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heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

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HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

E 3828<br />

Herausgegeben vom<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

49. Jahrgang Nr. 1 / März 1999<br />

Der Übergangskreistag für den neuen Landkreis Sigmaringen am Eingang der Kreisberufsschule in Meßkirch am 27. April 1973. Vorlage:<br />

Kreisarchiv Sigmaringen.<br />

EDWIN ERNST WEBER:<br />

Die Entstehung des »Großkreises« Sigmaringen vor 25 Jahren<br />

Der Landkreis Sigmaringen in seiner heutigen Gestalt<br />

konnte am 1. Januar 1998 seinen 25. Geburtstag feiern. Das<br />

- abgesehen von gelegentlichen Reibereien und kleineren<br />

Rivalitäten - zumeist einvernehmliche und kooperative Zusammenwirken<br />

der im Landkreis zusammengeschlossenen<br />

25 Städte und Gemeinden mit ihren etwa 130 000 Bewohnern<br />

im zurückliegenden Vierteljahrhundert hat weitgehend<br />

vergessen lassen, unter welch massiven politischen<br />

Auseinandersetzungen und Erschütterungen der neue Verwaltungsbezirk<br />

zu Beginn der 1970er Jahre zustande gekommen<br />

ist. Wohl an nur wenigen Brennpunkten in Baden-<br />

Württemberg war seinerzeit die von der damaligen CDU-<br />

SPD-Koalition unter Ministerpräsident Hans Filbinger<br />

betriebene große Kreisreform derart heiß umstritten wie im<br />

Bereich Sigmaringen-Saulgau-Pfullendorf-Meßkirch, wo<br />

bis 1973 die »äußeren« Kreisgrenzen noch immer mit den<br />

zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwischen dem Königreich<br />

Württemberg, dem Großherzogtum Baden und dem Fürstentum<br />

Hohenzollern-Sigmaringen gezogenen Landesgrenzen<br />

identisch waren.<br />

Für den seit 1952 im gemeinsamen Bundesland Baden-<br />

Württemberg zusammengeschlossenen deutschen Südwesten<br />

war dabei die Kreisreform von 1972/73 bereits die<br />

zweite Gebietsneugliederung innerhalb von nur wenigen<br />

Jahrzehnten: Im damaligen preußischen Regierungsbezirk<br />

der Hohenzollerischen Lande waren 1925 die Oberämter<br />

Sigmaringen und Gammertingen zum Landkreis Sigmarin-


gen und die Oberämter Hechingen und Haigerloch zum<br />

Landkreis Hechingen vereinigt worden. Die badische Gebietsreform<br />

von 1936 hatte den bisherigen Amtsbezirk<br />

Pfullendorf zu Uberlingen und den Amtsbezirk Meßkirch<br />

zu Stockach geschlagen, und die württembergische Verwaltungsneugliederung<br />

von 1938 schließlich brachte die Zusammenlegung<br />

der Oberämter Saulgau und Riedlingen zum<br />

neuen Landkreis Saulgau. Obgleich alle diese von »oben«<br />

verordneten Gebietsreformen zumal bei vielen Bewohnern<br />

der aufgelösten Bezirke zunächst auf beträchtliche Vorbehalte<br />

gestoßen waren und in den neuen Landkreisen ein<br />

unübersehbarer Dualismus zwischen den neuen »Kreishauptstädten«<br />

und den früheren Amtsstädten herrschte,<br />

entwickelte sich in den neugeschaffenen Verwaltungsbezirken<br />

erstaunlich rasch ein intensives Gemeinschafts- und<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl. Dazu trug in hohem Maße<br />

sicherlich die gemeinsam bewältigte Notzeit in den Kriegsund<br />

Nachkriegsjahren bei.<br />

Der Kampf um den Landkreis Saulgau<br />

Vor diesem Hintergrund stießen die im neuen Bundesland<br />

Baden-Württemberg bereits seit der Mitte der 1950er Jahre<br />

diskutierten Pläne für eine neuerliche Kreisreform allenthalben<br />

auf entschiedenen Widerstand in den Landkreisen.<br />

Es bedurfte der Durchsetzungskraft einer Großen Koalition<br />

von 1966 bis 1972, um in der Reformeuphorie jener Jahre<br />

eine radikale Neueinteilung der Verwaltungsbezirke<br />

weitgehend ohne Rücksicht auf historisch gewachsene Zusammenhänge<br />

und Zugehörigkeiten durchzusetzen. Ein<br />

1969 vorgelegtes Denkmodell der Landesregierung (sog.<br />

Krause- oder 25er-Modell) hatte sogar eine Reduzierung<br />

von bisher 63 auf 25 Landkreise vorgesehen und in unserem<br />

Raum die Bildung der Großkreise Sigmaringen-Saulgau,<br />

Konstanz-Stockach-Uberlingen, Ravensburg-Tettnang-<br />

Wangen sowie Ulm-Biberach-Ehingen vorgeschlagen. In<br />

Saulgau und zumal beim dortigen Landrat Dr. Wilfried<br />

Steuer stieß dieser Plan einer Fusionierung mit dem hohenzollerischen<br />

Nachbarkreis Sigmaringen sowie kleineren<br />

Teilen der Kreise Stockach (Raumschaft Meßkirch/Stetten<br />

a. k. M.), Ehingen und Münsingen (Bereich Zwiefalten) sofort<br />

auf massive Ablehnung. In wiederholten Entschließungen<br />

des Kreistags sowie zahlreicher Gemeinderäte sprach<br />

man sich statt dessen für den Erhalt des Landkreises Saulgau<br />

in seiner bisherigen Gestalt oder aber, falls dies nicht machbar<br />

sein sollte, für einen Zusammenschluß mit Biberach zu<br />

einem »mitteloberschwäbischen« Großkreis aus. Zwei im<br />

Juli 1970 vorgelegte Kommissions-Gutachten (Dichtelbzw.<br />

Reschke-Gutachten) trugen dieser Stimmung Rechnung<br />

und sahen im Gesamtzusammenhang von nunmehr<br />

insgesamt 38 bzw. 36 Landkreisen einen Großkreis Biberach-Saulgau<br />

sowie einen Großkreis Sigmaringen einschließlich<br />

des württembergischen Mengen sowie der badischen<br />

Raumschaften Pfullendorf und Meßkirch vor. Allerdings<br />

sollten nach den beiden Gutachten sämtliche neuen<br />

Kreise in insgesamt 12 bzw. 13 Regionalverbände mit weitreichenden<br />

Planungszuständigkeiten integriert werden - im<br />

Fall von Biberach-Saulgau sollte dies die Region Donau-<br />

Riß mit Sitz in Ulm und im Fall von Sigmaringen die Region<br />

Oberschwaben/Ravensburg sein.<br />

Eben diese Zuordnung nach Ulm, die Anfang 1971 in einer<br />

Stuttgarter Regierungsvorlage übernommen wird, läßt in<br />

der Stadt Saulgau sowie den benachbarten Göge-Gemeinden<br />

einen »Bürgeraufstand« ausbrechen, wie ein Zeitungsbericht<br />

aus jenen hektischen Wochen vermeidet. Ende Januar<br />

1971 bildet sich in Saulgau eine Bürgerinitiative, die innerhalb<br />

kürzester Zeit 1250 Unterschriften für einen<br />

Anschluß der Stadt und ihres Umlandes an den neuen Kreis<br />

2<br />

Sigmaringen und mit diesem an die Region Oberschwaben/Ravensburg<br />

sammelt. »Wir haben nicht zwischen Biberach<br />

und Sigmaringen, sondern zwischen Ulm und Ravensburg<br />

zu wählen. Diese Entscheidung kann nur Ravensburg<br />

heißen, wenn wir auch in Kauf nehmen müssen, daß der<br />

Weg dorthin zunächst über Sigmaringen geht«, heißt es in<br />

einem Flugblatt der Bürgerinitiative. Im Großkreis Biberach<br />

wäre das am Rande gelegene und des größten Teils seines<br />

Umlandes beraubte Saulgau das fünfte Rad am Wagen,<br />

während die Stadt bei Sigmaringen ihren Verflechtungsund<br />

Nahbereich erhalten und überdies eine angemessene<br />

Rolle im Kreis-Konzert spielen könne. Bereits am 4. Februar<br />

trifft sich der Saulgauer Gemeinderat, der sich noch im<br />

Dezember des Vorjahres mit 16 gegen eine Stimme für den<br />

Anschluß an Biberach ausgesprochen hatte, in Ostrach zu<br />

einem ersten Informationsgespräch mit dem Sigmaringer<br />

Kreisrat, und am 18. März stimmt das Stadtparlament in einer<br />

Sitzung von seltener Dramatik mit zehn gegen sechs<br />

Stimmen für die Zuordnung zum künftigen Großkreis Sigmaringen.<br />

»Wir sollten dahin gehen, wo die meisten Freunde<br />

sitzen«, rechtfertigt Bürgermeister Günther Strigl den<br />

Sinneswandel und sieht nunmehr bei Sigmaringen weitaus<br />

bessere Entfaltungs- und Gestaltungschancen für seine<br />

Stadt als bei Biberach. Vergeblich bleibt die Intervention<br />

von Stadtrat Blank, der sich gegen den »lebensschwachen«<br />

Kreis Sigmaringen ausspricht, der nur seiner Tradition wegen<br />

aufrechterhalten werden solle und dem Saulgau zum<br />

Auffüllen diene.<br />

Nahezu zeitgleich zu Saulgau kippt auch in zahlreichen<br />

Umlandgemeinden der Stadt die Stimmung zugunsten eines<br />

Anschlusses an Sigmaringen um. Nachdem sich auch in der<br />

Göge eine Pro-Sigmaringen-Bürgerinitiative gebildet hatte<br />

und binnen kurzer Frist an die 1000 Unterschriften zusammengekommen<br />

waren, sprechen sich zwischen Ende Februar<br />

und Anfang April 1971 die Gemeinden Bremen, Hohentengen-Beizkofen,<br />

Oelkofen, Günzkofen und Ursendorf<br />

und sodann auch Herbertingen und Marbach bei Bürgeranhörungen<br />

oder Gemeinderatsbeschlüssen mit großer Mehrheit<br />

für ein Zusammengehen mit Sigmaringen aus. Der Sonderausschuß<br />

des Landtags für die Verwaltungsreform und<br />

sodann auch das Landesparlament selbst respektieren diesen<br />

Meinungsumschwung und weisen den Mittelbereich<br />

Saulgau nebst der Göge und dem Raum Herbertingen dem<br />

künftigen Großkreis Sigmaringen zu. Landrat Dr. Steuer<br />

bleibt nur die verbitterte Klage über die zu einem erheblichen<br />

Teil selbstverschuldete Auflösung und Vierteilung des<br />

Kreises Saulgau, dessen Gemeinden auf die neuen Kreise Biberach,<br />

Sigmaringen, Ravensburg und Reutlingen aufgegliedert<br />

werden.<br />

Strittige Zuordnung des oberen Linzgaus<br />

Von kaum geringerer Brisanz und Dramatik ist das Kreisreform-Geschehen<br />

im oberen Linzgau: Nachdem der Nordteil<br />

des bisherigen Landkreises Überlingen zunächst dem<br />

geplanten Großkreis Konstanz-Überlingen-Stockach und<br />

sodann dem neu zu bildenden Seekreis Friedrichshafen zugeordnet<br />

werden soll, kommt es in Pfullendorf im Frühjahr<br />

1971 zu einem nach Auffassung vieler Umlandgemeinden<br />

»urplötzlichen« Meinungsumschwung und zu einem Gemeinderats-Votum<br />

zugunsten eines Anschlusses an Sigmaringen.<br />

Ähnlich wie die Saulgauer sehen auch die Pfullendorfer<br />

im neuen Kreis Sigmaringen bessere Mitbestimmungs-<br />

und Entfaltungschancen als an der Peripherie des<br />

Seekreises. Ein Teil der Umlandgemeinden will diesen Pfullendorfer<br />

Schwenk gen Sigmaringen indessen nicht mitmachen<br />

und fühlt sich von der Stadt »überfahren«. Hattenweiler<br />

und Taisersdorf halten weiterhin am Seekreis fest, und


5obctt3oUcrtföc taube ^<br />

Mitteilungen aus dem <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Veranstaltungen im 2. Quartal 1999<br />

I. Mitgliederversammlung<br />

Die Jahresversammlung des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

e.V. findet am Montag, 10. Mai, um 18.30<br />

Uhr im Spiegelsaal des Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen<br />

statt. Hierzu sind alle Mitglieder des Vereins<br />

herzlich eingeladen.<br />

Programm:<br />

1. Begrüßung und Nachrufe,<br />

2. Bericht des Vorsitzenden,<br />

3. Bericht des Schatzmeisters,<br />

4. Rechnungsprüfungsbericht zum 31.12.1998<br />

5. Sonstiges<br />

Weitere Tagungsordnungspunkte oder Ergänzungen<br />

sind bis spätestens 3. Mai 1999 an das Sekretariat des <strong>Geschichtsverein</strong>s,<br />

Karlstraße 1/3, 72488 Sigmaringen (Tel.<br />

07571/101-558) zu richten.<br />

Im Anschluß an die Mitgliederversammlung findet um<br />

20 Uhr am gleichen Ort ein öffentlicher Vortrag statt.<br />

Dr. Jürgen Klöckler, Universität Konstanz:<br />

Königreich Schwaben oder schwäbisch-alemannische<br />

Demokratie?<br />

Pläne zur staatlichen Neugliederung Südwestdeutschlands<br />

unmittelbar nach 1945.<br />

II. Vortrag<br />

Prof. Dr. Götz Schneider, Universität Stuttgart:<br />

Warum gibt es Erdbeben auf der Schwäbischen Alb?<br />

Samstag, 8. Mai, um 20 Uhr im Feuerwehrgerätehaus in<br />

Jungingen.<br />

Anlaß zu dem Vortrag, der gemeinsam von der Gemeinde<br />

Jungingen und dem Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

veranstaltet wird, bildet der Bau des ersten größeren<br />

Seismometers durch einen Junginger Feinmechani-<br />

Großschönach droht zeitweise am innerdörflichen Streit<br />

zwischen den nach Pfullendorf strebenden Aftholderbergern<br />

und dem Uberlingen favorisierenden Kernort zu zerbrechen,<br />

ehe sich dann am 20. Juni 1971 bei einer Bürgeranhörung<br />

eine deutliche Mehrheit für den Anschluß an den<br />

Kreis Sigmaringen findet. Die hochemotionale Auseinandersetzung<br />

erreicht im Mai 1971 ihren Höhepunkt, als der<br />

Pfullendorfer Bürgermeister Hans Ruck in einem offenen<br />

Brief dem Überlinger Landrat und Landtagsabgeordneten<br />

Schiess die Schuld an der mittlerweile vom Kreisreform-<br />

Sonderausschuß des Landtags beschlossenen »Zerstückelung«<br />

des nördlichen Linzgaus auf die künftigen Kreise<br />

Friedrichshafen, Sigmaringen und Ravensburg zuschreibt<br />

und diesem unterstellt, daß dessen zwischen Kleinstadelhofen<br />

und Hattenweiler gelegene Jagd und Fischerei bei der<br />

neuen Grenzziehung eine Rolle gespielt haben könnte.<br />

ker vor 90 Jahren in Straßburg. Im Anschluß an die Veranstaltung<br />

folgt ein Stehempfang.<br />

Prof. Dr. Schneider lehrt am Institut für Geophysik der<br />

Universität Stuttgart und ist ein international angesehener<br />

Erdbebenforscher.<br />

III. Exkursion<br />

Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> veranstaltet am<br />

Samstag, 12. Juni, eine Ganztagesexkursion zur Ausstellung<br />

Menschen, Mächte, Märkte - Schwaben vor 1000Jahren<br />

nach Villingen.<br />

Den Teilnehmern werden unter der Leitung des Vereinsmitglieds<br />

Dr. Casimir Bumiller kompetente Führungen<br />

durch die historische Stadt Villingen und die Ausstellung<br />

geboten.<br />

Abfahrt: Sigmaringen 7.30 Uhr (Haltestelle gegenüber<br />

der Marstallpassage),<br />

Hechingen 8.30 Uhr (Obertorplatz).<br />

Rückkehr: Sigmaringen ca. 18 Uhr (Marstallpassage),<br />

Hechingen ca. 19 Uhr (Obertorplatz).<br />

Anmeldungen sind bis spätestens 9. Juni zu richten an:<br />

- Teilnehmer aus dem Bereich Hechingen:<br />

Herrn Dr. Vees (Tel. 07471/9381-0).<br />

- Teilnehmer aus dem Bereich Sigmaringen:<br />

Frau Liebhaber (Tel. 07571/101-558 außer montags).<br />

IV. Vorankündigung<br />

Die Landratsämter (Kreisarchive) Rottweil, Sigmaringen,<br />

Tuttlingen und Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische<br />

<strong>Geschichtsverein</strong> werden am Samstag, 16.<br />

Oktober, in der Hohenberghalle in Schömberg-Schörzingen<br />

die Vortragsveranstaltung<br />

Vorderösterrreich an oberem Neckar und oberer Donau<br />

anbieten. Zu dieser Veranstaltung, die musikalisch umrahmt<br />

wird, konnten eine Reihe sachkundiger Referenten<br />

gewonnen werden.<br />

gez. Dr. Becker<br />

Vorsitzender<br />

Der Kampf um die Feinabgrenzung der neuen Großkreise<br />

dauert bis zur letzten Minute, als im Juli 1971 der Stuttgarter<br />

Landtag die endgültigen Reformbeschlüsse faßt. In einer<br />

Kampfabstimmung weist dabei das Landesparlament auf<br />

Antrag des Sigmaringer Abgeordneten Franz Gog das<br />

schon an Tuttlingen verloren geglaubte Beuron doch noch<br />

dem Kreis Sigmaringen zu, während die hohenzollerischen<br />

Gemeinden Langenenslingen und Billafingen samt acht umliegenden<br />

Saulgauer Kreisgemeinden trotz der enormen<br />

Entfernung zur neuen Kreisstadt an Biberach gehen. Gegen<br />

ihren erklärten Willen werden die fünf hohenzollerischen<br />

Hohenfels-Gemeinden dem Kreis Konstanz zugeschlagen,<br />

Winterlingen und die vier bisherigen Sigmaringer Kreisgemeinden<br />

Benzingen, Harthausen auf der Scheer, Kaiseringen<br />

und Straßberg kommen zu Balingen. Nachdem sie gegen<br />

ihren Widerstand zunächst dem Großkreis Ravensburg<br />

zugeordnet werden, gelingt den badischen Gemeinden 111—<br />

3


'// ^X'ürttembcrqisciicr Ante::<br />

• Trochcelfingen<br />

Der 1973 gebildete »Dreiländerkreis« Sigmaringen mit seinen landsmannschaftlichen Anteilen. Vorlage: Gregor Richter u. a.: Der Landkreis<br />

Sigmaringen. Geschichte und Gestalt. Sigmaringen 1981, S. 25.<br />

mensee, Illwangen und Ruschweiler im letzten Moment<br />

doch noch der Anschluß an Sigmaringen.<br />

Das Ende von Hohenzollern<br />

Die Kreisreform bedeutete auch das Ende des Landeskommunalverbandes<br />

der Hohenzollerischen Lande, einer 1875<br />

nach preußischem Vorbild gebildeten kommunalen Selbstverwaltungseinrichtung,<br />

die mit Hilfe jährlicher Staatsdotationen<br />

ihr übertragene staatliche Aufgaben vor allem im Sozialbereich,<br />

im Straßenwesen sowie der Kultur- und Wirtschaftspflege<br />

in eigener Zuständigkeit und Verantwortung<br />

sowie mit eigenen Selbstverwaltungsgremien erfüllt hatte.<br />

Als nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Untergang<br />

Preußens die beiden hohenzollerischen Landkreise Hechingen<br />

und Sigmaringen mit den gleichfalls französisch besetzten<br />

südwürttembergischen Kreisen zum neuen Land Würt-<br />

4<br />

temberg-Hohenzollern vereinigt werden, gibt das 1950<br />

erlassene»Gesetz über die Selbstverwaltung der Hohenzollerischen<br />

Lande« diesen den überkommenen Sonderstatus<br />

in der kommunalen Selbstverwaltung zurück. Bereits in<br />

den 1960er Jahren macht sich unübersehbar eine gewisse<br />

Konkurrenzsituation bemerkbar zwischen dem gesamt-hohenzollerischen<br />

Kommunalverband, der über die jährliche<br />

Landesumlage zum Kostgänger der beiden Kreise wird, und<br />

den Landkreisen Hechingen und Sigmaringen, die nach einer<br />

Angleichung der hohenzollerischen Verhältnisse an die<br />

im Südweststaat allgemein praktizierten Formen kommunaler<br />

Selbstverwaltung und Aufgabenwahrnehmung streben.<br />

Für den Landeskommunalverband - dem hohenzollerischen<br />

Landeshistoriker Fritz Kallenberg zufolge eine<br />

»aschgraue, glanzlose bürokratische Institution«, die allerdings<br />

ihre Verwaltungsaufgaben einwandfrei erfüllte - rührt<br />

sich denn auch keine Hand, als die Landesregierung mit der


Kreisreform dessen Aufhebung beschließt und damit die<br />

letzte noch verbliebene politische Klammer zwischen den<br />

beiden bisherigen hohenzollerischen Kreisen wegfällt.<br />

Hohenzollern gehört mit der Kreisreform als staatsrechtliches<br />

Gebilde der Vergangenheit an. Von den beiden hohenzollerischen<br />

Kreisstädten überlebte nur Sigmaringen als Sitz<br />

eines Landratsamtes, Hechingen fiel an den neugebildeten<br />

Zollernalbkreis mit dem Verwaltungssitz in Balingen. Die<br />

bis heute mitten durch den Landkreis Sigmaringen, wobei im<br />

ersten Fall die hohenzollerischen Ortschaften zur Erzdiözese<br />

Freiburg, im zweiten Fall dagegen zur Württembergischen<br />

Landeskirche mit Sitz in Stuttgart gehören. Keine Vereinheitlichung<br />

gelang bislang auch im Sparkassenbereich, wo<br />

sich zum 1. Januar 1974 zwar die Sigmaringer Hohenzollerische<br />

Landesbank und die Kreissparkasse Saulgau vereinigten,<br />

die badischen Bezirkssparkassen in Meßkirch und Pful-<br />

Den heraldischen Übergang von Hohenzollern zu Vorderösterreich markiert das 1978 verliehene Wappen des neuen Landkreises Sigmaringen:<br />

An die Stelle des alten Sigmaringer Kreiswappens von 1954 mit dem schreitenden goldenen Hirsch auf rotem Grund und dem schwarzsilbernen<br />

Hohenzollern-Geviert im Schildfuß tritt nach etlichen Auseinandersetzungen als Kompromiß zwischen Badenern, Hohenzollern<br />

und Württembergern im neuen Landkreis der Sigmaringer Grafschafts-Hirsch in Verbindung mit dem silbernen österreichischen Bindenschild.<br />

Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen.<br />

ehemals 121 hohenzollerischen Gemeinden verteilen sich<br />

seit 1973 auf neun verschiedene Kreise, immerhin 58<br />

gehören dem Landkreis Sigmaringen in seiner neuen Gestalt<br />

an. Besaß der alte hohenzollerische Landkreis Sigmaringen<br />

einen starken Schwerpunkt auf der Alb bis hinauf nach<br />

Trochtelfingen, so erfährt das Sigmaringer Kreisgebiet 1973<br />

mit dem Erwerb der württembergischen Gebiete um Saulgau<br />

und Mengen sowie der badischen Raumschaften Pfullendorf<br />

und Meßkirch eine deutliche Gewichtsverlagerung<br />

auf die Südseite der Donau und damit in Richtung Oberschwaben.<br />

Als nach zweijähriger Aufregung und Konflikten die neuen<br />

Landkreisgrenzen schließlich feststanden, teilten nicht wenige<br />

Bürger die Haltung, die der Meßkircher Stadtrat Knittel<br />

bereits Ende 1970 in der Kreisreform-Debatte geäußert<br />

hatte: »Es ist mir egal, ob an meinem Auto Tut oder Fut<br />

steht.« Das Zusammenleben in den neuen Landkreisen entwickelte<br />

alsbald eine eigene Dynamik, die mittlerweile über<br />

die ehemaligen Kreis- und Ländergrenzen hinwegreichende<br />

neue Zusammengehörigkeiten und Verbindungen wachsen<br />

ließ - bis zur nächsten Kreisreform.<br />

Alte Grenzen erweisen sich als zählebig<br />

In nicht wenigen Bereichen erwiesen sich die alten Kreisund<br />

Landesgrenzen indessen über die Kreisreform hinaus als<br />

ausgesprochen zählebig: Die Grenzen der katholischen Diözesen<br />

wie auch der evangelischen Landeskirchen verlaufen<br />

lendorf dagegen bis heute ein Eigenleben führen. Gleiches<br />

gilt für den Sportkreis Sigmaringen, der lediglich die württembergischen<br />

und hohenzollerischen Kreisteile und Sportvereine<br />

umfaßt, mit den im badischen Landessportbund organisierten<br />

Vereinen in den Räumen Pfullendorf, Meßkirch<br />

und Stetten a. k. M. dagegen nur in einer 1975 gebildeten losen<br />

Arbeitsgemeinschaft kooperiert. Noch bunter sind die<br />

Verhältnisse bei den Sängern, wo sich der Landkreis Sigmaringen<br />

immerhin auf vier Gaue verteilt. Die alten Kreisgrenzen<br />

widerspiegelten sich bis vor kurzem schließlich auch in<br />

der hiesigen Zeitungslandschaft mit ihren, entlang den alten<br />

Verwaltungszugehörigkeiten nahezu hermetisch abgegrenzten<br />

Verbreitungs- und Berichterstattungsgebieten. Eine<br />

rühmliche Ausnahme bilden dagegen die Blasmusiker, die<br />

seit 1979 in einem einheitlichen Blasmusikverband Sigmaringen<br />

unter einem Dach vereinigt sind.<br />

Positive Bewertung des »Dreiländerkreises« Sigmaringen<br />

Eine Ende 1998 vorgenommene Umfrage des Kreisarchivs<br />

bei elf kommunalpolitischen »Veteranen« der Kreisreform-<br />

Kämpfe vor 25 Jahren ergab in der nachträglichen Bewertung<br />

der Verwaltungsneugliederung eine weitgehende<br />

Übereinstimmung: Die befragten Landräte, Bürgermeister,<br />

Kreisräte und weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen<br />

Lebens aus jenen stürmischen Tagen halten im nachhinein<br />

mit ganz wenigen Ausnahmen die vollzogene Reform für<br />

prinzipiell sinnvoll und bewerten das politische und auch<br />

menschliche Miteinander und die Integration im 1973 neu<br />

5


zugeschnittenen »Dreiländerkreis« Sigmaringen als positiv<br />

und gelungen. Bedauert wird vielfach, daß der neugeschaffene<br />

Landkreis durch die Zuordnung weiterer Nachbarräume<br />

- namentlich der Bereiche Straßberg-Winterlingen, Langenenslingen<br />

und Altshausen - nicht wirtschaftlich und finanziell<br />

stärker ausgestattet worden ist. Die Aussagen aus<br />

dem Saulgauer Raum machen auch nach einem Vierteljahrhundert<br />

keinen Hehl daraus, daß die Zuordnung nach Sigmaringen<br />

keine Liebesheirat, sondern ausschließlich eine<br />

kühl kalkulierte »Vernunftehe« war, in der man allerdings<br />

zum Nutzen der eigenen Gemeinde durchaus gut gefahren<br />

sei und sogar Freunde gefunden habe. Nahezu durchgehend<br />

Quellen und Literatur:<br />

Landratsamt Sigmaringen, Kultur- und Archivamt, Dienstregistratur<br />

Az. 361.1 Projekt 25 Jahre Kreisreform - Fragebogen-Umfrage<br />

vom Dezember 1 998 zur Kreisreform 1972/73.<br />

Kreisarchiv Sigmaringen 11 - 1991/2 Nr. 284A u. B, 111 - 1991/1<br />

Nr. 3.<br />

Otto H. Becker: »... daß auch im Zuge der Kreisreform ein Land-<br />

OTTO H. BECKER<br />

Zeugnisse der Fidelisverehrung in Brasilien<br />

Nach seiner Kanonisation 1746 wurde die Verehrung des<br />

Heiligen Fidelis von Sigmaringen von allen Zweigen der<br />

Franziskusorden in ihren Missionsgebieten in Lateinamerika,<br />

Afrika, Asien und Ozeanien verbreitet. Die Saat der<br />

Söhne des Heiligen Franz von Assisi ist dabei offensichtlich<br />

besonders gut in der ehemaligen portugiesischen Kolonie<br />

Brasilien aufgegangen. So gibt es in diesem südamerikanischen<br />

Land nicht nur den Ordensnamen des Sigmaringer<br />

Stadtheiligen und Landespatrons von Hohenzollern, sondern<br />

auch den Herkunftsort von St. Fidelis als Vornamen.<br />

In einem Schreiben des »Instituto Hans Staden de Ciencias,<br />

Letras e Intercambio Cultural Brasileiro - Alemäo« in Säo<br />

Paulo vom 7. Dezember 1992 wurde der Verfasser in diesem<br />

Zusammenhang ausdrücklich auf den zeitgenössischen brasilianischen<br />

Politiker namens Sigmaringa Seixas hingewiesen.<br />

Selbstverständlich trägt das Zentrum der Kapuziner für<br />

franziskanische Spiritualität in Piracicaba im Bundesstaat<br />

Säo Paulo den Namen Seminário Seráfico Säo Fidelis. Der<br />

Fideliskult in diesem Lande hat aber vor allem auch in der<br />

Bezeichnung der Stadt »Säo Fidelis« im heutigen Bundesstaat<br />

Rio de Janeiro seinen Niederschlag<br />

gefunden.<br />

Die Stadt, rund 300 Kilometer nordöstlich<br />

von der Metropole Rio de Janeiro<br />

gelegen, ist aus einer Siedlung<br />

hervorgegangen, die 1781 von den beiden<br />

aus Italien stammenden Kapuzinerpatres<br />

Angelo Maria da Lucca und<br />

Vittorio da Cambiasca am Fluß Paraiba<br />

zur Missionierung und Befriedung des<br />

wilden Indiostammes der Coroados<br />

gegründet worden ist. Wenige Jahre<br />

später ließen die beiden Kapuziner<br />

dort ein Kirchlein errichten, das sie zu<br />

Ehren des Heiligen Fidelis von Sigmaringen,<br />

des ersten Heiligen ihres Ordens<br />

und der Propaganda Fide, weihten.<br />

Das kleine Gotteshaus wurde ferner<br />

mit einem bescheidenen Hospiz<br />

und einer Schule zur Unterrichtung<br />

und Unterweisung der Eingeborenen<br />

versehen. Der Ort Säo Fidélís erfreute<br />

6<br />

sieht man den Landkreis in erster Linie als »Verwaltungsgebilde«,<br />

zu dem die Bürger eine weitaus schwächere emotionale<br />

Bindung besäßen als etwa zu ihrem Wohnort und ihrer<br />

Gemeinde. Die Entwicklung und Pflege eines Kreisbewußtseins<br />

könne aufgrund dieser primär funktionalen Wertigkeit<br />

und Wahrnehmung der Landkreise daher nur in begrenztem<br />

Umfang gelingen. Eine wichtige Aufgabe käme bei der<br />

Entwicklung einer »Kreisidentität« gleichwohl der politischen<br />

und menschlichen Kompetenz des Landrats als dem<br />

fahrenden Landkreis-Repräsentanten und darüber hinaus<br />

auch kreisweiten Initiativen und Projekten zumal in den<br />

Bereichen Kultur und Sport zu.<br />

kreis mit Hauptstadt im Raum Hohenzollern erhalten bleiben sollte«.<br />

Zur Bildung des Landkreises Sigmaringen.<br />

In: HH 42. J. (1 992), S. 49-58.<br />

Fritz Kallenberg: Die Sonderentwicklung Hohenzollerns. In:<br />

Ders.: Hohenzollern. Stuttgart u. a. 1996, S. 129-282 (= Schriften<br />

zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 23).<br />

sich daraufhin regen Zuzugs durch die Indios des Umlandes.<br />

Im Hinblick auf diese positive Entwicklung faßten die beiden<br />

Kapuzinerpatres nun den Plan, in dem Ort eine größere<br />

und repräsentativere Kirche zur Verehrung des Märtyrers<br />

Fidelis zu errichten. Nach der Inschrift hinter dem<br />

Hauptaltar wurde der Grundstein zu dieser Fideliskirche<br />

am 8. September 1799 gelegt; das fertiggestellte Gotteshaus<br />

konnte danach am 23. April 1809 schließlich eingeweiht<br />

werden. Bereits 1808 hatte man das ursprüngliche Fideliskirchlein<br />

in eine Rosenkranzkirche umgewandelt, ein Patrozinium,<br />

das in Brasilien übrigens für die Kirchen der<br />

Sklaven üblich war.<br />

Die neue Fideliskirche zeichnete sich sowohl durch ihre<br />

Größe als auch durch ihre Architektur aus. Der Bau mit<br />

dem Grundriß eines griechischen Kreuzes wird im Zentrum<br />

von einer eindrucksvollen Kuppel überragt. In deren unterem<br />

Teil sind Fresken der vier Evangelisten abgebildet. In<br />

den vier Nischen darüber befinden sich die Statuen von vier<br />

Fideliskirche in Saö Fidélis... Foto Marico Weichert, Köln


Heiligen aus dem Kapuzinerorden. Auf dem Fresko hinter<br />

dem mit einer Fidelisstatue versehenen Hochaltar sind die<br />

unbefleckte Jungfrau Maria, der Heilige Franz von Assisi,<br />

der Heilige Felix von Cantalice und der Märtyrer Fidelis<br />

von Sigmaringen dargestellt. Diese Fresken waren Schöpfungen<br />

der beiden Gründer von Säo Fidelis. Pater Angelo<br />

Maria da Lucca starb übrigens 1811. Vier Jahre später folgte<br />

ihm Pater Vittorio da Cambiasca in den Tod nach. Sein<br />

Nachfolger wurde Pater Giovanni Antonio da Lucca, der<br />

1831 in Säo Fidelis verstarb.<br />

Im Spätsommer 1815 besuchte der bedeutende Ethnograph<br />

und Naturforscher Maximilian Prinz zu Wied (1782-1867),<br />

ein Großonkel der Königin Elisabeth von Rumänien<br />

(1843-1916), auf seiner Brasilienreise auch Säo Fidelis. In<br />

seiner Reisebeschreibung, wovon ein Exemplar in der<br />

Fürstl. Hofbibliothek in Sigmaringen verwahrt wird, bemerkte<br />

der Prinz zu Wied bezüglich der Gründung und der<br />

Lage des Ortes: »S. Fidelis am schönen Ufer des hier ziemlich<br />

breiten Paraiba, ist eine Mission, ein Dorf der Coroados-<br />

und Coropo-Indier, und ward vor etwa 30 Jahren von<br />

einigen Capuciner-Mönchen aus Italien angelegt...«<br />

Über die Eingeborenen lesen wir in der Reisebeschreibung:<br />

»Kaum war der neue Tag angebrochen, so verfügten wir uns<br />

in die, den Coroados und Coropos, von den Missionarien<br />

erbauten Hütten. Wir fanden diese Menschen noch sehr originel,<br />

von dunkelbrauner Haut, völlig nationaler Gesichtsbildung,<br />

sehr markirten Zügen, und rabenschwarzen Haaren.<br />

Ihre Häuser sind recht gut und geräumig, von Holz<br />

und Lehm erbaut, und mit Dächern von Palmblättern und<br />

Rohr gedeckt wie die der Portugiesen. Man sieht darin die<br />

aufgehängten Schlafnetze und in der Ecke Bogen und Pfeil<br />

angelehnt...«<br />

Selbstverständlich besuchte der Naturforscher auch die Fideliskirche<br />

in Säo Fidelis. Darüber lesen wir in dem Buch:<br />

»Da der Tag unserer Ankunft zu S. Fidelis ein Sonntag war,<br />

so wohnten wir Morgens der Messe in der Klosterkirche<br />

bey, wo die Bewohner der umliegenden Gegend sich zum<br />

Theil aus Neugierde eingefunden hatten, um die fremden<br />

Gäste zu beschauen. Herr Pater Joäo hielt eine sehr lange<br />

Predigt, wovon ich nicht ein Wort verstand. Nachher stie-<br />

Quellennachweis:<br />

Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied: Reise nach Brasilien in den<br />

Jahren 1815 bis 1817. Frankfurt a. M. 1820.<br />

Literatur:<br />

a) Zur Geschichte von Säo Fidelis:<br />

Analecta Ordinis Minorum Capuccinorum in lucem edita jussu<br />

rmi. P. Bernardi ab Andermatt ...Vol. XIV. Romae 1898. S. 208 ff.<br />

Storia dell'attivitä missionaria dei Minori Capuccini nel Brasile<br />

(1538?—1889). Romae 1958. S. 162 ff.<br />

P. Frei Jacinto de Palazzolo O.F.M.Cap.: Histöria da Cidade de Säo<br />

Fidelis 1781-1963. Rio de Janeiro 1963.<br />

Aurenio Pereira Carneiro: Histöria de Säo Fidelis. Niteröi 1988.<br />

P. Oto Campos Braga: Carolärio - Säo Fidelis no Brasil. In: Richard<br />

Schell: Vida em Deus. Säo Fidelis de Sigmaringa. Trad. Frei Egberto<br />

Prangenberg OFM. Piracibaba - SP - 1993. S. 63 ff.<br />

EDWIN ERNST WEBER<br />

Fürstin Amalie Zephyrine in Inzigkofen<br />

Im Fürstlichen Park Inzigkofen wurde auf Initiative des<br />

örtlichen Bildungswerks sowie des Schwäbischen Albvereins<br />

ein Denkmal für den 1794 in der Französischen Revo-<br />

gen wir in dem unbewohnten Kloster umher und besahen<br />

seine Merkwürdigkeiten. Die Kirche ist groß, hell und<br />

geräumig, und von Pater Victorio, der erst vor ein Paar Monaten<br />

gestorben ist, ausgemahlt. Dieser Capuciner-Missionar<br />

hatte thätig für das Wohl der Indier gearbeitet, und lebte<br />

in sehr günstigem Andenken, da man hingegen den jetzigen<br />

Geistliche nicht so sehr zu lieben schien. Die Mahlerey im<br />

Innern der Kirche kann zwar nicht schön genannt werden,<br />

ist aber doch leidlich, und für diese abgeschiedene, wenig<br />

besuchte Gegend eine große Zierde, die den Fremden angenehm<br />

überrascht. Hinter dem Altar stehen die Nahmen der<br />

vier Missionäre angeschrieben, an der Seite sind eine Menge<br />

Votivtafeln aufgehangen ...«<br />

Die 1855 zur Gemeinde erhobene Missionsstation Säo Fidelis<br />

entwickelte sich ab 1864 zum Mittelpunkt eines bedeutenden<br />

Kaffeeanbaugebietes. Die gesamte Produktion<br />

konnte auf dem Fluß Paraiba verschifft werden. 1870 erfolgte<br />

sodann die Erhebung von Säo Fidelis zur Stadt. Nach<br />

der Aufhebung der Sklaverei in Brasilien 1888 setzte dort jedoch<br />

allmählich der Niedergang des Kaffeeanbaus ein. 1928<br />

legte das letzte Schiff im Hafen von Säo Fidelis ab. Heute ist<br />

der Fluß nicht mehr schiffbar. Seitdem bildet der Anbau von<br />

Zuckerrohr, Reis, Mais, Bananen und Baumwolle die Haupterwerbsquelle<br />

der Region. War die wirtschaftliche Lage zumeist<br />

wenig rosig, so wird in Säo Fidelis heute die Zukunft<br />

im Hinblick auf die Errichtung einer Obstsaftfabrik wieder<br />

hoffnungsvoller beurteilt.<br />

Heute zählt Säo Fidelis etwa 35 000 Einwohner. In der<br />

Stadt, in deren Zentrum sich die majestätische Kirche Säo<br />

Fidelis befindet, ist die Verehrung des Stadtheiligen selbstverständlich<br />

lebendig geblieben. Auch ein Interesse an dem<br />

historischen Kapuzinerpater Fidelis und seinen Wirkungsstätten<br />

im fernen Mitteleuropa ist in dieser brasilianischen<br />

Stadt vorhanden. So wird im April diesen Jahres vornehmlich<br />

auf Betreiben des bei der Deutschen Welle in Köln tätigen<br />

brasilianischen Redakteurs Marcio Weichert und seiner<br />

Frau Graga eine Ausstellung über »Säo Fidelis de Sigmaringa«<br />

gezeigt. Das Staatsarchiv Sigmaringen wird zu dieser<br />

Schau in Lateinamerika Reproduktionen von vier einschlägigen<br />

Dokumenten aus seinen Beständen beisteuern.<br />

h) Über den Ethnographen Maximilian Prinz zu Wied:<br />

Ph. Wirtgen: Prinz Maximilian zu Wied, sein Leben und wissenschaftlicheThätigkeit.<br />

Leipzig 1867.<br />

Prärie- und Piainsindianer. Die Reise in das innere Nord-America<br />

von Maximilian Prinz zu Wied und Karl Bodmer. Katalog zur Ausstellung<br />

des Landesmuseums Koblenz aus Anlaß des Rheinland-<br />

Pfalz-Tages 1993 in Neuwied. Mainz 1993.<br />

Unterstützung erfuhr der Verfasser bei seinen Nachforschungen,<br />

die nicht nur wegen der Sprachbarrieren schwierig waren, vornehmlich<br />

durch Frau Dr. Rosemarie E. Horch und Frau Margarida<br />

Pinsdorf vom »Instituto Hans Staden ...« in Säo Paulo, P. Dr. Oktavian<br />

Schmucki OFMCap., damals »Historisches Institut der Kapuziner«<br />

in Rom, Herrn Franz Ludwig Hepp, abwechselnd wohnhaft<br />

in Nova Friburgo in Brasilien und in Sigmaringen, und durch<br />

Herrn Redakteur Marcio Weichert in Köln. Ihnen allen möchte der<br />

Autor an dieser Stelle seinen aufrichtigen Dank sagen.<br />

lution hingerichteten Lieblingsbruder der Sigmaringer Fürstin<br />

Amalie Zephyrine rekonstruiert und der umliegende<br />

Parkbereich neu gestaltet. Finanziert wurde die Unterneh-<br />

7


mung durch Zuschüsse der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke<br />

und des Sigmaringer Fürstenhauses sowie durch<br />

Spenden aus der Bevölkerung.<br />

Zusammen mit der Teufelsbrücke, dem Amalienfelsen, dem<br />

»Känzele« (»Schöne Aussicht«) und der Eremitage gehörte<br />

der vermutlich im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts<br />

geschaffene Gedenkstein für Fürst Friedrich III. von Salm-<br />

Kyrburg zur historischen »Meublierung« der romantischen<br />

Parkanlage im Hangbereich des Donautals unterhalb des<br />

ehemaligen Klosters Inzigkofen. Das Denkmal erinnert an<br />

die dynastische Verbindung zwischen den Fürstenhäusern<br />

Hohenzollern-Sigmaringen und Salm-Kyrburg im ausgehenden<br />

18. Jahrhundert, die über die Person von Amalie Zephyrine<br />

von ausschlaggebender Bedeutung für den hohenzollerischen<br />

»Sonderweg« in der südwestdeutschen Geschichte<br />

des 19. und 20. Jahrhunderts geworden ist.<br />

Die dynastischen Bande zwischen den schwäbischen Hohenzollern<br />

und dem Zweig der linksrheinischen Wild- und<br />

Rheingrafen wurden 1781 und 1782 durch eine zweifache<br />

Eheverbindung geknüpft: Erbprinz Friedrich von Salm-<br />

Kyrburg heiratete zunächst die Sigmaringer Fürstentochter<br />

Johanna, ehe dann im Jahr darauf deren Bruder, Erbprinz<br />

Anton Aloys, die Ehe mit einer jüngeren Schwester Friedrichs,<br />

der 1760 geborenen Amalie Zepyhrine einging. In<br />

die folgenden zwei Jahrzehnte getrennt von ihrem Mann<br />

und bis zu dessen gewaltsamem Tod 1794 an der Seite ihres<br />

Bruders zumeist in Paris. Zu einer Versöhnung der Eheleute<br />

ist es auch nach der späteren Rückkehr von Amalie Zephyrine<br />

nach Hohenzollern nicht mehr gekommen.<br />

Ahnlich unglücklich verlief auch die Ehe zwischen Friedrich<br />

und Johanna, die unter dem verschwenderischen und<br />

haltlosen Lebensstil ihres Gatten unsäglich litt und kurz vor<br />

ihrem frühen Tod 1790 mit erst 25 Jahren ihre achtjährige<br />

Ehe als »wahres Fegefeuer« charakterisierte. Fürst Friedrich<br />

von Salm-Kyrburg erscheint im Lichte neuerer Forschungen<br />

in der Tat als ausgesprochen zwielichtige und problematische<br />

Gestalt, der mit seiner in erster Linie dem äußeren<br />

Schein und Prestige (»paraitre«) verpflichteten Verschwendungssucht<br />

und Projektenmacherei sein Haus in den Ruin<br />

führte. Seine unverhältnismäßigen Aufwendungen für eine<br />

extravagante Hofhaltung in Paris, rauschende Feste, überzogene<br />

Bauprojekte und risikoreiche Wirtschaftsunternehmungen<br />

standen in einem geradezu grotesken Mißverhältnis<br />

zu seinen bescheidenen Einkünften aus dem<br />

Familienbesitz im linksrheinischen Deutschland, in den<br />

österreichischen Niederlanden und in Frankreich und<br />

manövrierten den Fürsten bereits vor dem Ausbruch der<br />

Revolution in eine nahezu ausweglose Verschuldung und<br />

Plan vom hüRSTL.Hark Jnzigkofen,<br />

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Um 1900 entstandener Plan des Fürstlichen Parks Inzigkofen. Links in der Mitte ist der Standort des Denkmals für Fürst Friedrich III. von<br />

Salm-Kyrburg.<br />

Bildvorlage Kreisarchiv Sigmaringen<br />

beiden Eheverbindungen prallen konträre Lebensauffassungen<br />

aufeinander - hier provinzielle Bescheidenheit und<br />

Gediegenheit, dort weltläufiger Glamour und Verschwendung<br />

- und lassen die Beziehungen letztlich scheitern. Die<br />

in der mondänen Adelswelt des vorrevolutionären Paris<br />

groß gewordene Amalie Zephyrine fühlt sich in der schwäbischen<br />

Duodez-Residenz Sigmaringen denkbar unwohl,<br />

von ihrem Schwiegervater überwacht und von ihrem Gatten<br />

vernachlässigt und lieblos behandelt. Zehn Wochen nach<br />

der Geburt des Stammhalters, des späteren Sigmaringer<br />

Fürsten Karl, entflieht sie mit Hilfe ihres Bruders Friedrich<br />

aus den für sie unerträglichen Verhältnissen und verbringt<br />

8<br />

eine allgegenwärtige Bedrängnis durch Gläubiger, Pfändungen<br />

und Zwangsversteigerungen.<br />

Seine Unterstützung für die revolutionäre Bewegung in der<br />

Anfangsphase der Staatsumwälzung in Frankreich seit 1789<br />

ist neben zweifellos vorhandenen persönlichen Sympathien<br />

auch von der Hoffnung bestimmt, mit Hilfe der politischen<br />

Veränderungen aus seiner Schulden-Sackgasse zu entkommen.<br />

Dem gleichen Zweck dient auch die Erhebung von<br />

Erbansprüchen auf den niederländischen Besitz der verstorbenen<br />

Mutter seiner Ehefrau Johanna, deren früher Tod<br />

1790 Friedrich allerdings aller Chancen in der Erbauseinandersetzung<br />

mit seinem Sigmaringer Schwager Anton Aloys


eraubt. Mit der zunehmenden Radikalisierung der Revolution<br />

seit 1792 wird für Friedrich der Spagat zwischen seinen<br />

beiden Rollen als deutscher Reichsfürst einerseits und als<br />

Bürger der egalitären und antifeudalen französischen Republik<br />

andererseits immer schwieriger, unter der Anklage der<br />

Konspiration gegen den Staat wird er schließlich nach viermonatiger<br />

Einkerkerung am 23. Juli 1794 - vier Tage vor<br />

dem Sturz von Robespierre und dem Ende der jakobinischen<br />

Schreckensherrschaft - zum Tode verurteilt und zusammen<br />

mit 49 Mitangeklagten, darunter auch Alexandre<br />

de Beauharnais, wahrscheinlich noch am selben Tage auf der<br />

Guillotine hingerichtet.<br />

Amalie Zephyrine hält ihrem Lieblingsbruder, den sie gänzlich<br />

unkritisch und schwärmerisch verehrt, über seinen Tod<br />

hinaus die Treue. Nachdem sie sich zunächst vergeblich um<br />

die Exhumierung ihres in einem Massengrab im Garten eines<br />

ehemaligen Augustinerklosters in Paris beigesetzten<br />

Bruders bemüht hatte, erwirbt sie 1796 das gesamte Terrain,<br />

läßt es ummauern und mit einem vergitterten Eingang versehen<br />

sowie mit einem Gedenkstein zu Ehren Friedrichs<br />

ausstatten. Eine weitere Erinnerungsstätte läßt sie nach ihrer<br />

Niederlassung in Inzigkofen in dem auf ihre Initiative zu<br />

einer romantischen Parkanlage umgestalteten Hangbereich<br />

unterhalb des ehemaligen Augustinerchorfrauenstiftes anlegen.<br />

Auf einem freistellenden Jurakalkfelsen unweit des<br />

Parkeingangs wird hier in klassizistischem Stil ein rechteckiger,<br />

massiver Gedenkstein auf einem Doppelsockel und<br />

bekrönt von einer Ellipse errichtet, der die Inschrift »Meinem<br />

Bruder, der mir entrissen wurde - 23. Juli 1794« trägt.<br />

Der Gedenkstein geriet vor einigen Jahrzehnten in Abgang<br />

und wurde nunmehr als wichtiges Zeugnis der hohenzollerischen<br />

Landesgeschichte nach älteren Beschreibungen und<br />

Zeitzeugenerinnerungen von Inzigkofer Bürgern durch den<br />

Rulfinger Bildhauermeister Christoph Stauß rekonstruiert.<br />

Eine vom Kreisarchiv Sigmaringen entworfene zusätzliche<br />

Inschrift erläutert den Entstehungszusammenhang des<br />

Denkmals. Die Inzigkofer Ortsgruppe des Schwäbischen<br />

Albvereins übernahm die Neutrassierung des Steilwegs zur<br />

Denkmalshöhe sowie die Anbindung der Denkmalsroute<br />

an den Hauptwanderweg vom Parkeingang zum Amalienfelsen<br />

durch eine kleine Holzbrücke über den dort befindlichen<br />

Wassergraben.<br />

Die Rückkehr von Amalie Zephyrine nach Hohenzollern<br />

1808 nach 23jähriger Abwesenheit und damit auch ihre drei<br />

Jahre darauf erfolgende Niederlassung in Inzigkofen sind<br />

indirekte Folgen der »großen Politik«, in der die separierte<br />

Sigmaringer Fürstin in diesen Jahren der grundstürzenden<br />

politischen Umwälzungen auf nachhaltige Weise mitmischt.<br />

Amalie Zephyrine, die nach dem gewaltsamen Tod ihres<br />

Bruders ihres unruhigen und extravaganten Lebensstils in<br />

der französischen Hauptstadt offenkundig überdrüssig ist,<br />

sucht 1798 wieder den Kontakt zu ihrer hohenzollerischen<br />

Familie und zumal zu ihrem bereits im Jugendalter stehenden<br />

Sohn Karl, den sie seit ihrer Flucht aus Sigmaringen<br />

nicht mehr gesehen hatte. Sie bietet ihrem bezüglich einer<br />

Versöhnung reservierten Ehemann Anton Aloys einen<br />

»Deal« an: Als Gegenleistung für das Wiedersehen mit Erbprinz<br />

Karl will sie ihre vorzüglichen Kontakte zu Spitzenpersönlichkeiten<br />

des revolutionären Frankreich, zumal zu<br />

Außenminister Talleyrand sowie zu Josephine de Beauharnais<br />

und deren zweiten Gemahl Napoleon Bonaparte,<br />

zum Nutzen des Hauses Hohenzollern einsetzen.<br />

Weitaus mehr als dem in der Forschung lange Zeit hervorgehobenen<br />

Schutz durch das stammverwandte preußische<br />

Königshaus haben es die beiden hohenzollerischen Fürstentümer<br />

Sigmaringen und Hechingen eben diesen persönlichen<br />

Beziehungen und dem Einfluß von Amalie Zephyri-<br />

ne bei den französischen Staatsspitzen zu verdanken, daß<br />

ihre Duodezstaaten die unter dem Druck Napoleons erfolgende<br />

territoriale Flurbereinigung der Jahre 1803 bis 1806<br />

als souveräne Staaten unversehrt und im Fall von Sigmaringen<br />

sogar mit einigem Gebietszuwachs überstehen und<br />

nicht wie sämtliche anderen südwestdeutschen Klein- und<br />

Mittelterritorien an Baden oder Württemberg fallen. Die im<br />

Frühjahr 1806 bereits in der Residenzstadt Sigmaringen angebrachten<br />

württembergischen Besitznahmepatente werden<br />

auf Intervention von Amalie Zephyrine bei Napoleon<br />

von französischen Dragonern wieder entfernt.<br />

Der von Fürst Anton Aloys nur »blutenden Herzens« akzeptierte<br />

Preis für die von Amalie Zephyrine vermittelte<br />

Protektion von Napoleon für die beiden hohenzollerischen<br />

Fürstentümer ist die offenkundig von der Sigmaringer Fürstin<br />

und Kaiserin Josephine bereits 1806 eingefädelte Eheschließung<br />

von Erbprinz Karl mit der damals knapp<br />

14jährigen Gastwirtstochter Antoinette Murat, der Nichte<br />

von Napoleons Reitergeneral und Schwager Joachim Murat.<br />

Nach der Eheschließung Anfang 1808 übernimmt Amalie<br />

Zephyrine die ständige Begleitung ihrer jungen Schwiegertochter,<br />

die in den folgenden Jahren zumeist von ihrem<br />

in Militärdiensten Napoleons sowie des zum König von<br />

Neapel aufgestiegenen Joachim Murat stehenden Ehemann<br />

getrennt lebt. An der Seite des jungen Paares und gegen den<br />

anhaltenden Widerstand von Fürst Anton Aloys kehrt<br />

Amalie Zephyrine im Sommer 1808 nach 23 Jahren nach<br />

Sigmaringen zurück und läßt sich zusammen mit Sohn und<br />

Schwiegertochter zunächst im Schloß zu Krauchenwies nieder.<br />

1811 begründet sie in dem zu einem Schlößchen umgebauten<br />

ehemaligen Amtshaus des Augustinerchorfrauenstiftes<br />

Inzigkofen eine eigene Hofhaltung.<br />

Um die standesgemäße und repräsentative Unterbringung<br />

der Fürstin zu gewährleisten, erhält der 1726 errichtete klösterliche<br />

Verwaltungsbau eine klassizistische Blendfassade<br />

und im Westen einen Küchenanbau, der umgebende Garten<br />

wird mit Brunnenspielen und Skulpturen aus der antiken<br />

Götterwelt ausgestattet. Zwischen Schloß und Klosterkirche<br />

entsteht gleichfalls in klassizistischem Stil ein kleines<br />

Gebäude, das zunächst als Wachlokal für fünf Soldaten<br />

dient und nach 1840 zu einem Speisesaal (»Teehaus«) für die<br />

nunmehr in Inzigkofen untergebrachte Familie von<br />

Erbprinz Karl Anton, dem Enkel von Amalie Zephyrine,<br />

umgebaut wird. Vor allem aber wird auf Veranlassung der<br />

Fürstin der unterhalb von Kloster und Schlößle gelegene,<br />

bislang unbewaldete Donau-Hangbereich zu einem weitläufigen<br />

Park im englischen Stil umgestaltet. Das Hanggelände<br />

bildet den östlichen Ausgang des Durchbruchstals<br />

der jungen Donau durch die Schwäbische Alb und ist mit<br />

mannigfaltigen natürlichen Sehenswürdigkeiten wie Steilund<br />

Schaufelsen, Klüften und Grotten ausgestattet, die nunmehr<br />

mit Spazierwegen erschlossen und in eine teilweise<br />

raffinierte Bepflanzung mit Bäumen und Sträuchern eingebettet<br />

werden. Die Arbeiten dauern bis etwa 1829.<br />

Nach dem Erwerb der bislang fürstenbergischen Domäne<br />

Nickhof durch das Sigmaringer Fürstenhaus 1841 wird der<br />

Park nach Westen bis zum »Känzele« und den Grotten erweitert<br />

und erreicht seine bis heute bestehende Ausdehnung<br />

von ca. 25 Hektar. Die bis 1848 angelegte Lindenallee bildet<br />

dabei die Verbindung zwischen dem vorderen, älteren und<br />

dem hinteren, jüngeren Teil des Parks. Der besondere Reiz<br />

des Parks liegt von jeher im Zusammenklang von reizvoller<br />

Landschaft und natürlichen Sehenswürdigkeiten mit bewußten<br />

und effektvollen Eingriffen in die Natur und besonders<br />

der gezielten »Meublierung« des Parks mit künstlich<br />

geschaffenen »Highlights« wie Teufelsbrücke, Eremitage<br />

oder eben dem Denkmal für Fürst Friedrich III. von Salm-<br />

9


Kyrburg auf einem frei stehenden Kalkfelsen. Beim Amalienfelsen<br />

erstreckt sich der Park in einem kleinen Abschnitt<br />

auch auf das nördliche Donauufer, wo Amalie Zephyrine<br />

1817 auf einer schön gelegenen Anhöhe eine Eremitage anlegen<br />

läßt, die der Sigmaringer Fürstenfamilie und ihren Besuchern<br />

als beliebtes Ausflugsziel dient. 1853 erfolgte die<br />

Umgestaltung der Eremitage zur St. Meinradskapelle mit einem<br />

weithin sichtbaren Türmchen. Als Schauplatz für Festlichkeiten<br />

unter freiem Himmel diente die Steinwiese, eine<br />

unbewaldete Grünfläche südlich des Donauknies beim<br />

Amalienfelsen.<br />

Als Gäste des Sigmaringer Fürstenhauses kommen im 19.<br />

Jahrhundert nicht wenige illustre Persönlichkeiten nach Inzigkofen<br />

und in den dortigen Fürstlichen Park. Besonders<br />

häufig und offenbar auch gerne zu Besuch in Inzigkofen<br />

waren Fürst Friedrich IV. von Salm-Kyrburg, der Sohn des<br />

1794 hingerichteten Friedrich III. und Neffe Amalie Zephyrines,<br />

die in Arenenberg am schweizerischen Bodenseeufer<br />

ansässige Exkönigin Hortense von Holland, eine<br />

Tochter von Josephine Beauharnais und ihrem ersten Gemahl<br />

Alexandre de Beauharnais, sowie deren Sohn Louis<br />

Napoleon, der spätere französische Kaiser Napoleon III.<br />

Die innige Beziehung von Amalie Zepyhrine sowohl zu<br />

ihrem Neffen wie auch zu Hortense geht auf die Pariser Revolutionsjahre<br />

zurück, als sich die Fürstin in schwieriger<br />

Zeit geradezu rührend ihres Neffen sowie der Beauharnais-<br />

Vorderansicht des im Fürstlichen Park Inzigkofen rekonstruierten<br />

Gedenksteins der Sigmaringer Fürstin Amalie Zephyrine für ihren<br />

während der Französischen Revolution in Paris 1794 hingerichteten<br />

Bruder Fürst Friedrich III. von Salm-Kyburg. Die auf Amalie<br />

Zephyrine zurückgehende Inschrift lautet: »Meinem Bruder, der<br />

mir eintrissen wurde den 23. Juli 1794«. Fotos: E. Weber.<br />

10<br />

_ Jgf*<br />

Rückansicht des Gedenksteins mit einer vom Kreisarchiv Sigmaringen<br />

entworfenen Erläuterung über den Entstehungszusammenhang<br />

des Denkmals.<br />

Kinder nach dem Tod beider Eltern bzw. des Vaters angenommen<br />

hatte. Zweifellos den Höhepunkt dieser illustren<br />

Besuche bildete am 24. August 1851 ein kurzer Aufenthalt<br />

des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., des neuen<br />

Landesherrn der beiden hohenzollerischen Fürstentümern,<br />

der in den Tagen zuvor auf dem Hohenzollern sowie in Sigmaringen<br />

die Huldigung seiner neuen Untertanen entgegengenommen<br />

hatte. Im Inzigkofer Park wurde nunmehr<br />

vom Nachmittag dieses Tages bis in die finstere Nacht hinein<br />

eine festliche Unterhaltung für den König und seine<br />

zahlreiche Gefolgschaft geboten, die Ortschronist Josef<br />

Hartmann wie folgt beschreibt: »Die vielen und großartigen<br />

Abwechslungen von Kanonendonner, Männergesängen,<br />

bengalischem Feuer u.s.f. machten auf die zahlreiche Volksmenge<br />

einen imposanten, unvergeßlichen Eindruck«. Wohl<br />

im Bereich zwischen Klostermauer und Lindenallee war ein<br />

großes Zelt aufgeschlagen worden, unter dem Chronist<br />

Hartmann zufolge »Seine Königliche Majestät mit hohem,<br />

zahlreichen Gefolge (...) sich längere Zeit sehr vergnügt und<br />

traulich unterhielten, wo schon Alles aufs Glänzendste zum<br />

Soupe« vorbereitet war. Mit sichtlichem Vergnügen bemerkte<br />

der hohe Monarch bei einbrechender Dämmerung<br />

die »hochauflodernden Freudenfeuer nach allen Seiten hin«.<br />

Bliebe anzumerken, daß die Inzigkofer Dorfbevölkerung<br />

bei diesen fürstlichen Park-Vergnügungen allenfalls als<br />

Zaungäste, Statisten und dienstbare Geister vertreten war.<br />

Als Wohnstätte über einen längeren Zeitraum diente das Inzigkofer<br />

Schlößle dem Sigmaringer Fürstenhaus allerdings<br />

nur in zwei Fällen: Zum einen seit 1811 für die Fürstin


Amalie Zephyrine, die sich indessen 1822-24/25 in Sigmaringen<br />

an der Westseite des späteren Karlsplatzes das sog.<br />

Schlößle erbauen läßt, das später mit dem 1842-47 für ihren<br />

Enkel Karl Anton errichteten repräsentativen Prinzenbau<br />

zu einem zusammenhängenden Komplex vereinigt wurde,<br />

der heute als Dienstsitz des Staatsarchivs dient. Hier wohnte<br />

sie seit 1824 bis zu ihrem Tode 1841, der im hohen Alter<br />

von 81 Jahren durchaus unspektakulär im Bett erfolgte und<br />

keineswegs als Folge eines Sturzes auf einem weißen Schimmel<br />

vom Amalienfelsen in die Fluten der Donau, wie dies<br />

eine mitunter in Inzigkofen kursierende Sage wahrhaben<br />

will. Eine weitere intensive Nutzung des Schlosses erfolgte<br />

in den 1840er Jahren durch Erbprinz Karl Anton, der mit<br />

seiner Familie in Inzigkofen offenbar regelmäßig die Sommermonate<br />

verbringt. Der vierte Sohn des Prinzenpaares,<br />

Prinz Friedrich, erblickt in Inzigkofen das Licht der Welt.<br />

Eine Rolle spielt das Inzigkofer Schlüssle in der hohenzollerischen<br />

Revolution von 1848/49: Auf dem Höhepunkt des<br />

Sigmaringer Septemberaufstandes, als am 26. September<br />

1848 eine Volksversammlung mit mehr als 3000 Teilnehmern<br />

auf dem Karlsplatz die Einsetzung eines revolutionären<br />

»Sicherheitsausschusses« und die Entwaffnung des<br />

fürstlichen Militärs beschließt, wartet hier Fürst Karl Anton<br />

die Ereignisse ab und flieht tags darauf zusammen mit der<br />

Regierung ins badische »Ausland«, nach Uberlingen. Zuvor<br />

hatte Karl Anton noch die Frankfurter Zentralgewalt um<br />

Literatur<br />

Max Beck, Inzigkofen. Kurzchronik mit Bildern aus Inzigkofen,<br />

Vilsingen und Engelswies. Horb am Neckar 1988.<br />

Joachim Emig, Friedrich III. von Salm-Kyrburg (1745-1794). Ein<br />

deutscher Reichsfürst im Spannungsfeld von Ancien regime und<br />

Revolution.<br />

Josef Hartmann, Der unterhaltend belehrende Fremdenführer in<br />

den Fürstlichen Anlagen zu Inzigkofen. Sigmaringen 1875.<br />

Fritz Kallenberg, Fürstin Amalie Zephyrine von Hohenzollern-<br />

PETER THADDÄUS LANG<br />

Zum Feuerlöschwesen im Hohenzollerischen (Teil 2)<br />

Das Entstehen grosser industrieller Betriebe mit ihren auf<br />

kleinem Raum zusammengedrängten erheblichen Werten<br />

führte zur Errichtung von Werksfeuerwehren. Die erste war<br />

die Betriebsfeuerwehr des Hüttenwerks Lauchterthal vom<br />

Jahre 1910; im Kreis Hechingen folgten 1925 die Betriebsfeuerwehr<br />

S. Wolf & Cie in Stetten und 1936 der Firma<br />

Heinrich Maute in Bisingen. Zwei später hinzugekommene<br />

Werksfeuerwehren wurden nicht anerkannt und wieder<br />

aufgehoben.<br />

Der technische Fortschritt machte sich im Feuerlöschwesen<br />

besonders in der Motorisierung geltend. Den Anfang machte<br />

der Kreis Hechingen, der im Jahre 1924 den ersten automobilen<br />

Löschzug in Hohenzollern beschaffte und als<br />

Kreislöschzug organisierte. Im Kreis Sigmaringen legte sich<br />

die Gemeinde Sigmaringendorf im Jahre 1925 eine pferdebespannte<br />

Kraftspritze zu, die erste im Kreis Sigmaringen.<br />

Später bildeten sich Feuerlöschverbände von Gemeinden<br />

zur gemeinsamen Beschaffung und Haltung von automobilen<br />

Kraftspritzen, und schließlich beschafften sich<br />

auch verschiedene Ortsfeuerwehren Trag-Kraftspritzen.<br />

Die Werksfeuerwehren waren von Anfang an motorisiert.<br />

Im Gefolge der im Jahre 1935 eingeleiteten politischen Ereignisse<br />

griff das neu aufkommende autoritäre Prinzip auch<br />

Wiederherstellung der Ordnung in seinem Fürstentum ersucht<br />

- was dann am 10. Oktober 1848 in Gestalt einer Militärintervention<br />

durch 2000 Mann bayerische Truppen<br />

auch geschieht und der Sigmaringer »De-facto-Republik«<br />

ein abruptes Ende bereitet.<br />

In Inzigkofen ist die Erinnerung an Amalie Zephyrine und<br />

ihr abenteuerliches Leben in besonderem Maße lebendig geblieben.<br />

Dazu hat in erster Linie der von ihr veranlaßte<br />

Fürstliche Park und hier zumal der nach der Sigmaringer<br />

Fürstin benannte Amalienfelsen mit dem Allianzwappen<br />

der Häuser Salm-Kyrburg und Hohenzollern-Sigmaringen<br />

sowie der Inschrift »Andenken an Amalie Zephyrine 1841«<br />

beigetragen, der, wie geschildert, offenbar die Phantasie zu<br />

manchen legendenhaften Ausschmückungen anzuregen<br />

vermag. Wer die Anbringung von Allianzwappen und Inschrift<br />

an dieser Stelle eigentlich veranlaßt hat, konnte aus<br />

den Quellen bislang nicht ermittelt werden. Denkbar wäre,<br />

daß die Initiative von Erbprinz Karl Anton ausgegangen ist,<br />

der in den 1840er Jahren längere Zeit mit seiner Familie das<br />

für seine Großmutter umgebaute Inzigkofer Schlößle bewohnte<br />

und dem abweichend von den in der älteren Landesgeschichtsschreibung<br />

mitunter unzutreffenden moralisch<br />

bestimmten Vorbehalten gegenüber dem »Teufelsweib«<br />

- eine positive Würdigung der Fürstin und ihrer<br />

herausragenden Rolle in der hohenzollerischen Landesgeschichte<br />

am ehesten zuzutrauen wäre.<br />

Sigmaringen. In: Ders. (Hg.), Hohenzollern. Stuttgart u. a. 1996,<br />

S. 452-459.<br />

Fritz Kallenberg, Hohenzollern im Alten Reich. In: Ebenda,<br />

S. 48-128.<br />

Wilfried Schöntag, »... daß die Rheinbunds-Acte das Fürstenhaus<br />

größer, mächtiger und reicher - das Land aber unfreier und ärmer<br />

gemacht hat ...« Die Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und<br />

Hohenzollern-Sigmaringen im Zeitalter Napoleons. In: Baden und<br />

Württemberg im Zeitalter Napoleons. Hg. v. Württembergischen<br />

Landesmuseum. Band 2 Aufsätze. Stuttgart 1987, S. 81-102.<br />

auf das Feuerwehrwesen über. Für Preussen und damit auch<br />

für Hohenzollern wurde am 15.12.1933 ein neues Feuerwehrgesetz<br />

erlassen, dass die Feuerwehren stärker als bisher<br />

der Polizeiaufsichtsbehörde unterstellte. An die Stelle der<br />

Führerbestellung durch, die Wahl trat die Ernennung.<br />

Eine bedeutsame organisatorische Neuerung brachte das<br />

Jahr 1938. Durch das Reichsfeuerlöschgesetz vom<br />

23. 11. 1938 wurden die Landes- und Kreisfeuerwehrverbände<br />

aufgehoben und die Feuerwehren in eine technische<br />

Hilfspolizeitruppe umgewandelt. An die Spitze der Feuerlöschpolizei<br />

in Hohenzollern trat der vom Regierungspräsidenten<br />

ernannte Bezirksführer der Freiwilligen Feuerwehr.<br />

Die Feuerwehr-Kreisführer wurden von den Landräten ernannt.<br />

Während des zweiten Weltkrieges war der Mannschaftsbestand<br />

der Feuerwehren durch Einberufungen stark geschwächt,<br />

doch traten ältere Feuerwehrmänner in die<br />

Lücken. Auch Jugendabteilungen und sogar Frauenabteilungen<br />

wurden gebildet.<br />

Im Sommer 1945, wenige Monate nach Beendigung der<br />

Kriegshandlungen, wurde das Feuerlöschwesen neu organisiert.<br />

Die Einbeziehung der Freiwilligen Feuerwehren in die<br />

Polizei, die sich nicht bewährt und auch dem Willen der<br />

11


Feuerwehrmänner nicht entsprochen hatte, wurde wieder<br />

aufgegeben. Da die Feuerwehren auch in wirren Zeiten innerlich<br />

gesund geblieben waren, vollzog sich der Neuaufbau<br />

rasch, gefördert durch das besondere Verständnis und<br />

Interesse der französischen Besatzungsmacht. Von der<br />

Geräteausrüstung war nur wenig verloren gegangen. Seit<br />

dem Frühjahr 1946 steht die lückenlos organisierte Feuerwehr<br />

wieder in voller Schlagkraft zum Einsatz gegen<br />

Feuersgefahr bereit.<br />

Organisation. Die Freiwilligen Feuerwehren bilden nach<br />

wie vor die Grundlage des Feuerlöschwesens. Es wird angestrebt,<br />

in jeder Gemeinde eine Freiwillige Feuerwehr zu<br />

gründen. Pflichtfeuerwehren werden nur dann errichtet,<br />

wenn es nicht gelingt, genügend Freiwillige zur Bildung einer<br />

Feuerwehr zu bekommen. Im Kreis Hechingen bestehen<br />

nach dem Stand vom 30. Juni 1946 39 Freiwillige Feuerwehren<br />

(darunter 11 motorisierte) sowie 8 Pflichtfeuerwehren<br />

mit einem Gesamt-Mannschaftsbestand von 2100<br />

Mann, im Kreis Sigmaringen 50 Freiwillige Feuerwehren<br />

(darunter 6 motorisierte) und 33 Pflichtfeuerwehren mit zusammen<br />

1700 Mann. Die Werkfeuerwehren, deren Zahl im<br />

Kreis Hechingen zuletzt 2 und im Kreis Sigmaringen 1 betrug,<br />

sind noch nicht in die Feuerlöschorganisation eingereiht.<br />

An der Spitze des Feuerlöschwesens in jedem Kreis<br />

steht der Kreisbrandmeister, der den Landesbrandmeister<br />

(Landesfeuerwehramt) in Tübingen unterstellt ist. Feuerwehrverbände<br />

sind noch nicht gebildet worden, doch wäre<br />

der Zusammenschluss auf Kreisgrundlage der Entwicklung<br />

des Feuerlöschwesens sehr förderlich und daher erwünscht.<br />

Die Gliederung der Feuerwehr in Löscheinheiten richtet<br />

sich nach den vorhandenen Fahrzeugen. Für jedes Fahrzeug<br />

ist eine Gruppe eingeteilt, die aus dem Führer und 8 Mann<br />

besteht, und zwar 1 Maschinist, 1 Melder, 2 Mann Angriffstrupp,<br />

2 Mann Wassertrupp und 2 Mann Schlauchtrupp.<br />

Zu jedem Fahrzeug kommt ausserdem eine gleich starke<br />

Reservetruppe für einen etwaigen Ausfall.<br />

Die Ausbildung erfolgt bei Übungen, die von den Feuerwehren<br />

alle vier Wochen, bei den motorisierten Wehren<br />

vierzehntägig abgehalten werden. In jedem Jahr beruft der<br />

Kreisbrandmeister die Feuerwehrkommandanten zu<br />

Dienstversammlungen ein.<br />

Die Geräteausrüstung ist befriedigend. Sie besteht aus automobilen<br />

Kraftspritzen, Tragkraftspritzen, pferdebespannten<br />

oder handgezogenen Handdruckspritzen, fahrbaren<br />

mechanischen Leitern, Schiebeleitern, Anstell-Leitern,<br />

Stock- und Dachleitern (Hakenleitern), Hydrantenwagen<br />

(Schlauchkarren) mit Zubehör wie Stand- und Strahlrohren<br />

und Werkzeugen. Zur Waldbrandbekämpfung stehen besondere<br />

Geräte bereit. Die Druckschläuche sind einheitlich<br />

genormt. Es gibt A-Saugschläuchen, B-Druckschläuche mit<br />

75 mm I.W., C-Druckschläuche mit 52 mm l.W. und<br />

25 mm-Schläuche für kleine Handdruckspritzen. Die<br />

Reichskupplung Storz ist in ganz Hohenzollern eingeführt,<br />

während im benachbarten württembergischen Bezirken<br />

teilweise noch die alte Giessbergkupplung verwendet wird.<br />

Kreisschlauchpßegerei. Zur Pflege der Druckschläuche richtete<br />

im Jahre 1941 der Kreisbrandmeister in Hechingen eine<br />

Kreisschlauchpflegerei ein, die heute von den Feuerwehren<br />

der Kreise Hechingen, Sigmaringen und Balingen benützt<br />

wird. Das schadhafte Schlauchmaterial wird dort gewaschen,<br />

in einer neuzeitlichen Trockeneinrichtung durch<br />

Warmluft von innen getrocknet und als dann geflickt und<br />

geprüft.<br />

Alarmmittel sind in den Städten Weckerlinien, in einigen<br />

Gemeinden Sirenen. Meist wird der Alarm durch Hornsignale<br />

und Glockengeläute gegeben.<br />

12<br />

Hydranten. Die meisten hohenzollerischen Gemeinden besitzen<br />

Wasserleitungen, in die ohne Ausnahme Hydranten<br />

eingebaut sind als Entnahmestellen für Löschwasser. In Hohenzollern<br />

sind zwei Hydrantenarten vertreten, die württembergischen<br />

Normalhydranten in betonierten Schächten<br />

und die badischen Hydranten, ebenfalls Unterflurhydranten,<br />

aber ohne Schacht. In den Straßen sind Hinweisschilder<br />

zum leichteren Auffinden der Hydranten bei Schneefall angebracht.<br />

Die Dienstgradbezeichnungen bei den Freiwilligen Feuerwehren<br />

sind: Kreisbrandmeister, Hauptbrandmeister Oberbrandmeister,<br />

Brandmeister, Hauptfeuerwehrmann und<br />

Feuerwehrmann. Die Leiter der örtlichen Feuerwehren<br />

heissen Feuerwehrkommandanten.<br />

Die Uniformierung besteht aus dunkelblauem Rock mit<br />

Rangabzeichen, Stahlhelm und Branddienstgurt.<br />

Unterhaltung. Die Beschaffung und Unterhaltung der<br />

Löschgeräte, die Sorge für Bekleidung und Ausrüstung,<br />

Alarmeinrichtungen, Wasserversorgung und Gerätehäuser<br />

ist Aufgabe der Gemeinden.<br />

Unfallfürsorge. In Hohenzollern besteht eine eigene Unfallfürsorgekasse<br />

für die Feuerwehren, aus der Unterstützungen<br />

gewährt werden.<br />

Auszeichnungen. Für besondere Dienste und treue langjährige<br />

Dienstzeit wurden früher durch den Hohenzollerischen<br />

Landesfeuerwehrverband Feuerwehr-Ehrenzeichen<br />

verliehen.<br />

Feuerwehrmuseum. Im Jahre 1936 wurde mit dem Aufbau<br />

eines Hohenzollerischen Feuerwehrmuseums im Schloss in<br />

Haigerloch begonnen, dem die Gemeinden eine Reihe alter<br />

Geräte und aufschlussreiche Erinnerungsstücke überwiesen.<br />

Seit der Beanspruchung des damaligen Museumsraums<br />

durch das Landwirtschaftsamt sind die Ausstellungsstücke<br />

im alten Rathaus in Hechingen gestapelt aufbewahrt.<br />

Feuerwehrzeitung. Von 1924-1938 bestand die Württembergisch-Hohenzollerische<br />

Feuerwehrzeitung als Organ<br />

des Württ. und des Hohenz. Feuerwehrverbandes. Sie erschien<br />

in Stuttgart. In dieser Zeitung wurden die Verlautbarungen<br />

des Hohenz. Feuerwehrverbandes veröffentlicht.<br />

Der Hohenzollerische Teil der Zeitung wurde vom Vorsitzenden<br />

des Höh. Landesfeuerwehrverbandes, J. Schmid,<br />

Hechingen, redigiert. Ausserdem brachte die Zeitung ausführliche<br />

Berichte über Veranstaltungen und über verdiente<br />

Feuerwehrjubiiiare.<br />

Stand der Motorisierung<br />

a. Kreis Hechingen<br />

Feuerlöschverbände<br />

Feuerlöschverband I Burladingen TS 8 (Tragkraftspritze<br />

mit 800 Liter Leistung in der Minute) mit Anhänger und<br />

Schleppwagen.<br />

Feuerlöschverband II Hechingen LF 15 (Löschfahrzeug mit<br />

1500 Liter Leistung in der Minute) sowie LF 12 (alter<br />

Kreislöschzug).<br />

Feuerlöschverband III Haigerloch, TS 8 mit Anhänger und<br />

Schleppwagen.<br />

Feuerlöschverband IV Empfingen, TS 8 mit Anhänger und<br />

Schleppwagen.<br />

Motorisierte Werksfeuerwehren<br />

Heinrich Maute, Bisingen, TS 8 mit Anhänger und Schleppwagen.<br />

S. Wolf &Cie. Stetten bei Hechingen, TS 8 mit Anhänger<br />

und Schleppwagen.


Stand der Motorisierung des Kreises Sigmaringen<br />

Löschverbände<br />

Sigmaringen LF15<br />

Krauchenwies TS 8<br />

Ostrach TS 8<br />

Wald TS 8<br />

» Standort Liggersdorf TS 8<br />

Gammertingen TS 8<br />

» Standort VeringenstadtTS 8<br />

Kaiseringen • TS 8<br />

Motorisierte Ortsfeuerwehren<br />

Beuron TS 8<br />

Inneringen<br />

Langenenslingen<br />

Trochtelfingen<br />

Sigmaringendorf<br />

Achberg<br />

HERBERT RÄDLE<br />

2 rad. Kraftspritze 8<br />

(Schleppwagen requiriert)<br />

TS 8<br />

TS 8<br />

TS 8<br />

LF 8 (requiriert)<br />

TS 8<br />

Nach dem heutigen Stand der Motorisierung ist Hohenzollern<br />

mit einem Netz von Motorspritzenstationen überzogen.<br />

In jedem 15-km-Umkreis ist eine Kraftspritze verfügbar.<br />

Erläuterungen:<br />

Neuentdeckte Werke von Jörg Stocker:<br />

Der Meister der Ennetacher Tafeln erhält mehr Profil<br />

Als Hauptvertreter der Ulmer Malerei um 1500 werden in<br />

der kunstwissenschaftlichen Literatur allgemein Bartholomäus<br />

Zeitblom und Martin Schaffner genannt. Ihr Zeitgenosse<br />

und Malerkollege Jörg Stocker wird dagegen meist<br />

übergangen. Das Interesse für Stocker beschränkt sich in<br />

der Regel auf die im Fürstlichen Museum Sigmaringen befindlichen<br />

Tafeln des Ennetacher Altars, der 1496 in der Ennetacher<br />

Pfarrkirche aufgestellt wurde und von Stocker signiert<br />

ist.<br />

Auftraggeber des Ennetacher Altars waren wahrscheinlich<br />

die Grafen von Waldburg-Sonnenberg, Herren zu Scheer,<br />

zu deren Gebiet Ennetach gehörte. Das Ennetacher Retabel<br />

ist das einzige datierte und durch Inschrift beglaubigte<br />

Werk Stockers.<br />

Uber Herkunft, Familie und Werkstatt Jörg Stockers ist wenig<br />

bekannt, obwohl der Familienname Stocker in Ulm damals<br />

häufig bezeugt ist. Als Handwerker sind die Goldschmiede<br />

Claus Stocker 1436 und Felix Stocker 1468 in Ulm<br />

ansässig; wahrscheinlich ist der 1485 bezeugte Zimmermannjörg<br />

Stocker der Vater des Malers.<br />

Der Maler Jörg Stocker wird zwischen 1481 und 1527 regelmäßig<br />

in Schriftquellen in Ulm genannt, wo er zunächst in<br />

der Götzengasse und dann in der Vetterngasse wohnt. Sein<br />

Haushalt umfaßt 1517 sechs Personen. Wieviele Werkstattangehörige<br />

darunter mitgezählt sind, ist nicht bekannt.<br />

Neuentdeckte Werke<br />

Stockers Œuvre ist nun in neuester Zeit »erweitert« und<br />

sein Ruf aufgewertet worden dadurch, daß es Daniela v.<br />

Pfeil gelang, zwei Bilder des Ulmer Museums, eine Verkündigung<br />

(Abb. 2) und eine Geburt Christi (nicht abgebildet),<br />

die bisher Martin Schaffner zugeschrieben wurden, als Werke<br />

Jörg Stockers zu identifizieren. Die Autorin stützt ihren<br />

Nachweis 1 in erster Linie auf technologische Untersuchungen<br />

(Infrarotrektographie), aber auch auf andere Beobachtungen.<br />

So wurde, nach Pfeil, auf der Ulmer Geburt Christi<br />

»für die punzierte Goldfläche dieselbe Musterschablone<br />

verwendet wie für die Ennetacher« (S. 203) und »das gemal-<br />

Hechingen, im Juli 1946.<br />

LS Ii: Löschgruppenfahrzeug mit einer Pumpleistung von<br />

1500 1/min.<br />

TS 3 bzw. TS 8: Tragkraftspritze mit einer Pump-Leistung von 300<br />

bzw. 800 1/min.<br />

requiriert: von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt.<br />

Wer kennt ein Werk des Bildhauers Karl Volk aus Jungnau?<br />

Frau Häfner-Volk, die in der Schweiz wohnt, sucht nach Werken<br />

des Jungnauer Bildhauers Karl Volk. Wer in seiner Umgebung<br />

ein Werk von Karl Volk kennt, wird gebeten, Herrn Pfarrer<br />

Franz Gluitz, Kirchplatz 1 in 79286 Glottertal zu benachrichtigen.<br />

Abb. 1: Verkündigungsmr.r:a, Federzeichnung, Stockerwerkstatt<br />

Ulm um 1500. München, Staatliche Graphische Sammlung. Bildnachweis:<br />

wie Abb. 2.<br />

te Muster, mit dem das Ehrentuch hinter Maria auf der Ulmer<br />

Verkündigung (vgl. unsere Abb. 2, rechts oben) versehen<br />

wurde, findet sich identisch auf der Beschneidung Christi<br />

vom Ennetacher Retabel wieder« (ebd.). Außerdem seien<br />

Ubereinstimmungen auch bei der Gestaltung der Gewand-<br />

13


Abb. 2: Verkündigung an Maria, Jörg Stocker, um 1500. Ulm, Ulmer<br />

Museum. Bildnachweis: Ausstellungskatalog wie Anm. 1,<br />

S. 203.<br />

borten und Säume festzustellen. Des weiteren glichen die<br />

Bodenkacheln auf der Ulmer Verkündigungstafel (Abb. 2) -<br />

auch farblich - denen der Ennetacher. Ebenso seien die Lilienblüten<br />

wiederverwendet. Ferner verweist Daniela v. Pfeil<br />

auf überzeugende stilistische Übereinstimmungen zwischen<br />

den Ulmer und den Ennetacher Tafeln (ausführlich S. 204).<br />

Wir zeigen die Ulmer Verkündigungstafel auf unserer Abb.<br />

2 neben einer kürzlich - ebenfalls von der genannten Autorin<br />

- entdeckten Federzeichnung aus der Stocker-Werkstatt<br />

(Abb. 1; Graphische Sammlung München), die eine Verkündigungsmaria<br />

darstellt. Beide Bilder zeigen, von ihrer<br />

großen Ähnlichkeit abgesehen, eine erstaunlich hohe künstlerische<br />

Qualität und sind daher geeignet, das Ansehen des<br />

bisher allgemein unterschätzten Jörg Stocker' als Vertreter<br />

der Ulmer Malerei um 1500 aufzuwerten.<br />

Anmerkungen:<br />

1 Daniela v. Pfeil, Jörg Stocker — ein verkannter Maler aus Ulm,<br />

in: Ausstellungskatalog Württ. Landesmus. Stuttgart 1993,<br />

S. 199-209.<br />

2 Urteile über Stocker finden sich in der in Anm. 1 genannten Arbeit<br />

auf S. 209, 1. So sind für Rott (1934) die Tafelgemälde<br />

Stockers der Inbegriff von »solid-nüchternen Durchschnittsleistungen«.<br />

Stange (1957) beurteilt Stockers Malerei als »herb«,<br />

»kraftlos«, »reizlos« und »phantasielos«. Hingegen bezeichnete<br />

ihn Grüneisen (1840) immerhin als »tüchtigen Meister«.<br />

Buchbesprechungen<br />

Wissen um das demokratische Erbe<br />

Auf vielfältige Weise und vielerorts im Land wurde im vorigen<br />

Jahr an die Revolutionsereignisse von 1848/49 erinnert.<br />

Jetzt besteht die Möglichkeit, sich einen Überblick über die<br />

Geschehnisse vor Ort zu verschaffen und sich »Wissen um<br />

das demokratische Erbe« (Kreisarchivar Dr. Weber) auf hohenzollerischen,<br />

badischen und württembergischen Schauplätzen<br />

unserer Region anzueignen. Im Thorbecke-Verlag<br />

erschien als Band 7 der »<strong>heimat</strong>kundlichen Schriftenreihe<br />

des Landkreises Sigmaringen« das 352seitige, mit Schwarzweißbildern<br />

aufgelockerte Buch »Fiür die Sache der Freiheit,<br />

des Volkes und der Republik« (35 DM; ISBN:<br />

3-931634-02-7). In zwölf Beiträgen werden auf der Grundlage<br />

neuester Forschungsergebnisse Revolutionsabläufe im<br />

Gebiet des heutigen Landkreises Sigmaringen geschildert<br />

und Zusammenhänge verdeutlicht.<br />

Mit einer allgemeinen Hinführung leitet Christel Lührs-<br />

Trugenberger in die Thematik ein. Sie skizziert unter anderem<br />

die damaligen politischen und sozialen Verhältnisse, die<br />

den Boden für die Revolution bereiteten, und schildert die<br />

Abläufe bis hin zu den Revolutionsfolgen und hin zum<br />

Übergang Hohenzollerns an Preußen.<br />

In den folgenden elf Aufsätzen werden verschiedene Revolutionsabläufe<br />

mit ihren lokalen Besonderheiten verdeutlicht.<br />

Dr. Christoph Rieber führt in die »Demokratenhochburg<br />

Sigmaringen«, in der 1848/49 viermal fremdes Militär<br />

eingreifen mußte, wenngleich es bei einer unblutigen Erhebung<br />

für eine demokratische und soziale Republik blieb.<br />

Dr. Rieber erwähnt unter anderem die Rolle des Turnver-<br />

14<br />

eins und jene von Einzelpersonen wie der des Advokaten<br />

Dr. Carl Otto Würth.<br />

Solches vertieft Dr. Andreas Zekorn, der sich in seinem Beitrag<br />

auf die Spuren der Museumsgesellschaft und des Bürgervereins<br />

in Sigmaringen begab. Er nennt politische Gesinnung<br />

und politisches Wirken führender Mitglieder, etwa des<br />

fürstentreuen Hofkammerpräsidenten von Weckherlin, des<br />

liberalen fürstlichen Regierungsdirektors Mock, des radikalen<br />

Demokraten Karl Dopfer oder des Vertreters der Ultramontanen,<br />

des Pfarrers Silvester Miller.<br />

Dr. Herbert Burkarth legt dar, warum, wie und mit welchen<br />

Folgen »das Feuer der Empörung« in und rund um Gammertingen<br />

während der Jahre 1848/49 loderte. Er erinnert<br />

unter anderem an Volksbewaffnung, Bürgerwehr (mit Musikzug),<br />

Schießstand im Weihtäle und Munitionslager in der<br />

Michaelskirche, aber auch an Führungspersönlichkeiten wie<br />

Advokat Aicheier oder Bürgermeister Reiser. Zu den positiven<br />

Folgen der Revolution für Gammertingen zählten die<br />

Vergrößerung und Stärkung des Oberamtsbezirks, die Ab-


Schaffung alter Abgaben und Dienste sowie das Aufblühen<br />

des Vereinslebens.<br />

In seinem Aufsatz über die Revolution in Pfullendorf konnte<br />

Dr. Edwin Ernst Weber unter anderem auf die Aufzeichnungen<br />

des Malers Johann Nepomuk Lang zurückgreifen.<br />

In der badischen Amtsstadt spielte sich auch Kurioses ab.<br />

So kam es am 28. Juni 1849 zu einer Schlägerei im Wirtshaus<br />

und auf der Straße, und die 1846 beschafften Kanonen des<br />

Bürgermilitärs wurden für die, die sie nutzten, zur lebensgefährlichen<br />

Waffe. Bei unkontrollierten Explosionen kam<br />

es beinah zur Katastrophe, und zwei Männer wurden lebensgefährlich<br />

verletzt. Nichts zu lachen hatten auch die<br />

Pfullendorfer Revolutionäre nach der militärischen Besetzung<br />

der Stadt, und das politische Klima in Pfullendorf war<br />

über Jahre hinweg massiv vergiftet. Für einen Pfullendorfer<br />

verlief das Streben nach Freiheit vor 150 Jahren besonders<br />

tragisch. Konrad Heilig, der es zum Kommandant der Festungsartillerie<br />

in Rastatt gebracht hatte, wurde am 11. August<br />

1849 von den Preußen vor ein Standgericht gestellt und<br />

erschossen.<br />

Armin Heim verdeutlicht in seinem Beitrag, daß Meßkirch<br />

ein besonderer Nährboden revolutionären Gesinnung war,<br />

wobei Bürgermeister Emmert eine entscheidende Rolle<br />

spielte. Als einer der »größten Wühler« mit republikanischer<br />

Gesinnung galt auch der Bietinger Kaplan Johann<br />

Ehing, der deswegen suspendiert wurde. Als rühriger Revolutionär<br />

und Wortführer der Meßkircher Demokraten trat<br />

zudem Adlerwirt Johann Baptist Roder (1814-1890) in Erscheinung.<br />

Nach der Revolution wurde gegen 46 Meßkircher<br />

gerichtlich wegen Hochverrats ermittelt; 27 Angeklagte<br />

wurden mit Vermögensbeschlagnahmung bestraft, in 16<br />

Fällen wurde Haftstrafe verhängt.<br />

An den Unruhen in Meßkirch hatten auch Frauen großen<br />

Anteil. Darüber informiert Margret Maunz in dem Thorbecke-Buch.<br />

Treibender Motor war der demokratische<br />

Frauenverein, geleitet von Creszentia Kolb, geborene Vollmer,<br />

der Frau des Oberlehrers Alois Kolb, der den Volksverein<br />

mitbegründet hatte.<br />

Über die soziale Lage und unbefriedigenden wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse vieler Bürger im Amtsbezirk Meßkirch,<br />

besonders über die prekäre Situation der Bauern, berichtet<br />

Markus Vonberg. Für Arger unter den Bauern sorgten besonders<br />

die zu entrichtenden Abgaben, Fronden, Zehnten<br />

und sonstigen Lasten. Tief war das Mißtrauen gegen die<br />

fürstlich-fürstenbergische Verwaltung und entsprechend<br />

gereizt die Stimmung. Durch die nach und nach errungenen<br />

Zugeständnisse wurden die gröbsten Mißstände beseitigt.<br />

Ahnlich prekär waren die wirtschaftlichen Verhältnisse im<br />

badischen Amtsort Stetten a. k. M., wie Erika Jeuck darlegt.<br />

Sie schildert die Protestaktionen der Gemeinde-Vertreter<br />

gegen Graf Ludwig von Langenstein, die Forderungen der<br />

Bauern und den einvernehmlich abgeschlossenen Vergleich.<br />

Hauptakteur und Wortführer war seinerzeit Stettens Bürgermeister<br />

Franz Räfle, der sich durch Flucht in die Schweiz<br />

einer Bestrafung entziehen konnte. Er wurde als Hochverräter<br />

verurteilt, und auch gegen die übrigen Teilnehmer an<br />

der Revolution wurde hart vorgegangen.<br />

Andreas Ruess, Anton Stehle und Helmut Göggel legen in<br />

drei Aufsätzen das Revolutionsgeschehen in den württembergischen<br />

Amtsstätten Saulgau und Mengen sowie im Bereich<br />

der thurn- und taxisschen Standesherrschaft Friedberg-Scheer<br />

dar. In Saulgau engagierte sich besonders das<br />

mittlere und gehobene Bürgertum für die Demokratie. Sehr<br />

eifrig war Stadtschultheiß Georg Caspar Neidlein, der Petitionen<br />

und Versammlungen initiierte und auch Auseinandersetzungen<br />

mit dem konservativen Bürgerwehrkomman-<br />

danten oder dem ungeliebten Oberamtmann Cunradi nicht<br />

scheute.<br />

In Mengen gab es viele ortsspezifische Probleme. Die Einwohner<br />

waren unzufrieden mit der städtischen Obrigkeit,<br />

deren Amtsführung und Machtausstattung. Unbeliebt war<br />

beispielsweise auch der neue Forstfachmann. Die Mengener<br />

wollten die bestehende Revolutionsstimmung nutzen, um<br />

eine Beseitigung ihrer lokalen Probleme mit zu erreichen,<br />

was zum Teil auch gelang.<br />

Zugeständnisse wurden auch von der thurn- und taxisschen<br />

Standesherrschaft ertrotzt. Sie betrafen unter anderem die<br />

Beseitigung der Feudallasten, Verbesserungen im Wahlrecht<br />

und im kommunalen Geschehen. Wortführer in Scheer waren<br />

Schultheiß Gottfried Hanst, Amtsrichter von Rom und<br />

Kaplan Ama.<br />

Baden-Württemberg besitzt viele Attraktionen. Dazu<br />

zählen die sieben regionalen ländlichen Freilichtmuseen.<br />

Eins davon befindet sich in hohenzollerischer Nähe, in<br />

Neuhausen ob Eck. Ihm und den anderen sechs Kleinoden<br />

(Walldürn-Gottersdorf, Wackershofen, Beuren, Gutach,<br />

Kürnach und Wolfegg) hat der Stuttgarter Graphiker und<br />

Fotograf Uli Kreh einen prächtigen Bildband gewidmet. Er<br />

ist unter dem Titel »Zeugen einer Vergangenheit« im Silberburg-Verlag<br />

Tübingen erschienen (200 Seiten, 452 Farbbilder,<br />

Großformat, ISBN: 3-87407-280-0; 58 DM).<br />

»Zeugen einer Vergangenheit«, ausgestattet mit aussagestarken<br />

Fotos, deren Betrachtung manche Erinnerung weckt<br />

und Lust macht, sofort vor Ort zu fahren, ist mehr als ein<br />

bloßer Bildband, der Sehenswürdigkeiten dokumentiert.<br />

Die Texte beschränken sich keineswegs nur auf Bildunterschriften.<br />

Beigefügt ist immer ein geschichtlicher Aufriss, in<br />

dem Entstehung und Werdegang der Schaustücke dargelegt<br />

werden. Hingewiesen wird zudem auf Tierhaltung, auf<br />

Handwerkertage und sonstige Veranstaltungen im Museumsbereich.<br />

So weckt das Buch nicht nur Aufmerksamkeit,<br />

es stellt auch eine Anerkennung für alle dar, die mit<br />

Hilfe des Landes durch die Schaffung der Freilichtmuseen<br />

mehr als 150 Bauernhäuser und dörfliche Gebäude, die an<br />

ihrem alten Standort nicht mehr gehalten werden konnten,<br />

vor dem Untergang gerettet haben und die nun Zeugnis ablegen<br />

vom früheren Leben und Arbeiten der Menschen in<br />

unserer Heimat.<br />

Uli Rothfuss aus Trossingen hat 20 kleinstädtische Episoden<br />

aus Schwaben, die sich während des Nazi-Regimes zugetragen<br />

haben, szenisch aufgearbeitet und im Buch »Die Hitlerfahn'<br />

muß weg!« vorgelegt (Silberburg-Verlag, 95 Seiten,<br />

ISBN: 3-87407-289-4). Dramatik ist beim Lesen zu spüren,<br />

und die 20 Stationen eignen sich gut zur Aufführung in Theatergruppen:<br />

in Schulen und darüber hinaus. So ähnlich haben<br />

sich die Ereignisse wohl überall in unserem Land abgespielt.<br />

Sie erinnern an Unterdrückung und Ausgrenzung von Minderheiten,<br />

an Macht und blinden Gehorsam, an Ohnmacht<br />

und Mitläufertum, an das Zur-Seite-Schauen und an die<br />

Hoffnung und den Widerstand einzelner Mutiger.<br />

Von Pfarrer Rudolf Paul liegt ein weiterer Band aus der Reihe<br />

»D Bibel für Schwoba« vor, diesmal die Übertragung des<br />

2. Buchs Mose (Exodus) in unsere Mundart. Er hat den Titel<br />

»D Befreiong« und ist im Silberburg-Verlag erschienen (175<br />

Seiten, ISBN: 3-87407-281-9). Der Autor sieht in der<br />

Mundart ein Mittel, den Menschen Bibel und Evangelium<br />

auf »heimelige Art« nahezubringen. Gerd Bantle<br />

15


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

E 3828<br />

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />

Register 1998<br />

Seite<br />

Bingen, die Herren von Hornstein und das Dorf<br />

Bingen 20<br />

Bubenhoven, Das unrühmliche Ende der Gebrüder<br />

Hans Casper und Hans Wolf von Bubenhoven, Söhne<br />

des Landhofmeisters Johannes I. von Bubenhoven 38<br />

Buchbesprechungen<br />

Zwischen Alb und Bodensee, Radwanderführer 67<br />

Hornstein, Beiträger zur Geschichte von Burg,<br />

Familie und Herrschaft 14<br />

Bildband von Inneringen erschienen 35<br />

Der Meister von Meßkirch 15<br />

Lebenslese, Erinnerungen eines Wengerters 16<br />

Reutlingen, kleiner Bildband vom Silberburgverlag 16<br />

Von Rittern, Bauern und Gespenstern und die Welt ist<br />

die Welt 15<br />

Revolution von 1848/49 im Oberamt Riedlingen 51<br />

Revolution im Südwesten, Stätten der Demokratie<br />

bewegung in Baden-Württemberg 52<br />

Die Jagd nach dem heiligen Stab, Roman von Peter<br />

Thaddäus Lang 67<br />

Zum Feuerlöschwesen im Hohenzollerischen 63<br />

Glatt, was bietet die Heimat ihren Kindern 12, 34, 48<br />

Gauggel Anton, »Die Posaune der Freiheit schallt<br />

über die deutsche Erde«, Anton Gauggel - Ein<br />

hohenzollerischer Freischärler in der Revolution<br />

von 1848/49 54<br />

Harthausen a. d. Scheer, Die Seelsorger von Harthausen<br />

a. d. Scheer 49<br />

Hechingen, Die Hechinger Bürgerwehr während der<br />

Revolution von 1848/49 31<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 16 38, 72486<br />

Sigmaringen.<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung im alten Land<br />

Hohenzollern und den angrenzenden Landesteilen<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat<br />

vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s ist der Bezugspreis im<br />

Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />

DM 13,00 jährlich.<br />

Abonnements und Einzelnummern (DM<br />

3,25) können beim Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

(s. o.) bestellt werden.<br />

16<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Gerd Bantle<br />

Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Dr. Otto H. Becker<br />

Hedingerstraße 17, 72488 Sigmaringen<br />

Dr Peter Thaddäus Lang<br />

Stadtarchiv, 72422 Albstadt<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13 a, 92318 Neumarkt<br />

Dr. Edwin Ernst Weber, Kreisarchivrat<br />

Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />

Hechingen, Eine bedeutende Neuerwerbung des<br />

Staaatsarchivs: Der Nachlaß Täglichsbeck 7<br />

Hechingen, Thomas Täglichsbeck (1799-1867) 30<br />

<strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong>, zur<br />

Wiedergründung vor 50 Jahren 18<br />

<strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong>, Jahresversammlung<br />

1998 67<br />

Das Schwert im hohenzollerischen Kürbis, Veranstaltung<br />

zur Revolution von 1848/49 in Hohenzollern<br />

65<br />

Inzigkofen, Die Meinradskapelle im Fürstlichen Park<br />

in Inzigkofen 61<br />

Inzigkofen, Ein weiteres Jubiläum: 50 Jahre Volkshochschulheim<br />

Inzigkofen 29<br />

Isny, Zwei Brakteaten der Münzstätte Isny -<br />

Schwäbische Grafen als Städtegründer und<br />

Münzherren 44<br />

Mengen, Zum Tode des Altbürgermeisters und<br />

Kunstförderers Hermann Zepf 4<br />

Neufra, Das Hochaltarbild der Muttergotteskapelle 2<br />

September, Gedicht von Maria Leibold 50<br />

Stetten a. k. M. Vor 190 Jahren sollte Stetten a. k. M.<br />

württembergisch werden 8<br />

Sigmaringen, Das ehemalige Denkmal Kaiser<br />

Wilhelms I. in Sigmaringen 10<br />

Der Sigmaringer Leopoldplatz - Notizen zu seiner<br />

Geschichte, Gestalt und Funktion Teil 2 22<br />

Sigmaringer Revolutionäre im »Zollernschen Hof«<br />

Ölbild von 1848 53<br />

Stoll, Meine Erinnerungen an das Revolutionsjahr 1848 45<br />

Michael Walter, zur Erinnerung an Michael Walter<br />

1876-1958 43<br />

Gesamtherstellung:<br />

Jan Thorbecke Verlag,<br />

72488 Sigmaringen, Karlstraße 10<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiterzuempfehlen.


KARL WERNER STEIM<br />

HÖH ENZOLLER ISCHE<br />

HEIMAT<br />

Haigerlocher Brauchtum im Jahreslauf<br />

Der Jahreslauf war früher - mehr als heute - unterbrochen<br />

durch verschiedene Feste und Feiern, die an bestimmte Tage<br />

gebunden waren. Dazu gehörten sowohl kirchliche als auch<br />

weltliche Feste (1). Nachstehend soll ein Rundgang durch<br />

das Jahr in Haigerloch mit seinem Brauchtum gegeben werden,<br />

wie es überwiegend anhand von Akten ermittelt werden<br />

konnte. Für mündliche Auskünfte sei vor allem den Geschwistern<br />

Rosa (1898-1992) und Sofie Trenkle (Jahrgang<br />

1901) sowie Gertrud Zimmermann (1903-1992) gedankt.<br />

E 3828<br />

Herausgegeben vom<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

49. Jahrgang Nr. 2 / Juni 1999<br />

Das Jahr beginnt zwar am 1. Januar, doch an diesem Tag mit<br />

dem Uberblick anzufangen, wäre problematisch. Erstens<br />

würden damit die Weihnachtstage bis Dreikönig auseinandergerissen,<br />

die auch im Brauch zusammengehören. Zweitens<br />

markiert der 1. Januar den Jahresbeginn noch nicht sehr<br />

lange: erst im Jahre 1691 hat Papst Innozenz ihn als kirchliches<br />

Fest bestätigt. Es ist daher meist üblich, mit dem Ende<br />

des Arbeitsjahres zu beginnen, das mit dem Martinstag,<br />

dem 11. November, gleichgesetzt wird.


Martini - 11. November<br />

Der heilige Martin wurde 317 oder 336 in Pannonien geboren.<br />

Er wurde Soldat, ließ sich taufen und gründete um 370<br />

das erste abendländische Kloster bei Poitiers. Später wurde<br />

er Bischof von Tours. Er starb dort um das Jahr 400 und<br />

wurde an einem 11. November begraben. Bekannt ist die<br />

Legende, nach der er seinen Mantel mit einem Bettler teilte.<br />

Im 5. Jahrhundert wurde er heiliggesprochen. Kirchen und<br />

Kapellen sind ihm u. a. auf der Burg Hohenzollern, in Burladingen,<br />

Hechingen, Heiligenzimmern und Rangendingen<br />

geweiht (2). Dank seiner frühen Verehrung war der Martinstag<br />

schon im Mittelalter ein wichtiger Termin. Außerdem<br />

begann um diese Zeit die Adventsfastenzeit. Es ist verständlich,<br />

daß man vorher noch einmal kräftig feiern wollte,<br />

und da bot sich der Martinstag an. Davon dürfte auch der<br />

Begriff der Martinsgans stammen. Martini war aber vor allem<br />

ein Rechtstermin, an dem die meisten Zehnten eingeliefert<br />

und auch die Zinsen und sonstigen Abgaben bezahlt<br />

werden mußten. Solange es Knechte und Mägde gab, war<br />

dies der wichtigste Termin, die Dienstboten zu wechseln.<br />

Schließlich war Martini ein wichtiger Markttermin. Weit<br />

verbreitet sind die herbstlichen Laternenumzüge der Kinder,<br />

meist um oder am Martinstag. Dieser Brauch kam aus<br />

Norddeutschland. Dazu paßt ein weiterer Spätherbstbrauch:<br />

die Rübengeister - ausgehöhlte Rüben, in die ein<br />

Gesicht geschnitten wird. Man setzt eine Kerze in die Rübe<br />

und diese gelegentlich auf einen Stecken.<br />

Barbaratag - 4. Dezember<br />

Die Sitte, Barbarazweige zu schneiden und im Hause zum<br />

Blühen zu bringen, ist schon etliche Jahrzehnte alt. Dabei<br />

handelt es sich meist um Edelkirschen- oder Forsythienzweige,<br />

die man am Barbaratag, also am 4. Dezember, ins<br />

Wasser stellt - an Weihnachten sollen sie blühen. Wie sich<br />

Gertrud Zimmermann erinnerte, war dieser Brauch schon<br />

in ihrer Kindheit üblich. In der Gärtnerei Haas/Zimmermann<br />

schnitt man etwa zehn Tage vor dem Barbaratag<br />

Zweige, holte sie ins Haus und ließ sie vortreiben, damit sie<br />

an Weihnachten blühten. Diese Zweige wurden dann verkauft.<br />

Beim Flieder gelang es sogar, kleine Dolden hervorzubringen<br />

mit dem typischen Fliederduft.<br />

Nikolaustag - 6. Dezember<br />

Nikolaus war im 4. Jahrhundert Bischof von Myra in<br />

Kleinasien. Um ihn ranken sich viele Legenden. Im 10./11.<br />

Jahrhundert kam seine Verehrung auch nach Deutschland.<br />

In der Folge wurde Nikolaus Patron vieler Kirchen, in unserem<br />

Raum zum Beispiel in Haigerloch, Bisingen, Hospach<br />

und Kremensee; Altäre sind ihm außerdem in Empfingen,<br />

Hechingen, Hart, Gruol und Grosselfingen geweiht<br />

(3). Der hl. Nikolaus muß in Haigerloch schon sehr früh<br />

verehrt worden sein; nicht umsonst trägt die Unterstadtkirche<br />

sein Patrozinium, das seit 1350 genannt wird (4). Früher<br />

wurde der Nikolaustag in der Unterstadtkirche feierlich begangen,<br />

wie Rosa Trenkle berichtete. In den ersten Jahrzehnten<br />

unseres Jahrhunderts war der Nikolaus in schlechte<br />

Kleidung gehüllt, allenfalls lieh man sich die sehr seltenen<br />

Pelzkittel von Haigerlocher Ärzten aus. Gertrud Zimmermann<br />

erinnerte sich noch mit Schrecken daran, daß man vor<br />

dem Besuch von St. Nikolaus Angst gehabt habe; auch<br />

Knecht Ruprecht habe sich sehr wüst aufgeführt und mit<br />

seinem Kettenrasseln die Angst der Kinder noch verstärkt.<br />

Lange Jahre wirkte Zimmermeister Heinrich Huber als Nikolaus.<br />

Die Oberamtsbeschreibung von 1928: »Das Fest des<br />

hl. Nikolaus, der >SantiklostagSanti Klos, Butterballa, laß<br />

mir a paar Äpfl falla!< Auch kommt heute noch der St. Nikolaus<br />

in Bischofstracht am Vorabend des 6. Dezember in<br />

die Häuser.« Rosa Trenkle berichtete vom Nikolaus-Besuch<br />

im alten Kindergarten, der sich in der Pfluggasse befand.<br />

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg trat Nikolaus meist als<br />

ehrwürdiger Bischof in weißem Meßgewand mit Krummstab,<br />

Bischofsmütze und vor allem einem wallenden Bart<br />

auf (jahrzehntelang von Paula Klumpp dargestellt). Ganz<br />

im Gegenteil war dazu der Knecht Ruprecht gekleidet, der<br />

stets einen großen Sack mit sich führte, in dem sowohl<br />

Süßigkeiten und kleine Geschenke für Kinder waren, wo<br />

diese aber durchaus einmal verschwinden konnten, wenn<br />

sie während des Jahres nicht artig waren.<br />

Advent<br />

Der Advent ist die Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Als<br />

noch sehr jung im adventlichen Brauchtum ist der Adventskranz<br />

zu bezeichnen. Mögliche Vorläufer waren die seit<br />

dem 16. Jahrhundert bezeugten »Weihnachtsmaien«, grüne<br />

Zweige, auf »Christ- und Lichterkronen«. Der Adventskranz<br />

selbst soll auf das »Rauhe Haus« bei Hamburg, eine<br />

Erziehungsanstalt, zurückgehen, die seit 1833 bestand. Dort<br />

gab es eine besondere Form der Adventsandacht: Zunächst<br />

wurden Wachslichter an der Orgel aufgestellt und bei der<br />

Verlesung des Textes entzündet; später wurde »auf dem<br />

Kronleuchter des Saales vom ersten Advent an mit jedem<br />

Tag ein Licht mehr angezündet«; der Leuchter hatte also<br />

Platz für 28 Lichter. Auch der Schmuck mit Tannengrün<br />

scheint um die Mitte des letzten Jahrhunderts dazugekommen<br />

zu sein. Später verbreitete sich der Brauch, wobei er<br />

vermutlich während des Ersten Weltkrieges über norddeutsche<br />

Lazarette, wo Adventskränze hingen, in den Süden<br />

kam (5). Der Adventskranz war noch in den 20er und 30er<br />

Jahren unseres Jahrhunderts im Südwesten kaum verbreitet.<br />

Gertrud Zimmermann berichtete aber, daß schon während<br />

des Ersten Weltkrieges in Haigerloch einige Adventskränze<br />

geflochten wurden. Später nahm diese mühevolle Arbeit für<br />

die Gärtnerei Haas/Zimmermann stark zu. Gebunden wurden<br />

einfache Weißtannenkränze über einem Holzreifen.<br />

Geschmückt wurden die Adventskränze schon damals mit<br />

vier roten Kerzen und roten Bändern.<br />

Weihnachten<br />

Das Weihnachtsfest, die Geburt Christi, wird seit dem 4.<br />

Jahrhundert gefeiert. Auf dem Konzil von Konstantinopel<br />

(381) wurde es auf den 25. Dezember festgelegt und 813<br />

zum Feiertag bestimmt.<br />

Stark besucht waren jeweils die drei Messen am ersten<br />

Weihnachtsfeiertag (Engelamt, Hirtenamt, »Missa in die«).<br />

1875 - und wohl auch sonst üblich - wurden Engelämter in<br />

der Unterstadt- und St. Annakirche gehalten, Hirtenamt<br />

und Hauptgottesdienst (vor ausgesetztem Allerheiligsten)<br />

in der Schloßkirche. Am Nachmittag war feierliche Vesper<br />

(6). »Die Sitte, zu Weihnachten allerlei Gebäck herzustellen,<br />

besonders die sog. Springerle und das Hutzelbrot oder Birnenbrot,<br />

d. h. Brot mit getrockneten Birnen (Hutzeln) und<br />

andern Zutaten, ist noch weit verbreitet«.<br />

Untrennbar zu Weihnachten gehört der Christbaum. Die<br />

ältesten Belege dafür in Deutschland stammen aus dem 16.<br />

Jahrhundert. Es handelte sich um »wynacht mayen« (7).<br />

Der Brauch entwickelte sich aus den damals schon üblichen<br />

»Maien«, unter denen man nicht nur Maibäume verstand,<br />

sondern grüne Zweige und Bäumchen, die zu allen möglichen<br />

Festlichkeiten aufgestellt wurden. Im 18. Jahrhundert<br />

wurde der Weihnachtsbaum im Schwäbischen allmählich


5ofcn¿oU*rtf4K Confec<br />

Mitteilungen aus dem <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Veranstaltungen im 3. Quartal 1999<br />

Seminare<br />

I.<br />

Wegen weiterhin großen Zuspruchs wiederholen der<br />

Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> e. V. und der Verein<br />

für Familien- und Wappenkunde in Württemberg und<br />

Baden e.V. am Freitag, 23. Juli, von 10 bis ca. 17 Uhr im<br />

Staatsarchiv in Sigmaringen das<br />

»Archivseminar<br />

für <strong>heimat</strong>- und familienkundlich Interessierte«<br />

Programm:<br />

10.00 Uhr Begrüßung<br />

10.15 Uhr Genealogische und ortsgeschichtliche<br />

Quellen in südwestdeutschen Archiven<br />

(Dr. Trugenberger)<br />

(Kaffeepause 11.15 Uhr-11.30 Uhr)<br />

II.30 Uhr Einführung in die Bestände des Staatsarchivs<br />

Sigmaringen (Dr. Becker)<br />

Mittagspause 12.30 Uhr - 13.30 Uhr)<br />

13.30 Uhr Hinweise auf die Benutzung des Staatsarchivs<br />

Sigmaringen (Dr. Becker)<br />

14.00 Uhr Ausgewählte Quellengattungen zur Ortsund<br />

Familiengeschichte (Dr. Becker/Dr. Trugenberger)<br />

(Kaffeepause 15.00 Uhr - 15.15 Uhr)<br />

15.15 Uhr Schlußdiskussion<br />

15.45 Uhr Archivführung<br />

(Dr. Becker/Dr. Trugenberger)<br />

Der Unkostenbeitrag beträgt für Mitglieder des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s oder des Vereins für Familien-<br />

und Wappenkunde 20 DM, für Nichtmitglieder<br />

30 DM pro Person.<br />

II.<br />

Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> e. V. und der<br />

Verein für Familien- und Wappenkunde in Württemberg<br />

und Baden veranstalten am Freitag, 24. September, von<br />

13 Uhr bis ca. 17 Uhr im Staatsarchiv in Sigmaringen unter<br />

der Leitung von Archivrat Dr. Ziwes, Sigmaringen,<br />

ein Nutzerseminar<br />

»Einführung in die Chronologie«<br />

Welcher Kalendertag war der in einem Kirchenbuch erwähnte<br />

23. Sonntag nach Trinitatis 1716? Warum wurde<br />

- wie im Kirchenbuch vermerkt - in einem württembergischen<br />

Dorf Konrad Oswald von kaiserlichen Soldaten<br />

am 5. September 1634 erstochen, obwohl die kaiserlichen<br />

Truppen das Herzogtum Württemberg erst heimsuchten,<br />

nachdem sie die Schweden am6. September 1634 in<br />

Nördlingen geschlagen hatten? Warum kann ein Ritter<br />

am 26. Dezember 1420 eine Urkunde ausstellen, obwohl<br />

er bereits im Juni 1420 gestorben ist? Welcher Kalendertag<br />

war der Dienstag nach Katharina 1388?<br />

Auf alle diese Fragen und noch mehr gibt o. g. Seminar<br />

Auskunft.<br />

Der Unkostenbeitrag beträgt für die Mitglieder des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s oder des Vereins für<br />

Familien- und Wappenkunde 10 DM, für Nichtmitglieder<br />

15 DM.<br />

Nähere Auskünfte über die beiden Seminare erteilt Frau<br />

Liebhaber im Staatsarchiv Sigmaringen (Tel.<br />

07571/101-558).<br />

Vorankündigung<br />

Die Landkreise Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen und<br />

der Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong><br />

e. V. laden alle Geschichtsfreunde zum<br />

Besuch der Vortragsveranstaltung<br />

» Vorderösterreich an oberem Neckar<br />

und oberer Donau«<br />

am Samstag, 16. Oktober 1999, ab 9.30 Uhr in die Ho-<br />

henberghalle in Schömberg-Schörzingen ein.<br />

Programm:<br />

9.30 Uhr Grußworte<br />

10.00 Uhr Bernhard Rüth, Der Übergang der Herrschaft<br />

Schramberg an Österreich<br />

10.40 Uhr Kaffeepause<br />

11.00 Uhr Hans Peter Müller, Oberndorf als vorderösterreichische<br />

Stadt<br />

11.40 Uhr Dr. Hans-Joachim Schuster, Fridingen<br />

und Spaichingen, Die »Hauptorte« Oberhohenbergs<br />

ca. 12.20 Uhr Mittagspause<br />

14.00 Uhr Dr. Edwin Ernst Weber, Landeshoheit von<br />

»oben« versus Herrschaftverdichtung von<br />

»unten«. Territorialherrschaft in Vorderösterreich<br />

und Fürstenberg-Meßkirch am<br />

Beispiel der Untertanendörfer Engelswies<br />

und Kreenheinstetten<br />

14.40 Uhr Dr. Andreas Zekorn, Unter dem Schutzflügel<br />

des Kaiseradlers: Die Grafschaften<br />

Sigmaringen und Veringen als österreichische<br />

Lehen<br />

15.20 Uhr Kaffeepause<br />

15.45 Uhr Karlheinz Geppert M. A., Die vorderösterreichischen<br />

Städte Schömberg und<br />

Binsdorf<br />

16.25 Uhr Dr. Martin Zürn, Die vorderösterreichische<br />

Herrschaft Kallenberg<br />

Ende der Nachmittagsveranstaltung: ca.<br />

17.15 Uhr<br />

18.00 Uhr Empfang des Zollernalbkreises und der<br />

20.00 Uhr<br />

Stadt Schömberg (mit Abendessen)<br />

Musikalische Umrahmung: Volkstanzmu-<br />

sik Frommern<br />

Grußworte<br />

20.15 Uhr Prof. Dr. Franz Quarthai, Habsburg am<br />

oberen Neckar und der oberen Donau<br />

gez.: Dr. Becker<br />

Vorsitzender<br />

19


heimisch, galt aber bis Ende des 19. Jahrhunderts immer<br />

noch als sehr selten. Vor allem in den Dörfern muß der<br />

Christbaum noch lange als Luxus angesehen worden sein,<br />

den sich nur die reichsten Bauern leisteten.<br />

Es ist nicht bekannt, ob es sich bei den »Tännlein«, die der<br />

spätere berühmte Haigerlocher Barockbaumeister Christian<br />

Großbayer laut Stadtgerichtsprotokoll in seiner Jugend<br />

»umgehauen« hat, schon um Christbäume handelte (8).<br />

Auch in Haigerloch waren die Christbäume vor der Jahrhundertwende<br />

selten. Im Jahre 1897 übernahm die Stadt<br />

erstmals den öffentlichen Verkauf der Christbäume, was<br />

darauf schließen läßt, daß es erst jetzt eine stärkere Nachfrage<br />

gab und die Bäume vorher wohl nur vereinzelt abgegeben<br />

wurden (9). Damals wurde festgelegt, daß der bisherige<br />

Waldbannwart Josef Geigentasch mit Rücksicht darauf, daß<br />

er und seine Vorgänger »für die Abgabe von Christbäumchen<br />

ein Trinkgeld von den Abnehmern für sich beanspruchen<br />

durften«, 8 Mark als Ersatz für die entgangene<br />

Einnahme erhalten sollte. Das war zugleich die Hälfte des<br />

Erlöses aus dem Christbaumverkauf; die Stadt erhielt nämlich<br />

für 55 Bäume 16,55 Mark. Der Stadtrechnung lassen<br />

sich interessante Details entnehmen. Die Kinderschule erhielt<br />

einen Baum geschenkt. Die Frage, warum zehn Familien<br />

gleich zwei Bäume kauften, ist nicht leicht zu beantworten.<br />

Vermutlich gaben sie die Christbäume an Bekannte<br />

oder an Verwandte weiter. Angesichts einer Zahl von rund<br />

350 bis 400 Haushaltungen ist die Zahl der 55 Christbäume<br />

als gering einzustufen. Und wer leistete sich einen Baum? In<br />

erster Linie war es tatsächlich die sogenannte Oberschicht<br />

(darunter viele Beamte) wie beispielsweise Bürgermeister<br />

Münzer, Kaufmann Schönbucher, Uhrmachermeister Julius<br />

Huber, die Sekretäre Schneider, Meßmer, Hardt und Emter,<br />

Apotheker Glaiber, Bezirksgeometer Eble, Postverwalter<br />

Möder, Gerichtsdiener Eisenhauer, Amtsrichter Kraus,<br />

Hauptlehrer Fink, Stadtbaumeister Wilhelm Schönbucher,<br />

Baumeister Schäfer, Stadtrechner Büchle sowie die Gastwirte<br />

Wilhelm Zöhrlaut, Posthalter Linsenmann, Bierbrauer<br />

Wilhelm Maier, Bäckermeister Mang und Hirschwirt Mock.<br />

Gekostet hat ein Baum - es findet sich ȟbrigens nur die Bezeichnung<br />

»Christbaum« und »Christbäumehen« - 10 bis<br />

80 Pfennige. Bei einem Tagesverdienst für einen Handwerker<br />

von 2 bis 3 Mark waren die Bäume nicht gerade billig.<br />

Wie aus der Stadtrechnung auch hervorgeht, wurden die<br />

Christbäume im Unterstadtwald geschlagen. Hermann<br />

Wannenmacher erhielt für einen Tag Arbeit 2 Mark, Gallus<br />

Schwenk, der eine Fuhre abholte, 1,50 Mark. Im folgenden<br />

Jahr verkaufte die Stadt 68 (Vorjahr 55) Christbäume, unter<br />

ihnen an Seehofpächter Späth, Dr. Mock, Amtstierarzt<br />

Bühler, die evangelische Kirchengemeinde und Amtsrichter<br />

Hodler. Die Preise betrugen zwischen 0,30 und 1,50 Mark,<br />

der Gesamterlös 35,45 Mark. 1899 waren es nur 51 Bäume,<br />

die zwischen 0,30 und 1 Mark kosteten, insgesamt 22, 10<br />

Mark (10). Man kann also nicht davon sprechen, daß der<br />

Christbaumverkauf gleich von Anfang an einen starken<br />

Aufschwung genommen hätte. Andererseits muß man<br />

berücksichtigen, daß wohl auch Private Christbäume abgaben.<br />

Der Christbaumverkauf war im Prinzip immer Sache der<br />

Stadt, erinnerte sich Gertrud Zimmermann, wobei aber<br />

GERD BANTLE<br />

früher viele Leute - aus einer Art Gewohnheitsrecht - ihre<br />

Christbäume selbst im Wald geholt hätten. Einzelne Bauern,<br />

auch aus Owingen, verkauften ebenfalls Bäume. Der<br />

Christbaumschmuck, bunte Glaskugeln aller Art, Christbaumspitzen<br />

und sehr feines »Engelshaar«, kam damals aus<br />

dem Erzgebirge. Der Baum bekam als Zierde Äpfeln und<br />

»Kringele«. Letztere waren ein einfaches Buttergebäck, das<br />

mit einem Glas ausgestochen wurde. Selbst das Backen war<br />

für die Kinder eine Freude; da wurde schon der Teig »versucht«.<br />

Die Gärtnerei Haas/Zimmermann verkaufte kleine<br />

Tischbäumehen.<br />

Der erste lichtergeschmückte Weihnachtsbaum im Freien<br />

soll erst 1912 auf dem Madison Square in New York aufgestellt<br />

worden sein (11). Nach dem Ersten Weltkrieg trat der<br />

neue Brauch seinen Siegeszug in Deutschland an. Die Nationalsozialisten<br />

bemächtigten sich sofort des jungen Brauches,<br />

der Baum sollte die Volksweihnacht der Volksgemeinschaft<br />

symbolisieren. Öffentliche Christbäume wurden in<br />

Haigerloch erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellt: am<br />

Marktplatz, vor dem Rathaus und in der Oberstadt. Die<br />

recht stattlichen Bäume wurden mit Ketten elektrischer<br />

Lichter geziert.<br />

Bescheiden ging es früher noch in Sachen Geschenke zu.<br />

Von Eltern, Taufpaten und Großeltern gab es vor allem etwas<br />

zum Anziehen, für die Mädchen Puppen und für die<br />

Buben - als höchstes der Gefühle - vielleicht eine Dampfmaschine.<br />

Es versteht sich, daß die einzelnen Vereine auch früher<br />

schon ihre Weihnachtsfeiern abhielten, so der Kirchenchor<br />

mit viel Gesang in der »Brauerei Maier«. Vor allem wäre ein<br />

Weihnachtsfest ohne das Lied >Stille Nacht« undenkbar gewesen.<br />

Rosa Trenkle berichtete, wie es sogar den Juden so<br />

gut gefiel, daß sie es gern mitsangen. Der »Rosen-Jakob«<br />

(Jakob Levi) kam oft zur Kirchenchor-Weihnachtsfeier, nur<br />

um dieses Lied zu hören.<br />

Anmerkungen<br />

Vor 130 Jahren verstarb Hofmaler Richard Lauchert<br />

1 Allgemeine Literaturauswahl: Angelika Bischoff-Luithlen: Von<br />

Amtsstuben, Backhäusern und Jahrmärkten. Stuttgart 1979. -<br />

Dietz-Rüdiger Moser: Bräuche und Feste im christlichen Jahreslauf.<br />

Köln 1993. - Anselm Schott: Das vollständige Römische<br />

Meßbuch. Freiburg 1961. - Herbert Schwedt/Elke Schwedt:<br />

Schwäbische Bräuche. Stuttgart 1984.<br />

2 Elmar Blessing: Die Kirchen-, Kapellen- und Altarpatrozinien<br />

für den Kreis Hechingen im Mittelalter und in der Neuzeit. Diss.<br />

Tübingen 1962.<br />

3 S.Anm. 2.<br />

4 Franz Xaver Hodler: Geschichte des Oberamts Haigerloch<br />

(OAB). Hechingen 1928 S. 927 Anm. 21.<br />

5 Hermann Bausinger: Der Adventskranz - ein uralter Brauch?<br />

In: Marin Blümcke: Abschied von der Dorfidylle? Stuttgart<br />

1982.<br />

6 Pfarrarchiv Haigerloch (PfA): Nr. 1317 7 OAB, S. 885.<br />

7 Herbert Schwedt/Elke Schwedt: Schwäbische Bräuche. Stuttgart<br />

1984.<br />

8 Eckart Hannmann/Karl Werner Steim: Christian Großbayer.<br />

Ein hohenzollerischen Baumeister des Spätbarock. Sigmaringen<br />

1982, S. 17.<br />

9 Stadtarchiv Haigerloch (STA).<br />

10 Ebd., Bände Nr. 254.<br />

11 S.Anm. 7.<br />

Am 28. Dezember 1868, vor 130 Jahren starb in Berlin im Sigmaringen, der es trotz seines kurzen Lebens zu europa-<br />

Alter von erst 45 Jahren Hofmaler Richard Lauchert aus weitem Ansehen gebracht hat.<br />

20


Geboren am 4. Februar 1823 im heutigen Südwestbank-Gebäude,<br />

entwickelte Richard Lauchert, dessen Großmutter<br />

eine Schwester des bekannten Sigmaringer Malers Johann<br />

Fidelis Wetz war, schon früh seine künstierische Begabung.<br />

Einen Gönner fand er in Erbprinz Karl Anton von Hohenzollern,<br />

der ihm durch ein Stipendium den Besuch der<br />

Münchner Kunstakademie ermöglichte, ebenso Studienreisen<br />

nach Italien und Paris.<br />

1850 von Karl Anton zum Hofmaler ernannt, spezialisierte<br />

sich Richard Lauchert auf die Portraitmalerei und erhielt in<br />

der Folgezeit zahlreiche Aufträge von Adelsfamilien. Bei einem<br />

Aufenthalt in Petersburg malte er den russischen Zaren<br />

und Mitglieder aus dessen Familie.<br />

Gegen erhebliche Widerstände, vor allem bedingt wegen<br />

des Standesunterschieds, ehelichte der Sigmaringer Prinzessin<br />

Amalie von Hohenlohe-Schillingsfürst, die ihm zwei<br />

Kinder schenkte.<br />

Die zahlreichen Aufträge zehrten an den Kräften des<br />

Künstlers, und so starb er mitten in seinem erfolgreichen<br />

Schaffen. Er darf zu den bedeutendsten Bildnismalem des<br />

19. Jahrhunderts gezählt werden, und die Herstellung eines<br />

Kunstbandes über Leben und Werk hätte der Sigmaringer<br />

eigentlich verdient.<br />

WALTER KEMPE<br />

Das alte Amtshaus zu Ostrach<br />

Das alte Amtshaus und die alte Zehntscheuer in Ostrach,<br />

Rentamtstraße 1, wurden 1996 vom Fürstlichen Hause von<br />

Thurn und Taxis der Gemeinde Ostrach übereignet. Diese<br />

Besitzübertragung gibt Anlaß, die geschichtliche Bedeutung<br />

und den ideellen Wert der beiden Gebäude für das Gebiet<br />

der heutigen Gesamtgemeinde Ostrach in kurzer Zusammenfassung<br />

darzustellen, zumal inzwischen weiteres, umfangreiches<br />

Archivmaterial hierüber ermittelt wurde.<br />

Das Amtsgebäude<br />

Die Bausubstanz des ehemaligen Amtshauses zeigte bei der<br />

Übernahme 1996, trotz Alters, noch einen verhältnismäßig<br />

guten Zustand. Es war schon seit mehreren Jahren nicht<br />

mehr bewohnt.<br />

Bei einem Fachwerkhaus dieser Art sind, wie die alten Bauakten<br />

zeigen, im Laufe der Zeit immer wieder Reparaturen<br />

und Verbesserungen notwendig gewesen. Ein Brunnen unterhalb<br />

des Hauses, bereits 1720 beschrieben, war früher<br />

mit ein Grund für eine hohe Feuchtigkeit im Gebäude. Er<br />

wurde später zu einer Kläranlage für die Abwässer umfunktioniert.<br />

Änderungen der Nutzung waren ebenfalls Anlaß<br />

zu Umbauten im Inneren, ob nun zu Wohnzwecken oder<br />

zur Nutzung als Oberamt mit Kanzlei-, Archiv- und Vorratsräumen,<br />

Rentamt und Oberförsterei. Auch die künftige<br />

Verwendung wird wiederum bauliche Maßnahmen erfordern.<br />

Das Amtsgebäude selbst dürfte nach Genzmer und nach<br />

früheren Schätzungen in den Brandversicherungsunterlagen,<br />

um 1700 erstellt worden sein. Um diese Zeit regierte<br />

der Salemer Abt Stephan I. Jung als Landesvater, der für die<br />

Erneuerung der wichtigsten Bauten in Ostrach sorgte. Es<br />

waren dies Kirche, Pfarrhaus, Kaplanei und Amtshaus. Ein<br />

Amtshaus existierte somit auch vor 1700 an dieser Stelle.<br />

1705 wurde dann im Ostracher Urbar Nr. 6 die Oberamtsbehausung<br />

mit allem Zugehör als Salemer Besitz beschrieben.<br />

Ein »Grundris von Osterach« aus dieser Zeit zeigt die<br />

Hofmaler Richard Lauchert (1823-1863)<br />

einzelnen Gebäude des Komplexes. Anhand von Anstellungsverträgen,<br />

sog. Bestallungen salemischer Amtsträger<br />

und anderen aufschlußgebenden Urkunden, lassen sich nun<br />

Amtshaus, das den Amtsträgern auch als Wohnung diente<br />

und Zehntscheuer sowie eine weitere Salemer Amtsscheuer<br />

in Ostrach bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen.<br />

Die Funktion der Amtsgebäude<br />

Seit dieser Zeit, dem 14. Jahrhundert, dienten diese öffentlichen<br />

Gebäude dem Kloster Salem als Verwaltungssitz für<br />

seine bisherigen und später dazu erworbenen Besitzungen<br />

im Bereich »Ob den Bergen«, »als zu Ostrach und anderen<br />

Orten so in die Pfleg des Salemer Hofes in der Freien<br />

Reichsstadt Pfullendorf gehören«. Vorher erfolgte hier die<br />

verwaltungsmäßige Erfassung der Einzelbesitzungen durch<br />

das Bursaramt bzw. Kelleramt in Salem selbst. Das Bursaramt,<br />

auch Burse genannt, war damals die Finanzzentrale Salems,<br />

die von einem Bursar (Bursier) geleitet wurde. Dem<br />

Kelleramt oblag die weit gefächerte Wirtschaftsverwaltung.<br />

Leiter war der Kellermeister, auch als Kellner oder Zellerar<br />

bezeichnet.<br />

Nach einem Sigmaringer Schutz- und Schirmbrief von 1324<br />

für den Salemer Bereich »Ob den Bergen«, handelte es sich<br />

damals um die Orte, die links des Flüsschens Ostrach lagen:<br />

»das ist Lausheim ihr Hof, Ostrach, Burgweiler, Magenbuch,<br />

Levertsweiler, Spöck und Wangen.« Für diesen<br />

flächenmäßig nicht geschlossenen salemischen Distrikt bildete<br />

sich dann allmählich die Bezeichnung »Herrschaft<br />

Ostrach« heraus, wobei die Oberaufsicht des Klosters nach<br />

wie vor in Händen eines Pflegers in Pfullendorf, später auch<br />

in Bachhaupten lag. - Bachhaupten bildete hierbei schon<br />

früh mit den salemischen Besitzungen rechts der Ostrach in<br />

den Orten Eschendorf, Tafertsweiler und Günzenhausen<br />

bis 1705 ein eigenes Amt. - Der Sitz des Pflegers wechselte<br />

dann während des 18. Jahrhunderts mehrmals zwischen<br />

Pfullendorf und Bachhaupten.<br />

21


Die behördlichen Verwalter im Amtshaus<br />

Der Titel des jeweiligen Verwalters, der im Amtshaus zu<br />

Ostrach, etwa vom 14. bis 16. Jahrhundert wohnte und<br />

wirkte, lautete in diesen Urkunden mit wenigen Ausnahmen<br />

»Kaufmann zu Ostrach«. Haus, Hof, Scheuer und<br />

Zehntscheuer waren seinen vielseitigen Aufgaben angepaßt.<br />

So hatte er die Getreide- und anderen Naturalabgaben der<br />

Zehntpflichtigen zunächst zur Lagerung in der Zehntscheuer<br />

entgegen zu nehmen und verteilte Bau- und Brennholz<br />

aus den Beständen des Klosters an Lehensleute und andere<br />

Bezugsberechtigte. Er zog Steuer- und Bußgelder ein und<br />

führte darüber Buch. Rechnungen wurden von ihm ausgestellt<br />

sowie Rechnungen beglichen. Seine Jahresabrechnung<br />

hatte er dem Pfleger in Pfullendorf vorzulegen. Er führte<br />

das Lehenbuch und verlieh Höfe und Konzessionen. Als<br />

Bevollmächtigter des »Gotteshaus« Salem hatte er für die<br />

Einhaltung der Verordnungen und Gesetze zu sorgen und<br />

mit »Güte und Recht« zu handeln. Auch für kleinere Streitfälle<br />

war er zuständig. Verwarnungen, Viehschäden und<br />

Übertretungen der »Gebote« waren höheren Orts zu melden.<br />

Bei seiner Tätigkeit außerhalb der Amtsräume im<br />

Amtsbereich war er beritten und trug Harnisch und Gewehr.<br />

Auf größeren Reisen trug er, seiner Position entsprechend,<br />

eine stattliche Hofkleidung.<br />

Um 1600 wird dann das Amtshaus mit Hofraite, Scheuer,<br />

Ofenhaus, Schweinestall und zugehörigen Gärten zu<br />

Ostrach zum Oberamtssitz. Jetzt wohnte und wirkte hier<br />

der salemische Oberamtmann der Herrschaft Ostrach bzw.<br />

des Oberamts Ostrach, ob den Bergen und allen Orten, so<br />

in die Pfleg Pfullendorf gehören. Seine Tätigkeit dürfte<br />

ähnlich der des früheren »Kaufmanns zu Ostrach« gewesen<br />

sein, wie aus den Bestallungen und den Vorschriften hervorgeht<br />

mit dem Titel »Statuten, Satzungen und Verboten des<br />

Gotteshauses Salem in den Gerichten, Zwingen und Bannen<br />

»Ob den Bergen«, aus alten und richtigen Originalen und<br />

Jahresbriefen (-Verordnungen) gezogen.<br />

Neben dem früheren »Kaufmannsamt zu Ostrach« gehörte<br />

jetzt auch das Amt Bachhaupten mit den salemischen Besitzungen<br />

rechts der Ostrach zum Oberamt Ostrach.<br />

Im Oberamtshaus zu Ostrach finden wir recht fähige, ausgebildete<br />

Persönlichkeiten als Oberamtmänner, z. B.<br />

Rechtsgelehrte, was im 18. Jahrhundert besonders deutlich<br />

wird.<br />

In dieser Zeit des 18. Jahrhunderts wohnten sie auch hin<br />

und wieder beim Pfleger in Bachhaupten, meist jedoch in<br />

Ostrach. Ob das u. a. mit Renovierungen des Ostracher<br />

Amtshauses zusammenhing, konnte bisher nicht ermittelt<br />

werden.<br />

Die Nutzung der Dienstwohnung im Amtshaus zu Ostrach<br />

durch den jeweiligen Oberamtmann war mietfrei (»ohne<br />

Zins«), Reparaturen gingen zu Lasten des Reichsstifts, ausgenommen<br />

Schäden an Öfen und Fenstern. Mietfrei bzw.<br />

pachtfrei war auch das bei der Einstellung vertragsgemäß<br />

überlassene Eigentum des Stifts, wie Amtshaus samt<br />

Hofraite, Scheuer, Ofenhaus, Schweineställe, Baum- und<br />

Krautgärten. Diese Regelung galt auch schon für den jeweiligen<br />

»Kaufmann« z. B. 1573 für Joachim Haimpoltsen.<br />

Die Landesherrschaft über das Ostracher Gebiet im 17. und<br />

18. Jahrhundert.<br />

1611 erhielt der Klosterstaat unter Abt Petrus II. Müller,<br />

zunächst pfandweise, auch die Landesherrschaft bzw. die<br />

Hohe Gerichtsbarkeit über das Gebiet der Herrschaft bzw.<br />

das Oberamt Ostrach links der Ostrach von Graf Ernst Georg<br />

von Hohenzollern - Sigmaringen. Hiermit stieg auch<br />

22<br />

die Bedeutung des Ostracher Oberamtssitzes. 1637, mitten<br />

im 30jährigen Krieg, trennte Salem den Bereich Burgweiler<br />

ab und übergab ihn der Reichsgrafschaft Heiligenberg. Um<br />

1700 erwarb Salem in komplizierten Verfahren die landesherrschaftlichen<br />

Rechte über seine Besitzungen rechts der<br />

Ostrach käuflich von den Truchsessen von Waldburg, denen<br />

die zuständige Grafschaft Friedberg-Scheer gehörte.<br />

Das Haus Österreich war hierbei oberster Lehensherr. Wenig<br />

später kaufte Salem auch die bereits pfandweise erhaltenen<br />

Rechte links der Ostrach von den Hohenzollern, deren<br />

oberster Lehensherr ebenfalls das Haus Österreich war. Die<br />

Grundherrschaft bzw. die niedere Gerichtsbarkeit über die<br />

beiden Gebiete stand Salem bereits seit 1509 zu.<br />

Besondere Ereignisse im Oberamtshaus während des<br />

17. und 18. Jahrhunderts.<br />

Salem hatte nun, ab 1611, auch landesherrschaftliche Rechte<br />

im Bereich Ostrach erhalten, wie z. B. die Hohe Gerichtsbarkeit<br />

unter der Oberhoheit des Hauses Österreich. Hiermit<br />

erlangte es eine größere Selbständigkeit, die sich auch<br />

auf die Tätigkeit im Ostracher Oberamtshaus auswirkte.<br />

Bei speziellen Anlässen wird dies wieder sichtbar. So bei den<br />

sogenannten Erbhuldigungen und Vereidigungen der Untertanen<br />

des Herrschafts- bzw. Oberamtsbereichs Ostrach<br />

und teilweise weiterer salemischer Bezirke, auf dem Hofe<br />

vor dem Oberamtshaus Ostrach, 1615, nach der Wahl des<br />

Salemer Abts Thomas I. Wunn und 1685, nach der bereits<br />

1680 erfolgten Wahl des Salemer Abts Emanuel Sulger.<br />

Der jeweilige Abt erschien hierbei in Begleitung der salemischen<br />

und kaiserlichen Amtsträger zu dieser Handlung, die<br />

notariell festgehalten wurde, am Fenster der oberen Stube<br />

des Amtshauses, das gegenüber der Zehntscheuer lag und<br />

hielt seine Einfuhrungsrede, wonach sich der Oberamtmann<br />

offiziell beim neuen Abt bedankte. Nach Besichtigung<br />

der wehrhaften Untertanen auf dem Hofe erfolgte<br />

dann in der Zehntscheuer die Musterung durch salemische<br />

Beamte.<br />

Der Vorgänger des 1615 gewählten Abtes Thomas I. Wunn<br />

war der bereits erwähnte Abt Petrus II. Müller. Er trat 1593<br />

sein Amt an. Zuvor war er Pfleger zu Pfullendorf und so mit<br />

der ihm schon damals unterstellten Herrschaft Ostrach besonders<br />

vertraut. Die Erneuerung der Ostracher Zehntscheuer<br />

im Jahre 1595 erfolgte unter seiner Regierung. Sein<br />

Wappen mit der Jahreszahl prangt noch heute an der Front<br />

der Scheuer. Es vereint das damals gültige Wappen des<br />

Reichsstifts Salem mit seinem persönlichen. Im runden<br />

Schild ist, hier im rechten unteren Viertel, das Wappen des<br />

30. salemischen Abtes beigefügt. Dieses persönliche Wappen<br />

ist heute noch farbig in der Wappentafel des ehem. Klosters<br />

Salem erhalten.<br />

Zwischen den beiden uns bekannten Erbhuldigungen im<br />

Amtshaus zu Ostrach, 1615 und 1685, lag eine Zeit voller<br />

Not und Elend, die der 30jährige Krieg mit sich brachte. Besonders<br />

während des sog. Schwedischen Krieges von 1630<br />

bis 1647 zogen vielerlei Kriegsvolk und raubende, plündernde<br />

Banden durch den Ort.<br />

Die Überlieferung bringt, soviel ersichtlich, keine Einzelheiten<br />

über die Geschehnisse im Amtshaus und die Tätigkeit<br />

sowie die Beschwernisse des Oberamtmanns zu<br />

Ostrach. Mehr erfahren wir über den zuständigen salemischen<br />

Pfleghof Pfullendorf und über das Reichsstift in Salem<br />

selber. Beschrieben werden meist in größerem Rahmen<br />

die Marschrouten der schwedischen, württembergischen,<br />

kaiserlichen und anderen Heerscharen und ihre Folgen,<br />

z. B. von Mengen, Riedlingen über Saulgau, Pfullendorf,<br />

Stockach, nach Heiligenberg und Salem. Die Leiden und


Das alte Amtshaus<br />

in Ostrach<br />

Foto: E. König<br />

Verwüstungen waren jedoch in Ostrach nicht viel weniger<br />

als in den größeren umhegenden Orten.<br />

Aus den Akten geht hervor, daß u.a. im Mai 1631 eine<br />

große Einquartierung erfolgte. Im Juni 1632 kamen drei<br />

Kompanien schwedischer Reiter und 150 Dragoner nach<br />

Ostrach, die hier übel hausten. Sie brannten acht Bauernhäuser<br />

und zwei Scheunen nieder. Als am 25. Oktober 1632<br />

der Oberamtmann, hier Pfleger zu Ostrach genannt, nach<br />

Hause kam, war alles und jedes zerschlagen und geraubt.<br />

Ob sein Amtshaus dabei nur reparaturbedürftig wurde oder<br />

neu aufgebaut werden mußte, ist nicht zu ersehen.<br />

Am Ende dieses mörderischen Krieges waren die meisten<br />

Einwohner geflohen oder tot. Man zählte am 4. Mai 1647 im<br />

Amte Ostrach nur noch 41 »magere Untertan«.<br />

Die Wiederbesiedlung der verödeten Landschaft in kürzester<br />

Zeit dürfte für das Reichsstift Salem und seinen Oberamtmann<br />

zu Ostrach eine große Herausforderung gewesen<br />

sein. Die katholischen Kirchenbücher in Ostrach und Tafertsweiler<br />

nennen die meist aus Vorarlberg, Luzern und<br />

Thurgau Eingewanderten namentlich.<br />

Nach den Anstellungsverträgen für die salemischen Oberamtmänner<br />

dürfte das Oberamtshaus in dieser Zeit, zumindest<br />

1625, 1644 und 1651, voll nutzbar gewesen sein, ebenfalls<br />

beim Abtbesuch 1685.<br />

In den schlimmen Kriegs jähren 1796 und 1799 kam der salemische<br />

Konventuale und Oberbursier Pater Karl Wächter<br />

zur Unterstützung des alten Oberamtmanns ins Oberamtshaus<br />

nach Ostrach.<br />

HANS PETER MÜLLER<br />

Einen Auszug aus Wächters Tagebuch, besonders über die<br />

Vorkommnisse im Amtshaus zu Ostrach vor und nach der<br />

Schlacht im März 1799 und die Einquartierungen im August<br />

1799 gab Willi Rieger 1982 in der Heimatgeschichtlichen<br />

Beilage des Mitteilungsblattes der Gemeinde Ostrach.<br />

Aus anderen Quellen erfahren wir, daß sich am 4.11.1796<br />

sämtliche Bürgermeister und Dorfpfleger des Oberamtes im<br />

Oberamtshaus zu Ostrach versammelten, um ihm zu danken.<br />

Auf dem Amtshofe erschollen die Hochrufe der jungen<br />

Leute aus den einzelnen Ortschaften, die dem Ordensmann<br />

dann auch ein musikalisches Ständchen brachten.<br />

Die Schäden in Ostrach unmittelbar nach der Schlacht am<br />

21. März 1799 wurden von Pater Wächter wie folgt beschrieben:<br />

»Die Dächer und Häuser waren überall elend zugerichtet.<br />

Im Amtshaus waren über 30 Kanonenkugeln eingeschlagen.<br />

Die Stiege der Laube war abgeschossen, der<br />

Fensterstock samt der Mauer in des Herrn Oberamtmanns<br />

Zimmer zusammengerissen. In diesem mittleren Stock war<br />

keine einzige ganze (Fenster-)Scheibe mehr. Daher war die<br />

erste Arbeit, das Notwendigste auszubessern, bevor die beiden<br />

österreichischen königlichen Hoheiten Erzherzog Carl<br />

und Erzherzog Ferdinand mit ihrer Begleitung noch an diesem<br />

Tage im Amtshause Quartier nehmen konnten.«<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

Das unrühmliche Ende der Gebrüder von Bubenhofen<br />

Interessenten können von der Schriftleitung eine Kopie mit zahlreichen<br />

Anmerkungen und Quellenangaben anfordern, bitte DM 3,-<br />

Porto beilegen.<br />

In Heft 3 Jg. 1998 hat sich F. Feist der dankenswerten Auf- ten, nicht überzeugend. Allein die von ihm selbst angeführgabe<br />

unterzogen, das finanzielle Ende der Gebrüder Hans ten Zahlen über die auf Gammertingen haftenden Schulden<br />

Kaspar und Wolf von Bubenhofen näher zu beleuchten, belegen eindeutig, daß die Herrschaft total überschuldet<br />

wobei er zahlreiche, bislang unbekannte Schweizer Quellen war.<br />

verwenden konnte. Allerdings ist seine Schlußfolgerung, Zur angemessenen Beurteilung der »causa Bubenhofen« ist<br />

daß die Bubenhofen ihren Besitz nicht wegen Überschul- zuallererst eine genaue und richtige Chronologie der Ereigdung,<br />

sondern wegen finsterer Machenschaften der öster- nisse vonnöten, die wie folgt aussieht. Am 20. Sept. 1520<br />

reichischen Administration in Württemberg verloren hät- mußte Hans Kaspar im Riedlinger Vertrag schwören, seine<br />

23


Besitzungen binnen 10 Tagen an seine Mitgewähren und<br />

Bürgen unter der Leitung von Walter von Hirnheim,<br />

Hauptmann des Schwäbischen Bundes, abzutreten. Dies hat<br />

er offensichtlich nicht getan, vielmehr ging er gewaltsam gegen<br />

einzelne Mitglieder der Bürgengemeinschaft vor, weshalb<br />

er im Juli 1521 vom österreichischen Statthalter gefangengenommen<br />

und auf Schloß Hohenurach (in Graf Heinrichs<br />

Gemach) gebracht wurde. In der Folgezeit fanden<br />

mehrere Verhandlungen in Stuttgart zwischen dem Statthalter,<br />

den Bürgen und den Söhnen Hans Kaspars statt. Diese<br />

führten zu Vergleichen vom 22. Aug. und 21. Okt., die jedoch<br />

wirkungslos blieben. Erst ein neuerlicher Vergleich<br />

vom 7. Dez. 1521 hatte Erfolg, denn noch am selben Tag<br />

wurde Hans Kaspar auf Urfehde aus dem Gefängnis entlassen.<br />

In der Urfehde wird lediglich auf seine »gewaltigen und<br />

tätlischen Handlungen« gegen die Bürgen abgehoben,<br />

während die übrigen Streitpunkte, nämlich der Raub seiner<br />

Kleinodien in Reutlingen und die Einnahme der Baiinger<br />

Dörfer 1519 ausdrücklich ausgenommen wurden. Auch<br />

nach dem Verkauf der Herrschaft Gammertingen 1524<br />

ließen die Bürgen nicht locker, denn 1528 prozessierten sie<br />

gegen Hans Kaspars Sohn Hans Jakob vor dem Rottweiler<br />

Hofgericht. Offenbar wollten sie auch noch seines Vaters<br />

Haus in Rottenburg bekommen, was jedoch nicht gelang.<br />

HANNES SCHNEIDER<br />

Die Bahnstation Zollern<br />

Vor 120 Jahren wurde die Zollernbahn vollendet<br />

Bau der Hohenzollernbahn<br />

Während der vierten Bauperiode der Königlich Württembergischen<br />

Eisenbahn von 1867 bis 1878 entstand auch die<br />

Hohenzollernbahn 1, die von Tübingen über Hechingen<br />

nach Sigmaringen führt.<br />

In einem Staatsvertrag vom 3. März 1865 zwischen Württemberg<br />

und Preußen wurde vereinbart, daß die Eisenbahnverbindung<br />

auch durch preußisches Gebiet gebaut werden<br />

sollte.<br />

Die Planung stammte von Oberbaurat Schlierholz, Detailbearbeitung<br />

und Ausführung wurden den Bauämtern Tübingen,<br />

Balingen, Ebingen und Sigmaringen, sowie dem<br />

Hochbauamt Sigmaringen mit Bauinspektor Eulenstein<br />

übertragen.<br />

Vorarbeiten und Ausführungen wurden so organisiert, daß<br />

auf den fertigestellten Teilstrecken der Betrieb aufgenommen<br />

werden konnte. Die einzelnen Teilabschnitte der Bahnstrecke<br />

von Tübingen nach Sigmaringen wurden wie folgt<br />

eröffnet:<br />

Tübingen—Hechingen am 29. Juni. 1869. Die Fertigstellung<br />

der Strecke Hechingen—Balingen verzögerte sich<br />

durch den deutsch-französischen Krieg bis 1. August. 1874.<br />

Am Tag der Eröffnung gab es in Balingen, wie auch auf den<br />

anderen Bahnhöfen, ein großes Festprogramm. Die Strecke<br />

Balingen—Sigmaringen war am 4. Juli. 1878 fertiggestellt.<br />

Auch in Sigmaringen wurde ein Fest gefeiert, das mit einer<br />

Gewerbeaussteilung verbunden war. Nach dem Fahrplan<br />

waren vier Züge täglich ab Tübingen und ab Sigmaringen<br />

vorgesehen 2.<br />

Die Gesamtlänge der Strecke Tübingen—Sigmaringen beträgt<br />

87,505 km, wovon 40,409 km auf preußischem Gebiet<br />

lagen. Die Unterhaltung der ganzen Stecke war alleinige Sache<br />

der Königlich Württembergischen Bahnverwaltung<br />

Die Baukosten für die Strecke betrugen 23 316 753,12 Mark<br />

24<br />

Auch bei Hans Kaspars Bruder Wolf von Bubenhofen ist<br />

die Verschuldung evident. Am 26. Okt. 1526 mußte er<br />

Schloß und Dorf Geislingen samt dem Hof Bronnhaupten<br />

und den Häusern zu Balingen und Rottweil gegen ein Leibgeding<br />

an seine Gewähren und Bürgen Wendel von Hailfingen<br />

und Hans von Weitingen abtreten. In der Einleitung des<br />

Abtretungsvertrags wurde ausdrücklich festgehalten, daß<br />

die beiden Bürgen wegen ihm zur Leistung aufgefordert<br />

worden seien, weshalb sie ihn vor dem Rottweiler Hofgericht<br />

verklagt und die Acht erwirkt hätten.<br />

Im Gegensatz zu den bisherigen Darstellungen (z. B. KB<br />

Balingen) waren die Dörfer Dotternhausen, Rosswangen<br />

und halb Dürrwangen nicht von der Abtretung betroffen,<br />

denn diese hatte Wolf bereits am 16. Dez. 1523 an Erzherzog<br />

Ferdinand von Österreich verkauft, der sie am 12. März<br />

1525 an Wendel von Hailfingen und Hans von Weitingen<br />

weiterveräußerte. Von der auf 8500 fl. bezifferten Kaufsumme<br />

bekamen die Verkäufer aber jeweils nur 1600 fl.,<br />

während der Rest an die Gläubiger zu bezahlen war.<br />

Quellen:<br />

HStA Stgt. A 155 U 31 und Bü 5; B 19 U 98, 99, 101; C 3 U 328 a<br />

und Bü 449.<br />

Streit um die Station Zollern<br />

Am 2. Juli 1872 sandte die Königlich Württembergische Eisenbahn-Bau-Commision<br />

eine Note an die Königlich<br />

Württembergische Eisenbahndirektion in Stuttgart, in der<br />

die Errichtung einer Station am Fuße des Hohenzollern<br />

vorgeschlagen wurde: »Seine Majestät, der König von<br />

Württemberg, hat verfügt, eine Station unterhalb des Hohenzollern,<br />

für seine Majestät, den deutschen Kaiser, zu errichten.<br />

Es wird gebeten die Ansicht bald mitzuteilen, so<br />

daß man der Königlich Preußischen Regierung, in Sigmaringen,<br />

eine baldige Antwort geben kann.«<br />

Am 18. September 1872 sandte die Königliche Eisenbahndirektion<br />

eine ablehnende Antwort. Man sei nicht gewillt, eine<br />

Station nur für den Kaiser zu bauen, wenn sie nicht zugleich<br />

auch dem öffentlichem Verkehr diene. Das Königliche<br />

Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und die<br />

Königliche Eisenbahndirektion stritten sich bis 1873. Am<br />

21. April 1873 bewilligte die Königliche Eisenbahndirektion<br />

dann doch die Erstellung einer Haltestelle unterhalb des<br />

Hohenzollern. Sie sollte dem deutschen Kaiser, aber auch<br />

zur Aufnahme von Personen und Gepäck dienen 3.<br />

Der Architekt konnte jetzt mit der Planung und dem Bau<br />

beauftragt werden. Das Eisenbahn-Hochbauamt Balingen<br />

schrieb die Arbeiten im Volksfreund sowie in den Hohenzollerischen<br />

Blättern aus. Bis zum 18. Januar 1874 sollten<br />

Angebote fürTrottoir, Dohlen, Beleuchtung und Signaleinrichtung<br />

sowie für die Dunglege auf der Station Zollern abgegeben<br />

werden 4.<br />

Die Station ist fertiggestellt<br />

Pünktlich zur Einweihung der Strecke Hechingen—Balingen,<br />

am 1. August 1874, war die Station fertiggestellt. In den<br />

»Hohenzollerischen Blättern« vom 6. August 1874 erschien<br />

ein überschwänglicher Bericht:


»Bei der Ausfahrt aus diesem Liasabschnitt hält der Zug.<br />

»Station Zollern!« ruft der Kondukteur. Er ruft mit diesem<br />

Namen eine Fülle von Gedanken wach. Tausende begeisterte<br />

Deutschen werden hier aus - und einsteigen, denen der<br />

Zoller so lieb ist, als Mekka dem Muselmann, oder dem<br />

christlichen Pilger Jerusalem. Die Station ( 547,6 m ü. d. M.)<br />

wird selbstverständlich nur ein Haltplatz werden für Reisende.<br />

An einen anderen Verkehr, als an den Personenverkehr,<br />

kann hier nicht gedacht werden. Das Stationsgebäude,<br />

von dem aus ein direkter Fahrweg zur Burg führt, ist darum<br />

auch teils aus Holz, teils aus Stein im mittelalterlichem Stile<br />

Die Station Zollern 1996<br />

Foto: Hannes Schneider<br />

ausgeführt und es sind Lokale für fürstliche Besucher erstellt.<br />

Schade nur, daß gerade auf der Station Zollern ein<br />

Vorberg die Aussicht auf den Zollern behindert!«<br />

Die Station war hauptsächlich gedacht für »allerhöchste<br />

Herrschaften«, welche die unter Friedrich Wilhelm IV. wieder<br />

aufgebaute Burg Hohenzollern besuchen wollten. Sie<br />

war ca. 25 m lang, 9 m breit und bestand aus folgenden Teilen:<br />

dem Wärterhaus, Mittelbau, Salongebäude mit angebautem<br />

Turm. Der Stil, vor allem der Turm entsprach der<br />

Ritterburgen-Romantik. Im Volksmund bekam die Station<br />

schnell den Namen »Ritterbahnhof«. Es gab einen Fürstensalon,<br />

sowie Wartesäle 1., 2., 3. und 4. Klasse. Uber dem<br />

Fürstensalon breitete ein Preußenadler seine Schwingen<br />

aus. Der Saal war mit einer Holzdecke, einen reich verzierten<br />

Fries und einer Büste von Kaiser Wilhelm II. geschmückt.<br />

Ein Teil der Bahnstation war für die Kasse und Gepäck vorgesehen.<br />

Auch gab es eine Wohnung für den Bahnhofsvorsteher<br />

5.<br />

Abbruch des Turmes<br />

Im Jahr 1929 wurde der Turm abgetragen, da man an dieser<br />

Stelle eine Wohnung bauen wollte. In der Bevölkerung regte<br />

sich Protest. Die »Hohenzollerischen Blätter« berichteten:<br />

»Die Zollernlandschaft hat soeben eine Veränderung erfahren,<br />

die von der Bevölkerung nicht verstanden wird. Auf<br />

dem Zollernbahnhof ist der Turm, der sich der landschaftlichen<br />

Umgebung schön eingliederte, irgend einer schwachen<br />

Überlegung der jetzt maßgeblichen Bahninstanz zum Opfer<br />

gefallen. Es verlautet, daß man an diese Stelle eine Wohnung<br />

setzen will. Muß dafür aber das ganze Stimmungsbild zerstört<br />

werden? Wenn man je dieses historische Denkmal,<br />

daß einem jetzigen Zeitgeschmack nicht mehr entspricht, so<br />

kurzer Hand abtragen wollte, würde auch im württembergischen<br />

Reichsbahnsprengel manches der Bevölkerung<br />

wertvolle und vertraut gewordene Stück der Vergangenheit<br />

fallen müssen« 6.<br />

Obwohl die Station Zollern besonders für Mitglieder der<br />

Kaiserlichen Familie gebaut war, wurde sie von ihnen nur<br />

wenig benutzt. Kaiser Wilhelm II. benützte den Bahnhof<br />

anläßlich eines Besuchs am 10. November 1893 auf der Burg<br />

Hohenzollern. Uber diesen Besuch berichteten die »Hohenzollerischen<br />

Blätter«:<br />

»Gestern hatten wir die Freude, unseren Kaiser anläßlich<br />

seines Besuchs auf der Burg Hohenzollern zu begrüßen.<br />

Seine Majestät kam mit einem Sonderzug und wurde unter<br />

dem Donner der Geschütze seiner Stammburg begrüßt (damals<br />

hatte die Zollerburg noch eine Garnison). Zur Begrüßung<br />

hatte sich auch der Fürst von Hohenzollern eingefunden,<br />

der schon am Abend vorher ankam und in der Villa<br />

Eugenia übernachtete. Außerdem fanden sich viele Einwohner,<br />

benachbarte Landbevölkerung sowie ein Teil der<br />

hiesigen Schüler und der Elementarschule Wessingen ein.<br />

Kaiser und Gefolge fuhren trotz schlechter Witterung mit<br />

offenen Landauern zur Burg. Es wurde dort ein Mittagsmahl<br />

gereicht, ein Gang um die Basteien mußte infolge der<br />

Witterung ausfallen. Um 3 Uhr fuhr der Kaiser zurück zur<br />

Station Zollern, wo der Militärverein Spalier stand. Um 4.51<br />

Uhr fuhr der Zug zurück nach Sigmaringen« 7.<br />

Die Gleisanlage<br />

Bei der Station Zollern handelt es sich um einen Bahnhof mit<br />

zwei Bahnsteiggleisen, die eine Kreuzung zweier Züge erlauben.<br />

Sie besitzt ferner einen Gleisstumpf zur Verladung.<br />

Im Jahr 1874 war ein Kreuzungsgleis von 163 m Länge eingebaut<br />

worden. 1908 wurden zusätzlich Schutzweichen auf<br />

jeder Seite eingebaut. Man nutzte diesen Umbau auch zur<br />

Verlängerung des Kreuzungsgleises auf 239 m.<br />

Trotzdem war die Nutzlänge des Kreuzungsgleises bald<br />

wieder für die sichere Durchführung der Züge zu kurz.<br />

25


Grundriß der Station Zollern<br />

1906, an der linken Seite der 1929<br />

abgebrochene Turm.<br />

Eisenbahndirektion Stuttgart<br />

Wenn man bedenkt, daß der Stückgut- und der Wagenladungsverkehr<br />

sich seit 1913 auf das neunfache gesteigert<br />

hatte, kann man verstehen, daß es auf der Station Zollern<br />

immer größere Platzprobleme gab. Vielfach mußten Wagen<br />

in Balingen abgestellt werden, oder man mußte sogar Züge<br />

in Hechingen und Bisingen zurückhalten.<br />

Es wurde mehrmals eine Verlängerung des Kreuzungsgleises<br />

auf mindestens 550 m gefordert sowie der Bau eines neuen<br />

Verladegleises, um den Wagenladungsverkehr vernünftig<br />

durchführen zu können. Es ist aber nichts geschehen Im<br />

Jahr 1930 wurde dann endlich reagiert und das Kreuzungsgleis<br />

verlängert.<br />

Am Ende der sechziger Jahre begann der Rückbau. 1967<br />

wurde die Weiche Richtung Balingen ausgebaut und damit<br />

die Kreuzungsmöglichkeit genommen. 1972 folgte dann der<br />

endgültige Abbau der Gleisanlagen.<br />

Die Sonderfahrt von 1972<br />

Am 13. September 1972 hatte Herzogin Viktoria Luise<br />

ihren achtzigsten Geburtstag. Anläßlich dieses Ereignisses<br />

lud Prinz Louis Ferdinand zu einer Nachfeier auf die Burg<br />

Hohenzollern ein. Das nutzte man zu einer sogenannten<br />

»Adels-Rallye«. In Bad Imnau wurden die Damen abgesetzt.<br />

Von hier aus fuhr ein Museumszug der Gesellschaft<br />

zur Erhaltung von Schienenfahrzeugen (GES), der Zug<br />

wurde von der GES Lok 11 gezogen. Diese Lok war 1911<br />

von der Maschinenfabrik Esslingen für die Hohenzollerische<br />

Landesbahn gebaut worden.<br />

Anmerkungen<br />

1 Staatsarchiv Ludwigsburg E 79III Bü 330,331; E 79 III Bü 576,577.<br />

2 Volksfreund 23.7.1874.<br />

3 Staatsarchiv Ludwigsburg E 79 Bü 1009.<br />

4 Volksfreund 15.1.1874.<br />

5 HZ 9.7.1966.<br />

6 HBL 11.6.1929.<br />

7 HBL 14.11.1929.<br />

8 Heimatbücherei Hechingen, HZ 28.09./ 02.10.1972; Gemeinde<br />

Bisingen, Schwabo 02.10.1972.<br />

Quellen und Literatur:<br />

Kreisarchiv Zollernalbkreis<br />

Stadtarchiv Balingen<br />

Stadtarchiv Hechingen<br />

Notariat Hechingen<br />

Hohenzollerische Blätter (HBL)<br />

Hohenzollerische Zeitung (HZ)<br />

26<br />

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Der Publikumsandrang auf den Bahnhöfen war groß, denn<br />

viele wollten Herzogin Viktoria Luise und Prinz Louis Ferdinand<br />

sehen. Bis Hechingen fuhr der Zug auf den Gleisen<br />

der Hohenzollerischen Landesbahn und wurde dann dort<br />

auf die Gleise der Bundesbahn umgesetzt. Er fuhr nun auf<br />

der Hohenzollernbahn bis zur Station Zollern. Dort warteten<br />

der Bisinger Bürgermeister Haasis, die Stadtkapelle Hechingen,<br />

sowie viele Presseleute und Schaulustige. Nach<br />

dem Empfang im Kaisersaal der Station fuhren Herzogin<br />

Viktoria Luise und Prinz Louis Ferdinand in einem offenen<br />

Landauer zur Burg Hohenzollern 8.<br />

Ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung<br />

Bis 1972 war die Station Zollern besetzt und wurde danach<br />

noch bis 1977 als unbesetzter Haltepunkt bedient. Die Züge<br />

hielten aber nur noch unplanmäßig, besonders für Reisegruppen,<br />

die auf die Burg Hohenzollern wollten.<br />

Im Jahre 1976 wurde die Station als Kulturdenkmal von besonderer<br />

Bedeutung eingestuft. Im gleichen Jahr wurde das<br />

Bahnhofsgebäude zum Kauf angeboten. Zunächst fand sich<br />

niemand, der sich um die Station kümmerte, so daß sie immer<br />

mehr verkam. Das machte sich besonders an eingeschlagenen<br />

Fenstern und demolierten Räumen bemerkbar.<br />

Schließlich fand sich 1981 doch ein Kaufwilliger, der bereit<br />

war, das Stationsgebäude wieder instand zu setzen und die<br />

Auflagen des Denkmalamtes zu berücksichten.<br />

Der Volksfreund (Volksfreund)<br />

Schwarzwälder Bote (Schwabo)<br />

Baudirektor von Morlok, Rückschau auf die Erbauung der Königlich<br />

Württembergischen Eisenbahn, Stuttgart 1890 (Nachdruck 1986).<br />

Stefan Hammer, Rolf Arbogast, Alte Bahnhöfe in Württemberg,<br />

Stuttgart Edition Erdmann.<br />

Guido Motika/Balingen, Grundriß und Skizze Informationen über<br />

die Gleisanlagen.<br />

Conzelmann August GmbH & Co./Bisingen, Bild aus dem Jahr<br />

1910.<br />

Hohenzollerische Zeitung, Bilder aus dem Jahr 1979.<br />

Gesellschaft zur Erhaltung von Schienenfahrzeugen e. V. Stuttgart,<br />

GES Lok 11.<br />

Jürgen Herre/Balingen, Bilder vom Preußen-Adel.<br />

Hans Kobschätzky, Streckenatlas der deutschen Eisenbahnen<br />

1835-1892, Alba Verlag Düsseldorf.<br />

Deutsche Reichsbahn Gesellschaft, Amtliches Bahnhofsverzeichnis<br />

der Deutschen Reichsbahn, Berlin 1933.


Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau<br />

Vortragsveranstaltung am Samstag, 16. Oktober 1999, ab<br />

9.30 Uhr in Schömberg-Schörzingen, Hohenberghalle (siehe<br />

auch »Mitteilungen aus dem <strong>Geschichtsverein</strong>« in diesem<br />

Heft).<br />

Weite Landstriche an oberem Neckar und oberer Donau<br />

gehörten bis 1806 zu Vorderösterreich. Die jahrhundertelange<br />

Zugehörigkeit zum Hause Habsburg war prägend für<br />

die Region. Heute finden sich zahlreiche Gebietsteile dieses<br />

ehemals österreichischen Territoriums in den Landkreisen<br />

Rottweil, Tuttlingen, Sigmaringen und dem Zollernalbkreis<br />

wieder.<br />

Mit der Vortragsveranstaltung »Vorderösterreich an oberem<br />

Neckar und oberer Donau« wird die Thematik der Landesausstellung<br />

zu Neckar/obere Donau vertieft. Die Vortragsthemen<br />

spiegeln die Vielfalt wider, die für Vorderösterreich<br />

charakteristisch ist: Zu Vorderösterreich gehörten<br />

Herrschaften und Städte, die sich direkt unter österreichischer<br />

Hoheit befanden, wie auch Territorien, die als Lehen<br />

oder Pfandschaften an Adlige vergeben waren. Letzteres<br />

war beispielsweise bei den Grafschaften Sigmaringen und<br />

Veringen der Fall, welche die Grafen und Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen<br />

seit 1535 als österreichische Lehen<br />

inne hatten. Habsburg fungierte für die vorderösterreichischen<br />

Untertanen sowohl als direkter Landesherr, der seine<br />

Landeskinder relativ milde regierte, wie auch als »Schutzflügel«,<br />

der über solche Untertanen gebreitet wurde, die<br />

WOLFGANG SCHAFFER<br />

von nachgeordneten Herren bedrängt wurden. Habsburg<br />

mußte aber auch politische Rücksichten auf ein weit gespanntes<br />

Klientelsystem von Adel und Klöstern, und damit<br />

auch auf die Lehens- oder Pfandinhaber nehmen. Nicht zuletzt<br />

wurden dabei eigene, österreichische Interessen verfolgt.<br />

Der gesamte Südwesten wurde als wichtiges habsburgisches<br />

Einflußgebiet angesehen. Insgesamt blieb die habsburgische<br />

Regentschaft recht lange in guter Erinnerung.<br />

Mit den Vorträgen sollen zentrale Aspekte Vorderösterreichs<br />

am regionalen Beispiel herausgearbeitet werden. Zugleich<br />

sollen Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge, die<br />

für die Region konstitutiv waren, deutlich werden.<br />

Der Tagungsort in Schömberg-Schörzingen liegt am Fuße<br />

des Oberhohenbergs, wo sich die Stammburg der Hohenberger<br />

befand. Von hier dehnten die Hohenberger ihr Herrschaftsgebiet<br />

aus, das 1381 an Habsburg verkauft wurde.<br />

Bis 1806 war die Grafschaft Hohenberg österreichisch.<br />

Die Landkreise Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen und der<br />

Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong><br />

laden alle Geschichtsfreunde ein zum Besuch der Vortragsveranstaltung.<br />

Die Veranstaltung findet mit freundlicher Unterstützung<br />

der Stadt Schömberg und der Ortschaftsverwaltung Schörzingen<br />

statt.<br />

Dr. Andreas Zekorn<br />

Sittliche Mißstände in der Mitte des 19. Jahrhunderts -<br />

zwei Beispiele aus Hohenzollern (Inneringen und Heiligenzimmern)<br />

Noch für das vergangene Jahrhundert gehört es zu den<br />

Merkmalen dörflicher Existenz, daß der weltlichen Autorität<br />

wie z. B. dem Bürgermeister die geistliche Autorität in<br />

Form eines Priesters, sei er nun Pfarrer, Pfarrverwalter, Vikar<br />

oder Kaplan, zur Seite stand. Beide waren auf örtlicher<br />

Ebene verantwortlich für das Funktionieren von Ordnung,<br />

der Bürgermeister »von Amts wegen« für die öffentliche<br />

Ordnung und der Geistliche für die erfolgreiche Vermittlung<br />

christlich-katholischen Gedankenguts unter den Gläubigen.<br />

Als solcher aber war der Geistliche auch zuständig<br />

für die Einhaltung sittlich-moralischer Normen, eine Aufgabe,<br />

die ihn mitunter in einen deutlichen Gegensatz zu den<br />

tatsächlichen Verhältnissen in seiner Gemeinde bringen<br />

konnte. Auf dem Hintergrund einer staatlichen Politik, die<br />

im 19. Jahrhundert noch immer mehr auf den Untertanen<br />

denn auf den mündigen Staatsbürger abzielte, die dabei zumal<br />

auch durch die Kirche unterstützt wurde, konnte es<br />

nicht ausbleiben, daß es auch Abweichungen und Abweichler<br />

gab, die sich ihre eigenen Freiheiten nahmen und damit<br />

zum Objekt der Kritik wurden. Die beiden im folgenden zu<br />

schildernden Fälle zeigen auf der anderen Seite in ihrem<br />

Verlauf, daß gerade die Durchsetzung sittlicher Normen<br />

vor Ort durch den Vertreter der katholischen Kirche angesichts<br />

konkret obwaltender Verhältnisse eines nicht unbeträchtlichen<br />

Fingerspitzengefühls bedurfte, um Aussicht<br />

auf Erfolg zu haben. Beide Beispiele repräsentieren sicher-<br />

lich nicht die Regel, verweisen aber darauf, daß sich dörfliche<br />

Strukturen keineswegs immer so idyllisch darstellten,<br />

wie sie manchmal aus historischer Distanz zu sein scheinen.<br />

1<br />

Auf diesem Hintergrund hatte z. B. auch Karl Jordan<br />

Glatz 1), der 1857-1858 für wenige Monate die damals bereits<br />

seit eineinhalb Jahrzehnten vakante Pfarrei Inneringen zu<br />

verwalten hatte, erhebliche Probleme mit seiner kleinen<br />

Pfarrgemeinde. Als Priester der Diözese Rottenburg war<br />

Glatz zwischen 1855 und 1860 als Aushilfe an das Erzbistum<br />

Freiburg »ausgeliehen« worden und wurde in dieser Funktion<br />

in den hohenzollerischen Dekanaten eingesetzt. Seine<br />

insgesamt recht kurzfristigen Einsätze mögen dazu beigetragen<br />

haben, daß er nicht immer Zeit fand, einen guten Kontakt<br />

zu seiner Pfarrgemeinde herzustellen. Glatz empfand jedenfalls<br />

noch in seiner späteren Funktion als Kaplaneiverwalter<br />

in Bingen, also schon nicht mehr in Inneringen tätig,<br />

die dortigen Verhältnisse als so eklatant, daß er meinte, unbedingt<br />

das Freiburger Ordinariat hierüber in Kenntnis setzen<br />

zu müssen. Andererseits betonte er in seinem Schreiben vom<br />

16. Juni 1858 an die kirchliche Oberbehörde ausdrücklich,<br />

mit seiner Schilderung auf keinen Fall eine neue Untersuchung<br />

provozieren zu wollen - es hatte also vielleicht schon<br />

einmal eine solche gegeben, die indes nicht mehr dokumen-<br />

27


tiert ist. Seinem nur wenige Seiten umfassenden Bericht über<br />

»die sittlichen Zustände in der Gemeinde Inneringen«, - unter<br />

diesem Titel wurde die Akte durch das Freiburger Ordinariat<br />

abgelegt 2) - wollte Glatz nur als eine Mittheilung verstanden<br />

wissen, die eigentlich an das Dekanat in Ringingen<br />

hätte geschickt werden müssen, wenn ihm - wie er zugab -<br />

der Weg nicht zu weit gewesen wäre und er durch Vorbereitung<br />

auf das Pfarrer-Examen und andere Dinge davon abgehalten<br />

worden wäre. Eine Reaktion des Ordinariates liegt<br />

denn auch nicht vor. Gleichwohl ergibt sich aus der Schilderung<br />

von Glatz ein kleiner Blick in vergangene Zustände, die<br />

dem gestrengen und auf Einhaltung von Sitte, Ordnung und<br />

Moral ausgerichteten Blick eines Geistlichen durchaus<br />

mißfallen konnten.<br />

Als einen der Hauptverantwortlichen für die von ihm festgestellten<br />

mißlichen Zustände in Inneringen machte Glatz an<br />

erster Stelle den Lehrer Schmid aus. Traditionellerweise bestand<br />

in Preußen eine ausgesprochen enge Beziehung zwischen<br />

Kirche und Schule, was u. a. dadurch zum Ausdruck<br />

kam, daß Pfarrer und Kapläne nicht nur den Religionsunterricht<br />

in der Elementarschule übernahmen, sondern auch die<br />

Schulaufsicht durch Geistliche wahrgenommen wurde. Dieser<br />

enge Konnex zwischen Schule und Kirche wurde in jenen<br />

Jahren nicht in Frage gestellt, sondern galt geradezu als<br />

staatstragend. Lehr- und Lernziele in der Elementarschule (=<br />

Grundschule) waren darüber hinaus in jenen Jahren weitgehend<br />

durch religiöse Bezüge geprägt und die Person des Lehrers<br />

häufig durch gleichzeitige Wahrnehmung des Amtes eines<br />

Mesners und/oder Organisten mit dem kirchlichen<br />

Dienst verwoben. Um so mehr mußte es einem Geistlichen<br />

vor Ort auffallen, wenn Schule sich nicht so vollzog, wie er<br />

dies gerne gesehen hätte. Der Lehrer Schmid jedenfalls hatte,<br />

kaum daß Glatz im Schulunterricht tätig geworden war, dessen<br />

Kritik durch seinen elitär anmutenden Grundsatz hervorgerufen,<br />

weniger begabte Kinder solle man ruhig gehen<br />

lassen. Diesen keineswegs väterlich-pädagogischen Grundsatz<br />

tadelte Glatz schwer. Auch der damals übliche werktägige<br />

Kirchenbesuch der Kinder ließ nach seiner Ansicht deutlich<br />

zu wünschen übrig, doch wollte er hier bewußt nicht zu<br />

energisch durchgreifen, da dies offensichtlich einer gewissen<br />

Nachlässigkeit in der Erfüllung der religiösen Pflichten im<br />

Orte selbst entsprach: Glatz hatte festgestellt, daß von 190<br />

Bürgern und Familienvätern am Sonntagmorgen überhaupt<br />

nur etwa 80 den Gottesdienst besuchten.<br />

Glatz versuchte daher, durch Reduzierung der Zahl der kirchenpflichtigen<br />

Werktage für Schüler auf zwei bis drei die<br />

Besuchsfrequenz zum Gottesdienst zu steigern, diese aber<br />

dafür strenger zu kontrollieren. Dies trug ihm nach eigener<br />

Darstellung im Orte größte Unannehmlichkeiten ein. So<br />

bemerkte er über einen längeren Zeitraum hinweg, daß in<br />

der Sonntagmorgen-Messe in den Kirchenbänken der oberen<br />

Schulklasse bedeutende Lücken waren. Seine weiteren<br />

Untersuchungen ergaben einen Zusammenhang damit, daß<br />

um jene Uhrzeit herum den ganzen Winter hindurch etwa<br />

20 Kinder nach Veringen(stadt) geschickt wurden, um dort<br />

»Tarmburinarbeit« 3) zu holen.<br />

Ein solches Verhalten wurde in der Inneringer Bevölkerung<br />

in keinster Weise hinterfragt; sogar der Lehrer als Autorität<br />

in Sachen Erziehung der Jugend hatte offenbar nichts dagegen<br />

einzuwenden, kamen doch die Kinder jeweils unmittelbar<br />

am Hause Schmids vorbei. Glatz wandte sich daraufhin<br />

sogar mit einer entsprechenden Anzeige an das Oberamt<br />

und versuchte von Amts wegen neue Zeiten für die Abgabe<br />

von Arbeiten festlegen zu lassen - eine Reaktion erhielt er<br />

jedoch nicht.<br />

Lehrer Schmid erfuhr nicht nur wegen seiner Nachlässigkeit<br />

im Schulunterricht die Kritik des Pfarrverwalters. Dieser<br />

28<br />

konstatierte vielmehr auch im Hinblick auf die Führung der<br />

Mesnerei bei Schmid Nachlässigkeit, Mangel an Reinlichkeit,<br />

Pünktlichkeit, Anstand und Würde, vermißte darüber<br />

hinaus in Orgeldienst und Kirchenmusik einige Qualität.<br />

Schmid selbst nutzte nach den Recherchen von Glatz seine<br />

Freizeit in leidenschaftlichem Spiel, wobei es an Flüchen und<br />

Schwüren nicht fehlt. Schmid stand offenbar an der Spitze einer<br />

Gruppe von Gleichgesinnten - Glatz bezeichnet sie als<br />

Spielgesellschaft -, die sich bis über die Polizeistunde hinaus<br />

trafen. Nach eigenem Bekunden hatte Schmid schon einmal<br />

an einem Nachmittag den erheblichen Betrag von 16 Gulden<br />

verloren, bzw. am nächsten Tag einen solchen von 18 Gulden<br />

gewonnen. Glatz hatte bereits amtliche Anzeige gemacht,<br />

damit jedoch offenbar erneut nichts bewirkt.<br />

Neben Schmid machte Glatz als zweiten Hauptverantwortlichen<br />

für die sittlichen Mißstände den Inneringer Chirurgen<br />

Knaupp aus. Zwischen Oktober 1857 und Mai 1858<br />

hatte Glatz diesen nur drei- bis viermal in der Kirche ausgemacht,<br />

charakterisierte ihn darüber hinaus als der Trunksucht<br />

verfallen. Gefahr sah Glatz in dem Chirurgen nicht<br />

zuletzt auch deshalb, weil dieser aus seiner nicht-kirchlichen<br />

Haltung öffentlich kein Hehl machte und dadurch den<br />

Glauben, den Begriff von Unschuld und guter Sitten aus<br />

den Herzen der Leute anfocht. Im Orte selbst hatte Knaupp<br />

schon deswegen nichts zu befürchten, als niemand teils wegen<br />

Verschuldung an ihn, teils wegen voraussichtlicher Notwendigkeit<br />

seiner Dienste entgegenzutreten wagte. Überhaupt<br />

sah Glatz das unmäßige mit Flüchen verbundene<br />

Spielen als den eigentlichen Krebsschaden der Gemeinde<br />

an. Die Väter seien hier ihren Söhnen ein schlechtes Beispiel,<br />

die Söhne wiederum verschafften sich durch heimliche<br />

Fruchtverkäufe die Mittel für ihre Spielsucht. Schließlich<br />

war das allabendliche Herumschwärmen dem Pfarrverwalter<br />

ein großes Ärgernis und Indiz für sittlichen<br />

Mißstand, um so mehr, als dies in vermischter Weise geschah.<br />

Die Tatsache, daß im Jahre 1857 dessen ungeachtet in Inneringen<br />

kein uneheliches Kind getauft worden war, sah<br />

Glatz nicht als Entlastung an. Er verwies darauf, daß er das<br />

Thema von der Kanzel zur Sprache gebracht hatte und besonders<br />

gegenüber den Christenlehrpflichtigen zwei ernste<br />

Ansprachen gehalten hatte.<br />

Wir wissen leider nicht, wie sich die Situation in Inneringen<br />

weiter entwickelt hat. Es ist natürlich nicht auszuschließen,<br />

daß Glatz in der Umsetzung seiner seelsorglichen Funktionen<br />

vielleicht nicht immer glückliche Hand gehabt hat. Andererseits<br />

klagt er über Mißstände, die in jenen Jahren in<br />

vielen Gemeinden weit verbreitet waren: Herumschwärmerei<br />

der Jugend, Alkoholismus und Spielsucht tauchen immer<br />

wieder in den kirchlichen Visitationsberichten auf und<br />

sind als Bestandteil der dörflichen Gesellschaft nicht zu<br />

leugnen. Es vermag gleichfalls nicht zu verwundern, daß eine<br />

Gemeinde, die seit Jahren keinen ordentlichen Pfarrer<br />

hatte, sondern jeweils nur vertretungsweise pastoriert wurde,<br />

zu einem gewissen Teil dem kirchlich-moralischen Zugriff<br />

entglitt. Für Inneringen fehlen die Quellen, um uns<br />

weitere Schlüsse zu ermöglichen. Immerhin wissen die aus<br />

späteren Jahren erhaltenen Visitationsberichte von den hier<br />

beschriebenen Mißständen nichts mehr.<br />

II<br />

Mit einem ganz anderen sittlichen Mißstand hatte sich zwischen<br />

1864 und 1866 der Pfarrer in Heiligenzimmern Maximilian<br />

Schnell 4) auseinanderzusetzen, nämlich dem »ärgerlichen<br />

Leben des Anton K.« 5). In einer Gesellschaft, die lange<br />

Jahre die Aufnahme eines Gewerbes, die Erlangung des<br />

Bürgerrechts oder auch die Gründung einer Familie bewußt<br />

eingeschränkt und nicht zuletzt von einem Mindestvermö-


gen abhängig gemacht hatte, waren Verstöße, wie z. B. in<br />

der Form des Konkubinats, zwar bestraft worden, gehörten<br />

aber durchaus zur dörflichen Realität. Immer wieder gibt es<br />

Fälle, in denen Dorfbewohner, die nicht die Erlaubnis zur<br />

Heirat erhalten hatten, dennoch mit ihrem Partner zusammenlebten<br />

und dann auch - naturgemäß uneheliche - Kinder<br />

in die Welt setzten. Von Staats wegen war dies ein Gesetzesverstoß,<br />

aus dem Blickwinkel der Kirche ein sittlichmoralischer<br />

Mißstand, der immer wieder in Wort und<br />

Schrift gegeißelt wurde. In der Pfarrei Heihgenzimmern eskalierte<br />

Anfang der 1860er Jahre ein Fall, der in seiner Art<br />

deutlich über die angedeuteten Verhältnisse hinausging,<br />

gleichzeitig aber auch nicht uninteressante Einblicke im<br />

Hinblick auf die Tolerierung auch sittlich-moralischen Abweichens<br />

im dörflichen Umfeld gewährt. Immerhin ging es<br />

um den Vorwurf des Inzests, und es ist bezeichnend, daß<br />

eben nicht durch eine amtliche Untersuchung ermittelt<br />

wurde, sondern versucht wurde, durch die dem Pfarrer zur<br />

Verfügung stehenden Mittel die Angelegenheit aus der Welt<br />

zu schaffen.<br />

Der beschuldigte Anton K., geboren am 19. Februar 1802,<br />

hatte, wie Pfarrer Maximilian Schell am 21. April 1864 dem<br />

Freiburger Ordinariat berichtete, schon von jeher einen ärgerlichen<br />

Lebenswandel geführt. Obwohl nie verheiratet,<br />

zeugte er im Jahre 1828 eine Tochter, Franziska K., die es bis<br />

zur Ortsbötin in Heiligenzimmern brachte. Im Jahre 1840<br />

wurde K. zum zweitenmal Vater, diesmal einer Tochter<br />

Magdalena von einer anderen ledigen Frau. Ein 1857 wiederum<br />

von einer anderen Frau geborener Knabe wurde im<br />

Ort gleichfalls K. zugeschrieben. Anfang der 1860er Jahre<br />

wohnte K. mit einer ledigen Frau namens Magdalena K. zusammen,<br />

die 1863 ein Mädchen gebar. Als Pfarrer Schnell<br />

die Mutter deswegen befragte, erklärte diese, sie sei auf einer<br />

Reise vergewaltigt worden. Schnell bezeichnete dies als Lüge<br />

und mahnte sie, das Zusammenleben aufzugeben, da sie<br />

in der ganzen Pfarrgemeinde Ärgernis errege.<br />

Bewegte sich diese Mahnung des Seelsorgers noch im Rahmen<br />

des zu Erwartenden, so erreichte der Fall doch eine andere<br />

Dimension, als die erste Tochter des Anton K., die<br />

Ortsbötin Franziska, dem Pfarrer berichtete, daß ihr Vater<br />

vor einigen Jahren mit ihrer Halbschwester Magdalena Inzest<br />

getrieben habe, dessen sie anläßlich eines Besuches in<br />

deren Haus gewahr geworden sei. Schnell verzichtete auf<br />

die Schilderung weiterer Details, denn: Die Zartheit des Gegenstandes<br />

verbot eine weitere Inquisition, zitierte nunmehr<br />

aber den K. zu sich. Da K. einige Jahre zuvor sich gegenüber<br />

dem damaligen Pfarrverwalter Bürkle Rohheiten erlaubt<br />

hatte, zog Schnell den Bürgermeister Maier als Zeugen hinzu.<br />

Der Pfarrer wies darauf hin, daß K. durch sein Zusammenleben<br />

mit der Magdalena K. im Orte großen Verdacht<br />

wider sich errege; K. bestritt das Konkubinat nicht, wohl<br />

aber, der Vater der Magdalena zu sein. Als Schnell ihm den<br />

§ 141 des preußischen Strafgesetzbuches vorlas, der von der<br />

Bestrafung des Inzests handelte, zeigte sich K. sichtlich betroffen.<br />

Auf Vorhaltung gab er schließlich zu, der Vater des<br />

1863 geborenen Kindes zu sein.<br />

Schnell befahl ihm nun, das Haus der Magdalena K. zu meiden,<br />

doch kehrte er nach einiger Zeit zunächst heimlich,<br />

dann auch öffentlich, immer wieder dorthin zurück. Im Dezember<br />

1863 stellte ihn der Pfarrer vor die Alternative, entweder<br />

mit Sack und Pack in ein anderes Haus zu ziehen, andernfalls<br />

er bei der Staatsanwaltschaft Klage einleiten werde.<br />

K. zog daraufhin tatsächlich aus und nahm zudem eine<br />

Beleidigungsklage gegen einen Dritten vor Gericht zurück,<br />

nachdem dieser ihm gedroht hatte: Wenn Du die Klage nicht<br />

zurücknimmst und die Kosten bezahlst, so sage ich bei Gericht,<br />

was die Pfarrei von Dir weiß. Bald zeigte sich indes,<br />

daß K. von seinen Besuchen im Haus der Magdalena nicht<br />

abließ. Pfarrer Schnell nutzte daraufhin die Gelegenheit der<br />

Verlesung des Ehepatents nach dem Fest Epiphania, insbesondere<br />

mit Verweis auf das dort ausgesprochene Verbot<br />

des Zusammenwohnens, dazu, von der Kanzel darauf hinzuweisen,<br />

daß ein ebensolches ärgerliches Verhältnis in der<br />

Pfarrgemeinde bestand. Desgleichen erklärte er, bei Fortsetzung<br />

dieses Verhältnisses der bischöflichen Behörde Anzeige<br />

machen zu wollen, um das äußerste kirchliche Mittel der<br />

Exkommunizierung zu bewirken. Noch zögerte Schnell<br />

aber selbst und verweigerte Ostern 1864 dem K. die Kommunion<br />

noch nicht. Auf die Unterstützung der Bevölkerung<br />

konnte Schnell nicht hoffen: einige Bürger fürchteten<br />

die Rache Ks., der als zorniger Säufer galt, wenn sie gegen<br />

ihn auftreten würden, andere würden propter affines maculas<br />

die Nicht-Bestrafung von K. wünschen. Schnell, überzeugt,<br />

daß es Aufgabe der Kirche sein müsse, gegen solche<br />

Zustände vorzugehen, sah daher im Ordinariat die letzte Instanz,<br />

die hier etwas würde ausrichten können. Er verwies<br />

darauf, daß K. eine Anklage wegen Inzest sehr scheuen<br />

würde, da der daraus entstehende Skandal in Heiligenzimmern<br />

doch zu sehr Aufsehen erregen würde.<br />

Auch Dekan Johann Baptist Göggel in Stetten bei Haigerloch<br />

war um einen guten Rat verlegen. Einerseits sollte K.<br />

eben nicht wegen Inzest angeklagt werden, andererseits war<br />

in Preußen Konkubinat kein Straftatbestand. Die Ortsbehörde<br />

in Heiligenzimmern zeigte sich in der Angelegenheit<br />

weitestgehend passiv, zumal sie höheren Ortes keine<br />

Unterstützung fand. Von der Verhängung eines Kirchenbanns<br />

aber riet Göggel ausdrücklich ab, indem der Gebannte<br />

möglicherweise zum Luthertum übergehen würde, womit<br />

man eine protestantische Station in Zimmern hätte, die bei<br />

den Lutheranern allein Schutz und Beistand fände. Das<br />

Freiburger Ordinariat entschied, mit der Anwendung härterer<br />

Maßregeln noch zu warten und über Pfarrer Schnell<br />

vielmehr noch eine Zeitlang seelsorgerlich auf K. einwirken<br />

zu lassen, in der Hoffnung, dies würde eine Abstellung des<br />

Übels nach sich ziehen. Schnell zitierte daraufhin das Paar<br />

getrennt voneinander zu sich und ermahnte beide, die ihr<br />

Verhältnis nicht leugneten, nochmals eindringlich, davon<br />

abzulassen. Nur zu bald wurde aber offenbar, daß K. sein<br />

Lasterleben fortsetzte und bei ihm obendrein noch ein paar<br />

ledige Leute bekanntschaftshalber Unterkommen fanden,<br />

was den Skandal nur noch mehr verstärkte.<br />

Der Pfarrer hielt nunmehr eine zweite oberhirtliche Mahnung<br />

für angebracht, ganz im Sinne seines Dekans, der sich<br />

immer noch nicht für eine Exkommunikation aussprechen<br />

wollte. Göggel schlug allerdings vor, K. anzudrohen, daß<br />

ihm eine eventuell notwendig werdende dritte Ermahnung<br />

während des öffentlichen Gottesdienstes von der Kanzel<br />

mitgeteilt werden würde. Am 1. Februar 1864 erging daraufhin<br />

eine offizielle oberhirtliche Ermahnung an K. Als<br />

auch diese fruchtlos blieb, griff Schnell zu stärkeren Maßnahmen:<br />

von Neujahr 1866 bis Passionssonntag ließ er für<br />

das ärgernisgebende Paar an Sonn- und Festtagen das allgemeine<br />

Gebet dergestalt durchführen, daß zwar keine Namen<br />

genannt wurden, wohl aber jeder wußte, welches Paar<br />

gemeint war. Hierdurch enthob sich der Pfarrer der Gefahr,<br />

daß gegen ihn gerichtliche Klage wegen Beleidigung eingeleitet<br />

wurde. Als sich K. über dieses Vorgehen in der Gemeinde<br />

beschwerte, sprach Schnell, der sich zuvor<br />

nochmals mit seinen Amtsbrüdern besprach, den Ausschluß<br />

des Paares von der Osterkommunion aus. Als Magdalena<br />

K. bald darauf mit Sack und Pack nach Amerika auswanderte,<br />

so daß nun die Leute sagen, das öffentliche Gebet<br />

habe geholfen, war das Ärgernis, wie Schnell am 4. Juni<br />

1866 dem Ordinariat Gott sei Dank mitteilen konnte, endlich<br />

aus der Welt.<br />

29


Anmerkungen<br />

1 Karl Jordan Glatz, geb. 28.1.1827 Rottweil, Priesterweihe Rottenburg<br />

10.8.1852, Vikar Oberndorf, 1855 Kooperator Hechingen,<br />

1857 Pfarrverwalter Inneringen, 1858 Pfarrverwalter Klosterwald,<br />

Pfarrverwalter Bärenthal, Kaplaneiverwalter Bingen,<br />

1859 Pfarrverwalter Wiblingen, 1860 Rückkehr in die Diözese<br />

Rottenburg, 1867 Pfarrer Neufra bei Rottweil, 1878 Pfarrer<br />

Wiblingen, gest. 5.9.1880.<br />

2 Archiv des Erzbistums Freiburg, Ordinariat 14543. Das umfangreiche<br />

Werk von Johannes Maier/Siegfried Krezdorn, Die<br />

Geschichte des Ortes Inneringen (Schussenried 1966) kennt die<br />

hier beschriebene Szenerie nicht. Auch die Durchsicht zeitgenössischer<br />

Visitationsprotokolle im Freiburger Archiv ergab<br />

keine weiteren Hinweise.<br />

3 Gemeint ist die Tambourierstickerei, eine Zierstickerei, die statt<br />

mit einer Nadel mit einem Häkchen durchgeführt wurde. Sie<br />

gehört in den Kontext der im 19. Jahrhundert auf der Schwäbischen<br />

Alb weit verbreiteten sog. Hausindustrie, mit der sich ein<br />

großer Teil der Bevölkerung, durch die kargen Einkünfte aus der<br />

Landwirtschaft nur unzureichend unterhalten, einen Nebenver-<br />

BOTHO WALLDORF<br />

Was aus den rußgeschwärzten Lokomotiv-Remisen wurde.<br />

dienst verschaffte. Besonders im Winterhalbjahr fanden hier<br />

Frauen und Kinder Beschäftigung. Weit verbreitet war z. B. im<br />

ehemaligen Amtsbezirk Straßberg die Weißstickerei (Mousselinoder<br />

Trommelstickerei), die seit Anfang des 19. Jahrhunderts vor<br />

allem für Schweizer Handelshäuser durchgeführt wurde. Sog.<br />

Stickferker lieferten im Namen der Schweizer »Verleger« Rohstoffe<br />

an Stickerinnen aus, sammelten die fertigen Stücke wieder<br />

ein und rechneten unter Abzug einer Vermittlungsgebühr mit<br />

beiden Parteien wieder ab. Seit den 1860er Jahren erfolgte eine<br />

deutliche Zurückdrängung des personalintensiven Einsatzes der<br />

Weißstickerei durch die zunehmende Verbreitung von Maschinen.<br />

4 Maximilian August Hermann Schnell, geb. 20.6.1824 Sigmaringen,<br />

Priesterweihe 10.8.1848, Kaplanei-und Präzeptoratsverweser<br />

Haigerloch, 1854 Hofkaplan Haigerloch, 1857 Pfarrer Heiligenzimmern,<br />

Kammerer des Dekanats Haigerloch, 1866 Dekan<br />

Haigerloch, 1869 Pfarrer Haigerloch, 1886 Erzbischöflicher<br />

Geistlicher Rat, gest. 22.7.1900.<br />

5 Archiv des Erzbistums Freiburg, Ordinariat 14486; der Namen<br />

wurde durch den Verfasser dieser Zeilen abgekürzt.<br />

Das Schicksal der vier Lokomotivschuppen der Hohenzollerischen Landeshahn von 1901<br />

Im Juli 1899 ist mit dem Bahnbau in Hohenzollern begonnen<br />

worden. Am 5. Juli 1899 wurde die Hohenzollerische<br />

Landesbahn AG [HzL] als Aktiengesellschaft ins Handelsregister<br />

in Sigmaringen eingetragen. Diese Ereignisse sind<br />

der Anlaß, am 9.-11. Juli das 100-jährige Bestehen dieses bedeutenden<br />

süddeutschen Verkehrsunternehmens zu feiern.<br />

Bekanntlich wurden in den Jahren 1900/01 die vier Stichbahnen<br />

gebaut, die in Stetten bei Haigerloch, Burladingen,<br />

Gammertingen und Bingen endeten. An diesen vier Endstationen<br />

wurde auch jeweils ein zweiständiger Fachwerklokschuppen<br />

mitsamt Wasser- und Kohlenstation gebaut. Die<br />

Lokomotiv-Remise, wie der damalige Sprachgebrauch lautete,<br />

bot zwei kleinen, zweiachsigen Dampf-Lokomotiven<br />

der Type »d« der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft<br />

Köln Platz. Anläßlich des Centenariums der HzL ist es interessant,<br />

dem Schicksal dieser vier Lokomotivschuppen<br />

nachzugehen. Am wenigsten überliefert ist uns vom Lokschuppen<br />

in Stetten bei Haigerloch. Es gibt davon keine Fotos<br />

und keine Archivalien. Der Stettener Bürgermeister<br />

wollte die Entfernung des Lokschuppens nicht hinnehmen,<br />

sah er doch darin ein Stück Infrastruktur seines Dorfes.<br />

Langfristig sollte er recht behalten. Wie froh wäre die HzL<br />

heute, wenn für ihre Kleinlok ein Lokschuppen in Stetten<br />

noch vorhanden wäre.<br />

In Burladingen, dem Endpunkt der Killertalbahn bis 1908,<br />

wurde der Lokschuppen auf Fotos und Ansichtskarten<br />

meist beiläufig abgebildet, so daß sein Aussehen bildlich<br />

überliefert ist. Das Betriebsbuch der Dampflok Betriebsnummer<br />

C 2 (erbaut 1899, verschrottet 1938) weist uns typische<br />

Dampflokarbeiten archivalisch nach, die in Burladingen<br />

durchgeführt wurden. Das waren Auswaschen des Kessels,<br />

Rohre blasen, sowie Frisitarbeiten, die sogenannten<br />

Revisionen. Mit der Fertigstellung des Gesamtnetzes der<br />

HzL im Jahre 1912 verloren die Lokschuppen in Burladingen<br />

und Stetten ihre Funktion. Sie wurden 1914 an den neuen,<br />

zusätzlichen Betriebstmittelpunkt umgesetzt und hintereinander<br />

stehend wieder aufgebaut. Diese Schuppen<br />

30<br />

dienten bis September 1962 den in Haigerloch stationierten<br />

Dampfloks und Triebwagen als Stellplatz, sowie den in Haigerloch<br />

bis 1966 be<strong>heimat</strong>eten Dieselloks ebenfalls. Die<br />

Schuppen sind heute noch vorhanden und dienen Abstellzwecken,<br />

beispielsweise für die nunmehr historische,<br />

1957 erbaute Landesbahn-Diesellok V 81.<br />

Bis in die 1940er Jahre hatte die HzL in Bingen zwei ihrer<br />

kleineren Dampfloks für den planmäßigen Betrieb stationiert.<br />

Wegen der oft befahrenen Steigung Sigmaringen-<br />

Hanfertal waren die Loks sogar in die andere Fahrtrichtung<br />

gedreht, damit über der Kante der Feuerbüchse immer<br />

genügend Wasser war. Später wurden die Gleise entfernt<br />

und der Lokschuppen als Unterstellplatz für die Landesbahn-Omnibusse<br />

umgebaut und durch einen einfachen<br />

Bretterschuppen erweitert. Im Januar 1947 hatte die HzL<br />

mit einem gemieteten Bus den Kraftverkehr aufgenommen.<br />

1987 wurde in Bingen eine moderne Omnibus-Abstellhalle<br />

errichtet und der alte Lokschuppen - weil funktionslos geworden<br />

- abgebrochen. In Bingen erinnert noch im Jubiläumsjahr<br />

1999 ein funktionsfähiger Wasserkran an die<br />

1900-1947 hier planmäßig be<strong>heimat</strong>eten Dampflokomotiven.<br />

Interessant ist die Feststellung, daß die ehemaligen<br />

Lokschuppen-Standorte Bingen und Burladingen (ab 1955,<br />

erweitert 1962) auch zu Stützpunkten des Hzl-Kraftverkehrs<br />

wurden.<br />

Uberlebt hat äußerlich im Originalzustand nur der Lokschuppen<br />

in Gammertingen. Was bei historisch werdenden<br />

Gebäuden immer wichtig ist: Es war in den letzten 100 Jahren<br />

immer eine Nutzung für das Bauwerk gefunden worden.<br />

Als der Lokschuppen 1901 in Betrieb genommen wurde,<br />

hatte die preußische Oberamtsstadt Gammertingen<br />

noch keine öffentliche Wasserversorgung. Die Loks Betriebsnummer<br />

4d oder 6d sogen mit Hilfe eines Pulsometers<br />

das Quellwasser aus dem Boden in einen Wasserbehälter,<br />

der sich im Schuppen befand. Diese Technik ist heute längst<br />

vergessen. Sie ist nur noch auf Bauplänen dargestellt. Nach<br />

Einführung des Dieselbetriebes ab 19 mußten immer mehr


Ersatzteile auf Lager gehalten werden. Der alte Lokschuppen<br />

diente zeitweise als Lackierschuppen und wird bis heute<br />

als Magazin benutzt. Magazinverwalter war in den 1930er<br />

Jahren Otto Götz (1889-1975). Ihm folgte Max Liener, gelernter<br />

Hufschmied aus Hettingen. Im Jubiläumsjahr 1999<br />

werden in dem Lokschuppen Ersatz-Drehstelle für die 1997<br />

eingeführten Triebwagen vom Typ »Regio-Shuttle« aufbewahrt.<br />

So schließt sich der Kreis von den ersten Loks der<br />

s Moiaglöckle<br />

Hzl, den zweiachsigen Dampflokomotiven der Type »d«<br />

bis zu den modernsten Triebfahrzeugen Baujahr 1937. So ist<br />

uns wenigstens einer der vier Lokschuppen durch viele Zufälle<br />

weitgehend im Originalzustand erhalten geblieben.<br />

Das Schicksal der vier Lokomotiv-Remisen zeigt, daß der<br />

Landesbahnbetrieb ein ständiger technischer Innovationsund<br />

Anpassungsprozeß ist.<br />

Moiaglöckle, Moiaglöckle und dei lanzaörmegs Fräckle<br />

läutescht aus da Früahleng ei jo sogar da letschta Schnai<br />

mit deim scheena weißa Röckle O wia blüahscht du so bescheida,<br />

dur dees Buachawäldle rei. schtill vrlassa und so zart,<br />

Moiaglöckle, dei süaß Gschmäckle, Moiablum, ällz ka de leida,<br />

dees vrdreibt olm d'Ploog und d' Waih Glöckle hold vo edler Art.<br />

Maria Leibold<br />

Mitgliederversammlung des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

Die Jahresversammlung des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

e. V. fand am 10. Mai 1999 im Spiegelsaal des Prinzenbaus<br />

(Staatsarchiv) in Sigmaringen statt. Nach der Begrüßung<br />

der Anwesenden und dem Verlesen der Totentafel, wozu sich<br />

die Teilnehmer von ihren Sitzen erhoben, legte der Vorsitzende<br />

Dr. Otto Becker einen umfangreichen Bericht über die<br />

Vereinsarbeit seit der Mitgliederversammlung am 6. Oktober<br />

1998 in Hechingen vor. Danach bildeten wie in den vergangenen<br />

Jahren Vortragsveranstaltungen einen Schwerpunkt in<br />

der Tätigkeit des <strong>Geschichtsverein</strong>s. Auf eine außerordentlich<br />

gute Resonanz war das Kolloquium über die Revolution<br />

1848/49 in den Fürstentümern Hohenzollern gestoßen, das<br />

am 10. Oktober 1998 im Zoller-Hof in Sigmaringen von den<br />

Kreisarchiven Sigmaringen und Zollernalbkreis sowie vom<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong> gemeinsam veranstaltet<br />

wurde. Auf dieser Veranstaltung händigte der Vorsitzende<br />

Herrn Prof. Dr. Fritz Kallenberg übrigens die Urkunde über<br />

seine Wahl zum Ehrenmitglied aus.<br />

Im Herbst wurde in Zusammenarbeit mit dem Haus der<br />

Heimat Baden-Württemberg in Stuttgart als Begleitprogramm<br />

zu der im Staatsarchiv Sigmaringen gezeigten Ausstellung<br />

»Weit in die Welt hinaus ... Historische Beziehungen<br />

zwischen Südwestdeutschland und Schlesien« ein Block<br />

von insgesamt drei Vorträgen angeboten. Zuerst sprach das<br />

Ehrenmitglied Prof. Dr. Gregor Richter über das Wirken<br />

des Hofkapellmeisters Thomas Täglichsbeck in Hechingen<br />

und in Löwenberg in Schlesien (27. Oktober). Es folgte ein<br />

Vortrag des Stuttgarter Publizisten und Historikers Harald<br />

Schukraft über die Verbindungen der Häuser Württemberg<br />

und Hohenlohe mit Schlesien (10. November). Abschließend<br />

referierte Dr. Otto Becker über die Entstehung und<br />

die Entwicklung des ehemaligen Besitzes der Fürstlichen<br />

Häuser Hohenzollern in Brandenburg, Schlesien, Pommern<br />

und in Posen (8. Dezember).<br />

Anschließend sprach Herr Michael Hakenmüller in Sigmaringen<br />

(1. Februar) und in Hechingen (15. März 1999) über<br />

die Bildungsreise der Fürstin Pauline von Hohenzollern-<br />

Hechingen durch Hohenzollern und Oberschwaben nach<br />

Tirol im Jahre 1811. Ebenfalls in Hechingen und in Sigmaringen<br />

(22./23. Februar 1999) referierte Beiratsmitglied Dr.<br />

Andreas Zekorn über das Thema »Österreich in Schwaben:<br />

Ein Abriß der Geschichte Vorderösterreichs«. Dieser Einführung<br />

war es wohl vor allem zu verdanken, daß der Halbtagesexkursion<br />

am 27. Februar 1999 zur Landesausstellung<br />

»Vorderösterreich - nur die Schwanzfeder des Kaiseradlers?«<br />

ein solcher Erfolg beschieden war. Hierfür sprach der<br />

Vorsitzende dem Archivarskollegen Dr. Zekorn seinen aufrichtigen<br />

Dank aus. Demgegenüber wurden die vereinbarten<br />

Termine des Vortrags »Der ferne Nachbar Europas -<br />

Kulturelle Tradition und Gesellschaft in der Türkei« vom<br />

Referenten abgesagt.<br />

Auf große Resonanz stieß ferner der Vortrag von Prof. Dr.<br />

Götz Schneider vom geophysikalischen Institut der Universität<br />

Stuttgart mit dem Thema »Warum gibt es Erdbeben auf<br />

der Zollernalb?«, der am 8. Mai 1999 vom Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong> und von der Gemeinde Jungingen<br />

im Feuerwehrgerätehaus der Killertalgemeinde veranstaltet<br />

wurde. Beiratsmitglied Otto Bogenschütz, der den Vortrag<br />

vorgeschlagen und auch die Organisation und die Werbung<br />

übernommen hatte, stattete Dr. Becker hierfür seinen Dank<br />

und seine Anerkennung aus.<br />

Ebenfalls sehr gut angekommen sind die vom Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong> und vom Verein für Familien- und<br />

Wappenkunde in Württemberg und Baden gemeinsam angebotenen<br />

Archivseminare für <strong>heimat</strong>- und familienkundlich<br />

Interessierte. Das Interesse an diesen Ganztagsveranstaltungen<br />

im Staatsarchiv Sigmaringen war so groß, daß das<br />

Seminar nach dem Termin am 26. September am 7. November<br />

1998 und dann am 24. April 1999 wiederholt werden<br />

mußte. Diese Veranstaltung findet übrigens am 23. Juli noch<br />

einmal statt.<br />

31


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

E 3828<br />

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />

Leider konnte die Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte<br />

34 (1998) noch nicht ausgeliefert werden, obwohl<br />

die Zweitkorrektur Ende Februar 1999 beim Verlag abgegeben<br />

werden konnte. Die vierteljährlich erscheinende Hohenzollerische<br />

Heimat konnte demgegenüber stets termingerecht<br />

ausgeliefert werden. Der Vorsitzende sprach dem<br />

Schriftleiter, Herrn Dr. med. Herbert Burkarth, hierfür seinen<br />

aufrichtigen Dank aus. Es folgte eine kurze Vorschau<br />

auf das Vereinsprogramm in den kommenden Monaten.<br />

Anschließend legte Schatzmeister Hans Joachim Dopfer einen<br />

positiven Bericht über die Finanzsituation und den<br />

Kassenstand zum 31. Dezember 1998 vor. Die Herren Fritz<br />

Schöttgen und Alois Schleicher bescheinigten in ihrem Prüfungsbericht<br />

eine ordnungsgemäße Rechnungsführung. Beanstandungen<br />

gab es keine. Auf Antrag des Vorsitzenden<br />

wurde der Schatzmeister daraufhin von der Mitgliederversammlung<br />

einhellig entlastet. Der Vorsitzende sprach Herrn<br />

Dopfer seinen Dank für die dem Verein in der Vergangenheit<br />

geleistete Arbeit aus. Es folgte die Entlastung des Vorstands<br />

insgesamt.<br />

Dr. Becker nahm die Entlastung zum Anlaß, den Kollegen<br />

im Vorstand und Beirat für ihre Mitarbeit und Unterstützung<br />

zu danken. Sein besonderer Dank galt dem Schriftleiter<br />

der Hohenzollerischen Heimat, Herrn Dr. med. Herbert<br />

Burkarth, dem Mitschriftleiter der Zeitschrift für Hohenzollerische<br />

Geschichte Dr. Zekorn und Frau Liebhaber, die mit<br />

viel Engagement und Umsicht die laufenden Geschäfte des<br />

Vereinssekretariats wahrnimmt, vor allem auch den Versand<br />

der Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte, der Tauschexemplare,<br />

der Sonderdrucke sowie vierteljährlich auch<br />

den Versand der Hohenzollerischen Heimat bewerkstelligt.<br />

Es folgte als weiterer Tagesordnungspunkt die Wahl des<br />

stellvertretenden Vorsitzenden für die Dauer der laufenden<br />

Amtsperiode des Vorstands, die infolge des Rücktritts von<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 16 38, 72486<br />

Sigmaringen.<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung im alten Land<br />

Hohenzollern und den angrenzenden Landesteilen<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat<br />

vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s ist der Bezugspreis im<br />

Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />

DM 13,00 jährlich.<br />

Abonnements und Einzelnummern (DM<br />

3,25) können beim Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

(s. o.) bestellt werden.<br />

32<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Gerd Bantle<br />

Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Dr. Otto H. Becker<br />

Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen<br />

Walter Kempe<br />

Silcherstraße 11, 88356 Ostrach<br />

Maria Leibold<br />

Zollerstraße 3, 72939 Burladingen<br />

Hans Peter Müller<br />

Weiherplatz 7, 72186 Empfingen<br />

Dr. Wolfgang Schaffer<br />

Erkelenzer Straße 15, 50933 Köln<br />

Hannes Schneider<br />

Auf Schmieden 52/1, 72336 Balingen<br />

Karl Werner Steim<br />

Berliner Straße 72, 88499 Riedlingen<br />

Botho Walldorf<br />

Lenaustraße 23, 72127 Wannweil<br />

Dr. Andreas Zekorn<br />

Landratsamt, Hirschbergerstraße 29,<br />

72334 Balingen<br />

Herrn Dr. Vees notwendig geworden war. Als Kandidaten<br />

schlug die Vorstandschaft Rektor a. D. Otto Werner aus<br />

Hechingen vor. Aus den Reihen der Anwesenden wurden<br />

keine weiteren Vorschläge gemacht. Herr Werner wurde<br />

daraufhin ohne Gegenstimme zum stellvertretenden Vorsitzenden<br />

gewählt. Der Vorsitzende gratulierte Herrn Werner<br />

zur Wahl und verband damit seinen Wunsch auf gute Zusammenarbeit.<br />

Unter dem Tagesordnungspunkt »Verschiedenes« bedankte<br />

sich Prof. Dr. Eberhard Gönner, Präsident der Landesarchivdirektion<br />

Baden-Württemberg a. D., für die Verleihung<br />

der Ehrenmitgliedschaft durch die Mitgliederversammlung<br />

am 6. Oktober 1998, an der er aus gesundheitlichen<br />

Gründen nicht hatte teilnehmen können. In seiner<br />

Ansprache berichtete das Ehrenmitglied u. a. auch darüber,<br />

welch großen Eindruck die führenden Hechinger Vereinsmitglieder<br />

in den 30er Jahren, wie z. B. Dr. med. Ernst Senn,<br />

Studienrat Heinrich Faßbender, Willy Baur oder Maximilian<br />

Schaitel, auf ihn als Heranwachsenden gemacht und damit<br />

auch seine Berufswahl beeinflußt hätten. Der Vorsitzende<br />

dankte dem Ehrenmitglied Prof. Gönner einmal dafür,<br />

daß er die weite Reise von Stuttgart auf sich genommen habe,<br />

um an der Mitgliederversammlung teilzunehmen, und<br />

zum andern für seine anerkennenden Worte über die Arbeit<br />

des Vereins.<br />

An die Mitgliederversamlung schloß sich traditionsgemäß<br />

ein öffentlicher Vortrag an. Es sprach Dr. Jürgen Klöckler,<br />

Universität Konstanz, über das Thema »Königreich Schwaben<br />

oder schwäbisch-alemannische Demokratie? Pläne zur<br />

staatlichen Neugliederung Südwestdeutschlands unmittelbar<br />

nach 1945«. Der kenntnisreiche, vor allem aber gut<br />

strukturierte und exzellent dargebotene Vortrag stieß bei<br />

den Anwesenden auf großes Interesse, wie durch die anschließende<br />

Diskussion deutlich wurde. Otto H. Becker<br />

Gesamtherstellung:<br />

Jan Thorbecke Verlag,<br />

70173 Stuttgart, Eberhardstraße 69-71<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiterzuempfehlen.


DER ilXZrCr Sr. MAJE S TAT BKS TONTOS DURCH! Bl£ EHRENPFORTE<br />

zir iromriirtXLô or;<br />

Einzug des neuen Landesherrn König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen am 24. August 1851 in<br />

Sigmaringen, durch eine am westlichen Stadteingang errichtete Ehrenpforte (Zeichnung W. Laur,<br />

Lithographie J.F. Lutz)


EDWIN ERNST WEBER<br />

Hohenzollern wurde vor 150 Jahren preußisch<br />

Ein »Gewaltstreich« gegen Volk und Verfassung<br />

»Die Besetzung der beiden Fürstenthiimer Sigmaringen und<br />

Hechingen durch preußische Truppen, wovon man längst in<br />

öffentlichen Blättern gesprochen, tritt nun wirklich ein. Wie<br />

man sagt, sollen 3000 Mann zu diesem Zwecke morgen hier<br />

einrücken. Daß die Besitznahme der Fürstenthümer durch<br />

die Preußen ein Gewaltstreich sei, liegt offen am Tage. (...)<br />

Nach dem Verfahren Preußens in Baden und der völligen<br />

Besiznahme (!) unserer Fürstenthümer scheint es wahr werden<br />

zu wollen, daß Deutschland in Preußen aufgehen werde.«<br />

Mit diesen Sätzen informierte der »Sigmaringer<br />

Erzähler«, das Sprachrohr der Demokraten und Republikaner<br />

im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen am<br />

3. August 1849 seine Leser vom unmittelbar bevorstehenden<br />

Einmarsch preußischer Truppen in die beiden hohenzollerischen<br />

Fürstentümer. Noch am selben Tag rückten<br />

tatsächlich unter dem Befehl von Oberst von Kußnow zwei<br />

Bataillone des 26. preußischen Linieninfanterieregiments,<br />

zwei Eskadronen Ulanen vom 8. Regiment und eine halbe<br />

Batterie Artillerie im Sigmaringer Fürstentum ein. Zwei Tage<br />

später erschien dem preußischen Befehlshaber die Ruhe<br />

im Ländchen soweit hergestellt, daß er mit dem Gros seiner<br />

Truppen zur Besetzung des benachbarten Fürstentums Hohenzollern-Hechingen<br />

abmarschierte und in Sigmaringen<br />

lediglich eine Besatzung von 210 Mann mit zwei Geschützen<br />

zurückließ.<br />

Die Hintergründe dieser Militäraktion, die in unmittelbarem<br />

Anschluß an die blutige Niederwerfung der demokratischen<br />

Volkserhebung in Baden durch die Preußen erfolgte,<br />

hatte der »Sigmaringer Erzähler« bereits in seiner Ausgabe<br />

vom 31. Juli 1849 ebenso respektlos wie korrekt geschildert:<br />

Zu erwarten sei »eine Mediatisirung der Fürstenthümer zu<br />

Gunsten Preußens« und damit »wieder einmal ein Staatsstreich«,<br />

der »gegen Recht und Verfassung das Volk wie eine<br />

Waare verschacher(t).« Der König von Preußen gewinne<br />

mit der Einverleibung der hohenzollerischen Fürstentümer<br />

»einen guten militärischen Punkt« im Süden Deutschlands,<br />

der Fürst von Sigmaringen dagegen behalte unter preußischem<br />

Schutz seine Domänen.<br />

Die militärische Besetzung der hohenzollerischen Fürstentümer<br />

Anfang August 1849 bildete gleichsam einen<br />

Vorgriff auf die spätere Angliederung der beiden südwestdeutschen<br />

Duodezstaaten an das Königreich Preußen, die in<br />

einem Vertrag vom 7. Dezember 1849 zwischen König<br />

Friedrich Wilhelm IV. und seinen beiden hohenzollerischen<br />

Vettern, Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen<br />

und Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin von Hohenzollern-Hechingen,<br />

sodann formell vereinbart wurde. Die beiden<br />

Fürsten treten darin die Souveränität über ihre Territorien<br />

an den stammverwandten König von Preußen ab und<br />

erhalten als Gegenleistung Jahresrenten von 25000 bzw.<br />

10000 Taler zugesichert. Die sog. Domänen, hinter denen<br />

sich in erster Linie die 1803 von den hohenzollerischen Fürsten<br />

säkularisierten Kirchengüter verbergen, werden diesen<br />

vom neuen Landesherrn als fürstlicher Privatbesitz anerkannt<br />

und garantiert. Während die Landtage der beiden hohenzollerischen<br />

Fürstentümer unter Bruch der Landesverfassungen<br />

von 1833 bzw. 1848 zu dieser Einverleibung<br />

durch Preußen nicht gehört werden und der Ubergang der<br />

Landesherrschaft damit ohne Zustimmung des Volkes erfolgt,<br />

wird in den beiden preußischen Kammern am<br />

12. März 1850 ein »Gesetz über die Vereinigung der Hohen-<br />

34<br />

zollernschen Fürstentümer mit dem Preußischen Staatsgebiet«<br />

beschlossen. Nur wenige Wochen später findet am 6.<br />

April 1850 in Sigmaringen und am 8. April in Hechingen die<br />

feierliche Übergabe der Regierungsgewalt an die preußischen<br />

Behörden statt. Die schwäbischen Hohenzollern am<br />

oberen Neckar und an der oberen Donau waren damit zu<br />

Preußen geworden und blieben es bis nach dem Ende des<br />

Zweiten Weltkriegs.<br />

Die preußische Übernahme von 1849/50 gibt dem hohenzollerischen<br />

»Sonderweg« in der Geschichte Südwestdeutschlands<br />

eine neue Richtung und verlängert ihn um einhundert<br />

Jahre. Begonnen hatte diese Sonderentwicklung<br />

1806, als die beiden hohenzollerischen Zwerg-Fürstentümer<br />

gegen alle Wahrscheinlichkeit vor allem dank der exzellenten<br />

persönlichen Beziehungen der Sigmaringer Fürstin<br />

Amalie Zephyrine in die politischen Führungsschichten des<br />

napoleonischen Frankreich der Mediatisierung entgangen<br />

waren und neben den neugeschaffenen Mittelstaaten Baden,<br />

Württemberg und Bayern zu souveränen Mitgliedern<br />

zunächst im Rheinbund und seit 1815 sodann im Deutschen<br />

Bund wurden.<br />

Das 40000 Einwohner zählende Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />

präsentiert sich am Vorabend der Revolution<br />

als Verfassungsstaat mit liberalem Regierungschef, vergleichsweise<br />

»moderner« Herrschafts- und Verwaltungspraxis<br />

und mit entwickelter politischer Partizipation und<br />

Öffentlichkeit. Auffallend rückständig erscheint demgegenüber<br />

das unter einer drückenden Verschuldung leidende<br />

Fürstentum Hohenzollern-Hechingen mit seinen<br />

knapp 20000 Einwohnern. Im Unterschied zu Sigmaringen<br />

entsteht hier im Vormärz kein Verfassungsstaat, vielmehr<br />

bleibt es bei dem 1798 am Ende von 200jährigen Untertanenkonflikten<br />

abgeschlossenen Landesvergleich, dessen seit<br />

1835 nach einer neuen Wahlordnung rekrutierte zwölfköpfige<br />

Landesdeputation ohne eigentliche konstitutionelle<br />

Verankerung bleibt. Die Landesverwaltung galt als schlampig<br />

und wenig kompetent, der seit 1838 regierende Fürst<br />

Friedrich Wilhelm Konstantin war eher den Musen und zumal<br />

der Musikpflege denn Regierungs- und Verwaltungsgeschäften<br />

in seinem Ländchen zugetan.<br />

In beiden Fürstentümern löst die Nachricht von den Revolutionsereignissen<br />

in Frankreich und in Baden im März<br />

1848 eine lebhafte politische Bewegung aus. In Hechingen<br />

kommt es am 11. März 1848 zu einer tumulthaften Massenversammlung<br />

von rund 1500 teilweise mit Sensen, Stöcken<br />

und Pistolen bewaffneten Landbewohnern, die lautstark<br />

von ihrem Fürsten die Abschaffung der Frondienste und<br />

der Zehnten, die Aufhebung der bäuerlichen Lehensverhältnisse,<br />

eine gerechtere Besteuerung, die auch die fürstlichen<br />

und geistlichen Güter einbezieht, sowie eine Beschränkung<br />

des Schacherhandels der Juden verlangen. Die<br />

zeitgemäßen bürgerlich-liberalen Forderungen wie Pressefreiheit,<br />

Volksbewaffnung oder ein deutsches Parlament<br />

spielen kaum eine Rolle. Es ist mithin eine bäuerliche Revolte<br />

in der Tradition der jahrhundertelangen Hechinger<br />

Untertanenkonflikte, die den Fürsten schließlich am Abend<br />

dieses für ihn traumatischen Tages nach mancherlei<br />

Demütigungen und zuguterletzt massiven Drohungen zur<br />

vorbehaltlosen Einwilligung in alle Petitionspunkte nötigt.<br />

Nach diesem dramatischen Auftakt nimmt das Hechinger<br />

Revolutionsgeschehen in der Folge indessen einen ange-


oUettföe Conbc 'V<br />

Mitteilungen aus dem <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Veranstaltungen im 3. Quartal 1999<br />

I. Exkursion<br />

Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> e.V veranstaltet<br />

am Samstag, 23. Oktober, eine Ganztagesexkursion mit<br />

Diözesankonservator Wolfgang Urban, Rottenburg<br />

a.N., zur<br />

Reichenau und nach Konstanz.<br />

Vormittags werden auf der Reichenau unter der kundigen<br />

Führung von Herrn Urban Oberzell und Mittelzell<br />

mit dem Münsterschatz besucht. Nach dem Mittagessen<br />

wird Herr Urban die Gruppe in Niederzell führen. Danach<br />

erfolgt die Weiterreise nach Kosntanz, wo Herr Urban<br />

auf einem Rundgang durch die historische Innenstadt<br />

den Mitreisenden u.a. das Münster mit seiner Mauritiusrotunde<br />

und der Krypta, das Augustinerkloster, die<br />

Bürgerschaftskirche St. Stefan und das Haus des Johannes<br />

Hus zeigen und erläutern wird.<br />

Abfahrt: Hechingen um 7.00 Uhr Haltestelle Obertorplatz<br />

Sigmaringen um 8.00 Uhr Haltestelle gegenüber<br />

der Marstallpassage.<br />

Rückkehr: Sigmaringen ca. 18.30 Uhr, Hechingen<br />

ca. 19.30 Uhr.<br />

Anmeldungen sind bis spätestens 19. Oktober an Frau<br />

Liebhaber zu richten (Tel. 07571/101-558). Die Teilnehmerzahl<br />

ist auf 50 Personen begrenzt.<br />

II. Einzelvorträge<br />

Pfr. Klaus Frank, Ettlingen:<br />

Aus christlichem Glauben für Menschenwürde und<br />

Freiheit: Reinhold Franks Widerstand gegen den<br />

Nationalsozialismus.<br />

Montag, 22. Nov., um 20 Uhr im Hohenzollernsaal des<br />

Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechingen.<br />

Montag, 29. November, um 20 Uhr im Spiegelsaal des<br />

Prinzenbaus (Staatsachiv) in Sigmaringen.<br />

Prof. Dr. Utz Jeggle, Universität Tübingen:<br />

Erinnerungen an die Haigerlocher Juden.<br />

Montag, 6. Dezember, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal<br />

des Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechin-<br />

gen.<br />

III. Vortragsveranstaltung<br />

Die Landkreise Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen und<br />

Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische Geschichts-<br />

verein e.V laden alle Geschichtsfreunde zu der Vortrags-<br />

veranstaltung<br />

Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau<br />

am Samstag, 16. Oktober, ab 9.30 Uhr in die Hohenberghalle<br />

in Schömberg-Schörzingen ein.<br />

Programm:<br />

9.30 Uhr Grußworte<br />

10.00 Uhr Bernhard Rüth: Der Übergang der Herrschaft<br />

Schramberg an Österreich.<br />

10.40 Uhr Kaffeepause<br />

11.00 Uhr Hans Peter Müller: Oberndorf als vorderösterreichische<br />

Stadt.<br />

11.40 Uhr Dr. Hans-Joachim Schuster: Fridingen<br />

und Spaichingen, die »Hauptorte« Oberhohenbergs,<br />

ca. 12.20 Uhr Mittagspause<br />

14.00 Uhr Dr. Edwin Ernst Weber: Landeshoheit von<br />

»oben« versus Herrschaftsverdichtung<br />

von »unten«. Territorialherrschaft in Vorderösterreich<br />

und Fürstenberg-Meßkirch<br />

am Beispiel der Untertanendörfer Engelswies<br />

und Kreenheinstetten.<br />

14.40 Uhr Dr. Andreas Zekorn: Unter dem Schutzflügel<br />

des Kaiseradlers: Die Grafschaften<br />

Sigmaringen und Veringen als österreichische<br />

Lehen.<br />

15.20 Uhr Kaffeepause<br />

15.45 Uhr Karlheinz Geppert M.A.: Die vorderösterreichischen<br />

Städte Schömberg und Binsdorf.<br />

16.25 Uhr Dr. Martin Zürn: Die vorderösterreichische<br />

Herrschaft Kallenberg,<br />

ca. 17.15 Uhr Ende der Nachmittagsveranstaltung<br />

18.00 Uhr Empfang des Zollernalbkreises und der<br />

Stadt Schömberg (mit Abendessen).<br />

Musikalische Umrahmung: Volkstanzmusik<br />

Frommern<br />

20.00 Uhr Grußworte<br />

20.15 Uhr Prof. Dr. Franz Quarthai: Habsburg am<br />

oberen Neckar und der oberen Donau.<br />

IV. Seminar<br />

Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> e.V. und der<br />

Verein für Familien- und Wappenkunde in Württemberg<br />

und Baden e.V. veranstalten am Freitag, 5. November<br />

1999, von 13.00 Uhr bis ca. 17.30 Uhr im Staatsarchiv<br />

Sigmaringen ein Nutzerseminar Einführung in die Archivbestände<br />

zur Geschichte Oberschwabens.<br />

Das Fürstlich Thum und Taxis'sche Depositum<br />

Obermarchthal im Staatsarchiv Sigmaringen<br />

(STAS Dep. 30).<br />

Programm:<br />

13.00 Uhr<br />

13.15 Uhr<br />

14.00 Uhr<br />

15.00 Uhr<br />

Begrüßung<br />

Die Fürsten von Thum und Taxis in Oberschwaben<br />

(Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch)<br />

Teilbestände des Depositums (Birgit<br />

Kirchmaier)<br />

Archivalientypen und Dokumentationsinhalte<br />

(Josef Adam, Birgit Kirchmaier,<br />

Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch)<br />

35


16.30 Uhr Archivführung<br />

Teilnehmergebühr: 15 DM (für Mitglieder eines der veranstaltenden<br />

Vereine: 10 DM). Kto. des HGV 803.843 bei<br />

der Hohen. Landesbank, BLZ 653 510 50.<br />

Nähere Auskünfte über das Seminar erteilt Frau Liebhaber<br />

im Staatsarchiv Sigmaringen (Tel. 07571/101-558).<br />

V. Vorankündigung<br />

Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> und das Kreis-<br />

sichts des enormen Konfliktpotentials überraschend moderaten<br />

Verlauf, dessen weitere Stationen die Wahl einer Deputierten-Versammlung<br />

des sog. »Achtundfünfzigers«, die<br />

Abschaffung zahlreicher Feudallasten durch Vereinbarung<br />

mit der fürstlichen Regierung und schließlich am 16. Mai<br />

die öffentliche Verkündigung einer Verfassung sind. Zu verdanken<br />

ist die Mäßigung in erster Linie dem Einfluß von<br />

Pfarrer Josef Blumenstetter aus Burladingen, der zum<br />

Wortführer der liberalen Bewegung im Fürstentum wird<br />

und in aller Schärfe die Beachtung der Gesetze und die Absage<br />

an jede Art von Gewalt verlangt.<br />

Ganz anders entwickeln sich 1848 die Dinge in Hohenzollern-Sigmaringen.<br />

Zumal in der Residenzstadt mit ihrer politisch<br />

aktiven Bürgerschaft kommt es im Sommer 1848 zu<br />

einer wachsenden Radikalisierung unter demokratischen<br />

und republikanischen Vorzeichen. Deren spektakulären<br />

Höhepunkt bildet am 26. September eine - zeitlich synchron<br />

zu den Aufständen von Struve in Südbaden und von<br />

Rau in Württemberg einberufene - riesige Volksversammlung<br />

mit 3000 Teilnehmern auf dem Sigmaringer Karlsplatz,<br />

die auf Antrag des Demokratenführers Dr. Karl Otto<br />

Würth mit »Stimmeneinheit« die Einsetzung eines revolutionären<br />

Sicherheitsausschusses und die Entwaffnung des<br />

fürstlichen Militärs beschließt. Fürst Karl Anton und seine<br />

Regierung fliehen daraufhin ins badische Überlingen und<br />

bitten die Frankfurter Zentralgewalt um Wiederherstellung<br />

der Ordnung im Fürstentum. Dies geschieht zwei Wochen<br />

später tatsächlich, als 2000 Mann bayerischer Truppen in<br />

Sigmaringen einmarschieren und der - allerdings nie formell<br />

ausgerufenen - hohenzollerischen Republik ein freilich unblutiges<br />

Ende bereiten. Im Unterschied zur bäuerlichen<br />

Sensen- und Mistgabelrevolte in Hechingen trägt die Sigmaringer<br />

Revolution eindeutig bürgerliche Züge und befindet<br />

sich mit ihren Forderungen nach Pressefreiheit, Religionsund<br />

Gewissensfreiheit, Volksbewaffnung, Schwurgerichten,<br />

deutschem Parlament und schließlich sogar nach Einführung<br />

der Republik absolut auf der Höhe der Zeit. Die<br />

wichtigste lokalspezifische Forderung ist die Übergabe der<br />

fürstlichen Domänen an das Land.<br />

Die demütigende Erfahrung der Ohnmacht gegenüber<br />

ihren revolutionären Untertanen und der drohende Verlust<br />

der Domänen ist für die hohenzollerischen Fürsten bereits<br />

im Frühjahr 1848 der Ausgangspunkt für Verhandlungen<br />

mit Preußen und zeitweise sogar Württemberg und der<br />

Frankfurter Zentralgewalt über eine Abgabe der Souveränität<br />

gegen Garantie der Domänen als Privatbesitz. Nach<br />

langem Sträuben aufgrund von Legitimitätsbedenken findet<br />

sich 1849 schließlich König Friedrich Wilhelm IV. zu einer<br />

Übernahme der beiden Fürstentümer durch Preußen bereit.<br />

Letztlich ausschlaggebend für den Meinungswandel des<br />

Königs ist ein vom späteren Oberhofzeremonienmeister<br />

von Stillfried genährter dynastischer Geschichtskult, der die<br />

Stammverwandtschaft zwischen den schwäbischen und<br />

36<br />

archiv Zollernalbkreis werden voraussichtlich im Frühjahr<br />

2000 ein Seminar<br />

Einführung in die altdeutsche Schrift<br />

veranstalten. Das Seminar soll ca. 4 bis 5 Doppelstunden<br />

umfassen. Das Programm wird noch rechtzeitig in vorliegender<br />

Zeitschrift bekanntgegeben.<br />

gez.: Dr. Becker<br />

Vorsitzender<br />

fränkisch-brandenburgischen Linien der Hohenzollern verklärt<br />

und die südwestdeutschen Fürstentümer mit dem Zoller<br />

als das »Stammland« der preußischen Könige und späteren<br />

deutschen Kaiser romantisiert.<br />

Seinen historisch nachweisbaren Kern hat die spätere »Kaiserstammland«-Legende<br />

in der Belehnung der schwäbischen<br />

Zollern 1192 mit der Burggrafschaft Nürnberg, in deren<br />

Gefolge sich im 13. Jahrhundert ein eigener Zweig des<br />

Hauses in Franken etabliert, von dem wiederum die fränkischen<br />

Markgrafen, die Markgrafen und Kurfürsten von<br />

Brandenburg (1415/17), die preußischen Könige (1701) und<br />

die deutschen Kaiser (1871) abstammen. Ungeachtet des<br />

konfessionellen Auseinanderdriftens in der Reformation,<br />

als die fränkischen und brandenburgischen Linien protestantisch<br />

wurden, die schwäbischen Hohenzollern aber<br />

katholisch blieben, wurde das Bewußtsein von der gemeinsamen<br />

Herkunft wachgehalten und durch Erbvereinbarungen<br />

von 1695 und 1707 gestützt, die eine Eventualsukzession<br />

für den brandenburgischen Familienchef (»Caput familiae«)<br />

im Fall des Aussterbens des schwäbischen Hauses<br />

vorsehen. Der Souveränitätsverzicht der beiden hohenzollerischen<br />

Fürsten von 1849 gilt vor diesem Hintergrund<br />

rechtlich als Antizipation, d.h. Vorwegnahme des durch die<br />

älteren Familienverträge begründeten brandenburgischpreußischen<br />

Erbfolgeanspruchs.<br />

Ihren zu Stein gewordenen Ausdruck findet diese romantische<br />

Verklärung der Stammverwandtschaft im bereits 1846<br />

von den schwäbischen Hohenzollern-Fürsten und dem<br />

preußischen König beschlossenen gemeinsamen Wiederaufbau<br />

der weitgehend verfallenen Burg Hohenzollern, die sodann<br />

in den Jahren 1850 bis 1867 als monumentaler neogotischer<br />

Neubau auf den Grundmauern der alten Stammfeste<br />

ersteht. Geradezu folgerichtig erscheint es, wenn Friedrich<br />

Wilhelm IV. die Erbhuldigung seiner neuen schwäbischen<br />

Untertanen am 23. August 1851 in der »Wiege des schwarzen<br />

Adlers«, auf dem zu dieser Zeit noch ruinösen Zollerberg,<br />

inszenieren läßt.<br />

Daß die Begeisterung der neuen preußischen Untertanen<br />

über ihren von »oben«, ohne ihre Einwilligung verfügten<br />

Herrschaftswechsel freilich über den Kreis der von Maßregelung<br />

und Verfolgung bedrohten Demokraten und Republikanern<br />

hinaus durchaus ihre Grenzen hatte, offenbart eine<br />

aus jener Zeit überlieferte Anekdote: Demzufolge verkündete<br />

ein hohenzollerischer Pfarrer seiner Gemeinde in<br />

der ihm aufgetragenen Kirchenpredigt, er werde heute darüber<br />

zu sprechen haben, »wie sehr wir uns freuen sollen,<br />

daß wir preußisch geworden sind, und darüber, daß wir dies<br />

um unserer Sünden willen auch nicht besser verdient haben«.<br />

Literaturhinweise<br />

Otto H. Becker u.a. (Bearb.): Preußen in Hohenzollern. Begleitband<br />

zur Ausstellung. Sigmaringen 1995.


Eberhard Gönner: Die Revolution von 1848/49 in den Hohenzollerischen<br />

Fürstentümern und deren Anschluß an Preußen. Hechingen<br />

1952 (= Arbeiten zur Landeskunde Hohenzollerns 2).<br />

Fritz Kallenberg (Hg.): Hohenzollern. Stuttgart 1996 (= Schriften<br />

zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 23).<br />

HERBERT RÄDLE<br />

Eine Madonna Ulmer Herkunft in Dettingen (Hohenz.),<br />

vielleicht von Nikiaus Weckmann<br />

In der Zeit kurz vor und um 1500 sind in Ulm neben einigen<br />

anderen, die bloße Namen bleiben - als klare Persönlichkeiten<br />

mit fest umrissenem Œuvre faßbar die Bildhauer<br />

Michel Erhart und Nikiaus Weckmann (letzterer bisher<br />

meist mit Jörg Syrlin gleichgesetzt).<br />

In den 1470er Jahren, als Weckmann lernte, wurde die Ulmer<br />

Skulptur von einigen Multscher-Schülern, vor allem<br />

aber von Michel Erhart geprägt.<br />

Für die Zuordnung der Dettinger Madonna (Abb. 1) ist insbesondere<br />

ein Motiv interessant, das Weckmann (Meister in<br />

Abb. 1: Mutteigottes in Dettingen bei Horb (ehemals Dejungen/Hohenz.).<br />

Wohl von Nikolaus Weckmann. Bildnachweis: Katalog<br />

wie Anm. 1, S. 127<br />

Für die Sache der Freiheit, des Volkes und der Republik. Die Revolution<br />

1848/49 im Gebiet des heutigen Landkreises Sigmaringen.<br />

Hg. v. Landkreis Sigmaringen. Sigmaringen 1998 (= Heimatkundliche<br />

Schriftenreihe des Landkreises Sigmaringen<br />

Bd. 7).<br />

Abb. 2: Schutzmantel-Madonna von Michael Erhart, Berlin Staad.<br />

Museen, Skulpturengalerie. Bildnachweis: Katalog wie Anm. 1,<br />

S. 127<br />

Ulm seit 1481) von Erhart übernommen hat. Es handelt sich<br />

um das bei spätgotischen Darstellungen der Gottesmutter<br />

auch sonst vielfach übliche Requisit des Kopftuchs, das zumeist<br />

vom Mantel deutlich unterschieden und auch farblich<br />

abgesetzt ist.<br />

Michel Erhart läßt es mit einer Art Wirbel auf der einen<br />

Kopfseite beginnen und führt es dann über den Kopf, um es<br />

auf der anderen herunter- und meist in großer Kurve quer<br />

aber die Brust zu führen, wie z. B. bei der Schutzmantel-<br />

Madonna in der Skulpturengalerie Berlin (Abb. 2).<br />

Nikiaus Weckmann greift dieses Motiv auf, variiert es jedoch,<br />

indem er das Kopftuch nicht herunterfallen läßt, sondern<br />

hinter dem Kopf um den Nacken führt, wie wir es bei<br />

den Madonnen in Ochsenhausen (Abb. 3) oder Ennetach<br />

sehen 1.<br />

Bei der Dettinger Figur ist das Kopftuch deutlich auf die<br />

Weckmannsche Art gelegt, während die Manteldrapierung<br />

eher eine diagonale, auf das Kind zuführende Anlage zeigt -<br />

37


ähnlich Kompositionen Michel Erharts (etwa in Blaustein-<br />

Ehrenstein) 2. Doch weist der Mantelsaum mit dem Detail<br />

des vom Wind hochgewehten »Ohrleins« wiederum ein<br />

sehr typisches Motiv der Weckmann-Werkstatt auf 3.<br />

Die Dettinger Madonna nimmt also formal eine Zwischenstellung<br />

zwischen Erhartschen Schöpfungen wie der<br />

Madonna in Blaustein-Ehrenstein und Weckmann-Figuren<br />

wie der Ennetacher Madonna ein.<br />

Erklären ließe sich dies durch einen Bildhauer, der nacheinander<br />

in beiden Ulmer Werkstätten tätig war. Der Kunstwissenschaftler<br />

Heribert Meurer möchte allerdings wegen<br />

der »ausgesprochen Weckmannschen Gesichtszüge« eine<br />

Zuschreibung an Weckmann vorziehen 4.<br />

Anmerkungen<br />

1 Die Ennetacher Madonna ist abgebildet bei Manfred Hermann,<br />

Kunst im LKr. Sigmaringen, 1986, S. 95, ebenso in dem Ausstellungskatalog<br />

»Meisterwerke massenhaft«, Stuttgart 1993, S. 100.<br />

2 Die Blaustein-Ehrensteiner Madonna von Michel Erhart ist abgebildet<br />

im Katalog wie Anm. 1, S. 128.<br />

3 Dieselbe Gestaltung des Mantelsaums - mit »Ohrlein« - findet<br />

sich z. B. auch bei der Figur des Bischofs Ambrosius am Westportal<br />

des Ulmer Münsters (um 1500. Abb. im Katalog wie<br />

Anm. 1, S. 80) oder bei der Madonna im Adelberger Retabel<br />

(Adelberg LKr. Göppingen, Ulrichskapelle). Abb. im Katalog<br />

Nr. 78.<br />

4 Sämtliche Informationen sind dem in Anm. 1 genannten Ausstellungskatalog<br />

entnommen, bes. S. 125ff. Zu erwähnen bleibt<br />

noch, daß in dem Kunstdenkmäler-Band Kreis Hechingen von<br />

1939 die Dettinger Madonna dem (neckarschwäbischen?) Meister<br />

des Oberndorfer Altars zugewiesen wurde. Vgl. Meurer, wie<br />

Anm. 17, S. 133, Katalog »Meisterwerke ...«, wie Anm. 1.<br />

EDWIN ERNST WEBER<br />

Abb. 3: Madonna in der Klosterkirche Ochsenhausen von Nikolaus<br />

Weckmann, Ulm. Bildnachweis: Beuroner Kunstverlag<br />

750 Jahre Sigmaringendorf - Ein Blick in die Geschichte des Ortes<br />

Der »großen Politik«, konkret dem weltgeschichtlich bedeutsamen<br />

Streit zwischen Kaiser und Papst um die Vorherrschaft<br />

im christlichen Abendland hat Sigmaringendorf<br />

seine urkundliche Ersterwähnung vor fast genau 750 Jahren<br />

zu verdanken. Mit einer am 17. September 1249 in Lyon<br />

ausgefertigten Urkunde stellt der damalige Papst Innozenz<br />

IV. das bei Bregenz am Bodensee gelegene Benediktinerkloster<br />

Mehrerau unter seinen besonderen Schutz und bestätigt<br />

dessen umfangreichen, von Vorarlberg, Liechtenstein und<br />

der Schweiz über das Allgäu und Oberschwaben bis an die<br />

obere Donau nach Sigmaringendorf reichenden Besitz an<br />

Gütern und Herrschaftsrechten. Im Jahr zuvor war das zur<br />

päpstlichen Partei gerechnete Kloster von Anhängern des<br />

Stauferkönigs Konrad IV. überfallen, geplündert und verbrannt<br />

worden und hatte dabei wohl auch seine Besitz- und<br />

Rechtsdokumente eingebüßt. Die Papsturkunde von 1249<br />

stärkte nun zum einen die Stellung der Mehrerau gegen ihre<br />

Gegner und rekonstruierte zum anderen die klösterlichen<br />

Besitzrechte in insgesamt mehr als 60 Orten. Sigmaringendorf<br />

bildet dabei einen absoluten Außenposten der Mehrerauer<br />

Besitzungen, die nächstgelegenen Klostergüter finden<br />

sich in Ruschweiler bei Pfullendorf sowie in Tüfingen<br />

und Siggingen bei Salem.<br />

»Sigemaeringen« in der Papsturkunde von 1249<br />

Nicht verschwiegen werden sollte, daß die Zuweisung der<br />

urkundlichen Ortsnennung von 1249 nach Sigmaringendorf<br />

historiographischem Scharfsinn zuzuschreiben ist und auf<br />

den ersten Blick durchaus überraschend erscheinen muß.<br />

38<br />

Im Papstdiplom Innozenz IV. wird nämlich unter den Mehrerauer<br />

Besitztümern ein Ort namens »Sigemaeringen« aufgeführt,<br />

wo das Kloster das Patronatsrecht, die Zehnten<br />

und andere Einkünfte der örtlichen Kirche und darüber<br />

hinaus noch weitere Besitzungen innehat. Schmücken sich<br />

damit die »Dorfer« etwa mit fremden Federn, konkret mit<br />

jenen der nahegelegenen Kreisstadt Sigmaringen, deren<br />

Burg im Zusammenhang mit einer kriegerischen Auseinandersetzung<br />

im sog. Investiturstreit bereits im Jahr 1077 erstmals<br />

erwähnt wird? Die Sigmaringendorfer dürfen beruhigt<br />

sein - sie feiern ihr Jubiläum in diesem Jahr völlig zu Recht<br />

und nehmen den benachbarten Kreisstädtern auch nichts<br />

weg!<br />

Des Rätsels Lösung bringt der Blick auf die kirchlichen Verhältnisse:<br />

Das Kirchenpatronat samt Zehnten und anderen<br />

Einkünften der Pfarrkirche kann das Kloster Mehrerau in<br />

der Mitte des 13. Jahrhunderts nur in dem alten Pfarrort<br />

Sigmaringendorf, nicht aber in der zu dieser Zeit erst aus einer<br />

Burgsiedlung hervorgehenden Stadt Sigmaringen besitzen.<br />

Sigmaringen nämlich ist vor 750 Jahren noch nach Laiz<br />

eingepfarrt, und in der entstehenden städtischen Siedlung<br />

besteht zunächst nur eine dem Hl. Johann Evangelist geweiht<br />

Burgkapelle, die erst 1359 einen ständigen Priester erhält<br />

und wo mit bischöflicher Erlaubnis erst seit 1464 auch<br />

an Sonn- und Feiertagen Gottesdienst gehalten werden<br />

darf. Ihre Toten müssen die Sigmaringenstädter sogar noch<br />

bis 1744 auf dem Kirchhof der Mutterpfarrei Laiz bestatten.<br />

Die Pfarrei Sigmaringendorf, die mit ihrem Petruspatrozinium<br />

erstmals 1317 namentlich genannt wird, zählt dem-


gegenüber wohl zu den ältesten Pfarreien im Kreisgebiet.<br />

Nach den Befunden der Frühmittelalterforschung setzt die<br />

Konsekrierung von Peterskirchen in Südwestdeutschland<br />

um 700 ein und weist damit ähnlich wie die noch älteren<br />

Martinspatrozirrien in die fränkische Zeit zurück. Das Sigmaringendorfer<br />

Doppelpatrozinium mit den hll. Petrus und<br />

Paulus wird erstmals 1354 genannt.<br />

Ein Ort der ältesten Besiedlungsschicht<br />

Für die Kreisstädter kommt es indessen noch dicker: Die<br />

richtigen, will heißen die ursprünglichen Sigmaringer sind<br />

nicht sie, sondern die benachbarten »Dorfer«. Die historische<br />

Forschung geht nämlich davon aus, daß das heutige<br />

Sigmaringendorf eine Siedlung der sog. alemannischen<br />

Landnahmezeit und damit der ältesten Besiedlungsschicht<br />

des Frühmittelalters ist. Unter den etwa 30 im Sigmaringer<br />

Kreisgebiet bislang aufgefundenen alemannischen Reihengräberfeldern<br />

mit Körperbestattungen aus der sog. Merowingerzeit,<br />

also dem Zeitraum vom frühen 6. bis zum Beginn<br />

des 8. Jahrhunderts, ist neben anderen Orten vorzugsweise<br />

in den Tallagen von Donau und Laudiert auch<br />

Sigmaringendorf anzutreffen. Zum anderen verweist auch<br />

die Endung des Ortsnamens auf -ingen nach dem Befund<br />

der historischen Ortsnamensforschung auf eine Entstehung<br />

in der ältesten alemannischen Besiedlungsphase bis zum 6.<br />

Jahrhundert. Das in Sigmaringendorf ansässige Hochadelsgeschlecht<br />

verlegte, dem allgemeinen Trend zur Errichtung<br />

befestigter Burgen folgend, vermutlich in der zweiten Hälfte<br />

des 11. Jahrhunderts seinen Sitz auf den militärstrategisch<br />

günstiger gelegenen Donaufelsen flußaufwärts am Standort<br />

des heutigen Sigmaringer Hohenzollernschlosses. Die verstorbene<br />

Archivdirektorin Dr. Maren Kuhn-Rehfus vermutete<br />

die namentlich bislang unbekannten Erbauer der Sig-<br />

maringer Burg im Verwandtenkreis der miteinander zusammenhängenden<br />

benachbarten Grafen von Pfullendorf-<br />

Ramsberg, Bregenz, Altshausen und Rohrdorf. Zusammen<br />

mit dem Adelssitz »wanderte« auch der Ortsname Sigmaringen<br />

donauaufwärts mit und bezeichnete fortan sowohl<br />

die neue Burg und die sich bald daran anschließende Burgsiedlung<br />

wie auch das ältere Dorf.<br />

Eben darin, in dieser teilweise bis in das Spätmittelalter hinein<br />

fehlenden namentlichen Differenzierung zwischen der<br />

jüngeren Burg- und der älteren Dorfsiedlung liegt die große<br />

Schwierigkeit bei der zuverlässigen Lokalisierung der in den<br />

Quellen begegnenden Ortsbenennungen von Sigmaringen.<br />

Nahezu stets bedarf es der interpretatorischen Oberprüfung,<br />

ob sich die jeweilige Nennung auf die Adelsburg und<br />

die entstehende Stadtsiedlung auf dem Donaufeisen oder<br />

aber auf das Bauerndorf an der Einmündung der Lauchert<br />

in die Donau bezieht. Die älteste Nennung von »Sigimaringin«<br />

aus dem Jahr 1077, die sich mit dieser Namensangabe<br />

in den allerdings erst ein gutes Jahrhundert später entstandenen<br />

Klosterchroniken von Petershausen und St. Gallen<br />

findet, meint eindeutig die befestigte Burg und damit die<br />

spätere Stadt, wo im Investiturstreit Anhänger von König<br />

Heinrich IV. erfolglos durch den Gegenkönig Rudolf von<br />

Rheinfelden belagert wurden. Demgegenüber beziehen sich<br />

die Nennungen eines Sigmaringen in der erwähnten Papsturkunde<br />

von 1249 und gleichermaßen im sog. »Liber decimationis«<br />

von 1274 ebenso eindeutig auf Sigmaringendorf,<br />

da es in beiden Fällen um die - in der späteren Stadt zu dieser<br />

Zeit noch nicht vorhandene - Pfarrkirche geht. Die erste<br />

zuverlässige Unterscheidung zwischen der dörflichen und<br />

der städtischen Siedlung gleichen Namens gibt das sog.<br />

Habsburgische Urbar von 1306. In dieser Zusammenstellung<br />

der den Herzögen von Osterreich als den damaligen<br />

In monatelanger Arbeit wurden zum Sigmaringer Ortsjubiläum verschiedene markante historische Gebäude der Gemeinde - die Meinradskapelle<br />

in Laucherthal, das Rathaus, die Pfarrkirche St. Peter und Paul, die Bruckkapelle sowie, nicht auf dem Bild, das Laucherthaler<br />

Hochofengebäude von 1707 und das Schlößchen Ratzenhofen als Modelle nachgebaut. Auf dem Bild die Gruppe der Modellbauer (von<br />

links nach rechts): Walter Speker, Norbert Nägele, Oskar Guide, Achim Speker, Wilhelm Gemalzick, Egon Fischer, Willi Schneider und<br />

Albert Rebholz Foto: Ludwig Speh<br />

39


Inhabern auch der Herrschaft Sigmaringen zustehenden Besitzungen<br />

und Einkünfte wird erstmals differenziert zwischen<br />

der »bürg (...) und stat ze Sigmeringin« einerseits und<br />

»Sigmeringen in dem dorfe« andererseits. Diese Bezeichnung<br />

»Sigmaringen das dorff« bürgert sich sodann ab dem<br />

14. Jahrhundert zunehmend zur Unterscheidung von der<br />

namensgleichen Stadt ein.<br />

Die Verbindung Sigmaringendorfs zum Vorarlberger Benediktinerkloster<br />

Mehrerau, die ausweislich eines Nekrologeintrags<br />

auf die Schenkung durch einen Mönch namens<br />

Chuno zurückgeht, besteht bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

fort. Seit 1397 übt der Mehrerauer Abt nicht mehr<br />

nur die Patronats- und Zehntherrschaft aus, sondern fungiert<br />

mit der sog. Inkorporation, d.h. der Einverleibung der<br />

Pfarrei und ihres Pfründvermögens in sein Kloster nominell<br />

sogar als Ortspfarrer. Dieses Amt übt er verständlicherweise<br />

aber nicht persönlich aus, sondern läßt sich durch einen<br />

Pfarrvikar, seit der Mitte des 17. Jahrhunderts durchgehend<br />

Ordenspriester aus Mehrerau, vertreten. Nach der Säkularisation<br />

des Benediktinerklosters 1806 gehen das Sigmaringendorfer<br />

Patronat samt Zehntherrschaft auf Bayern und<br />

sodann auf Österreich über, von dem sodann 1826 Hohenzollern-Sigmaringen<br />

diese kirchlichen Herrschaftsrechte erwirbt.<br />

Fragt man nach den Besonderheiten Sigmaringendorfs, die<br />

seine geschichtliche Entwicklung von der anderer, benachbarter<br />

Ortschaften unterscheiden, so stößt man alsbald auf<br />

seine schiere Größe und zum anderen auf seine gewerbliche<br />

Dynamik. Soweit sich dies bis in das 17. Jahrhundert<br />

zurückverfolgen läßt, ist Sigmaringendorf stets neben der<br />

Residenzstadt Sigmaringen und zeitweise Bingen und<br />

Krauchenwies der bevölkerungsreichte und auch wirtschaftlich<br />

und steuerlich ertragreichste Ort der gesamten<br />

Grafschaft Sigmaringen. In den Jahren von 1690 bis 1750<br />

trägt Sigmaringendorf stattliche 12,34 Prozent des gesamten<br />

überterritorialen Steueraufkommens der sog. Mediatorte<br />

der Grafschaft Sigmaringen einschließlich des Amtes Wald<br />

und damit weitaus mehr als jedes andere Untertanendorf.<br />

An dieser wichtigen Funktion des Ortes als Steuerzahler hat<br />

sich im Grunde genommen bis heute wenig geändert: Der<br />

Sigmaringer Kreiskämmerer beispielsweise weiß bei der alljährlichen<br />

Berechnung der Kreisumlage sehr genau, was er<br />

an Sigmaringendorf hat.<br />

Rasanter Bevölkerungszuwachs<br />

Liegt Sigmaringendorf 1806 mit 629 Einwohnern noch<br />

annähernd gleichauf mit Bingen und Rulfingen, so vergrößert<br />

sich in den folgenden eineinhalb Jahrhunderten der<br />

Bevölkerungs-Vorsprung zunehmend, um 1961 mit 3005<br />

Einwohnern schließlich die doppelten Werte sogar der<br />

größeren Nachbardörfer wie Bingen, Krauchenwies und<br />

Ostrach zu erreichen. Im gesamten 20. Jahrhundert bis zur<br />

Kreisreform ist Sigmaringendorf hinter der Kreisstadt und<br />

deutlich vor allen anderen Städten und Gemeinden der bevölkerungsmäßig<br />

zweitgrößte Ort des hohenzollerischen<br />

Landkreises Sigmaringen. Während die Einwohnerzahl von<br />

1875 bis 1970 im Durchschnitt des Kreisgebietes um 71,4<br />

Prozent ansteigt, beträgt der Zuwachs bei Sigmaringendorf<br />

stolze 168,2 Prozent. Die Ursachen sowohl für diese vergleichsweise<br />

rasante Bevölkerungsentwicklung wie auch für<br />

die Finanzstärke des Ortes liegen in der besonderen wirtschaftlichen<br />

Entwicklung, die Sigmaringendorf bis weit in<br />

die Nachkriegszeit hinein vor allen anderen Kommunen der<br />

Umgebung auszeichnet und ihm sein spezifisches Gepräge<br />

gibt.<br />

Am Anfang dieser bemerkenswerten ökonomischen Entwicklung<br />

stehen indessen bittere Not und Armut eines<br />

40<br />

Großteils der Dorfbevölkerung. Einer im 17. und 18. Jahrhundert<br />

weitgehend gleichbleibenden Gruppe von<br />

ca. 25 wohlhabenden Mittel- und Großbauern, die im Besitz<br />

der grundherrschaftlich gebundenen Lehensgüter sind,<br />

steht eine stetig wachsende Schicht von unterbäuerlichen<br />

Kleinstelleninhabern und Tagelöhnern gegenüber, die sich<br />

in einer heute kaum noch vorstellbaren Armut mit ihren<br />

häufig großen Familien zu zweien oder gar dreien ihre zumeist<br />

elenden und schäbigen Katen teilen müssen. Vom Ertrag<br />

ihrer vielfach winzigen Anwesen können diese Dorfarmen<br />

in der Regel nicht leben, und so bleiben sie auf zusätzlichen<br />

Verdienst außerhalb der eigenen Landwirtschaft<br />

angewiesen - entweder als Tagelöhner und saisonale Hilfskräfte<br />

auf den Höfen der größeren Bauern und den fürstlichen<br />

Domänen oder aber durch die Ausübung eines Handwerks.<br />

Es kann daher nur wenig überraschen, wenn Sigmaringendorf<br />

bereits im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert<br />

eine für oberschwäbische Verhältnisse eher überdurchschnittliche<br />

Gewerbedichte aufweist. Wurden 1745 in der<br />

Ortschaft 22 Handwerker ermittelt, so hat sich deren Anzahl<br />

bis 1804 auf 53 Handwerksmeister sowie neun Gesellen<br />

erhöht. Bei 125 Ehen und 136 Bürgern im Dorf geht damit<br />

rund die Hälfte aller Familienväter einer handwerklichgewerblichen<br />

Neben- oder Hauptbeschäftigung nach.<br />

Zu diesen weit in die Geschichte zurückreichenden gewerblichen<br />

Aktivitäten gehört an der Lauchert auch die Eisengewinnung<br />

aus den auf der Alb vorhandenen Bohnerzen mit<br />

Hilfe von sog. Rennfeuern. Dieser Gewerbezweig gewinnt<br />

1707 eine neue Qualität, als der Sigmaringer Fürst<br />

Meinrad II. nach dem Vorbild benachbarter Territorialherrschaften<br />

- etwa der Fürstenberger 1670 im Thiergarten - im<br />

heutigen Ortsteil Laucherthal ein Hüttenwerk mit Hochofen<br />

errichten läßt. Trotz des imposanten und kürzlich vorbildlich<br />

sanierten Hochofengebäudes bleiben die Größenverhältnisse<br />

dieses Betriebes verglichen mit der späteren<br />

Entwicklung lange Zeit durchaus bescheiden: Einer vom<br />

damaligen Ortspfarrer erstellten Bevölkerungsstatistik zufolge<br />

lebten 1802 in dem als »Schmelze« bezeichneten Sigmaringendorfer<br />

Ortsteil 92 Bewohner, darunter 40 Männer<br />

über 14 Jahren, die wohl zum allergrößten Teil einer Beschäftigung<br />

als »Laboranten« im fürstlichen Hüttenwerk<br />

nachgegangen sein dürften. Ausschlaggebend für die Entwicklung<br />

des Werks von einer eher bescheidenen Bohnerzhütte<br />

zu einem enorm expandierenden industriellen Großbetrieb<br />

im Laufe des 19. und dann vor allem des 20. Jahrhunderts<br />

ist die mit den Namen fähiger Betriebsleiter wie<br />

Bergverwalter Maximilian Haller oder Hüttenverwalter<br />

Egon Sauerland verbundene kontinuierliche Modernisierung<br />

und vor allem Diversifizierung der Produktion. Nicht<br />

zuletzt dank seines - heute würde man sagen - fähigen Managements<br />

und stetiger technischer Innovationen überwindet<br />

das Hüttenwerk Laucherthal seine Standortnachteile<br />

abseits der großen Verkehrswege und der Erz- und Kohlevorkommen<br />

und übersteht auch letztlich mit Bravour die<br />

diversen Stahlkrisen in den 1860/80er Jahren, in den 1920er<br />

Jahren und zuletzt in den 1960/70er Jahren.<br />

Wohlstand und Abhängigkeit vom Hüttenwerk<br />

Dank des Hüttenwerks Laucherthal wird Sigmaringendorf<br />

seit der Jahrhundertwende zur einzigen Industriegemeinde<br />

und zum wichtigsten Beschäftigungsstandort im alten hohenzollerischen<br />

Landkreis Sigmaringen, wo zeitweise<br />

(1971) ein Viertel aller industriellen Berufstätigen des Kreisgebietes<br />

ihre Arbeitsstätte haben. Während die Gemeinde<br />

und ihre Bewohner einerseits dem Hüttenwerk ihren öffentlichen<br />

wie auch privaten Wohlstand zu verdanken haben,<br />

befinden sie sich andererseits aber auch in einer weit-


gehenden Abhängigkeit von diesem bis vor kurzem größten<br />

Industriebetrieb des Landkreises und zumal den wirtschaftlichen<br />

Konjunkturentwicklungen. »Wohl und Wehe der<br />

Gemeinde war im Laufe der letzten 250 Jahre weitgehend<br />

mit der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Betriebs verbunden«,<br />

ist ebenso nüchtern wie korrekt in einer 1971 erstellten<br />

Gemeinde-Darstellung von Sigmaringendorf zu lesen.<br />

Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen macht diese<br />

Abhängigkeit mehr als deutlich: Einem Tiefpunkt in den<br />

1880er Jahren mit nur noch 37 Mitarbeitern folgt bis zum<br />

Ersten Weltkrieg ein Anstieg auf 350 und schließlich dank<br />

der Rüstungskonjunktur während des Krieges auf 709<br />

Werktätige, darunter erstmals auch ausländische Kriegsgefangene<br />

und Frauen, die die Lücken der an die Front gerufenen<br />

Männer schließen sollten. Einem drastischen Rückgang<br />

der Beschäftigenzahl in der Weimarer Zeit schließt sich,<br />

wiederum vor allem als Folge von Rüstungsaufträgen, ein<br />

erneuter Anstieg in der NS-Zeit auf 780 und sodann<br />

während des Zweiten Weltkriegs auf 2100 Arbeiter an, die<br />

sich zeitweise zum größeren Teil aus ausländischen<br />

Zwangsarbeitern zusammensetzen. Nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg wiederholt sich dieses Auf und Ab, als auf einen<br />

Niedergang in der französischen Besatzungszeit mit zeitweise<br />

nur noch 180 Beschäftigten während des bundesdeutschen<br />

»Wirtschaftswunders« ein Anstieg auf über 2000 Mitarbeiter<br />

zu Beginn der 1960er Jahre und in der Folge vor<br />

dem Hintergrund der Stahlkrise und einer beständigen Umstrukturierung<br />

und Rationalisierung ein kontinuierlicher<br />

Rückgang auf heute noch etwa 800 Beschäftigte im Stammwerk<br />

Laucherthal folgen.<br />

Die bemerkenswerte Gewerbegeschichte Sigmaringendorfs<br />

beschränkt sich allerdings keineswegs auf das Hüttenwerk<br />

Laucherthal. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war der<br />

größte Arbeitgeber des Ortes nicht etwa die »Schmelze«,<br />

sondern eine 1839 in einem neuerbauten Fabrikgebäude an<br />

der Lauchert eröffnete mechanische Baumwollspinnerei<br />

und Weberei, die ausweislich des Hof- und Adress-Handbuchs<br />

des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen 1844<br />

6000 Spindein und 100 Webstühle in Betrieb hatte und rund<br />

150 Mitarbeiter beschäftigte. Dem Textilunternehmen war<br />

in Sigmaringendorf indessen kein dauerhafter Erfolg beschieden,<br />

nach einem Brand 1876 wurde das Betriebsgelände<br />

von dem Fabrikanten Schaal aus dem württembergischen<br />

Scheer erworben, der in der Folge hier eine Filial-Holzstoffabrik,<br />

den Vorgängerbetrieb des heute auf die Galvanisierung<br />

und das »Shielding« (Metallisierung von Kunststoffgehäusen<br />

zur Abschirmung von elektromagnetischer Strahlung)<br />

spezialisierten Unternehmens, errichtete. Im<br />

Windschatten des Großbetriebs im Laucherthal entwickelte<br />

sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Sigmaringendorf<br />

eine ganze Reihe mittelständischer Unternehmen vor<br />

allem in den Bereichen Holz- und Metallverarbeitung, Maschinenbau<br />

und Textilherstellung, die zusammengenommen<br />

Mitte der 1960er Jahren rund 250 und heute immerhin etwa<br />

600 Arbeitsplätze bei insgesamt etwas über 1400 Stellen im<br />

produzierenden Gewerbe der Gemeinde anbieten können.<br />

Dank dieser aufstrebenden Mittelbetriebe konnte der<br />

Arbeitsplatz-Abbau im Laucherthal zumindest teilweise<br />

ausgeglichen werden und ist Sigmaringendorf neben Pfullendorf,<br />

Saulgau und Krauchenwies einer der wichtigsten<br />

industriellen Produktionsstandorte im Landkreis Sigmaringen<br />

geblieben.<br />

Rote Insel im schwarzen Meer<br />

Die starke gewerbliche Ausrichtung des Ortes und der hohe<br />

Arbeiteranteil an der Wohnbevölkerung haben Sigmaringendorf<br />

seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein spezifi-<br />

sches soziales, politisches und kulturelles Gepräge verliehen,<br />

das sich bis vor kurzem markant von den ländlich-konservativen<br />

Verhältnissen in den Dörfern und Städten der<br />

Umgebung abhob. Innerhalb Hohenzollerns, das seit dem<br />

»Kulturkampf« der 1870er Jahre eine unverrückbare<br />

Domäne zunächst der Zentrumspartei und sodann der<br />

CDU ist, erscheint Sigmaringendorf und zumal sein Teilort<br />

Laucherthal als rote Insel im schwarzen Meer. In der Arbeitersiedlung<br />

rund um das Hüttenwerk besitzen die beiden<br />

Arbeiterparteien SPD und KPD vor allem in der Weimarer<br />

Republik eine treue Anhängerschaft und erreichen Wahlergebnisse<br />

bis nahe an die 50 Prozent, während sie im Mittel<br />

des gesamten Kreisgebietes zumeist unter zehn Prozent<br />

bleiben. Sigmaringendorf und das Laucherthal sind denn<br />

auch unter der NS-Gewaltherrschaft das Zentrum des antifaschistischen<br />

Widerstandes im Landkreis, wo beispielsweise<br />

am sog. Führer-Geburtstag des Jahres 1933 eine Hakenkreuzfahne<br />

vom Masten gerissen und im Gasthaus »Eisenhammer«<br />

antinazistische Lieder gesungen werden. Vier<br />

Arbeiter werden für dieses »Verbrechen« postwendend in<br />

das Konzentrationslager Heuberg eingeliefert. Als nach<br />

Kriegsende die KZ-Häftlinge im Landkreis Sigmaringen ermittelt<br />

werden, kann Sigmaringendorf mit acht von insgesamt<br />

27 Personen den mit weitem Abstand höchsten Anteil<br />

einer Einzelgemeinde aufweisen. Auch in der Nachkriegszeit<br />

halten die kommunistischen Sympathien der Laucherthaler<br />

Arbeiter noch über lange Jahre hinweg an. Eine<br />

höchst aktive Ortsgruppe hält bis zum Verbot der KPD in<br />

den 1950er Jahren allmonatliche Versammlungen mit teilweise<br />

mehr als 50 Besuchern in den Gasthäusern »Fridolin«<br />

oder »Eisenhammer« ab und arbeitet mit ihren 30 Mitgliedern<br />

unverdrossen für die »Verwirklichung des Marxismus«,<br />

wie in einer Befragung 1948 der Vereinszweck umschrieben<br />

wird. Es überrascht unter diesen Umständen<br />

nicht, daß der einzige Kommunist, der je in einem Sigmaringer<br />

Kreistag saß, 1946 in Gestalt des KPD Kreissekretärs<br />

Mühl aus Sigmaringendorf kommt.<br />

»Multikulturelle« Gesellschaft im Laucherthal<br />

Die Industrialisierung und der beständige Zuzug von Arbeitskräften<br />

haben in Sigmaringendorf und besonders im<br />

Laucherthal die dörfliche Welt vergleichsweise früh nach<br />

außen geöffnet und seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert<br />

eine für das Oberland eher untypische »multikulturelle«<br />

Gesellschaft entstehen lassen. Kamen die Zuwanderer anfänglich<br />

ganz überwiegend aus anderen deutschen Staaten,<br />

vor allem dem Ruhrgebiet und den sächsischen Bergbaugebieten,<br />

wo auch gezielt Fachleute für die Produktion im<br />

Hüttenwerk angeworben wurden, so stieg im weiteren Verlauf<br />

dieses Jahrhunderts beständig der Anteil ausländischer<br />

Beschäftigter. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei dem<br />

massenweisen Einsatz ausländischer Kriegsgefangener und<br />

Zwangsarbeiter im Ersten und dann vor allem im Zweiten<br />

Weltkrieg in der Rüstungsproduktion des Hüttenwerks zu.<br />

Am Ende des Zweiten Weltkriegs sind im Laucherthal unter<br />

den annähernd eintausend ausländischen Arbeitskräften<br />

nicht weniger als 14 Nationalitäten vertreten, die unter teilweise<br />

unwürdigen Bedingungen und schlechter Versorgung<br />

in insgesamt 14 Baracken untergebracht sind. Gräber auf<br />

dem Sigmaringendorfer Friedhof erinnern bis heute an dieses<br />

eher düstere Kapitel der örtlichen Industriegeschichte.<br />

Der Normalfall im Umgang mit den beständig zuziehenden<br />

Fremden sind in Sigmaringendorf und im Laucherthal indessen<br />

nicht Ausgrenzung und Ausbeutung, sondern die<br />

selbstverständliche Aufnahme und die verhältnismäßig rasche<br />

Integration der Zuzügler in die dörfliche Gesellschaft.<br />

Es mag an der mittlerweile mehr als hundertjährigen Erfah-<br />

41


ung mit der Arbeitsmigration liegen, daß in Sigmaringendorf<br />

die aus anderen Dörfern bekannte Differenzierung in<br />

Alteingesessene und »Reingschmeckte« eine weitaus geringere<br />

Rolle spielt und Zuzügler sowohl im politischen Leben<br />

wie vor allem auch in den Vereinen eine durchaus wichtige<br />

und anerkannte Rolle spielen. »Bei uns im Laucherthal ist<br />

die Mentalität gegenüber Fremden einfach offener«, lautet<br />

eine häufig zu hörende Beschreibung dieser Haltung, die<br />

den Zuwanderer nicht primär als Bedrohung, sondern mit<br />

Neugierde und Interesse sowie als mögliche Bereicherung<br />

sieht. Auch die Verbindung von Sigmaringendorf zu seiner<br />

argentinischen Partnerstadt Rafaela ist letztlich eine Folge<br />

der Arbeitsimmigration: Diethelm Lehmann und seine Ehefrau<br />

Regula, die Eltern des 1840 in Sigmaringendorf geborenen<br />

Wilhelm Lehmann, des späteren Gründers von Rafaela<br />

und 17 weiterer Siedlungen in Argentinien, führte die Tätigkeit<br />

in der erwähnten Baumwollspinnerei aus der Schweiz<br />

an die obere Donau.<br />

Bliebe zum Schluß noch der Blick auf eine letzte und wohl<br />

gleichfalls auf die spezifische Sozialstruktur zurückgehende<br />

Besonderheit von Sigmaringendorf, das geradezu legendäre<br />

»Dorfer« Vereinsleben. Mit ziemlicher Sicherheit ist Sigmaringendorf<br />

im Kreisgebiet die Ortschaft mit der höchsten<br />

Vereinsdichte. Auch dies hat bereits eine lange Tradition:<br />

Bei einer Erhebung im Jahr 1940 wurden dem Landratsamt<br />

aus Sigmaringendorf stolze 19 Vereine gemeldet, während<br />

es die benachbarten Landgemeinden und selbst Städte wie<br />

Quellen und Literatur<br />

Urbar Sigmaringendorf 1731 (STAS Ho 80 Bd. 1 B.q. Nr. 3).<br />

Statistik des Kreises Sigmaringen 1926-1956 (STAS Ho 199 Bd. 4<br />

Nr. 454).<br />

Chronik Sigmaringendorf - Berichte und Materialsammlung zur<br />

Ortsgeschichte und Ortsentwicklung 1929-1991 (GA Sigmaringendorf).<br />

Politische Betätigung in der Gemeinde 1946-1955 (Gemeindeverwaltung<br />

Sigmaringendorf - laufende Registratur Az. 004.00).<br />

Karl Dehner, Bernhard Eisele, Hans Hinger und Anton Speh<br />

(Bearb.): Chronik von Sigmaringendorf 1249-1981. Sigmaringendorf<br />

1982.<br />

Adolf Helbok (Bearb.): Regesten von Vorarlberg und Liechtenstein<br />

WALTER KEMPE<br />

Das alte Amtshaus zu Ostrach (Fortsetzung)<br />

Ostrach und sein Oberamtshaus am Ende der salemischen<br />

Herrschaft<br />

Infolge des Lüneviller Friedensschlusses vom 9. Februar<br />

1801 und nach den Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses<br />

vom 15.2.1803, wurden die umfangreichen<br />

Besitzungen der Klöster säkularisiert. So sollte das Haus<br />

Baden das Gebiet des Reichsstifts Salem erhalten, ausser den<br />

Herrschaften Ostrach, Schemmerberg und der Pflege Ehingen.<br />

Diese Ländereien sollten dem Fürstl. Hause von Thum<br />

und Taxis zufallen, das bereits einige Zeit vorher Herr der<br />

Reichsgrafschaft Friedberg-Scheer geworden war. Allgemeine<br />

Gesichtspunkte zur praktischen Durchführung des<br />

Beschlusses wurden in einer Konvention von Ulm schon<br />

am 31. Oktober 1802 festgelegt. Ein Monat vorher, am 29.<br />

September 1802, war bereits der Thum und Taxis'sche Regierungspräsident<br />

Alexander Graf von Westerholt vorsorglich<br />

in Ostrach eingezogen. Das Haus Thum und Taxis bereitete<br />

die endgültige Übernahme vor. Oberamtmann<br />

Grimm aus der benachbarten Reichsgrafschaft Friedberg-<br />

Scheer erstellte für seinen Regierungspräsidenten von We-<br />

42<br />

Gammertingen durchgehend auf nicht einmal zehn Vereine<br />

brachten. Einigermaßen mithalten konnte mit 13 Vereinen<br />

allenfalls noch Bingen, während der Vereinsbestand in der<br />

Kreisstadt Sigmaringen mit 21 Nennungen angesichts der<br />

dreifachen Einwohnerzahl als eher bescheiden erscheinen<br />

muß. Auch wenn die Nachbarschaft seither stark aufgeholt<br />

hat, dürfte der Sigmaringendorfer Vorsprung mit mittlerweile<br />

rund 30 Vereinen bei 3700 Einwohnern bis heute fortbestehen.<br />

Die besondere Leistung der Sigmaringendorfer<br />

Vereine liegt in ihrer bemerkenswerten sozialintegrativen<br />

Funktion, deren Bedeutung für den Zusammenhalt und das<br />

Zusammenwachsen der »multikulturellen« Gesellschaft der<br />

Industriegemeinde im zurückliegenden Jahrhundert gar<br />

nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Welchen<br />

Schatz Sigmaringendorf in seiner höchst vitalen Vereinskultur<br />

besitzt, offenbart sich besonders deutlich in diesem Jahr<br />

beim Ortsjubiläum, das zu einem wesentlichen Teil von den<br />

Vereinen und ihren ehrenamtlichen Mitgliedern gestaltet<br />

wird. Es ist der Gemeinde und ihren Bewohnern zu wünschen,<br />

daß die gemeinsame Besinnung auf ihre Geschichte<br />

und Herkunft das Gemeinschaftsbewußtsein als Grundlage<br />

für die Bewältigung der Zukunft weiter stärkt.<br />

(Leicht überarbeitete Fassung des bei der Jubiläumsfeier am<br />

2. Juli 1999 gehaltenen Festvortrags. Zur Geschichte von<br />

Sigmaringendorf erscheint voraussichtlich bis Sommer 2000<br />

ein vom Kreisarchiv Sigmaringen redaktionell betreuter<br />

Aufsatz-Sammelband.)<br />

bis zum Jahre 1260. Innsbruck 1920-25 (Urkunde Nr. 445).<br />

Maren Kuhn-Rehfus: Sigmaringen 1077-1977. Ein Abriß seiner<br />

Geschichte. In: 900 Jahre Sigmaringen 1077-1977. Hg. v. d. Stadt<br />

Sigmaringen. Sigmaringen 1977, S. 11-66.<br />

Hans-Peter Meier-Dallach (Hrsg.): 900 Jahre Zukunft. Augenblicke<br />

der Ewigkeit. Zeitschwellen am Bodensee. Sommerausstellung<br />

des Landes Vorarlberg im Kloster Mehrerau 1999. Lindenberg/A<br />

1999.<br />

Andreas Zekorn: Zwischen Habsburg und Hohenzollern. Verfassungs-<br />

und Sozialgeschichte der Stadt Sigmaringen im 17. und<br />

18. Jahrhundert. Sigmaringen 1996 (= Arbeiten zur Landeskunde<br />

Hohenzollerns Bd. 16).<br />

sterholt von 1802 bis 1803 unter der Adresse »Fürstliches<br />

Rentamt Ostrach« einen äusserst präzisen Bericht mit mehreren<br />

Abteilungen über alle verfügbaren Daten des bisher<br />

reichsstift-salemischen Oberamtes Ostrach. Mit diesem Bericht<br />

von 1802/1803, der Archivgut der Fürsten von Thum<br />

und Taxis ist, dürften wir die beste Darstellung unseres<br />

Ostracher Raumes mit detaillierter Grenzbeschreibung und<br />

geometrischen Angaben sowie Zuständigkeiten in Händen<br />

haben. Interessant ist hier die Übersicht über die Orte des<br />

Oberamtes Ostrach von 1802. Im Oberamtsbezirk liegen<br />

1802 folgende Orte:<br />

Ostrach, ein Pfarrort u. Sitz des Oberamtes,<br />

Tafertsweiler, ein Pfarrort,<br />

Bachhaupten,<br />

Eschendorf,<br />

Günzenhausen,<br />

Einhart, Pfarrort,<br />

Levertsweiier, Pfarrort,<br />

Magenbuch, Pfarrort,<br />

Lausheim,


Kalkreute,<br />

Spöck und Arnoldsberg, ein Hof,<br />

Junghof oder Sandhäusle.<br />

In diesem Hoheitsgebiet liegen einige Ortschaften, über<br />

welche der Herrschaft Ostrach nur bechränkte Rechte zustehen:<br />

Jenkofen<br />

Wirnsweiler<br />

Wangen<br />

Dichtenhausen<br />

Burgweiler (z.T.)<br />

Stadtbann Pfullendorf (z.T.)<br />

Mottschieß (z.T.)<br />

In der 3. Abt. des Grimmschen Berichts von 1803 sind unten<br />

die Gebäude aufgezeichnet, die damals das Rentamt im<br />

Oberamt Ostrach unmittelbar zu unterhalten hatte (ausser<br />

in anderen Ortschaften).<br />

Die von Ostrach:<br />

das Amtshaus nebst Scheuer und 3 Gärten,<br />

die Zehntscheuer,<br />

die Wohnung des Forstrates nebst Garten (ehemaliges<br />

Haus im Bereich Pfullendorfer Straße 17),<br />

die Wohnung des Amtsknechts nebst Garten (ehem.<br />

Gefängnisgebäude, Rentamtstraße 1/5, heute Privatbesitz)<br />

die Pfarrkirche (Patronat Salem, später Fürstl. Thum<br />

und Taxis)<br />

der Pfarrhof nebst Scheuer,<br />

das Benefiziat (Kaplaneihaus),<br />

das Messmerhaus, welches zugleich Schulhaus ist (inzwischen<br />

abgerissen) (die kirchlichen Pflegschaften<br />

hatten einen besonderen Etat<br />

Des weiteren werden wir in der 6. Abt. des Berichtes »Civil<br />

Liste« 1803 über die Verwaltung der Herrschaft Ostrach<br />

durch ein eigenes Oberamt informiert, das seinen Sitz in<br />

dem Dorfe Ostrach hatte, die Oberaufsicht in Forst- und<br />

Jagdsachen führte und das Rentamt mitbesorgte.<br />

Das Dienstpersonal bestand aus 1 Oberamtmann, 1 Oberamtsrat,<br />

1 Forstrat, 4 Revierjägern, 1 Kastenknecht, 1 Amtsknecht,<br />

1 Scharfrichter, den herrschaftlichen Schultheissen<br />

der einzelnen Orte und Zolleinnehmer.<br />

Weiter wurde hier Näheres über diese Personen und ihren<br />

Wohnsitz festgehalten. Wir möchten hier nur über die drei<br />

Haupt-Amtsträger kurz berichten.<br />

Da wird uns der 1803 amtierende Hofrat und Oberamtmann<br />

(Friedrich) Stehle vorgestellt. Er wurde 1802 mit seinem<br />

Sohn nach Ostrach versetzt. Zuvor war er 21 Jahre<br />

Oberamtmann bei den oberen salemischen Pflegeämtern<br />

Ulm, Singen und Schemmerberg. Er war der letzte salemische<br />

Oberamtmann, der vor dem Besitzwechsel das salemische<br />

Amtshaus zu Ostrach bewohnte. In dieser Dienststellung<br />

wurde er von Thum und Taxis nach der Übernahme<br />

der Herrschaft Ostrach weiter beschäftigt und konnte aufgrund<br />

seiner örtlichen Kenntnisse seinem neuen Fürstl.<br />

Herren wertvolle Dienste leisten. Stehle starb in Ostrach am<br />

24.08.1809.<br />

HANS PETER HAULER<br />

Der Glockenguß zu Dürmentingen im Jahre 1655<br />

Der Dreißigjährige Krieg ging im Jahre 1648 mit dem Westfälischen<br />

Frieden zu Ende, doch zeigten sich Folgen der<br />

Not und des Elends noch einige Jahre danach. Nur langsam<br />

besserten sich die Lebensverhältnisse in den Dörfern.<br />

Der Sohn (Friedrich) Stehles, Carl Theodor, wurde nach<br />

Ankunft in Ostrach zum Sekretär ernannt und dann im August<br />

1803 zum Oberamtsrat erhoben. Er wohnte im Amtshaus<br />

zu Ostrach bei seinen Eltern, weil in Ostrach ausser<br />

dem Amts- und dem Forsthaus kein »Beamtungshaus« war.<br />

Als nächstes wird uns über Forstrat Anselm Sutor berichtet<br />

und seine Aufgaben in Forst- und Jagdsachen des Oberamtes<br />

Ostrach. Er wohnte zu dieser Zeit noch in dem inzwischen<br />

abgegangenen Forsthaus in Nähe des Oberamtshauses<br />

(Grundstück Pfullendorfer Str. 17) und betreute zugleich<br />

das Ostracher Jagdrevier als Revierjäger. Wichtige<br />

Entscheidungen jedoch traf auch hier das Oberamt.<br />

Forstrat Anselm Sutor war bereits seit 1787 in salemischem<br />

Dienst. Nach 1803 wohnte er dann wohl in Bachhaupten,<br />

wo er das Lehengut, »Zwibel« genannt, erhalten hatte. 1821<br />

überließ er dieses Gut bei der Heirat seiner Tochter seinem<br />

Schwiegersohn Ignatz Köberle.<br />

Als die Fürstliche Verwaltung von Thum und Taxis im Jahre<br />

1803 dann das Amtshaus zu Ostrach vom Reichsstift Salem<br />

übernahm, wurde der Bauzustand sehr genau geprüft<br />

und in den Akten festgehalten. Hinzugezogen wurde der<br />

Ostracher Zimmermann A. Riedle und der Maurermeister<br />

J. Birkner. Ihr Bericht ist auch heute noch nach fast 200 Jahren<br />

interessant und aufschlußreich. Am 13. November 1803<br />

gaben sie zu Protokoll (auszugsweise):<br />

Das Amtshaus ist ein altes, »vergangenes« Haus, das schon<br />

viele Hauptveränderungen erlitten hat. Im Jahre 1801 wurde<br />

es soweit wie möglich renoviert. Die Türen und Fenster<br />

samt Läden u.a. wurden angestrichen und die Wand zu der<br />

Kammer neben der Kanzlei durchgebrochen, um sie zu vergrössern.<br />

Der Fussboden der Zimmer über der Kanzlei hing in einer<br />

eisernen Vorrichtung, die an das obere Gebälk befestigt war.<br />

Von Zeit zu Zeit gab er ein wenig nach, so daß der Ofen im<br />

oberen Zimmer sich von der Wand neigte und Schäden verursachte.<br />

Neuanstriche und Reparaturen waren dann erforderlich.<br />

Der Hauptfehler, der die meisten Reparaturkosten in diesem<br />

Haus verursachte, ist der Übergang der Fassaden vom<br />

Erdgeschoß zu den Fachwerk-Stockwerken, die Simsen bilden.<br />

Bei starkem Wind gaben die Balken nach und brachten<br />

das Glas in den Fensterrahmen zum Zerspringen. Eine weitere<br />

Ursache für zersprungenes Fensterglas waren die<br />

schlechten Halterungen der Fensterläden, die bei starkem<br />

Wind aufgerissen wurden.<br />

In der Kanzlei und im Archiv hatten 1803 die tragenden Bodenbalken<br />

keine feste Verbindung mit der Mauer. Sie sollten<br />

wenigstens im Archiv mit eisernen Stangen festgemacht<br />

werden. Die im Fürstl. Thum und Taxis'schen Amtshaus<br />

am 13. November 1803 festgestellten Mängel, z.B. an den<br />

Fenstern, wurden offenbar erst 1813 endgültig beseitigt.<br />

Glasermeister Joseph-Anton Schmid in Ostrach erhielt<br />

nach ausführlicher Korrespondenz zwischen dem Taxis'schen<br />

Oberamt Ostrach und der Taxis'schen Regierung den<br />

Auftrag, neue Kanzleifenster einzubauen.<br />

CFortsetzung folgt)<br />

Schritt für Schritt begann man die zerstörten und verlassenen<br />

Hofstellen wieder aufzubauen und neu zu besetzen. In<br />

dieser Wiederaufbauphase wurden auch Kirchen, Pfarrhäuser<br />

und andere den Heiligenpflegen der Ortschaften gehörige<br />

43


Gebäude und Güter wieder hergerichtet, Schadhaftes erneuert<br />

und Fehlendes ergänzt.<br />

Da und dort hatten die durchziehenden Truppen während<br />

des Kriegs die Kirchenglocken von den Türmen geholt, um<br />

Kanonen daraus gießen zu lassen. In dieser Nachkriegszeit<br />

mußte in vielen Ortschaften das Geläut in den Glockenstühlen<br />

wiederbeschafft oder ergänzt werden.<br />

Die damaligen üblen Straßen- und Wegeverhältnisse verhinderten<br />

einen Glockentransport über weite Strecken und<br />

veranlaßten die Glockengießer ihren Arbeitsaufträgen<br />

nachzuziehen. An geeigneten Orten, dort wo man das Material<br />

für die Herstellung von Glockenformen antraf, wurden<br />

Schmelzöfen errichtet und, wenn möglich, gleich mehrere<br />

Aufträge an diesen Orten durchgeführt. Von einem solchen<br />

Glockenguß, bei dem in Dürmentingen fünf kleinere<br />

Glocken gegossen wurden, erfahren wir aus dem dortigen<br />

Amtsprotokoll 1. Nicht der Glockenguß selber war Anlaß<br />

für die Niederschrift dieses Ereignisses, sondern vielmehr<br />

die Untersuchung eines vermuteten Metalldiebstahls.<br />

Am 2. Dezember 1655 erschien vor dem Dürmentinger<br />

Oberamt Andreas Miller, Oberwirt allda, und klagte gegen<br />

den Herrn Pfarrer Michael Visel, daß im ganzen Ort herum<br />

erzählt werde, er, der Wirt, habe vor etlichen Wochen, als<br />

die Glockengießer in Dürmentingen waren, ein Stück Metall<br />

gestohlen. Auf sein Nachfragen hin habe er feststellen<br />

müssen, daß diese Reden vom Herrn Pfarrer im Dorf ausgegeben<br />

worden sein sollen. Er bitte daher, man möge den<br />

Herrn Pfarrer zum Beweis seiner Aussagen anhalten.<br />

Nachdem von Seiten des Amtes Erkundigungen im Dorf<br />

eingeholt worden waren, führte man am 11. Dez. eine Zeugenbefragung<br />

in der vermeintlichen Diebstahlsache durch.<br />

Als erster Zeuge wurde Matheis Binder, der alte Hirt von<br />

Dürmentingen, vernommen. Er berichtete, daß er sich<br />

während des Glockengusses mit noch anderen in der Ziegelhütte<br />

in Dürmentingen befunden habe, wo ein Schmelzofen<br />

errichtet worden war.<br />

Das Metall im Ofen war bereits geschmolzen und es sollte<br />

keine Viertelstunde mehr dauern, bis die fünf Glocken gegossen<br />

werden sollten. Erwartungsvoll starrten alle auf den<br />

Ofen.<br />

Die Dunkelheit der Nacht und das leuchtende, flüssige Metall<br />

scheinen eine gespenstische Atmosphäre in der<br />

Gießhütte erzeugt zu haben. So sehr die Schmelze die<br />

Blicke der Umstehenden auch angezogen haben mag, so<br />

achteten doch mehrere Personen, einschließlich der vernommenen<br />

Zeugen, auf ein größeres Stück Metall, das auf<br />

dem Teil des Ofens lag, der zur Lehmgrube hinzeigte.<br />

Zwei Glockengießer waren am Werk, der Altmeister Christoph<br />

Reble und der »junge Glockengießer«, bei dem es sich<br />

um dessen Schwiegersohn Joachim Grüninger handelte, der<br />

1645 Christoph Rebles Tochter geheiratet hatte. Sie kamen<br />

aus Villingen im Schwarzwald und betrieben die dortige<br />

Gießhütte.<br />

Altmeister Christoph Reble fragte den Oberwirt Miller<br />

dreimal: »Andreas, ist das Metall alles im Ofen?« Worauf<br />

der Wirt die Frage jedesmal bejahte.<br />

Kurz vor dem Ofenanstich ergriff Andreas Miller unversehens<br />

eine Holzstange, fuhr damit in die Schmelze und rührte<br />

darin herum. Das Holzstück begann sofort zu brennen<br />

und wurde vom Hirten Matheis Binder und dem Bannwart<br />

sofort mit Wasser und Lehm gelöscht. Glockengießer Christoph<br />

Reble schimpfte »Hei der Teufel - Andreas, was<br />

macht ihr im Ofen, habt nichts darin zu schaffen!«<br />

In dieser kurzen Zeit des Löschens hatte niemand auf das<br />

Stück Metall geachtet und anschließend war es weg. Des<br />

44<br />

Millers Bub sei kurz zuvor bei dem Metallstück gestanden,<br />

weiß Binder zu berichten, auch daß er gleich in den Ofen<br />

gesehen habe, da so ein großes Stück Metall nicht so schnell<br />

in der Schmelze hätte aufgehen können. - Allein er habe<br />

keine Spur von diesem Stück im Ofen entdecken können.<br />

Obiger Zeuge erzählt weiter, daß er am nächsten Morgen<br />

den Pfarrer Visel beim jungen Glockengießer habe stehen<br />

sehen. Die beiden hätten leise miteinander geredet. Da habe<br />

er gesagt: »Ei, Herr Pfarrer, was habt ihr Heimliches?«<br />

»Matheis wenn Du's errätst, will ich's Dir sagen« gab der<br />

Pfarrer zur Antwort.<br />

Darauf habe er zum Herrn Pfarrer gesagt, »es sei nächtens<br />

etwas vorbei geloffen, sie sagen gewiß davon«. Da gab der<br />

Pfarrer zu, daß er es erraten habe und forderte ihn auf, ihm<br />

alles zu berichten, was er darüber wisse.<br />

Als weiterer Zeuge wurde M(eister) Janco Benda, wohl<br />

auch ein »Neubürger« in Dürmentingen, befragt. Er wiederholte<br />

weitgehend die Angaben des ersten Zeugen und<br />

meinte, wenn er nicht ein so scharfes Auge auf das Metallstück<br />

gehabt hätte, wäre es wohl schon früher weggekommen.<br />

Auch er sei durch das brennende Holzstück abgelenkt<br />

worden. Als er aber anschließend auf den Wirt Andreas<br />

Miller gesehen habe, habe dieser »seine Hosen in den Händen<br />

gehabt und sie mit der Hand hinter sich geschoben, er<br />

habe sich gebogen und mit so grimmigen Augen um sich gesehen,<br />

daß er sich gefürchtet habe«. Der Wirt sei dann zur<br />

Hütte hinaus gegangen.<br />

Benda eilte ins Pfarrhaus um Pfarrer Visel von dem Hergang<br />

Bericht zu erstatten. Der Pfarrer war der Meinung,<br />

man solle dem verdächtigen Wirt hinterhergehen, Benda dagegen<br />

gab zu bedenken, es sei finstere Nacht, selbst wenn<br />

der das Metallstück habe, könne er es jederzeit wegwerfen<br />

und den Diebstahl ableugnen. Er wolle wetten, Andreas<br />

Miller komme wieder in die Gießhütte zurück. Und so geschah<br />

es auch; kurze Zeit später stand er wieder ganz unbefangen<br />

neben den Glockengießern. Des Millers Buben allerdings<br />

habe man in dieser Nacht nicht mehr gesehen. Der<br />

Zeuge beschloß seine Aussage mit der Feststellung, daß kein<br />

Mensch außer dem Miller und dessen Buben die Gießhütte<br />

während des Glockengusses verlassen habe.<br />

Die weitere Untersuchung des Falles scheint keine neuen<br />

Erkenntnisse erbracht zu haben.<br />

Aus einem etwas späteren Protokollbucheintrag kann man<br />

vermuten, daß bei Andreas Miller eine Hausdurchsuchung<br />

stattgefunden hat, die aber bezüglich des vermißten Metallstücks<br />

ergebnislos geblieben zu sein scheint. Man hat die Sache<br />

damit auf sich beruhen lassen.<br />

Interessant ist die Geschichte und der Verbleib und der damals<br />

gegossenen Glocken:<br />

Die Glockenweihe wurde zu einem großen Festtag. Der<br />

Prälat Matthias Binder vom Kloster Schussenried kam nach<br />

Dürmentingen, um die Glocken zu weihen 2.<br />

Zwei dieser Glocken waren für die Kirche in Dürmentingen<br />

bestimmt, eine größere zu Ehren des hl. Johann Bapt., eine<br />

kleinere zu Ehren der hl. Anna. Von diesen beiden Dürmentinger<br />

Glocken ist heute keine mehr vorhanden, sie sind mit<br />

größter Sicherheit im Jahre 1877, als Dürmentingen vier<br />

neue Glocken gießen ließ 3, vom Glockengießer Konrad<br />

Zoller in Biberach eingeschmolzen worden. Auch diese vier<br />

neuen Glocken gibt es übrigens nicht mehr, sie wurden Opfer<br />

der beiden Weltkriege 4. Eine dritte Glocke ging nach<br />

Andelfingen, sie hatte einen Durchmesser von 85 cm, war<br />

72 cm hoch und 375 kg schwer und wies eine zweizeilige<br />

Majuskelinschrift auf:<br />

»S. MATTHÄVS - S. LVCAS - S. MARCVS - S. JOHAN-


NES . CHRISTOPH REBLE VND JOACHIM<br />

GRENINGER VON VILLINGEN COS MICH ZV<br />

DIERMATINGEN M + D + C + LV.«<br />

Diese Glocke wurde wegen der bedeutenden Inschrift und<br />

ihrem relativ hohen Alter im Ersten Weltkrieg von der Ablieferung<br />

zurückgestellt, fiel jedoch dem Zweiten Weltkrieg<br />

zum Opfer. Die vierte und letzte Glocke, von der wir wissen,<br />

ist glücklicherweise noch vorhanden. Sie hängt außen<br />

an der Friedhofskapelle in Bad Schussenried und war der<br />

Anmerkungen<br />

1 Staatsarchiv Sigmaringen - Dep. 30 Rep. VIII Amtsprotokolle<br />

Dürmentingen.<br />

2 Der Bussen - Beilage zur Riedlinger Zeitung vom 1. Nov. 1931.<br />

- Th. Selig: Aus dem Leben des Pfarrers Michael Visel in Dür-<br />

KARL WERNER STEIM<br />

Grund für die Reise des Prälaten von Schussenried zur<br />

Glockenweihe gewesen.<br />

Haigerlocher Brauchtum im Jahreslauf (Fortsetzung)<br />

Apostel Johannes - 27. Dezember<br />

Sehr alt ist das Fest des hl. Johannes, Apostels und Evangelisten.<br />

Er wird gewöhnlich am Herzen Jesu ruhend dargestellt.<br />

Auch in Haigerloch gab es früher den Brauch der Segnung<br />

und Austeilung von Johannes-Wein. 1879 verkündete<br />

der Pfarrer, er nehme die letztmals 1836 erfolgte Segnung<br />

dieses Weines wieder auf 12. Der Wein wurde nach der Messe<br />

an der Kommunionbank ausgeteilt.<br />

Fest der Unschuldigen Kinder -28. Dezember<br />

Dieses Fest ist im Abendland schon im 5. Jahrhundert bezeugt.<br />

In St. Paul vor den Mauern Roms werden die Reliquien<br />

der heiligen Unschuldigen Kinder verehrt, die wegen<br />

ihres Zeugnisses für Christus sterben mußten. Es ist überliefert,<br />

daß in Haigerloch 1896 an diesem Tag in St. Anna ein<br />

Rosenkranz um Abwendung von Kinderkrankheiten gebetet<br />

wurde 13.<br />

Silvester und Neujahr<br />

In Haigerloch gab es die unterschiedlichsten Silvester- und<br />

Neujahrsbräuche. Schon aus dem letzten Jahrhundert überliefert<br />

ist das »Paschen«, das Auswürfeln von Silvester-Brezeln.<br />

Dieser heute noch geübte Brauch fand früher vor allem<br />

im Gasthaus »Bürgerstüble« und in der »Krone« statt,<br />

wobei man um große Brezeln und Hefezöpfe würfelte. Später<br />

hat sich diese Sitte auch in anderen Gasthäusern der<br />

Stadt eingebürgert.<br />

Ein alter Brauch ging im Jahre 1861/62 zu Ende: das Neujahrssingen<br />

der Nachtwächter 14: »Nachdem durch Anordnung<br />

der K. Regierung das Singen in der Neujahrsnacht den<br />

Nachtwächtern untersagt ist, und denselben hiedurch ihre<br />

bisherigen Geschenke von den hiesigen Einwohnern entgehen,<br />

wird beschlossen, jedem der beiden hiesigen Nachtwächter<br />

soll eine Entschädigung für die Geschenke auf das<br />

neue Jahr 1862 mit 5 fl aus der Gemeindekasse gewährt ...<br />

werden.« Vorausgegangen war eine Verfügung des Sigmaringer<br />

Regierungspräsidenten Seydel vom 26. Oktober<br />

1861: »Wie uns zur Kenntnis gekommen, hat in letzter Zeit<br />

das Abbrennen von Feuergewehren und dergleichen in der<br />

Neujahrsnacht eine das öffentliche Interesse gefährdende<br />

Ausdehnung genommen und muß deshalb auf eine genauere<br />

Beobachtung der ... des Strafgesetzbuches vorgesehenen<br />

Bestimmungen gehalten werden. Für die dießfallsige Wirksamkeit<br />

der Polizei ist es aber ein sehr hinderlicher Um-<br />

Sie hat einen Durchmesser von 52 cm und ist 41 cm hoch.<br />

Auf ihr findet sich u. a. der Name des Schussenrieder Prälaten<br />

Binder, eine Kreuzigungsgruppe und der hl. Martin zu<br />

Pferde. Ihre Herkunft wird folgendermaßen angegeben:<br />

»IOACHAM "GRIENINGER * VON * VILLINGEN *<br />

GOS * MICH - ZV * DIRMATINGEN :' « 5.<br />

mentingen.<br />

3 Württ. Jahrbücher für Statistik und Landeskunde 1919/20.<br />

4) A. Nägele: Die Glocken des Oberamtes Riedlingen.<br />

5 G. Grundmann: Deutscher Glockenatlas, 1959.<br />

stand, daß an manchen Orten noch die Sitte herrscht, wonach<br />

Gemeindebedienstete (Polizeidiener und Nachtwächter)<br />

in der Neujahrsnacht herumziehen, vor den Häusern<br />

singen, die Einwohner beglückwünschen und des andern<br />

Tages von Haus zu Haus Geschenke sammeln. Es ist diese<br />

Sitte wohl an den meisten Orten abgestellt, wie sie dann an<br />

sich als eine Ungehörigkeit erscheint. Mit Rücksicht darauf,<br />

daß auch die Polizeibediensteten am wenigsten in der Neujahrsnacht<br />

der Ausübung ihrer Pflicht entzogen werden<br />

dürfen, beauftragen wir die Königl. Oberämter an den Orten,<br />

wo die erwähnte Sitte noch herrscht, mit den Amtsvorständen<br />

sich darüber ins Vernehmen zu setzen, daß dieselbe<br />

abgestellt und den Gemeindebediensteten dafür eine angemessene<br />

Entschädigung aus der Gemeindekasse gewährt<br />

werde...« 15.<br />

Sehr alt ist natürlich auch das Schießen in der Neujahrsnacht.<br />

1857 haben zwei Mann die Gendarmerie beim Patrouillieren<br />

»in der Stadt wegen unnützen Schüßens unterstützt«,<br />

wofür jeder einen Gulden bekam 16. 1860 waren es<br />

sogar vier Mann, die »in der Neujahrs Nacht gewacht wegen<br />

unnützen Schüßen 17. »Die Sylvesternacht ist hier ruhiger<br />

als in früheren Jahren abgelaufen. Wohl hörte man hier<br />

und da einen Schuß, die Gendarmerie und Polizei scheint<br />

aber kurzen Prozeß mit den Schießlustigen gemacht zu haben,<br />

denn sie haben den Ruhestörern einfach die Pistolen<br />

abgenommen, was ein Radikal-Mittel sein dürfte, wenn<br />

nicht Rückgabe der Waffen stattfinden würde«, schrieb die<br />

Zeitung im Jahre 1865 aus Haigerloch 18. 1873 wurde ein lediger<br />

Bürger von Haigerloch mit 1 Gulden 45 Kreuzer bestraft,<br />

weil er »in der letzten Neujahrsnacht in der Nähe von<br />

Gebäuden geschoßen«. Die Ersatzstrafe betrug einen Tag<br />

Gefängnis 19. »In der letzten Neujahrsnacht ist auch hier ein<br />

kleines Unglück passiert, indem einem jungen Burschen ein<br />

Stück aus dem Daumen geschossen wurde«, berichtete die<br />

Zeitung im Jahre 1878 aus Haigerloch 20.<br />

Als ob die Haigerlocher das Herannahen des Weltkrieges<br />

geahnt hätten, feierten sie den Jahresbeginn 1913 nochmals<br />

sehr groß 21: »Die Sylvesternacht war hier recht lebendig.<br />

Der Würfelbecher wurde in allen Wirtschaften sehr fleißig<br />

herum gereicht, und die Brezeln und Hefekränze zierten so<br />

manchen Arm eines liebenden Gatten, der nach Becherklang<br />

und frohem Gesang im alten oder im neuen Jahr seinem<br />

Heim zusteuerte. Die Freudenschüsse krachten an allen<br />

Ecken, besonders auf dem Marktplatz war ein Knattern<br />

von übergroßer Liebenswürdigkeit, und die Feuergarben<br />

45


schössen jäh in die Luft mit ihrem goldenen Schweife die<br />

Nacht erleuchtend. 12 Uhr schlug's vom Turm her, und die<br />

Sylvesterglocken vom evang. Kirchlein gaben dem Totenstündchen<br />

des alten Jahres das stimmungsvolle Geleite hinaus<br />

in den Strom der Zeit, der alles mitreißt und in seinen<br />

erbarmungslosen Wellen vergräbt.« In den kommenden<br />

Jahren war es dann an Silvester/Neujahr sehr ruhig, auch<br />

1918, wie der Haigerlocher Bote berichtete: »Die Sylvesternacht<br />

ist im allgemeinen ruhig verlaufen. Die Wirtschaften<br />

waren größtenteils um 22 Uhr schon zu. Um Mitternacht<br />

begrüßte das Glöcklein von der Ev. Kirche das junge Jahr.<br />

Warum wird denn in der Silvesternacht nicht auch auf dem<br />

Römerturm geläutet?«<br />

Allmählich kehrte das alte Brauchtum wieder zurück. Der<br />

Bericht von Silvester 19 1 9 22: »Um den Übergang vom alten<br />

zum neuen Jahr recht wirkungsvoll zu gestalten, wurden in<br />

der Neujahrsnacht eine große Anzahl von Fröschen und<br />

Kanonenschlägen zur Entladung gebracht. An dieser Knallerei<br />

hatten besonders die Jungen eine Freude, die in dem<br />

letzten Jahre nie einen Kanonenschlag gehört hatten.« Einschränkungen,<br />

die das Schießen betrafen, gab es im Dritten<br />

Reich. Bürgermeister Rein gab Ende 1939 bekannnt 23: »Das<br />

Schießen in der Neujahrsnacht sowie das Abbrennen von<br />

Feuerwerk und ähnlichen Erzeugnissen im Freien ist verboten.<br />

Zuwiderhandlungen werden mit Strafe bis zu 150 RM<br />

bestraft.«<br />

Ein neuerer Brauch ist das Blasen vom Römerturm in der<br />

Silvesternacht. Vom Jahreswechsel 1923/24 ist überliefert:<br />

»Sehr stimmungsvoll verkündeten zwei hiesige Trompeter<br />

vom Kranze des Römerturms herab das Scheidestündchen<br />

des alten Jahres« 24. Dies wurde auch im folgenden Jahr fortgesetzt.<br />

1926 erweiterte die Stadtkapelle das Spielen vom<br />

Turm noch um eine Variante. Dentist Thomas Back schrieb<br />

an den Bürgermeister 25: »Die Stadtkapelle, unterstützt von<br />

einigen hiesigen Männern, beabsichtigt in der Neujahrsnacht<br />

eine Beleuchtung des Römerturmes vorzunehmen,<br />

verbunden mit Spielen der Kapelle und dem Glockengeläute.<br />

Zur Deckung der Unkosten beabsichtigen wir eine<br />

Haussammlung vorzunehmen.« Wie sich Gertrud Zimmermann<br />

erinnerte, war das Spielen auf dem Römerturm in der<br />

Silvester- bzw. Neujahrsnacht in den 20er und 30er Jahren<br />

abhängig vom Bestehen einer Stadtkapelle.<br />

Kirchliche Silvesterfeiern gibt es in Haigerloch schon lange<br />

und wurden im letzten Jahrhundert als »Jahresschlußandacht«<br />

bezeichnet. Sie fanden - beispielsweise 1931 - in der<br />

Unterstadt- und in der evangelischen Kirche statt 26. Laut<br />

Rosa Trenkle wurde die Silvesterandacht wohl nach dem<br />

Krieg von der Unterstadt- in die Schloßkirche verlegt. Sogar<br />

Evangelische hätten oft daran teilgenommen. Sitte war es<br />

auch, daß der Pfarrer allen einzeln dankte, die während des<br />

Jahres irgendwie für die Kirche tätig waren.<br />

Dreikönig - 6. Januar<br />

Dreikönig war bis zum 4. Jahrhundert der altchristliche<br />

Jahresbeginn und ist heute noch ein wichtiger Termin im<br />

Kirchenjahr. In den katholischen Kirchen werden an diesem<br />

Tag Wasser, Salz und Kreide geweiht. Viele Gläubige halten<br />

diese Weihe für besonders segenskräftig und bewahren etwas<br />

von dem Wasser für Notfälle auf. 1896 verkündete der<br />

Haigerlocher Pfarrer, er führe die vor 60 Jahren abgeschaffte<br />

feierliche Weise der Dreikönigwasserweihe wieder ein 27.<br />

Die geweihte Kreide dient den Sternsingern, den Heiligen<br />

Drei Königen, dazu, die Buchstaben C-M-B an die Türen<br />

der Häuser zu schreiben. Diese Buchstaben können die Initialen<br />

der König sein - Caspar, Melchior, Balthasar -; sie<br />

können aber auch bedeuten: »Christus mansionem benedicat«<br />

- Christus segne dieses Haus. Das Salz wurde früher<br />

46<br />

dem Vieh gegeben. »Die alte, schöne, sinnvolle Sitte, am<br />

Dreikönigstag, wo Salz und Kreide in der Kirche geweiht<br />

werden, mit der Kreide die Anfangsbuchstaben der Namen<br />

der Heiligen drei Könige (K + M + B) samt der Jahreszahl<br />

an die Türen des Hauses zu schreiben, ist heute fast gänzlich<br />

abgegangen«, schrieb 1928 die Oberamtsbeschreibung. Dieser<br />

Brauch wurde aber in den letzten Jahrzehnten wieder<br />

belebt.<br />

Rosa Trenkle erinnerte sich, daß früher am Dreikönigstag<br />

Sänger aus Rangendingen nach Haigerloch kamen, die das<br />

neue Jahr ansangen, wobei auch der »Sand-Michel« diesen<br />

Brauch ausübte.<br />

St. Sebastian - 20. Januar<br />

Sebastian, nach der Legende kaiserlicher Offizier, wurde<br />

um das Jahr 289 wegen seines christlichen Bekenntnisses auf<br />

Befehl des Kaisers Diokletian mit Pfeilen durchbohrt. Der<br />

hl. Sebastian wird als Patron gegen die Pest verehrt. Deshalb<br />

fehlt seine Darstellung auch in kaum einer alten Kirche. In<br />

der Haigerlocher Unterstadtkirche wurde früher traditionell<br />

am Sebastianstag eine hl. Messe an seinem Altar gelesen<br />

(z. B. noch um 1875) und um Abwendung ansteckender<br />

Krankheiten ein Rosenkranz mit Litanei gebetet 28.Der Altar<br />

ist inzwischen abgegangen, in der Kirche vorhanden ist<br />

noch die Plastik des Heiligen.<br />

Maria Lichtmeß - 2. Februar<br />

Papst Sergius führte das Fest Ende des 7. Jahrhunderts in<br />

den Kirchenkalender ein; es erinnert an Marias Besuch mit<br />

ihrem Kind im Tempel, 40 Tage nach der Geburt des Sohnes.<br />

Der 2. Februar fällt in den ausgehenden Winter und bezeichnete<br />

früher, in einer weithin bäuerlichen Gesellschaft,<br />

den allmählichen Beginn des Arbeitsjahres. Dazu brauchte<br />

man die Knechte und Mägde wieder, die an Martini entlassen<br />

worden waren. An Lichtmeß gingen also die Dienstboten<br />

wieder in Stellung. Auf Lichtmeß wurden auch, wie auf<br />

Martini, Zahlungen geleistet. Und mit diesen Tag hörten<br />

auch die winterlichen Zusammenkünfte auf, die Licht- oder<br />

Kunkelstuben. Traditionell fand an Lichtmeß die Kerzenweihe<br />

statt, 1875 zum Beginn des Hauptgottesdienstes in<br />

der Schloßkirche.<br />

Fastnacht<br />

Am Dreikönigstag - und nicht am 11. November! - pflegt<br />

die schwäbische Fastnacht zu beginnen. Brauch und Wort<br />

müssen schon im 12. Jahrhundert bekannt gewesen sein.<br />

Fastnacht bedeutet sprachlich den Vorabend oder Vortag<br />

der großen Fastenzeit. Die mittelalterliche Fastenordnung<br />

war streng: Vom Aschermittwoch an durfte man sich täglich,<br />

mit Ausnahme der Sonntage, nur einmal satt essen. Die<br />

40tägige Fastenzeit erklärt somit die Lust der Menschen,<br />

sich vorher nochmal mit Speise und Trank, mit Tanz und<br />

Dummheiten usw. auszutoben.<br />

Über die Fastnacht in Haigerloch gibt es ein eigenes<br />

Buch 29. Näheres ist - wie auch der nachstehende Text -<br />

dort nachzulesen. Über die Haigerlocher Fasnet in preußischer<br />

Zeit gibt es interessante Belege. Wie in Rottweil und<br />

anderswo trug die Fastnacht damals ziemlich karnevalistische<br />

Züge.<br />

Im »Hohenz. Wochenblatt« des Jahres 1857 entrüstete sich<br />

ein Mitarbeiter über das »Hexenspringen« der Schulkinder<br />

und löste damit sogar ein behördliches Einschreiten aus. In<br />

der Zeitung stand aus dem Eyachtal zu lesen: »Die Faschingstage<br />

machen sich an manchen Orten durch einen<br />

Unfug bemerkbar, durch das sog. >Hexenspringen< der


Schulkinder, welche am Dienstag und Donnerstag maskiert<br />

auf der Gasse ihr Unwesen zu treiben sich erlauben. Es be-<br />

darf keiner Beweise, daß hierdurch der Keim der Verwilde-<br />

rung und Rohheit in diejugendlichen Herzen gelegt wird,<br />

Anmerkungen<br />

12 Pfarrarchiv Haigerloch (PfA.) Nr. 1317 7.<br />

13 PfA. Nr. 1319.<br />

14 StA, Bände, Nr. 218.<br />

13 StA: Akten, Nr. 69.<br />

16 StA: Bände, Nr. 214.<br />

17 Ebd,Nr. 218.<br />

18 Hohenz. Wochenblatt, Nr. 3, 1863.<br />

19 StA: Bände, Nr. 230.<br />

20 Hohenz. Blätter, Nr. 3, 10.1.1878.<br />

21 Haigerlocher Bote, Nr. 1,3.1.1913.<br />

Buchbesprechungen<br />

Ostrach 1799, die Schlacht, der Ort, das Gedenken, herausgegeben<br />

von Edwin Ernst Weber im Auftrag der Gemeinde<br />

Ostrach.<br />

Das Buch erschien zum 200. Gedenkjahr der Schlacht bei<br />

Ostrach. Am Gründonnerstag 1799, dem 21. März, stießen<br />

im Gebiet Hohentengen-Ostrach-Hoßkirch österreichische<br />

und französische Truppen zusammen und lieferten sich<br />

blutige Kämpfe. Es gelang den Österreichern, die Franzosen<br />

über den Bach Ostrach Richtung Westen zurückzudrängen.<br />

Obwohl die »Schlacht bei Ostrach« im Verlauf der<br />

Koalitionskriege nur von geringer Bedeutung war, ist sie<br />

doch der Bevölkerung von Ostrach und Umgebung lebhaft<br />

im Gedächtnis geblieben.<br />

Über die Ereignisse von 1799 wurde schon viel geschrieben.<br />

Auf Anregung des Kreisarchives Sigmaringen sollten die<br />

Gedenkveranstaltungen durch eine umfassende Aufarbeitung<br />

des Themas auf wissenschaftlicher Grundlage ergänzt<br />

werden.<br />

Fünf Autoren berichten nicht nur von der Schlacht, von<br />

Krieg und Politik, sondern auch über den Schauplatz des<br />

Geschehens, die Herrschafts- und Lebensverhältnisse<br />

Ostrachs und seiner Umgebung.<br />

Herausgeber Dr. Edwin Ernst Weber schreibt über das Salemische<br />

Oberamt Ostrach im 18. Jahrhundert. In mehreren<br />

Kapiteln werden die Verhältnisse der Klosterherrschaft und<br />

der Untertanen eingehend dargestellt.<br />

Die Entwicklung nach der Säkularisation, Übergang an<br />

Thum und Taxis und Mediatisierung durch das Fürstentum<br />

Hohenzollern-Sigmaringen werden von Staatsarchivdirektor<br />

Dr. Volker Trugenberger geschildert.<br />

Militärhistoriker Heinrich Bücheler aus Inzigkofen bringt<br />

eine Darstellung der französischen Revolutionskriege insgesamt.<br />

Er stellt die Schlacht bei Ostrach in den Zusammenhang<br />

der französischen Revolutionskriege und der militärischen<br />

Operationen in Oberschwaben im Frühjahr 1799.<br />

Viele der handelnden Personen werden in Bildern gezeigt.<br />

Den Verlauf der Schlacht anhand von Augenzeugenberichten<br />

und anderen zeitgenössischen Quellen zeichnet Oberstudienrat<br />

Gerhard Fetscher, Leiter des Ostracher Heimatmuseums,<br />

nach.<br />

Kulturwissenschaftler Armin Heim aus Meßkirch berichtet<br />

über mehrere kleinere Denkmäler aus verschiedenen Zeiten<br />

wenn nicht die Schulbehörde ein wachsames Auge darauf<br />

gerichtet hält. Übrigens wäre es die Pflicht der Eltern, einen<br />

derartigen Fanatismus ihrer Kinder mit ernster Strenge von<br />

Hause aus zu verbieten und zu unterdrücken.«<br />

22 Der Zoller, Nr. 2, 3.1.1920.<br />

23 StA Akten Nr. 389.<br />

24 Haigerlocher Bote, Nr. 2,1924.<br />

23 StA 577.<br />

26 PfA 1315.<br />

27 Ebd. 1319.<br />

28 Ebd. 1317.<br />

29 Karl Werner Steim, Fastnacht in Haigerloch. Hechingen 1987.<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

und über Planung, Errichtung und Einweihung des Denkmals<br />

auf dem Buchbühl. Er weist auf den kulturgeschichtlichen<br />

Sonderfall hin, daß in der wilhelminischen Zeit (1903)<br />

hier nicht eines Sieges gedacht wurde, sondern eher der Leiden<br />

der Bevölkerung und der Schwäche des damaligen<br />

Deutschland, auf dessen Boden sich auswärtige Mächte<br />

bekämpften.<br />

Das Buch ist mit ca. 50, zum großen Teil farbigen Abbildungen<br />

ausgestattet. Der Umschlag zeigt ein Ölgemälde des Biberacher<br />

Malers Joh. Bapt. Pflug. Abgebildet ist ein weiteres<br />

Schlachtenbild aus den fürstlichen Sammlungen in Sigmaringen,<br />

das von einem bisher nicht bekannten Maler<br />

stammt. Eine Fülle von historischen Karten, graphischen<br />

Darstellungen und Fotos veranschaulichen den Text.<br />

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die wissenschaftliche<br />

Aufarbeitung der »Schlacht bei Ostrach« einen wesentlichen<br />

Beitrag zur lokalen Geschichte darstellt.<br />

Das Buch ist im Selbstverlag der Gemeinde Ostrach erschienen<br />

und kann bei der Gemeindeverwaltung Ostrach<br />

und bei den Buchhandlungen bestellt werden (ISBN 3-00-<br />

004325-X) DM 35,-.<br />

Aus Freude am Wort<br />

1898 veröffentlichte der Haigerlocher Franz Xaver Hodler das<br />

Buch »Dichterstimmen aus Hohenzollern«. Vom Landratsamt<br />

Zollernalbkreis herausgegeben (ISBN 3-927249-12-2), ist nun,<br />

von Kohlhammer & Wallishauser, Hechingen, hergestellt, das<br />

von Alfred Münz bearbeitete 217seitige Buch »Zollernalb-<br />

Profile - Aus Freude am Wort« erschienen. 41 Schreibende<br />

aus dem Zollernalbkreis lieferten zu diesem Werk, bei dem<br />

ein Redaktionsteam unter Leitung von Kreisarchivar Dr.<br />

Andreas Zekorn mit Hand anlegte, Gedichte und Prosatexte.<br />

Es soll, wie einst Hodlers Band, so Landrat Willi Fischer<br />

im Vorwort, »einen guten Querschnitt des aktuellen schriftstellerischen<br />

Schaffens in unserem Landkreis vermitteln«.<br />

Horst Schaudt hat das als Band 4 in der Schriftenreihe des<br />

Zollernalbkreises erschienene Buch mit einem farbigen<br />

Umschlagbild und Schwarz-Weiß-Skizzen liebevoll illustriert.<br />

Die Autoren werden auf den letzten Seiten kurz vorgestellt<br />

(meist mit Bild), und Alfred Münz schreibt in seiner<br />

Einleitung: »Sehr bunt ... ist die Sammlung geworden, eine<br />

Art Blumenstrauß ... In der Anthologie soll ... wie in einer<br />

47


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

E 3828<br />

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />

Quellfassung ans Licht der Öffentlichkeit gelangen, was in<br />

scheuen und versonnenen oder flotten und weltgewandten<br />

Schreibern wie ein Grundwasser verborgen war ... Und<br />

schließlich will das Buch alle Schreibenden ermutigen, im<br />

Bemühen um sprachliche Gestaltung ihres Erlebens nicht<br />

nachzulassen.«<br />

So unterschiedlich die Lebensläufe der Autoren, so unterschiedlich<br />

sind auch die Themen ihrer Texte und die Qualität.<br />

Da findet der Leser Tiefsinniges und Erheiterndes, er<br />

wird konfrontiert mit Erfahrungsberichten und Gefühlvollem,<br />

mit Befürchtungen, Wunschträumen und Hoffnungen.<br />

Er entdeckt Meisterhaftes und »Versuacherle«, hin und wieder<br />

auch Stilblüten im Blumigen. So wird Lesen zur spannenden<br />

Entdeckungsreise, die Freude der Autoren am Wort<br />

wird spürbar (ein treffender Buchtitel) und zudem sehr viel<br />

Heimatliebe.<br />

Das Buch könnte Ansporn sein für die Sigmaringer Landratsamt-Verwaltung,<br />

den Anstoß zu einem ähnlichen Werk<br />

in ihrer Region zu geben. Bislang existiert im Kreis Sigmaringen<br />

lediglich eine 102seitige Broschüre, im Jahr 1991 von<br />

der Pädagogischen Arbeitsstelle für Erwachsenenbildung<br />

unter dem Titel »So isch's bei ons« herausgegeben und beschränkt<br />

auf schwäbische Mundartbeiträge. Dabei gäbe es<br />

weitaus mehr zu entdecken.<br />

Auf 237 Seiten enthält das Buch »Einsteigen bitte!« (Verlag<br />

Schwäbisches Tagblatt, Tübingen; ISBN 3-928011-32-4) jede<br />

Menge lehrreiche Informationen zur Geschichte des<br />

Zugverkehrs allgemein und zu der der Hohenzollerischen<br />

Landesbahn, die seit 100 Jahren besteht, im Besonderen.<br />

Wolfgang Alber, Utz Jeggle und Botho Walldorf haben das<br />

mit historisch bedeutsamen Schwarz-Weiß-Fotos versehene<br />

Buch herausgegeben. Kurzbeiträge beleuchten das Thema<br />

»Bahn« aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Da wird<br />

beispielsweise die spannende Lebensgeschichte des Reutlinger<br />

»Weichenstellers« Friedrich List skizziert, eines genia-<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638, 72486<br />

Sigmaringen.<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung im alten Land<br />

Hohenzollern und den angrenzenden Landesteilen<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat<br />

vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s ist der Bezugspreis im<br />

Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />

DM 13,00 jährlich.<br />

Abonnements und Einzelnummern (DM<br />

3,25) können beim Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

(s. o.) bestellt werden.<br />

48<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

len Querdenkers und Ideenschmieds, dessen tragisches Dasein<br />

im Freitod endete. Da wird auch der oftmals steinige<br />

Weg beschrieben vom Ende der Postkutschenzeit hin zum<br />

Zeitalter, in dem sich die Bahn als modernes Verkehrsunternehmen<br />

bewährte. Da gibt es bedenkenswerte Überlegungen<br />

zum Schauerlebnis und Wartefrust von Bahngästen, zur<br />

Sinnlichkeit des Bahnfahrens und natürlich zu den Faktoren<br />

Zeit und Raum. Erfahrungen werden geschildert und viel<br />

Geschichtliches wird aufgerollt. Zu letzterem gehören unter<br />

anderem die Rückblende auf große und kleine Unglücke,<br />

die Darlegung der Verbundenheit zwischen <strong>Hohenzollerischer</strong><br />

Landesbahn und Salzwerk Stetten bei Haigerloch, die<br />

mit großer Eindringlichkeit geschilderte Juden-Deportation,<br />

die Pilgerreisen, organisiert von Pfarrer Wessner und<br />

Prälat Kramer, sowie vieles andere mehr. Das Buch ist eine<br />

wahre Fundgrube, keineswegs nur für Eisenbahnfreunde,<br />

zumal die einzelnen Themen, obwohl kompakt gehalten<br />

und prägnant formuliert, so aufbereitet wurden, so daß man<br />

mit viel Gewinn und ständig erneuertem Interesse liest, ba<br />

Grenzgängerin<br />

Gerd Bantle<br />

Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Hans-Peter Hauler<br />

Hopfengartenweg 12,<br />

88499 Riedingen-Grüningen<br />

Walter Kempe<br />

Silcherstraße 11, 88356 Ostrach<br />

Dr Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a, 92318 Neumarkt<br />

Karl Werner Steim,<br />

Berliner Straße 72, 88499 Riedlingen<br />

Dr. Edwin Ernst Weber;<br />

Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />

Zu den dunklen Seiten unserer Heimatgeschichte zählten<br />

die Armut und die oft damit einhergehende Kriminalität.<br />

1818 wurde auf dem Marktplatz in Calw letztmals eine Frau<br />

öffentlich hingerichtet. Raubmord wurde ihr zur Last gelegt.<br />

Uli Rothfuss hat die bewegte und bewegende Lebensgeschichte<br />

dieser einstigen Vagantin im Buch »Gertrude,<br />

Grenzgängerin« (Silberbuch-Verlag Tübingen, ISBN<br />

3-87407-312-2) in zwölf dramatischen Szenen skizziert, die<br />

nachdenklich machen und sich zur theatralischen Aufführung<br />

eignen. Passend dazu hat Dieter Huthmacher aus<br />

Bad Teinach 14 Lieder geschrieben und komponiert und auf<br />

einer CD herausgegeben, die über ihn (Postfach 1147) bezogen<br />

werden kann. ba<br />

Gesamtherstellung:<br />

Jan Thorbecke Verlag,<br />

70173 Stuttgart, Eberhardstraße 69-71<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiterzuempfehlen.


HÖH ENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Erbhuldigung der Hohenzollernschen Lande<br />

für König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1851<br />

E 3828<br />

Herausgegeben vom<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

49. Jahrgang Nr. 4 / Dezember 1999<br />

Den feierlich inszenierten Höhepunkt des im August 1849 mit dem Einmarsch preußischer Truppen eingeleiteten Ubergangs<br />

der Fürstentümer Sigmaringen und Hechingen an das Königreich Preußen bildete am 23. August 1851 die Erbhuldigung<br />

der Deputierten der hohenzollerischen Städte und Gemeinden für den neuen Landesherrn, König Friedrich Wilhelm<br />

IV., auf dem Zollerberg. Der symbolträchtige Akt auf der zu dieser Zeit im Wiederaufbau befindlichen Stammburg der Zollern<br />

und damit auch des preußischen Königshauses wurde, neben anderen Künstlern, auch von dem Nürnberger Architekten,<br />

Maler und Lithographen Georg Eberlein (1819-1884) bildlich festgehalten: Ein heute im Sigmaringer Verwaltungsgericht<br />

befindliches Ölgemälde und eine inhaltlich damit übereinstimmende Lithographie zeigen im Zentrum der Darstellung<br />

den im Burginnenhof aufgestellten Baldachinthron mit dem sitzenden König und seinem Bruder Prinz Wilhelm, dem späteren<br />

preußischen König und deutschen Kaiser, stehend links daneben. Rechts vom Thron sind die Fürsten von Thum und<br />

Taxis sowie Fürstenberg zu sehen, die dem König als hohenzollerische Standesherren die Huldigung per Handschlag leisten.<br />

Auf den Stufen vor dem Thron finden sich höchste Repräsentanten des preußischen Königshauses und Staates, darunter Ministerpräsident<br />

von Manteuffel und Vizeoberhofzeremonienmeister Freiherr Rudolf von Stillfried, der geistige Urheber der


späteren Kaiserstammland-Legende, rechts unterhalb Hof- und Staatsbeamte der bisherigen hohenzollerischen Fürstentümer<br />

und links vom Thron die Vertreter der Geistlichkeit beider Konfessionen mit dem Freiburger Generalvikar Buchegger<br />

und Domkapitular Staudenmaier, beide in weiß-roten Chorröcken, an der Spitze. Gegenüber dem Thron hinter einer rotbetuchten<br />

Abschrankung sind die insgesamt 300 namentlich bekannten Deputierten sämtlicher hohenzollerischer Städte und<br />

Gemeinden mit dem Sigmaringer Hofgerichts-Advokaten und Gemeinderat Friedrich Bürkle als Sprecher versammelt, die<br />

mit erhobener Hand den Huldigungseid für den neuen Landesherrn nachsprechen. Unter den zahlreichen weiteren Teilnehmern<br />

an der Huldigungsfeier fallen vorne links noch Trachtenmädchen mit goldverbrämten Schappeln aus Zimmern und<br />

Wessingen auf. Im Hintergrund des Bildes ist die gotische Michaelskapelle zu erkennen, das letzte noch intakte Gebäude der<br />

älteren, im 18. Jahrhundert verfallenen Burganlage, die nunmehr bis 1867 nach preußischen Plänen zum grandiosen »nationaldynastischen<br />

Monument« wiederaufgebaut wird.<br />

Text: Edwin Ernst Weber Bildvorlage: Verwaltungsgericht Sigmaringen<br />

Rolf Vogt<br />

Der Knödel aus der Asche<br />

Ein Phantom der Geschichtswissenschaft: Der demokratische Verein im Hechingen des Jahres 1848<br />

Opfer weitgehend unüberwindlicher Widrigkeiten wurde<br />

vor gar nicht mal so langer Zeit ein Schulleiter in Hechingen.<br />

Gerade neu in der Stadt, schlich sich in einen Zeitungsartikel<br />

ein falscher Vorname ein, der nicht mehr aus der Welt<br />

zu schaffen war. Redakteur um Redakteur und Schreiber<br />

um Schreiber, denen sich der richtige Name noch nicht eingeprägt<br />

hatte, griff auf den Artikel mit dem falschen Vornamen<br />

zurück, und es dauerte lange Monate, ja Jahre, bis die<br />

Folgen des ersten Fehlgriffs auskuriert waren.<br />

Hatte der Schulleiter noch Zeit und Gelegenheit, immer mal<br />

wieder darauf hinzuweisen, welcher Tort ihm geschehe, fällt<br />

diese Korrektur naturgemäß um so schwerer, je länger<br />

zurück die Dinge liegen, die von einem Autor zum anderen<br />

kolportiert werden. Mißverständnisse in der Geschichtswissenschaft<br />

zu beseitigen, kann mühselig sein. Bevor der<br />

Schleier des Vergessens wieder über die Revolutionsjahre<br />

von 1848/49 fällt, ist ein Versuch jedoch überfällig. Denn<br />

auch in den Veröffentlichungen der zurückliegenden Monate<br />

unterstellt die Forschung eine schier ungewöhnliche<br />

Konstellation von politischen Vereinen im Fürstentum Hohenzollern-Hechingen<br />

und in seiner Residenzstadt. Sie geht<br />

schon für den Frühsommer des Jahres 1848 von der Existenz<br />

eines demokratischen Zielen verpflichteten »Märzvereins«<br />

aus, der im Gegensatz zum Vaterländischen Verein in<br />

Hechingen gestanden haben soll.<br />

Die Altlast Egler<br />

Begonnen hatte mit dieser Sicht Ludwig Egler, der in der<br />

Erstausgabe seiner Chronik für das Jahr 1848, aber ohne genauere<br />

Datumsangabe, von einem Märzverein berichtet, der<br />

»zur Wahrung der politischen Rechte« gegründet wurde<br />

und »die freisinnigen Elemente in der Stadt und auf dem<br />

Lande« zusammengefaßt habe. Demgegenüber hätten sich<br />

die konservativen Kräfte im Vaterländischen Verein wiedergefunden.<br />

In der von Rudolf von Ehrenberg bearbeiteten<br />

Neuauflage blieb es bei diesem Hinweis. Als die Egler-<br />

Chronik Ende der 70er Jahre für eine weitere Neuauflage<br />

durchgesehen wurde, verließen die Bearbeiter den vorgegebenen<br />

Kurs. Sie wandelten die Vorlage ab und strichen den<br />

Märzverein aus dem Jahr 1848. Stattdessen ließen sie nur einen<br />

Vaterländischen Verein gelten, in dem sich konservative<br />

Bürger Hechingens Anfang Juli 1848 zusammengeschlossen<br />

hätten, um konstitutionelle Zielsetzungen zu propagieren.<br />

50<br />

Die Spottanzeige<br />

Um so bedauerlicher ist die jüngste Rückkehr zur Ausgangsstellung.<br />

Sie geht auf Eberhard Gönner zurück, desssen<br />

1952 veröffentlichter Dissertation über die Revolution<br />

von 1848/49 die Geschichtswissenschaft, die sich mit Hohenzollern<br />

beschäftigt, nahezu Handbuch-Charakter zugewiesen<br />

hat. Tatsächlich überzeugt Gönners Darstellung hinsichtlich<br />

der Entwicklung im Fürstentum Hohenzollern-<br />

Sigmaringen mit Glanz, aber es ist doch nicht zu übersehen,<br />

daß er die Ereignisse im Fürstentum Hohenzollern-Hechingen<br />

- wenn auch aus vermutlich verständlichen Gründen<br />

- nachrangig behandelt. Gönner berichtet von einem<br />

»demokratische(n) Verein in der Residenzstadt« Hechingen,<br />

der Ende Juli 1848 erwähnt werde, aber anscheinend<br />

»kein großes Echo gefunden« habe. Der demokratische<br />

Verein sei nach dem »konstitutionelle(n) Verein« entstanden.<br />

Als einzigen Beleg für den demokratischen Verein<br />

nennt Gönner die Ausgabe des Verordnungs- und Anzeigeblatts<br />

für das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen vom 2.<br />

August 1848. Dort allerdings findet sich eine etwas zweifelhaft<br />

anmutende Spottanzeige, in der sich ein Inserent als<br />

»provisorische(s) Comite des demokratischen Knödel-Vereins«<br />

ausweist und zu einer Versammlung »zur vollständigen<br />

Gründung« dieses demokratischen Knödelvereins »in<br />

das bekannte Lokal« einlädt. »Auch für aristokratische Mägen<br />

sind die demokratischen Knödel-Vorträge durchaus<br />

nicht schädlich«, hebt der Inserent hervor und empfiehlt,<br />

»das zur Bearbeitung der Vorträge nöthige Material« -<br />

Brechmittel wohl - rechtzeitig bei einem Apotheker zu besorgen.<br />

Außer dem demokratischen Knödelverein des Verordnungsblatts<br />

und dem »Märzverein« der ersten Egler-Chronik<br />

gibt es offenbar keine weiteren Hinweise auf diese frühe<br />

Spaltung der liberalen Bewegung in Hohenzollern-Hechingen.<br />

Im Stadtarchiv Hechingen oder im Staatsarchiv Sigmaringen<br />

scheint noch kein Forscher entsprechende Aktenfunde<br />

gemacht zu haben. Trotzdem ist die Legende langlebig.<br />

Dabei läßt allein der Name »Märzverein« für den Frühsommer<br />

des Jahres 1848 stutzen. Die Welle der Gründungen<br />

von Märzvereinen setzte im Deutschen Bund erst nach der<br />

Gründung des Zentralmärzvereins in Frankfurt ein. Dort<br />

schlossen sich am 21. November 1848 Abgeordnete der Nationalversammlung<br />

aus mehreren Fraktionen zusammen,


^ftglj^ do^cnsoUertf^c Conbc '^¡gjjj<br />

Mitteilungen aus dem <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Veranstaltungen im 1. Quartal 2000<br />

I. Vorträge<br />

Bodo Walldorf, Wannweil<br />

100 Jahre Hohenzollerische Landesbahn<br />

Montag, 31. Januar, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal des<br />

Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechingen.<br />

Montag, 7. Februar, um 20 Uhr im Spiegelsaal des Prin-<br />

zenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen.<br />

Ulrich Feldhahn M. A., Stuttgart<br />

Residenzarchitektur in Fürstenberg und Hohenzollern.<br />

Die Schlösser in Donaueschingen, Hechingen und<br />

Sigmaringen (mit Dias)<br />

Montag, 28. Februar, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal<br />

des Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechin-<br />

gen.<br />

Dienstag, 29. Februar, um 20 Uhr im Spiegelsaal des<br />

Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen.<br />

Der geplante Vortrag von Prof. Dr. Hubert Krins,<br />

Außenstelle des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg<br />

in Tübingen, über den Denkmalschutz wird noch<br />

rechtzeitig in der Hechinger und Sigmaringer Presse angekündigt.<br />

II. Seminar<br />

Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> und das Kreis-<br />

archiv Zollernalbkreis veranstalten das Seminar<br />

Einführung in die altdeutsche Schrift<br />

Die Veranstaltung unter der Leitung von Dr. Becker und<br />

Dr. Zekorn umfaßt vier Doppelstunden (90 Minuten); sie<br />

eine Art Einheitsfront der Demokraten, die nach dem<br />

Scheitern ihrer politischen Anstrengungen im Herbst 1848<br />

die Wahrung der sogenannten Märzerrungenschaften des<br />

Jahres 1848 als Minimalziel fanden. Ihr einigendes Band<br />

wurde die Forderung nach Annahme der in Frankfurt ausgearbeiteten<br />

Reichsverfassung durch die deutschen Bundesstaaten.<br />

Auch in Hohenzollern-Hechingen entstand um die Jahreswende<br />

1848/1849 ein Märzverein. Er verstand sich als<br />

Zweigverein des Frankfurter Zentralmärzvereins und hatte<br />

seine treibende Kraft in Pfarrer Josef Blumenstetter, der bis<br />

zum September 1848 Abgeordneter in Frankfurt gewesen<br />

war und zu einer der Fraktionen - Westendhall - gehört<br />

hatte, die sich im Zentralmärzverein wiederfanden. Der Hechinger<br />

Märzverein wurde am 6. Januar 1849 in Stetten gegründet<br />

und gab sich im Februar 1849 im traditionell linken<br />

Gasthaus Löwen in Hechingen einen Vorstand.<br />

Der Vaterländische Verein<br />

Im Frühsommer 1848 hatte Hechingen in Wirklichkeit keinen<br />

Märzverein, aber sehr wohl ein politisches Leben, das<br />

findet am 15., 22. und 29. März sowie am 5. April jeweils<br />

um 20 Uhr in der Städtischen Volkshochschulen Hechingen<br />

(Münzgasse 4) statt. Der Unkostenbeitrag pro<br />

Person beträgt 20 DM.<br />

Anmeldungen zum Seminar, das auf 20 Teilnehmer begrenzt<br />

ist, nimmt Frau Liebhaber vom Vereinssekretariat<br />

des <strong>Geschichtsverein</strong>s (Tel. 07571/101-558) entgegen.<br />

Bei Bedarf kann die Veranstaltung zu einem späteren<br />

Zeitpunkt wiederholt werden.<br />

III. Halbtagswanderung<br />

Der <strong>Geschichtsverein</strong> lädt ein zu einer<br />

Wanderung auf der Grenze der Freien Pürsch<br />

am 25. März unter der Leitung von Herrn Gewerbeleh-<br />

rer i.R. Gottlob Ast, Onstmettingen, ein. Treffpunkt ist<br />

um 14 Uhr am Zollersteighof bei Onstmettingen.<br />

IV. Vorankündigung<br />

Der <strong>Geschichtsverein</strong> plant eine viertägige Exkursion<br />

(22. bis 25. Juni) mit dem Thema<br />

Die hohenzollerische Markgrafschaft Ansbach<br />

Unter der Leitung des Baiinger Fachschriftstellers Wolf-<br />

gang Willig sollen u.a. Nürnberg, die Residenz Ansbach<br />

und Heilsbronn (Grablege der fränkischen Hohenzol-<br />

lern) besucht werden.<br />

Die Fahrtkosten werden etwa 700 DM (Fahrt, Übernachtungen<br />

mit Halbpension, Erintrittsgelder, Führungen)<br />

betragen.<br />

Voranmeldungen zur Studienreise - das genaue Programm<br />

soll im 1. Heft der Hohenzollerischen Hemat<br />

2000 abgedruckt werden - nimmt Frau Liebhaber (Tel.<br />

07571/101-558)entgegen.<br />

gez.: Dr. Becker<br />

Vorsitzender<br />

weitaus aufregender war, als es die Forscher bislang glauben<br />

machen wollen. Das hatte nicht nur mit den Neuigkeiten zu<br />

tun, die aus Frankfurt, aus Baden, aus dem gesamten Deutschen<br />

Bund sowie dem europäischen Ausland in die Residenz<br />

kamen, sondern auch mit den Veränderungen im Alltag.<br />

Die Demonstration der Bauern aus den Landgemeinden<br />

am 11. März 1848, die Hechingen zittern machte,<br />

brachte der Stadt eine neue Kommunalordnung und damit<br />

ein neues Stadtoberhaupt und einen neuen Gemeinderat, eine<br />

Bürgerwehr, ein Parlament - jedenfalls tagte es mitten in<br />

der Stadt - und eine ganze Menge offizieller Veranstaltungen.<br />

Auch ein wenigstens kurzlebiger Handwerker-Ausschuß<br />

läßt erkennen, daß das öffentliche Leben ähnlich bewegt<br />

war wie in anderen vergleichbaren Städten.<br />

Tatsächlich wurde im Juli 1848 in Hechingen ein Vaterländischer<br />

Verein gegründet. Die Initiative - soweit nachvollziehbar<br />

- ging von einem anonymen Beitrag im Verordnungsblatt<br />

des Fürstentums aus, der dem »mehrfach ausgesprochenen<br />

Wunsch vieler Bürger« ein Sprachrohr gab und<br />

den Verlag des Verordnungsblatts, die Riblersche Hofbuchdruckerei,<br />

als Kontaktadresse angab. In dem Beitrag wurde<br />

vorgeschlagen, die Gründung ähnlicher Vereine »in unsern<br />

51


Nachbarstaaten« zum Vorbild zu nehmen und die »Festhaltung<br />

an der konstitutionellen Monarchie, mit den freisinnigsten<br />

Institutionen, Aufrechterhaltung der Ordnung, somit<br />

Schutz der persönlichen Sicherheit und des Eigenthums<br />

und thätiges Zusammenwirken, um dem gedrückten Verkehr,<br />

dem Handel und den Gewerben nach Möglichkeit<br />

aufzuhelfen« zu den »obersten Grundsätze(n) des Vereins«<br />

zu machen. Angeregt wurde die Einrichtung von Ortsvereinen<br />

mit Lokalvorständen und in der Residenzstadt ein<br />

»Central-Comite«. Das Zentralkomitee solle »die ganze<br />

Leitung des Vereins« übernehmen.<br />

Einige Tage nach diesem Aufruf reagierten »im Auftrag vieler<br />

Bürger« W Daniel, F. Gförer, J. Kohler, C. Lorch und<br />

J. F. Mayer mit der Ankündigung einer Gründungsversammlung<br />

im Hechinger Rathaus. Alle Einwohner - nicht<br />

nur die Bürger - wurden mit Datum vom 30. Juni unter<br />

Hinweis auf den kurz zuvor erschienenen anonymen Aufruf<br />

für den 6. Juli 1848, 19 Uhr, zu einer Zusammenkunft<br />

eingeladen. Die Zusammenkunft wurde von einer nicht<br />

näher bekannten Zahl von Interessenten besucht, die offenbar<br />

den Vaterländischen Verein konstituierten und ein »provisorisches<br />

Comité« bildeten, das noch am selben Abend zu<br />

einer zweiten Sitzung am 10. Juli »zur Berathung der Statuten«<br />

einlud. Auch diese Versammlung sollte - erneut um 19<br />

Uhr - im Rathaus stattfinden. Zugleich werde acht Tage<br />

lang im Rathaus eine »Liste zu weiterer Einzeichnung« ausgelegt.<br />

Am 10. Juli 1848 verabschiedete die Mitgliederversammlung<br />

eine 14 Artikel umfassende Satzung und faßte den Beschluß,<br />

die Vorstandswahlen in einer weiteren Versammlung<br />

am 16. Juli vorzunehmen. Bis dahin amtierte das provisorische<br />

Komitee weiter. Dem Verein hatten sich bislang 97<br />

Mitglieder angeschlossen, die Mitgliederwerbung mit der<br />

im Rathaus ausliegenden Liste sollte bis zur nächsten Versammlung<br />

verlängert werden.<br />

Als Zweck des Vereins wurde in der im Verordnungsblatt<br />

abgedruckten Satzung »die Berathung vaterländischer Angelegenheiten<br />

Behufs gesetzlich selbstthätiger Mitwirkung<br />

des Volkes« bestimmt. »Hauptaufgabe« des Vereins sollte<br />

sein, »sowohl für Aufrechterhaltung der bestehenden<br />

Staatsform und der gegenwärtigen Gesetze nach Kräften zu<br />

wirken, als auch jegliches Anstreben gegen die freie Entwicklung<br />

unserer politischen Zustände entschieden zurück<br />

zu weisen«. Mit »allen Kräften« wollte der Verein zudem<br />

darauf hinwirken, »den darniederliegenden Gewerben und<br />

dem stockenden Handel nach Möglichkeit aufzuhelfen«.<br />

Die Vereinsmitglieder wurden »auf Manneswort« verpflichtet,<br />

»in keiner Weise an Verbindungen Theil zu nehmen,<br />

welche einen gewaltsamen Umsturz der bestehenden Gesetze<br />

und Ordnung bezwecken«. Die Leitung der Vereinsgeschäfte<br />

hatte nach der Satzung ein siebenköpfiger Vorstand,<br />

der Ausschuß. Der Ausschuß hatte Vorstand, Stellvertreter<br />

und Schriftführer, die »aus seiner Mitte« ernannt werden<br />

sollten. Die Amtszeit des Ausschusses sollte ein Jahr betragen,<br />

eine Wiederwahl war zugelassen. Beschlußfähig war<br />

der Ausschuß bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte -<br />

vier mithin - seiner Mitglieder. Die Mitgliederversammlung<br />

setzte sich als Quorum für die Gültigkeit ihrer Beschlüsse<br />

die »Stimmenmehrheit« der anwesenden Mitglieder. Eine<br />

bestimmte Anzahl von anwesenden Mitgliedern war zur<br />

Beschlußfassung nicht notwendig. Der Zugang zum Verein<br />

stand »jedem unbescholtenen Einwohner Hechingens« offen,<br />

der das 18. Lebensjahr vollendet hatte.<br />

Die Mitgliederversammlung am 16. Juli, einem Sonntag,<br />

nach dem Gottesdienst scheint nicht zustande gekommen<br />

zu sein oder kein Ergebnis gebracht zu haben, denn am Wochenende<br />

darauf erschien im Verordnungsblatt eine weitere<br />

52<br />

Anzeige, in der »die Ausschußwahl für den vaterländischen<br />

Verein« für den 23. Juli, diesmal nach dem »nachmittägigen<br />

Gottesdienste«, angekündigt wurde. Diese Versammlung<br />

kam zustande, über ihr Ergebnis unterrichtete das provisorische<br />

Comité in einer Anzeige im nächsten Verordnungsblatt.<br />

Danach wurden in den Ausschuß Kaufmann Carry,<br />

Medizinalrat Dr. Gfrörer, Hoftierarzt Kohler, Medizinalrat<br />

Dr. Koller, Regierungssekretär Lorch, Goldarbeiter Mayer<br />

und Lehrer Sauter gewählt.<br />

Medizinalrat Dr. Franz Gfrörer, Hoftierarzt J. Kohler, Regierungssekretär<br />

C. Lorch und der Juwelier J. F. Mayer hatten<br />

zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufs gehört,<br />

die vermutlich seitdem als provisorisches Komitee amtierten.<br />

Nicht mehr in der Führungsriege war der Geschäftsführer<br />

der Riblerschen Hofbuchdruckerei Wilhelm Daniel,<br />

neu hinzugekommen waren Kaufmann Carry, Medizinalrat<br />

Kajetan Koller und der Lehrer C. Sauter.<br />

Elan verpufft<br />

Danach scheint ein Großteil des Elans der Gründungsphase<br />

bereits vorüber gewesen zu sein - wie es die Literatur, diesmal<br />

richtig, wiedergibt. Jedenfalls tritt der Verein mit seinem<br />

Namen im Sommer des Jahres 1848 nicht weiter in Erscheinung.<br />

Offenbar noch vor der Wahl des Ausschusses<br />

hatte er allerdings eine Petition verabschiedet, die dem Abgeordneten<br />

des Fürstentums Hohenzollern-Hechingen in<br />

der Frankfurter Nationalversammlung, Pfarrer Josef Blumenstetter,<br />

zugeleitet wurde. Blumenstetter lag die Petition<br />

wohl bis zum 16. Juli vor, jedenfalls wandte er sich an jenem<br />

Tag in Frankfurt an seine »liebe(n) Mitbürger« mit einem<br />

besorgt klingenden Brief, der am 19. Juli im Hechinger Verordnungsblatt<br />

veröffentlicht wurde. Der Abgeordnete<br />

übergab die Petition aus Hechingen dem Frankfurter Parlament<br />

und trat ihr mit einem eigenen Dringlichkeitsantrag<br />

bei, der für den 18. Juli auf die Tagesordnung der Nationalversammlung<br />

gesetzt wurde.<br />

»Hohe Nationalversammlung wolle durch Beschluß das<br />

Reichsministerium zu der öffentlichen Bekanntmachung<br />

veranlassen«, hieß es in dem Antrag, »daß das Volk durch<br />

die neuesten Ereignisse weder von den gesetzlichen Beiträgen<br />

zur Bestreitung des Staatsbedarfs, noch von seinen privatrechtlichen<br />

Verbindlichkeiten entbunden sey; und daß<br />

den Maaßnahmen der Regierungen, sofern dieselben nicht<br />

mit der Landesverfassung, mit den Errungenschaften der<br />

Neuzeit und den Beschlüssen der Nationalversammlung im<br />

Widerspruche stehen, von allen Staatsangehörigen Folge geleistet<br />

werden müße.« Diese Klarstellung, gestützt von der<br />

Autorität der neuen Regierung, war den Kreisen, die dem<br />

Vaterländischen Verein Hechingens nahe standen, wichtig.<br />

Die Einhaltung der Spielregeln nämlich war Hechingens<br />

wirkliches Problem im Sommer 1848: Seit dem 11. März<br />

zahlten die Bauern in den Dörfern rings um die Residenzstadt<br />

ihre Rechnungen nicht mehr, nicht die Steuern an den<br />

Fürst und wohl auch nicht die Lieferungen der Kaufleute<br />

aus der Stadt. Mitte September 1848 sah sich die Fürstliche<br />

Landesregierung zu einem Kraftakt veranlaßt. Sie schickte<br />

Militär nach Grosselfingen, um die Steuereintreibung sicherzustellen.<br />

Mit einer offiziellen Bekanntmachung der sogenannten<br />

Zentralgewalt in Frankfurt hätte vielleicht vorher<br />

schon Eindruck in den Dörfern erzielt werden können.<br />

Schließlich beriefen sich die Bauern in dem, was sie taten,<br />

immer wieder auf die neuen Zeitumstände, die angebrochen<br />

seien. Aber die Frankfurter Abgeordneten verwiesen den<br />

Antrag Blumenstetters nur zur weiteren Beratung an den<br />

Prioritäts- und Petitionsausschuß.


Nächtliche Exzesse<br />

Eine Woche nach der Bekanntmachung der Ausschußbesetzung<br />

lenkte Anfang August 1848 die besagte Spottanzeige<br />

im Verordnungsblatt noch einmal den Blick auf die Vorgänge.<br />

Bis zum Vorliegen einer besseren Erklärung muß sie<br />

wohl auf den Vaterländischen Verein bezogen werden, der<br />

bis zur »vollständigen Gründung« wirklich mehrere Anläufe<br />

benötigte und ein Programm verfolgte, daß »auch für aristokratische<br />

Mägen« bekömmlich sein konnte.<br />

In der Anzeige macht sich jemand lustig über die Probleme<br />

des Hechinger Bürgertums, seine Position zu den unverhofft<br />

auftretenden Entwicklungen zu finden. Indirekt<br />

kommt auf diesem Wege vielleicht doch demokratisches<br />

Gedankengut zutage, denn die Anzeige setzt einen deutlichen<br />

Kontrapunkt zu der Auffassung des Vaterländischen<br />

Vereins. Der abtrünnige Inserent könnte zwar ein spottender<br />

Aristokrat, aber sehr wohl auch ein von der Regierungstreue<br />

der Hechinger enttäuschter Demokrat gewesen sein.<br />

Sie gab es, keine Frage. Der »Erzähler«, das in Sigmaringen<br />

zweimal wöchentlich erscheinende Organ der Demokraten<br />

um Carl Otto Würth, hatte in Hechingen einen Korrespondenten,<br />

der in der Zeitung berichtete, und wahrscheinlich<br />

auch Leser. Polarisierend wirkten Mitte August insbesondere<br />

die Abreise Fürst Friedrich Wilhelm Konstantins und<br />

im September die Ereignisse im Deutschen Bund, so daß ein<br />

regierungstreuer Leserbriefschreiber im Verordnungsblatt<br />

schließlich besorgt feststellte, »daß in der That auch bei uns<br />

eine republikanische Partei thätig, daß auch bei uns auf den<br />

gewaltsamen Umsturz der bestehenden Verhältnisse hingearbeitet<br />

wird«.<br />

OTTO H. BECKER<br />

Verschiedentliche Meldungen im Amtsblatt der Regierung<br />

deuten darauf hin, daß sich ein Brennpunkt in den Gasthäusern<br />

bildete, wo die Menschen zusammenkamen und heftig<br />

miteinander debattierten. Politischer Meinungsstreit kennt<br />

keine Sperrstunde, so daß die Ordnungshüter ihre liebe Not<br />

mit dem hatten, was sie als öffentliche Sicherheit betrachteten.<br />

Das Stadtschultheißenamt etwa machte im August 1848<br />

bekannt, »daß die Polizeistunde genau einzuhalten sey«<br />

und das »Polizei-Personal« strikte Anweisung habe, Zuwiderhandlungen<br />

anzuzeigen. Anlaß für die Bekanntmachung<br />

war, »daß häufig in den Wirthshäusern über die Polizeistunde<br />

gezecht werde, und daß die verspäteten Gäste oft nicht<br />

zum Nachhausegehen zu bewegen seyen«. Es kam sogar<br />

vor, »daß muthwillige junge Leute die Gendarmen und sonstige<br />

Polizeibedienstete in Ausübung ihrer Pflicht durch rohe<br />

Angriffe und Verfolgungen zu hindern suchten, um ihre<br />

nächtlichen Excesse zum Aerger der Gutgesinnten fortsetzen<br />

zu können«. Das fürstliche Oberamt sah sich deshalb<br />

gezwungen, die Behörden auf äußerste Pflichterfüllung zu<br />

drängen.<br />

Aber das war eben im Herbst und weist den Weg zur Grün-<br />

dung des Märzvereins im Winter, dem sich die Neugrün-<br />

dung des Vaterländischen Vereins bekanntlich anschloß. Im<br />

Sommer 1848 gab es in Hechingen den bürgerlichen Dis-<br />

sens zwar wohl auch schon, aber er war nicht trennend ge-<br />

nug, um Raum für neue Vereine zu schaffen - für einen de-<br />

mokratischen Verein schon gar nicht, aber letztlich auch<br />

nicht für einen Vaterländischen Verein.<br />

Die Ubersiedlung des Fürsten Friedrich Wilhelm Konstantin nach Schlesien<br />

aus archivischer Sicht<br />

Recherchen zur Geschichte des Fürstenpaares Friedrich<br />

Wilhelm Konstantin (1801-1869) und Eugenie (1808-1847)<br />

von Hohenzollem-Hechingen im Bestand Hausarchiv Hohenzollern-Hechingen<br />

des seit 1978 unter Eigentumsvorbehalt<br />

im Staatsarchiv Sigmaringen hinterlegten Fürstlich Hohenzollenschen<br />

Haus- und Domänenarchivs führen sehr<br />

häufig zu keinen positiven Ergebnissen. So werden beispielsweise<br />

von der Fürstin Eugenie geb. Prinzessin von<br />

Leuchtenberg in dem nach zeitgenössischen Vorbildern von<br />

den Archivaren Eduard Schwarzmann und Eugen Schnell in<br />

den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts künstlich gebildeten<br />

Hausarchiv Hohenzollern-Hechingen nur jeweils<br />

ein Aktenfaszikel mit Unterlagen über deren Ableben, deren<br />

Testament mit Schriftgut über dessen Eröffnung aus den<br />

Jahren 1847/48 und Korrespondenz aus der Zeit von 1835<br />

bis 1847 verwahrt. Auch der Bau der von dem damaligen<br />

Erbprinzenpaar 1833/34 errichteten Villa Eugenia im<br />

Domänenarchiv Hohenzollern-Hechingen des Depositums<br />

ist nur sehr fragmentarisch dokumentiert.<br />

Diese Dokumentationslücke beruht sicherlich nicht auf einem<br />

Zufall oder auf Nachlässigkeit. Der Befund läßt vielmehr<br />

vermuten, daß Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin<br />

Unterlagen privaten Charakters nach Schlesien verbringen<br />

ließ, wohin er sich nach der Abgabe der Fideikommißgüter<br />

des Hauses Hohenzollern-Hechingen an die Sigmaringer<br />

Linie der schwäbischen Hohenzollen und der Übergabe sei-<br />

ner Regierungsrechte an die Krone Preußen 1850 endgültig<br />

zurückgezogen hatte.<br />

Die geäußerte Vermutung bezüglich der Dokumentationsdefizite<br />

in den Beständen Hausarchiv und Domänenarchiv<br />

Hohenzollern-Hechingen durch archivalische Quellen<br />

im Bestand Ho 1 des Staatsarchivs belegt. So wies Fürst<br />

Friedrich Wilhelm Konstantin mit Erlaß, gegeben am<br />

25. Febr. 1850 auf Schloß Hohlstein in Niederschlesien, den<br />

Chef der Landesregierung in Hechingen, seinen Wirklichen<br />

Geheimen Rat Franz Gustav Frank von Fürstenwerth, an:<br />

»Nachdem mit der bevorstehenden Niederlegung Meiner<br />

Regierung in die Hände S[eine]r Majestät des Königs von<br />

Preußen Meine Cabinetskanzlei in Hechingen außer<br />

Thätigkeit tritt, so beauftrage ich Sie, die demgemäß erforderliche<br />

Actenausscheidung zu veranlaßen und die Behändigung<br />

jener Aktenstücke, welche Mich und Meine Familie<br />

persönlich betreffen und weder auf Regierungs- noch Fideikommiß-Angelegenheiten<br />

Bezug haben - an Meinen Cabinetssecretär<br />

Stettmund, den ich zur Entgegen-Nahme der<br />

betreffenden Acten hiemit anweise und bevollmächtige,<br />

einzuleiten«.<br />

Am 30. März stellte der Kabinettsekretär Stettmund der<br />

Landesregierung in Hechingen den folgenden Revers aus:<br />

»Der Unterzeichnete bescheinigt hiemit durch Vermittlung<br />

F. Landesregierungs-Canzlei eine Kiste mit 2 Anhängeschlössem<br />

und mit der Ueberschrift »Privatangelegenheiten<br />

53


Serenissimi< versehen, heute aus dem fürstl. Archive erhalten<br />

zu haben«. Ein Verzeichnis der ausgefolgten Akten liegt<br />

dem Vorgang nicht bei.<br />

Unter dem Schriftgut, das damals nach Schlesien geschickt<br />

wurde, könnten sich auch Unterlagen über den Bau der Villa<br />

Eugenia befunden haben. So wurden in dem am 3. Februar<br />

1850 zwischen den beiden hohenzollenschen Fürsten abgeschlossenen<br />

Haus- und Familienvertrag über die Abtretung<br />

der hohenzollen-hechingischen Fideikommißgüter an<br />

Fürst Karl Anton von Hohenzollen-Sigmaringen, der am 1.<br />

Mal 1850 in Kraft trat, dieses Palais und auch das Museum<br />

in Hechingen davon ausdrücklich ausgenommen. Diese allodialen<br />

Besitzungen Friedrich Wilhelm Konstantins gelangten<br />

vielmehr erst mit dem am 2. Februar 1862 abgeschlossenen<br />

Ȇbereignungsvertrag wegen der Herrschaft<br />

Beutnitz und des Ritterguts Leitersdorf« an die Sigmaringer<br />

Linie der schwäbischen Hohenzollern.<br />

Mit dieser Aktenausfolgung hatte es offensichtlich nicht<br />

sein Bewenden. Im Hinblick auf die bevorstehende Abtretung<br />

seiner Regierungsrechte an Preußen schuf Fürst Friedrich<br />

Wilhelm Konstantin, wie wir aus einem Erlaß vom 11.<br />

Februar erfahren, für die noch verbleibenden »Verwaltungsgeschäfte«<br />

eine neue Behörde mit der Bezeichnung<br />

»Hofhaltung«, mit deren Leitung der Hofrat Speidel betraut<br />

wurde. In einem weiteren Erlaß vom 11. März 1850<br />

wurden der Hofmarschall Heinrich von Crousaz und der<br />

Oberjägermeister Baron von Hiller angewiesen, ihre bisherige<br />

»Geschäftsverwaltung« an Hofrat Speidel abzugeben<br />

und »die betr. Accten etc. etc. zu übergeben«.<br />

Diese Transaktion dürfte die Hauptursache für die auffallend<br />

dürftige Dokumentation der Hechinger Regierungsund<br />

Verwaltungsbehörden im 19. Jahrhundert, vornehmlich<br />

der Geheimen Konferenz, der Landesregierung, des Forstamts<br />

und auch der Hofkammer im Staatsarchiv bzw. im Depositum<br />

Fürstlich Hohenzollensches Haus- und Domänenarchiv<br />

gewesen sein. Über den Umfang der Aktenausfol-<br />

gungen an die Hofverwaltung des Fürsten Friedrich Wilhehn<br />

Konstantin können, da die entsprechenden Verzeichnisse<br />

fehlen, freilich nur Spekulationen angestellt werden.<br />

Über das Schicksal des im ehemaligen Fürstentum Hohenzollem-Hechingen<br />

erwachsenen Schriftguts in Schlesien liegen<br />

uns keine Informationen vor. Vermutlich sind diese Unterlagen<br />

zusammen mit den schlesischen Herrschaften Polnisch-Nettkow,<br />

Kölmchen und Schlanphof sowie den<br />

Rittergütern Petrowitz nach dem Ableben des Fürsten<br />

Friedrich Wilhelm Konstantin am 9. September 1869 an<br />

dessen aus nicht standesmäßiger Ehe mit dem Freifräulein<br />

Amalie Schenk von Geyern zu Syrburg stammenden Sohn,<br />

den Grafen Friedrich von Rothenburg, gelangt. Jedenfalls<br />

wird in dem am 11. Oktober 1869 ausgefertigten Vertrag<br />

über die Übernahme der zur Verlassenschaft des Fürsten<br />

Friedrich Wilhelm Konstantin gehörigen Herrschaft Hohlstein<br />

im damaligen Kreis Löwenberg seitens des Fürsten<br />

Karl Anton von Hohenzollern-Sigrnaringen nur die Übergabe<br />

aller die Verwaltung und Verpachtung dieser Herrschaft<br />

bezüglichen Unterlagen an das Rentamt Hohlstein<br />

vereinbart.<br />

Über das Archiv der Grafen von Rothenburg in Schlesien<br />

liegen im Fürstlichen Archiv in Sigmaringen keine Unterlagen<br />

vor. Entsprechende Anfragen bei polnischen Archiven<br />

blieben bisher unbeantwortet.<br />

Quellennachweise:<br />

STAS Ho 1 Nr. 800 (C-l-1 Nr. 65), FAS HS NZ 53,1405, DS Auswärtige<br />

Besitzungen Nr. 333 und 341.<br />

Literatur:<br />

Ausgewählte Schriften und Gedichte von Ludwig Egler<br />

Ein Gedenkbuch, herausgegeben von der Stadt Hechingen, Redaktion Thomas Jauch<br />

Als Ludwig Egler »von seinen Volksgenossen aufrichtig betrauert,<br />

von Gelehrten und Dichtern anerkannt und geehrt,<br />

in seiner lieben Vaterstadt Hechingen« am 2. August 1898,<br />

drei Wochen vor seinem 70. Geburtstag, starb, ging ein erfülltes<br />

und vor allem arbeitsames Leben zu Ende. Beinahe<br />

mit Unglauben reagiert man angesichts der langen Liste seiner<br />

beruflichen, privaten, schriftstellerischen und öffentlichen<br />

Tätigkeiten.<br />

Nach seiner Jugendzeit, diese ist im ersten Teil des vorliegenden<br />

Bandes beschrieben, arbeitete Egler weiterhin als<br />

gelernter Seifensieder im Geschäft seines Vaters, das er nach<br />

dessen Tod 1861 übernahm. Erst im fortgeschrittenen Alter,<br />

mit 38 Jahren, heiratete Ludwig Egler die 1843 geborene<br />

Magdalena Käßmodel, eine Tochter des vormaligen fürstlichen<br />

Hofgärtners Karl Käßmodel. Das Paar hatte drei<br />

Töchter Antonia, verheiratet mit dem Lithograph, Photograph<br />

und Kaufmann Hermann Daiker, Lina, verheiratet<br />

mit dem Lehrer Karl Haiß und Luise, verheiratet mit dem<br />

Hechinger Stadtpfleger Wilhelm Klaiber.<br />

In seinem Geschäft Am Rain 6, das Haus ziert heute eine im<br />

Rahmen der Albvereinstagung 1953 angebrachte Gedenktafel<br />

für Ludwig Egler, fertigte und verkaufte er u. a. Seife,<br />

Wasch- und Bleichmittel und Talgkerzen. Darüber hinaus<br />

54<br />

Otto H. Becker: Die Herrschaft Hohlstein, ein ehemaliger Besitz<br />

der Fürsten von Hohenzollern in Schlesien. In: »Weit in die Welt<br />

hinaus...« Historische Beziehungen zwischen Südwestdeutschland<br />

und Schlesien. Ausstellungskatalog. Hrg. Haus der Heimat<br />

des Landes Baden-Württemberg. Bearb. von Annemarie Röder<br />

und Karl-Peter Krauss. Calw 1998. S. 31-39.<br />

betätigte er sich als Versicherungs- und Auswanderungsagent.<br />

Von 1871 bis zu seinem Tode war Egler verantwortlicher<br />

Redakteur der Hohenzollerischen Blätter, deren nationalliberale<br />

Ausrichtung er prägte. Seine politische Einstellung<br />

führte zu Zeiten des Kulturkampfes zu zahlreichen<br />

Auseinandersetzungen mit den Vertretern der ultramontanen<br />

Kirchenpolitik, was unzählige, oft polemisch geführte<br />

Seitenhiebe zwischen den Hohenzollerischen Blättern und<br />

dem konservativ ausgerichteten Konkurrenzblatt »Der Zoller«<br />

nach sich zog.<br />

Im besonderen Maße hat Egler das öffentliche Leben Hechingens<br />

über Jahrzehnte mitgestaltet und geprägt.<br />

Während vieler Jahre war er als Mitglied im Bürgerausschuß<br />

und im Stadtrat in der Kommunalpolitik tätig. Egler wirkte<br />

in zahlreichen Vereinen und öffentlichen Gremien, u. a. war<br />

er Schriftführer und Chronist der Hechinger Feuerwehr,<br />

Schriftführer und Rechner des Landesausschusses der hohenzollerischen<br />

Feuerwehren, Vorsitzender der ersten Hechinger<br />

Krankenkasse, der »Krankenkasse in Hechingen für<br />

Arbeiter, Dienstboten, Gesellen und Lehrlinge«, er war<br />

Mitglied im Verwaltungsrat der Höheren Töchterschule<br />

und der Frauenarbeitsschule und im Kuratorium der Königlichen<br />

Realschule, der Vorgängerin des heutigen Gymna-


siums. Aktiv betätigte sich Egler in den Vorständen des<br />

Landwirtschaftlichen Vereins, des Gewerbevereins, des<br />

Deutschen Vereins, des Abendvereins und des Verschönerungsvereins,<br />

daneben war er der Hechinger Vertrauensmann<br />

des Schwäbischen Albvereins und Mitglied im Musikverein<br />

sowie im Hohenzollerischen Altertums- und <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

Fast unvorstellbar erscheint es in der heutigen Zeit, daß Egler<br />

neben seinen beruflichen, familiären und öffentlichen<br />

Pflichten auch ein umfangreiches literarisches und wissenschaftliches<br />

Werk hinterlassen hat. »Es waren die Geister<br />

unserer Dichter und Denker«, so schreibt Ludwig Egler in<br />

seiner Autobiographie, »mit welchen ich mein ganzes Leben<br />

hindurch im engren Verkehr gestanden.« Daß ihm dies<br />

nicht leicht gemacht wurde, davon zeugt seine Autobiographie.<br />

Sein Wunsch nach einem Studium konnte ihm von den<br />

Eltern nicht erfüllt werden, die Hoffnung auf eine Ausbildung<br />

als Buchbinder zerschlug sich. Seine Begierde nach<br />

Geschriebenem wußte er jedoch auf vielfältige Art und Weise<br />

zu befriedigen, wenn er heimlich im Kuhstall oder nachts<br />

auf seinem Zimmer literarische, philosophische und historische<br />

Werke las oder sich selbst Latein beibrachte.<br />

Erstmals konnte Egler 1847 ein Gedicht im Verordnungsund<br />

Anzeigeblatt für das Fürstenthum Hohenzollern-Hechingen<br />

veröffentlichen, es folgte eine lange Reihe von Publikationen,<br />

darunter 12 Buchveröffentlichungen, sowie<br />

unzählige Gedichte und historische Aufsätze in Zeitungen,<br />

Zeitschriften und Anthologien, mit denen sich der Schriftsteller<br />

und Forscher auseinandersetzte. Beeinflußt von der<br />

eben erst sich formierenden Wissenschaft der Germanistik,<br />

sammelte und bearbeitete er die Sagen und Mythen Hohenzollerns,<br />

der Fürstin Eugenie von Hohenzollern-Hechingen<br />

widmete er eine Lebensbeschreibung und einen Sonettenkranz.<br />

Dem im 19. Jahrhundert im Entstehen begriffe-<br />

KARL WERNER STEIM<br />

Haigerlocher Brauchtum im Jahreslauf (Fortsetzung)<br />

Schon einen Tag nach dieser Veröffentlichung sah sich der<br />

Haigerlocher Oberamtmann veranlaßt, ein Rundschreiben<br />

folgenden Inhalts an alle Bürgermeisterämter zu richten:<br />

»Durch Nro. 19 des Hohenzollerischen Wochenblattes und<br />

anderwerts ist hieher zur Kenntniß gelangt, daß in den Faschingstagen<br />

von Schulkindern Unwesen getrieben werde,<br />

und daß gegen dieses Unwesen eingeschritten werden sollte.<br />

Wenn es nun auch zunächst Sache der Eltern und der<br />

Lehrer etc. ist, ... so ist doch hiemit der Thätigkeit der Polizei<br />

insbesondere da, wo jene ... ihren Pflichten nur wenig<br />

nachkommen, keineswegs ausgeschlossen, vielmehr werde<br />

das Bürgermeisteramt hiemit aufs Ernsteste angewiesen, einem<br />

sich etwa zeigenden derartigen Unwesen mit aller Energie<br />

entgegen zu treten und nicht nur Kinder, sondern auch<br />

Erwachsene auf Grund des 340 Nro. 9 in die Schranken der<br />

Ordnungen des Gesetzes...« zu verweisen.<br />

Der Haigerlocher Bürgermeister Stehle teilte - wohl wegen<br />

der erwähnten Vorkommnisse - am 19. Januar 1857 dem<br />

Regierungspräsidenten in Sigmaringen mit, er sei veranlaßt,<br />

betreffs der Fastnachtsbelustigungen eine polizeiliche Verfügung<br />

zu erlassen. Diese war dann sogar der Regierung zu<br />

geharnischt. Außerdem betonte die Regierung, sie setze<br />

voraus, es werde nur wirklichem Unfug entgegengetreten,<br />

da es nicht Absicht sein könne, harmlose und unschädliche<br />

nen Tourismus boten seine Führer durch Hechingen und<br />

die Burg Hohenzollern sowie für Bad Imnau mit Umgebung<br />

und der Stadt Haigerloch eine Handreichung. Als<br />

Auswahl seiner Mundartgedichte konnte Egler 1881 die<br />

Sammlung »Aus'm Zollerländle« vorlegen. Für diese Gedichte<br />

gilt, was Hermann Fischer, der profundeste Kenner<br />

der schwäbischen Mundart, über Dialektdichtung allgemein<br />

geäußert hat, nämlich daß sie »von der Ueberkultur, welcher<br />

eine lang vom Volke getrennt lebende Literatur und<br />

Bildung leicht verfällt, sehr weit entfernt ist, daß [sie] innerliche<br />

Wahrheit hat«.<br />

Besonders hervorzuheben ist die 1887 erschienene »Chronik<br />

der Stadt Hechingen«. Es ist kaum zu ermessen, welche<br />

Leistung es im 19. Jahrhundert, wohlgemerkt für einen Autodidakten,<br />

angesichts der unzureichenden Verfügbarkeit<br />

von Quellen und historischen Untersuchungen darstellte,<br />

mehr als 1000 Jahre Hechinger Geschichte in so kenntnisreicher<br />

Weise zu behandeln. Die heute in dritter überarbeiteter<br />

und erweiterter Auflage vorliegende Chronik ist nach<br />

wie vor eine unverzichtbare Quelle für Forschungen über<br />

die Stadt Hechingen.<br />

In der vorliegenden Auswahl aus den Werken Ludwig Eglers,<br />

die im übrigen mit Ausnahme der Chronik sämtlich<br />

vergriffen sind, sind Auszüge aus seiner Autobiographie,<br />

aus der Beschreibung von Hechingen und seiner Umgebung,<br />

aus der Darstellung der Sagen und Mythen Hohenzollerns<br />

und eine Auswahl seiner Mundartgedichte zusammengefaßt.<br />

Die Texte bieten einen Einblick in das Hechingen<br />

des 19. Jahrhunderts und reichen gleichzeitig über<br />

dieses hinaus, sind sie doch Grundlage für die Auseinandersetzung<br />

mit unserer Geschichte. Und nicht zuletzt erkennt<br />

man in den Mundartgedichten immer wieder alltägliche<br />

Wahrheiten, die auch heute noch gültig sind.<br />

Thomas Jauch<br />

Volksbelustigungen zu unterdrücken. Nachträglich wurde<br />

nun von der Stadt eine Geldstrafe von mindestens sechs<br />

Kreuzern, eventuell eine 24stündige Arreststrafe festgesetzt.<br />

Bürgermeister Stehle schrieb an die Regierung, daß<br />

man »keineswegs unschuldige Vergnügungen verbieten,<br />

sondern einen großen Unfug, der sehr viel zur Verwilderung<br />

der Jugend beigetragen, entfernen wolle 30. Endlich<br />

nahm die Stadt sogar ihre Polizeiverordnung wieder ganz<br />

zurück. Somit waren einmal preußische Behörden nachsichtiger<br />

als die Stadt.<br />

Zehn Jahre nach dem angeprangerten »Hexenspringen« der<br />

Kinder war 1867 vom »Butzenspringen« der Kinder und<br />

Erwachsenen »aus dem Haigerloch'schen« in der Zeitung<br />

zu lesen: »Es herrscht im ganzen Bezirk der große Unfug,<br />

daß an den Dienstagen und Donnerstagen von Dreikönig<br />

bis zum Fasching Schulkinder und der Schule Entwachsene<br />

»Butzenspringen«, d. h. sich in alte Weiberunterröcke,<br />

schmutzige Hüte und ekelhafte Kleidungsstücke aller Art<br />

verhüllen, mit Besen, Peitschen, Stöcken etc. bewaffnet die<br />

Gassen durchschwärmen, Rohheiten und Scandale aller Art<br />

verfuhren und die Straßen für jeden anständigen Menschen<br />

unsicher machen. Kann man diesem beispiellos rohen<br />

Überrest aus dem Heidenthum nicht entgegentreten? Gibt<br />

es kein Mittel, das Maskenvergnügen in die Grenzen des<br />

55


Anstandes zurückzuführen? Gibt es überhaupt keinen Ersatz<br />

für diese ungezogene Freude? Zunächst halten wir<br />

dafür, daß da, wo die erziehende Kraft der Schule an der Indolenz<br />

der Eltern scheitert und nach außen ihre Schranken<br />

findet, die Polizei einschreiten und im Interesse der öffentlichen<br />

Sicherheit und Sittlichkeit den Straßenunfug einfach<br />

unmöglich machen müßte. Bis jetzt - d. h. in früheren Jahren<br />

und heuer - ist es noch nicht geschehen, weshalb wir<br />

diese Angelegenheit öffentlich zur Sprache bringen möchten.«<br />

Nach den alten Zeitungsberichten hatte vor allem die Vereinsfastnacht<br />

im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ihre<br />

große Zeit, wobei überwiegend Theater gespielt wurde.<br />

Auch in dieser Beziehung verlief die Fastnacht gleich wie etwa<br />

in Rottenburg am Neckar oder in Rottweil. Im übrigen<br />

war man natürlich von Umständen wie Krieg, Geldmangel<br />

usw. abhängig. Wichtigste Träger der Fasnet waren die 1843<br />

gegründete Casinogesellschaft, aus der 1846 die Museumsgesellschaft<br />

oder »Herrenmuseum« hervorging. Als Gegenstück<br />

dazu wurde später von der Bürgerschaft ein »Bürgermuseum«<br />

gegründet, das sich ebenfalls der Fastnacht widmete.<br />

Sängerbund (1879) und Turnverein (1865)<br />

veranstalteten ebenfalls ihre Fasnetsbälle, wie auch die Musikkapelle.<br />

Ursprünglich waren also die Vereine Träger des<br />

närrischen Geschehens in der Eyachstadt.<br />

Von einem Narrenverein oder Narrenvorstand ist erstmals<br />

1885 zu lesen, der eine »Bauernhochzeit« aufführte. Damals<br />

war der Verein ziemlich lose und konstituierte sich jährlich<br />

zur Fasnet neu. Erst im Jahre 1906 kam es zur Gründung eines<br />

Karnevalvereins mit eigenen Statuten. Von da an lief das<br />

wichtigste Geschehen über ihn ab. 1925 wurde der Verein<br />

wiedergegründet. Er besteht - heute als Narrenzunft Haigerloch<br />

- noch immer. Zum wichtigsten Brauchtum entwickelte<br />

sich das alle Schaltjahr abgehaltene Bräuteln um<br />

den Marktplatzbrunnen.<br />

Schmerzensfreitag - Freitag vor Palmsonntag<br />

Ein beliebter Wallfahrtstag in der Schloßkirche war der<br />

Schmerzensfreitag. Unter der Schmerzensmutter von Johann<br />

Georg Weckenmann am Chorgitter wurde eigens ein<br />

Altar aufgebaut. Die Wallfahrer kamen aus dem ganzen<br />

näheren und weiteren Raum Haigerloch, auch aus der Gegend<br />

von Binsdorf und Erlaheim.<br />

Palmsonntag<br />

Schon aus dem 4. Jahrhundert ist aus Jerusalem ein Prozessionsaufzug<br />

überliefert, der das biblische Geschehen darstellte,<br />

und aus dem 10. Jahrhundert stammt der älteste entsprechende<br />

Beleg aus Deutschland. Solche Aufzüge waren<br />

später weit verbreitet: Geistliche und Ministranten spielten<br />

den Einzug in Jerusalem nach, indem sie, von palmenschwingenden<br />

Gläubigen begrüßt, auf Eseln ritten. Manchmal<br />

waren diese Esel aus Holz geschnitzt und auf Räder<br />

montiert. Die Palmen werden aus Weidenkätzchen, die ja<br />

auch Palmkätzchen genannt werden, Haselzweigen, Wacholder,<br />

Buchsbaum, Stechpalmen u. a. zusammengestellt.<br />

Solche Palmen können einfache, kleine Sträußchen sein, die<br />

in der Kirche geweiht werden, aber auch die reinsten Kunstwerke,<br />

mehrere Meter hoch, verziert mit hölzernen Kreuzchen<br />

oder solchen aus Holundermark. Die geweihten Palmen<br />

werden ans Scheunentor oder neben die Haus- und<br />

Stalltüren gestellt.<br />

In der Jugendzeit von Gertrud Zimmermann war es der Stolz<br />

der Haigerlocher Buben, möglichst große Palmen zu basteln.<br />

Drei oder vier Kinder mußten die langen Stangen in die<br />

Schloßkirche tragen, damit sie unterwegs nicht abbrachen.<br />

56<br />

In der Gärtnerei Haas/Zimmermann holte man die Zutaten,<br />

die es auf dem freien Feld nicht gab: Buchs, Thuja usw. Geziert<br />

wurden die Palmen früher auch mit Kastanienblüten,<br />

die schon drei bis vier Wochen vorher geschnitten wurden,<br />

damit sie rechtzeitig zum Palmsonntag blühten. Wer als letzter<br />

die Kirche mit seinem Palmen betrat, der wurde in der<br />

Stadt als Palmesel verspottet. Deshalb standen die Buben am<br />

Palmsonntag sehr früh auf, trugen ihre Palmen zur<br />

Schloßkirche hinauf, wo sie an die Mauer gelehnt wurden.<br />

Dann ging man wieder heim und kehrte rechtzeitig vor dem<br />

Gottesdienst zurück. Während es sehr große Palmen in Haigerloch<br />

nicht mehr gibt, hat sich der Brauch, daß man auch<br />

verschiedene kleine Palmbüschel macht, weihen läßt und<br />

dann an Verwandte und Nachbarn gegen ein kleines Taschengeld<br />

verteilt, bis heute erhalten. Diese werden dann in<br />

der Regel an das Kruzifix in der Wohnstube gesteckt.<br />

Karwoche<br />

Die Fastenzeit beginnt am Aschermittwoch und dauert bis<br />

Ostern, 40 Tage. Diese »Quadragese«, wie sie in der katholischen<br />

Kirche genannt wird, ist seit dem 4. Jahrhundert bekannt;<br />

ihr Vorbild ist das Fasten Christi. Fasten war viele<br />

Jahrhunderte lang voller wirklich harter Einschränkungen -<br />

Fleischspeisen waren nicht erlaubt. Auch der Fisch, das typische<br />

Fastengericht, durfte in den ersten Jahrhunderten der<br />

Quadragese nicht verzehrt werden. Heute sind die Fastengebote<br />

gelockert und werden auch von vielen Katholiken<br />

nicht allzu streng beachtet - mit Ausnahme der Karwoche,<br />

in der zunächst der Gründonnerstag noch Anklänge an alte<br />

Fastengewohnheiten bewahrt hat. Besonders am Karfreitag<br />

werden von vielen Menschen Fastenregeln beachtet, und<br />

zwar von Protestanten wie von Katholiken. Auf jeden Fall<br />

verzichtet man auf Fleisch.<br />

Von Gründonnerstag bis zum Gloria im Gottesdienst am<br />

Karsamstag schweigen die Glocken. Dafür wurde in dieser<br />

Zeit früher eine große Rätsche auf dem Römerturm benutzt.<br />

Diese Aufgabe übenahm Luise Vogt, die sonst auch<br />

die Römerturmglocken läutete, später die Familie Trenkle.<br />

Schon um die Jahrhundertwende sagten die Eltern in Haigerloch<br />

ihren Kindern, wenn am Karfreitag die Glocken<br />

läuteten, drehe sich der Römerturm oder das Kapf. Vergeblich<br />

warteten dann die Kinder auf das Drehen, da ja die<br />

Glocken am Karfreitag stumm blieben. Am Mittwoch,<br />

Gründonnerstag und Karfreitag waren Metten in der<br />

Schloßkirche mit dem Singen der Leidensgeschichte, wobei<br />

sich ältere Haigerlocher noch an die markanten Stimmen<br />

von Karl Steim und anderen erinnern. Am Karsamstag fand<br />

die Auferstehungsfeier statt, der Priester weiht Wasser und<br />

die Osterkerze. Diese wird am Osterfeuer entzündet.<br />

Ostern<br />

Ostern ist das älteste und höchste Fest der Christenheit, das<br />

der Auferstehung des Herrn und der Überwindung des Todes.<br />

Es fällt auf den ersten Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond;<br />

dabei gilt als Frühlingsanfang immer der 21.<br />

März. Das hat das Konzil von Nicaea im Jahre 325 festgelegt,<br />

und dazu noch, daß das Fest frühestens auf den 22.<br />

März, spätestens auf den 25. April fallen soll. Mindestens<br />

seit dem 12. Jahrhundert war die Weihe von Eiern in das liturgische<br />

Ritual der Kirche aufgenommen worden; zur gleichen<br />

Zeit erscheint Ostern als Abgabetermin für Zinseier.<br />

Damit sind wir schon auf den Spuren der Ostereier. Eier<br />

spielen in der Osterzeit deshalb eine so große Rolle, weil im<br />

Frühjahr die Hühner besonders fleißig legen. Wie der Hase<br />

zum Eierbringer wurde, wird eine Streitfrage bleiben. Die<br />

Volkskundler glauben, daß es diesen Brauch frühestens seit


der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gibt. Man geht auch<br />

davon aus, daß die Gebildbrote in Form von Lämmern, wie<br />

sie heute noch überall gebacken und oft an Kinder verschenkt<br />

werden, als Hasen mißverstanden wurden. Es versteht<br />

sich, daß die bunt gefärbten oder bemalten Ostereier<br />

immer noch für die Kinder im Garten oder sonstwo versteckt<br />

werden.<br />

Die Sitte der gefärbten Ostereier ist im Oberamt Haigerloch<br />

ebenso heimisch wie anderwärts. Früher war es<br />

Brauch, dem Pfarrer in Haigerloch und auch vielfach auf<br />

dem Lande, zu Ostern von jedem Kommunikanten ein Ei<br />

zu reichen. Noch im 19. Jahrhundert fand in Haigerloch am<br />

Ostersonntag vor dem Amt die Schinkenweihe statt.<br />

Ostereierfarben, »garantiert giftfrei«, bot 1910 die Haigerlocher<br />

Apotheke in der Zeitung an. Schon in ihrer Jugend<br />

gab es Osterhasen aus Zuckerguß, die Conditor Anton Maier<br />

selbst herstellte, berichtete Gertrud Zimmermann; erst<br />

später kamen Schokoladehasen dazu. (Fortsetzung folgt)<br />

Josefstag -19. März<br />

Am Josefstag gab es früher jeweils einen Festgottesdienst in<br />

der Schloßkirche. Die »Josefs« und »Josefinen« trafen sich<br />

an diesem Tag traditionell bei Josef und Josefine Kost im<br />

Gasthaus »Krone« oder bei Josef Schindler im »Löwen« 31.<br />

Aufgrund eines Vermächtnisses des aus Haigerloch stammenden<br />

Geistlichen Rats Josef Marmon erhielt ab 1935 jedes<br />

Schulkind am Josefstag eine Brezel, die in der Unterrichtspause<br />

verteilt wurde. 1936 übernahm Marmons<br />

Schwester Angela die Bezahlung. Die Kindergartenkinder<br />

waren einbezogen. Insgesamt zählte man damals 176 Kinder<br />

in der katholischen, evangelischen und jüdischen Schule<br />

sowie im Kindergarten. Die Verteilung besorgte der Amtsdiener.<br />

Der Bürgermeister wies die Lehrer an, »die Schüler<br />

auf den Spender geeignet hinzuweisen« 32.<br />

1. April<br />

»Der Brauch, am 1. April Neckereien zu verüben, das heißt<br />

Bekannte >in den April zu schickem, herrscht heute noch,<br />

WALTER KEMPE<br />

besonders bei der Jugend«, formulierte die Oberamtsbeschreibung<br />

1928. Daran hat sich nichts geändert. Kinder<br />

versuchen, sich etwa gegenseitig zu überreden, ein<br />

Päckchen »lbidum« (»Ich bin dumm«) in der Apotheke zu<br />

holen oder ähnliches. Den Hereingefallenen erwarten<br />

Spottverse: »Aprilakueh, mach d'Auge zue« oder »Aprilagaas<br />

hot Dreck an d'r Nas«. Die Volkskunde geht davon<br />

aus, daß es sich dabei um Reste eines Frühlingsbrauches<br />

handelt.<br />

Schon früher wurden in der örtlichen Presse manchmal<br />

mehr oder weniger gelungene April-Scherze veröffentlicht.<br />

So war vor Jahrzehnten angeblich eine Orgel auf dem Römerturm<br />

aufgestellt worden, die zur Unterhaltung der<br />

Stadtbevölkerung spielen sollte. Tatsächlich sollen sich Leute<br />

von der Unter- in die Oberstadt begeben haben, um die<br />

Orgel zu hören.<br />

Georgitag - 23. April<br />

Am Tag des hl. Georg wurden vielerorts Ritte und Pferdemärkte<br />

abgehalten. Das ist darauf zurückzuführen, daß<br />

der heilige Georg, meist auf einem Pferd sitzend und als<br />

Drachenkämpfer dargestellt, als Pferdeheiliger gilt. Davon<br />

ist aber hier nichts überliefert.<br />

Die früher üblichen Schülerfeste, wie z. B. am Georgitag,<br />

aber auch sonst, sind heute fast ganz in Abgang gekommen.<br />

»In Haigerloch bewegte sich am Georgitag der Zug der<br />

Schulkinder unter klingendem Spiel der türkischen Musik<br />

mit fliegenden Fahnen vom Schulhaus zum Festplatz, d. h.<br />

dem St. Anna-Hof, wo fröhlicher Gesang und heitere Spiele<br />

abwechselten.« So steht es in der Oberamtsbeschreibung. In<br />

der Tat lassen sich solche Schülerfeste bis ins 18. Jahrhundert<br />

zurückverfolgen.<br />

Anmerkungen<br />

Das alte Amtshaus zu Ostrach (Fortsetzung u. Schluß)<br />

Die Fürstl. Thum und Taxis'sche Führung der Herrschaft<br />

Ostrach und Nutzung des Amtshauses<br />

Nicht lange dauerte das uneingeschränkte Verfügungsrecht<br />

des Fürsten von Thum und Taxis über Ostrach. Bereits<br />

1806 wurde durch den Rheinbundakt dem Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen<br />

die Landesherrschaft zugesprochen.<br />

Beim Hause Thum und Taxis verblieben jedoch standesherrschaftliche<br />

Rechte und der Grundbesitz. Verwaltungssitz<br />

blieb das ehemalige salemische Oberamtsgebäude,<br />

Rentamtstraße 1, Ostrach, in dem auch der jetzt Thum und<br />

Taxis'sche Oberamtmann Stehle wohnte. Ostrach erhielt jedoch<br />

noch ein weiteres Oberamt, das die Rechte des Fürsten<br />

von Hohenzollern-Sigmaringen als Landesherr vertrat.<br />

Mit Hohenzollern wurde 1850 dieses Amt preussisch. 1862<br />

löste Preussen sein Oberamt in Ostrach, wie auch in Wald,<br />

auf und teilte beide verwaltungsmäßig dem Oberamt Sigmaringen<br />

zu. Mit dem Abzug des preussischen Oberamtes<br />

30 0AB,S. 884, 301.<br />

31 Z.B. Haigerlocher Bote, Nr. 32, 18.3.1897; Ebd. Nr. 42,<br />

18.3.1911.<br />

aus Ostrach erfolgten auch weitere Veränderungen im Bereich<br />

der Thum und Taxis'schen Behörden. Federführend<br />

wurde jetzt das Fürstl. Thum und Taxis'sche Rentamt in<br />

Ostrach. Man löste hierbei das Rentamt in Scheer auf und<br />

vereinte es mit dem in Ostrach. Das Rentamtsgebäude in<br />

Scheer wurde verkauft. Der dortige Rentmeister Maximilian<br />

zum Tobel erhielt die Weisung, sich nach Ostrach zu begeben<br />

und das vergrösserte Fürstl. Thum und Taxis'sche<br />

Rentamt Ostrach - Scheer zu übernehmen. Er erhielt seinen<br />

Sitz im ehemaligen salemischen Oberamtsgebäude, jetzt altes<br />

Rentamtsgebäude genannt.<br />

Die Ubersiedlung des Rentmeisters zum Tobel bereitete einige<br />

Schwierigkeiten. Ein längerer Briefwechsel mit seiner<br />

vorgesetzten Dienststelle erfolgte. So schrieb er u. a. am<br />

23.06.1862 an die Hochlöbliche Domänen- Oberadministration<br />

in Regensburg: »Wegen des festgesetzten Übergabetermins<br />

in Ostrach bin ich bereit, so schmerzlich es mir<br />

57


ankommt, meine Familie verlassen zu müssen, in das alte<br />

Rentamtsgebäude einzuziehen und mich mit 2 Zimmern zu<br />

begnügen, damit der kontraktierende Amtsschreiber Schlee<br />

daselbst auch provisorisch untergebracht werden kann.<br />

Meine Familie kann, wegen der Krankheit meiner Frau, erst<br />

dann übersiedeln, wenn die Baulichkeiten im neuen Rentamtsgebäude<br />

( wohl Pfullendorfer Straße 15, ehem. Gebäudenr.<br />

8 mit Waschhaus Nr. 133 ) vollendet sind. Die Lokalitäten<br />

im alten Rentamtsgebäude werden zum größten Teil<br />

als Arbeitslokale (Kanzlei) und zur Unterbringung der hiesigen<br />

Akten (Archiv) dienen müssen.« Die Frau des Rentmeisters<br />

zum Tobel starb am 27. April 1869 in Ostrach nach<br />

ihrer Übersiedlung. Eine gußeiserne Grabtafel an der Friedhofsmauer<br />

in Ostrach erinnert noch heute an sie.<br />

serhalb der Scheuer zur Gasse hin. Heute kommt man über<br />

die Kellertreppe seitlich der Zehntscheuer direkt aus dem<br />

gewölbten Kellerraum ins Freie. Der Kellerraum selber ist<br />

jetzt einmal unterteilt. Vor Übernahme durch Thum und<br />

Taxis lagerte hier das Reichsstift Salem die Erzeugnisse seiner<br />

eigenen Weinberge, die zur Verteilung im Bereich<br />

Ostrach als sogenannter Besoldungswein für die Beamten<br />

und Geistlichen sowie zum Verkauf an die Wirte bestimmt<br />

waren. Der Keller konnte bis zu 60 Hektoliter Wein fassen<br />

(= 150 Eimer ä ca. 40 Liter). Da nun die fürstlichen Bediensteten<br />

und die Geistlichen diesen Teil ihres Unterhalts nicht<br />

mehr als »Besoldungswein«, sondern in klingender Münze<br />

erhielten und auch kein Wein mehr zum Verkauf eingelagert<br />

wurde, blieb der Keller leer und konnte zunächst auch vom<br />

Die alte Zehntscheuer von Ostrach mit der Jahreszahl 1595. Vorlage: Mitteilungsblatt der Gemeinde Ostrach.<br />

Rentmeister zum Tobel und Amtsschreiber Schlee dürften<br />

bis zur Auflösung des Fürstl. Thum und Taxis'schen Rentamts<br />

Ostrach-Scheer im Jahre 1877 in Ostrach tätig gewesen<br />

sein, wie zahlreiche Unterschriften unter Amtsschreiben<br />

und Pachtverträgen beweisen, so für die Fürstl. Thum<br />

und Taxis'sche Zehntscheuer und für die Oberamtsscheuer,<br />

die dann 1869 zum Abbruch verkauft wurde.<br />

Sie stand im rechten Winkel an der rechten Seite der Zehntscheuer,<br />

wie Grundrissplänen von 1849 und 1705 zu ersehen<br />

ist.<br />

Der Keller der Zehntscheuer<br />

Bereits 1822 berichtete das Fürstliche Rentamt Ostrach<br />

über die Absicht, »den Keller beim Oberamtshaus dahier<br />

unter der Zehntscheuer« zu verpachten. Nach der Beschreibung<br />

hatte dieser Keller eine gewölbte Decke und war ca.<br />

12,9 m lang, 3,3 m breit und 2,44 m hoch. Ein separater,<br />

ebenfalls gewölbter Kellerausgang mit Treppe führte aus-<br />

58<br />

Rentamt nicht genutzt werden. 1822 pachtete der Adlerwirt<br />

Willibald Böhm den Keller zur versuchsweisen Lagerung<br />

seines Braunbieres (nur 1-2 % Alkohol, schwach gehopft,<br />

wenig vergoren und oft etwas gesüßt).<br />

Unter Rentmeister zum Tobel wurde er später auch an andere<br />

Ostracher Wirte verpachtet, die darin ihr Bier lagerten.<br />

Um 1835 versuchten Adlerwirt Böhm durch Neubau eines<br />

eigenen Braunbierkellers und Bruckwirt Knoll durch Ausbau<br />

eines solchen Kellers im eigenen Wohnhaus eine Pachterneuerung<br />

für den Zehntscheuerkeller überflüssig zu machen.<br />

Er wurde vom Bruckwirt jedoch weiterhin in Anspruch<br />

genommen.<br />

Die Lagerung von Bier, wie man zumindest aus dem häufigen<br />

Wechsel der Pächter schließen kann, scheint nicht besonders<br />

erfolgreich gewesen zu sein. Dies mag aber nicht<br />

nur an der Qualität des Kellers, sondern auch an der für eine<br />

längere Lagerung fehlenden Eignung der damals gebrauten,<br />

meist obergärigen Biere gelegen haben.


Tatsächlich erfolgte der entscheidende Durchbruch zu einer hohen<br />

Lagerfähigkeit von Bier erst später in Wien, wo Anton Dreher I<br />

einmal durch die Umstellung auf untergäriges Bier (1839), durch<br />

die Verbesserung von dessen Qualität und vor allem durch die notwendige<br />

Reifung in natureisgekühlten Kellern (1840/42) eine<br />

ganzjährige Versorgung mit qualitativ gutem Bier möglich machte.<br />

Er gilt als der eigentliche Erfinder des »Lagerbieres«. Sein Vater<br />

Franz Anton Dreher (1736-1820) stammte von der »Krone« in<br />

Pfullendorf, war 1760 ziemlich mittellos nach Osterreich ausgewandert,<br />

wo er als Bierkellner anfing und 1796 das Brauhaus Klein-<br />

Schwechat um 19 000 fl. erwerben konnte. Der Sohn Anton machte<br />

mit der Einführung des Lagerbieres und durch den Erwerb weiterer<br />

Brauereien das Unternehmen zum größten seiner Art in der k.k.<br />

Donaumonarchie. Dessen Sohn Anton Dreher II (1849-1921)<br />

konnte das Unternehmen zum damals größten Brauereiunternehmen<br />

der Welt ausbauen. (Grober, Joseph, »Pfullendorf im Linzgau«,<br />

E.A. Schmidt Verlag Pfullendorf, 1988) Obwohl die Dreher<br />

im Mannesstamm ausgestorben sind, ist der Name Dreher auch<br />

heute noch mit der Brauereiwelt verbunden. Auf den Schildern des<br />

Schwechater Bieres prangt immer noch das Bild des Lagerbier-Erfinders<br />

Anton Dreher I, in Italien kann man Birra Dreher, in Ungarn<br />

Dreher Lager Bier trinken. Und wenn man von Wien nach<br />

Schwechat fährt, kommt man durch die Anton Dreher Strasse. Die<br />

Anton Dreher Gedächtnis Schenkung für medizinische Forschung<br />

unterstützt bis heute diese Forschungsrichtung in Osterreich. Der<br />

Brauführer des Anton Dreher I in den entscheidenden Jahren um<br />

1840 ist ebenfalls ein Sohn unserer Heimat. Es war der erst 24jährige<br />

Johann Götz aus Langenenslingen. Er gründete 1845 im damals<br />

österreichischen Galizien in der Nähe von Krakau eine eigene<br />

Brauerei. Er kam zu hohen Ehren und wurde vom Kaiser in den<br />

Freiherrenstand erhoben. Die von ihm gegründete Brauerei besteht<br />

im heutigen Polen auch heute noch und soll die größte des Landes<br />

sein. (Kommentar Dr. Hermann Frank)<br />

Nach Wegfall der Zehntabgaben in Naturalien wurden vom<br />

Fürstlichen Rentamt Ostrach (später von der Fürstlichen<br />

Rentkammer Obermarchtal) auch Teile der Zehntscheuer<br />

selber an Ostracher Bürger zur Lagerung von Getreide und<br />

anderen Gütern verpachtet. Pacht- und später Mietverträge<br />

für die herrschaftliche«Zehntscheuer« liegen uns bis 1932<br />

vor.<br />

1865 informierte das Rentamt Ostrach die Fürstl. Domänen<br />

Oberadministration in Regensburg u.a. über das hiesige<br />

Feuerlöschwesen. Eine fahrbare Feuerspritze steht im Rathaus<br />

der Gemeinde. Die beiden anderen Feuerspritzen,<br />

nämlich die kleine Handspritze in der Rentamtskanzlei und<br />

die größere tragbare im Archivraum der Zehntscheuer sind<br />

anbefohlenerweise dort aufgestellt. Im »Zehntscheuerarchiv«<br />

waren zu der Zeit die älteren Registraturbestände des<br />

ehemaligen Rentamts Scheer untergebracht.<br />

Die Auflösung des Fürstlichen Rentamts Ostrach-Scheer<br />

Am 20. Oktober 1877 gab dann der Fürstl. Extraditions-<br />

Commissair in Ostrach, Seeberger, bekannt, daß das Fürstl.<br />

Rentamt Ostrach-Scheer aufgelöst und dem Fürstl. Rentamt<br />

Marchtal einverleibt würde. Es hieß von da an Fürstl.<br />

Rentkammer Obermarchtal. Wieder fanden Veränderungen<br />

im Amtshause Ostrach statt. Künftig wurde das Gebäude<br />

ANDREAS ZEKORN<br />

Das Leprosenhaus in Laiz<br />

In diesem schmuck hergerichteten Häuschen, das nun als<br />

Museum für eine bedeutende Kunstsammlung mit Werken<br />

des Künstlers Josef Henselmann dient, ging es früher höchst<br />

ärmlich zu. Versetzen wir uns drei oder vier Jahrhunderte<br />

zurück. Da gab es einen Holztisch, Holzbänke, ein paar<br />

Strohsäcke mit Bettlade und eine Waschschüssel. Dies war<br />

von der Fürstlich Thum und Taxis'schen Forstverwaltung<br />

genutzt.<br />

Neben den Diensträumen als Oberförsterei wurde die<br />

Dienstwohnung für den jeweiligen Forstbeamten eingerichtet.<br />

Wie die alten Bauakten ausweisen, erfolgte im April<br />

1886 eine Modernisierung des Hauses, hier Forsthaus genannt.<br />

Vom Keller bis zum Dach wurden neue Kamine mit<br />

Anschlüssen für sämtliche Räume eingebaut. Das Baugesuch<br />

wurde im Auftrag der Fürstlich Thum und Taxis'schen<br />

Rentkammer Obermarchtal gestellt. Bauaufseher war der<br />

Ostracher Zimmermann Riedle. Für die Gemeinde Ostrach<br />

unterschrieb Bürgermeister Kerle.<br />

Eine gute Beschreibung des Hauses als »Revierverwaltungsgebäude«<br />

der Fürstlich Thum und Taxis'schen Herrschaft<br />

mit genauer Angabe der Beschaffenheit der Innenwände,<br />

findet sich im Lagerbuch der (Feuer)Versicherungsanstalt,<br />

Oberamt Sigmaringen, Gemeinde Ostrach, vom 7.5.1914.<br />

Das Gebäude war teilweise unterkellert. Genzmer beschrieb<br />

1948 die Oberförsterei wie folgt: Zweigeschossiger,<br />

fünfachsiger Putzbau mit schöner Haustür, unten massiv,<br />

oben Fachwerk mit Satteldach in Biberschwanzdoppeldeckung.<br />

Amtlichen Zwecken diente das Haus bis zur Auflösung der<br />

Fürstlich Thum und Taxis'schen Oberförsterei Ostrach im<br />

Jahre 1952 unter Oberförster Bergan. Zu diesem Zeitpunkt<br />

erfolgte die Zusammenlegung mit der Oberförsterei Siessen<br />

zum Fürstlich Thum und Taxis'schen Forstamt Siessen.<br />

Am 1.7.1978 schließlich wurde das Forstamt Siessen mit<br />

dem Forstamt Littenweiler zum jetzigen Fürstlich Thum<br />

und Taxis'schen Forstamt Saulgau vereint.<br />

Nach 1952 bis etwa 1992 diente das ehemalige Amtshaus<br />

nur noch als Wohnsitz für verschiedene Bedienstete der<br />

FTT Forstverwaltung, unter anderem für den Revierförster<br />

Wilhelm Süß mit seiner Familie. Sie kamen 1958 nach<br />

Ostrach. Er selbst starb 1982.<br />

In den letzen Jahren war das Gebäude nicht mehr bewohnt.<br />

Die dazugehörige »Zehntscheuer« wurde von der Fürstlichen<br />

Forstverwaltung zuletzt noch als Lager für Geräte und<br />

dergleichen verwendet.<br />

Nach Ubergang des ehemaligen Amtshauses und der<br />

»Zehntscheuer« im Jahre 1996 in Gemeindebesitz wäre,<br />

nach dieser beeindruckenden Vergangenheit, die Wiederverwendung<br />

als Amtssitz der Gemeindeverwaltung ein<br />

schöner Traum, wenn heute die modernen technischen Anforderungen<br />

dem nicht entgegenstünden.<br />

Mit der Ausstattung des Gebäudes als Heimatmuseum, neben<br />

weiteren Ausstellungsmöghchkeiten und mit Versammlungsräumen<br />

in der »Zehntscheuer«, würde man der<br />

Tradition jedoch auch gerecht.<br />

Herrn Dr. Hermann Frank besten Dank für die freundliche Unterstützung.<br />

das ganze Mobiliar für die sogenannten Leprosen oder Armen-Leute,<br />

die hier wohnten. Die Leprosen lebten größtenteils<br />

vom Bettel und Almosen.<br />

Die Bezeichnungen Leprose und Lepra muten uns heute<br />

fremdartig an. Wir verbinden die Krankheit in der Regel mit<br />

Ländern der dritten und vierten Welt. Doch auch hier in<br />

59


Europa war die Seuche vornehmlich im Mittelalter bis ins<br />

17. und 18. Jahrhundert hinein verbreitet. Seit der Antike<br />

war die Krankheit von Arabien und Palästina ausgehend im<br />

hohen Mittelalter bis nach Mitteleuropa vorgedrungen. Belege<br />

dafür sind unter anderem die Leprosenhäuser, die vielerorts<br />

eingerichtet wurden. Das Kloster St. Gallen besaß<br />

beispielsweise 763 ein solches Leprosenhaus.<br />

Die Krankheit selbst wird durch ein Bakterium hervorgerufen<br />

und durch Tröpfchen- und Schmierinfektion übertragen.<br />

Sie äußert sich in verschiedenen Formen. Hautflecken<br />

treten auf, knotige Auftreibungen der Nervenstränge und<br />

Geschwüre im Nasen-Rachen-Raum. Die Kranken können<br />

Verstümmelungen erleiden, erblinden und durch Kehlkopfveränderungen<br />

eine rauhe Stimme erhalten. Die Krankheit<br />

kann sich sehr langsam entwickeln.<br />

Der Aussatz wurde als unheilbar angesehen. Als wirksame<br />

Eindämmung der Infektionsgefahr galt die Absonderung<br />

der Kranken, die bereits in der Antike üblich war, in Europa<br />

sich aber erst auf einen Beschluß des 3. Laterankonzils im<br />

Jahre 1179 endgültig durchsetzte. Als Krankenrecht fiel die<br />

Regelung der Verhältnisse der Aussätzigen in die Ordnungskompetenz<br />

der Kirche. Für die Feststellung des Aussatzes<br />

waren im Mittelalter die bischöflichen Sendgerichte<br />

zuständig. Ab dem 13. Jahrhunderten ging die Lepraschau<br />

an vereidigte Wundärzte oder Stadtärzte über. Nach der<br />

Landesordnung für Hohenzollern-Hechingen aus der Mitte<br />

des 16. Jahrhunderts waren bei spielsweise die Uberlinger<br />

Stadtärzte für die Leprosenschau zuständig. Auch die Einwohner<br />

der Grafschaft Sigmaringen, die der Krankheit verdächtigt<br />

wurden, schickte man nach Uberlingen.<br />

Bei Verdacht auf Aussatz war eine genaue Untersuchung<br />

vorgeschrieben. Anhand der beschriebenen Anzeichen für<br />

Lepra konnte sie relativ genau diagnostiziert werden. War<br />

die Krankheit festgestellt, so erfolgte die Abscheidung des<br />

Leprosen nach einem besonderen Ritual: über den Aussätzigen<br />

wurde das Totenamt verlesen. Anschließend wurde er<br />

in einem Sondersiechenhaus untergebracht. Für Unterbringung<br />

und Unterhalt der Leprosen war im Mittelalter die<br />

Pfarrgemeinde bzw. der Landdechant zuständig. Das Bild<br />

der Leprosen in der mittelalterlichen Gesellschaft war doppelgesichtig:<br />

einerseits konnte die Krankheit als Folge der<br />

Sünde und äußeres Zeichen eines unchristlichen Lebenswandels<br />

gelten, vor allem weil man im außerehelichen Beischlaf<br />

eine Übertragungsursache vermutete. Andererseits<br />

wurden die Leprosen von der Kirche wegen ihrer Leiden als<br />

wahre Märtyrer angesehen. Man nannte sie auch »Arme<br />

Leute« oder »Guote Leute«, woher sich die entsprechenden<br />

Bezeichnungen für die Leprosenhäuser als Armeleute- oder<br />

Guteleutehäuser herleiten. Als Märtyrern wurde den verstorbenen<br />

Aussätzigen, denen ja bereits das Totenamt gehalten<br />

worden war, die Messe für Märtyrer gelesen.<br />

Das Leprosenhaus in Laiz trug typische Züge für dererlei<br />

Einrichtungen. Dies zeigt sich bereits an der Namensgebung:<br />

in den Quellen wird es als Leprosen-, Sondersiechenoder<br />

Arme-Leute-Haus bezeichnet. Das Haus war vom<br />

Dorfe Laiz durch die Donau getrennt. Die Absonderung<br />

der Kranken war folglich gewährleistet. Es lag an der Verkehrsstraße<br />

von Laiz nach Vilsingen, vermutlich um den Insassen<br />

das Betteln zu erleichtern. Aus diesem Grunde wurden<br />

Leprosenhäuser häufig an Durchgangsstraßen errichtet.<br />

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wird die Laizer Einrichtung<br />

in den städtischen und herrschaftlichen Quellen greifbar.<br />

Damals befand sich die Lepra im deutschen Südwesten<br />

bereits auf dem Rückzug. Deshalb waren im Laizer Sondersiechenhaus<br />

vermutlich nicht mehr ausschließlich Leprakranke<br />

be<strong>heimat</strong>et. In den Quellen werden die Insassen<br />

zwar wiederholt als »Leproseil bezeichnet, doch ist dies<br />

60<br />

wohl damit zu erklären, daß der Name »Leprosenhaus«<br />

ausschlaggebend für die Benennung seiner Bewohner war.<br />

Im Mittelalter hingegen dürften vorwiegend die Aussätzigen<br />

hier untergebracht gewesen sein. Daß sich später Nichtlepröse<br />

in die Leprosorien einkauften und gesunde Bedienstete<br />

angestellt waren, ist nichts Ungewöhnliches und war<br />

auch andernorts üblich. Dies ist auf die Liberalisierung des<br />

strengen Aussätzigenrechts beim Rückgang der Lepra<br />

zurückzuführen.<br />

Im 17. und 18. Jahrhundert sind Kranke, Alte, Arme und<br />

auch Waisen als Einwohner des Laizer Siechenhauses belegt.<br />

Sie kamen aus unterschiedlichen Orten der Grafschaft<br />

Sigmaringen. Das Laizer Sondersiechenhaus hatte demzufolge<br />

eine zentrale Funktion. Dies ist möglicherweise darin<br />

begründet, daß die Stadt Sigmaringen selbst lange Zeit nur<br />

nominell über ein Spital verfügte. Die Aufgaben eines solchen<br />

Spitals übernahm das Laizer Arme-Leute-Haus. Wie<br />

in andere Leprosenhäuser konnte man sich nach dem Rückgang<br />

der Lepra auch in die Laizer Anstalt einkaufen und eine<br />

Pfründe, d.h. das Anrecht auf Versorgung oder zumindest<br />

Unterkunft, erwerben. Hierin ähnelte die Institution<br />

ebenfalls einem Spital.<br />

Denkbar ist, daß die Sondersiechenpflege bereits im Mittelalter<br />

eine zentrale Einrichtung war. Ihre Ansiedlung in Laiz<br />

dürfte daher rühren, daß sich hier die Mutterpfarrei von<br />

Sigmaringen befand. Das Haus wird zumindest für die Aufnahme<br />

von Aussätzigen aus dem Pfarreisprengel zuständig<br />

gewesen sein, möglicherweise auch für einen größeren Bezirk.<br />

Lebensverhältnisse der Leprosen<br />

Kommen wir zu den Lebensverhältnissen der im Siechenhaus<br />

Untergebrachten. Vom Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert<br />

hinein bildeten die Aussätzigen in einer Leprosenanstalt<br />

eine Art religiöser Genossenschaft, eine Art Bruderschaft,<br />

wie sie in Mittelalter und Früher Neuzeit häufig<br />

vorkamen. Für Neuankömmlinge gab es sogar eine Art Noviziat.<br />

Die Kranken gelobten Gütergemeinschaft, lebten<br />

nach einer Leprosenordnung und wählten aus ihrer Mitte<br />

einen Leprosenmeister. Die Leprosenordnung schrieb in<br />

der Regel Gleichheit von Nahrung und Kleidung vor. Auch<br />

für die Laizer Sondersiechen gab es noch im 18. Jahrhundert<br />

eine Satzung. Und noch 1725 wurde ein Bewohner dazu angehalten,<br />

sich gleich den anderen Leprosen mit einem<br />

schwarzen Mantel zu bekleiden 1. Dies sind Hinweise darauf,<br />

daß die Laizer Leprosen ebenfalls in einer Art Bruderschaft<br />

gelebt haben könnten. Die schwarzen Mäntel dürften<br />

darüber hinaus den Zweck gehabt haben, als äußeres Kennzeichen<br />

und Warnhinweis für die Krankheit zu dienen. Im<br />

allgemeinen mußten die Aussätzigen zur Vermeidung der<br />

Ansteckungsgefahr kennzeichnende Kleidung tragen und<br />

mit akustischen Signalen, etwa mit Glocken oder Klappern,<br />

warnen.<br />

Wie eingangs bemerkt, waren die Verhältnisse im Laizer<br />

Siechenhaus äußerst armselig. Um das Jahr 1600 wurde festgestellt,<br />

daß die »Armen Leute« eine Bank, einen Tisch,<br />

Strohsäcke für die gestifteten Bettladen nebst einer Waschschüssel<br />

benötigen würden, die Graf Karl von Hohenzollern-Sigmaringen<br />

zu bezahlen bereit war. Im Jahre 1716 berichtete<br />

der Leprosenpfleger sogar, daß die Bewohner des<br />

Hauses wegen Mangel an Bettzeug die größte Not leiden<br />

würden und auf dem bloßen Stroh liegen müßten. Nicht<br />

einmal das Allernotwendigste war immer vorhanden. Dies<br />

ist kein Wunder, lebten doch die Leprosen größtenteils vom<br />

Bettel und von Almosen. Seit dem Frühmittelalter besaßen<br />

die Aussätzigen allgemein das Bettelrecht.


Ähnlich verhielt es sich bei den Laizer Sondersiechen. Vor<br />

ihrem Haus, das, wie bemerkt, an einer Durchgangsstraße<br />

lag, war ein Opferstock angebracht. Am Sonntag durften sie<br />

zum Betteln vor die Stadtpfarrkirche in Sigmaringen gehen<br />

und danach in der Stadt sammeln, so bestimmte es Graf<br />

Karl II. um das Jahr 1600 2.<br />

Einmal in der Woche erhielten die Leprosen im Schlofl von<br />

der Herrschaft die Hofsuppe 3.Zu den Einkünften aus dem<br />

Bettel kamen die Almosen hinzu. Bereits im Mittelalter<br />

wurden die Leprosen im allgemeinen bevorzugt vor anderen<br />

Armen mit Spenden bedacht. Mittelalterliche Leprosorien<br />

gelangten durch Schenkungen oder Stiftungen oft zu<br />

beachtlichem Wohlstand. Auch für das Laizer Sondersiechenhaus<br />

gab es eine sogenannte Leprosenpflege, die, wie<br />

andere kirchliche Pflegen, auf Stiftungen zurückzuführen<br />

sein dürfte. Insbesondere die Grafen und Fürsten traten<br />

wiederholt als Almosengeber und Spender von Einrichtungsgegenständen<br />

in Erscheinung. Ferner werden als<br />

Spender solcher Gegenstände die Klöster Gorheim und Hedingen,<br />

einzelne Nonnen dieser Klöster, Geistliche und<br />

Bürgersfrauen faßbar.<br />

Im Zuge der spätmittelalterlichen Kommunalisierung, d.h.<br />

der Übernahme von Kompetenzen durch Städte, ging die<br />

Verwaltung der Sondersiechenhäuser von den aus der Mitte<br />

der Kranken gewählten Leprosenmeistern an nichtaussätzige<br />

Pfleger über. In der Zeit als das Laizer Sondersiechenhaus<br />

in den Quellen faßbar wird, wurde die Leprosenpflege bereits<br />

durch bürgerliche Pfleger verwaltet. Bis 1637 besetzte<br />

der Sigmaringer Stadtrat die Stelle der beiden Leprosenpfleger.<br />

Sogar die Schultheißen übernahmen teilweise dieses<br />

Amt. Nach 1641 zog die fürstliche Herrschaft die Besetzung<br />

der Stelle an sich. Dies ist typisch für die Verhältnisse<br />

in Sigmaringen: die Herrschaft versuchte auch in anderen<br />

Fällen, etwa bei der Heiligenpflege, die für die Vermögensverwaltung<br />

der Stadtpfarrkirche zuständig war, die Kontrolle<br />

an sich zu ziehen. Es waren Bestrebungen, die Herrschaft<br />

zu zentralisieren und zu intensivieren. Mehrfach<br />

wehrten sich die Bürger gegen solche Angriffe auf die städtischen<br />

Selbstverwaltungskompetenzen erfolgreich, zum<br />

Teil mit österreichischer Hilfe.<br />

Bei der Leprosenpflege erlangte der Fürst ohne erkennbaren<br />

Widerstand der Stadt die Kontrolle. Allerdings befand<br />

sich die Verwaltung der Pflege weiterhin in den Händen<br />

bürgerlicher Pfleger, die zugleich Ratsherren waren. Die<br />

Pfleger wurden in der fürstlichen Kanzlei vereidigt, erhielten<br />

dort ihre Instruktionen und waren dem Fürsten rechenschaftspflichtig.<br />

Die fürstliche Verwaltung übte eine relativ<br />

strikte Aufsicht aus.<br />

Die Aufgabe der Leprosenpfleger war es, das Vermögen des<br />

Siechenhauses zu verwalten. Die Übernahme solcher Pflegschaften<br />

war im allgemeinen recht beliebt: zum einen gab es<br />

einen kleinen Nebenverdienst, zum anderen konnte man<br />

sich unter Umständen günstige Kredite verschaffen.<br />

Die Leprosenpflege ging, wie bemerkt, auf Stiftungen<br />

zurück, die bereits im Mittelalter erfolgt waren. Die Haupteinnahmen<br />

flössen aus verliehenem Kapital. Derartige Pflegen,<br />

wie die Leprosenpflege oder die bereits erwähnte Heiligenpflege,<br />

erfüllten in Sigmaringen und anderswo die Aufgabe<br />

von Darlehenskassen. Benötigte jemand von den<br />

Einwohnern der Grafschaft Sigmaringen Geld, so wandte er<br />

sich in der Regel an eine oder mehrere Pflegen, um dort<br />

Geld aufzunehmen. Andere Möglichkeiten der Kreditaufnahme<br />

waren rar. Der Zinssatz bewegte sich meist um die<br />

5 %. Bei der Leprosenpflege können nun Kreditnehmer aus<br />

zahlreichen Orten der Grafschaften Sigmaringen und Veringen<br />

nachgewiesen werden. Die Zinseinnahmen mehrten<br />

das Vermögen der Pflege, und die Pfleger waren gehalten,<br />

zurückbezahltes Geld sofort wieder anzulegen. Auf eine<br />

ausreichende Absicherung durch Unterpfand war dabei zu<br />

achten. Durch die Kreditvergabe wuchs das Kapital der Leprosenpflege<br />

merklich an. 1588/89 lagen die Zinseinnahmen<br />

bei rund 28 fl pro Jahr, 150 Jahre später waren es 87 fl. Das<br />

Kapital dürfte sich damit von ca. 560 fl auf ca. 1.958 fl erhöht<br />

haben.<br />

An regelmäßigen Ausgaben hatte die Pflege zunächst die<br />

Besoldungen zu tragen: die Leprosenmagd erhielt jährlich<br />

3 fl, die beiden Pfleger bekamen ebenfalls je 3 fl. An den Beträgen<br />

wird deutlich, daß die Verwalterstelle etwas abwarf.<br />

Zur Leprosenmagd ist an dieser Stelle zu bemerken, daß sie<br />

für die »Armen Leute« im Siechenhaus sorgte. Neben der<br />

genannten regelmäßigen Besoldung hatte sie noch weitere<br />

kleinere Einkünfte, erhielt wohl freies Essen und vor allem<br />

aus der fürstlichen Kasse nochmals einen erheblichen Besoldungsanteil.<br />

Zeitweilig war für die Kranken sogar ein eigener<br />

Siechenbader angestellt.<br />

Neben den bereits erwähnten Ausgaben trug die Leprosenpflege<br />

die Kosten für den baulichen Unterhalt des Gebäudes.<br />

Auch bekamen die Leprosen selbst Zuwendungen aus<br />

der Kasse. Schließlich übernahm die Pflege Kurkosten für<br />

Leprose oder bezahlte das Begräbnis.<br />

In den Jahren 1777/78 erfolgte gar ein Neubau des Hauses.<br />

Allerdings scheint das Siechenhaus zur Unterbringung von<br />

Kranken und Alten bald nicht mehr notwendig gewesen zu<br />

sein. 1814 wurde es nur noch von dem ehemaligen Jäger Joseph<br />

Rosenzweig bewohnt. Nun verkaufte die fürstliche<br />

Regierung das Gebäude für 700 fl an die Gemeinde Laiz.<br />

Zugleich wurde die Leprosenpflege aufgelöst und das Kapital<br />

in Höhe von 7.500 fl der Landschaftskasse zugeschlagen.<br />

Die Landschaftskasse war die Steuerkasse und die zentrale<br />

Landeskasse für Sigmaringen gewesen 4. Das Gebäude wurde<br />

in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Verkauf nur<br />

noch wenig beachtet. Es diente als Unterkunft für verschiedene<br />

Bewohner. Der Ankauf des Gebäudes durch Professor<br />

Henselmann weckte es quasi aus einem Dornröschenschlaf.<br />

Es ist ein geschmackvolles Haus, das sich uns heute präsentiert.<br />

Armut und Elend, die einst hier zu Hause waren, werden<br />

glücklicherweise nur noch vor unserem geistigen Auge<br />

sichtbar.<br />

(Vortrag anläßlich der Einweihung des Kunst-Museums<br />

Laiz mit Werken des in Laiz geborenen Künstlers Josef Henselmann<br />

am 12. Juni 1999)<br />

Quellen und Literatur (soweit nicht gesondert aufgeführt):<br />

Zum Leprosenhaus in Laiz mit weiteren Belegen:<br />

Andreas Zekorn, Zwischen Habsburg und Hohenzollern. Verfassungs-und<br />

Sozialgeschichte der Stadt Sigmaringen im 17. und<br />

18. Jahrhundert, Sigmaringen 1996 (Arbeiten zur Landeskunde<br />

Hohenzollerns, Bd. 16), S.237-248<br />

Zur Lepra und den Leprosenhäusern allgemein:<br />

- Artikel »Aussatz«, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. I,<br />

Sp.12491257<br />

- Manfred Vasold, Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und<br />

Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991, bes.<br />

S. 35ff., S.99f., S.104f., S.161.<br />

- Arnold Weller, Sozialgeschichte Südwestdeutschlands, Stuttgart<br />

1979, bes. S. 13-24.<br />

Anmerkungen:<br />

1 STAS, Ho 80a, C.II.l.c.Nr. 1., Verhörs-, Amts- und Oberamtsjustizprotokoll<br />

46,p.552 (16.6.1752).<br />

2 STAS, Dep. 1, Akt. 1975.<br />

3 Maximilian Schaitel, Das Sondersiechenhaus in Laiz, in:<br />

Schwarzwälder Bote 1952, Nr. 33.<br />

4 Maximilian Schaitel, Das Sondersiechenhaus in Laiz.<br />

61


GERD BANTLE<br />

Professor Dr. med. Hermann Lieb<br />

Mit der Geschichte des Sigmaringer Fürst-Carl-Landeskrankenhauses<br />

(heute Kreiskrankenhaus) ist ein Name eng<br />

verbunden, der des langjährigen Arztlichen Direktors, Professor<br />

Dr. Hermann Lieb. Er starb 1968.<br />

Auch in Hettingen ist man heute noch stolz auf Professor<br />

Dr. Lieb, der am 6. April 1897 in dem Lauchertstädtchen<br />

zur Welt kam. In Würdigung seiner Verdienste wurde er am<br />

17. November 1954 zum Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde<br />

ernannt. Nach ihm wurde dort auch eine Straße<br />

benannt.<br />

Als der Arztliche Direktor vor 30 Jahren in seinem Sigmaringer<br />

Heim an der Brenzkofer Straße (heute wohnt Bürgermeister<br />

Gerstner dort) gestorben war, wurde sein Lebenswerk<br />

in ehrenden Nachrufen umfangreich gewürdigt.<br />

Hervorgehoben wurden unter anderem seine große ärztliche<br />

und menschliche Einsatzbereitschaft, sein Pflichtbewußtsein<br />

und fachliches Wissen sowie sein Weitblick, der<br />

für die Krankenhaus-Entwicklung förderlich gewesen ist.<br />

Dr. Hermann Lieb wirkte von 1924 bis 1963 im Fürst-Carl-<br />

Landeskrankenhaus, dem er von 1943 an als Arztlicher Direktor<br />

vorstand als Nachfolger von Dr. End. Höhepunkte<br />

in seinem Leben waren außer der Verleihung der Hettinger<br />

Ehrenbürgerwürde 1952 die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes<br />

und 1954 die Ernennung zum Professor.<br />

Der engagierte Mediziner war stets um Fort- und Weiterbildung<br />

bemüht und nutzte sein Wissen zur Weiterentwick-<br />

Buchbesprechungen<br />

Botho Walldorf, 100 Jahre Hohenzollerische Landesbahn<br />

AG 1899-1999, Von Lokomotiv-Lebensläufen und vergangenen<br />

Arbeitswelten.<br />

Der Bau der Hohenzollerischen Landesbahn, damals noch<br />

als Kleinbahn bezeichnet, begann am nördlichen und südlichen<br />

Ende, nämlich mit den Strecken Sigmaringendorf-Bingen<br />

und Eyach-Haigerloch. Gammertingen wurde<br />

schon 1901 mit Kleinengstingen verbunden und Burladingen<br />

mit Hechingen. Diese Strecken wurden von den »Loks<br />

mit dem langen Kamin« befahren. Jede Teilstrecke hatte<br />

auch einige Personenwagen und einen Packwagen. Das<br />

Buch bringt mehrere sehr schöne Abbildungen von diesen<br />

ältesten Landesbahn-Loks, von denen einige noch bis in die<br />

Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zu sehen waren.<br />

1908 wurden die einzelnen Strecken der Landesbahn durch<br />

den Bau der Strecke Burladingen-Gammertingen-Bingen<br />

zusammengeführt und mit dem 1909 erfolgten Anschluß<br />

des Regierungssitzes Sigmaringen fertiggestellt. Die Vergrößerung<br />

des Bahnnetzes und die Steilstrecken Killertal-Burladingen<br />

und Neufra-Gammertingen machten die<br />

Anschaffung von größeren Lokomotiven notwendig: Die<br />

Maschinen wurden größer, die Kamine kürzer. In der Betriebwerkstätte<br />

Gammertingen wurden die Loks gewartet<br />

und ständig modernisiert; auf Heißdampf umgebaut, mit<br />

neuen Bremssystemen, elektrischer Beleuchtung und vielen<br />

anderen Dingen versehen. 1956 fuhr auf der Landesbahn die<br />

erste Diesellok. Nach 1960 wurde der Dampflok-Betrieb<br />

endgültig eingestellt.<br />

Schon um 1934 wurde mit der Umstellung des Personen-<br />

62<br />

lung und Modernisierung des Sigmaringer Krankenhauses.<br />

So kam es nicht zuletzt dank seiner Initiativen zum Verbindungsbau<br />

zwischen dem Hauptgebäude, dem Josefshaus<br />

und dem Wirtschaftstrakt, zum Ausbau der Operationssäle,<br />

zur Einrichtung eines Entbindungsraums und Neugeborenenzimmers<br />

und von Röntgenräumen. Dann erfolgte die<br />

Einrichtung einer geburtshilflichen Abteilung.<br />

Auch an der Aufgliederung der allgemeinen Krankenabteilung<br />

in drei Fachabteilungen (Nervenabteilung, Chirurgie,<br />

Innere Abteilung) war Dr. Lieb maßgebend mitbeteiligt.<br />

Sein späterer Nachfolger, der heutige Sigmaringer Ehrenbürger<br />

Dr. Rudolf Eisele, würdigte Liebs Wirken als Arzt<br />

mit den Worten: »Seine Arbeits- und Einsatzbereitschaft für<br />

die Kranken kannte keine Grenzen.«<br />

Auch außerhalb seines ärztlicher Gebiets hat sich Professor<br />

Dr. Lieb für die Bevölkerung verdient gemacht: Als<br />

langjähriger Vorsitzender beim Kreisverein des Deutschen<br />

Roten Kreuzes und in der Kommunalpolitik, in der er sich<br />

im Kreistag engagierte, in den er auf der CDU-Liste 1953<br />

gewählt worden war. Verheiratet war Dr. Lieb mit Rosa<br />

Schüler, die ihm zwei Söhne und eine Tochter schenkte, die<br />

alle im Bereich der Medizin Fuß faßten. Es war ein schwerer<br />

Schlag für die Familie, als wenige Tage nach dem Tod von<br />

Professor Dr. Lieb auch dessen Sohn, der Zahnarzt<br />

Dr. Günter Lieb, Privatdozent an der Universität Würzburg,<br />

im Alter von erst 36 Jahren starb.<br />

verkehrs auf Triebwagen begonnen. Auch diese hat Walldorf<br />

ausführlich fotografisch dokumentiert. Das Buch<br />

bringt aber nicht nur Bilder von Loks, sondern auch von<br />

vielen anderen Einrichtungen. Es gab mehrere Bahnhöfe<br />

mit Wartesaal, Diensträumen und einer Dienstwohnung im<br />

oberen Stock, kleinere mit einem Dienstraum und Warteraum<br />

und schließlich kleine Fachwerk- oder Wellblechhütten<br />

wie in Mariaberg oder im Hasental in der Haid - Bedarfs-Haltestellen.<br />

Manche sind längst abgerissen, andere<br />

umgebaut. Es gab (und gibt) auch vieles, was die Fahrgäste<br />

nicht sahen, wie z. B. Signalanlagen, Schneeräumen,<br />

Streckenbegehung usw. Vieler Personen wird gedacht, die<br />

ihre Lebensarbeit bei der Landesbahn verbracht haben. Es<br />

gibt in dem Büchlein nicht nur technikgeschichtliche Fotos,<br />

sondern auch ausgesprochen romantische und schöne Bilder<br />

mit Sonne, Schnee, weißem Dampf und großen<br />

schwarzen Rauchwolken.<br />

Das Buch erschien im Selbstverlag des Verfassers: Botho<br />

Walldorf, Lenaustraße 23; 72827 Wannweil (DM 30.-).<br />

Hechingen und Burg Hohenzollern<br />

Herausgegeben von den in Hechingen geborenen Buchhändlerinnen<br />

Teresa Welte (von ihr stammen die meisten<br />

prächtigen Farbfotos) und Dorothea Welte (Text) erschien<br />

im Tübinger Silberburg-Verlag der 72seitige Bildband »Hechingen<br />

und Burg Hohenzollern« (ISBN 3-87407-273-8;<br />

29,80 DM). Es ist ein idealer Band zum Schmökern und<br />

Verschenken. Er informiert kurz und prägnant über die be-


wegte Stadtgeschichte und das Betrachten der Bilder macht<br />

Lust, sich an Ort und Stelle auf Entdeckungsreise zu begeben,<br />

denn Hechingen und die Umgebung haben weitaus<br />

mehr an Sehenswürdigkeiten und Attraktionen zu bieten als<br />

»nur« die Burg Hohenzollern, in der allein es natürlich genug<br />

zu schauen und zu erleben gibt. Textteil und Bilderläuterungen<br />

wurden von Linda Fecker und Hans Welte ins<br />

Englische und Französische übersetzt. Das Buch bringt daher<br />

nicht nur den Einheimischen Gewinn, sondern ist auch<br />

eine Fundgrube und schöne Erinnerung für auswärtige und<br />

ausländische Hechingen-Besucher. ba<br />

Lesegenuß und Rätselraten<br />

Wer sich für Landesgeschichte interessiert und gern Rätsel<br />

löst, sei auf zwei im Silberburg-Verlag erschienene 128seitige<br />

(Preis je 19,80 DM) Bücher aufmerksam gemacht: »Wer<br />

weiß, wer's war?« (ISBN 3-87407-306-8) und »Wer weiß,<br />

wo 's ist?« (ISBN 3-87407-307-6). Im ersten stellt der Journalist<br />

Helmut Engisch 60 baden-württembergische Persönlichkeiten<br />

vor, deren Namen zu erraten sind, und im zweiten<br />

fragt der Journalist und Historiker Dr. Jürgen Heinel<br />

nach 50 Orten, Bauwerken und Gegenden, die in Württemberg<br />

geschichtlich bedeutsam sind. Die Lösungen werden<br />

(im Anhang leicht versteckt) mitgeliefert und enthalten<br />

nochmals vielerlei interessante Informationen. Da auch<br />

Anekdotisches nicht zu kurz kommt, werden Lesen und<br />

Raten zum Genuß. Fotos im einen und Zeichnungen im andern<br />

Band sorgen für zusätzliche Auflockerung. ba<br />

Schwäbisches Paradies<br />

Von dem Ulmer Schriftsteller Manfred Eichhorn ist im Silberburg-Verlag<br />

ein weiteres Mundartstück erschienen: »Das<br />

Schwäbische Paradies« (112 Seiten, 12 Fotos, 19,80 DM;<br />

ISBN 3-87407-339-4). Zugrunde liegt dem Buch »Die<br />

G'schicht vom Brandner Kaspar« von Franz von Kobell<br />

und Kurt Wilhelm. Manfred Eichhorn schuf einen Sechsakter<br />

für Laientheater-Ensembles (19 Rollen; durch Doppelbesetzung<br />

kann das Stück von vier weiblichen und sechs<br />

männlichen Darstellern bewältigt werden), dem es an Witz,<br />

Hintergründigkeit und Dramatik nicht mangelt. Im Inhalt<br />

geht es um die Frage: Gelingt es, dem Tod ein Schnippchen<br />

zu schlagen? ba<br />

Ihren Nachkommen hat Anna Schmidt aus Gauselfingen<br />

das Buch »Und trotzdem scheint die Sonne durch« gewidmet<br />

(Mauer-Verlag, Rottenburg, ISBN 3-931627-50-0). Lesenswert,<br />

weil ehrlich erzählt und anrührend, ist es aber<br />

auch für jenen Leserkreis, der lebensnahe, unverfälschte Lebensgeschichten<br />

aus dem Bereich der Heimat schätzt. Anna<br />

Schmidt beschreibt das wechselvolle Leben ihrer Familie, in<br />

der der Vater die Hauptrolle spielt. Es geht um Not und<br />

Scheitern, aber auch um gegenseitige Hilfe und Gemeinschaftssinn.<br />

Viele Zeitgenossen dürften Ähnliches erlebt haben<br />

und das Buch darum mit Rührung und innerem Gewinn<br />

lesen. Schade ist, daß bei Drucklegung und Buchbindung<br />

nicht gerade mit Sorgfalt gearbeitet wurde.<br />

Anschrift der Verfasserin: Anna Schmidt, Bubenhofenstraße<br />

4; 72393 Burladingen. ba<br />

Tagung »Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau«<br />

Die variantenreiche Vielfältigkeit der habsburgischen Herrschaft<br />

in Südwestdeutschland in Spätmittelalter und Früher<br />

Neuzeit offenbarte eine Vortragsveranstaltung unter dem<br />

Thema »Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer<br />

Donau«, zu der die Landkreise Rottweil, Sigmaringen,<br />

Tuttlingen und Zollernalb sowie der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong><br />

am 16. Oktober 1999 nach Schömberg-<br />

Schörzingen eingeladen hatten. Nach der Begrüßung durch<br />

den Baiinger Landrat Willi Fischer im Namen der veranstaltendn<br />

Landkreise wurden den annähernd 100 Zuhörern in<br />

der Schörzinger Hohenburghalle in insgesamt acht Einzelvorträgen<br />

regionale Fallbeispiele und Erscheinungsformen<br />

der österreichischen Herrschaftspraxis und der damit stets<br />

einhergehenden ausgeprägten Partizipation der bäuerlichen<br />

und bürgerlichen Untertanen vorgestellt.<br />

Der Rottweiler Kreisarchivar Bernhard Rüth stellte den<br />

kaufweisen Übergang der Ritterherrschaft Schramberg an<br />

das Haus Österreich 1583 als geradezu zwangsläufige Konsequenz<br />

einer bereits lange bestehenden Einbindung der<br />

Herrschaftsinhaber in das habsburgische Netzwerk dar.<br />

1648 wurde die an der Nahtstelle zwischen Schwäbisch-<br />

Österreich und den habsburgischen Besitzungen im<br />

Schwarzwald und am Oberrhein gelegene Herrschaft an die<br />

Freiherren und späteren Grafen von Bissingen und Nippenburg<br />

verpfändet und in der Folge sodann als sog. Kunkellehen<br />

unter Vorbehalt der österreichischen Landeshoheit<br />

überlassen. Interessant ist, daß nach Rüths Worten in der<br />

kollektiven Erinnerung der Schramberger die Verbindung<br />

zu den vor Ort ansässigen Bissinger Pfand- und Ortsherren<br />

den österreichischen Zusammenhang weithin überlagert<br />

hat. Durch eine lange und wechselvolle Verpfändungsge-<br />

schichte zeichnet sich auch die benachbarte, von Hans Peter<br />

Müller vorgestellte Herrschaft Oberndorf aus, die 1381<br />

zusammen mit der Grafschaft Hohenberg von Österreich<br />

erworben worden war. Die Bandbreite der Pfandherren<br />

reicht von den schwäbischen Reichsstädten, den Markgrafen<br />

von Baden, den Herren von Zimmern und Württemberg<br />

im Spätmittelalter bis zu den Herren von Hohenberg und<br />

den Herren von Pflummern im 17. und 18. Jahrhundert.<br />

Auf eine lange und überaus vitale Tradition der kommunalen<br />

und landschaftlichen Partizipation und Repräsentation<br />

der Untertanen konnte der Tuttlinger Kreisarchivar Dr. Joachim<br />

Schuster in seinem Vortrag über »Friedlingen und<br />

Spaichingen - die >Hauptorte< Oberhohenbergs« verweisen.<br />

Die Geschichte der Oberhohenberger Landschaft als einer<br />

genossenschaftlichen Interessen- und Leistungsgemeinschaft<br />

der 15 Ortschaften der »oberen« Grafschaft läßt sich<br />

dabei bis ins 15. Jahrhuzndert zurückverfolgen. Über den<br />

ursprünglichen Hauptdaseinszweck im Steuerwesen hinaus<br />

entwickelt sich die Landschaft in der Frühen Neuzeit zu einer<br />

selbstbewußten und streitbaren Korporation, die beispielsweise<br />

zum Nutzen der bäuerlichen Bevölkerung zeitweise<br />

den herrschaftlichen Forst pachtet und sich der Verpfändung<br />

der Herrschaft an die Herren von Ulm<br />

widersetzt. Fridingen, dem einzigen Städtchen und jahrhundertelangen<br />

Amtssitz Oberhohenbergs wurde im Laufe<br />

des 17. und 18. Jahrhunderts von Spaichingen als Wirtschaftszentrum<br />

und sodann auch als Verwaltungsmittelpunkt<br />

der Rang abgelaufen.<br />

Die Risiken der von Habsburg betriebenen Verpfändungspolitik<br />

konnte der Sigmaringer Kreisarchivar Dr. Edwin<br />

Ernst Weber am Beispiel der Herrschaft Gutenstein deut-<br />

63


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

E 3828<br />

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />

lieh machen, geriet hier doch in den eineinhalb Jahrhunderten<br />

der Pfandschaft der Herren und Grafen von Zimmern<br />

die Zugehörigkeit zu Osterreich weitgehend in Vergessenheit.<br />

Zudem nahmen die Meßkircher Pfandherren gegen<br />

den Widerstand ihrer bäuerlichen Untertanen eigenmächtige,<br />

gewaltsame Veränderungen von Gemeindegrenzen vor,<br />

die drei der vier gutensteinischen Ortschaften massive und<br />

lange nachwirkende Konflikte bescherten. Für die österreichisch<br />

lehenbaren Grafschaften Sigmaringen und Veringen<br />

was das Erzhaus in erster Linie als Appellationsinstanz<br />

in den zeitweise massiven Konflikten zwischen der zollerischen<br />

Ortsherrschaft und ihren bäuerlichen und bürgerlichen<br />

Untertanen vom 16. bis ins 18. Jahrhundert von Bedeutung.<br />

Der Baiinger Kreisarchivar Dr. Andreas Zekorn<br />

verwies in seinem »unter dem Schutzflügel des Kaiseradlers«<br />

überschriebenen Beitrag auf die ausgleichende und<br />

konflikteindämmende Wirkung, die Österreich als Lehensund<br />

Landesherrschaft in diesen Auseinandersetzungen ausübte.<br />

Von einer fortschreitenden »Verbauerung«, einem Vordringen<br />

der landwirtschaftlichen Orientierung war nach den<br />

Worten des Rottenburger Stadtarchivars Karlheinz Geppert<br />

M. A., die wirtschaftliche Entwicklung der österreichischen<br />

Städtchen Schömberg und Binsdorf in der Frühneuzeit geprägt.<br />

Von schier endlosen und für die verschiedenen Pfandherren<br />

geradezu ruinösen Untertanenkonflikten berichtete<br />

Dr. Martin Zürn in seinem Vortrag zu der auf dem Heuberg<br />

gelegenen und vier Dörfer umfassenden österreichischen<br />

Herrschaft Kallenberg in der Frühen Neuzeit. Hauptkonfliktpunkte<br />

waren dabei der herrschaftliche Anspruch auf<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638, 72486<br />

Sigmaringen.<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung im alten Land<br />

Hohenzollern und den angrenzenden Landesteilen<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat<br />

vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s ist der Bezugspreis im<br />

Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />

DM 13,00 jährlich.<br />

Abonnements und Einzelnummern (DM<br />

3,25) können beim Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

(s. o.) bestellt werden.<br />

64<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Gerd Bantle<br />

Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Dr. Otto H. Becker,<br />

Hedingerstraße 17, 72488 Sigmaringen<br />

Dr. Hermann Frank<br />

Im Wägner 24, 72070 Unterjesingen<br />

Thomas Jauch<br />

Lenauweg 36, 72379 Hechingen<br />

Walter Kempe<br />

Silcherstraße 11, 88356 Ostrach<br />

Karl Werner. Steim<br />

Berliner Straße 72, 88499 Riedlingen<br />

Rolf Vogt<br />

Marktplatz 6, 72379 Hechingen<br />

Dr. Edwin Ernst Weber<br />

Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />

Dr. Andreas Zekorn<br />

Landratsamt, Hirschbergerstraße 29,<br />

72334 Balingen<br />

die Nutzung von Allmenden und Waldungen, gegen den<br />

sich die bäuerlichen Gemeinden in einer langen Widerstandstradition<br />

zur Wehr setzen.<br />

Nach einem von der Volkstanzmusik Frommem umrahmten<br />

Empfang durch den Zollernalbkreis und die Stadt<br />

Schömberg und Grußworten u. a. von Dr. Otto Becker,<br />

dem Vorsitzenden des Hohelzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s,<br />

verwies Prof. Dr. Franz Quarthai in seinem abschließenden<br />

Abendvortrag auf den engen, bis ins 14. Jahrhundert<br />

zurückzuverfolgenden Zusammenhang zwischen<br />

dem Aufbau und Funktionieren der österreichischen Herrschaft<br />

einerseits und der finanziellen Mitwirkung der betroffenen<br />

Untertanen andererseits. Der Erwerb Hohenbergs<br />

beispielsweise gelang Österreich 1381 gegen die Konkurrenz<br />

Württembergs nur dank der außerordentlichen<br />

Unterstützung durch die Untertanen der Grafschaft, die aus<br />

politischem Kalkül unter die Herrschaft des mächtigen Erzhauses<br />

strebten. Nach Quarthals Bewertung ist dieser Vorgang<br />

im ausgehenden 14. Jahrhundert der Ausgangspunkt<br />

für die jahrhundertelange, lebendige Tradition der politischen<br />

Repräsentation und Partizipation der Untertanen und<br />

ihrer Landschaften in Hohenberg.<br />

Bie Beiträge der inhaltlich fruchtbaren Tagung, die die<br />

Kenntnisse über die zeitweise nahezu in Vergessenheit geratende<br />

österreichische Vergangenheit unserer Region beträchtlich<br />

erweitern konnte, werden in einem Sammelband<br />

veröffentlicht, den die beteiligten Landkreise im kommenden<br />

Jahr herausgeben wollten.<br />

Dr. Edwin Ernst Weber<br />

Gesamtherstellung:<br />

Jan Thorbecke Verlag,<br />

70173 Stuttgart, Eberhardstraße 69-71<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiterzuempfehlen.

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