohnes Christian später im<br />

Volksmund nur noch die Endung »Stiann« übrig, was bei uns<br />

»Stern« bedeutet, und bei den mütterlichen Anrufen ihres<br />

'C<br />

L u c<br />

•- / ••> \<br />

Die Evangelistennamen zwischen den Stegen der Glockenkrone zu<br />

Killer. 12. Jahrhundert (f).<br />

ohne Zweifel seit alter Zeit (vor 1200) mit dem Schweizerkloster<br />

zusammen. Der genannte Bauernhof am Gallenberg löste<br />

erst 1858 seine jährlichen Abgaben an die evangelische Pfarrei<br />

Truchtelfingen ab, die ebenfalls einst zum Kloster St. Gallen<br />

gehörte.<br />

Buben eben deutlich übrig blieb! Es galt beileibe nicht als<br />

Schimpf! Eine in die Familie Hipp in Ringingen hereingeheiratete<br />

Frau stieß sich um 1935 an den Beinamen »Kipf«, bis<br />

ich ihr klarmachen konnte, daß ums Jahr 1660 ein direkter<br />

Vorfahr im Gässle in Ringingen eben Kipf geheißen habe. Er<br />

stammte aus Killer und reichte nach Hechingen zurück, wo<br />

der Schriftsteller Egler noch von einem Flurnamen »khipfte<br />

Wies« zu berichten weiß. Und ein um 1705 in Ringingen<br />

lebender »Kilian Dietz« verheiratete seine Tochter (laut<br />

Häuserbuchs) an einen aus Salmendingen gekommenen<br />

Emele, dessen Nachkommen im Beinamen noch heute an den<br />

Vornamen des alten Schwiegervaters erinnern.<br />

Wieso soll in diesem Beinamen heute denn eine Beleidigung<br />

stecken? Man kennt eben die Zusammenhänge nicht! Und der<br />

Beiname »Kaisers« ruht seit Jahrhunderten auf dem unmittelbar<br />

westlich der Pfarrkirche (jenseits der »Kirchgasse«) stehenden<br />

oder früher gestandenen Haus durch den Wechsel<br />

aller Generationen (zuletzt Faigle-Heinzelmann) seit dem<br />

Jahre 1580, als dort ein aus Hausen bei Killer stammender<br />

Mann namens Kaiser begütert war! Geschichtliche Tatsachen<br />

erweisen sich als mächtiger als alle nichtswissenden Vermutungen!<br />

Daß die »Lutzes« auf einen Ahn Luzius, die benachbarten<br />

»Longis« auf einen Longinus zurückgehen, dürfte<br />

jedem leicht einleuchten! Der verstorbene Josef Dietsich in<br />

der Zuggasse erläuterte mir vor Jahren den Beinamen seiner<br />

Familie: Ein Vorfahr habe als Bub am Straßenrand aus Sand<br />

und Wasser einen kleinen »Gumpen« (Tümpel) gemacht und<br />

auf die Frage, was er tue, geantwortet: »I mach an Blotter«!<br />

(Name für Abrahm der Milch!). Und das gab einen dauernden<br />

Zunamen der Familie. Ein hiesiger Bursche Wahl spielte<br />

47


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

M 3828 F<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

bei den früher jährlich stattfindenden Theaterspielen der<br />

Ledigen eine Prinzenrolle, drum blieb er zeitlebens »der<br />

Prinz«! Sicher ging der Name »Herrgott« eines schwarzwälderschriftstellernden<br />

Paters auf ein altes Volkstheater zurück<br />

und war um 1786 sein amtlicher Familienname. Vor 1872, der<br />

amtlichen Festlegung der Familiennamen, war ja der Verän-<br />

Buchbesprechung<br />

Walther Frick: Felsen, Burgen, Rittersleut. Geschichte und<br />

Geschichten aus dem oberen Donautal. Regio Verlag Glock<br />

und Lutz. Sigmaringendorf 1987.<br />

Heimatkundliches und -geschichtliches erscheint heutzutage<br />

immer dickleibiger und großformatiger, der Leineneinband<br />

und das Hochglanzfoto gehören auch hier inzwischen zur<br />

Grundausstattung. Die Lektüre dagegen - seien wir aufrichtig<br />

- ist oft grausam langweilig. Wie man mit ein wenig<br />

Phantasie auch in bescheidener Aufmachung ein durchaus<br />

gefälliges und ansprechendes Heimatbuch verlegen kann, hat<br />

vor kurzem der Sigmaringendorfer »regio«-Verlag vorgeführt.<br />

Walther Frick erzählt von den Felsen, Burgen und<br />

Rittersleuten des oberen Donautales, und Dominik Frenzls<br />

Illustrationen vergegenwärtigen die Schauplätze in reizenden,<br />

den Text begleitenden Miniaturen. Geschichtlich Verbürgtes<br />

und anekdotisch Überliefertes, selbst Gesehens und<br />

Erlebtes oder nur Gehörtes verarbeitet Walther Frick zu einer<br />

kleinen Geschichte dieser Landschaft und dieses Kulturraumes<br />

zwischen Sigmaringen und Fridingen. Und er garniert<br />

diese Geschichte mit vielen Geschichten, die in dieses Tal<br />

gehören, bislang aber wohl kaum aufgezeichnet wurden. So<br />

entsteht fast beiläufig ein kleines Feuilleton über das obere<br />

Donautal, das den Leser über Natur- und Kulturgeschichte<br />

des »Dääles« ebenso informiert, wie es ihn mit Geschichten<br />

von seinen ehemaligen und heutigen Bewohnern unterhält,<br />

und nicht zuletzt immer wieder Lust macht, das Beschriebene<br />

selbst in Augenschein zu nehmen. Walther Frick berichtet<br />

vom Burgenbau im Mittelalter, zerstreut im Vorbeigehen die<br />

Mär von den Raubrittern im Tal, portraitiert Originale wie<br />

den im Inzigkofer Bahnhofswirtschäftle gestrandeten See-<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der<br />

Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: 8.00 DM jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 65351050).<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

48<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Dr. Casimir Bumiller<br />

Strenzleweg 9a<br />

Peter Kempf<br />

F.H. Bibliothekar<br />

Schloß<br />

7480 Sigmaringen<br />

Pfarrer Johann Adam Kraus<br />

Badstraße 8<br />

7800 Freiburg-Littenweiler<br />

Dr. Maren Kuhn-Rehfus<br />

Schäferweg 10<br />

7480 Sigmaringen<br />

Hans Peter Müller<br />

Weiherplatz 9<br />

7246 Empfingen<br />

derung, Kürzung, Verballhornung der Namen der Familien<br />

überall Tür und Tor geöffnet. Das erfährt jeder, der sich mit<br />

der Erklärung der heute existierenden Familiennamen ernsthaft<br />

befaßt. Schlimm war es vor dem 17. Jahrhundert, als noch<br />

die meisten einfachen Leute weder ihren Namen lesen noch<br />

schreiben konnten!<br />

mann, erinnert an den Dichter Anton Schlude aus Hausen,<br />

wirft einen Blick über die Beuroner Klostermauern zu Arbeit<br />

und Gebet der Mönche und blättert einige Seiten der Zimmernschen<br />

Chronik auf. Er führt seinen Leser zu den Brutstätten<br />

der Vögel und hinab in die Höhlen, in denen es<br />

mitunter über den Skeletten von Weißkopfgeiern gewittern<br />

soll. Und er macht darauf aufmerksam, daß man hier schon<br />

Naturschutz praktizierte, als andernorts das Problem noch<br />

nicht einmal ins Blickfeld geraten war. Walther Frick ist ein<br />

Meister des »apropos«, des »nebenbei bemerkt«, der es<br />

immer wieder versteht, ohne sich an ein dürres Gliederungsschema<br />

zu halten, das, was er zu erzählen weiß, in seine<br />

lebendige Schilderung einzuweben. So entsteht auf nur hundert<br />

Seiten ein farbiges Panorama einer Landschaft, die als<br />

wenig gewinnversprechendes Objekt industrieller oder touristischer<br />

Nutzung, Gott sei Dank, von großmannssüchtiger<br />

Erschließung bislang verschont geblieben ist. Wie man solide<br />

Information mit heiterer Anekdote zu einer unterhaltsamen<br />

kleinen Heimatkunde arrangieren kann, führt Walther Frick<br />

in seinem Buch vor. Dem auswärtigen Wanderer, der etwas<br />

mehr über Land und Leute entlang seiner Route erfahren will,<br />

sei das Büchlein wärmstens empfohlen. Und auch Einheimische<br />

sollten sich vor dem nächsten Ausflug ins Donautal die<br />

vergnügliche Lektüre nicht entgehen lassen. Allerdings, um<br />

im Rucksack zwischen harten Eiern und der Wasserflasche<br />

zerdrückt zu werden, dafür ist das hübsch aufgemachte<br />

Büchlein von Walther Frick zu schade.<br />

Apropos: Für den regionalgeschichtlich Interessierten enthält<br />

der Verlagsprospekt von »regio« noch mehr Bemerkenswertes<br />

. Klaus Peter Burkarth<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a<br />

8430 Neumarkt<br />

Karl Werner Steim<br />

Wegscheiderstraße 26<br />

7940 Riedlingen<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen Telefon 07574/4211<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herrenhaus Jannewitz, Krs. Schlawe, Pommern, aufgenommen im Sommer 1932<br />

OTTO H. BECKER<br />

Die Fiirstl. Hohenz. Besitzungen in Pommern<br />

Ein geschichtlicher Uberblick<br />

1) Die Entstehung des Besitzes<br />

Die Güter in Pommern zählten 1945 nach Größe und<br />

Umfang nach denen in der Mark Brandenburg und in Hohenzollern<br />

zu den bedeutendsten Besitzungen des Fürsten Friedrich<br />

von Hohenzollern. Sie rangierten damit größenmäßig<br />

noch vor den Besitzungen in der Tschechoslowakei (Böh-<br />

* Leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags des Autors aus: Hofkammer-Mitteilungen<br />

3 (1986).<br />

Herausgegeben vom<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

38. Jahrgang Nr. 4 / Dezember 1988<br />

misch Eisenstein, Bistritz, Obercerekwe, Deffernik, Stekken),<br />

Bayern (Bayerisch Eisenstein), Schlesien (Hohlstein)<br />

und Baden (Umkirch). Gegen Ende des 19.Jahrhunderts<br />

übertraf der Fürstl. Hohenzollernsche Besitz in den preußischen<br />

Provinzen Pommern und Posen nach Umfang sogar<br />

noch den in den Hohenzollernschen Landen.<br />

Während jedoch die Besitzungen in Hohenzollern, Baden,<br />

Schlesien und in der Mark Brandenburg im wesentlichen


ererbten Besitz darstellten, sind die Komplexe in Böhmen,<br />

Bayern und in den Provinzen Pommern und Posen vornehmlich<br />

aus umfangreichen Land- und Güteraufkäufen der Fürsten<br />

Karl (1783-1853) und Karl Anton (1811-1885) von<br />

Hohenzollern hervorgegangen.<br />

Die wichtigsten Ankäufe in den Provinzen Pommern und<br />

Posen wurden von Fürst Karl Anton in den Jahren 1872 bis<br />

1876 getätigt. Diese sollen hier kurz angegeben werden:<br />

- Rittergut Schweinen (Kreis Birnbaum, Regierungsbezirk<br />

Posen, Provinz Posen). Das Gut, das 5816 ha umfaßte,<br />

wurde mit Kaufvertrag vom 28. September 1872 für 182 000<br />

Taler von dem Rittergutsbesitzer Paul Dietz erworben.<br />

- Rittergut Dratzig mit Besitz in Nothwendig, Miala und<br />

Filehne (Kreis Czlrnikau, Regierungsbezirk Bromberg,<br />

Provinz Posen). Der Besitz wurde mit Kaufverträgen vom<br />

28. Februar und 23.Juni 1873 von dem Rittergutsbesitzer<br />

Rudolph von Schulz erworben. Der genaue Preis und der<br />

damalige Umfang konnten anhand der vorliegenden Akten<br />

nicht festgestellt werden.<br />

- Rittergüter Manow mit Roßnow, Grünhof und Seydel<br />

(Kreise Köslin und Bublitz, Regierungsbezirk Köslin, Provinz<br />

Pommern). Die Güter wurden mit Kaufvertrag vom<br />

18. Juni 1873 von dem Rittergutsbesitzer Georg Holtz für<br />

750000 Taler gekauft. Die Größe der Objekte wird mit<br />

insgesamt 22528 Magdeburger Morgen angegeben.<br />

- Rittergut Jannewitz mit Suckow, Santow, Größ-Quäsdow,<br />

Klarenwerder und mit einem Grundstück des Ritterguts<br />

Crange (Kreise Köslin und Bublitz, Regierungsbezirk<br />

Köslin, Provinz Pommern). Der Besitz wurde mit Kaufvertrag<br />

vom 20. Mai 1874 von Graf Werner von Blumenthal<br />

auf Jannewitz für 1 000 000 Taler erworben; er umfaßte<br />

6736 ha. In der Folgezeit wurde dieser Besitz als »Jannewitzer<br />

Begüterung« bezeichnet.<br />

- Rittergut Viverow a Viverow b (Kreis Bublitz, Regierungsbezirk<br />

Köslin, Provinz Pommern). Die Rittergüter, die<br />

eine Gesamtfläche von 1006,70 ha aufwiesen, wurden mit<br />

Kaufvertrag vom 8. Juni 1874 von den Hellermannschen<br />

Erben erworben. Der Kaufpreis betrug 148000 Taler.<br />

- Antonswald (Kreis Samter, Regierungsbezirk Posen, Provinz<br />

Posen). Der Besitz bestand aus den auf der rechten<br />

Seite der Warthe gelegenen Gütern von Biezdrowo. Der<br />

Kaufvertrag wurde am 1. August 1876 abgeschlossen. Der<br />

Kaufpreis und der damalige Umfang des Objekts konnten<br />

nicht festgestellt werden. 1898 wies der Antonswald 3160<br />

ha auf.<br />

In den folgenden Jahren war man seitens der Fürstl. Verwaltung<br />

zunächst bestrebt, die Besitzungen in den Provinzen<br />

Pommern und Posen durch weitere Ankäufe, die hier im<br />

einzelnen nicht dargestellt werden sollen, zu vergrößern und<br />

abzurunden. Es kamen freilich auch Veräußerungen vor, die<br />

dann im Verkauf der gesamten Besitzungen in der Provinz<br />

Posen unter Fürst Leopold von Hohenzollern (1835-1905)<br />

gipfelten. So wurde der Komplex Schweinert mit der Gesamtfläche<br />

von 6741 ha mit Kaufvertrag vom 7./13. Juli 1896 für<br />

600000 Mark an den Rittmeister a.D. Schlüter verkauft. Mit<br />

Kaufvertrag vom 20./21. November 1902 wurde dann das<br />

Rittergut Dratzig mit den Besitzungen in Nothwendig und<br />

Miala sowie der Antonswald für 3200000 Mark an den<br />

preußischen Fiskus veräußert. Dieser Komplex umfaßte<br />

17544 ha.<br />

2) Der Aufbau der Verwaltung<br />

Dem Ankauf des gewaltigen, wenn auch nicht zusammenhängenden<br />

Besitzes in den Provinzen Pommern und Posen<br />

folgte die verwaltungsmäßige Erschließung und Integration<br />

in den Fürstl. Hohenzollernschen Verwaltungsapparat.<br />

Bevor wir uns jedoch dem Aufbau der Fürstl. Verwaltung in<br />

50<br />

den Provinzen Pommern und Posen zuwenden, soll hier erst<br />

noch die Fürstl. Hohenz. Hofkammerverwaltung vor dem<br />

Ende der Monarchie skizziert werden.<br />

Nach Abschaffung der Geheimen Konferenz 1867 wurde die<br />

1832 geschaffene Hofkammer zur Obersten, unmittelbar den<br />

Fürsten von Hohenzollern unterstellte Behörde zur Verwaltung<br />

des Fürstl. Domanialbesitzes, d. h. zur obersten Behörde<br />

für die Verwaltung der Fürstl. Domänen und Forsten eingesetzt.<br />

Der Fürstl. Hofkammer unterstellt waren die Rentämter,<br />

die vor Ort die Verwaltung des Fürstl. Domänenbesitzes<br />

besorgten. Außerdem waren sie für die örtliche Bauverwaltung<br />

zuständig.<br />

Der Unterbau der Hofkammer im Bereich der Forstverwaltung<br />

war hingegen dreistufig. Unmittelbar unter der Hofkammer<br />

bestanden die drei Forstinspektionen Sigmaringen,<br />

Beutnitz in der Mark Brandenburg und Bistritz in Böhmen.<br />

Den Forstinspektionen unterstanden die Oberförstereien,<br />

denen wiederum Schutzbezirke zugeordnet waren.<br />

Zur Verwaltung des erworbenen Domänenbesitzes der Rittergüter<br />

Dratzig und Schweinert schuf Fürst Karl Anton mit<br />

Erlaß vom 27.Juli 1873 ein Fürstl. Hohenzollernsches Rentamt<br />

in Nothwendig. Mit gleichem Erlaß wurde für das<br />

Rittergut Manow mit Roßnow, Grünhof und Seydel die<br />

Fürstl. Hohenz. Rendantur Manow gebildet.<br />

Die Vermehrung des Fürstl. Besitzes wirkte sich in der<br />

Folgezeit auch auf die Verwaltungsstruktur in den Provinzen<br />

Posen und Pommern aus. Mit Erlaß vom 20. Dezember 1882<br />

schuf Fürst Karl Anton als Mittelinstanz zwischen der Hofkammer<br />

und den Rentämtern die Fürstl. Hohenzollernsche<br />

Domänenadministration Nothwendig. Ihr wurden die Rentämter<br />

Beutnitz (Regierungsbezirk Frankfurt a.d.Oder), die<br />

Rendantur Manow zu Köslin und das Rentamt Dratzig zu<br />

Nothwendig unterstellt. Am gleichen Tag wurde der Rittergutsbesitzer<br />

und Fürstl. Hofkammerrat Philipp von Nathusius<br />

Ludom aus Neinstedt mit der Administration beauftragt<br />

und außerdem mit der Leitung des Rentamts Dratzig betraut.<br />

Die Fürstl. Hohenzollernsche Domänenadministration<br />

Nothwendig hatte indes nur kurzen Bestand. Mit Erlaß des<br />

Fürsten Karl Anton von Hohenzollern vom 25. Mai 1884<br />

wurde die Domänenadministration aufgehoben und ihre<br />

Funktionen dem Fürstl. Hohenzollernschen Rentamt Dratzig<br />

zu Nothwendig übertragen. Mit Wirkung vom 1. Januar<br />

1885 wurde sodann die Vereinigung der beiden Rentämter<br />

Dratzig und Manow mit dem Sitz in Köslin verfügt. Das<br />

vereinigte Rentamt führte danach die Bezeichnung Fürstl.<br />

Hohenzollernsches Rentamt Köslin. Am seitherigen Sitz des<br />

Rentamts Dratzig in Nothwendig verblieb eine rentamtliche<br />

Zahlstelle. Der Wohnsitz des Fürstl. Baumeisters wurde von<br />

Filehne nach Nothwendig verlegt. Die Zahlstelle in Nothwendig<br />

ist dann nach dem Verkauf des Komplexes Dratzig<br />

und dem Antonswald mit Wirkung zum 1. August 1903<br />

aufgehoben worden.<br />

Im Gegensatz zur Verwaltung der Fürstl. Güter hat in den<br />

Besitzungen in den Provinzen Pommern und Posen niemals<br />

eine eigene Forstinspektion bestanden.<br />

Für den Bereich der Forstverwaltung war dort vielmehr die<br />

Forstinspektion Beutnitz in der Mark Brandenburg zuständig.<br />

Dieser wiederum zugeordnet waren nach dem Stand von<br />

1898 die Oberförstereien Antonswald (Kreis Filehne, Regierungsbezirk<br />

Bromberg), Manow (Kreise Köslin und Bublitz,<br />

Regierungsbezirk Köslin) und Suckow (Kreis Schlawe,<br />

Regierungsbezirk Köslin). Die Oberförstereien waren in<br />

Schutzbezirke untergliedert. Nach dem Verkauf des Rittergutes<br />

Dratzig mit Zubehörungen wurden mit Wirkung zum<br />

1. August 1903 die Oberförstereien Antonswald und Dratzig<br />

aufgehoben.


3) Die Entwicklung des Besitzes<br />

Wie bereits deutlich gemacht, war der Fürstl. Besitz in<br />

Pommern und in der Provinz Posen, was seinen Umfang<br />

anbelangt, einem Wandel unterworfen. Dieser soll im<br />

Anschluß anhand des in den Handbüchern der Fürstl.<br />

Hohenzollernschen Hofverwaltung von 1898 und 1911 enthaltenen<br />

Zahlenmaterials objektiviert werden.<br />

1898 setzte sich der Fürstl. Besitz in den Provinzen Pommern<br />

und Posen aus folgenden Realitäten zusammen:<br />

Gebäude und Hofräume 51,3612 ha<br />

Gärten 22,7860 ha<br />

Äcker 5414,2821 ha<br />

Wiesen 960,2319 ha<br />

Waldungen 21 490,6374 ha<br />

Weiden, Ödungen, Wege 2 518,5005 ha<br />

Teiche und Gewässer 737,0299 ha<br />

Der pommersche Besitz des<br />

bestand im Jahre 1911 aus:<br />

Grundfläche der Gebäude<br />

und Hofräume<br />

Gärten<br />

Äcker<br />

Wiesen<br />

Waldungen<br />

Weiden, Ödungen, Wege<br />

Teiche, Gewässer<br />

31 194 8290 ha<br />

Fürsten von Hohenzollern<br />

30,1447 ha<br />

6,5020 ha<br />

3768,3811 ha<br />

681,1764 ha<br />

7472,5239 ha<br />

938,3841 ha<br />

516,6230 ha<br />

13413,7352 ha<br />

Danach hatte sich der Fürstl. Besitz zwischen 1898 und 1911<br />

östlich der Mark Brandenburg um rund 17 781 ha vermindert.<br />

Wenn man aber bedenkt, daß allein durch den Verkauf des<br />

Komplexes Schweinert mit insgesamt 6741 ha im Jahre 1896<br />

und Dratzig mit insgesamt 17544 ha im Jahre 1902 sich der<br />

Gesamtbesitz des Fürsten von Hohenzollern um rund 24522<br />

ha vermindert hatte, dann müssen in dem verbliebenen<br />

Bereich in Pommern noch eindrucksvolle Ankäufe stattgefunden<br />

haben. Die Fürstl. Güter zählten damit zu den größten<br />

Besitzungen in Pommern, genauer gesagt Hinterpommern.<br />

Die Bodenbeschaffenheit der Güter war freilich nicht die<br />

beste. Sie eignete sich lediglich für den Anbau von Roggen,<br />

Kartoffeln und Hafer. Anfangs wurden die Güter verpachtet,<br />

und zwar die im Kreise Köslin getrennt und die im Kreise<br />

Schlawe in einer Hand. Einzelverpachtet waren die Fischgewässer.<br />

Dagegen befanden sich die Spiritusbrennereien in der<br />

Selbstbewirtschaftung des Fürstl. Hohenz. Rentamts Köslin.<br />

Die Einführung der Selbstbewirtschaftung der Güter, die<br />

weit ab vom Mittelpunkt der Zentralverwaltung lagen,<br />

geschah unfreiwillig und ging von der Begüterung im Kreis<br />

Schlawe aus. Als dort nämlich der letzte Pächter im Juli 1900<br />

starb, fand sich kein Pächter mehr für den großen Besitz. Die<br />

Einzelverpachtung war aus betriebstechnischen Gründen<br />

sowie wegen Fehlens von Pächterhäusern nicht möglich. So<br />

sah sich die Fürstl. Verwaltung gezwungen, das lebende und<br />

tote. Inventar zu übernehmen, und bildete zwei Gutsadministrationen.<br />

Die kleinere Administration mit den Besitzungen<br />

in Seydel, Viverow und Roßnow umfaßte ca. 1300 ha, die<br />

größere mit den Gütern in Jannewitz und Umgebung wies ca.<br />

2500 ha auf. Die Leitung dieser Gutsadministrationen oblag<br />

Fürstl. Administratoren.<br />

Auch der norddeutsche Forstbesitz der Fürsten von Hohenzollern<br />

war von geringerer Qualität als der süddeutsche. So<br />

wies 1911 der Bezirk der Forstinspektion Sigmaringen mit<br />

einer Gesamtfläche von 11510 ha 46 750 Fm jährliche Hauptnutzung<br />

auf. Der Bezirk der Forstinspektion Beutnitz in<br />

Norddeutschland brachte es im gleichen Jahr bei einer<br />

Gesamtfläche von 26402 ha nur auf eine Hauptnutzung von<br />

32576 Fm.<br />

Trotz dieser negativen Aspekte stellte der pommersche Besitz<br />

mit einer Gesamtfläche von 13 413,7 ha ein riesiges Vermögen<br />

dar. Wie wir aus einem Erlaß des Fürsten Wilhelm von<br />

Hohenzollern vom 8. Oktober 1917 erfahren, waren Interessenten<br />

damals vornehmlich im Hinblick auf dort vermutete<br />

Bodenschätze bereit gewesen, für den Fürstl. Besitz in Pommern<br />

18 000000 Mark zu bezahlen. Der Fürst war deshalb der<br />

Überzeugung, an dem pommerschen Besitz unbedingt festhalten<br />

zu müssen.<br />

4) Die Situation nach dem 1. Weltkrieg<br />

Der Untergang der Monarchie und die Gründung der Weimarer<br />

Republik bedeuteten für das Haus Hohenzollern<br />

zunächst den Verlust der noch bestehenden Vorrechte wie<br />

z. B. die Steuerbefreiung. Auch verloren die Fürstl. Behörden<br />

ihren öffentlich-rechtlichen Charakter. Vor allem aber wurde<br />

der pommersche Besitz der Fürsten von Hohenzollern immer<br />

mehr in den Strudel der sogen. Agrarkrise des Ostens mithineingerissen.<br />

Über die ökonomische Entwicklung der pommerschen Güter<br />

informiert anschaulich ein Gutachten des Hofkammerrats<br />

Dr. Paeffgen vom 30. September 1930. Danach erwirtschafteten<br />

die Güter in Pommern, die bis zum Kriegsbeginn noch<br />

einigermaßen rentabel waren, ab 1924 nur noch Verluste.<br />

Zum 1. Juli 1930 waren Schulden in Höhe von 1600000 RM<br />

aufgelaufen. Die Fürstl. Verwaltung mußte sich von dem<br />

Administrator Meyer-Bornhofer trennen.<br />

Niederschmetternd war auch die Situation der Forsten. In<br />

dem Jahresbericht der Fürstl. Hofkammer für 1929 heißt es:<br />

»Der in den Jahren 1927 und 1928 in Manow und Suckow<br />

aufgetretene Kiefernspannerfraß hat im Jahre 1928 seinen<br />

Höhepunkt erreicht. Als Folge des zweimaligen Licht- bzw.<br />

Kahlfraßes mußten 1929 in der Oberförsterei Manow 161 ha<br />

mit einem geschätzten Anfall von rund 12000 Fm zum<br />

Einschlag kommen. ... In der Oberförsterei Suckow mußten<br />

insgesamt rund 130 ha in Folge des Spannerfraßes abgeschrieben<br />

werden.«<br />

Auch die Verwertung des angefallenen Holzes stieß auf<br />

Schwierigkeiten. So heißt es in dem zitierten Jahresbericht:<br />

»Der Holzanfall in den norddeutschen Revieren kann immer<br />

noch nicht als normal bezeichnet werden. Die Holzpreise<br />

sind deshalb nicht vergleichbar, da infolge des Spannerfraßes<br />

in Manow und Suckow besonders viel Grubenholz anfiel,<br />

während in den Beutnitzer Revieren immer noch Nachhiebe<br />

als Folge des Forleulenfraßes notwendig wurden. Die Holzpreise<br />

sind gegenüber 1928 um ca. 25-30% gesunken.«<br />

In dem erwähnten Gutachten von Hofkammerrat Dr. Paeffgen<br />

wird die Situation wie folgt bewertet: »Der forstliche<br />

Besitz in der Mark Brandenburg [mit Pommern] in Größe<br />

von rund 18 000 ha, früher als Rückgrat der ganzen Verwaltung,<br />

ist durch eine Fraßkatastrophe (Forleule) auf unabsehbare<br />

Zeit nicht nur ertraglos geworden, sondern erfordert<br />

große Zuschüsse für Aufforstungen, Gehälter der Beamten<br />

usw. Das durch den Fraß angefallene Holz kam in eine so<br />

schlechte Verwertungsperiode hinein, daß der Erlös nicht<br />

einmal die Kosten der Aufarbeitung und des Abtransports<br />

deckte.«<br />

Die katastrophale Entwicklung der Forstwirtschaft in Norddeutschland<br />

zwang die Fürstl. Verwaltung zu Einsparungen<br />

und zur Straffung des Behördenaufbaus. So wurde die Fürstl.<br />

Hohenzollernsche Forstinspektion Beutnitz mit Wirkung<br />

51


zum 1. Dezember 1929 aufgehoben. Die Funktionen der<br />

Forstinspektion gingen teils auf die bestehenden Oberförstereien,<br />

im wesentlichen aber auf die Hofkammer über.<br />

5) Die Veräußerung der Jannewitzer Begüterung<br />

Die Empfehlung des Fürsten Wilhelm von Hohenzollern, an<br />

dem pommerschen Besitz festzuhalten, wurde, wie wir aus<br />

dem Zahlenmaterial des Handbuchs der Fürstl. Hohenzollernschen<br />

Hofkammerverwaltung von 1927 entnehmen können,<br />

auch noch nach dem Auftreten der ersten Verluste<br />

befleißigt. Danach setzte sich der Fürstl. Besitz aus folgenden<br />

Flächen zusammen:<br />

Grundfläche der Gebäude<br />

und Hofräume 27,9227 ha<br />

Gärten 6,8394 ha<br />

Äcker 3229,0331 ha<br />

Wiesen 511,5878 ha<br />

Waldungen 7445,4123 ha<br />

Weiden, Ödungen, Wege 892,5928 ha<br />

Teiche, Gewässer 495,6134 ha<br />

52<br />

12609,0015 ha<br />

Gegenüber 1911 hatte sich der Fürstl. Besitz in Pommern,<br />

d.h. im Bereich des Rentamts Köslin, nur um rund 800 ha<br />

vermindert.<br />

Die Situation im Jahre 1930 charakterisiert Hofkammerrat<br />

Dr. Paeffgen folgendermaßen: »Hier steht mehr auf dem<br />

Spiel als ein Außenstehender, der mit den Verhältnissen nicht<br />

vertraut ist, ahnt. Diese Betriebe, mögen sie auch groß sein<br />

und einem Prinzen von Hohenzollern gehören, sind in das<br />

soziale Gefüge des Staates genauso eingegliedert, wie jeder<br />

andere landwirtschaftliche Betrieb, sie erfüllen genau den<br />

gleichen Zweck, Produkte für die Ernährung des Volkes zu<br />

erzeugen, darum darf auch keine Differenzierung gegen<br />

andere Güter stattfinden. Wenn es uns nicht gelingt, die<br />

bisherigen laufenden Schulden in langfristige Kredite mit<br />

erträglichem Zinsfuß zu überführen und die Betriebe wieder<br />

rentabel zu machen, oder wenigstens ins Gleichgewicht zu<br />

bringen, so droht der völlige Zusammenbruch eines der<br />

größten landwirtschaftlichen Betriebe Hinterpommerns mit<br />

seinen Begleiterscheinungen. Auf den Gütern sind zur Zeit an<br />

Beamten und Arbeitern beschäftigt ca. 175 Familien mit 427<br />

Köpfen. Diese würden brotlos werden, wenn der Betrieb<br />

eingestellt würde. Es liegt uns fern, damit nach irgendeiner


Richtung einen Druck auszuüben, denn die geschilderten<br />

Verhältnisse ergeben ohne weiteres zwingende Schlüsse. Wie<br />

die Betriebe jetzt liegen, bedrohen sie den Bestand des Prinz<br />

von Hohenzollernschen Hauses und es muß darin eine<br />

Änderung eintreten oder wir sehen uns gezwungen, zu<br />

radikalen Maßnahmen zu schreiten. Unser Antrag geht<br />

dahin, an etwaiger Osthilfe für unsere pommerschen Betriebe<br />

in gleicher Weise wie die übrige Landwirtschaft des Ostens<br />

beteiligt zu werden. Geholfen wäre uns schon mit einem<br />

langfristigen Darlehen von einer Million Reichsmark zu<br />

einem mäßigen Zinsfuß.«<br />

Die Hoffnungen der Fürstl. Hofkammer, die pommerschen<br />

Güter mit einem langfristigen Kredit sanieren zu können,<br />

mußten jedoch alsbald begraben werden. Durch Reichsgesetz<br />

war im Jahre 1931 die Sanierungshilfe für Güter an die<br />

Bedingung geknüpft worden, daß für Bauernsiedlungen Land<br />

abgegeben werden mußte. Ein weiteres Gesetz wurde vorbereitet,<br />

das die Zwangsenteignung nicht mehr entschuldungsfähiger<br />

Güter zum Zweck der Siedlung vorsah.<br />

Bei der Lage der Dinge war an einem absoluten Festhalten an<br />

den pommerschen Gütern nicht mehr zu denken. Mit Kaufvertrag<br />

vom 3. Dezember 1931 wurden 2810 ha landwirtschaftliche<br />

Nutzfläche der sog. Jannewitzer Begüterung in<br />

Jannewitz, Lantow, Groß- und Klein-Quäsdow, Roßnow,<br />

Seydel und Vieverow (Kreise Schlawe und Köslin) an die<br />

Bauernhof Siedlungsgesellschaft in Berlin verkauft.<br />

Von dem Kaufpreis in Höhe von 1450000 RM wurden<br />

700000 RM zur Abdeckung aufgelaufener Schulden sogleich<br />

ausbezahlt. Außerdem übernahmen die Käufer Hypotheken<br />

in Höhe von 68000 RM. Die restlichen 482000 RM waren<br />

von dem Käufer mit höchstens 9% bzw. mindestens mit 5%<br />

zu verzinsen. Zu den Zinsen kam dann noch eine Amortisationsquote<br />

von jährlich 0,5%. Wegen der schlechten Zahlungsmoral<br />

des Käufers sind in der Folgezeit, wie aus den<br />

umfangreichen Akten darüber zu entnehmen ist, immer<br />

wieder Streitigkeiten zwischen der Fürstl. Hofkammer und<br />

der Siedlungsgenossenschaft entstanden.<br />

HANS-DIETER LEHMANN • OTTO BOGENSCHUTZ<br />

Anmerkungen zum »Käpfle« über Burladingen<br />

Im Schwarzwälder Boten vom 25. August 1988 erschien ein<br />

Aufsatz mit dem Titel »Das Burladinger Käpfle in keltischer<br />

Hand«. Der nicht mit Namen gekennzeichnete Beitrag<br />

befaßte sich mit der Frühgeschichte dieses Berges oberhalb<br />

der Wasserscheide zwischen Starzel und Fehla, auf der das<br />

römische Kastell des Alblimes gelegen hatte. Aus den auf dem<br />

Berg an der Oberfläche sichtbaren Befunden zusammen mit<br />

von hier stammenden Funden aus vorrömischer, römischer<br />

und frühmittelalterlicher Zeit wurde über die einstige Bedeutung<br />

der Anlagen spekuliert: vom mittelalterlichen Burgstall<br />

(C. Bizer, J.A. Kraus) über einen Alb-Limes-Feuerturm<br />

(R. Simmendinger) bis hin zu einer Wehranlage der Kelten<br />

(Dr. G. Wiebusch), letzteres geschlossen aus Übereinstimmungen<br />

im Erscheinungsbild mit der »Wildenburg« bei Idar-<br />

Oberstein. Die Beobachtung einer Ähnlichkeit der Formationen<br />

am »Käpfle« mit Gegebenheiten in linksrheinischen<br />

Anlagen am Hunsrück und im Moselraum ist aufschlußreich<br />

deshalb, weil von dort mehrere befestigte Höhensiedlungen<br />

als Zufluchten der Provinzial-Bevölkerung aus der Endzeit<br />

des römischen Reichs bekannt sind (Gilles 1985). Die<br />

Befunde am »Käpfle« machen es wahrscheinlich, daß dem<br />

Berg hier zur gleichen Zeit, d.h. zur Zeit der »frühen<br />

Alamannen« bei uns, eine entsprechende Funktion zukam.<br />

Die erworbenen landwirtschaftlichen Nutzflächen wurden<br />

von der Siedlungsgesellschaft sodann parzelliert und 289<br />

Siedlerstellen geschaffen. Das Siedlerdorf, das den Namen<br />

Hohenzollern erhielt, zählte alsbald 1150 Bewohner.<br />

Von der Veräußerung der Jannewitzer Begüterung blieben<br />

die Forsten in Pommern unberührt. Auch verblieben zur<br />

Nebenbewirtschaftung durch das Forstpersonal einige landwirtschaftliche<br />

Flächen im Fürstl. Besitz.<br />

Doch auch nach der Veräußerung der Jannewitzer Begüterung<br />

stellte der Fürstl. Besitz in Pommern einen gewaltigen<br />

Komplex dar. Wie wir aus Aufzeichnungen des früheren<br />

Hofkammerpräsidenten Dr. Aengenheister entnehmen können,<br />

wies der gesamte Besitz des Fürsten Friedrich von<br />

Hohenzollern in Pommern am 1. April 1945 eine Fläche von<br />

insgesamt 9 011,11 ha auf. Der pommersche Besitz des Fürstl.<br />

Hauses Hohenzollern wurde damals somit nur von den<br />

Gütern in der Mark Brandenburg, die insgesamt 21962,56 ha<br />

aufwiesen, und den Besitzungen in Hohenzollern, die<br />

14235,91 ha umfaßten, übertroffen.<br />

Quellen: Staatsarchiv Sigmaringen, Depositum Fürstl. Hohenz.<br />

Haus- und Domänenarchiv, DS AA 75,1; 75,3-6; 116,1-2; NVA 17.<br />

420, 17.433, 17.463, 24.077, 24.154, 24.157, 24.174, 24.201, 26.140,<br />

27.715,27. 739, 27.816,27.820, 29.183,34.246,35.804,36.836; Sa 749<br />

(Jakob Paeffgen, Die Fürstl. Hohenz. Hofkammerverwaltung,<br />

Manuskript 1932); Sa 220 (Heinrich Aengenheister, Die Entstehung<br />

des Grundbesitzes des Fürsten Friedrich von Hohenzollern, Manuskript<br />

o.J.)<br />

Literatur: Handbuch der Fürstl. Hohenzollernschen Hofkammer-<br />

Verwaltung 1898, Stuttgart 1898; dass, für 1907, Stuttgart 1907; dass,<br />

für 1911, Stuttgart 1911; dass, für 1927, Ravensburg 1927.<br />

Abbildungsnachweis: Das Fürstl. Herrenhaus in Jannewitz im Jahr<br />

1932 (Depositum Fürstl. Hohenz. Haus- und Domänenarchiv, SaEg<br />

Nr. 56). Orientierungskarte über die Fürstl. Hohenz. Besitzungen in<br />

den ehemaligen Provinzen Pommern und Posen. Angefertigt von<br />

H. Liebhaber, 1986.<br />

In erster Linie aber, über sehr viel längere Zeiten hinweg, war<br />

das »Käpfle« genau das, was der heutige Name noch aussagt:<br />

es war ein Kapf, eine Warte, ein Platz, von dem nicht nur in<br />

Notzeiten Ausschau gehalten worden ist. Diese Bedeutung<br />

des Flurnamens »Kapf« ist bereits in althochdeutschen Glossen<br />

zum Boethius belegt: »aba demo hohesten chapfe« wird<br />

gleichgesetzt mit »ex alta specula«. Der Ausdruck hängt<br />

zusammen mit mittelhochdeutsch »kapfen« und modernem<br />

»gaffen« für »schauen, Ausschau halten« (Grimm 1873).<br />

Kapf ist als Flurbezeichnung in Südwestdeutschland nicht<br />

selten; ganz besonders häufig kommt der Name an der<br />

Zollernalb vor. Nicht selten fällt er auf Ortlichkeiten mit voroder<br />

frühgeschichtlichen Wallanlagen, meist in Form von<br />

Bergspornen, die durch Wall und Graben abgegrenzt sind.<br />

Die Auswertung von über 200 derartigen Plätzen ließ erkennen,<br />

daß diese Warten der Frühzeit im Gelände nach<br />

bestimmten Gesichtspunkten angelegt worden waren: sie<br />

treten oft in Gruppen auf und sind in ihrer Lage auf einen<br />

Mittelpunkt, genauer: auf ein Doppel-Zentrum ausgerichtet.<br />

Diese Mitte besteht aus einer Anhöhe unfern dem in nordwestlicher<br />

Richtung davon gelegenen eigentlichen Zentrum.<br />

In der Anordnung um dieses herum zeichnet sich als Schema<br />

ab, daß sowohl die Himmelsrichtungen als auch Winkelab-<br />

53


stände von genau 15° und 30° zwischen den im Umkreis<br />

liegenden Örtlichkeiten eine Rolle spielen. Manchmal liegen<br />

auch auf einem Radius in einem solchen Kapf-System mehrere<br />

dieser Örtlichkeiten. Aus solchen Anordnungen ist für<br />

die Warten zu schließen, daß sie primär keine Wehranlagen<br />

waren. Es wäre nicht einzusehen, warum derartige Gesichtspunkte<br />

und nicht militärische Überlegungen und die Gegebenheiten<br />

des Geländes die Platzwahl hätten bestimmen<br />

sollen. Daß im Fall einer Benützung in mehreren Perioden<br />

mit Wall und Graben ausgestattete Anlagen zu bestimmten<br />

Zeiten auch als Zuflucht gedient haben mögen, soll dabei<br />

keineswegs geleugnet werden, auch nicht für das Käpfle über<br />

Burladingen. Als primäre Zweckbestimmung bleibt unter<br />

diesen Gesichtspunkten nur eine, die in dem obskuren<br />

Bereich früher religiöser Vorstellungen anzusiedeln wäre.<br />

Dazu paßt aber ausgezeichnet, daß in den etwa zwei Dutzend<br />

solcher Kapf-Systeme zwischen Oberrhein, Allgäu und mittlerem<br />

Neckar an wichtigen Punkten darin einige unserer<br />

ältesten Kirchen und Kapellen liegen; vor allem Feldkirchen,<br />

abgegangene und heute noch bestehende wie die Wurmlinger<br />

Kapelle, die Salmendinger Kapelle, die Obere Kirche bei<br />

Nagold, die Heidenkapelle bei Belsen und einige andere.<br />

Voraussetzung für einen Zusammenhang dieser frühen<br />

christlichen Gotteshäuser mit einem vor-christlichen Kult in<br />

alamannischer und früherer Zeit ist die Kult-Tradition des<br />

Ortes, d.h. eine ältere Lehrmeinung, die allerdings von<br />

manchen wie z.B. Blessing (1962) bestritten wurde.<br />

Die deutlichsten und in ihren Zusammenhängen am besten<br />

erkennbaren Kapf-Systeme liegen im Raum an der obersten<br />

Donau und auf der Zollern-Alb. Hier bilden der Hohenzollern<br />

und das Zellerhorn einerseits, das Zollerbergle und der<br />

Kornbühl auf dem Heufeld andererseits die Mittelpunkte von<br />

zwei sich über dem Killertal überschneidenden großen Systemen.<br />

Kleinere liegen in der Nachbarschaft bei Tailfingen<br />

(Burg) und über Gauselfingen (Hoher Kopf). Das Käpfle<br />

über Burladingen gehört in das Heufeld-System: es liegt<br />

genau in der Mittagslinie des Zollerbergle. Der nur wenig<br />

westlicher gelegene Obere Berg wäre von der Lage, d.h. von<br />

der Himmelsrichtung her, in das benachbarte System um den<br />

Hohenzoller einzuordnen. Hier sind aber vor Ort an der<br />

Oberfläche keinerlei Hinweise auf einen Kapf festzustellen.<br />

HERBERT BURKARTH<br />

Eine Grund-Voraussetzung jedoch erfüllt die höchste Stelle:<br />

nur von hier besteht - über den Himberg hinweg - eine<br />

direkte Sichtverbindung mit dem Zollergipfel.<br />

Wenn oben vermerkt wurde, daß an einigen Stellen in<br />

derartigen Kapf-Systemen die Kult-Tradition aus dem alamannischen<br />

Heidentum bis in christliche Zeiten hinein bestehen<br />

blieb, dann ist dies vielleicht auch für das Käpfle zu<br />

vermuten. Kraus (1957) sucht auf den Höhen um Burladingen<br />

eine a. 1185 genannte und abgegangene Kapelle mit den<br />

Patronen Petrus, Paulus und Johannes dem Täufer. Ein »Sant<br />

Peters wißlin« wird noch a. 1544 erwähnt; lokalisiert ist<br />

beides bislang nicht, ein Zusammenhang mit dem Käpfle ist<br />

allenfalls ein Verdacht. Die von Kraus als Ort der gesuchten<br />

»Burgkapelle« genannte »Hochwacht« ist genauso gut möglich.<br />

Dieser Platz steht eher in einem Bezug zum östlich<br />

benachbarten Kapf-System. Beides - eine früh abgegangene<br />

Kapelle mit altem Patrozinium und eine hier vermutete<br />

alamannische Höhensiedlung - würde eine bescheidene<br />

Parallele zum Runden Berg bei Urach bedeuten. Dieser liegt<br />

in versteckter Abseitslage; bei der Aufdeckung der alamannischen<br />

Höhensiedlung dort wurden auf seinem Gipfel die<br />

Reste einer Michaelskapelle gefunden, die zu Beginn der<br />

Neuzeit abgegangen ist (Milojcic 1975). Der Runde Berg liegt<br />

in der Westlage in einem Kapf-System um den Hochberg bei<br />

Urach.<br />

Literatur<br />

Betrachtungen über die Hunger jähre 1816/17<br />

Aus Anlaß des 170. »Jubiläums« der Hungerjahre 1816/17<br />

erschienen viele Veröffentlichungen zu diesem Thema. Auch<br />

die Napoleon-Ausstellung 1987 zeigte zahlreiche Exponate<br />

zum Kapitel »Krieg und Not«, welche an die Hungerjahre<br />

erinnern. In der Ausstellung wurde, wie anderen Orts auch,<br />

die Hungersnot mit der unmittelbar vorausgehenden Kriegszeit<br />

in Verbindung gebracht 1. Tatsächlich wurde 1815 nochmals<br />

ein Feldzug geführt und Napoleon in der Schlacht von<br />

Waterloo endgültig besiegt. Soweit bekannt, führten die<br />

Napoleonischen Kriege nirgends in Deutschland zu einer<br />

verbreiteten Hungersnot. Warum sollte sie nun, ein Jahr nach<br />

Beendigung der Feldzüge, auftreten?<br />

Andere Quellen und Berichte sprechen von einer Reihe von<br />

nassen und kalten Jahren, die seit 1811 zu Mißernten geführt<br />

hätten 2. Für die Jahre 1811 und 1812 trifft dies ganz sicher<br />

nicht zu, es sollen sogar besonders fruchtbare und schöne<br />

Jahre gewesen sein 3. Allem Anschein nach waren die Jahre<br />

1813 bis 1815 klimatisch weniger begünstigt. Es kam jedoch<br />

54<br />

Blessing, E.: Die Kirchen-, Kapellen- und Altarpatrozinien für den<br />

Kreis Hechingen im Mittelalter und in der Neuzeit, Dissertation<br />

Tübingen 1962<br />

Gilles, K.-J.: Spätrömische Höhensiedlungen in Eifel und Hunsrück,<br />

Beiheft Nr. 7 der Trier. Zt. für Geschichte und Kunst des Trierer<br />

Landes und seiner Umgebung, Trier 1985<br />

Grimm, J. und W.: Deutsches Wörterbuch Bd. 11 Nachdruck 1984<br />

der Ausgabe 1873<br />

Kraus, J.A.: Burladingen in vergangenen Tagen, HzH 7 (1957) Heft<br />

2, S. 29<br />

Milojcic, V.: Der Runde Berg bei Urach, in: Ausgrabungen in<br />

Deutschland 1950-1975 Tl. 2, RGEM Mainz, S. 184 mit Anm. 13<br />

weder zu einer Teuerung, noch gar zu einer Hungersnot.<br />

Ursache für die Mißernte und die anschließende Hungersnot<br />

war einzig und allein die außergewöhnliche Witterung des<br />

Jahres 1816.<br />

1816: Das Jahr ohne Sommer.<br />

Vor über fünf Jahren erschien in einer amerikanischen Zeitschrift<br />

ein Beitrag über die Hungersnot von 1816/17, der bei<br />

uns bisher fast nicht zur Kenntnis genommen wurde. Es<br />

handelte sich um eine Arbeit von Henry und Elizabeth<br />

Stommel »1816: Das Jahr ohne Sommer« in Spektrum der<br />

Wissenschaft (Deutsche Ausgabe von »Scientivic American«),<br />

Heft I/1983 4. Das Jahr 1816 brachte Neu-England und<br />

Kanada einen außergewöhnlich kalten Sommer, der ganz dem<br />

entsprach, was aus Europa überliefert ist. Auch in Amerika<br />

stiegen die Getreidepreise stark an. Vor allem die Maisernte<br />

fiel sehr schlecht aus. Wegen des Mangels an Futtermitteln<br />

wurde viel Vieh geschlachtet, was zu einem für die Farmer<br />

schädlichen Rückgang der Fleischpreise führte. Wie in


1790 1800 1810 1820 1830 1840 1850 1860<br />

Temperaturkurve für New Häven (zwischen New York und Boston). Man sieht, daß der Kälteeinbruch von 1816 ein ganz außergewöhnliches<br />

Ereignis war. Die Mittagstemperaturen um 14 Uhr lagen im Juni 1816 um etwa 16 Grad niedriger als in »normalen« Jahren (Abb. nach<br />

Spektrum der Wissenschaft).<br />

Europa, setzte die Mißernte in Amerika eine Auswanderungswelle<br />

in Gang. Viele Farmer im östlichen Amerika<br />

gaben auf und wanderten in Richtung Westen, wo man sich<br />

bessere Verhältnisse erwartete.<br />

Die schlimme Zeit hatte jedoch, was damals niemand wußte,<br />

schon ein Jahr vorher an einem ganz anderen Punkt der Erde<br />

begonnen. 1815 erfolgte in Indonesien der größte Vulkanausbruch,<br />

der bisher bekannt wurde. Der Vulkan Tambora auf<br />

der Insel Sumbawa schleuderte ungeheure Massen von Vulkanasche<br />

in die Atmosphäre. Noch auf der Insel Java, die fast<br />

500 Kilometer vom Vulkanausbruch entfernt war, verdunkelte<br />

sich die Sonne und ein Aschenregen bedeckte Häuser,<br />

Straßen und Felder. Der Ausbruch des Tambora war viel<br />

verheerender als der Ausbruch des Krakatau im Jahre 1883.<br />

Er wurde jedoch kaum bekannt, da nur wenig Nachrichten<br />

von Südostadien nach Europa gelangten. Nach Meinung von<br />

Klimatologen sind vom Jahr 1600 bis heute bei keinem<br />

anderen Vulkanausbruch so große Mengen Vulkanasche in<br />

die Atmosphäre gelangt. Die Folge war eine Abschirmung<br />

der Sonneneinstrahlung und ein starkes Absinken der Temperaturen<br />

an der Erdoberfläche. Sichere Nachrichten über die<br />

Auswirkung dieser Klimakatastrophe gibt es nur aus Europa<br />

HERBERT BURKARTH<br />

Die Hungerjahre 1816/17 in Gammertingen<br />

Über die Hungerjahre schrieb der damalige Amtbürgermeister<br />

Reiser einen Bericht, der von Joseph Wiest in seiner<br />

»Geschichte der Stadt Gammertingen« veröffentlicht wurde<br />

(1928 und 1961). »Der Jahrgang 1816 ist ein so nasser Sommer<br />

gewesen, daß die Frucht hat zu keiner Reife kommen wollen.<br />

Die Ernte ist so weit hinausgeschoben, daß man das letzte<br />

Korn am 29. Oktober hat heimgeführt. Haber, Bohnen,<br />

Linsen sind wenig zur Reife gekommen, daß man vielen<br />

Haber nicht heimgebracht. Ich bin Augenzeug, daß man am<br />

hl. Abend in Freudenweiler hat Habergarben auf dem Schlitten<br />

heimgeführt, in Mägerkingen hat man den Tag vor<br />

hl. Drei König Haber und Wicken (Erbsen) heimgeführt.<br />

und Amerika. Es ist jedoch anzunehmen, daß andere Gebiete<br />

der Erde ebenfalls betroffen waren. Die allgemeine Abkühlung<br />

war die Ursache für den kalten und nassen Sommer 1816.<br />

Das Ausmaß von Hungersnot und Teuerung wurde auch von<br />

sozialen und anderen Verhältnissen beeinflußt. So hatte z. B.<br />

König Friedrich II. von Preußen die Einrichtung von Land-<br />

Magazinen befohlen, in denen Getreideüberschüsse gelagert<br />

wurden, um in Notzeiten Brot und Saatgut zu haben. Dies<br />

hatte zur Folge, daß 1816 die Getreidepreise in Posen völlig<br />

gleich blieben, während sie in »Neu-Preußen«, z.B. im<br />

Rheinland, anstiegen.<br />

Anmerkungen<br />

1 Ausstellungskatalog Bd. 1,1 S.477 bis 499<br />

2 Die Hungerjahre 1817/18 auf der Alb und an der Donau, Ulm<br />

1985, S. 10<br />

3 J. B. Pflug aus Biberach schildert z. B. das Jahr 1812 als das schönste<br />

und fruchtbarste Jahr, das er erlebt hat.<br />

4 Siehe auch Vulkanismus, Verständliche Forschung, Verlag Spektrum<br />

der Wissenschaft 1985<br />

5 Man kennt diese Dinge erst genauer, seit es möglich ist, von<br />

Erdsatelliten aus Vulkanausbrüche zu beobachten. Man befürchtet,<br />

daß auch durch einen Atomkrieg so viel Staub in die Atmosphäre<br />

kommen könnte, daß ein »atomarer Winter« die Folge wäre.<br />

Der Fruchtpreis ist so hoch gestiegen, daß das Malter Kernen<br />

von 38 bis 49 Gulden ist bezahlt worden, das Malter Gerste 56<br />

bis 59 Gulden, der Schöffel Haber ist um 8 Gulden bezahlt<br />

worden. (Es ist außerordentlich schwierig, sich unter den<br />

Maßen und Preisen etwas vorzustellen. In Gammertingen<br />

galt das Veringer Maß, das Fruchtmaß war - nach Wiest -<br />

aber etwas kleiner. Mustermaße waren bis zum 2. Weltkrieg<br />

noch auf der Gammertinger Rathausbühne, sind aber dann<br />

verschwunden.)<br />

Im Jahr 1817 sind die Preise noch höher gestiegen (z.B. der<br />

Haber von 9 auf 20 Gulden). Den 27. April ist von der<br />

55


hochfürstlichen Regierung ein Erhöhungsausgangszoll auf<br />

alle Früchte, welche ins Ausland geführt, gelegt worden<br />

(Ausland war von Gammertingen aus fast jeder Nachbarort).<br />

Verzollt werden mußten Kernen, Vesen, Einkorn - eine<br />

altertümliche Weizensorte -, Mehl, Grieß, Branntwein und<br />

Erdäpfel; ein Viertel Erdäpfel nur mit 36 Kreuzer. (Eigenartig<br />

ist, daß die Kartoffeln trotz des Mangels relativ billig waren.<br />

Man kann das nur so erklären, daß sie für die Ernährung eine<br />

viel geringere Rolle spielten, als das Brot und Brei aus<br />

Getreide.)<br />

Der Ausfuhrzoll hat in unserem Amt 1900 Gulden beioffen<br />

und ist von seiner hochfürstlichen Durchlaucht jedem Amt<br />

zur Unterstützung der Armen geschenkt worden. Da hat der<br />

Herr Obervogt Hermannutz verordnet, daß vor das Geld soll<br />

Früchten gekauft werden. Alsdann hat der Herr Obervogt die<br />

armen und mittellosen Untertanen von Gammertingen und<br />

Neufra zur Arbeit berufen und jedem der gearbeitet in 6<br />

Tagen 1 Viertel Kernen gegeben für Arbeitslohn. Den armen<br />

Kranken und Presthaften, welche nicht arbeiten konnten, hat<br />

man so oft (der Arbeitslohn) verteilt wurde auch (Früchte<br />

gegeben).<br />

ALOIS EISELE<br />

Verbote und Strafen in der »Guten alten Zeit«<br />

Am 19. März 1836 erhielt die Gemeinde Gauselfingen vom<br />

oberamtlichen Ruggericht ein Strafprotokoll mit körperlichen<br />

Leib- und Geldstrafen. In diesem Protokoll ist alles<br />

festgehalten, was vor 150 Jahren unseren Vorfahren verboten<br />

war, und es verging kaum ein Tag ohne Eintrag einer Strafe.<br />

Die Gesetze und Verordnungen sollen hier auszugsweise<br />

wiedergegeben werden.<br />

§ 7) Regelt das Fahren und Gehen auf verbotenen Wegen, da<br />

hierbei großer Schaden angerichtet wurde. So soll künftig,<br />

wenn sich einer erfrecht, auf verbotenen Wegen zu wandeln,<br />

dieser mit 40 x (Kreuzer) und welcher einen verbotenen Weg<br />

fährt, mit 1 fl (Gulden) bestraft werden.<br />

§8) Dem Feldschitz soll noch ein Dorf- und Waldschitz<br />

beigestellt werden, da der Feldschitz seinen Obliegenheiten<br />

nicht mehr nachkommen kann.<br />

§10) Alle Holz- und Forstfrevel sind, laut herrschaftlicher<br />

Verordnung, vor das Fürstl. Forstamt zur Bestrafung zu<br />

bringen.<br />

§ 12) Die Feuerbeseher sollen künftig wenigstens einmal im<br />

Quartal herumgehen und ein eigenes Feuerbeschauprotokoll<br />

fertigen. »Die gefährlichen Feuerwesen und Kamine sind<br />

baldmöglichst in gutem Stande herzustellen, das Waschen in<br />

den Häusern hat gänzlich zu unterbleiben.« Wenn man<br />

bedenkt, daß zu jener Zeit noch viele Häuser und Scheunen<br />

mit Stroh gedeckt waren und die Kamine zum größten Teil<br />

aus Holz bestanden, so versteht man den Ausdruck »gefährliche<br />

Feuerwesen« besser.<br />

§ 13) In Betreff der Feierstunden wird dem Ortsvorgesetzten<br />

aufgetragen, sowohl den Wirt als auch die Zechenden, welche<br />

die Polizeistunde übertreten, unverzüglich bei hochfürstlicher<br />

Justizkanzlei zur Bestrafung anzuzeigen.<br />

§ 14) »Das Herausspielen von Brod und Prezeln um Weihnachten<br />

ist den Bäckern und den anderen Einwohnern bei<br />

3 Pfund Heller (2 Gulden) Strafe verboten.« Dieses Würfeln<br />

um Brezeln findet man noch heute an Sylvester in Gauselfingen,<br />

es wird als alter Brauch angesehen und heißt bei uns<br />

»bascha«.<br />

56<br />

Weil der Preis an Früchten am höchsten, die Not allgemein,<br />

hat unsere gnädige Herrschaft (Freiherr Ludwig C.J.Speth<br />

von Zwiefalten) 30 Schöffel Kernen und 16 Viertel Roggen<br />

auf das Rathaus gegeben. Daselbe ist an die Bürger verteilt<br />

worden zu 3 und 4 Vierteln.«<br />

Die Notstandsarbeiten, welche von der Obrigkeit veranlaßt<br />

wurden, waren meistens Wegebauarbeiten. Dies war nicht<br />

nur so im ganzen Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen,<br />

sondern auch im benachbarten Württemberg. In Neufra gibt<br />

es einen »Brotacker«; dieser soll damals für einen Laib Brot<br />

verkauft worden sein. Bei Kettenacker steht ein »Hungerkreuz«,<br />

es soll von einem Zimmermann auch für einen Laib<br />

Brot gemacht worden sein. Der »Hunger« betraf zwar nur die<br />

ärmere Bevölkerung, da aber die Lebensmittel allgemein um<br />

ein Vielfaches teurer waren, wurden auch Handwerk und<br />

Handel betroffen. Die Leute mußten ihr Geld für Lebensmittel<br />

ausgeben und konnten nichts anderes mehr bezahlen.<br />

In der Hohenzollerischen Literatur ist bisher über die Hungerjahre<br />

1816/17 wenig bekannt. Es wäre daher nicht uninteressant,<br />

wenn der eine oder andere <strong>heimat</strong>geschichtlich Interessierte<br />

noch etwas beisteuern könnte.<br />

(Wird fortgesetzt)<br />

§ 15) Das Würfelspiel bleibt gänzlich untersagt und wird auf<br />

das Strengste bestraft.<br />

§ 16) Um die Einhaltung der Polizeistunde zu überwachen,<br />

werden vom Ortsvorgesetzten zwei tüchtige Männer eingesetzt,<br />

die sogenannte Scharwache, die neben einer kleinen<br />

Entlohnung noch die Hälfte von den Anzeigegebühren erhalten.<br />

So wundert es nicht, daß man im Protokoll dieses Delikt<br />

sehr häufig zu lesen bekommt, hatte der Angezeigte doch 40 x<br />

zu bezahlen und verschaffte so dem Anzeigenden ein kleines<br />

Nebeneinkommen, was allerdings oft zu erbitterten Feindschaften<br />

zwischen den Parteien führte.<br />

§18) Dem Geißhirten wurde unter Androhung von Leibstrafen<br />

oder gar Entlassung verboten, in den Wäldern oder<br />

Feldern Schaden anzurichten.<br />

§ 19) Dem Vogt ist untersagt, an Vaganten und Landstreicher<br />

Nachtzettel auszugeben, diejenigen, welche solchen Leuten<br />

dennoch Aufenthalt gewähren, sind mit 1 Pfund Heller<br />

(40 Kreuzer) zu bestrafen, im Wiederholungsfalle mit dem<br />

Doppelten.<br />

§21) Von nun an sind die Gänse, wenn der Ganshirt heimkommt,<br />

sogleich einzusperren. Die Hühner und überhaupt<br />

alles Geflügel sind während der Hanfsaat, bis dieselbe angewachsen<br />

ist, einzusperren. Dasjenige Geflügel, welches dennoch<br />

auf anderer Leute Eigentum angetroffen wird, ist von<br />

dem Schitzen zu erschießen, welchem von dem Eigentümer<br />

des Geflügels noch 12 x Schußgeld zu bezahlen sind.<br />

§ 24) Feuerwehr, die hiesige Bürgerschaft ist in 4 Rotten zu je<br />

20 Mann mit einem Rottmeister und 2 Feuerreitern eingeteilt.<br />

Es sind aber nur 27 Feuereimer vorhanden, so wurde angeordnet,<br />

soviel Eimer anzuschaffen, daß wenigstens, bei einem<br />

entstehenden Brandunglücke 2 ganze Rotten mit solchen<br />

versehen sind. Die übrigen Feuerlöschgerätschaften sind in<br />

gutem Zustande angetroffen worden. Diesem Mißstand<br />

wurde von der Gemeinde abgeholfen, dieselbe verfügte, daß<br />

jeder, der heiraten will, einen ledernen Feuereimer zu stellen<br />

oder an die Gemeinde den Betrag von 1 Gulden 12 Kreuzer zu<br />

bezahlen hat.


Es folgen nun die Anzeigen des Ortspolizisten, der Scharwache,<br />

des Feld- und Waldschitzen, die alle fein säuberlich<br />

protokolliert wurden. Hier bedeuten die Zeichen fl = Gulden<br />

= 60 Kreuzer, x = Kreuzer.<br />

Kinder, die auf einen Kirschbaum geklettert sind und Kirschen<br />

gestohlen haben, wurden mit 6 Stunden Arrest bestraft,<br />

wer bettelte, dem wurde der Bettel in sein Wanderbuch<br />

eingetragen und über die Grenze gewiesen. Einer hat am<br />

Hl. Abend, zwischen 7 und 8 Uhr, vor des Sonnenwirts Haus<br />

einen Schuß getan, ein Bierwirt hat eine fremde Weibsperson<br />

übernachten lassen, ohne hierfür eine Genehmigung zu<br />

haben, beide Vergehen wurden vom Oberamt abgerugt. Der<br />

herrschaftliche Pächter ließ seine zwei Fohlen frei laufen und<br />

wurde mit 24 x bestraft. Einer saß während der Predigt im<br />

Wirtshaus, eine Frau handelte mit Zucker, Kaffee und »Saipfen«,<br />

ohne daß sie ein Handelspatent besaß, 2 Pfund Heller =<br />

1 fl 20 x Strafe. Des öfteren, wie schon angesprochen, nicht<br />

Einhaltung der Polizeistunde (Scharwache). Drei junge Burschen,<br />

die mit überlautem Schnellen mit der Geisel und zu<br />

starkem Fahren im Ort sich erfrechten, jeder 20 x. 24. Mai<br />

1841, Anzeige gegen Konrad Klaiber, da er sein Dach gänzlich<br />

mit Stroh gedeckt habe. Einer tat zum Fenster hinaus<br />

einen Schuß auf des Nachbars Hühner, der Lehrling eines<br />

Gammertinger Kaufmanns erfrechte sich mehrere Male laut<br />

zu jauchzen, Strafe 40 x. Eine Frau hieß den Lehrer einen<br />

Rebellen und wurde für eine Stunde eingesperrt, Diebstahl<br />

von Lebensmitteln aus der Speisekammer, Ungehorsam<br />

gegen den Vogt und den Pfarrer wurde durchschnittlich mit<br />

2-4 Stunden Arrest bestraft. Beim Dreschen wurde Frucht<br />

gestohlen, zwischen den Ackern wurden Pfähle ausgerissen<br />

und versetzt. Die gegenseitigen Beschimpfungen zweier<br />

Frauen endeten mit 2 Stunden Arrest. Unerlaubtes Schießen<br />

vor dem Ort zog eine Arbeitsstrafe nach sich, meistens einen<br />

halben oder ganzen Tag Holzmachen im Schulhaus oder<br />

Backhaus. Straußhäfen verwerfen in den Gärten 2 Stunden<br />

Arbeitsstrafe, Verleumdung und Ehrenkränkung 12 Std.<br />

Arrest, ebenso übermäßiges Betrinken.<br />

Geldstrafen.<br />

Hunde ohne Maulkorb laufen lassen 1 fl 30 x, Backen von zu<br />

leichtem Brot - 40 x, im Wiederholungsfalle Wegnahme und<br />

WILFRIED SCHÖNTAG<br />

Der Wiederaufbau des Augustinerchorherrenstifts Beuron<br />

nach dem 30jährigen Krieg<br />

Der Zustand Beurons um 1650<br />

Das Augustinerchorherrenstift Beuron hatte in den Kriegsjahren<br />

stark gelitten. Um die wiederholten Einquartierungen<br />

und Kontributionen zahlen zu können, hatte der Konvent<br />

alle Rücklagen auflösen müssen und selbst den Kirchenschatz<br />

bis hin zum Hirtenstab des Propstes verkauft. Da dies den<br />

Geldbedarf immer noch nicht abdecken konnte, mußten<br />

hohe Beträge bei zahlreichen Personen und Institutionen<br />

ausgeliehen werden. Viele Höfe waren als Pfand vergeben<br />

worden. Die Ursache für die hohe Verschuldung lag in der<br />

Besitzstruktur. Das Stift besaß keine geschlossenen Grundherrschaften.<br />

Abgesehen von den bei Beuron auf den Höhen<br />

gelegenen Steighöfen, dem Rheinfelder Hof und dem Hof im<br />

Donautal mit einer Mühle, verfügte es nur über Streubesitz,<br />

der durch Schaffnereien verwaltet wurde. Die Einnahmen<br />

bestanden vor allem aus den Zehnteinnahmen der inkorporierten<br />

oder Patronatspfarreien und den Abgaben der Lehenhöfe<br />

und aus einzelnen Zinsen. In Kriegsjahren blieben diese<br />

Verteilung unter den Armen. Am 13. Januar 1845 zogen 15<br />

ledige Burschen vor dem Nachmittagsgottesdienst mit Musik<br />

aus dem Ort, jeder mußte 15 x in den Schulfond bezahlen. Ein<br />

Schreiner, wegen »schlechter Verzührung einer Todten Bar«<br />

des alten Vogts Eisele, 40 x. Eine Frau wurde wegen Wundschlagens<br />

eines Kindes mit 40 x bestraft, das Kind wegen<br />

Schimpfen gegen die Frau vom Lehrer mit Tatzen. Unanständiges<br />

Betragen im Bierwirtshaus - 40 x. Mit brennender<br />

Tabakspfeife welchen keinen Deckel hatte, auf der Gasse<br />

aufgehalten - 20 x. Einer ließ sein Pferd, welches mit einem<br />

schweren Gepäckstück beladen war, 2 Stunden vor dem<br />

Wirtshaus stehen - 30 x. Ein anderer ließ seinen mit Holz<br />

beladenen Wagen auf der Straße stehen, wodurch das Fahren<br />

auf der Straße »etwas gehimmt« war - 40 x. Fahren mit<br />

beladenen Wagen, sei es mit Frucht, Mehl, Gips, Kohle, Erz<br />

oder Holz, an Sonn- und Feiertagen - 30 x. Ein Fuhrmann<br />

schlief auf dem Bock ein und wurde so vom Gendarmen<br />

angetroffen - 40 x.<br />

Am Fastnachts-Dienstag 1846 erfrechten sich einige ledige<br />

Personen, in Masken zu gehen - 40. Ausreißen oder<br />

Umhauen von Bäumen, bei Kindern 6 Tatzen, bei Erwachsenen<br />

40 x. Ohne Grasschein Gras geschnitten, 30 x, widerrechtliches<br />

Weiden einer Kuh im »Schose« (Straßen)-graben,<br />

3 Pfund Heller. Drei junge Burschen und drei Mädchen<br />

haben dem Verbot, den Petersberg nicht zu betreten, keine<br />

Folge geleistet und sind dennoch hingegangen, jeder 15 x.<br />

Hausierhandel am Sonntag, 15x, wer ohne Genehmigungsschein<br />

Laub oder »Kühle« (Kieferzapfen) einsammelt, wird<br />

auf das Empfindlichste bestraft. Angezeigt wurde eine Frau,<br />

weil sie die Betten »für das Fenster herausgehengt« habe, 40 x,<br />

oder Wäsche gegen die »Schose aufgehengt«.<br />

Man sieht aus dieser Aufstellung, daß damals von der Obrigkeit<br />

unter anderem Delikte geahndet und empfindlich<br />

bestraft wurden, über die man in der heutigen Zeit nur lächelt.<br />

Gute alte Zeit?<br />

Nun noch etwas zu der Härte der Strafen, man darf Gulden<br />

und Kreuzer nicht mit der heutigen Mark und Pfennig<br />

gleichsetzen, ein Taglöhner verdiente am Tag 24 x, ein Huhn<br />

kostete 6x und für einen Bauplatz von 24 Schuh Länge<br />

bezahlte man an die Gemeinde 12 fl.<br />

Einkünfte aus Freiburg i.Br., Ehingen, Mengen oder Biberach/Stafflangen,<br />

wo Schaffnereien lagen, häufig aus, so daß<br />

ein ordentliches Wirtschaften unmöglich war.<br />

Auf den Gebäudeerhalt wirkte es sich negativ aus, daß der<br />

Konvent häufig aus Beuron flüchtete und sich niemand um<br />

den Bestand kümmerte. Propst Vitus Hainzelmann (f 1614)<br />

hatte die Stiftskirche, den Kreuzgang, die Konventsstube und<br />

ein Dormitorium und die Propstei mit den Räumen für den<br />

Propst neu erbaut oder erneuern lassen. In gleicher Weise<br />

hatte er das Wirtshaus, Brauerei und fast alle Gebäude für die<br />

Landwirtschaft und Viehhaltung neu erbauen lassen. Vor<br />

dem großen Krieg war Beuron also in einem guten Bauzustand.<br />

Im Jahre 1638 berichtete ein Chorherr nach Kreuzlingen,<br />

daß ein gewaltiger Gewittersturm große Schäden angerichtet<br />

und fast alle Dächer beschädigt habe. Wenn man sie<br />

nicht sofort repariere, bestünde die Gefahr, daß Regen und<br />

57


Abtei Beuron mit Steighöfen (G) und Rheinfeder Hof (F). Das Rechteck F auf dem linken Donauufer bezeichnet den Platz der ersten<br />

Gründung Beurons durch Graf Gerold. Kolorierte Karte 1787. Staatsarchiv Sigmaringen Ho 156 Bü 7.<br />

Schneewasser die Gebäude insgesamt zerstöre. Auch sei zu<br />

befürchten, daß über den Winter die Gewölbe der Stiftskirche<br />

einstürzten, wenn man nicht das Dach neu decke. Die<br />

Chorherren wollten zunächst die Ziegelhütte wieder instandsetzen<br />

und in Betrieb nehmen, um dann die Dachreparaturen<br />

durchführen zu können. Ebenso müsse die Brücke über die<br />

Donau repariert werden, um die Stiftsmühle anfahren zu<br />

können. Derzeit könne die Mühle, »welche das beste Haupt -<br />

guth«, d.h. die wichtigste Einnahmequelle für den Konvent<br />

sei, nicht genutzt werden. In Beuron waren es weniger die<br />

Verwüstungen durch plündernde Soldaten, als vielmehr die<br />

mangelnde Unterhaltung der Gebäude, die zu beträchtlichen<br />

Schäden im Laufe der Jahre führte.<br />

Die wirtschaftliche Sanierung des Stifts Beuron<br />

Nach dem Friedensschluß bezogen die einzigen beiden überlebenden<br />

Chorherren, der Administrator Johann Veeser und<br />

Frater Christoph Schellhammer, die baufälligen Konventsgebäude.<br />

Vor dem Krieg hatten dort sieben Chorherren gelebt.<br />

Mit Hilfe des Bischofs von Konstanz, der über die Ordensverfassung<br />

großen Einfluß hatte - Beuron war ihm unmittelbar<br />

unterstellt und der Propst mußte ihm nach der Wahl einen<br />

Treueid ablegen und des Abts von Kreuzlingen, der nach<br />

der Ordensverfassung der Visitator war, begannen beide mit<br />

dem Wiederaufbau.<br />

1647 hatten sich 15 253 fl an Schulden angehäuft. Johann<br />

Veeser, der zunächst zum Administrator, dann am<br />

30. Dezember 1649 bzw. 5. Februar 1650 zum Propst bestellt<br />

worden war, konnte nur die erste Not lindern. Die wüst<br />

58<br />

liegenden Höfe mußten wieder besetzt werden, die Stiftslandwirtschaft<br />

wieder aufgenommen werden. Wegen nicht<br />

bezahlter Schulden wurde er 1654 zeitweise von seinem Amt<br />

suspendiert. Die Kapitelprotokolle enthalten zahlreiche Vermerke<br />

über das Unvermögen, den Forderungen der Schuldner<br />

nachzukommen.<br />

Wesentlich weiter kam sein Nachfolger Propst Sigismund<br />

Marbeck (1660-1682). Pater Sigismund Marbeck war 1654<br />

aus der reformierten Augustinerchorherrenabtei Rottenbuch<br />

im Bistum Freising nach Beuron geholt worden. Er war ein<br />

geistig hochstehender Chorherr, ebenso kannte er sich aber<br />

auch in den weltlichen Dingen aus. Seine Schwester war mit<br />

dem Hofrat Ambrosius Sartor in München verheiratet, ein<br />

Zeichen für die hohe soziale Stellung seiner Familie. Am<br />

3.Juni 1656 beantragte Propst Johann beim Bischof von<br />

Konstanz, Sigismund als Priester in die Konstanzer Diözese<br />

zu transferieren, und erbat das Dimissorium. Als Grund gab<br />

er an, daß in Anbetracht seines Alters Sigismund der geeignete<br />

Nachfolger sei. Die Verhandlungen mit dem Bischof von<br />

Freising zogen sich einige Zeit hin. Im Mai 1658 wurde er in<br />

Rottenbuch entlassen und am 24.Juni legte er in Beuron<br />

Profeß ab. Marbeck war aus einer reformierten Abtei erbeten<br />

worden, um Beuron geistlich zu erneuern und zu reformieren.<br />

1659 wurde Sigismund zum Ökonom und Dekan<br />

gewählt, 1660 zum Propst.<br />

Sigismund ging tatkräftig an den Wiederaufbau des Stifts, so<br />

daß ihn die Chronik als neuen Apoll (»novus Apollo«) und<br />

Herkules bezeichnete, der das heruntergekommene Stift<br />

geistlich wie materiell gesichert habe. Seine Regierungszeit ist


schwierig zu beurteilen, da zumeist nur parteiische Berichte<br />

über seine Tätigkeit vorliegen. Es ist auffällig, daß gerade für<br />

die Jahre 1660 bis 1681 die Kapitelprotokolle fehlen-schon<br />

um 1740 wurde deren Verlust beklagt -, wichtige Jahre für die<br />

Entwicklung von Beuron.<br />

Er stellte zunächst die für die Wirtschaftsführung des Stiftes<br />

wichtigen Gebäude wieder her. In Beuron ließ er die Mühle<br />

erneuern, das Gasthaus, die Pfisterei, das Senn- und Schafhaus<br />

neu bauen. Sechs neue Zehntscheunen gab er für 1500 fl<br />

in Worndorf, Buchheim, Leibertingen, Bubsheim, Bärenthal<br />

und Mengen in Auftrag. Insgesamt investierte er mehr als<br />

7000 fl in Wirtschaftsgebäude, Pfarrhäuser und Kirchen in<br />

seiner Amtszeit. Dennoch kennzeichnete Sigismund selbst im<br />

Jahr 1681 gegenüber dem Abt von Kreuzlingen den Zustand<br />

des Stifts mit den Worten, Beuron gleiche mehr einer verlassenen<br />

Glashütte als einem Stift regulierter Chorherren.<br />

Auch für ihn erwiesen sich die hohen Kapitalschulden als<br />

unüberwindbares Problem. Vor allem der Bischof von Konstanz,<br />

bei dem das Stift 2000 fl Schulden hatte, und der Abt<br />

von Kreuzlingen erwiesen sich als harte Gläubiger, die auf<br />

Rückzahlung der Kapitalien bestanden. Auf deren Drängen<br />

hin verkaufte Propst Sigismund schließlich alle zur Schaffnerei<br />

Freiburg i.Br. gehörenden Besitzungen, Rechte und Einkünfte<br />

an den fürstenbergischen Rat Dr. Fischer, bei dem<br />

Beuron ebenfalls hoch verschuldet war. Er zahlte dem Stift<br />

8256 fl in bar, verzichtete auf zahlreiche Forderungen und gab<br />

die ihm verpfändeten Höfe in Thalheim und Leibertingen<br />

zurück. Ein Teil des Konvents warf dem Propst vor, er habe<br />

die Schaffnerei unter Wert verkauft. Darüber kam es zu einem<br />

unüberbrückbaren Zerwürfnis innerhalb des Konvents, das<br />

schließlich zur Absetzung des Propstes führte.<br />

Sein 1682 gewählter Nachfolger Propst, ab 1687 Abt Georg<br />

Kurz (t 18. Mai 1704) setzte sein Werk fort. Er war ein<br />

geschickter Wirtschafter, der stark unternehmerisch eingestellt<br />

war. So schloß er z.B. 1701 einen Vertrag mit dem<br />

Oberamt Nellenburg, um für das neue Eisenwerk in Bärenthal<br />

50000 Stämme im Wert von 5000 fl zu liefern, oder<br />

verkaufte Liegenschaften zu hohen Preisen. Er entschuldete<br />

das Stift, forderte entfremdete Rechte zurück. Schließlich<br />

hatte er die Abtei so weit saniert, daß er ab 1694 die Konventsund<br />

Wirtschaftsgebäude von Grund auf neu bauen konnte.<br />

Daher wurde er wegen seines geistlichen wie hervorragenden<br />

weltlichen Wirkens als zweiter Gründer, als »alter quasi<br />

fundator« bezeichnet.<br />

Ungelöste Fragen:<br />

Vogtei- und Herrschaftszugehörigkeit, Visitationen<br />

Neben den wirtschaftlichen Fragen beschäftigten den Konvent<br />

auch verfassungsrechtliche Fragen, da die rechtliche<br />

Stellung des Stiftes immer wieder Anlaß zu Streitigkeiten gab.<br />

Das Stift selbst und ein Teil der Besitzungen im Donautal<br />

lagen in der Herrschaft Mühlheim, die nördlich der Donau<br />

gelegenen teilweise in der Grafschaft Hohenberg. Die<br />

Schutzfunktionen über den Streubesitz nahmen die jeweiligen<br />

Territorialherren wahr. Das Erzhaus Österreich hatte<br />

1452 zwar die Hochvogtei über das Stift an sich gezogen, die<br />

Ausübung jedoch den Herren von Enzberg als Inhabern der<br />

Herrschaft Mühlheim übertragen. Nach langen Streitigkeiten<br />

hatte der Konvent 1615 schließlich die niedere Gerichtsbarkeit<br />

über das Gebiet im Donautal den Enzbergern abringen<br />

können.<br />

Nach 1650 vertraten die Pröpste und Äbte keine einheitliche<br />

Linie. Propst Sigismund nahm immer wieder das Erzhaus<br />

Österreich als Schutzherrn in Anspruch. Er begründete dies<br />

damit, daß der Gründer Peregrin ein Herzog aus Innsbruck<br />

gewesen sei. Die Beamten der vorderösterreichischen Regierungs-<br />

und Verwaltungsstellen gingen darauf ein. Nach dem<br />

Tode des Propstes wollten daher Vertreter der vorderösterreichischen<br />

Regierung unter Berufung auf die österreichische<br />

Vogtei der Wahl des Nachfolgers beiwohnen. Dies ging dem<br />

Konvent zu weit, er sperrte sie aus. Nach einigen Protesten<br />

seitens der vorderösterreichischen Beamten verlief die Sache<br />

im Sande. In den folgenden Jahren entspannten sich die<br />

Beziehungen zu Vorderösterreich. Bei der nächsten Wahl im<br />

Jahr 1704 wurden keine Ansprüche auf Teilnahme an der<br />

Wahl erhoben. In diesen Jahrzehnten entstand eine Tradition,<br />

daß eine erste Gründung Beurons um 900 auf dem linken<br />

Donauufer, also im hohenbergischen Territorium, erfolgt sei.<br />

Zur Untermauerung eines politischen und verfassungsrechtlichen<br />

Anspruchs - Befreiung von der Territorialherrschaft<br />

der Freiherren von Enzberg - entwickelte der Konvent eine<br />

historische Fiktion.<br />

1721 vollzog der Konvent wieder eine Wende und bestritt die<br />

vorderösterreichische Herrschaft über die Abtei Beuron.<br />

Schließlich beanspruchte die Abtei, nachdem sie die ritterschaftliche<br />

Herrschaft Bärenthal mit Ensisheim 1751 gekauft<br />

hatte, die Reichsstandschaft.<br />

Ähnlich zäh verteidigte Beuron seine geistlichen Rechte.<br />

Nach dem 30jährigen Krieg betrachtete die bischöfliche<br />

Kurie in Konstanz das Stift Beuron als eine ihr unmittelbar<br />

unterstehende Einrichtung und machte wie früher ein Visitationsrecht<br />

geltend. Einmal beruhten diese Rechte auf der<br />

Ordensverfassung, nach der die Pröpste oder Äbte dem<br />

Bischof einen Treueid zu leisten hatten. Weiterhin standen<br />

dem Bischof als Ordinarius Eingriffsrechte zu. Da aber auch<br />

der Abt von Kreuzlingen als Visitator eingesetzt war, entstanden<br />

seit den 80er Jahren heftige Auseinandersetzungen über<br />

die Visitation. Beuron bestritt den bischöflichen Beamten<br />

wiederholt das Recht zur Visitation und trug den Fall schließlich<br />

dem päpstlichen Nuntius in Luzern vor.<br />

Wir sehen, wie im Zuge der materiellen Erstarkung Beurons<br />

der neue Konvent eine neue historische Identität suchte und<br />

entwickelte und eine unabhängige Stellung anstrebte. Ende<br />

des 18. Jahrhunderts wird diese mit einer in sich geschlossenen<br />

»neuen« Geschichte Beurons begründet und durchgesetzt.<br />

Das geistliche Leben<br />

Die beiden überlebenden Konventualen gingen sofort daran,<br />

einen neuen Konvent aufzubauen. Sie suchten junge Leute,<br />

die auf Kosten des Stiftes in Konstanz die Schule besuchten<br />

und dort studierten, die dann in Beuron die Profeß ablegten.<br />

Im Dezember 1650 erkundigte sich Propst Johann beim Vater<br />

des Andreas Schwenck über dessen Studienerfolge. Der<br />

Lehrer in Konstanz, Professor P.Johannes Pollner, hatte<br />

festgestellt, daß Andreas zum Studieren wenig tauglich sei.<br />

Der Propst teilte darauf dem Vater mit, daß Beuron wenig<br />

geholfen sei, wenn sein Sohn in dieser Verfassung in den<br />

Konvent eintrete, er müsse sich unbedingt bessern. Anfang<br />

1656 studierte Andreas immer noch auf Kosten des Stifts in<br />

Konstanz, am 29. April 1656 legte er seine Profeß ab. Der<br />

Propst war damals in der schwierigen Lage, auch weniger<br />

geeignete Männer aufnehmen zu müssen. Als ein Kandidat<br />

jedoch äußerte, er wolle lieber Konverse, d.h. Arbeitsbruder,<br />

werden, stellte der Propst fest, daß das Stift keine Konversen<br />

sondern Priester brauche.<br />

Das Leben der Chorherren war sehr einfach und bescheiden.<br />

Als Johann Uricher 1654 Profeß ablegte, mußten seine Eltern<br />

folgende Ausstattung an Kleidung und Wäsche stellen: eine<br />

neue Hose, einen schwarzen Rock und einen schwarzen<br />

Mantel aus Tuch, drei Struppen (Band, Schleife, Strümpfe?),<br />

zwei Hemden, ein Ober- und Unterbett, ein Kissen und zwei<br />

Bettücher.<br />

59


Die Professen erhielten im Stift weiteren Unterricht und<br />

wurden dann in mehrjährigen Abständen vom Bischof von<br />

Konstanz zum Subdiakon, Diakon und Priester geweiht. Alle<br />

Chorherren hatten also eine gute Ausbildung, um in den<br />

Beuron gehörenden Pfarreien als Seelsorger wirken zu können.<br />

Der Unterschied von Kanoniker und Mönch bestand ja<br />

darin, daß die Kanoniker ihre Klerikerweihen für eine<br />

bestimmte Pfarrkirche empfingen, während die Mönche sich<br />

auf ein der Welt abgeschiedenes Leben verpflichtet hatten<br />

und ihre Priesterweihe, wenn sie überhaupt ordiniert wurden,<br />

losgelöst von einem Seelsorgeamt erhielten.<br />

Der Aufbau des Konvents kam nur langsam voran. Erst um<br />

1680 hatte er seine frühere Stärke von sieben Konventualen<br />

erreicht. Aufgrund einer Statutenänderung sollten dann 10<br />

weitere Kanoniker aufgenommen werden. Um 1704/1724<br />

lebten 13 und um 1740/50 17 Chorherren in Beuron. In den<br />

folgenden Jahren waren es dann wieder weniger.<br />

Wie Sigismund Marbeck kamen auch andere für die Beuroner<br />

Geschichte wichtige Männer von weit her. Sein Nachfolger,<br />

Abt Georg Kurz, war in Feldkirch geboren und in Kreuzlingen<br />

als Chorherr eingetreten. Leonhard Bettschart, der das<br />

erste Wallfahrtsbüchlein geschrieben haben soll, der der<br />

Wortführer im Streit gegen Propst Sigismund gewesen war<br />

und der die Beuroner Interessen im Visitationsstreit beim<br />

päpstlichen Nuntius vertreten hatte, stammte aus Laachen in<br />

der Schweiz. Die Herkunft aus ganz Oberdeutschland und<br />

die Kontakte innerhalb der Ordensprovinz führten zu einem<br />

regen geistigen Austausch. Beuron lag zwar fern aller überregionalen<br />

Verkehrs- und Handelswege in großer Einsamkeit,<br />

war aber vom geistigen Leben nicht abgeschnitten. Ein<br />

Zeichen dafür sind auch die zahlreichen Gebetsverbrüderungen<br />

und Übereinkünfte über die Teilhabe an den guten<br />

Werken, die Beuron 1676 mit Inzigkofen, 1680 mit dem<br />

Minoritenkloster in Augsburg, 1687 mit dem Kapuzinerkloster<br />

in Waldshut, 1709 mit dem Kloster Reichenau und in<br />

späteren Jahren mit zahlreichen anderen Klöstern und Stiften<br />

abschloß.<br />

Als Propst Sigismund 1660 sein Amt antrat, lag das geistliche<br />

Leben immer noch darnieder. Der Gottesdienst wurde vernachlässigt<br />

und schlecht versehen. Täglich wurden nur eine<br />

Messe und Vesper gefeiert, das Chorgebet (horas canonicas)<br />

wurde überhaupt nicht gehalten. Er stattete zunächst die<br />

Stiftskirche in Beuron neu aus. Er ließ ein neues Kreuzgewölbe<br />

einziehen und die Kirche ausmalen. Drei neue Altäre<br />

mit Plastiken und Bildern gab er bei Konstanzer Künstlern in<br />

Auftrag. Weiterhin kaufte er Monstranzen, Kelche, Ornate,<br />

Kreuze und sonstiges Kirchensilber wie auch ein Graduale<br />

und Meßbücher. Insgesamt gab er 1332 fl dafür aus. Die drei<br />

Pfarrkirchen in Worndorf, Bärenthal und Reichenbach ließ er<br />

für 3235 fl neu bauen.<br />

Aber er legte nicht nur die baulichen Grundlagen für das<br />

geistliche Leben. Er brachte von Rottenbuch eine neue Form<br />

der Frömmigkeit mit. Die Marienverehrung hatte schon<br />

unter seinem Vorgänger feste Formen gefunden. Sigismund<br />

nahm diese Tradition auf und begründete eine Wallfahrt. Er<br />

ließ einen neuen Marienaltar anfertigen und die Altäre von<br />

den Päpsten privilegieren. Er errichtete eine Bruderschaft<br />

St. Rosarii, die die Wallfahrt zum Beuroner Gnadenbild trug.<br />

Leonhard Bettschart schrieb schließlich um 1669 den ersten<br />

Pilgerführer. An diesem stufenweisen Vorgehen ist ein planmäßiges<br />

Handeln abzulesen. Wie bei zahlreichen anderen<br />

Kirchen entstand auch in Beuron eine Wallfahrt zu einem<br />

Vesperbild, einer Pietä.<br />

Der Konvent begehrt eine Visitation<br />

Nachdem Propst Sigismund zunächst als »Apoll« gepriesen<br />

wurde, kam es dennoch nach 1680 zu immer stärkeren<br />

Spannungen innerhalb des Konvents. Schließlich standen<br />

60<br />

fünf Konventuale in offenem Gegensatz zum Propst, dem nur<br />

noch der jüngste Chorherr beistand. Treibende Kräfte waren<br />

Leonhard Bettschart und der Senior Andreas Schwenck. Die<br />

Chorherren nahmen mit dem Abt von Kreuzlingen als Visitator<br />

Verhandlungen auf und faßten in mehreren Schreiben<br />

im Juli bzw. September 1681 ihre Beschwerden und Forderungen<br />

zusammen. Sie erbaten eine Visitation und Befragung<br />

in Beuron, bei der folgende Punkte behandelt werden sollten:<br />

1. Aufnahme von jungen Religiösen, 2. Einführung des regelmäßigen<br />

Chorgebets und Gottesdienstes, 3. Gleichheit unter<br />

den Fratres, 4. Einführung des Kapitels, 5. Einführung der<br />

regelgemäßen Klausur, 6. Entfernung mißliebiger Personen<br />

aus dem Kreis der Bediensteten. Am 9./10. September nahm<br />

Abt Augustin von Kreuzlingen die Visitation vor. Nach<br />

Vorverhandlungen auch mit Propst Sigismund hatte er den<br />

wichtigsten Streitpunkt in der Weise gelöst, daß der Propst<br />

auf Rat von drei Ärzten hin wegen Altersschwäche resignieren<br />

und einen anderen Ort aufsuchen sollte. Nach außen hin<br />

wollte man die Gründe für den Rücktritt geheim halten, da<br />

die Altersschwäche ja nur ein Vorwand war. Nach Klärung<br />

dieses Punktes setzte der Abt die Ordnung für die Abhaltung<br />

des Chorgebetes im einzelnen fest, auch wie die übrige Zeit<br />

für Meditation, Studien, körperliche Erholung usw. zu nutzen<br />

sei. Das Leben der Chorherren sollte ganz auf die<br />

geistlichen Tugenden ausgerichtet werden, da ohne einen<br />

solchen Geist ein Leben nach der Augustinerregel nicht<br />

möglich sei. Weiterhin billigte er die ihm schon schriftlich<br />

vorgelegten Forderungen der fünf Kanoniker. Das Chorgebet<br />

war, wie er es im einzelnen festgelegt hatte, einzuhalten.<br />

Weitere 10 junge Religiöse sollten aufgenommen werden.<br />

Regelmäßige Kapitelsitzungen waren zukünftig durchzuführen,<br />

auf denen die geistlichen wie weltlichen Angelegenheiten<br />

gemeinsam zu beraten waren. Zwischen den Fratres und<br />

Kapitularen sollte Gleichheit bestehen. Die strenge Klausur<br />

sollte eingeführt werden, die keine Frau betreten dürfe.<br />

Unliebsame Bedienstete sollten entlassen werden.<br />

Die Durchführung der Beschlüsse ließ länger auf sich warten.<br />

Abt Augustin von Kreuzlingen fertigte den Visitationsrezeß<br />

erst am 16. Februar 1682 aus. Der Vollzug der Resignation<br />

zog sich dadurch hinaus. Durch den Tod von Propst Sigismund<br />

im Juli 1682 löste sich das delikate Problem jedoch von<br />

selbst. Die Nachfolge war schwer zu lösen. Schon 1681 hatte<br />

man erwogen, dem Stift Beuron seine Eigenständigkeit zu<br />

nehmen und es mit Kreuzlingen zu vereinen. Jetzt wählten<br />

die Konventualen Abt Augustin zum Beuroner Propst. Dies<br />

ließ der Bischof von Konstanz jedoch nicht zu und kassierte<br />

die Wahl. Schließlich wählten die sechs Beuroner Konventualen<br />

im August 1682 den Kreuzlinger Chorherren Georg Kurz<br />

zum Propst.<br />

Es bereitete einige Mühen, ein Leben nach der Augustinerregel<br />

einzuführen. Propst Sigismund hatte schon während der<br />

Visitation beim Abt von Kreuzlingen einen Chorherren<br />

angefordert, den den Beuroner Konventualen den Chorgesang,<br />

die Liturgie und auch die Formen der Meditation<br />

vermitteln könne. Dies zeigt, daß Propst Georg wieder bei<br />

Null anfangen mußte, daß die Reformen des Sigismund nicht<br />

angenommen worden waren.<br />

Propst Georg war bestrebt, die Selbständigkeit von Beuron<br />

zu sichern. Gegen den Willen der bischöflichen Kurie in<br />

Konstanz betrieb er bei der päpstlichen Kurie die Erhebung<br />

Beurons zur infulierten Abtei. Die Bulle von P. Innozenz XI.<br />

datiert vom 6. Mai 1687. Der Propst konnte sich nun Abt<br />

nennen, ihm standen gewisse bischöfliche Rechte (Pontifikalien)<br />

zu, er konnte bestimmte Weihen vornehmen. Da einige<br />

Beuroner Pfarreien im »häretischen«, d.h. im protestantischen<br />

Württemberg lagen, wurde die Stellung des Abtes dort<br />

durch die, wenn auch beschränkten Weihebefugnisse<br />

gestärkt. Wie wichtig dem Konvent diese Verleihung gewesen<br />

war, zeigt sich darin, daß er allein 823 fl an die römische Kurie


für die Ausstellung der Bulle zahlte, bei etwa 5000 fl Jahreseinkünften<br />

ein hoher Betrag.<br />

Georg Kurz mußte nun gegenüber dem Bischof von Konstanz<br />

erneut einen Treueid ablegen, der gegenüber dem<br />

üblichen Formular um die Versicherung erweitert wurde, daß<br />

er und seine Nachfolger sich verpflichteten, die Pontifikalien<br />

nur im Bereich der Abtei auszuüben, in den Beuron gehörigen<br />

Pfarreien dagegen nur mit bischöflicher Zustimmung.<br />

Abt Georg und der Konvent besiegelten am 13.Juli 1687<br />

dieses Schriftstück, in dem sich das Mißtrauen des Bischofs<br />

spiegelt.<br />

Ein weiterer wichtiger Schritt hin zur Verwirklichung des<br />

Lebens nach der Regel war der Bau neuer Konventsgebäude,<br />

mit dem 1694 begonnen wurde.<br />

Abt Georg führte um 1690 ein strenges hausinternes Studium<br />

für die jungen Religiösen ein. Hierfür holte er Prediger- bzw.<br />

Franziskanermönche nach Beuron. Die Bibliothek mußte<br />

daher stark erweitert werden. Für hohe Beträge wurden selbst<br />

aus Venedig Bücher beschafft.<br />

HERBERT RÄDLE<br />

Diese Auf- und Ausbauphase war 1704 abgeschlossen. Als<br />

der Südflügel der Abtei bezogen werden konnte, bedauerte<br />

der Beuroner Chronist, daß Abt Georg dieses Ereignis nicht<br />

mehr miterleben konnte. Er war wenige Monate vorher<br />

gestorben. Der Chronist stellt fest, daß mit dem Bezug dieses<br />

Gebäudes das strenge Leben nach der Regel begonnen werden<br />

konnte, »...regulärem disciplinam cum solemni choro<br />

feliciter auspicati sumus.. .«.Jetzt erst standen dem Konvent<br />

die Gebäude zur Verfügung, um ein regelbezogenes Leben<br />

führen zu können. Dies zeigte sich bei der am 9. Juni 1704<br />

vorgenommenen Wahl des Nachfolgers. Hatte man sich bis<br />

dahin mit der Sakristei der Kirche behelfen müssen, so konnte<br />

der Wahlakt nun in dem repräsentativen Oberen Saal in der<br />

Abtei (heute Bibelmuseum) stattfinden. Der neugewählte<br />

Abt Josef zog dann mit den Anwesenden unter Glockengeläut<br />

in die Kirche. Nach dem Te Deum wurde der Gewählte<br />

in den Chor zum Abtsstuhl geführt, wo er die Gratulationen<br />

entgegennahm. Nach der Rückkehr in die Abtei überreichte<br />

der Generalvisitator Dr. Waibel dem Abt die Schlüssel. Hiermit<br />

war der Wahlakt abgeschlossen und die während der<br />

Wahlhandlung verschlossenen äußeren Tore der Abtei Beuron<br />

wurden wieder geöffnet.<br />

Das Sigmaringer Bildnis Eitelfriedrichs - eine Kopie nach einem Original<br />

des Meisters von Meßkirch<br />

Die kunsthistorische Einordnung des im Sigmaringer Schloß<br />

hängenden Gemäldes Eitelfriedrichs III. von Zollern (Abb. 1)<br />

ist bisher widersprüchlich. Im Städeljahrbuch 1924 wird das<br />

Bild dem Meister von Meßkirch zugewiesen 1, während jüngere<br />

Autoren diese Ansicht als unhaltbar fallenließen und das<br />

Bild einem nicht näher bekannten Meister Josef von Balingen<br />

(um 1561) zuschreiben 2. Keiner der bisherigen Beurteiler, so<br />

nehme ich an, kannte wohl das in Abb. 2 wiedergegebene<br />

Porträtbild aus dem Vatikan. Sonst wäre ihm nämlich nicht<br />

entgangen, daß in Sigmaringen eine Kopie hängt 3.<br />

Beschreibung und Beurteilung des Sigmaringer Bildes<br />

Bei einem Vergleich der beiden Bilder fallen sofort Ähnlichkeiten<br />

wie Abweichungen ins Auge. Abgesehen von der<br />

größeren Dimensionierung der Kopie (67X96 gegenüber<br />

22 X 33 cm) fällt auf, daß der Kopist den Grafen in einen<br />

Rahmen aus Architekturelementen stellt. Betrachtet man die<br />

Beifügungen näher, so erkennt man, daß sie u.a. offensichtlich<br />

dem Zweck dienen, die Dreidimensionalität zu verstärken<br />

und mehr Perspektive in das Bild zu bekommen. Um dies<br />

zu erreichen, läßt der Maler beispielsweise Hände und Arme<br />

des Dargestellten im Vordergrund auf einer Art Tisch ruhen<br />

und die Figur seitlich über den Rahmen aus zeitgemäß<br />

verzierten Renaissancesäulen hinausragen. Den Architekturrahmen<br />

hinterfängt er wiederum - allerdings etwas ungeschickt<br />

gerade in Höhe des Mundes - mit einem halbgeöffneten<br />

Vorhang, der seinerseits den Blick freigibt auf eine den<br />

Hintergrund bildende tapezierte Wand. Stärkerer Perspektivierung<br />

sollte wohl auch die Rundung der Hutkrempe, die<br />

stärkere Faltung des Mantelkragens und die schräg über die<br />

Brust verlaufende doppelte Kette dienen.<br />

Der Kopist, so stellt man fest, trägt also zur Gestaltung seines<br />

Bildes durchaus Eigenes bei. Und doch fällt die Kopie im<br />

Vergleich zum Original enttäuschend aus. Es gelingt dem<br />

Kopisten nicht, ein neues, befriedigendes Ganzes zu schaffen:<br />

Dadurch, daß er z.B. die Figur des Grafen vorne über den<br />

Architekturrahmen hinaus verbreitert, riskiert er tote Stellen<br />

im Bereich der Arme. Der rechte Teil des Kragens wirkt, da er<br />

der Hand folgend nach außen gezogen werden mußte, steif<br />

und abstehend. Der kreissägenartige Hut sitzt nicht richtig<br />

auf dem Kopf auf. Das vom Kopisten hinzugefügte seltsame<br />

Bartzöpfchen, demzuliebe die in ihrer Bedeutung nicht<br />

Eitelfriedrich III. von Zollern. Fürstlich Hohenz. Museum Sigmaringen.<br />

61


geklärte, vorhängeschloßartige Kapsel auf dem fein plissierten<br />

Hemd zur Seite gerückt werden mußte, wirkt geziert, und<br />

mit der Gestaltung der Hände vollends huldigt der Maler<br />

einem schon fast grotesken Manierismus.<br />

a • * Ii<br />

1 '<br />

' * r ' J?<br />

J ^ 4Í* *<br />

1 > t<br />

Eitelfriedrich III. von Zollern (1494-1525). Meister von Meßkirch.<br />

Pinacoteca Vaticana.<br />

62<br />

Ein Sigmaringer Barockmaler<br />

Johann Fidelis Wetz (1741-1820) hat ein beachtliches<br />

Œuvre hinterlassen. Es umfaßt neben einer außergewöhn-<br />

lich hohen Anzahl an Zeichnungen und Olskizzen auch<br />

Druckgraphiken, Porträts und sakrale Tafelbilder, die<br />

noch heute viele ländliche Kirchen im Landkreis Sigma-<br />

ringen und Umgebung schmücken. Der im Auftrag der<br />

Kreisstadt Sigmaringen und Gesellschaft für Kunst und<br />

Kultur von Eugen Buri herausgegebene Katalog stellt<br />

erstmals die Vielfalt seines künstlerischen Schaffens in<br />

einem repräsentativen Uberblick vor.<br />

Am stärksten enttäuscht die Kopie aber im Bereich des<br />

Physiognomischen. Die Proportionen des Gesichtes stimmen<br />

nicht. Das auf dem Originalbild das Zentrum markierende<br />

Auge ist auf der Kopie zu klein geraten, die rechte Gesichtshälfte<br />

eine Spur zu weit nach außen gezogen und dadurch<br />

überbetont, wodurch die plastische Wirkung des Originals<br />

zunichtegemacht ist. Im übrigen findet das Lächeln, das der<br />

Abgebildete auf der Kopie andeutet, im Original keine<br />

Entsprechung. Dort drückt der Graf, wie es sich für einen<br />

adligen Heerführer wohl geziemt, ernste Ruhe und Sammlung<br />

aus.<br />

Insgesamt bleibt der Eindruck, den die Sigmaringer Kopie auf<br />

den Betrachter ausübt, zwiespältig, wohingegen das Original<br />

des Meisters von Meßkirch in seiner schlichten Natürlichkeit<br />

rundherum überzeugt.<br />

H • d Zum Schluß noch eine Bemerkung zu den auf den Bildern<br />

Tb Thorbecke Verlag Sigmaringen<br />

wiedergegebenen Wappen. Links oben erkennen wir jeweils<br />

das Zollernwappen mit den gekreuzten Erzkämmererszeptern,<br />

rechts das Wappen Johannas von Berselle, der Gattin<br />

Eitelfriedrichs III. Uber sie ist zu sagen, daß sie ein Jahr nach<br />

dem Tod ihres Gatten - dieser starb 1525 als Feldhauptmann<br />

Kaiser Karls V. vor Pavia - den letzten Werdenberger, Graf<br />

Christoph, heiratete. Als dieser acht Jahre später kinderlos<br />

starb, erhob Johanna erfolgreich für ihren Sohn aus erster<br />

Ehe, Karl von Zollern, Anspruch auf einen Teil des werdenbergischen<br />

Erbes. Karl wurde, als Karll. von Hohenzollern-<br />

Sigmaringen, von König Ferdinand I. von Osterreich 1535<br />

mit den bisher werdenbergischen Grafschaften Veringen und<br />

Sigmaringen belehnt: Entstehung der Linie Hohenzollern -<br />

Sigmaringen4. Anmerkungen<br />

1 Vgl. F. Rieffei, Das Fürstlich-Hohenzollerische Museum zu Sigmaringen,<br />

Gemälde und Bildwerke, Städel-Jahrbuch 3/4, Frankfurt<br />

a.M. 1924, S. 65.<br />

2 Vgl. R. Seigel und W. Kaufhold, Schloß Sigmaringen und das<br />

Fürstliche Haus Hohenzollern, Konstanz 1966, S.38.<br />

3 Das in Abb. 2 wiedergegebene Gemälde gilt unwidersprochen als<br />

Werk des M.v.M. Vgl. Chr. Salm in: Kindlers Malerei-Lexikon,<br />

Bd. 9, 1976, S. 102; 104.<br />

4 Vgl. W. Kaufhold und P. Kempf, Fürstenhaus Hohenzollern und<br />

Schloß Sigmaringen, in: Schnell-Steiner-Kunstführer Nr.580,<br />

München 51986, S.3f.<br />

JOHANN<br />

FIDELIS<br />

WETZ<br />

1741-1820<br />

Thorbecke<br />

Ausstellungskatalog 116 Seiten • 52 Abbildungen,<br />

davon 21 in Farbe • Pappband • DM 15.-


WOLFGANG HERMANN<br />

Reinhart von Neuneck Ein adeliges »Dienerleben« der deutschen Renaissance<br />

Berichtigungen zu den Textfolgen in der Hohenzollerischen Heimat 1987 bis 1988<br />

a) Berichtigungen zum Text<br />

1987<br />

S. 42 muß es heißen:<br />

1. Von den Jahren des Sturm und Drang bis zur Ergebung in<br />

den Fürstendienst 1497-1504<br />

S. 44 muß es heißen, im Satz mit der Anm.21:<br />

...und Freiherr Johann Werner von Zimmern in die<br />

Reichsacht gestoßen worden. 21<br />

S. 44 muß es heißen, im Satz mit der Anm. 34:<br />

Damals unterstand Reinhart nicht mehr der Pfalzgräfin Elisabeth,<br />

die inzwischen verstorben war; doch am 14. Mai 1510<br />

übernahm ihn Pfalzgraf Friedrich, welcher der Vormund<br />

Ottheinrichs und Philipps wurde, in seinen Dienst. 34<br />

S. 61 muß es heißen, im Satz nach der Anmerkungszahl 69:<br />

Uber die Bauern... urteilte schon Zimmermann Ende des<br />

19.Jahrhunderts: So gut sie...<br />

S. 61 fehlen folgende Anmerkungsnummern<br />

Die Gesandten der Städte Augsburg, Dinkelsbühl, Wörth<br />

und Nördlingen vertraten diesen Plan und schlugen eine<br />

Beratung für den 21. April vor. 71<br />

Die Ursache ist darin zu sehen, daß die Stadt Nördlingen eine<br />

weitere Unterstützung versagte 74, und die Grafen von Oettingen<br />

mit Gewalt drohten.<br />

S. 62 sind Anmerkungszahlen umzuändern (mit alphabetischer<br />

Ergänzung)<br />

Danach zogen sie wieder nach Hause. 771<br />

Dieser antwortete am 24. April, daß er sogleich kommen<br />

würde. 78a.<br />

...ebenso sei es mit den 300 böhmischen Söldnern und<br />

einigem Feldgeschütz des Herzogs Wilhelm von Bayern,<br />

welche jener aber im Augenblick noch selbst brauchte. 791<br />

1988<br />

S. 10 muß es heißen<br />

d) Die Unternehmungen Reinharts von Neuneck<br />

Der genaue Aufbruch zu den Kämpfen gegen die Bauern im<br />

Donauraum zwischen Altmühl einerseits und Wörnitz andererseits,<br />

ist nicht feststellbar.<br />

S. 10 muß es heißen, auf die Anmerkungszahl 101 folgend:<br />

Sobald die Reitertruppe ... Da die Hilfe des Schwäbischen<br />

Bundes ausblieb, ersuchten sie den jungen Pfalzgrafen Philipp<br />

um eine ...<br />

S. 11 muß es heißen, im Satz mit der Anm. 118<br />

Noch einige Tage zuvor war er im Kloster der Frauen von<br />

Maria Medingen gewesen, die sich am 8. April bei Reinhart<br />

über Unkosten, die er ihnen auferlegt hatte, beschwerten. 118<br />

OTTO H. BECKER<br />

ab Seite 11 unten muß es heißen: (rechte Spalte)<br />

Wenn der Schwäbische Bund bzw. er gegen die Bauern<br />

vorginge und damit auch die Rechte und die Sicherheit der<br />

geistlichen Herrschaften verteidigte, so sei es recht und billig,<br />

daß auch diese einen Beitrag zu den Kriegskosten leisteten.<br />

b) Berichtigungen zu den Anmerkungen<br />

1987<br />

S. 46, Anm. 11 muß ergänzt werden:<br />

Zwei Abhandlungen, die sich mit Villingen befassen, geben<br />

jedoch keinen Hinweis auf den Entführungsfall »Neuneck-<br />

Allmannshofen«: Rud. Maier, Das Strafrecht der Stadt Villingen<br />

in der Zeit von der Gründung der Stadt bis zur Mitte des<br />

16. Jahrhunderts, Inauguraldissertation, Freiburg/Tuttlingen<br />

1913;<br />

Christian Roder, Hg., Heinrich Hugs Villinger Chronik von<br />

1495-1533, Villingen/Stuttgart 1882<br />

S. 63, (einzufügende) Anmerkung 71 und 74 betreffend:<br />

71 und<br />

72 Ders. ebd., S.340<br />

74 und<br />

75 Wilh. Zimmermann, wie Anm. 60, S. 341<br />

S. 63, Anm. 79 muß so lauten:<br />

Ders., ebd. S. 129.-Bei Carl Jäger, ausführl. zit. in Anm. 79 a,<br />

wird auf S. 111 ff. die Beute der Bauern, bzw. der Schaden des<br />

Klosters, ausführlich beschrieben.<br />

S. 63 wird nach Anmerkung 79 angefügt:<br />

77a Günther Franz, Der deutsche Bauernkrieg - Quellenband,<br />

Darmstadt 1968, Nr. 170, S.344<br />

78a Wilh. Zimmermann, wie Anm. 60, S. 610-611; Carl<br />

Jäger, wie Anm. 79a, S. 44<br />

79a Carl Jäger, Markgraf Casimir und der Bauernkrieg in den<br />

südlichen Grenzämtern des Fürstentums unterhalb des<br />

Gebirgs, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der<br />

Stadt Nürnberg, 9. Heft, Nürnberg 1892, S.44<br />

81 Carl Jäger, wie Anm. 79a, S. 44, 45<br />

1988<br />

S. 13, Anm.92 betreffend: es muß dort heißen:<br />

... Er hatte in Basel studiert, u. a. bei Erasmus, kam 1522 nach<br />

Jena, wo er Luther traf, studierte bei Melanchthon.<br />

102 Carl Jäger, wie Anm. 79a, S.32<br />

108 Carl Jäger, wie Anm. 79a, S.84f.<br />

113 Carl Jäger, wie Anm. 79a, S.88<br />

S.28, Anm. 139 betreffend: es muß dort heißen:<br />

139 Carl Jäger, wie Anm. 79a, S. 45<br />

Anm. 150 betreffend:<br />

150 Siehe oben bei Anm. 132<br />

Das Archiv des Füsilier-Regiments Fürst Karl Anton von Hohenzollern<br />

Seit 1985 wird das Archiv der Traditionsgemeinschaft Füsilier-Regiment<br />

Fürst Karl Anton von Hohenzollern als Nachfolgeorganisation<br />

der früheren Vereine und Verbände der<br />

Angehörigen des 1919 in Rastatt aufgehobenen Füsilier-<br />

Regiments (Hohenz.) Nr. 40 gegründet wurde, als Depositum<br />

unter Eigentumsvorbehalt im Staatsarchiv Sigmaringen<br />

63


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

M 3828 F<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

verwahrt. Nach Einverleibung weiterer Ablieferungen an das<br />

Depositum konnte nunmehr ein Findbuch des Vereinsarchivs<br />

vorgelegt werden.<br />

Das Depositum enthält in seinem Kern das Schriftgut, das aus<br />

der Verwaltung und Rechnungsführung der Traditionsgemeinschaft<br />

erwachsen ist, wie z.B. Protokolle des Vorstands,<br />

Korrespondenzen mit Vereinsmitgliedern und Berichte über<br />

Treffen der Vereinsmitglieder auf regionaler und überregionaler<br />

Ebene und die komplette Reihe der Vereinsmitteilungen<br />

von 1958 bis 1987.<br />

Als ebenso wichtig darf das Sammlungsgut in dem Archiv der<br />

Traditionsgemeinschaft angesehen werden. Zu erwähnen<br />

Buchbesprechung<br />

Ein großes Buch von der Schwäbischen Alb<br />

Es gibt schon eine Menge Bücher über die Alb und jetzt schon<br />

wieder eines. Selten hat es jedoch ein so interessantes und<br />

schönes Buch gegeben. Den heutigen Leser anzusprechen, ist<br />

nicht einfach, denn die meisten wollen weniger lesen, als<br />

etwas sehen. Seite für Seite sieht man in diesem Buch die<br />

schönsten Bilder. Dabei ist kaum ein Bild, das man vorher<br />

schon kannte. Immer wieder ist man überrascht von der<br />

Schönheit dieser Landschaft, die man ja kennt, aber so noch<br />

nie gesehen hat, sei es in der Herbstfärbung, in leichtem<br />

Dunst, von Schnee überpudert oder in den satten Farben<br />

eines warmen Sommertages.<br />

Endlich wird die so trockene und schulmeisterliche Geologie<br />

in prächtige und anschauliche Bilder zerlegt und mit kurzen,<br />

verständlichen Texten dargeboten. Nicht weniger ansprechend<br />

wird der Leser in die Geschichte eingeführt. Die Alb ist<br />

ja nicht nur ein Paradies für Geologen, sondern auch für<br />

Archäologen. In den Höhlen der Alb hat sich die Hinterlassenschaft<br />

der Steinzeitmenschen besser erhalten, als im Freiland.<br />

Mit guten Fotos von Fundstellen und Fundstücken,<br />

Zeichnungen und Modellen wird versucht, das Leben der<br />

Steinzeitmenschen anschaulich zu machen. Bronzezeit, Kelten,<br />

Römer, Alamannen, alle Zeitalter hinterließen auf der<br />

Alb ihre Spuren, die in selten schönen Bildern gezeigt<br />

werden.<br />

Nicht zuletzt ist die Alb eine Burgenlandschaft. Viele bedeutende<br />

und unbedeutende Adelsgeschlechter bauten auf den<br />

beherrschenden Felsen der Alb ihre Burgen. Kirchen und<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der<br />

Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: 8.00 DM jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 65351050).<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

64<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Dr. Otto H. Becker<br />

Gustav-Bregenzer-Straße 4<br />

7480 Sigmaringen<br />

Otto Bogenschütz<br />

Böllatweg 1, 7450 Hechingen<br />

Dr. med. Herbert Burkarth<br />

Eichertstraße 6, 7487 Gammertingen<br />

Alois Eisele<br />

Schulstraße 11,<br />

7453 Burladingen-Gauselfingen<br />

Wolfgang Hermann<br />

Fischinger Straße 55, 7247 Sulz<br />

Dr. Hans-Dieter Lehmann<br />

In der Ganswies 2,7457 Zimmern-Bisingen<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a, 8430 Neumarkt<br />

sind vor allem das Kriegstagebuch des 1. Vorsitzenden der<br />

Traditionsgemeinschaft, Oskar Huber, aus den Jahren<br />

1914-1918, Gefechtskarten aus dem 1. Weltkrieg in Frankreich<br />

und die Nachrichtenblätter und Mitgliederverzeichnisse<br />

des ehemaligen Vereins der Offiziere des Füsilier-<br />

Regiments Fürst Karl Anton von Hohenzollern aus den<br />

Jahren 1919/23 bzw. 1920/21.<br />

Die Benutzung des Depositums, das insgesamt 99 Nrn.<br />

aufweist und ca. 2,30 lfd. m umfaßt, richtet sich gem.<br />

Hinterlegungsvertrag vom 6./16. März 1985 nach den jeweils<br />

gültigen Benutzungsbestimmungen der staatl. Archive in<br />

Baden-Württemberg.<br />

Klöster entstanden. Auch der Bauernkriege wird gedacht.<br />

Wenig bekannt ist, daß am 2. April 1525 bei Tigerfeld ein<br />

Bauernhaufe vernichtet wurde. Vor 170 Jahren wurde die auf<br />

dem früheren Schlachtfeld stehende Sattlerkapelle mit dem<br />

Bild der schmerzhaften Muttergottes abgebrochen. Jetzt<br />

findet man wenigstens eine Gedenktafel.<br />

Uber Jahrhunderte gab es die typischen Albdörfer mit ihren<br />

Hülen, umgeben von steinigen Äckern. Heute sind die<br />

meisten nur noch Wohngemeinden, wenn sie nicht einen oder<br />

mehr Industriebetriebe bekommen konnten. Auch über alte<br />

Gewerbe, den Einzug und die Ausbreitung der Industrie,<br />

Schienen und Straßen und die Albwasserversorgung wird<br />

berichtet. Anlaß für das Buch ist die Neuentdeckung der<br />

Alblandschaft durch den Albverein, der vor 100 Jahren<br />

gegründet wurde. Damit wird auch der Wandel bewußt<br />

gemacht. Es gibt inzwischen 76 Naturschutzgebiete auf der<br />

Alb; der Rest der Landschaft wird zersiedelt, von der Freizeitgesellschaft<br />

und der Flurbereinigung verdorben, wenn<br />

nichts dagegen getan wird. Sicher scheint jedoch, daß es<br />

schlimmer aussähe, wenn nicht der Albverein in den vergangenen<br />

hundert Jahren alles getan hätte, die Alblandschaft zu<br />

erhalten und zu pflegen. B.<br />

Das große Buch der Schwäbischen Alb<br />

Herausgegeben von E. W. Bauer und H. Schönnamsgruber,<br />

214 Seiten mit 410 farbigen Abbildungen. DM 89,-. Erschienen<br />

im Konrad Theiss Verlag, Stuttgart.<br />

Dr. Wilfried Schöntag<br />

Staats archivdirektor<br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen Telefon 07574/4211<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!