heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
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HOHENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
E 3828<br />
Herausgegeben vom<br />
Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
49. Jahrgang Nr. 1 / März 1999<br />
Der Übergangskreistag für den neuen Landkreis Sigmaringen am Eingang der Kreisberufsschule in Meßkirch am 27. April 1973. Vorlage:<br />
Kreisarchiv Sigmaringen.<br />
EDWIN ERNST WEBER:<br />
Die Entstehung des »Großkreises« Sigmaringen vor 25 Jahren<br />
Der Landkreis Sigmaringen in seiner heutigen Gestalt<br />
konnte am 1. Januar 1998 seinen 25. Geburtstag feiern. Das<br />
- abgesehen von gelegentlichen Reibereien und kleineren<br />
Rivalitäten - zumeist einvernehmliche und kooperative Zusammenwirken<br />
der im Landkreis zusammengeschlossenen<br />
25 Städte und Gemeinden mit ihren etwa 130 000 Bewohnern<br />
im zurückliegenden Vierteljahrhundert hat weitgehend<br />
vergessen lassen, unter welch massiven politischen<br />
Auseinandersetzungen und Erschütterungen der neue Verwaltungsbezirk<br />
zu Beginn der 1970er Jahre zustande gekommen<br />
ist. Wohl an nur wenigen Brennpunkten in Baden-<br />
Württemberg war seinerzeit die von der damaligen CDU-<br />
SPD-Koalition unter Ministerpräsident Hans Filbinger<br />
betriebene große Kreisreform derart heiß umstritten wie im<br />
Bereich Sigmaringen-Saulgau-Pfullendorf-Meßkirch, wo<br />
bis 1973 die »äußeren« Kreisgrenzen noch immer mit den<br />
zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwischen dem Königreich<br />
Württemberg, dem Großherzogtum Baden und dem Fürstentum<br />
Hohenzollern-Sigmaringen gezogenen Landesgrenzen<br />
identisch waren.<br />
Für den seit 1952 im gemeinsamen Bundesland Baden-<br />
Württemberg zusammengeschlossenen deutschen Südwesten<br />
war dabei die Kreisreform von 1972/73 bereits die<br />
zweite Gebietsneugliederung innerhalb von nur wenigen<br />
Jahrzehnten: Im damaligen preußischen Regierungsbezirk<br />
der Hohenzollerischen Lande waren 1925 die Oberämter<br />
Sigmaringen und Gammertingen zum Landkreis Sigmarin-
gen und die Oberämter Hechingen und Haigerloch zum<br />
Landkreis Hechingen vereinigt worden. Die badische Gebietsreform<br />
von 1936 hatte den bisherigen Amtsbezirk<br />
Pfullendorf zu Uberlingen und den Amtsbezirk Meßkirch<br />
zu Stockach geschlagen, und die württembergische Verwaltungsneugliederung<br />
von 1938 schließlich brachte die Zusammenlegung<br />
der Oberämter Saulgau und Riedlingen zum<br />
neuen Landkreis Saulgau. Obgleich alle diese von »oben«<br />
verordneten Gebietsreformen zumal bei vielen Bewohnern<br />
der aufgelösten Bezirke zunächst auf beträchtliche Vorbehalte<br />
gestoßen waren und in den neuen Landkreisen ein<br />
unübersehbarer Dualismus zwischen den neuen »Kreishauptstädten«<br />
und den früheren Amtsstädten herrschte,<br />
entwickelte sich in den neugeschaffenen Verwaltungsbezirken<br />
erstaunlich rasch ein intensives Gemeinschafts- und<br />
Zusammengehörigkeitsgefühl. Dazu trug in hohem Maße<br />
sicherlich die gemeinsam bewältigte Notzeit in den Kriegsund<br />
Nachkriegsjahren bei.<br />
Der Kampf um den Landkreis Saulgau<br />
Vor diesem Hintergrund stießen die im neuen Bundesland<br />
Baden-Württemberg bereits seit der Mitte der 1950er Jahre<br />
diskutierten Pläne für eine neuerliche Kreisreform allenthalben<br />
auf entschiedenen Widerstand in den Landkreisen.<br />
Es bedurfte der Durchsetzungskraft einer Großen Koalition<br />
von 1966 bis 1972, um in der Reformeuphorie jener Jahre<br />
eine radikale Neueinteilung der Verwaltungsbezirke<br />
weitgehend ohne Rücksicht auf historisch gewachsene Zusammenhänge<br />
und Zugehörigkeiten durchzusetzen. Ein<br />
1969 vorgelegtes Denkmodell der Landesregierung (sog.<br />
Krause- oder 25er-Modell) hatte sogar eine Reduzierung<br />
von bisher 63 auf 25 Landkreise vorgesehen und in unserem<br />
Raum die Bildung der Großkreise Sigmaringen-Saulgau,<br />
Konstanz-Stockach-Uberlingen, Ravensburg-Tettnang-<br />
Wangen sowie Ulm-Biberach-Ehingen vorgeschlagen. In<br />
Saulgau und zumal beim dortigen Landrat Dr. Wilfried<br />
Steuer stieß dieser Plan einer Fusionierung mit dem hohenzollerischen<br />
Nachbarkreis Sigmaringen sowie kleineren<br />
Teilen der Kreise Stockach (Raumschaft Meßkirch/Stetten<br />
a. k. M.), Ehingen und Münsingen (Bereich Zwiefalten) sofort<br />
auf massive Ablehnung. In wiederholten Entschließungen<br />
des Kreistags sowie zahlreicher Gemeinderäte sprach<br />
man sich statt dessen für den Erhalt des Landkreises Saulgau<br />
in seiner bisherigen Gestalt oder aber, falls dies nicht machbar<br />
sein sollte, für einen Zusammenschluß mit Biberach zu<br />
einem »mitteloberschwäbischen« Großkreis aus. Zwei im<br />
Juli 1970 vorgelegte Kommissions-Gutachten (Dichtelbzw.<br />
Reschke-Gutachten) trugen dieser Stimmung Rechnung<br />
und sahen im Gesamtzusammenhang von nunmehr<br />
insgesamt 38 bzw. 36 Landkreisen einen Großkreis Biberach-Saulgau<br />
sowie einen Großkreis Sigmaringen einschließlich<br />
des württembergischen Mengen sowie der badischen<br />
Raumschaften Pfullendorf und Meßkirch vor. Allerdings<br />
sollten nach den beiden Gutachten sämtliche neuen<br />
Kreise in insgesamt 12 bzw. 13 Regionalverbände mit weitreichenden<br />
Planungszuständigkeiten integriert werden - im<br />
Fall von Biberach-Saulgau sollte dies die Region Donau-<br />
Riß mit Sitz in Ulm und im Fall von Sigmaringen die Region<br />
Oberschwaben/Ravensburg sein.<br />
Eben diese Zuordnung nach Ulm, die Anfang 1971 in einer<br />
Stuttgarter Regierungsvorlage übernommen wird, läßt in<br />
der Stadt Saulgau sowie den benachbarten Göge-Gemeinden<br />
einen »Bürgeraufstand« ausbrechen, wie ein Zeitungsbericht<br />
aus jenen hektischen Wochen vermeidet. Ende Januar<br />
1971 bildet sich in Saulgau eine Bürgerinitiative, die innerhalb<br />
kürzester Zeit 1250 Unterschriften für einen<br />
Anschluß der Stadt und ihres Umlandes an den neuen Kreis<br />
2<br />
Sigmaringen und mit diesem an die Region Oberschwaben/Ravensburg<br />
sammelt. »Wir haben nicht zwischen Biberach<br />
und Sigmaringen, sondern zwischen Ulm und Ravensburg<br />
zu wählen. Diese Entscheidung kann nur Ravensburg<br />
heißen, wenn wir auch in Kauf nehmen müssen, daß der<br />
Weg dorthin zunächst über Sigmaringen geht«, heißt es in<br />
einem Flugblatt der Bürgerinitiative. Im Großkreis Biberach<br />
wäre das am Rande gelegene und des größten Teils seines<br />
Umlandes beraubte Saulgau das fünfte Rad am Wagen,<br />
während die Stadt bei Sigmaringen ihren Verflechtungsund<br />
Nahbereich erhalten und überdies eine angemessene<br />
Rolle im Kreis-Konzert spielen könne. Bereits am 4. Februar<br />
trifft sich der Saulgauer Gemeinderat, der sich noch im<br />
Dezember des Vorjahres mit 16 gegen eine Stimme für den<br />
Anschluß an Biberach ausgesprochen hatte, in Ostrach zu<br />
einem ersten Informationsgespräch mit dem Sigmaringer<br />
Kreisrat, und am 18. März stimmt das Stadtparlament in einer<br />
Sitzung von seltener Dramatik mit zehn gegen sechs<br />
Stimmen für die Zuordnung zum künftigen Großkreis Sigmaringen.<br />
»Wir sollten dahin gehen, wo die meisten Freunde<br />
sitzen«, rechtfertigt Bürgermeister Günther Strigl den<br />
Sinneswandel und sieht nunmehr bei Sigmaringen weitaus<br />
bessere Entfaltungs- und Gestaltungschancen für seine<br />
Stadt als bei Biberach. Vergeblich bleibt die Intervention<br />
von Stadtrat Blank, der sich gegen den »lebensschwachen«<br />
Kreis Sigmaringen ausspricht, der nur seiner Tradition wegen<br />
aufrechterhalten werden solle und dem Saulgau zum<br />
Auffüllen diene.<br />
Nahezu zeitgleich zu Saulgau kippt auch in zahlreichen<br />
Umlandgemeinden der Stadt die Stimmung zugunsten eines<br />
Anschlusses an Sigmaringen um. Nachdem sich auch in der<br />
Göge eine Pro-Sigmaringen-Bürgerinitiative gebildet hatte<br />
und binnen kurzer Frist an die 1000 Unterschriften zusammengekommen<br />
waren, sprechen sich zwischen Ende Februar<br />
und Anfang April 1971 die Gemeinden Bremen, Hohentengen-Beizkofen,<br />
Oelkofen, Günzkofen und Ursendorf<br />
und sodann auch Herbertingen und Marbach bei Bürgeranhörungen<br />
oder Gemeinderatsbeschlüssen mit großer Mehrheit<br />
für ein Zusammengehen mit Sigmaringen aus. Der Sonderausschuß<br />
des Landtags für die Verwaltungsreform und<br />
sodann auch das Landesparlament selbst respektieren diesen<br />
Meinungsumschwung und weisen den Mittelbereich<br />
Saulgau nebst der Göge und dem Raum Herbertingen dem<br />
künftigen Großkreis Sigmaringen zu. Landrat Dr. Steuer<br />
bleibt nur die verbitterte Klage über die zu einem erheblichen<br />
Teil selbstverschuldete Auflösung und Vierteilung des<br />
Kreises Saulgau, dessen Gemeinden auf die neuen Kreise Biberach,<br />
Sigmaringen, Ravensburg und Reutlingen aufgegliedert<br />
werden.<br />
Strittige Zuordnung des oberen Linzgaus<br />
Von kaum geringerer Brisanz und Dramatik ist das Kreisreform-Geschehen<br />
im oberen Linzgau: Nachdem der Nordteil<br />
des bisherigen Landkreises Überlingen zunächst dem<br />
geplanten Großkreis Konstanz-Überlingen-Stockach und<br />
sodann dem neu zu bildenden Seekreis Friedrichshafen zugeordnet<br />
werden soll, kommt es in Pfullendorf im Frühjahr<br />
1971 zu einem nach Auffassung vieler Umlandgemeinden<br />
»urplötzlichen« Meinungsumschwung und zu einem Gemeinderats-Votum<br />
zugunsten eines Anschlusses an Sigmaringen.<br />
Ähnlich wie die Saulgauer sehen auch die Pfullendorfer<br />
im neuen Kreis Sigmaringen bessere Mitbestimmungs-<br />
und Entfaltungschancen als an der Peripherie des<br />
Seekreises. Ein Teil der Umlandgemeinden will diesen Pfullendorfer<br />
Schwenk gen Sigmaringen indessen nicht mitmachen<br />
und fühlt sich von der Stadt »überfahren«. Hattenweiler<br />
und Taisersdorf halten weiterhin am Seekreis fest, und
5obctt3oUcrtföc taube ^<br />
Mitteilungen aus dem <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Veranstaltungen im 2. Quartal 1999<br />
I. Mitgliederversammlung<br />
Die Jahresversammlung des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
e.V. findet am Montag, 10. Mai, um 18.30<br />
Uhr im Spiegelsaal des Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen<br />
statt. Hierzu sind alle Mitglieder des Vereins<br />
herzlich eingeladen.<br />
Programm:<br />
1. Begrüßung und Nachrufe,<br />
2. Bericht des Vorsitzenden,<br />
3. Bericht des Schatzmeisters,<br />
4. Rechnungsprüfungsbericht zum 31.12.1998<br />
5. Sonstiges<br />
Weitere Tagungsordnungspunkte oder Ergänzungen<br />
sind bis spätestens 3. Mai 1999 an das Sekretariat des <strong>Geschichtsverein</strong>s,<br />
Karlstraße 1/3, 72488 Sigmaringen (Tel.<br />
07571/101-558) zu richten.<br />
Im Anschluß an die Mitgliederversammlung findet um<br />
20 Uhr am gleichen Ort ein öffentlicher Vortrag statt.<br />
Dr. Jürgen Klöckler, Universität Konstanz:<br />
Königreich Schwaben oder schwäbisch-alemannische<br />
Demokratie?<br />
Pläne zur staatlichen Neugliederung Südwestdeutschlands<br />
unmittelbar nach 1945.<br />
II. Vortrag<br />
Prof. Dr. Götz Schneider, Universität Stuttgart:<br />
Warum gibt es Erdbeben auf der Schwäbischen Alb?<br />
Samstag, 8. Mai, um 20 Uhr im Feuerwehrgerätehaus in<br />
Jungingen.<br />
Anlaß zu dem Vortrag, der gemeinsam von der Gemeinde<br />
Jungingen und dem Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
veranstaltet wird, bildet der Bau des ersten größeren<br />
Seismometers durch einen Junginger Feinmechani-<br />
Großschönach droht zeitweise am innerdörflichen Streit<br />
zwischen den nach Pfullendorf strebenden Aftholderbergern<br />
und dem Uberlingen favorisierenden Kernort zu zerbrechen,<br />
ehe sich dann am 20. Juni 1971 bei einer Bürgeranhörung<br />
eine deutliche Mehrheit für den Anschluß an den<br />
Kreis Sigmaringen findet. Die hochemotionale Auseinandersetzung<br />
erreicht im Mai 1971 ihren Höhepunkt, als der<br />
Pfullendorfer Bürgermeister Hans Ruck in einem offenen<br />
Brief dem Überlinger Landrat und Landtagsabgeordneten<br />
Schiess die Schuld an der mittlerweile vom Kreisreform-<br />
Sonderausschuß des Landtags beschlossenen »Zerstückelung«<br />
des nördlichen Linzgaus auf die künftigen Kreise<br />
Friedrichshafen, Sigmaringen und Ravensburg zuschreibt<br />
und diesem unterstellt, daß dessen zwischen Kleinstadelhofen<br />
und Hattenweiler gelegene Jagd und Fischerei bei der<br />
neuen Grenzziehung eine Rolle gespielt haben könnte.<br />
ker vor 90 Jahren in Straßburg. Im Anschluß an die Veranstaltung<br />
folgt ein Stehempfang.<br />
Prof. Dr. Schneider lehrt am Institut für Geophysik der<br />
Universität Stuttgart und ist ein international angesehener<br />
Erdbebenforscher.<br />
III. Exkursion<br />
Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> veranstaltet am<br />
Samstag, 12. Juni, eine Ganztagesexkursion zur Ausstellung<br />
Menschen, Mächte, Märkte - Schwaben vor 1000Jahren<br />
nach Villingen.<br />
Den Teilnehmern werden unter der Leitung des Vereinsmitglieds<br />
Dr. Casimir Bumiller kompetente Führungen<br />
durch die historische Stadt Villingen und die Ausstellung<br />
geboten.<br />
Abfahrt: Sigmaringen 7.30 Uhr (Haltestelle gegenüber<br />
der Marstallpassage),<br />
Hechingen 8.30 Uhr (Obertorplatz).<br />
Rückkehr: Sigmaringen ca. 18 Uhr (Marstallpassage),<br />
Hechingen ca. 19 Uhr (Obertorplatz).<br />
Anmeldungen sind bis spätestens 9. Juni zu richten an:<br />
- Teilnehmer aus dem Bereich Hechingen:<br />
Herrn Dr. Vees (Tel. 07471/9381-0).<br />
- Teilnehmer aus dem Bereich Sigmaringen:<br />
Frau Liebhaber (Tel. 07571/101-558 außer montags).<br />
IV. Vorankündigung<br />
Die Landratsämter (Kreisarchive) Rottweil, Sigmaringen,<br />
Tuttlingen und Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische<br />
<strong>Geschichtsverein</strong> werden am Samstag, 16.<br />
Oktober, in der Hohenberghalle in Schömberg-Schörzingen<br />
die Vortragsveranstaltung<br />
Vorderösterrreich an oberem Neckar und oberer Donau<br />
anbieten. Zu dieser Veranstaltung, die musikalisch umrahmt<br />
wird, konnten eine Reihe sachkundiger Referenten<br />
gewonnen werden.<br />
gez. Dr. Becker<br />
Vorsitzender<br />
Der Kampf um die Feinabgrenzung der neuen Großkreise<br />
dauert bis zur letzten Minute, als im Juli 1971 der Stuttgarter<br />
Landtag die endgültigen Reformbeschlüsse faßt. In einer<br />
Kampfabstimmung weist dabei das Landesparlament auf<br />
Antrag des Sigmaringer Abgeordneten Franz Gog das<br />
schon an Tuttlingen verloren geglaubte Beuron doch noch<br />
dem Kreis Sigmaringen zu, während die hohenzollerischen<br />
Gemeinden Langenenslingen und Billafingen samt acht umliegenden<br />
Saulgauer Kreisgemeinden trotz der enormen<br />
Entfernung zur neuen Kreisstadt an Biberach gehen. Gegen<br />
ihren erklärten Willen werden die fünf hohenzollerischen<br />
Hohenfels-Gemeinden dem Kreis Konstanz zugeschlagen,<br />
Winterlingen und die vier bisherigen Sigmaringer Kreisgemeinden<br />
Benzingen, Harthausen auf der Scheer, Kaiseringen<br />
und Straßberg kommen zu Balingen. Nachdem sie gegen<br />
ihren Widerstand zunächst dem Großkreis Ravensburg<br />
zugeordnet werden, gelingt den badischen Gemeinden 111—<br />
3
'// ^X'ürttembcrqisciicr Ante::<br />
• Trochcelfingen<br />
Der 1973 gebildete »Dreiländerkreis« Sigmaringen mit seinen landsmannschaftlichen Anteilen. Vorlage: Gregor Richter u. a.: Der Landkreis<br />
Sigmaringen. Geschichte und Gestalt. Sigmaringen 1981, S. 25.<br />
mensee, Illwangen und Ruschweiler im letzten Moment<br />
doch noch der Anschluß an Sigmaringen.<br />
Das Ende von Hohenzollern<br />
Die Kreisreform bedeutete auch das Ende des Landeskommunalverbandes<br />
der Hohenzollerischen Lande, einer 1875<br />
nach preußischem Vorbild gebildeten kommunalen Selbstverwaltungseinrichtung,<br />
die mit Hilfe jährlicher Staatsdotationen<br />
ihr übertragene staatliche Aufgaben vor allem im Sozialbereich,<br />
im Straßenwesen sowie der Kultur- und Wirtschaftspflege<br />
in eigener Zuständigkeit und Verantwortung<br />
sowie mit eigenen Selbstverwaltungsgremien erfüllt hatte.<br />
Als nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Untergang<br />
Preußens die beiden hohenzollerischen Landkreise Hechingen<br />
und Sigmaringen mit den gleichfalls französisch besetzten<br />
südwürttembergischen Kreisen zum neuen Land Würt-<br />
4<br />
temberg-Hohenzollern vereinigt werden, gibt das 1950<br />
erlassene»Gesetz über die Selbstverwaltung der Hohenzollerischen<br />
Lande« diesen den überkommenen Sonderstatus<br />
in der kommunalen Selbstverwaltung zurück. Bereits in<br />
den 1960er Jahren macht sich unübersehbar eine gewisse<br />
Konkurrenzsituation bemerkbar zwischen dem gesamt-hohenzollerischen<br />
Kommunalverband, der über die jährliche<br />
Landesumlage zum Kostgänger der beiden Kreise wird, und<br />
den Landkreisen Hechingen und Sigmaringen, die nach einer<br />
Angleichung der hohenzollerischen Verhältnisse an die<br />
im Südweststaat allgemein praktizierten Formen kommunaler<br />
Selbstverwaltung und Aufgabenwahrnehmung streben.<br />
Für den Landeskommunalverband - dem hohenzollerischen<br />
Landeshistoriker Fritz Kallenberg zufolge eine<br />
»aschgraue, glanzlose bürokratische Institution«, die allerdings<br />
ihre Verwaltungsaufgaben einwandfrei erfüllte - rührt<br />
sich denn auch keine Hand, als die Landesregierung mit der
Kreisreform dessen Aufhebung beschließt und damit die<br />
letzte noch verbliebene politische Klammer zwischen den<br />
beiden bisherigen hohenzollerischen Kreisen wegfällt.<br />
Hohenzollern gehört mit der Kreisreform als staatsrechtliches<br />
Gebilde der Vergangenheit an. Von den beiden hohenzollerischen<br />
Kreisstädten überlebte nur Sigmaringen als Sitz<br />
eines Landratsamtes, Hechingen fiel an den neugebildeten<br />
Zollernalbkreis mit dem Verwaltungssitz in Balingen. Die<br />
bis heute mitten durch den Landkreis Sigmaringen, wobei im<br />
ersten Fall die hohenzollerischen Ortschaften zur Erzdiözese<br />
Freiburg, im zweiten Fall dagegen zur Württembergischen<br />
Landeskirche mit Sitz in Stuttgart gehören. Keine Vereinheitlichung<br />
gelang bislang auch im Sparkassenbereich, wo<br />
sich zum 1. Januar 1974 zwar die Sigmaringer Hohenzollerische<br />
Landesbank und die Kreissparkasse Saulgau vereinigten,<br />
die badischen Bezirkssparkassen in Meßkirch und Pful-<br />
Den heraldischen Übergang von Hohenzollern zu Vorderösterreich markiert das 1978 verliehene Wappen des neuen Landkreises Sigmaringen:<br />
An die Stelle des alten Sigmaringer Kreiswappens von 1954 mit dem schreitenden goldenen Hirsch auf rotem Grund und dem schwarzsilbernen<br />
Hohenzollern-Geviert im Schildfuß tritt nach etlichen Auseinandersetzungen als Kompromiß zwischen Badenern, Hohenzollern<br />
und Württembergern im neuen Landkreis der Sigmaringer Grafschafts-Hirsch in Verbindung mit dem silbernen österreichischen Bindenschild.<br />
Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen.<br />
ehemals 121 hohenzollerischen Gemeinden verteilen sich<br />
seit 1973 auf neun verschiedene Kreise, immerhin 58<br />
gehören dem Landkreis Sigmaringen in seiner neuen Gestalt<br />
an. Besaß der alte hohenzollerische Landkreis Sigmaringen<br />
einen starken Schwerpunkt auf der Alb bis hinauf nach<br />
Trochtelfingen, so erfährt das Sigmaringer Kreisgebiet 1973<br />
mit dem Erwerb der württembergischen Gebiete um Saulgau<br />
und Mengen sowie der badischen Raumschaften Pfullendorf<br />
und Meßkirch eine deutliche Gewichtsverlagerung<br />
auf die Südseite der Donau und damit in Richtung Oberschwaben.<br />
Als nach zweijähriger Aufregung und Konflikten die neuen<br />
Landkreisgrenzen schließlich feststanden, teilten nicht wenige<br />
Bürger die Haltung, die der Meßkircher Stadtrat Knittel<br />
bereits Ende 1970 in der Kreisreform-Debatte geäußert<br />
hatte: »Es ist mir egal, ob an meinem Auto Tut oder Fut<br />
steht.« Das Zusammenleben in den neuen Landkreisen entwickelte<br />
alsbald eine eigene Dynamik, die mittlerweile über<br />
die ehemaligen Kreis- und Ländergrenzen hinwegreichende<br />
neue Zusammengehörigkeiten und Verbindungen wachsen<br />
ließ - bis zur nächsten Kreisreform.<br />
Alte Grenzen erweisen sich als zählebig<br />
In nicht wenigen Bereichen erwiesen sich die alten Kreisund<br />
Landesgrenzen indessen über die Kreisreform hinaus als<br />
ausgesprochen zählebig: Die Grenzen der katholischen Diözesen<br />
wie auch der evangelischen Landeskirchen verlaufen<br />
lendorf dagegen bis heute ein Eigenleben führen. Gleiches<br />
gilt für den Sportkreis Sigmaringen, der lediglich die württembergischen<br />
und hohenzollerischen Kreisteile und Sportvereine<br />
umfaßt, mit den im badischen Landessportbund organisierten<br />
Vereinen in den Räumen Pfullendorf, Meßkirch<br />
und Stetten a. k. M. dagegen nur in einer 1975 gebildeten losen<br />
Arbeitsgemeinschaft kooperiert. Noch bunter sind die<br />
Verhältnisse bei den Sängern, wo sich der Landkreis Sigmaringen<br />
immerhin auf vier Gaue verteilt. Die alten Kreisgrenzen<br />
widerspiegelten sich bis vor kurzem schließlich auch in<br />
der hiesigen Zeitungslandschaft mit ihren, entlang den alten<br />
Verwaltungszugehörigkeiten nahezu hermetisch abgegrenzten<br />
Verbreitungs- und Berichterstattungsgebieten. Eine<br />
rühmliche Ausnahme bilden dagegen die Blasmusiker, die<br />
seit 1979 in einem einheitlichen Blasmusikverband Sigmaringen<br />
unter einem Dach vereinigt sind.<br />
Positive Bewertung des »Dreiländerkreises« Sigmaringen<br />
Eine Ende 1998 vorgenommene Umfrage des Kreisarchivs<br />
bei elf kommunalpolitischen »Veteranen« der Kreisreform-<br />
Kämpfe vor 25 Jahren ergab in der nachträglichen Bewertung<br />
der Verwaltungsneugliederung eine weitgehende<br />
Übereinstimmung: Die befragten Landräte, Bürgermeister,<br />
Kreisräte und weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen<br />
Lebens aus jenen stürmischen Tagen halten im nachhinein<br />
mit ganz wenigen Ausnahmen die vollzogene Reform für<br />
prinzipiell sinnvoll und bewerten das politische und auch<br />
menschliche Miteinander und die Integration im 1973 neu<br />
5
zugeschnittenen »Dreiländerkreis« Sigmaringen als positiv<br />
und gelungen. Bedauert wird vielfach, daß der neugeschaffene<br />
Landkreis durch die Zuordnung weiterer Nachbarräume<br />
- namentlich der Bereiche Straßberg-Winterlingen, Langenenslingen<br />
und Altshausen - nicht wirtschaftlich und finanziell<br />
stärker ausgestattet worden ist. Die Aussagen aus<br />
dem Saulgauer Raum machen auch nach einem Vierteljahrhundert<br />
keinen Hehl daraus, daß die Zuordnung nach Sigmaringen<br />
keine Liebesheirat, sondern ausschließlich eine<br />
kühl kalkulierte »Vernunftehe« war, in der man allerdings<br />
zum Nutzen der eigenen Gemeinde durchaus gut gefahren<br />
sei und sogar Freunde gefunden habe. Nahezu durchgehend<br />
Quellen und Literatur:<br />
Landratsamt Sigmaringen, Kultur- und Archivamt, Dienstregistratur<br />
Az. 361.1 Projekt 25 Jahre Kreisreform - Fragebogen-Umfrage<br />
vom Dezember 1 998 zur Kreisreform 1972/73.<br />
Kreisarchiv Sigmaringen 11 - 1991/2 Nr. 284A u. B, 111 - 1991/1<br />
Nr. 3.<br />
Otto H. Becker: »... daß auch im Zuge der Kreisreform ein Land-<br />
OTTO H. BECKER<br />
Zeugnisse der Fidelisverehrung in Brasilien<br />
Nach seiner Kanonisation 1746 wurde die Verehrung des<br />
Heiligen Fidelis von Sigmaringen von allen Zweigen der<br />
Franziskusorden in ihren Missionsgebieten in Lateinamerika,<br />
Afrika, Asien und Ozeanien verbreitet. Die Saat der<br />
Söhne des Heiligen Franz von Assisi ist dabei offensichtlich<br />
besonders gut in der ehemaligen portugiesischen Kolonie<br />
Brasilien aufgegangen. So gibt es in diesem südamerikanischen<br />
Land nicht nur den Ordensnamen des Sigmaringer<br />
Stadtheiligen und Landespatrons von Hohenzollern, sondern<br />
auch den Herkunftsort von St. Fidelis als Vornamen.<br />
In einem Schreiben des »Instituto Hans Staden de Ciencias,<br />
Letras e Intercambio Cultural Brasileiro - Alemäo« in Säo<br />
Paulo vom 7. Dezember 1992 wurde der Verfasser in diesem<br />
Zusammenhang ausdrücklich auf den zeitgenössischen brasilianischen<br />
Politiker namens Sigmaringa Seixas hingewiesen.<br />
Selbstverständlich trägt das Zentrum der Kapuziner für<br />
franziskanische Spiritualität in Piracicaba im Bundesstaat<br />
Säo Paulo den Namen Seminário Seráfico Säo Fidelis. Der<br />
Fideliskult in diesem Lande hat aber vor allem auch in der<br />
Bezeichnung der Stadt »Säo Fidelis« im heutigen Bundesstaat<br />
Rio de Janeiro seinen Niederschlag<br />
gefunden.<br />
Die Stadt, rund 300 Kilometer nordöstlich<br />
von der Metropole Rio de Janeiro<br />
gelegen, ist aus einer Siedlung<br />
hervorgegangen, die 1781 von den beiden<br />
aus Italien stammenden Kapuzinerpatres<br />
Angelo Maria da Lucca und<br />
Vittorio da Cambiasca am Fluß Paraiba<br />
zur Missionierung und Befriedung des<br />
wilden Indiostammes der Coroados<br />
gegründet worden ist. Wenige Jahre<br />
später ließen die beiden Kapuziner<br />
dort ein Kirchlein errichten, das sie zu<br />
Ehren des Heiligen Fidelis von Sigmaringen,<br />
des ersten Heiligen ihres Ordens<br />
und der Propaganda Fide, weihten.<br />
Das kleine Gotteshaus wurde ferner<br />
mit einem bescheidenen Hospiz<br />
und einer Schule zur Unterrichtung<br />
und Unterweisung der Eingeborenen<br />
versehen. Der Ort Säo Fidélís erfreute<br />
6<br />
sieht man den Landkreis in erster Linie als »Verwaltungsgebilde«,<br />
zu dem die Bürger eine weitaus schwächere emotionale<br />
Bindung besäßen als etwa zu ihrem Wohnort und ihrer<br />
Gemeinde. Die Entwicklung und Pflege eines Kreisbewußtseins<br />
könne aufgrund dieser primär funktionalen Wertigkeit<br />
und Wahrnehmung der Landkreise daher nur in begrenztem<br />
Umfang gelingen. Eine wichtige Aufgabe käme bei der<br />
Entwicklung einer »Kreisidentität« gleichwohl der politischen<br />
und menschlichen Kompetenz des Landrats als dem<br />
fahrenden Landkreis-Repräsentanten und darüber hinaus<br />
auch kreisweiten Initiativen und Projekten zumal in den<br />
Bereichen Kultur und Sport zu.<br />
kreis mit Hauptstadt im Raum Hohenzollern erhalten bleiben sollte«.<br />
Zur Bildung des Landkreises Sigmaringen.<br />
In: HH 42. J. (1 992), S. 49-58.<br />
Fritz Kallenberg: Die Sonderentwicklung Hohenzollerns. In:<br />
Ders.: Hohenzollern. Stuttgart u. a. 1996, S. 129-282 (= Schriften<br />
zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 23).<br />
sich daraufhin regen Zuzugs durch die Indios des Umlandes.<br />
Im Hinblick auf diese positive Entwicklung faßten die beiden<br />
Kapuzinerpatres nun den Plan, in dem Ort eine größere<br />
und repräsentativere Kirche zur Verehrung des Märtyrers<br />
Fidelis zu errichten. Nach der Inschrift hinter dem<br />
Hauptaltar wurde der Grundstein zu dieser Fideliskirche<br />
am 8. September 1799 gelegt; das fertiggestellte Gotteshaus<br />
konnte danach am 23. April 1809 schließlich eingeweiht<br />
werden. Bereits 1808 hatte man das ursprüngliche Fideliskirchlein<br />
in eine Rosenkranzkirche umgewandelt, ein Patrozinium,<br />
das in Brasilien übrigens für die Kirchen der<br />
Sklaven üblich war.<br />
Die neue Fideliskirche zeichnete sich sowohl durch ihre<br />
Größe als auch durch ihre Architektur aus. Der Bau mit<br />
dem Grundriß eines griechischen Kreuzes wird im Zentrum<br />
von einer eindrucksvollen Kuppel überragt. In deren unterem<br />
Teil sind Fresken der vier Evangelisten abgebildet. In<br />
den vier Nischen darüber befinden sich die Statuen von vier<br />
Fideliskirche in Saö Fidélis... Foto Marico Weichert, Köln
Heiligen aus dem Kapuzinerorden. Auf dem Fresko hinter<br />
dem mit einer Fidelisstatue versehenen Hochaltar sind die<br />
unbefleckte Jungfrau Maria, der Heilige Franz von Assisi,<br />
der Heilige Felix von Cantalice und der Märtyrer Fidelis<br />
von Sigmaringen dargestellt. Diese Fresken waren Schöpfungen<br />
der beiden Gründer von Säo Fidelis. Pater Angelo<br />
Maria da Lucca starb übrigens 1811. Vier Jahre später folgte<br />
ihm Pater Vittorio da Cambiasca in den Tod nach. Sein<br />
Nachfolger wurde Pater Giovanni Antonio da Lucca, der<br />
1831 in Säo Fidelis verstarb.<br />
Im Spätsommer 1815 besuchte der bedeutende Ethnograph<br />
und Naturforscher Maximilian Prinz zu Wied (1782-1867),<br />
ein Großonkel der Königin Elisabeth von Rumänien<br />
(1843-1916), auf seiner Brasilienreise auch Säo Fidelis. In<br />
seiner Reisebeschreibung, wovon ein Exemplar in der<br />
Fürstl. Hofbibliothek in Sigmaringen verwahrt wird, bemerkte<br />
der Prinz zu Wied bezüglich der Gründung und der<br />
Lage des Ortes: »S. Fidelis am schönen Ufer des hier ziemlich<br />
breiten Paraiba, ist eine Mission, ein Dorf der Coroados-<br />
und Coropo-Indier, und ward vor etwa 30 Jahren von<br />
einigen Capuciner-Mönchen aus Italien angelegt...«<br />
Über die Eingeborenen lesen wir in der Reisebeschreibung:<br />
»Kaum war der neue Tag angebrochen, so verfügten wir uns<br />
in die, den Coroados und Coropos, von den Missionarien<br />
erbauten Hütten. Wir fanden diese Menschen noch sehr originel,<br />
von dunkelbrauner Haut, völlig nationaler Gesichtsbildung,<br />
sehr markirten Zügen, und rabenschwarzen Haaren.<br />
Ihre Häuser sind recht gut und geräumig, von Holz<br />
und Lehm erbaut, und mit Dächern von Palmblättern und<br />
Rohr gedeckt wie die der Portugiesen. Man sieht darin die<br />
aufgehängten Schlafnetze und in der Ecke Bogen und Pfeil<br />
angelehnt...«<br />
Selbstverständlich besuchte der Naturforscher auch die Fideliskirche<br />
in Säo Fidelis. Darüber lesen wir in dem Buch:<br />
»Da der Tag unserer Ankunft zu S. Fidelis ein Sonntag war,<br />
so wohnten wir Morgens der Messe in der Klosterkirche<br />
bey, wo die Bewohner der umliegenden Gegend sich zum<br />
Theil aus Neugierde eingefunden hatten, um die fremden<br />
Gäste zu beschauen. Herr Pater Joäo hielt eine sehr lange<br />
Predigt, wovon ich nicht ein Wort verstand. Nachher stie-<br />
Quellennachweis:<br />
Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied: Reise nach Brasilien in den<br />
Jahren 1815 bis 1817. Frankfurt a. M. 1820.<br />
Literatur:<br />
a) Zur Geschichte von Säo Fidelis:<br />
Analecta Ordinis Minorum Capuccinorum in lucem edita jussu<br />
rmi. P. Bernardi ab Andermatt ...Vol. XIV. Romae 1898. S. 208 ff.<br />
Storia dell'attivitä missionaria dei Minori Capuccini nel Brasile<br />
(1538?—1889). Romae 1958. S. 162 ff.<br />
P. Frei Jacinto de Palazzolo O.F.M.Cap.: Histöria da Cidade de Säo<br />
Fidelis 1781-1963. Rio de Janeiro 1963.<br />
Aurenio Pereira Carneiro: Histöria de Säo Fidelis. Niteröi 1988.<br />
P. Oto Campos Braga: Carolärio - Säo Fidelis no Brasil. In: Richard<br />
Schell: Vida em Deus. Säo Fidelis de Sigmaringa. Trad. Frei Egberto<br />
Prangenberg OFM. Piracibaba - SP - 1993. S. 63 ff.<br />
EDWIN ERNST WEBER<br />
Fürstin Amalie Zephyrine in Inzigkofen<br />
Im Fürstlichen Park Inzigkofen wurde auf Initiative des<br />
örtlichen Bildungswerks sowie des Schwäbischen Albvereins<br />
ein Denkmal für den 1794 in der Französischen Revo-<br />
gen wir in dem unbewohnten Kloster umher und besahen<br />
seine Merkwürdigkeiten. Die Kirche ist groß, hell und<br />
geräumig, und von Pater Victorio, der erst vor ein Paar Monaten<br />
gestorben ist, ausgemahlt. Dieser Capuciner-Missionar<br />
hatte thätig für das Wohl der Indier gearbeitet, und lebte<br />
in sehr günstigem Andenken, da man hingegen den jetzigen<br />
Geistliche nicht so sehr zu lieben schien. Die Mahlerey im<br />
Innern der Kirche kann zwar nicht schön genannt werden,<br />
ist aber doch leidlich, und für diese abgeschiedene, wenig<br />
besuchte Gegend eine große Zierde, die den Fremden angenehm<br />
überrascht. Hinter dem Altar stehen die Nahmen der<br />
vier Missionäre angeschrieben, an der Seite sind eine Menge<br />
Votivtafeln aufgehangen ...«<br />
Die 1855 zur Gemeinde erhobene Missionsstation Säo Fidelis<br />
entwickelte sich ab 1864 zum Mittelpunkt eines bedeutenden<br />
Kaffeeanbaugebietes. Die gesamte Produktion<br />
konnte auf dem Fluß Paraiba verschifft werden. 1870 erfolgte<br />
sodann die Erhebung von Säo Fidelis zur Stadt. Nach<br />
der Aufhebung der Sklaverei in Brasilien 1888 setzte dort jedoch<br />
allmählich der Niedergang des Kaffeeanbaus ein. 1928<br />
legte das letzte Schiff im Hafen von Säo Fidelis ab. Heute ist<br />
der Fluß nicht mehr schiffbar. Seitdem bildet der Anbau von<br />
Zuckerrohr, Reis, Mais, Bananen und Baumwolle die Haupterwerbsquelle<br />
der Region. War die wirtschaftliche Lage zumeist<br />
wenig rosig, so wird in Säo Fidelis heute die Zukunft<br />
im Hinblick auf die Errichtung einer Obstsaftfabrik wieder<br />
hoffnungsvoller beurteilt.<br />
Heute zählt Säo Fidelis etwa 35 000 Einwohner. In der<br />
Stadt, in deren Zentrum sich die majestätische Kirche Säo<br />
Fidelis befindet, ist die Verehrung des Stadtheiligen selbstverständlich<br />
lebendig geblieben. Auch ein Interesse an dem<br />
historischen Kapuzinerpater Fidelis und seinen Wirkungsstätten<br />
im fernen Mitteleuropa ist in dieser brasilianischen<br />
Stadt vorhanden. So wird im April diesen Jahres vornehmlich<br />
auf Betreiben des bei der Deutschen Welle in Köln tätigen<br />
brasilianischen Redakteurs Marcio Weichert und seiner<br />
Frau Graga eine Ausstellung über »Säo Fidelis de Sigmaringa«<br />
gezeigt. Das Staatsarchiv Sigmaringen wird zu dieser<br />
Schau in Lateinamerika Reproduktionen von vier einschlägigen<br />
Dokumenten aus seinen Beständen beisteuern.<br />
h) Über den Ethnographen Maximilian Prinz zu Wied:<br />
Ph. Wirtgen: Prinz Maximilian zu Wied, sein Leben und wissenschaftlicheThätigkeit.<br />
Leipzig 1867.<br />
Prärie- und Piainsindianer. Die Reise in das innere Nord-America<br />
von Maximilian Prinz zu Wied und Karl Bodmer. Katalog zur Ausstellung<br />
des Landesmuseums Koblenz aus Anlaß des Rheinland-<br />
Pfalz-Tages 1993 in Neuwied. Mainz 1993.<br />
Unterstützung erfuhr der Verfasser bei seinen Nachforschungen,<br />
die nicht nur wegen der Sprachbarrieren schwierig waren, vornehmlich<br />
durch Frau Dr. Rosemarie E. Horch und Frau Margarida<br />
Pinsdorf vom »Instituto Hans Staden ...« in Säo Paulo, P. Dr. Oktavian<br />
Schmucki OFMCap., damals »Historisches Institut der Kapuziner«<br />
in Rom, Herrn Franz Ludwig Hepp, abwechselnd wohnhaft<br />
in Nova Friburgo in Brasilien und in Sigmaringen, und durch<br />
Herrn Redakteur Marcio Weichert in Köln. Ihnen allen möchte der<br />
Autor an dieser Stelle seinen aufrichtigen Dank sagen.<br />
lution hingerichteten Lieblingsbruder der Sigmaringer Fürstin<br />
Amalie Zephyrine rekonstruiert und der umliegende<br />
Parkbereich neu gestaltet. Finanziert wurde die Unterneh-<br />
7
mung durch Zuschüsse der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke<br />
und des Sigmaringer Fürstenhauses sowie durch<br />
Spenden aus der Bevölkerung.<br />
Zusammen mit der Teufelsbrücke, dem Amalienfelsen, dem<br />
»Känzele« (»Schöne Aussicht«) und der Eremitage gehörte<br />
der vermutlich im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts<br />
geschaffene Gedenkstein für Fürst Friedrich III. von Salm-<br />
Kyrburg zur historischen »Meublierung« der romantischen<br />
Parkanlage im Hangbereich des Donautals unterhalb des<br />
ehemaligen Klosters Inzigkofen. Das Denkmal erinnert an<br />
die dynastische Verbindung zwischen den Fürstenhäusern<br />
Hohenzollern-Sigmaringen und Salm-Kyrburg im ausgehenden<br />
18. Jahrhundert, die über die Person von Amalie Zephyrine<br />
von ausschlaggebender Bedeutung für den hohenzollerischen<br />
»Sonderweg« in der südwestdeutschen Geschichte<br />
des 19. und 20. Jahrhunderts geworden ist.<br />
Die dynastischen Bande zwischen den schwäbischen Hohenzollern<br />
und dem Zweig der linksrheinischen Wild- und<br />
Rheingrafen wurden 1781 und 1782 durch eine zweifache<br />
Eheverbindung geknüpft: Erbprinz Friedrich von Salm-<br />
Kyrburg heiratete zunächst die Sigmaringer Fürstentochter<br />
Johanna, ehe dann im Jahr darauf deren Bruder, Erbprinz<br />
Anton Aloys, die Ehe mit einer jüngeren Schwester Friedrichs,<br />
der 1760 geborenen Amalie Zepyhrine einging. In<br />
die folgenden zwei Jahrzehnte getrennt von ihrem Mann<br />
und bis zu dessen gewaltsamem Tod 1794 an der Seite ihres<br />
Bruders zumeist in Paris. Zu einer Versöhnung der Eheleute<br />
ist es auch nach der späteren Rückkehr von Amalie Zephyrine<br />
nach Hohenzollern nicht mehr gekommen.<br />
Ahnlich unglücklich verlief auch die Ehe zwischen Friedrich<br />
und Johanna, die unter dem verschwenderischen und<br />
haltlosen Lebensstil ihres Gatten unsäglich litt und kurz vor<br />
ihrem frühen Tod 1790 mit erst 25 Jahren ihre achtjährige<br />
Ehe als »wahres Fegefeuer« charakterisierte. Fürst Friedrich<br />
von Salm-Kyrburg erscheint im Lichte neuerer Forschungen<br />
in der Tat als ausgesprochen zwielichtige und problematische<br />
Gestalt, der mit seiner in erster Linie dem äußeren<br />
Schein und Prestige (»paraitre«) verpflichteten Verschwendungssucht<br />
und Projektenmacherei sein Haus in den Ruin<br />
führte. Seine unverhältnismäßigen Aufwendungen für eine<br />
extravagante Hofhaltung in Paris, rauschende Feste, überzogene<br />
Bauprojekte und risikoreiche Wirtschaftsunternehmungen<br />
standen in einem geradezu grotesken Mißverhältnis<br />
zu seinen bescheidenen Einkünften aus dem<br />
Familienbesitz im linksrheinischen Deutschland, in den<br />
österreichischen Niederlanden und in Frankreich und<br />
manövrierten den Fürsten bereits vor dem Ausbruch der<br />
Revolution in eine nahezu ausweglose Verschuldung und<br />
Plan vom hüRSTL.Hark Jnzigkofen,<br />
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Um 1900 entstandener Plan des Fürstlichen Parks Inzigkofen. Links in der Mitte ist der Standort des Denkmals für Fürst Friedrich III. von<br />
Salm-Kyrburg.<br />
Bildvorlage Kreisarchiv Sigmaringen<br />
beiden Eheverbindungen prallen konträre Lebensauffassungen<br />
aufeinander - hier provinzielle Bescheidenheit und<br />
Gediegenheit, dort weltläufiger Glamour und Verschwendung<br />
- und lassen die Beziehungen letztlich scheitern. Die<br />
in der mondänen Adelswelt des vorrevolutionären Paris<br />
groß gewordene Amalie Zephyrine fühlt sich in der schwäbischen<br />
Duodez-Residenz Sigmaringen denkbar unwohl,<br />
von ihrem Schwiegervater überwacht und von ihrem Gatten<br />
vernachlässigt und lieblos behandelt. Zehn Wochen nach<br />
der Geburt des Stammhalters, des späteren Sigmaringer<br />
Fürsten Karl, entflieht sie mit Hilfe ihres Bruders Friedrich<br />
aus den für sie unerträglichen Verhältnissen und verbringt<br />
8<br />
eine allgegenwärtige Bedrängnis durch Gläubiger, Pfändungen<br />
und Zwangsversteigerungen.<br />
Seine Unterstützung für die revolutionäre Bewegung in der<br />
Anfangsphase der Staatsumwälzung in Frankreich seit 1789<br />
ist neben zweifellos vorhandenen persönlichen Sympathien<br />
auch von der Hoffnung bestimmt, mit Hilfe der politischen<br />
Veränderungen aus seiner Schulden-Sackgasse zu entkommen.<br />
Dem gleichen Zweck dient auch die Erhebung von<br />
Erbansprüchen auf den niederländischen Besitz der verstorbenen<br />
Mutter seiner Ehefrau Johanna, deren früher Tod<br />
1790 Friedrich allerdings aller Chancen in der Erbauseinandersetzung<br />
mit seinem Sigmaringer Schwager Anton Aloys
eraubt. Mit der zunehmenden Radikalisierung der Revolution<br />
seit 1792 wird für Friedrich der Spagat zwischen seinen<br />
beiden Rollen als deutscher Reichsfürst einerseits und als<br />
Bürger der egalitären und antifeudalen französischen Republik<br />
andererseits immer schwieriger, unter der Anklage der<br />
Konspiration gegen den Staat wird er schließlich nach viermonatiger<br />
Einkerkerung am 23. Juli 1794 - vier Tage vor<br />
dem Sturz von Robespierre und dem Ende der jakobinischen<br />
Schreckensherrschaft - zum Tode verurteilt und zusammen<br />
mit 49 Mitangeklagten, darunter auch Alexandre<br />
de Beauharnais, wahrscheinlich noch am selben Tage auf der<br />
Guillotine hingerichtet.<br />
Amalie Zephyrine hält ihrem Lieblingsbruder, den sie gänzlich<br />
unkritisch und schwärmerisch verehrt, über seinen Tod<br />
hinaus die Treue. Nachdem sie sich zunächst vergeblich um<br />
die Exhumierung ihres in einem Massengrab im Garten eines<br />
ehemaligen Augustinerklosters in Paris beigesetzten<br />
Bruders bemüht hatte, erwirbt sie 1796 das gesamte Terrain,<br />
läßt es ummauern und mit einem vergitterten Eingang versehen<br />
sowie mit einem Gedenkstein zu Ehren Friedrichs<br />
ausstatten. Eine weitere Erinnerungsstätte läßt sie nach ihrer<br />
Niederlassung in Inzigkofen in dem auf ihre Initiative zu<br />
einer romantischen Parkanlage umgestalteten Hangbereich<br />
unterhalb des ehemaligen Augustinerchorfrauenstiftes anlegen.<br />
Auf einem freistellenden Jurakalkfelsen unweit des<br />
Parkeingangs wird hier in klassizistischem Stil ein rechteckiger,<br />
massiver Gedenkstein auf einem Doppelsockel und<br />
bekrönt von einer Ellipse errichtet, der die Inschrift »Meinem<br />
Bruder, der mir entrissen wurde - 23. Juli 1794« trägt.<br />
Der Gedenkstein geriet vor einigen Jahrzehnten in Abgang<br />
und wurde nunmehr als wichtiges Zeugnis der hohenzollerischen<br />
Landesgeschichte nach älteren Beschreibungen und<br />
Zeitzeugenerinnerungen von Inzigkofer Bürgern durch den<br />
Rulfinger Bildhauermeister Christoph Stauß rekonstruiert.<br />
Eine vom Kreisarchiv Sigmaringen entworfene zusätzliche<br />
Inschrift erläutert den Entstehungszusammenhang des<br />
Denkmals. Die Inzigkofer Ortsgruppe des Schwäbischen<br />
Albvereins übernahm die Neutrassierung des Steilwegs zur<br />
Denkmalshöhe sowie die Anbindung der Denkmalsroute<br />
an den Hauptwanderweg vom Parkeingang zum Amalienfelsen<br />
durch eine kleine Holzbrücke über den dort befindlichen<br />
Wassergraben.<br />
Die Rückkehr von Amalie Zephyrine nach Hohenzollern<br />
1808 nach 23jähriger Abwesenheit und damit auch ihre drei<br />
Jahre darauf erfolgende Niederlassung in Inzigkofen sind<br />
indirekte Folgen der »großen Politik«, in der die separierte<br />
Sigmaringer Fürstin in diesen Jahren der grundstürzenden<br />
politischen Umwälzungen auf nachhaltige Weise mitmischt.<br />
Amalie Zephyrine, die nach dem gewaltsamen Tod ihres<br />
Bruders ihres unruhigen und extravaganten Lebensstils in<br />
der französischen Hauptstadt offenkundig überdrüssig ist,<br />
sucht 1798 wieder den Kontakt zu ihrer hohenzollerischen<br />
Familie und zumal zu ihrem bereits im Jugendalter stehenden<br />
Sohn Karl, den sie seit ihrer Flucht aus Sigmaringen<br />
nicht mehr gesehen hatte. Sie bietet ihrem bezüglich einer<br />
Versöhnung reservierten Ehemann Anton Aloys einen<br />
»Deal« an: Als Gegenleistung für das Wiedersehen mit Erbprinz<br />
Karl will sie ihre vorzüglichen Kontakte zu Spitzenpersönlichkeiten<br />
des revolutionären Frankreich, zumal zu<br />
Außenminister Talleyrand sowie zu Josephine de Beauharnais<br />
und deren zweiten Gemahl Napoleon Bonaparte,<br />
zum Nutzen des Hauses Hohenzollern einsetzen.<br />
Weitaus mehr als dem in der Forschung lange Zeit hervorgehobenen<br />
Schutz durch das stammverwandte preußische<br />
Königshaus haben es die beiden hohenzollerischen Fürstentümer<br />
Sigmaringen und Hechingen eben diesen persönlichen<br />
Beziehungen und dem Einfluß von Amalie Zephyri-<br />
ne bei den französischen Staatsspitzen zu verdanken, daß<br />
ihre Duodezstaaten die unter dem Druck Napoleons erfolgende<br />
territoriale Flurbereinigung der Jahre 1803 bis 1806<br />
als souveräne Staaten unversehrt und im Fall von Sigmaringen<br />
sogar mit einigem Gebietszuwachs überstehen und<br />
nicht wie sämtliche anderen südwestdeutschen Klein- und<br />
Mittelterritorien an Baden oder Württemberg fallen. Die im<br />
Frühjahr 1806 bereits in der Residenzstadt Sigmaringen angebrachten<br />
württembergischen Besitznahmepatente werden<br />
auf Intervention von Amalie Zephyrine bei Napoleon<br />
von französischen Dragonern wieder entfernt.<br />
Der von Fürst Anton Aloys nur »blutenden Herzens« akzeptierte<br />
Preis für die von Amalie Zephyrine vermittelte<br />
Protektion von Napoleon für die beiden hohenzollerischen<br />
Fürstentümer ist die offenkundig von der Sigmaringer Fürstin<br />
und Kaiserin Josephine bereits 1806 eingefädelte Eheschließung<br />
von Erbprinz Karl mit der damals knapp<br />
14jährigen Gastwirtstochter Antoinette Murat, der Nichte<br />
von Napoleons Reitergeneral und Schwager Joachim Murat.<br />
Nach der Eheschließung Anfang 1808 übernimmt Amalie<br />
Zephyrine die ständige Begleitung ihrer jungen Schwiegertochter,<br />
die in den folgenden Jahren zumeist von ihrem<br />
in Militärdiensten Napoleons sowie des zum König von<br />
Neapel aufgestiegenen Joachim Murat stehenden Ehemann<br />
getrennt lebt. An der Seite des jungen Paares und gegen den<br />
anhaltenden Widerstand von Fürst Anton Aloys kehrt<br />
Amalie Zephyrine im Sommer 1808 nach 23 Jahren nach<br />
Sigmaringen zurück und läßt sich zusammen mit Sohn und<br />
Schwiegertochter zunächst im Schloß zu Krauchenwies nieder.<br />
1811 begründet sie in dem zu einem Schlößchen umgebauten<br />
ehemaligen Amtshaus des Augustinerchorfrauenstiftes<br />
Inzigkofen eine eigene Hofhaltung.<br />
Um die standesgemäße und repräsentative Unterbringung<br />
der Fürstin zu gewährleisten, erhält der 1726 errichtete klösterliche<br />
Verwaltungsbau eine klassizistische Blendfassade<br />
und im Westen einen Küchenanbau, der umgebende Garten<br />
wird mit Brunnenspielen und Skulpturen aus der antiken<br />
Götterwelt ausgestattet. Zwischen Schloß und Klosterkirche<br />
entsteht gleichfalls in klassizistischem Stil ein kleines<br />
Gebäude, das zunächst als Wachlokal für fünf Soldaten<br />
dient und nach 1840 zu einem Speisesaal (»Teehaus«) für die<br />
nunmehr in Inzigkofen untergebrachte Familie von<br />
Erbprinz Karl Anton, dem Enkel von Amalie Zephyrine,<br />
umgebaut wird. Vor allem aber wird auf Veranlassung der<br />
Fürstin der unterhalb von Kloster und Schlößle gelegene,<br />
bislang unbewaldete Donau-Hangbereich zu einem weitläufigen<br />
Park im englischen Stil umgestaltet. Das Hanggelände<br />
bildet den östlichen Ausgang des Durchbruchstals<br />
der jungen Donau durch die Schwäbische Alb und ist mit<br />
mannigfaltigen natürlichen Sehenswürdigkeiten wie Steilund<br />
Schaufelsen, Klüften und Grotten ausgestattet, die nunmehr<br />
mit Spazierwegen erschlossen und in eine teilweise<br />
raffinierte Bepflanzung mit Bäumen und Sträuchern eingebettet<br />
werden. Die Arbeiten dauern bis etwa 1829.<br />
Nach dem Erwerb der bislang fürstenbergischen Domäne<br />
Nickhof durch das Sigmaringer Fürstenhaus 1841 wird der<br />
Park nach Westen bis zum »Känzele« und den Grotten erweitert<br />
und erreicht seine bis heute bestehende Ausdehnung<br />
von ca. 25 Hektar. Die bis 1848 angelegte Lindenallee bildet<br />
dabei die Verbindung zwischen dem vorderen, älteren und<br />
dem hinteren, jüngeren Teil des Parks. Der besondere Reiz<br />
des Parks liegt von jeher im Zusammenklang von reizvoller<br />
Landschaft und natürlichen Sehenswürdigkeiten mit bewußten<br />
und effektvollen Eingriffen in die Natur und besonders<br />
der gezielten »Meublierung« des Parks mit künstlich<br />
geschaffenen »Highlights« wie Teufelsbrücke, Eremitage<br />
oder eben dem Denkmal für Fürst Friedrich III. von Salm-<br />
9
Kyrburg auf einem frei stehenden Kalkfelsen. Beim Amalienfelsen<br />
erstreckt sich der Park in einem kleinen Abschnitt<br />
auch auf das nördliche Donauufer, wo Amalie Zephyrine<br />
1817 auf einer schön gelegenen Anhöhe eine Eremitage anlegen<br />
läßt, die der Sigmaringer Fürstenfamilie und ihren Besuchern<br />
als beliebtes Ausflugsziel dient. 1853 erfolgte die<br />
Umgestaltung der Eremitage zur St. Meinradskapelle mit einem<br />
weithin sichtbaren Türmchen. Als Schauplatz für Festlichkeiten<br />
unter freiem Himmel diente die Steinwiese, eine<br />
unbewaldete Grünfläche südlich des Donauknies beim<br />
Amalienfelsen.<br />
Als Gäste des Sigmaringer Fürstenhauses kommen im 19.<br />
Jahrhundert nicht wenige illustre Persönlichkeiten nach Inzigkofen<br />
und in den dortigen Fürstlichen Park. Besonders<br />
häufig und offenbar auch gerne zu Besuch in Inzigkofen<br />
waren Fürst Friedrich IV. von Salm-Kyrburg, der Sohn des<br />
1794 hingerichteten Friedrich III. und Neffe Amalie Zephyrines,<br />
die in Arenenberg am schweizerischen Bodenseeufer<br />
ansässige Exkönigin Hortense von Holland, eine<br />
Tochter von Josephine Beauharnais und ihrem ersten Gemahl<br />
Alexandre de Beauharnais, sowie deren Sohn Louis<br />
Napoleon, der spätere französische Kaiser Napoleon III.<br />
Die innige Beziehung von Amalie Zepyhrine sowohl zu<br />
ihrem Neffen wie auch zu Hortense geht auf die Pariser Revolutionsjahre<br />
zurück, als sich die Fürstin in schwieriger<br />
Zeit geradezu rührend ihres Neffen sowie der Beauharnais-<br />
Vorderansicht des im Fürstlichen Park Inzigkofen rekonstruierten<br />
Gedenksteins der Sigmaringer Fürstin Amalie Zephyrine für ihren<br />
während der Französischen Revolution in Paris 1794 hingerichteten<br />
Bruder Fürst Friedrich III. von Salm-Kyburg. Die auf Amalie<br />
Zephyrine zurückgehende Inschrift lautet: »Meinem Bruder, der<br />
mir eintrissen wurde den 23. Juli 1794«. Fotos: E. Weber.<br />
10<br />
_ Jgf*<br />
Rückansicht des Gedenksteins mit einer vom Kreisarchiv Sigmaringen<br />
entworfenen Erläuterung über den Entstehungszusammenhang<br />
des Denkmals.<br />
Kinder nach dem Tod beider Eltern bzw. des Vaters angenommen<br />
hatte. Zweifellos den Höhepunkt dieser illustren<br />
Besuche bildete am 24. August 1851 ein kurzer Aufenthalt<br />
des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., des neuen<br />
Landesherrn der beiden hohenzollerischen Fürstentümern,<br />
der in den Tagen zuvor auf dem Hohenzollern sowie in Sigmaringen<br />
die Huldigung seiner neuen Untertanen entgegengenommen<br />
hatte. Im Inzigkofer Park wurde nunmehr<br />
vom Nachmittag dieses Tages bis in die finstere Nacht hinein<br />
eine festliche Unterhaltung für den König und seine<br />
zahlreiche Gefolgschaft geboten, die Ortschronist Josef<br />
Hartmann wie folgt beschreibt: »Die vielen und großartigen<br />
Abwechslungen von Kanonendonner, Männergesängen,<br />
bengalischem Feuer u.s.f. machten auf die zahlreiche Volksmenge<br />
einen imposanten, unvergeßlichen Eindruck«. Wohl<br />
im Bereich zwischen Klostermauer und Lindenallee war ein<br />
großes Zelt aufgeschlagen worden, unter dem Chronist<br />
Hartmann zufolge »Seine Königliche Majestät mit hohem,<br />
zahlreichen Gefolge (...) sich längere Zeit sehr vergnügt und<br />
traulich unterhielten, wo schon Alles aufs Glänzendste zum<br />
Soupe« vorbereitet war. Mit sichtlichem Vergnügen bemerkte<br />
der hohe Monarch bei einbrechender Dämmerung<br />
die »hochauflodernden Freudenfeuer nach allen Seiten hin«.<br />
Bliebe anzumerken, daß die Inzigkofer Dorfbevölkerung<br />
bei diesen fürstlichen Park-Vergnügungen allenfalls als<br />
Zaungäste, Statisten und dienstbare Geister vertreten war.<br />
Als Wohnstätte über einen längeren Zeitraum diente das Inzigkofer<br />
Schlößle dem Sigmaringer Fürstenhaus allerdings<br />
nur in zwei Fällen: Zum einen seit 1811 für die Fürstin
Amalie Zephyrine, die sich indessen 1822-24/25 in Sigmaringen<br />
an der Westseite des späteren Karlsplatzes das sog.<br />
Schlößle erbauen läßt, das später mit dem 1842-47 für ihren<br />
Enkel Karl Anton errichteten repräsentativen Prinzenbau<br />
zu einem zusammenhängenden Komplex vereinigt wurde,<br />
der heute als Dienstsitz des Staatsarchivs dient. Hier wohnte<br />
sie seit 1824 bis zu ihrem Tode 1841, der im hohen Alter<br />
von 81 Jahren durchaus unspektakulär im Bett erfolgte und<br />
keineswegs als Folge eines Sturzes auf einem weißen Schimmel<br />
vom Amalienfelsen in die Fluten der Donau, wie dies<br />
eine mitunter in Inzigkofen kursierende Sage wahrhaben<br />
will. Eine weitere intensive Nutzung des Schlosses erfolgte<br />
in den 1840er Jahren durch Erbprinz Karl Anton, der mit<br />
seiner Familie in Inzigkofen offenbar regelmäßig die Sommermonate<br />
verbringt. Der vierte Sohn des Prinzenpaares,<br />
Prinz Friedrich, erblickt in Inzigkofen das Licht der Welt.<br />
Eine Rolle spielt das Inzigkofer Schlüssle in der hohenzollerischen<br />
Revolution von 1848/49: Auf dem Höhepunkt des<br />
Sigmaringer Septemberaufstandes, als am 26. September<br />
1848 eine Volksversammlung mit mehr als 3000 Teilnehmern<br />
auf dem Karlsplatz die Einsetzung eines revolutionären<br />
»Sicherheitsausschusses« und die Entwaffnung des<br />
fürstlichen Militärs beschließt, wartet hier Fürst Karl Anton<br />
die Ereignisse ab und flieht tags darauf zusammen mit der<br />
Regierung ins badische »Ausland«, nach Uberlingen. Zuvor<br />
hatte Karl Anton noch die Frankfurter Zentralgewalt um<br />
Literatur<br />
Max Beck, Inzigkofen. Kurzchronik mit Bildern aus Inzigkofen,<br />
Vilsingen und Engelswies. Horb am Neckar 1988.<br />
Joachim Emig, Friedrich III. von Salm-Kyrburg (1745-1794). Ein<br />
deutscher Reichsfürst im Spannungsfeld von Ancien regime und<br />
Revolution.<br />
Josef Hartmann, Der unterhaltend belehrende Fremdenführer in<br />
den Fürstlichen Anlagen zu Inzigkofen. Sigmaringen 1875.<br />
Fritz Kallenberg, Fürstin Amalie Zephyrine von Hohenzollern-<br />
PETER THADDÄUS LANG<br />
Zum Feuerlöschwesen im Hohenzollerischen (Teil 2)<br />
Das Entstehen grosser industrieller Betriebe mit ihren auf<br />
kleinem Raum zusammengedrängten erheblichen Werten<br />
führte zur Errichtung von Werksfeuerwehren. Die erste war<br />
die Betriebsfeuerwehr des Hüttenwerks Lauchterthal vom<br />
Jahre 1910; im Kreis Hechingen folgten 1925 die Betriebsfeuerwehr<br />
S. Wolf & Cie in Stetten und 1936 der Firma<br />
Heinrich Maute in Bisingen. Zwei später hinzugekommene<br />
Werksfeuerwehren wurden nicht anerkannt und wieder<br />
aufgehoben.<br />
Der technische Fortschritt machte sich im Feuerlöschwesen<br />
besonders in der Motorisierung geltend. Den Anfang machte<br />
der Kreis Hechingen, der im Jahre 1924 den ersten automobilen<br />
Löschzug in Hohenzollern beschaffte und als<br />
Kreislöschzug organisierte. Im Kreis Sigmaringen legte sich<br />
die Gemeinde Sigmaringendorf im Jahre 1925 eine pferdebespannte<br />
Kraftspritze zu, die erste im Kreis Sigmaringen.<br />
Später bildeten sich Feuerlöschverbände von Gemeinden<br />
zur gemeinsamen Beschaffung und Haltung von automobilen<br />
Kraftspritzen, und schließlich beschafften sich<br />
auch verschiedene Ortsfeuerwehren Trag-Kraftspritzen.<br />
Die Werksfeuerwehren waren von Anfang an motorisiert.<br />
Im Gefolge der im Jahre 1935 eingeleiteten politischen Ereignisse<br />
griff das neu aufkommende autoritäre Prinzip auch<br />
Wiederherstellung der Ordnung in seinem Fürstentum ersucht<br />
- was dann am 10. Oktober 1848 in Gestalt einer Militärintervention<br />
durch 2000 Mann bayerische Truppen<br />
auch geschieht und der Sigmaringer »De-facto-Republik«<br />
ein abruptes Ende bereitet.<br />
In Inzigkofen ist die Erinnerung an Amalie Zephyrine und<br />
ihr abenteuerliches Leben in besonderem Maße lebendig geblieben.<br />
Dazu hat in erster Linie der von ihr veranlaßte<br />
Fürstliche Park und hier zumal der nach der Sigmaringer<br />
Fürstin benannte Amalienfelsen mit dem Allianzwappen<br />
der Häuser Salm-Kyrburg und Hohenzollern-Sigmaringen<br />
sowie der Inschrift »Andenken an Amalie Zephyrine 1841«<br />
beigetragen, der, wie geschildert, offenbar die Phantasie zu<br />
manchen legendenhaften Ausschmückungen anzuregen<br />
vermag. Wer die Anbringung von Allianzwappen und Inschrift<br />
an dieser Stelle eigentlich veranlaßt hat, konnte aus<br />
den Quellen bislang nicht ermittelt werden. Denkbar wäre,<br />
daß die Initiative von Erbprinz Karl Anton ausgegangen ist,<br />
der in den 1840er Jahren längere Zeit mit seiner Familie das<br />
für seine Großmutter umgebaute Inzigkofer Schlößle bewohnte<br />
und dem abweichend von den in der älteren Landesgeschichtsschreibung<br />
mitunter unzutreffenden moralisch<br />
bestimmten Vorbehalten gegenüber dem »Teufelsweib«<br />
- eine positive Würdigung der Fürstin und ihrer<br />
herausragenden Rolle in der hohenzollerischen Landesgeschichte<br />
am ehesten zuzutrauen wäre.<br />
Sigmaringen. In: Ders. (Hg.), Hohenzollern. Stuttgart u. a. 1996,<br />
S. 452-459.<br />
Fritz Kallenberg, Hohenzollern im Alten Reich. In: Ebenda,<br />
S. 48-128.<br />
Wilfried Schöntag, »... daß die Rheinbunds-Acte das Fürstenhaus<br />
größer, mächtiger und reicher - das Land aber unfreier und ärmer<br />
gemacht hat ...« Die Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und<br />
Hohenzollern-Sigmaringen im Zeitalter Napoleons. In: Baden und<br />
Württemberg im Zeitalter Napoleons. Hg. v. Württembergischen<br />
Landesmuseum. Band 2 Aufsätze. Stuttgart 1987, S. 81-102.<br />
auf das Feuerwehrwesen über. Für Preussen und damit auch<br />
für Hohenzollern wurde am 15.12.1933 ein neues Feuerwehrgesetz<br />
erlassen, dass die Feuerwehren stärker als bisher<br />
der Polizeiaufsichtsbehörde unterstellte. An die Stelle der<br />
Führerbestellung durch, die Wahl trat die Ernennung.<br />
Eine bedeutsame organisatorische Neuerung brachte das<br />
Jahr 1938. Durch das Reichsfeuerlöschgesetz vom<br />
23. 11. 1938 wurden die Landes- und Kreisfeuerwehrverbände<br />
aufgehoben und die Feuerwehren in eine technische<br />
Hilfspolizeitruppe umgewandelt. An die Spitze der Feuerlöschpolizei<br />
in Hohenzollern trat der vom Regierungspräsidenten<br />
ernannte Bezirksführer der Freiwilligen Feuerwehr.<br />
Die Feuerwehr-Kreisführer wurden von den Landräten ernannt.<br />
Während des zweiten Weltkrieges war der Mannschaftsbestand<br />
der Feuerwehren durch Einberufungen stark geschwächt,<br />
doch traten ältere Feuerwehrmänner in die<br />
Lücken. Auch Jugendabteilungen und sogar Frauenabteilungen<br />
wurden gebildet.<br />
Im Sommer 1945, wenige Monate nach Beendigung der<br />
Kriegshandlungen, wurde das Feuerlöschwesen neu organisiert.<br />
Die Einbeziehung der Freiwilligen Feuerwehren in die<br />
Polizei, die sich nicht bewährt und auch dem Willen der<br />
11
Feuerwehrmänner nicht entsprochen hatte, wurde wieder<br />
aufgegeben. Da die Feuerwehren auch in wirren Zeiten innerlich<br />
gesund geblieben waren, vollzog sich der Neuaufbau<br />
rasch, gefördert durch das besondere Verständnis und<br />
Interesse der französischen Besatzungsmacht. Von der<br />
Geräteausrüstung war nur wenig verloren gegangen. Seit<br />
dem Frühjahr 1946 steht die lückenlos organisierte Feuerwehr<br />
wieder in voller Schlagkraft zum Einsatz gegen<br />
Feuersgefahr bereit.<br />
Organisation. Die Freiwilligen Feuerwehren bilden nach<br />
wie vor die Grundlage des Feuerlöschwesens. Es wird angestrebt,<br />
in jeder Gemeinde eine Freiwillige Feuerwehr zu<br />
gründen. Pflichtfeuerwehren werden nur dann errichtet,<br />
wenn es nicht gelingt, genügend Freiwillige zur Bildung einer<br />
Feuerwehr zu bekommen. Im Kreis Hechingen bestehen<br />
nach dem Stand vom 30. Juni 1946 39 Freiwillige Feuerwehren<br />
(darunter 11 motorisierte) sowie 8 Pflichtfeuerwehren<br />
mit einem Gesamt-Mannschaftsbestand von 2100<br />
Mann, im Kreis Sigmaringen 50 Freiwillige Feuerwehren<br />
(darunter 6 motorisierte) und 33 Pflichtfeuerwehren mit zusammen<br />
1700 Mann. Die Werkfeuerwehren, deren Zahl im<br />
Kreis Hechingen zuletzt 2 und im Kreis Sigmaringen 1 betrug,<br />
sind noch nicht in die Feuerlöschorganisation eingereiht.<br />
An der Spitze des Feuerlöschwesens in jedem Kreis<br />
steht der Kreisbrandmeister, der den Landesbrandmeister<br />
(Landesfeuerwehramt) in Tübingen unterstellt ist. Feuerwehrverbände<br />
sind noch nicht gebildet worden, doch wäre<br />
der Zusammenschluss auf Kreisgrundlage der Entwicklung<br />
des Feuerlöschwesens sehr förderlich und daher erwünscht.<br />
Die Gliederung der Feuerwehr in Löscheinheiten richtet<br />
sich nach den vorhandenen Fahrzeugen. Für jedes Fahrzeug<br />
ist eine Gruppe eingeteilt, die aus dem Führer und 8 Mann<br />
besteht, und zwar 1 Maschinist, 1 Melder, 2 Mann Angriffstrupp,<br />
2 Mann Wassertrupp und 2 Mann Schlauchtrupp.<br />
Zu jedem Fahrzeug kommt ausserdem eine gleich starke<br />
Reservetruppe für einen etwaigen Ausfall.<br />
Die Ausbildung erfolgt bei Übungen, die von den Feuerwehren<br />
alle vier Wochen, bei den motorisierten Wehren<br />
vierzehntägig abgehalten werden. In jedem Jahr beruft der<br />
Kreisbrandmeister die Feuerwehrkommandanten zu<br />
Dienstversammlungen ein.<br />
Die Geräteausrüstung ist befriedigend. Sie besteht aus automobilen<br />
Kraftspritzen, Tragkraftspritzen, pferdebespannten<br />
oder handgezogenen Handdruckspritzen, fahrbaren<br />
mechanischen Leitern, Schiebeleitern, Anstell-Leitern,<br />
Stock- und Dachleitern (Hakenleitern), Hydrantenwagen<br />
(Schlauchkarren) mit Zubehör wie Stand- und Strahlrohren<br />
und Werkzeugen. Zur Waldbrandbekämpfung stehen besondere<br />
Geräte bereit. Die Druckschläuche sind einheitlich<br />
genormt. Es gibt A-Saugschläuchen, B-Druckschläuche mit<br />
75 mm I.W., C-Druckschläuche mit 52 mm l.W. und<br />
25 mm-Schläuche für kleine Handdruckspritzen. Die<br />
Reichskupplung Storz ist in ganz Hohenzollern eingeführt,<br />
während im benachbarten württembergischen Bezirken<br />
teilweise noch die alte Giessbergkupplung verwendet wird.<br />
Kreisschlauchpßegerei. Zur Pflege der Druckschläuche richtete<br />
im Jahre 1941 der Kreisbrandmeister in Hechingen eine<br />
Kreisschlauchpflegerei ein, die heute von den Feuerwehren<br />
der Kreise Hechingen, Sigmaringen und Balingen benützt<br />
wird. Das schadhafte Schlauchmaterial wird dort gewaschen,<br />
in einer neuzeitlichen Trockeneinrichtung durch<br />
Warmluft von innen getrocknet und als dann geflickt und<br />
geprüft.<br />
Alarmmittel sind in den Städten Weckerlinien, in einigen<br />
Gemeinden Sirenen. Meist wird der Alarm durch Hornsignale<br />
und Glockengeläute gegeben.<br />
12<br />
Hydranten. Die meisten hohenzollerischen Gemeinden besitzen<br />
Wasserleitungen, in die ohne Ausnahme Hydranten<br />
eingebaut sind als Entnahmestellen für Löschwasser. In Hohenzollern<br />
sind zwei Hydrantenarten vertreten, die württembergischen<br />
Normalhydranten in betonierten Schächten<br />
und die badischen Hydranten, ebenfalls Unterflurhydranten,<br />
aber ohne Schacht. In den Straßen sind Hinweisschilder<br />
zum leichteren Auffinden der Hydranten bei Schneefall angebracht.<br />
Die Dienstgradbezeichnungen bei den Freiwilligen Feuerwehren<br />
sind: Kreisbrandmeister, Hauptbrandmeister Oberbrandmeister,<br />
Brandmeister, Hauptfeuerwehrmann und<br />
Feuerwehrmann. Die Leiter der örtlichen Feuerwehren<br />
heissen Feuerwehrkommandanten.<br />
Die Uniformierung besteht aus dunkelblauem Rock mit<br />
Rangabzeichen, Stahlhelm und Branddienstgurt.<br />
Unterhaltung. Die Beschaffung und Unterhaltung der<br />
Löschgeräte, die Sorge für Bekleidung und Ausrüstung,<br />
Alarmeinrichtungen, Wasserversorgung und Gerätehäuser<br />
ist Aufgabe der Gemeinden.<br />
Unfallfürsorge. In Hohenzollern besteht eine eigene Unfallfürsorgekasse<br />
für die Feuerwehren, aus der Unterstützungen<br />
gewährt werden.<br />
Auszeichnungen. Für besondere Dienste und treue langjährige<br />
Dienstzeit wurden früher durch den Hohenzollerischen<br />
Landesfeuerwehrverband Feuerwehr-Ehrenzeichen<br />
verliehen.<br />
Feuerwehrmuseum. Im Jahre 1936 wurde mit dem Aufbau<br />
eines Hohenzollerischen Feuerwehrmuseums im Schloss in<br />
Haigerloch begonnen, dem die Gemeinden eine Reihe alter<br />
Geräte und aufschlussreiche Erinnerungsstücke überwiesen.<br />
Seit der Beanspruchung des damaligen Museumsraums<br />
durch das Landwirtschaftsamt sind die Ausstellungsstücke<br />
im alten Rathaus in Hechingen gestapelt aufbewahrt.<br />
Feuerwehrzeitung. Von 1924-1938 bestand die Württembergisch-Hohenzollerische<br />
Feuerwehrzeitung als Organ<br />
des Württ. und des Hohenz. Feuerwehrverbandes. Sie erschien<br />
in Stuttgart. In dieser Zeitung wurden die Verlautbarungen<br />
des Hohenz. Feuerwehrverbandes veröffentlicht.<br />
Der Hohenzollerische Teil der Zeitung wurde vom Vorsitzenden<br />
des Höh. Landesfeuerwehrverbandes, J. Schmid,<br />
Hechingen, redigiert. Ausserdem brachte die Zeitung ausführliche<br />
Berichte über Veranstaltungen und über verdiente<br />
Feuerwehrjubiiiare.<br />
Stand der Motorisierung<br />
a. Kreis Hechingen<br />
Feuerlöschverbände<br />
Feuerlöschverband I Burladingen TS 8 (Tragkraftspritze<br />
mit 800 Liter Leistung in der Minute) mit Anhänger und<br />
Schleppwagen.<br />
Feuerlöschverband II Hechingen LF 15 (Löschfahrzeug mit<br />
1500 Liter Leistung in der Minute) sowie LF 12 (alter<br />
Kreislöschzug).<br />
Feuerlöschverband III Haigerloch, TS 8 mit Anhänger und<br />
Schleppwagen.<br />
Feuerlöschverband IV Empfingen, TS 8 mit Anhänger und<br />
Schleppwagen.<br />
Motorisierte Werksfeuerwehren<br />
Heinrich Maute, Bisingen, TS 8 mit Anhänger und Schleppwagen.<br />
S. Wolf &Cie. Stetten bei Hechingen, TS 8 mit Anhänger<br />
und Schleppwagen.
Stand der Motorisierung des Kreises Sigmaringen<br />
Löschverbände<br />
Sigmaringen LF15<br />
Krauchenwies TS 8<br />
Ostrach TS 8<br />
Wald TS 8<br />
» Standort Liggersdorf TS 8<br />
Gammertingen TS 8<br />
» Standort VeringenstadtTS 8<br />
Kaiseringen • TS 8<br />
Motorisierte Ortsfeuerwehren<br />
Beuron TS 8<br />
Inneringen<br />
Langenenslingen<br />
Trochtelfingen<br />
Sigmaringendorf<br />
Achberg<br />
HERBERT RÄDLE<br />
2 rad. Kraftspritze 8<br />
(Schleppwagen requiriert)<br />
TS 8<br />
TS 8<br />
TS 8<br />
LF 8 (requiriert)<br />
TS 8<br />
Nach dem heutigen Stand der Motorisierung ist Hohenzollern<br />
mit einem Netz von Motorspritzenstationen überzogen.<br />
In jedem 15-km-Umkreis ist eine Kraftspritze verfügbar.<br />
Erläuterungen:<br />
Neuentdeckte Werke von Jörg Stocker:<br />
Der Meister der Ennetacher Tafeln erhält mehr Profil<br />
Als Hauptvertreter der Ulmer Malerei um 1500 werden in<br />
der kunstwissenschaftlichen Literatur allgemein Bartholomäus<br />
Zeitblom und Martin Schaffner genannt. Ihr Zeitgenosse<br />
und Malerkollege Jörg Stocker wird dagegen meist<br />
übergangen. Das Interesse für Stocker beschränkt sich in<br />
der Regel auf die im Fürstlichen Museum Sigmaringen befindlichen<br />
Tafeln des Ennetacher Altars, der 1496 in der Ennetacher<br />
Pfarrkirche aufgestellt wurde und von Stocker signiert<br />
ist.<br />
Auftraggeber des Ennetacher Altars waren wahrscheinlich<br />
die Grafen von Waldburg-Sonnenberg, Herren zu Scheer,<br />
zu deren Gebiet Ennetach gehörte. Das Ennetacher Retabel<br />
ist das einzige datierte und durch Inschrift beglaubigte<br />
Werk Stockers.<br />
Uber Herkunft, Familie und Werkstatt Jörg Stockers ist wenig<br />
bekannt, obwohl der Familienname Stocker in Ulm damals<br />
häufig bezeugt ist. Als Handwerker sind die Goldschmiede<br />
Claus Stocker 1436 und Felix Stocker 1468 in Ulm<br />
ansässig; wahrscheinlich ist der 1485 bezeugte Zimmermannjörg<br />
Stocker der Vater des Malers.<br />
Der Maler Jörg Stocker wird zwischen 1481 und 1527 regelmäßig<br />
in Schriftquellen in Ulm genannt, wo er zunächst in<br />
der Götzengasse und dann in der Vetterngasse wohnt. Sein<br />
Haushalt umfaßt 1517 sechs Personen. Wieviele Werkstattangehörige<br />
darunter mitgezählt sind, ist nicht bekannt.<br />
Neuentdeckte Werke<br />
Stockers Œuvre ist nun in neuester Zeit »erweitert« und<br />
sein Ruf aufgewertet worden dadurch, daß es Daniela v.<br />
Pfeil gelang, zwei Bilder des Ulmer Museums, eine Verkündigung<br />
(Abb. 2) und eine Geburt Christi (nicht abgebildet),<br />
die bisher Martin Schaffner zugeschrieben wurden, als Werke<br />
Jörg Stockers zu identifizieren. Die Autorin stützt ihren<br />
Nachweis 1 in erster Linie auf technologische Untersuchungen<br />
(Infrarotrektographie), aber auch auf andere Beobachtungen.<br />
So wurde, nach Pfeil, auf der Ulmer Geburt Christi<br />
»für die punzierte Goldfläche dieselbe Musterschablone<br />
verwendet wie für die Ennetacher« (S. 203) und »das gemal-<br />
Hechingen, im Juli 1946.<br />
LS Ii: Löschgruppenfahrzeug mit einer Pumpleistung von<br />
1500 1/min.<br />
TS 3 bzw. TS 8: Tragkraftspritze mit einer Pump-Leistung von 300<br />
bzw. 800 1/min.<br />
requiriert: von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt.<br />
Wer kennt ein Werk des Bildhauers Karl Volk aus Jungnau?<br />
Frau Häfner-Volk, die in der Schweiz wohnt, sucht nach Werken<br />
des Jungnauer Bildhauers Karl Volk. Wer in seiner Umgebung<br />
ein Werk von Karl Volk kennt, wird gebeten, Herrn Pfarrer<br />
Franz Gluitz, Kirchplatz 1 in 79286 Glottertal zu benachrichtigen.<br />
Abb. 1: Verkündigungsmr.r:a, Federzeichnung, Stockerwerkstatt<br />
Ulm um 1500. München, Staatliche Graphische Sammlung. Bildnachweis:<br />
wie Abb. 2.<br />
te Muster, mit dem das Ehrentuch hinter Maria auf der Ulmer<br />
Verkündigung (vgl. unsere Abb. 2, rechts oben) versehen<br />
wurde, findet sich identisch auf der Beschneidung Christi<br />
vom Ennetacher Retabel wieder« (ebd.). Außerdem seien<br />
Ubereinstimmungen auch bei der Gestaltung der Gewand-<br />
13
Abb. 2: Verkündigung an Maria, Jörg Stocker, um 1500. Ulm, Ulmer<br />
Museum. Bildnachweis: Ausstellungskatalog wie Anm. 1,<br />
S. 203.<br />
borten und Säume festzustellen. Des weiteren glichen die<br />
Bodenkacheln auf der Ulmer Verkündigungstafel (Abb. 2) -<br />
auch farblich - denen der Ennetacher. Ebenso seien die Lilienblüten<br />
wiederverwendet. Ferner verweist Daniela v. Pfeil<br />
auf überzeugende stilistische Übereinstimmungen zwischen<br />
den Ulmer und den Ennetacher Tafeln (ausführlich S. 204).<br />
Wir zeigen die Ulmer Verkündigungstafel auf unserer Abb.<br />
2 neben einer kürzlich - ebenfalls von der genannten Autorin<br />
- entdeckten Federzeichnung aus der Stocker-Werkstatt<br />
(Abb. 1; Graphische Sammlung München), die eine Verkündigungsmaria<br />
darstellt. Beide Bilder zeigen, von ihrer<br />
großen Ähnlichkeit abgesehen, eine erstaunlich hohe künstlerische<br />
Qualität und sind daher geeignet, das Ansehen des<br />
bisher allgemein unterschätzten Jörg Stocker' als Vertreter<br />
der Ulmer Malerei um 1500 aufzuwerten.<br />
Anmerkungen:<br />
1 Daniela v. Pfeil, Jörg Stocker — ein verkannter Maler aus Ulm,<br />
in: Ausstellungskatalog Württ. Landesmus. Stuttgart 1993,<br />
S. 199-209.<br />
2 Urteile über Stocker finden sich in der in Anm. 1 genannten Arbeit<br />
auf S. 209, 1. So sind für Rott (1934) die Tafelgemälde<br />
Stockers der Inbegriff von »solid-nüchternen Durchschnittsleistungen«.<br />
Stange (1957) beurteilt Stockers Malerei als »herb«,<br />
»kraftlos«, »reizlos« und »phantasielos«. Hingegen bezeichnete<br />
ihn Grüneisen (1840) immerhin als »tüchtigen Meister«.<br />
Buchbesprechungen<br />
Wissen um das demokratische Erbe<br />
Auf vielfältige Weise und vielerorts im Land wurde im vorigen<br />
Jahr an die Revolutionsereignisse von 1848/49 erinnert.<br />
Jetzt besteht die Möglichkeit, sich einen Überblick über die<br />
Geschehnisse vor Ort zu verschaffen und sich »Wissen um<br />
das demokratische Erbe« (Kreisarchivar Dr. Weber) auf hohenzollerischen,<br />
badischen und württembergischen Schauplätzen<br />
unserer Region anzueignen. Im Thorbecke-Verlag<br />
erschien als Band 7 der »<strong>heimat</strong>kundlichen Schriftenreihe<br />
des Landkreises Sigmaringen« das 352seitige, mit Schwarzweißbildern<br />
aufgelockerte Buch »Fiür die Sache der Freiheit,<br />
des Volkes und der Republik« (35 DM; ISBN:<br />
3-931634-02-7). In zwölf Beiträgen werden auf der Grundlage<br />
neuester Forschungsergebnisse Revolutionsabläufe im<br />
Gebiet des heutigen Landkreises Sigmaringen geschildert<br />
und Zusammenhänge verdeutlicht.<br />
Mit einer allgemeinen Hinführung leitet Christel Lührs-<br />
Trugenberger in die Thematik ein. Sie skizziert unter anderem<br />
die damaligen politischen und sozialen Verhältnisse, die<br />
den Boden für die Revolution bereiteten, und schildert die<br />
Abläufe bis hin zu den Revolutionsfolgen und hin zum<br />
Übergang Hohenzollerns an Preußen.<br />
In den folgenden elf Aufsätzen werden verschiedene Revolutionsabläufe<br />
mit ihren lokalen Besonderheiten verdeutlicht.<br />
Dr. Christoph Rieber führt in die »Demokratenhochburg<br />
Sigmaringen«, in der 1848/49 viermal fremdes Militär<br />
eingreifen mußte, wenngleich es bei einer unblutigen Erhebung<br />
für eine demokratische und soziale Republik blieb.<br />
Dr. Rieber erwähnt unter anderem die Rolle des Turnver-<br />
14<br />
eins und jene von Einzelpersonen wie der des Advokaten<br />
Dr. Carl Otto Würth.<br />
Solches vertieft Dr. Andreas Zekorn, der sich in seinem Beitrag<br />
auf die Spuren der Museumsgesellschaft und des Bürgervereins<br />
in Sigmaringen begab. Er nennt politische Gesinnung<br />
und politisches Wirken führender Mitglieder, etwa des<br />
fürstentreuen Hofkammerpräsidenten von Weckherlin, des<br />
liberalen fürstlichen Regierungsdirektors Mock, des radikalen<br />
Demokraten Karl Dopfer oder des Vertreters der Ultramontanen,<br />
des Pfarrers Silvester Miller.<br />
Dr. Herbert Burkarth legt dar, warum, wie und mit welchen<br />
Folgen »das Feuer der Empörung« in und rund um Gammertingen<br />
während der Jahre 1848/49 loderte. Er erinnert<br />
unter anderem an Volksbewaffnung, Bürgerwehr (mit Musikzug),<br />
Schießstand im Weihtäle und Munitionslager in der<br />
Michaelskirche, aber auch an Führungspersönlichkeiten wie<br />
Advokat Aicheier oder Bürgermeister Reiser. Zu den positiven<br />
Folgen der Revolution für Gammertingen zählten die<br />
Vergrößerung und Stärkung des Oberamtsbezirks, die Ab-
Schaffung alter Abgaben und Dienste sowie das Aufblühen<br />
des Vereinslebens.<br />
In seinem Aufsatz über die Revolution in Pfullendorf konnte<br />
Dr. Edwin Ernst Weber unter anderem auf die Aufzeichnungen<br />
des Malers Johann Nepomuk Lang zurückgreifen.<br />
In der badischen Amtsstadt spielte sich auch Kurioses ab.<br />
So kam es am 28. Juni 1849 zu einer Schlägerei im Wirtshaus<br />
und auf der Straße, und die 1846 beschafften Kanonen des<br />
Bürgermilitärs wurden für die, die sie nutzten, zur lebensgefährlichen<br />
Waffe. Bei unkontrollierten Explosionen kam<br />
es beinah zur Katastrophe, und zwei Männer wurden lebensgefährlich<br />
verletzt. Nichts zu lachen hatten auch die<br />
Pfullendorfer Revolutionäre nach der militärischen Besetzung<br />
der Stadt, und das politische Klima in Pfullendorf war<br />
über Jahre hinweg massiv vergiftet. Für einen Pfullendorfer<br />
verlief das Streben nach Freiheit vor 150 Jahren besonders<br />
tragisch. Konrad Heilig, der es zum Kommandant der Festungsartillerie<br />
in Rastatt gebracht hatte, wurde am 11. August<br />
1849 von den Preußen vor ein Standgericht gestellt und<br />
erschossen.<br />
Armin Heim verdeutlicht in seinem Beitrag, daß Meßkirch<br />
ein besonderer Nährboden revolutionären Gesinnung war,<br />
wobei Bürgermeister Emmert eine entscheidende Rolle<br />
spielte. Als einer der »größten Wühler« mit republikanischer<br />
Gesinnung galt auch der Bietinger Kaplan Johann<br />
Ehing, der deswegen suspendiert wurde. Als rühriger Revolutionär<br />
und Wortführer der Meßkircher Demokraten trat<br />
zudem Adlerwirt Johann Baptist Roder (1814-1890) in Erscheinung.<br />
Nach der Revolution wurde gegen 46 Meßkircher<br />
gerichtlich wegen Hochverrats ermittelt; 27 Angeklagte<br />
wurden mit Vermögensbeschlagnahmung bestraft, in 16<br />
Fällen wurde Haftstrafe verhängt.<br />
An den Unruhen in Meßkirch hatten auch Frauen großen<br />
Anteil. Darüber informiert Margret Maunz in dem Thorbecke-Buch.<br />
Treibender Motor war der demokratische<br />
Frauenverein, geleitet von Creszentia Kolb, geborene Vollmer,<br />
der Frau des Oberlehrers Alois Kolb, der den Volksverein<br />
mitbegründet hatte.<br />
Über die soziale Lage und unbefriedigenden wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse vieler Bürger im Amtsbezirk Meßkirch,<br />
besonders über die prekäre Situation der Bauern, berichtet<br />
Markus Vonberg. Für Arger unter den Bauern sorgten besonders<br />
die zu entrichtenden Abgaben, Fronden, Zehnten<br />
und sonstigen Lasten. Tief war das Mißtrauen gegen die<br />
fürstlich-fürstenbergische Verwaltung und entsprechend<br />
gereizt die Stimmung. Durch die nach und nach errungenen<br />
Zugeständnisse wurden die gröbsten Mißstände beseitigt.<br />
Ahnlich prekär waren die wirtschaftlichen Verhältnisse im<br />
badischen Amtsort Stetten a. k. M., wie Erika Jeuck darlegt.<br />
Sie schildert die Protestaktionen der Gemeinde-Vertreter<br />
gegen Graf Ludwig von Langenstein, die Forderungen der<br />
Bauern und den einvernehmlich abgeschlossenen Vergleich.<br />
Hauptakteur und Wortführer war seinerzeit Stettens Bürgermeister<br />
Franz Räfle, der sich durch Flucht in die Schweiz<br />
einer Bestrafung entziehen konnte. Er wurde als Hochverräter<br />
verurteilt, und auch gegen die übrigen Teilnehmer an<br />
der Revolution wurde hart vorgegangen.<br />
Andreas Ruess, Anton Stehle und Helmut Göggel legen in<br />
drei Aufsätzen das Revolutionsgeschehen in den württembergischen<br />
Amtsstätten Saulgau und Mengen sowie im Bereich<br />
der thurn- und taxisschen Standesherrschaft Friedberg-Scheer<br />
dar. In Saulgau engagierte sich besonders das<br />
mittlere und gehobene Bürgertum für die Demokratie. Sehr<br />
eifrig war Stadtschultheiß Georg Caspar Neidlein, der Petitionen<br />
und Versammlungen initiierte und auch Auseinandersetzungen<br />
mit dem konservativen Bürgerwehrkomman-<br />
danten oder dem ungeliebten Oberamtmann Cunradi nicht<br />
scheute.<br />
In Mengen gab es viele ortsspezifische Probleme. Die Einwohner<br />
waren unzufrieden mit der städtischen Obrigkeit,<br />
deren Amtsführung und Machtausstattung. Unbeliebt war<br />
beispielsweise auch der neue Forstfachmann. Die Mengener<br />
wollten die bestehende Revolutionsstimmung nutzen, um<br />
eine Beseitigung ihrer lokalen Probleme mit zu erreichen,<br />
was zum Teil auch gelang.<br />
Zugeständnisse wurden auch von der thurn- und taxisschen<br />
Standesherrschaft ertrotzt. Sie betrafen unter anderem die<br />
Beseitigung der Feudallasten, Verbesserungen im Wahlrecht<br />
und im kommunalen Geschehen. Wortführer in Scheer waren<br />
Schultheiß Gottfried Hanst, Amtsrichter von Rom und<br />
Kaplan Ama.<br />
Baden-Württemberg besitzt viele Attraktionen. Dazu<br />
zählen die sieben regionalen ländlichen Freilichtmuseen.<br />
Eins davon befindet sich in hohenzollerischer Nähe, in<br />
Neuhausen ob Eck. Ihm und den anderen sechs Kleinoden<br />
(Walldürn-Gottersdorf, Wackershofen, Beuren, Gutach,<br />
Kürnach und Wolfegg) hat der Stuttgarter Graphiker und<br />
Fotograf Uli Kreh einen prächtigen Bildband gewidmet. Er<br />
ist unter dem Titel »Zeugen einer Vergangenheit« im Silberburg-Verlag<br />
Tübingen erschienen (200 Seiten, 452 Farbbilder,<br />
Großformat, ISBN: 3-87407-280-0; 58 DM).<br />
»Zeugen einer Vergangenheit«, ausgestattet mit aussagestarken<br />
Fotos, deren Betrachtung manche Erinnerung weckt<br />
und Lust macht, sofort vor Ort zu fahren, ist mehr als ein<br />
bloßer Bildband, der Sehenswürdigkeiten dokumentiert.<br />
Die Texte beschränken sich keineswegs nur auf Bildunterschriften.<br />
Beigefügt ist immer ein geschichtlicher Aufriss, in<br />
dem Entstehung und Werdegang der Schaustücke dargelegt<br />
werden. Hingewiesen wird zudem auf Tierhaltung, auf<br />
Handwerkertage und sonstige Veranstaltungen im Museumsbereich.<br />
So weckt das Buch nicht nur Aufmerksamkeit,<br />
es stellt auch eine Anerkennung für alle dar, die mit<br />
Hilfe des Landes durch die Schaffung der Freilichtmuseen<br />
mehr als 150 Bauernhäuser und dörfliche Gebäude, die an<br />
ihrem alten Standort nicht mehr gehalten werden konnten,<br />
vor dem Untergang gerettet haben und die nun Zeugnis ablegen<br />
vom früheren Leben und Arbeiten der Menschen in<br />
unserer Heimat.<br />
Uli Rothfuss aus Trossingen hat 20 kleinstädtische Episoden<br />
aus Schwaben, die sich während des Nazi-Regimes zugetragen<br />
haben, szenisch aufgearbeitet und im Buch »Die Hitlerfahn'<br />
muß weg!« vorgelegt (Silberburg-Verlag, 95 Seiten,<br />
ISBN: 3-87407-289-4). Dramatik ist beim Lesen zu spüren,<br />
und die 20 Stationen eignen sich gut zur Aufführung in Theatergruppen:<br />
in Schulen und darüber hinaus. So ähnlich haben<br />
sich die Ereignisse wohl überall in unserem Land abgespielt.<br />
Sie erinnern an Unterdrückung und Ausgrenzung von Minderheiten,<br />
an Macht und blinden Gehorsam, an Ohnmacht<br />
und Mitläufertum, an das Zur-Seite-Schauen und an die<br />
Hoffnung und den Widerstand einzelner Mutiger.<br />
Von Pfarrer Rudolf Paul liegt ein weiterer Band aus der Reihe<br />
»D Bibel für Schwoba« vor, diesmal die Übertragung des<br />
2. Buchs Mose (Exodus) in unsere Mundart. Er hat den Titel<br />
»D Befreiong« und ist im Silberburg-Verlag erschienen (175<br />
Seiten, ISBN: 3-87407-281-9). Der Autor sieht in der<br />
Mundart ein Mittel, den Menschen Bibel und Evangelium<br />
auf »heimelige Art« nahezubringen. Gerd Bantle<br />
15
Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />
E 3828<br />
PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />
Register 1998<br />
Seite<br />
Bingen, die Herren von Hornstein und das Dorf<br />
Bingen 20<br />
Bubenhoven, Das unrühmliche Ende der Gebrüder<br />
Hans Casper und Hans Wolf von Bubenhoven, Söhne<br />
des Landhofmeisters Johannes I. von Bubenhoven 38<br />
Buchbesprechungen<br />
Zwischen Alb und Bodensee, Radwanderführer 67<br />
Hornstein, Beiträger zur Geschichte von Burg,<br />
Familie und Herrschaft 14<br />
Bildband von Inneringen erschienen 35<br />
Der Meister von Meßkirch 15<br />
Lebenslese, Erinnerungen eines Wengerters 16<br />
Reutlingen, kleiner Bildband vom Silberburgverlag 16<br />
Von Rittern, Bauern und Gespenstern und die Welt ist<br />
die Welt 15<br />
Revolution von 1848/49 im Oberamt Riedlingen 51<br />
Revolution im Südwesten, Stätten der Demokratie<br />
bewegung in Baden-Württemberg 52<br />
Die Jagd nach dem heiligen Stab, Roman von Peter<br />
Thaddäus Lang 67<br />
Zum Feuerlöschwesen im Hohenzollerischen 63<br />
Glatt, was bietet die Heimat ihren Kindern 12, 34, 48<br />
Gauggel Anton, »Die Posaune der Freiheit schallt<br />
über die deutsche Erde«, Anton Gauggel - Ein<br />
hohenzollerischer Freischärler in der Revolution<br />
von 1848/49 54<br />
Harthausen a. d. Scheer, Die Seelsorger von Harthausen<br />
a. d. Scheer 49<br />
Hechingen, Die Hechinger Bürgerwehr während der<br />
Revolution von 1848/49 31<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 16 38, 72486<br />
Sigmaringen.<br />
ISSN 0018-3253<br />
Erscheint vierteljährlich.<br />
Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />
ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />
besonders die Bevölkerung im alten Land<br />
Hohenzollern und den angrenzenden Landesteilen<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat<br />
vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge.<br />
Bezugspreis:<br />
Für Mitglieder des Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s ist der Bezugspreis im<br />
Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />
DM 13,00 jährlich.<br />
Abonnements und Einzelnummern (DM<br />
3,25) können beim Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
(s. o.) bestellt werden.<br />
16<br />
Die Autoren dieser Nummer:<br />
Gerd Bantle<br />
Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen<br />
Dr. Otto H. Becker<br />
Hedingerstraße 17, 72488 Sigmaringen<br />
Dr Peter Thaddäus Lang<br />
Stadtarchiv, 72422 Albstadt<br />
Dr. Herbert Rädle<br />
Veit-Jung-Straße 13 a, 92318 Neumarkt<br />
Dr. Edwin Ernst Weber, Kreisarchivrat<br />
Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />
Hechingen, Eine bedeutende Neuerwerbung des<br />
Staaatsarchivs: Der Nachlaß Täglichsbeck 7<br />
Hechingen, Thomas Täglichsbeck (1799-1867) 30<br />
<strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong>, zur<br />
Wiedergründung vor 50 Jahren 18<br />
<strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong>, Jahresversammlung<br />
1998 67<br />
Das Schwert im hohenzollerischen Kürbis, Veranstaltung<br />
zur Revolution von 1848/49 in Hohenzollern<br />
65<br />
Inzigkofen, Die Meinradskapelle im Fürstlichen Park<br />
in Inzigkofen 61<br />
Inzigkofen, Ein weiteres Jubiläum: 50 Jahre Volkshochschulheim<br />
Inzigkofen 29<br />
Isny, Zwei Brakteaten der Münzstätte Isny -<br />
Schwäbische Grafen als Städtegründer und<br />
Münzherren 44<br />
Mengen, Zum Tode des Altbürgermeisters und<br />
Kunstförderers Hermann Zepf 4<br />
Neufra, Das Hochaltarbild der Muttergotteskapelle 2<br />
September, Gedicht von Maria Leibold 50<br />
Stetten a. k. M. Vor 190 Jahren sollte Stetten a. k. M.<br />
württembergisch werden 8<br />
Sigmaringen, Das ehemalige Denkmal Kaiser<br />
Wilhelms I. in Sigmaringen 10<br />
Der Sigmaringer Leopoldplatz - Notizen zu seiner<br />
Geschichte, Gestalt und Funktion Teil 2 22<br />
Sigmaringer Revolutionäre im »Zollernschen Hof«<br />
Ölbild von 1848 53<br />
Stoll, Meine Erinnerungen an das Revolutionsjahr 1848 45<br />
Michael Walter, zur Erinnerung an Michael Walter<br />
1876-1958 43<br />
Gesamtherstellung:<br />
Jan Thorbecke Verlag,<br />
72488 Sigmaringen, Karlstraße 10<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth,<br />
Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />
Telefon 07574/4407<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />
diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />
verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />
sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />
Heimat« weiterzuempfehlen.
KARL WERNER STEIM<br />
HÖH ENZOLLER ISCHE<br />
HEIMAT<br />
Haigerlocher Brauchtum im Jahreslauf<br />
Der Jahreslauf war früher - mehr als heute - unterbrochen<br />
durch verschiedene Feste und Feiern, die an bestimmte Tage<br />
gebunden waren. Dazu gehörten sowohl kirchliche als auch<br />
weltliche Feste (1). Nachstehend soll ein Rundgang durch<br />
das Jahr in Haigerloch mit seinem Brauchtum gegeben werden,<br />
wie es überwiegend anhand von Akten ermittelt werden<br />
konnte. Für mündliche Auskünfte sei vor allem den Geschwistern<br />
Rosa (1898-1992) und Sofie Trenkle (Jahrgang<br />
1901) sowie Gertrud Zimmermann (1903-1992) gedankt.<br />
E 3828<br />
Herausgegeben vom<br />
Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
49. Jahrgang Nr. 2 / Juni 1999<br />
Das Jahr beginnt zwar am 1. Januar, doch an diesem Tag mit<br />
dem Uberblick anzufangen, wäre problematisch. Erstens<br />
würden damit die Weihnachtstage bis Dreikönig auseinandergerissen,<br />
die auch im Brauch zusammengehören. Zweitens<br />
markiert der 1. Januar den Jahresbeginn noch nicht sehr<br />
lange: erst im Jahre 1691 hat Papst Innozenz ihn als kirchliches<br />
Fest bestätigt. Es ist daher meist üblich, mit dem Ende<br />
des Arbeitsjahres zu beginnen, das mit dem Martinstag,<br />
dem 11. November, gleichgesetzt wird.
Martini - 11. November<br />
Der heilige Martin wurde 317 oder 336 in Pannonien geboren.<br />
Er wurde Soldat, ließ sich taufen und gründete um 370<br />
das erste abendländische Kloster bei Poitiers. Später wurde<br />
er Bischof von Tours. Er starb dort um das Jahr 400 und<br />
wurde an einem 11. November begraben. Bekannt ist die<br />
Legende, nach der er seinen Mantel mit einem Bettler teilte.<br />
Im 5. Jahrhundert wurde er heiliggesprochen. Kirchen und<br />
Kapellen sind ihm u. a. auf der Burg Hohenzollern, in Burladingen,<br />
Hechingen, Heiligenzimmern und Rangendingen<br />
geweiht (2). Dank seiner frühen Verehrung war der Martinstag<br />
schon im Mittelalter ein wichtiger Termin. Außerdem<br />
begann um diese Zeit die Adventsfastenzeit. Es ist verständlich,<br />
daß man vorher noch einmal kräftig feiern wollte,<br />
und da bot sich der Martinstag an. Davon dürfte auch der<br />
Begriff der Martinsgans stammen. Martini war aber vor allem<br />
ein Rechtstermin, an dem die meisten Zehnten eingeliefert<br />
und auch die Zinsen und sonstigen Abgaben bezahlt<br />
werden mußten. Solange es Knechte und Mägde gab, war<br />
dies der wichtigste Termin, die Dienstboten zu wechseln.<br />
Schließlich war Martini ein wichtiger Markttermin. Weit<br />
verbreitet sind die herbstlichen Laternenumzüge der Kinder,<br />
meist um oder am Martinstag. Dieser Brauch kam aus<br />
Norddeutschland. Dazu paßt ein weiterer Spätherbstbrauch:<br />
die Rübengeister - ausgehöhlte Rüben, in die ein<br />
Gesicht geschnitten wird. Man setzt eine Kerze in die Rübe<br />
und diese gelegentlich auf einen Stecken.<br />
Barbaratag - 4. Dezember<br />
Die Sitte, Barbarazweige zu schneiden und im Hause zum<br />
Blühen zu bringen, ist schon etliche Jahrzehnte alt. Dabei<br />
handelt es sich meist um Edelkirschen- oder Forsythienzweige,<br />
die man am Barbaratag, also am 4. Dezember, ins<br />
Wasser stellt - an Weihnachten sollen sie blühen. Wie sich<br />
Gertrud Zimmermann erinnerte, war dieser Brauch schon<br />
in ihrer Kindheit üblich. In der Gärtnerei Haas/Zimmermann<br />
schnitt man etwa zehn Tage vor dem Barbaratag<br />
Zweige, holte sie ins Haus und ließ sie vortreiben, damit sie<br />
an Weihnachten blühten. Diese Zweige wurden dann verkauft.<br />
Beim Flieder gelang es sogar, kleine Dolden hervorzubringen<br />
mit dem typischen Fliederduft.<br />
Nikolaustag - 6. Dezember<br />
Nikolaus war im 4. Jahrhundert Bischof von Myra in<br />
Kleinasien. Um ihn ranken sich viele Legenden. Im 10./11.<br />
Jahrhundert kam seine Verehrung auch nach Deutschland.<br />
In der Folge wurde Nikolaus Patron vieler Kirchen, in unserem<br />
Raum zum Beispiel in Haigerloch, Bisingen, Hospach<br />
und Kremensee; Altäre sind ihm außerdem in Empfingen,<br />
Hechingen, Hart, Gruol und Grosselfingen geweiht<br />
(3). Der hl. Nikolaus muß in Haigerloch schon sehr früh<br />
verehrt worden sein; nicht umsonst trägt die Unterstadtkirche<br />
sein Patrozinium, das seit 1350 genannt wird (4). Früher<br />
wurde der Nikolaustag in der Unterstadtkirche feierlich begangen,<br />
wie Rosa Trenkle berichtete. In den ersten Jahrzehnten<br />
unseres Jahrhunderts war der Nikolaus in schlechte<br />
Kleidung gehüllt, allenfalls lieh man sich die sehr seltenen<br />
Pelzkittel von Haigerlocher Ärzten aus. Gertrud Zimmermann<br />
erinnerte sich noch mit Schrecken daran, daß man vor<br />
dem Besuch von St. Nikolaus Angst gehabt habe; auch<br />
Knecht Ruprecht habe sich sehr wüst aufgeführt und mit<br />
seinem Kettenrasseln die Angst der Kinder noch verstärkt.<br />
Lange Jahre wirkte Zimmermeister Heinrich Huber als Nikolaus.<br />
Die Oberamtsbeschreibung von 1928: »Das Fest des<br />
hl. Nikolaus, der >SantiklostagSanti Klos, Butterballa, laß<br />
mir a paar Äpfl falla!< Auch kommt heute noch der St. Nikolaus<br />
in Bischofstracht am Vorabend des 6. Dezember in<br />
die Häuser.« Rosa Trenkle berichtete vom Nikolaus-Besuch<br />
im alten Kindergarten, der sich in der Pfluggasse befand.<br />
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg trat Nikolaus meist als<br />
ehrwürdiger Bischof in weißem Meßgewand mit Krummstab,<br />
Bischofsmütze und vor allem einem wallenden Bart<br />
auf (jahrzehntelang von Paula Klumpp dargestellt). Ganz<br />
im Gegenteil war dazu der Knecht Ruprecht gekleidet, der<br />
stets einen großen Sack mit sich führte, in dem sowohl<br />
Süßigkeiten und kleine Geschenke für Kinder waren, wo<br />
diese aber durchaus einmal verschwinden konnten, wenn<br />
sie während des Jahres nicht artig waren.<br />
Advent<br />
Der Advent ist die Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Als<br />
noch sehr jung im adventlichen Brauchtum ist der Adventskranz<br />
zu bezeichnen. Mögliche Vorläufer waren die seit<br />
dem 16. Jahrhundert bezeugten »Weihnachtsmaien«, grüne<br />
Zweige, auf »Christ- und Lichterkronen«. Der Adventskranz<br />
selbst soll auf das »Rauhe Haus« bei Hamburg, eine<br />
Erziehungsanstalt, zurückgehen, die seit 1833 bestand. Dort<br />
gab es eine besondere Form der Adventsandacht: Zunächst<br />
wurden Wachslichter an der Orgel aufgestellt und bei der<br />
Verlesung des Textes entzündet; später wurde »auf dem<br />
Kronleuchter des Saales vom ersten Advent an mit jedem<br />
Tag ein Licht mehr angezündet«; der Leuchter hatte also<br />
Platz für 28 Lichter. Auch der Schmuck mit Tannengrün<br />
scheint um die Mitte des letzten Jahrhunderts dazugekommen<br />
zu sein. Später verbreitete sich der Brauch, wobei er<br />
vermutlich während des Ersten Weltkrieges über norddeutsche<br />
Lazarette, wo Adventskränze hingen, in den Süden<br />
kam (5). Der Adventskranz war noch in den 20er und 30er<br />
Jahren unseres Jahrhunderts im Südwesten kaum verbreitet.<br />
Gertrud Zimmermann berichtete aber, daß schon während<br />
des Ersten Weltkrieges in Haigerloch einige Adventskränze<br />
geflochten wurden. Später nahm diese mühevolle Arbeit für<br />
die Gärtnerei Haas/Zimmermann stark zu. Gebunden wurden<br />
einfache Weißtannenkränze über einem Holzreifen.<br />
Geschmückt wurden die Adventskränze schon damals mit<br />
vier roten Kerzen und roten Bändern.<br />
Weihnachten<br />
Das Weihnachtsfest, die Geburt Christi, wird seit dem 4.<br />
Jahrhundert gefeiert. Auf dem Konzil von Konstantinopel<br />
(381) wurde es auf den 25. Dezember festgelegt und 813<br />
zum Feiertag bestimmt.<br />
Stark besucht waren jeweils die drei Messen am ersten<br />
Weihnachtsfeiertag (Engelamt, Hirtenamt, »Missa in die«).<br />
1875 - und wohl auch sonst üblich - wurden Engelämter in<br />
der Unterstadt- und St. Annakirche gehalten, Hirtenamt<br />
und Hauptgottesdienst (vor ausgesetztem Allerheiligsten)<br />
in der Schloßkirche. Am Nachmittag war feierliche Vesper<br />
(6). »Die Sitte, zu Weihnachten allerlei Gebäck herzustellen,<br />
besonders die sog. Springerle und das Hutzelbrot oder Birnenbrot,<br />
d. h. Brot mit getrockneten Birnen (Hutzeln) und<br />
andern Zutaten, ist noch weit verbreitet«.<br />
Untrennbar zu Weihnachten gehört der Christbaum. Die<br />
ältesten Belege dafür in Deutschland stammen aus dem 16.<br />
Jahrhundert. Es handelte sich um »wynacht mayen« (7).<br />
Der Brauch entwickelte sich aus den damals schon üblichen<br />
»Maien«, unter denen man nicht nur Maibäume verstand,<br />
sondern grüne Zweige und Bäumchen, die zu allen möglichen<br />
Festlichkeiten aufgestellt wurden. Im 18. Jahrhundert<br />
wurde der Weihnachtsbaum im Schwäbischen allmählich
5ofcn¿oU*rtf4K Confec<br />
Mitteilungen aus dem <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Veranstaltungen im 3. Quartal 1999<br />
Seminare<br />
I.<br />
Wegen weiterhin großen Zuspruchs wiederholen der<br />
Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> e. V. und der Verein<br />
für Familien- und Wappenkunde in Württemberg und<br />
Baden e.V. am Freitag, 23. Juli, von 10 bis ca. 17 Uhr im<br />
Staatsarchiv in Sigmaringen das<br />
»Archivseminar<br />
für <strong>heimat</strong>- und familienkundlich Interessierte«<br />
Programm:<br />
10.00 Uhr Begrüßung<br />
10.15 Uhr Genealogische und ortsgeschichtliche<br />
Quellen in südwestdeutschen Archiven<br />
(Dr. Trugenberger)<br />
(Kaffeepause 11.15 Uhr-11.30 Uhr)<br />
II.30 Uhr Einführung in die Bestände des Staatsarchivs<br />
Sigmaringen (Dr. Becker)<br />
Mittagspause 12.30 Uhr - 13.30 Uhr)<br />
13.30 Uhr Hinweise auf die Benutzung des Staatsarchivs<br />
Sigmaringen (Dr. Becker)<br />
14.00 Uhr Ausgewählte Quellengattungen zur Ortsund<br />
Familiengeschichte (Dr. Becker/Dr. Trugenberger)<br />
(Kaffeepause 15.00 Uhr - 15.15 Uhr)<br />
15.15 Uhr Schlußdiskussion<br />
15.45 Uhr Archivführung<br />
(Dr. Becker/Dr. Trugenberger)<br />
Der Unkostenbeitrag beträgt für Mitglieder des Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s oder des Vereins für Familien-<br />
und Wappenkunde 20 DM, für Nichtmitglieder<br />
30 DM pro Person.<br />
II.<br />
Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> e. V. und der<br />
Verein für Familien- und Wappenkunde in Württemberg<br />
und Baden veranstalten am Freitag, 24. September, von<br />
13 Uhr bis ca. 17 Uhr im Staatsarchiv in Sigmaringen unter<br />
der Leitung von Archivrat Dr. Ziwes, Sigmaringen,<br />
ein Nutzerseminar<br />
»Einführung in die Chronologie«<br />
Welcher Kalendertag war der in einem Kirchenbuch erwähnte<br />
23. Sonntag nach Trinitatis 1716? Warum wurde<br />
- wie im Kirchenbuch vermerkt - in einem württembergischen<br />
Dorf Konrad Oswald von kaiserlichen Soldaten<br />
am 5. September 1634 erstochen, obwohl die kaiserlichen<br />
Truppen das Herzogtum Württemberg erst heimsuchten,<br />
nachdem sie die Schweden am6. September 1634 in<br />
Nördlingen geschlagen hatten? Warum kann ein Ritter<br />
am 26. Dezember 1420 eine Urkunde ausstellen, obwohl<br />
er bereits im Juni 1420 gestorben ist? Welcher Kalendertag<br />
war der Dienstag nach Katharina 1388?<br />
Auf alle diese Fragen und noch mehr gibt o. g. Seminar<br />
Auskunft.<br />
Der Unkostenbeitrag beträgt für die Mitglieder des Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s oder des Vereins für<br />
Familien- und Wappenkunde 10 DM, für Nichtmitglieder<br />
15 DM.<br />
Nähere Auskünfte über die beiden Seminare erteilt Frau<br />
Liebhaber im Staatsarchiv Sigmaringen (Tel.<br />
07571/101-558).<br />
Vorankündigung<br />
Die Landkreise Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen und<br />
der Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong><br />
e. V. laden alle Geschichtsfreunde zum<br />
Besuch der Vortragsveranstaltung<br />
» Vorderösterreich an oberem Neckar<br />
und oberer Donau«<br />
am Samstag, 16. Oktober 1999, ab 9.30 Uhr in die Ho-<br />
henberghalle in Schömberg-Schörzingen ein.<br />
Programm:<br />
9.30 Uhr Grußworte<br />
10.00 Uhr Bernhard Rüth, Der Übergang der Herrschaft<br />
Schramberg an Österreich<br />
10.40 Uhr Kaffeepause<br />
11.00 Uhr Hans Peter Müller, Oberndorf als vorderösterreichische<br />
Stadt<br />
11.40 Uhr Dr. Hans-Joachim Schuster, Fridingen<br />
und Spaichingen, Die »Hauptorte« Oberhohenbergs<br />
ca. 12.20 Uhr Mittagspause<br />
14.00 Uhr Dr. Edwin Ernst Weber, Landeshoheit von<br />
»oben« versus Herrschaftverdichtung von<br />
»unten«. Territorialherrschaft in Vorderösterreich<br />
und Fürstenberg-Meßkirch am<br />
Beispiel der Untertanendörfer Engelswies<br />
und Kreenheinstetten<br />
14.40 Uhr Dr. Andreas Zekorn, Unter dem Schutzflügel<br />
des Kaiseradlers: Die Grafschaften<br />
Sigmaringen und Veringen als österreichische<br />
Lehen<br />
15.20 Uhr Kaffeepause<br />
15.45 Uhr Karlheinz Geppert M. A., Die vorderösterreichischen<br />
Städte Schömberg und<br />
Binsdorf<br />
16.25 Uhr Dr. Martin Zürn, Die vorderösterreichische<br />
Herrschaft Kallenberg<br />
Ende der Nachmittagsveranstaltung: ca.<br />
17.15 Uhr<br />
18.00 Uhr Empfang des Zollernalbkreises und der<br />
20.00 Uhr<br />
Stadt Schömberg (mit Abendessen)<br />
Musikalische Umrahmung: Volkstanzmu-<br />
sik Frommern<br />
Grußworte<br />
20.15 Uhr Prof. Dr. Franz Quarthai, Habsburg am<br />
oberen Neckar und der oberen Donau<br />
gez.: Dr. Becker<br />
Vorsitzender<br />
19
heimisch, galt aber bis Ende des 19. Jahrhunderts immer<br />
noch als sehr selten. Vor allem in den Dörfern muß der<br />
Christbaum noch lange als Luxus angesehen worden sein,<br />
den sich nur die reichsten Bauern leisteten.<br />
Es ist nicht bekannt, ob es sich bei den »Tännlein«, die der<br />
spätere berühmte Haigerlocher Barockbaumeister Christian<br />
Großbayer laut Stadtgerichtsprotokoll in seiner Jugend<br />
»umgehauen« hat, schon um Christbäume handelte (8).<br />
Auch in Haigerloch waren die Christbäume vor der Jahrhundertwende<br />
selten. Im Jahre 1897 übernahm die Stadt<br />
erstmals den öffentlichen Verkauf der Christbäume, was<br />
darauf schließen läßt, daß es erst jetzt eine stärkere Nachfrage<br />
gab und die Bäume vorher wohl nur vereinzelt abgegeben<br />
wurden (9). Damals wurde festgelegt, daß der bisherige<br />
Waldbannwart Josef Geigentasch mit Rücksicht darauf, daß<br />
er und seine Vorgänger »für die Abgabe von Christbäumchen<br />
ein Trinkgeld von den Abnehmern für sich beanspruchen<br />
durften«, 8 Mark als Ersatz für die entgangene<br />
Einnahme erhalten sollte. Das war zugleich die Hälfte des<br />
Erlöses aus dem Christbaumverkauf; die Stadt erhielt nämlich<br />
für 55 Bäume 16,55 Mark. Der Stadtrechnung lassen<br />
sich interessante Details entnehmen. Die Kinderschule erhielt<br />
einen Baum geschenkt. Die Frage, warum zehn Familien<br />
gleich zwei Bäume kauften, ist nicht leicht zu beantworten.<br />
Vermutlich gaben sie die Christbäume an Bekannte<br />
oder an Verwandte weiter. Angesichts einer Zahl von rund<br />
350 bis 400 Haushaltungen ist die Zahl der 55 Christbäume<br />
als gering einzustufen. Und wer leistete sich einen Baum? In<br />
erster Linie war es tatsächlich die sogenannte Oberschicht<br />
(darunter viele Beamte) wie beispielsweise Bürgermeister<br />
Münzer, Kaufmann Schönbucher, Uhrmachermeister Julius<br />
Huber, die Sekretäre Schneider, Meßmer, Hardt und Emter,<br />
Apotheker Glaiber, Bezirksgeometer Eble, Postverwalter<br />
Möder, Gerichtsdiener Eisenhauer, Amtsrichter Kraus,<br />
Hauptlehrer Fink, Stadtbaumeister Wilhelm Schönbucher,<br />
Baumeister Schäfer, Stadtrechner Büchle sowie die Gastwirte<br />
Wilhelm Zöhrlaut, Posthalter Linsenmann, Bierbrauer<br />
Wilhelm Maier, Bäckermeister Mang und Hirschwirt Mock.<br />
Gekostet hat ein Baum - es findet sich ȟbrigens nur die Bezeichnung<br />
»Christbaum« und »Christbäumehen« - 10 bis<br />
80 Pfennige. Bei einem Tagesverdienst für einen Handwerker<br />
von 2 bis 3 Mark waren die Bäume nicht gerade billig.<br />
Wie aus der Stadtrechnung auch hervorgeht, wurden die<br />
Christbäume im Unterstadtwald geschlagen. Hermann<br />
Wannenmacher erhielt für einen Tag Arbeit 2 Mark, Gallus<br />
Schwenk, der eine Fuhre abholte, 1,50 Mark. Im folgenden<br />
Jahr verkaufte die Stadt 68 (Vorjahr 55) Christbäume, unter<br />
ihnen an Seehofpächter Späth, Dr. Mock, Amtstierarzt<br />
Bühler, die evangelische Kirchengemeinde und Amtsrichter<br />
Hodler. Die Preise betrugen zwischen 0,30 und 1,50 Mark,<br />
der Gesamterlös 35,45 Mark. 1899 waren es nur 51 Bäume,<br />
die zwischen 0,30 und 1 Mark kosteten, insgesamt 22, 10<br />
Mark (10). Man kann also nicht davon sprechen, daß der<br />
Christbaumverkauf gleich von Anfang an einen starken<br />
Aufschwung genommen hätte. Andererseits muß man<br />
berücksichtigen, daß wohl auch Private Christbäume abgaben.<br />
Der Christbaumverkauf war im Prinzip immer Sache der<br />
Stadt, erinnerte sich Gertrud Zimmermann, wobei aber<br />
GERD BANTLE<br />
früher viele Leute - aus einer Art Gewohnheitsrecht - ihre<br />
Christbäume selbst im Wald geholt hätten. Einzelne Bauern,<br />
auch aus Owingen, verkauften ebenfalls Bäume. Der<br />
Christbaumschmuck, bunte Glaskugeln aller Art, Christbaumspitzen<br />
und sehr feines »Engelshaar«, kam damals aus<br />
dem Erzgebirge. Der Baum bekam als Zierde Äpfeln und<br />
»Kringele«. Letztere waren ein einfaches Buttergebäck, das<br />
mit einem Glas ausgestochen wurde. Selbst das Backen war<br />
für die Kinder eine Freude; da wurde schon der Teig »versucht«.<br />
Die Gärtnerei Haas/Zimmermann verkaufte kleine<br />
Tischbäumehen.<br />
Der erste lichtergeschmückte Weihnachtsbaum im Freien<br />
soll erst 1912 auf dem Madison Square in New York aufgestellt<br />
worden sein (11). Nach dem Ersten Weltkrieg trat der<br />
neue Brauch seinen Siegeszug in Deutschland an. Die Nationalsozialisten<br />
bemächtigten sich sofort des jungen Brauches,<br />
der Baum sollte die Volksweihnacht der Volksgemeinschaft<br />
symbolisieren. Öffentliche Christbäume wurden in<br />
Haigerloch erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellt: am<br />
Marktplatz, vor dem Rathaus und in der Oberstadt. Die<br />
recht stattlichen Bäume wurden mit Ketten elektrischer<br />
Lichter geziert.<br />
Bescheiden ging es früher noch in Sachen Geschenke zu.<br />
Von Eltern, Taufpaten und Großeltern gab es vor allem etwas<br />
zum Anziehen, für die Mädchen Puppen und für die<br />
Buben - als höchstes der Gefühle - vielleicht eine Dampfmaschine.<br />
Es versteht sich, daß die einzelnen Vereine auch früher<br />
schon ihre Weihnachtsfeiern abhielten, so der Kirchenchor<br />
mit viel Gesang in der »Brauerei Maier«. Vor allem wäre ein<br />
Weihnachtsfest ohne das Lied >Stille Nacht« undenkbar gewesen.<br />
Rosa Trenkle berichtete, wie es sogar den Juden so<br />
gut gefiel, daß sie es gern mitsangen. Der »Rosen-Jakob«<br />
(Jakob Levi) kam oft zur Kirchenchor-Weihnachtsfeier, nur<br />
um dieses Lied zu hören.<br />
Anmerkungen<br />
Vor 130 Jahren verstarb Hofmaler Richard Lauchert<br />
1 Allgemeine Literaturauswahl: Angelika Bischoff-Luithlen: Von<br />
Amtsstuben, Backhäusern und Jahrmärkten. Stuttgart 1979. -<br />
Dietz-Rüdiger Moser: Bräuche und Feste im christlichen Jahreslauf.<br />
Köln 1993. - Anselm Schott: Das vollständige Römische<br />
Meßbuch. Freiburg 1961. - Herbert Schwedt/Elke Schwedt:<br />
Schwäbische Bräuche. Stuttgart 1984.<br />
2 Elmar Blessing: Die Kirchen-, Kapellen- und Altarpatrozinien<br />
für den Kreis Hechingen im Mittelalter und in der Neuzeit. Diss.<br />
Tübingen 1962.<br />
3 S.Anm. 2.<br />
4 Franz Xaver Hodler: Geschichte des Oberamts Haigerloch<br />
(OAB). Hechingen 1928 S. 927 Anm. 21.<br />
5 Hermann Bausinger: Der Adventskranz - ein uralter Brauch?<br />
In: Marin Blümcke: Abschied von der Dorfidylle? Stuttgart<br />
1982.<br />
6 Pfarrarchiv Haigerloch (PfA): Nr. 1317 7 OAB, S. 885.<br />
7 Herbert Schwedt/Elke Schwedt: Schwäbische Bräuche. Stuttgart<br />
1984.<br />
8 Eckart Hannmann/Karl Werner Steim: Christian Großbayer.<br />
Ein hohenzollerischen Baumeister des Spätbarock. Sigmaringen<br />
1982, S. 17.<br />
9 Stadtarchiv Haigerloch (STA).<br />
10 Ebd., Bände Nr. 254.<br />
11 S.Anm. 7.<br />
Am 28. Dezember 1868, vor 130 Jahren starb in Berlin im Sigmaringen, der es trotz seines kurzen Lebens zu europa-<br />
Alter von erst 45 Jahren Hofmaler Richard Lauchert aus weitem Ansehen gebracht hat.<br />
20
Geboren am 4. Februar 1823 im heutigen Südwestbank-Gebäude,<br />
entwickelte Richard Lauchert, dessen Großmutter<br />
eine Schwester des bekannten Sigmaringer Malers Johann<br />
Fidelis Wetz war, schon früh seine künstierische Begabung.<br />
Einen Gönner fand er in Erbprinz Karl Anton von Hohenzollern,<br />
der ihm durch ein Stipendium den Besuch der<br />
Münchner Kunstakademie ermöglichte, ebenso Studienreisen<br />
nach Italien und Paris.<br />
1850 von Karl Anton zum Hofmaler ernannt, spezialisierte<br />
sich Richard Lauchert auf die Portraitmalerei und erhielt in<br />
der Folgezeit zahlreiche Aufträge von Adelsfamilien. Bei einem<br />
Aufenthalt in Petersburg malte er den russischen Zaren<br />
und Mitglieder aus dessen Familie.<br />
Gegen erhebliche Widerstände, vor allem bedingt wegen<br />
des Standesunterschieds, ehelichte der Sigmaringer Prinzessin<br />
Amalie von Hohenlohe-Schillingsfürst, die ihm zwei<br />
Kinder schenkte.<br />
Die zahlreichen Aufträge zehrten an den Kräften des<br />
Künstlers, und so starb er mitten in seinem erfolgreichen<br />
Schaffen. Er darf zu den bedeutendsten Bildnismalem des<br />
19. Jahrhunderts gezählt werden, und die Herstellung eines<br />
Kunstbandes über Leben und Werk hätte der Sigmaringer<br />
eigentlich verdient.<br />
WALTER KEMPE<br />
Das alte Amtshaus zu Ostrach<br />
Das alte Amtshaus und die alte Zehntscheuer in Ostrach,<br />
Rentamtstraße 1, wurden 1996 vom Fürstlichen Hause von<br />
Thurn und Taxis der Gemeinde Ostrach übereignet. Diese<br />
Besitzübertragung gibt Anlaß, die geschichtliche Bedeutung<br />
und den ideellen Wert der beiden Gebäude für das Gebiet<br />
der heutigen Gesamtgemeinde Ostrach in kurzer Zusammenfassung<br />
darzustellen, zumal inzwischen weiteres, umfangreiches<br />
Archivmaterial hierüber ermittelt wurde.<br />
Das Amtsgebäude<br />
Die Bausubstanz des ehemaligen Amtshauses zeigte bei der<br />
Übernahme 1996, trotz Alters, noch einen verhältnismäßig<br />
guten Zustand. Es war schon seit mehreren Jahren nicht<br />
mehr bewohnt.<br />
Bei einem Fachwerkhaus dieser Art sind, wie die alten Bauakten<br />
zeigen, im Laufe der Zeit immer wieder Reparaturen<br />
und Verbesserungen notwendig gewesen. Ein Brunnen unterhalb<br />
des Hauses, bereits 1720 beschrieben, war früher<br />
mit ein Grund für eine hohe Feuchtigkeit im Gebäude. Er<br />
wurde später zu einer Kläranlage für die Abwässer umfunktioniert.<br />
Änderungen der Nutzung waren ebenfalls Anlaß<br />
zu Umbauten im Inneren, ob nun zu Wohnzwecken oder<br />
zur Nutzung als Oberamt mit Kanzlei-, Archiv- und Vorratsräumen,<br />
Rentamt und Oberförsterei. Auch die künftige<br />
Verwendung wird wiederum bauliche Maßnahmen erfordern.<br />
Das Amtsgebäude selbst dürfte nach Genzmer und nach<br />
früheren Schätzungen in den Brandversicherungsunterlagen,<br />
um 1700 erstellt worden sein. Um diese Zeit regierte<br />
der Salemer Abt Stephan I. Jung als Landesvater, der für die<br />
Erneuerung der wichtigsten Bauten in Ostrach sorgte. Es<br />
waren dies Kirche, Pfarrhaus, Kaplanei und Amtshaus. Ein<br />
Amtshaus existierte somit auch vor 1700 an dieser Stelle.<br />
1705 wurde dann im Ostracher Urbar Nr. 6 die Oberamtsbehausung<br />
mit allem Zugehör als Salemer Besitz beschrieben.<br />
Ein »Grundris von Osterach« aus dieser Zeit zeigt die<br />
Hofmaler Richard Lauchert (1823-1863)<br />
einzelnen Gebäude des Komplexes. Anhand von Anstellungsverträgen,<br />
sog. Bestallungen salemischer Amtsträger<br />
und anderen aufschlußgebenden Urkunden, lassen sich nun<br />
Amtshaus, das den Amtsträgern auch als Wohnung diente<br />
und Zehntscheuer sowie eine weitere Salemer Amtsscheuer<br />
in Ostrach bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen.<br />
Die Funktion der Amtsgebäude<br />
Seit dieser Zeit, dem 14. Jahrhundert, dienten diese öffentlichen<br />
Gebäude dem Kloster Salem als Verwaltungssitz für<br />
seine bisherigen und später dazu erworbenen Besitzungen<br />
im Bereich »Ob den Bergen«, »als zu Ostrach und anderen<br />
Orten so in die Pfleg des Salemer Hofes in der Freien<br />
Reichsstadt Pfullendorf gehören«. Vorher erfolgte hier die<br />
verwaltungsmäßige Erfassung der Einzelbesitzungen durch<br />
das Bursaramt bzw. Kelleramt in Salem selbst. Das Bursaramt,<br />
auch Burse genannt, war damals die Finanzzentrale Salems,<br />
die von einem Bursar (Bursier) geleitet wurde. Dem<br />
Kelleramt oblag die weit gefächerte Wirtschaftsverwaltung.<br />
Leiter war der Kellermeister, auch als Kellner oder Zellerar<br />
bezeichnet.<br />
Nach einem Sigmaringer Schutz- und Schirmbrief von 1324<br />
für den Salemer Bereich »Ob den Bergen«, handelte es sich<br />
damals um die Orte, die links des Flüsschens Ostrach lagen:<br />
»das ist Lausheim ihr Hof, Ostrach, Burgweiler, Magenbuch,<br />
Levertsweiler, Spöck und Wangen.« Für diesen<br />
flächenmäßig nicht geschlossenen salemischen Distrikt bildete<br />
sich dann allmählich die Bezeichnung »Herrschaft<br />
Ostrach« heraus, wobei die Oberaufsicht des Klosters nach<br />
wie vor in Händen eines Pflegers in Pfullendorf, später auch<br />
in Bachhaupten lag. - Bachhaupten bildete hierbei schon<br />
früh mit den salemischen Besitzungen rechts der Ostrach in<br />
den Orten Eschendorf, Tafertsweiler und Günzenhausen<br />
bis 1705 ein eigenes Amt. - Der Sitz des Pflegers wechselte<br />
dann während des 18. Jahrhunderts mehrmals zwischen<br />
Pfullendorf und Bachhaupten.<br />
21
Die behördlichen Verwalter im Amtshaus<br />
Der Titel des jeweiligen Verwalters, der im Amtshaus zu<br />
Ostrach, etwa vom 14. bis 16. Jahrhundert wohnte und<br />
wirkte, lautete in diesen Urkunden mit wenigen Ausnahmen<br />
»Kaufmann zu Ostrach«. Haus, Hof, Scheuer und<br />
Zehntscheuer waren seinen vielseitigen Aufgaben angepaßt.<br />
So hatte er die Getreide- und anderen Naturalabgaben der<br />
Zehntpflichtigen zunächst zur Lagerung in der Zehntscheuer<br />
entgegen zu nehmen und verteilte Bau- und Brennholz<br />
aus den Beständen des Klosters an Lehensleute und andere<br />
Bezugsberechtigte. Er zog Steuer- und Bußgelder ein und<br />
führte darüber Buch. Rechnungen wurden von ihm ausgestellt<br />
sowie Rechnungen beglichen. Seine Jahresabrechnung<br />
hatte er dem Pfleger in Pfullendorf vorzulegen. Er führte<br />
das Lehenbuch und verlieh Höfe und Konzessionen. Als<br />
Bevollmächtigter des »Gotteshaus« Salem hatte er für die<br />
Einhaltung der Verordnungen und Gesetze zu sorgen und<br />
mit »Güte und Recht« zu handeln. Auch für kleinere Streitfälle<br />
war er zuständig. Verwarnungen, Viehschäden und<br />
Übertretungen der »Gebote« waren höheren Orts zu melden.<br />
Bei seiner Tätigkeit außerhalb der Amtsräume im<br />
Amtsbereich war er beritten und trug Harnisch und Gewehr.<br />
Auf größeren Reisen trug er, seiner Position entsprechend,<br />
eine stattliche Hofkleidung.<br />
Um 1600 wird dann das Amtshaus mit Hofraite, Scheuer,<br />
Ofenhaus, Schweinestall und zugehörigen Gärten zu<br />
Ostrach zum Oberamtssitz. Jetzt wohnte und wirkte hier<br />
der salemische Oberamtmann der Herrschaft Ostrach bzw.<br />
des Oberamts Ostrach, ob den Bergen und allen Orten, so<br />
in die Pfleg Pfullendorf gehören. Seine Tätigkeit dürfte<br />
ähnlich der des früheren »Kaufmanns zu Ostrach« gewesen<br />
sein, wie aus den Bestallungen und den Vorschriften hervorgeht<br />
mit dem Titel »Statuten, Satzungen und Verboten des<br />
Gotteshauses Salem in den Gerichten, Zwingen und Bannen<br />
»Ob den Bergen«, aus alten und richtigen Originalen und<br />
Jahresbriefen (-Verordnungen) gezogen.<br />
Neben dem früheren »Kaufmannsamt zu Ostrach« gehörte<br />
jetzt auch das Amt Bachhaupten mit den salemischen Besitzungen<br />
rechts der Ostrach zum Oberamt Ostrach.<br />
Im Oberamtshaus zu Ostrach finden wir recht fähige, ausgebildete<br />
Persönlichkeiten als Oberamtmänner, z. B.<br />
Rechtsgelehrte, was im 18. Jahrhundert besonders deutlich<br />
wird.<br />
In dieser Zeit des 18. Jahrhunderts wohnten sie auch hin<br />
und wieder beim Pfleger in Bachhaupten, meist jedoch in<br />
Ostrach. Ob das u. a. mit Renovierungen des Ostracher<br />
Amtshauses zusammenhing, konnte bisher nicht ermittelt<br />
werden.<br />
Die Nutzung der Dienstwohnung im Amtshaus zu Ostrach<br />
durch den jeweiligen Oberamtmann war mietfrei (»ohne<br />
Zins«), Reparaturen gingen zu Lasten des Reichsstifts, ausgenommen<br />
Schäden an Öfen und Fenstern. Mietfrei bzw.<br />
pachtfrei war auch das bei der Einstellung vertragsgemäß<br />
überlassene Eigentum des Stifts, wie Amtshaus samt<br />
Hofraite, Scheuer, Ofenhaus, Schweineställe, Baum- und<br />
Krautgärten. Diese Regelung galt auch schon für den jeweiligen<br />
»Kaufmann« z. B. 1573 für Joachim Haimpoltsen.<br />
Die Landesherrschaft über das Ostracher Gebiet im 17. und<br />
18. Jahrhundert.<br />
1611 erhielt der Klosterstaat unter Abt Petrus II. Müller,<br />
zunächst pfandweise, auch die Landesherrschaft bzw. die<br />
Hohe Gerichtsbarkeit über das Gebiet der Herrschaft bzw.<br />
das Oberamt Ostrach links der Ostrach von Graf Ernst Georg<br />
von Hohenzollern - Sigmaringen. Hiermit stieg auch<br />
22<br />
die Bedeutung des Ostracher Oberamtssitzes. 1637, mitten<br />
im 30jährigen Krieg, trennte Salem den Bereich Burgweiler<br />
ab und übergab ihn der Reichsgrafschaft Heiligenberg. Um<br />
1700 erwarb Salem in komplizierten Verfahren die landesherrschaftlichen<br />
Rechte über seine Besitzungen rechts der<br />
Ostrach käuflich von den Truchsessen von Waldburg, denen<br />
die zuständige Grafschaft Friedberg-Scheer gehörte.<br />
Das Haus Österreich war hierbei oberster Lehensherr. Wenig<br />
später kaufte Salem auch die bereits pfandweise erhaltenen<br />
Rechte links der Ostrach von den Hohenzollern, deren<br />
oberster Lehensherr ebenfalls das Haus Österreich war. Die<br />
Grundherrschaft bzw. die niedere Gerichtsbarkeit über die<br />
beiden Gebiete stand Salem bereits seit 1509 zu.<br />
Besondere Ereignisse im Oberamtshaus während des<br />
17. und 18. Jahrhunderts.<br />
Salem hatte nun, ab 1611, auch landesherrschaftliche Rechte<br />
im Bereich Ostrach erhalten, wie z. B. die Hohe Gerichtsbarkeit<br />
unter der Oberhoheit des Hauses Österreich. Hiermit<br />
erlangte es eine größere Selbständigkeit, die sich auch<br />
auf die Tätigkeit im Ostracher Oberamtshaus auswirkte.<br />
Bei speziellen Anlässen wird dies wieder sichtbar. So bei den<br />
sogenannten Erbhuldigungen und Vereidigungen der Untertanen<br />
des Herrschafts- bzw. Oberamtsbereichs Ostrach<br />
und teilweise weiterer salemischer Bezirke, auf dem Hofe<br />
vor dem Oberamtshaus Ostrach, 1615, nach der Wahl des<br />
Salemer Abts Thomas I. Wunn und 1685, nach der bereits<br />
1680 erfolgten Wahl des Salemer Abts Emanuel Sulger.<br />
Der jeweilige Abt erschien hierbei in Begleitung der salemischen<br />
und kaiserlichen Amtsträger zu dieser Handlung, die<br />
notariell festgehalten wurde, am Fenster der oberen Stube<br />
des Amtshauses, das gegenüber der Zehntscheuer lag und<br />
hielt seine Einfuhrungsrede, wonach sich der Oberamtmann<br />
offiziell beim neuen Abt bedankte. Nach Besichtigung<br />
der wehrhaften Untertanen auf dem Hofe erfolgte<br />
dann in der Zehntscheuer die Musterung durch salemische<br />
Beamte.<br />
Der Vorgänger des 1615 gewählten Abtes Thomas I. Wunn<br />
war der bereits erwähnte Abt Petrus II. Müller. Er trat 1593<br />
sein Amt an. Zuvor war er Pfleger zu Pfullendorf und so mit<br />
der ihm schon damals unterstellten Herrschaft Ostrach besonders<br />
vertraut. Die Erneuerung der Ostracher Zehntscheuer<br />
im Jahre 1595 erfolgte unter seiner Regierung. Sein<br />
Wappen mit der Jahreszahl prangt noch heute an der Front<br />
der Scheuer. Es vereint das damals gültige Wappen des<br />
Reichsstifts Salem mit seinem persönlichen. Im runden<br />
Schild ist, hier im rechten unteren Viertel, das Wappen des<br />
30. salemischen Abtes beigefügt. Dieses persönliche Wappen<br />
ist heute noch farbig in der Wappentafel des ehem. Klosters<br />
Salem erhalten.<br />
Zwischen den beiden uns bekannten Erbhuldigungen im<br />
Amtshaus zu Ostrach, 1615 und 1685, lag eine Zeit voller<br />
Not und Elend, die der 30jährige Krieg mit sich brachte. Besonders<br />
während des sog. Schwedischen Krieges von 1630<br />
bis 1647 zogen vielerlei Kriegsvolk und raubende, plündernde<br />
Banden durch den Ort.<br />
Die Überlieferung bringt, soviel ersichtlich, keine Einzelheiten<br />
über die Geschehnisse im Amtshaus und die Tätigkeit<br />
sowie die Beschwernisse des Oberamtmanns zu<br />
Ostrach. Mehr erfahren wir über den zuständigen salemischen<br />
Pfleghof Pfullendorf und über das Reichsstift in Salem<br />
selber. Beschrieben werden meist in größerem Rahmen<br />
die Marschrouten der schwedischen, württembergischen,<br />
kaiserlichen und anderen Heerscharen und ihre Folgen,<br />
z. B. von Mengen, Riedlingen über Saulgau, Pfullendorf,<br />
Stockach, nach Heiligenberg und Salem. Die Leiden und
Das alte Amtshaus<br />
in Ostrach<br />
Foto: E. König<br />
Verwüstungen waren jedoch in Ostrach nicht viel weniger<br />
als in den größeren umhegenden Orten.<br />
Aus den Akten geht hervor, daß u.a. im Mai 1631 eine<br />
große Einquartierung erfolgte. Im Juni 1632 kamen drei<br />
Kompanien schwedischer Reiter und 150 Dragoner nach<br />
Ostrach, die hier übel hausten. Sie brannten acht Bauernhäuser<br />
und zwei Scheunen nieder. Als am 25. Oktober 1632<br />
der Oberamtmann, hier Pfleger zu Ostrach genannt, nach<br />
Hause kam, war alles und jedes zerschlagen und geraubt.<br />
Ob sein Amtshaus dabei nur reparaturbedürftig wurde oder<br />
neu aufgebaut werden mußte, ist nicht zu ersehen.<br />
Am Ende dieses mörderischen Krieges waren die meisten<br />
Einwohner geflohen oder tot. Man zählte am 4. Mai 1647 im<br />
Amte Ostrach nur noch 41 »magere Untertan«.<br />
Die Wiederbesiedlung der verödeten Landschaft in kürzester<br />
Zeit dürfte für das Reichsstift Salem und seinen Oberamtmann<br />
zu Ostrach eine große Herausforderung gewesen<br />
sein. Die katholischen Kirchenbücher in Ostrach und Tafertsweiler<br />
nennen die meist aus Vorarlberg, Luzern und<br />
Thurgau Eingewanderten namentlich.<br />
Nach den Anstellungsverträgen für die salemischen Oberamtmänner<br />
dürfte das Oberamtshaus in dieser Zeit, zumindest<br />
1625, 1644 und 1651, voll nutzbar gewesen sein, ebenfalls<br />
beim Abtbesuch 1685.<br />
In den schlimmen Kriegs jähren 1796 und 1799 kam der salemische<br />
Konventuale und Oberbursier Pater Karl Wächter<br />
zur Unterstützung des alten Oberamtmanns ins Oberamtshaus<br />
nach Ostrach.<br />
HANS PETER MÜLLER<br />
Einen Auszug aus Wächters Tagebuch, besonders über die<br />
Vorkommnisse im Amtshaus zu Ostrach vor und nach der<br />
Schlacht im März 1799 und die Einquartierungen im August<br />
1799 gab Willi Rieger 1982 in der Heimatgeschichtlichen<br />
Beilage des Mitteilungsblattes der Gemeinde Ostrach.<br />
Aus anderen Quellen erfahren wir, daß sich am 4.11.1796<br />
sämtliche Bürgermeister und Dorfpfleger des Oberamtes im<br />
Oberamtshaus zu Ostrach versammelten, um ihm zu danken.<br />
Auf dem Amtshofe erschollen die Hochrufe der jungen<br />
Leute aus den einzelnen Ortschaften, die dem Ordensmann<br />
dann auch ein musikalisches Ständchen brachten.<br />
Die Schäden in Ostrach unmittelbar nach der Schlacht am<br />
21. März 1799 wurden von Pater Wächter wie folgt beschrieben:<br />
»Die Dächer und Häuser waren überall elend zugerichtet.<br />
Im Amtshaus waren über 30 Kanonenkugeln eingeschlagen.<br />
Die Stiege der Laube war abgeschossen, der<br />
Fensterstock samt der Mauer in des Herrn Oberamtmanns<br />
Zimmer zusammengerissen. In diesem mittleren Stock war<br />
keine einzige ganze (Fenster-)Scheibe mehr. Daher war die<br />
erste Arbeit, das Notwendigste auszubessern, bevor die beiden<br />
österreichischen königlichen Hoheiten Erzherzog Carl<br />
und Erzherzog Ferdinand mit ihrer Begleitung noch an diesem<br />
Tage im Amtshause Quartier nehmen konnten.«<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Das unrühmliche Ende der Gebrüder von Bubenhofen<br />
Interessenten können von der Schriftleitung eine Kopie mit zahlreichen<br />
Anmerkungen und Quellenangaben anfordern, bitte DM 3,-<br />
Porto beilegen.<br />
In Heft 3 Jg. 1998 hat sich F. Feist der dankenswerten Auf- ten, nicht überzeugend. Allein die von ihm selbst angeführgabe<br />
unterzogen, das finanzielle Ende der Gebrüder Hans ten Zahlen über die auf Gammertingen haftenden Schulden<br />
Kaspar und Wolf von Bubenhofen näher zu beleuchten, belegen eindeutig, daß die Herrschaft total überschuldet<br />
wobei er zahlreiche, bislang unbekannte Schweizer Quellen war.<br />
verwenden konnte. Allerdings ist seine Schlußfolgerung, Zur angemessenen Beurteilung der »causa Bubenhofen« ist<br />
daß die Bubenhofen ihren Besitz nicht wegen Überschul- zuallererst eine genaue und richtige Chronologie der Ereigdung,<br />
sondern wegen finsterer Machenschaften der öster- nisse vonnöten, die wie folgt aussieht. Am 20. Sept. 1520<br />
reichischen Administration in Württemberg verloren hät- mußte Hans Kaspar im Riedlinger Vertrag schwören, seine<br />
23
Besitzungen binnen 10 Tagen an seine Mitgewähren und<br />
Bürgen unter der Leitung von Walter von Hirnheim,<br />
Hauptmann des Schwäbischen Bundes, abzutreten. Dies hat<br />
er offensichtlich nicht getan, vielmehr ging er gewaltsam gegen<br />
einzelne Mitglieder der Bürgengemeinschaft vor, weshalb<br />
er im Juli 1521 vom österreichischen Statthalter gefangengenommen<br />
und auf Schloß Hohenurach (in Graf Heinrichs<br />
Gemach) gebracht wurde. In der Folgezeit fanden<br />
mehrere Verhandlungen in Stuttgart zwischen dem Statthalter,<br />
den Bürgen und den Söhnen Hans Kaspars statt. Diese<br />
führten zu Vergleichen vom 22. Aug. und 21. Okt., die jedoch<br />
wirkungslos blieben. Erst ein neuerlicher Vergleich<br />
vom 7. Dez. 1521 hatte Erfolg, denn noch am selben Tag<br />
wurde Hans Kaspar auf Urfehde aus dem Gefängnis entlassen.<br />
In der Urfehde wird lediglich auf seine »gewaltigen und<br />
tätlischen Handlungen« gegen die Bürgen abgehoben,<br />
während die übrigen Streitpunkte, nämlich der Raub seiner<br />
Kleinodien in Reutlingen und die Einnahme der Baiinger<br />
Dörfer 1519 ausdrücklich ausgenommen wurden. Auch<br />
nach dem Verkauf der Herrschaft Gammertingen 1524<br />
ließen die Bürgen nicht locker, denn 1528 prozessierten sie<br />
gegen Hans Kaspars Sohn Hans Jakob vor dem Rottweiler<br />
Hofgericht. Offenbar wollten sie auch noch seines Vaters<br />
Haus in Rottenburg bekommen, was jedoch nicht gelang.<br />
HANNES SCHNEIDER<br />
Die Bahnstation Zollern<br />
Vor 120 Jahren wurde die Zollernbahn vollendet<br />
Bau der Hohenzollernbahn<br />
Während der vierten Bauperiode der Königlich Württembergischen<br />
Eisenbahn von 1867 bis 1878 entstand auch die<br />
Hohenzollernbahn 1, die von Tübingen über Hechingen<br />
nach Sigmaringen führt.<br />
In einem Staatsvertrag vom 3. März 1865 zwischen Württemberg<br />
und Preußen wurde vereinbart, daß die Eisenbahnverbindung<br />
auch durch preußisches Gebiet gebaut werden<br />
sollte.<br />
Die Planung stammte von Oberbaurat Schlierholz, Detailbearbeitung<br />
und Ausführung wurden den Bauämtern Tübingen,<br />
Balingen, Ebingen und Sigmaringen, sowie dem<br />
Hochbauamt Sigmaringen mit Bauinspektor Eulenstein<br />
übertragen.<br />
Vorarbeiten und Ausführungen wurden so organisiert, daß<br />
auf den fertigestellten Teilstrecken der Betrieb aufgenommen<br />
werden konnte. Die einzelnen Teilabschnitte der Bahnstrecke<br />
von Tübingen nach Sigmaringen wurden wie folgt<br />
eröffnet:<br />
Tübingen—Hechingen am 29. Juni. 1869. Die Fertigstellung<br />
der Strecke Hechingen—Balingen verzögerte sich<br />
durch den deutsch-französischen Krieg bis 1. August. 1874.<br />
Am Tag der Eröffnung gab es in Balingen, wie auch auf den<br />
anderen Bahnhöfen, ein großes Festprogramm. Die Strecke<br />
Balingen—Sigmaringen war am 4. Juli. 1878 fertiggestellt.<br />
Auch in Sigmaringen wurde ein Fest gefeiert, das mit einer<br />
Gewerbeaussteilung verbunden war. Nach dem Fahrplan<br />
waren vier Züge täglich ab Tübingen und ab Sigmaringen<br />
vorgesehen 2.<br />
Die Gesamtlänge der Strecke Tübingen—Sigmaringen beträgt<br />
87,505 km, wovon 40,409 km auf preußischem Gebiet<br />
lagen. Die Unterhaltung der ganzen Stecke war alleinige Sache<br />
der Königlich Württembergischen Bahnverwaltung<br />
Die Baukosten für die Strecke betrugen 23 316 753,12 Mark<br />
24<br />
Auch bei Hans Kaspars Bruder Wolf von Bubenhofen ist<br />
die Verschuldung evident. Am 26. Okt. 1526 mußte er<br />
Schloß und Dorf Geislingen samt dem Hof Bronnhaupten<br />
und den Häusern zu Balingen und Rottweil gegen ein Leibgeding<br />
an seine Gewähren und Bürgen Wendel von Hailfingen<br />
und Hans von Weitingen abtreten. In der Einleitung des<br />
Abtretungsvertrags wurde ausdrücklich festgehalten, daß<br />
die beiden Bürgen wegen ihm zur Leistung aufgefordert<br />
worden seien, weshalb sie ihn vor dem Rottweiler Hofgericht<br />
verklagt und die Acht erwirkt hätten.<br />
Im Gegensatz zu den bisherigen Darstellungen (z. B. KB<br />
Balingen) waren die Dörfer Dotternhausen, Rosswangen<br />
und halb Dürrwangen nicht von der Abtretung betroffen,<br />
denn diese hatte Wolf bereits am 16. Dez. 1523 an Erzherzog<br />
Ferdinand von Österreich verkauft, der sie am 12. März<br />
1525 an Wendel von Hailfingen und Hans von Weitingen<br />
weiterveräußerte. Von der auf 8500 fl. bezifferten Kaufsumme<br />
bekamen die Verkäufer aber jeweils nur 1600 fl.,<br />
während der Rest an die Gläubiger zu bezahlen war.<br />
Quellen:<br />
HStA Stgt. A 155 U 31 und Bü 5; B 19 U 98, 99, 101; C 3 U 328 a<br />
und Bü 449.<br />
Streit um die Station Zollern<br />
Am 2. Juli 1872 sandte die Königlich Württembergische Eisenbahn-Bau-Commision<br />
eine Note an die Königlich<br />
Württembergische Eisenbahndirektion in Stuttgart, in der<br />
die Errichtung einer Station am Fuße des Hohenzollern<br />
vorgeschlagen wurde: »Seine Majestät, der König von<br />
Württemberg, hat verfügt, eine Station unterhalb des Hohenzollern,<br />
für seine Majestät, den deutschen Kaiser, zu errichten.<br />
Es wird gebeten die Ansicht bald mitzuteilen, so<br />
daß man der Königlich Preußischen Regierung, in Sigmaringen,<br />
eine baldige Antwort geben kann.«<br />
Am 18. September 1872 sandte die Königliche Eisenbahndirektion<br />
eine ablehnende Antwort. Man sei nicht gewillt, eine<br />
Station nur für den Kaiser zu bauen, wenn sie nicht zugleich<br />
auch dem öffentlichem Verkehr diene. Das Königliche<br />
Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und die<br />
Königliche Eisenbahndirektion stritten sich bis 1873. Am<br />
21. April 1873 bewilligte die Königliche Eisenbahndirektion<br />
dann doch die Erstellung einer Haltestelle unterhalb des<br />
Hohenzollern. Sie sollte dem deutschen Kaiser, aber auch<br />
zur Aufnahme von Personen und Gepäck dienen 3.<br />
Der Architekt konnte jetzt mit der Planung und dem Bau<br />
beauftragt werden. Das Eisenbahn-Hochbauamt Balingen<br />
schrieb die Arbeiten im Volksfreund sowie in den Hohenzollerischen<br />
Blättern aus. Bis zum 18. Januar 1874 sollten<br />
Angebote fürTrottoir, Dohlen, Beleuchtung und Signaleinrichtung<br />
sowie für die Dunglege auf der Station Zollern abgegeben<br />
werden 4.<br />
Die Station ist fertiggestellt<br />
Pünktlich zur Einweihung der Strecke Hechingen—Balingen,<br />
am 1. August 1874, war die Station fertiggestellt. In den<br />
»Hohenzollerischen Blättern« vom 6. August 1874 erschien<br />
ein überschwänglicher Bericht:
»Bei der Ausfahrt aus diesem Liasabschnitt hält der Zug.<br />
»Station Zollern!« ruft der Kondukteur. Er ruft mit diesem<br />
Namen eine Fülle von Gedanken wach. Tausende begeisterte<br />
Deutschen werden hier aus - und einsteigen, denen der<br />
Zoller so lieb ist, als Mekka dem Muselmann, oder dem<br />
christlichen Pilger Jerusalem. Die Station ( 547,6 m ü. d. M.)<br />
wird selbstverständlich nur ein Haltplatz werden für Reisende.<br />
An einen anderen Verkehr, als an den Personenverkehr,<br />
kann hier nicht gedacht werden. Das Stationsgebäude,<br />
von dem aus ein direkter Fahrweg zur Burg führt, ist darum<br />
auch teils aus Holz, teils aus Stein im mittelalterlichem Stile<br />
Die Station Zollern 1996<br />
Foto: Hannes Schneider<br />
ausgeführt und es sind Lokale für fürstliche Besucher erstellt.<br />
Schade nur, daß gerade auf der Station Zollern ein<br />
Vorberg die Aussicht auf den Zollern behindert!«<br />
Die Station war hauptsächlich gedacht für »allerhöchste<br />
Herrschaften«, welche die unter Friedrich Wilhelm IV. wieder<br />
aufgebaute Burg Hohenzollern besuchen wollten. Sie<br />
war ca. 25 m lang, 9 m breit und bestand aus folgenden Teilen:<br />
dem Wärterhaus, Mittelbau, Salongebäude mit angebautem<br />
Turm. Der Stil, vor allem der Turm entsprach der<br />
Ritterburgen-Romantik. Im Volksmund bekam die Station<br />
schnell den Namen »Ritterbahnhof«. Es gab einen Fürstensalon,<br />
sowie Wartesäle 1., 2., 3. und 4. Klasse. Uber dem<br />
Fürstensalon breitete ein Preußenadler seine Schwingen<br />
aus. Der Saal war mit einer Holzdecke, einen reich verzierten<br />
Fries und einer Büste von Kaiser Wilhelm II. geschmückt.<br />
Ein Teil der Bahnstation war für die Kasse und Gepäck vorgesehen.<br />
Auch gab es eine Wohnung für den Bahnhofsvorsteher<br />
5.<br />
Abbruch des Turmes<br />
Im Jahr 1929 wurde der Turm abgetragen, da man an dieser<br />
Stelle eine Wohnung bauen wollte. In der Bevölkerung regte<br />
sich Protest. Die »Hohenzollerischen Blätter« berichteten:<br />
»Die Zollernlandschaft hat soeben eine Veränderung erfahren,<br />
die von der Bevölkerung nicht verstanden wird. Auf<br />
dem Zollernbahnhof ist der Turm, der sich der landschaftlichen<br />
Umgebung schön eingliederte, irgend einer schwachen<br />
Überlegung der jetzt maßgeblichen Bahninstanz zum Opfer<br />
gefallen. Es verlautet, daß man an diese Stelle eine Wohnung<br />
setzen will. Muß dafür aber das ganze Stimmungsbild zerstört<br />
werden? Wenn man je dieses historische Denkmal,<br />
daß einem jetzigen Zeitgeschmack nicht mehr entspricht, so<br />
kurzer Hand abtragen wollte, würde auch im württembergischen<br />
Reichsbahnsprengel manches der Bevölkerung<br />
wertvolle und vertraut gewordene Stück der Vergangenheit<br />
fallen müssen« 6.<br />
Obwohl die Station Zollern besonders für Mitglieder der<br />
Kaiserlichen Familie gebaut war, wurde sie von ihnen nur<br />
wenig benutzt. Kaiser Wilhelm II. benützte den Bahnhof<br />
anläßlich eines Besuchs am 10. November 1893 auf der Burg<br />
Hohenzollern. Uber diesen Besuch berichteten die »Hohenzollerischen<br />
Blätter«:<br />
»Gestern hatten wir die Freude, unseren Kaiser anläßlich<br />
seines Besuchs auf der Burg Hohenzollern zu begrüßen.<br />
Seine Majestät kam mit einem Sonderzug und wurde unter<br />
dem Donner der Geschütze seiner Stammburg begrüßt (damals<br />
hatte die Zollerburg noch eine Garnison). Zur Begrüßung<br />
hatte sich auch der Fürst von Hohenzollern eingefunden,<br />
der schon am Abend vorher ankam und in der Villa<br />
Eugenia übernachtete. Außerdem fanden sich viele Einwohner,<br />
benachbarte Landbevölkerung sowie ein Teil der<br />
hiesigen Schüler und der Elementarschule Wessingen ein.<br />
Kaiser und Gefolge fuhren trotz schlechter Witterung mit<br />
offenen Landauern zur Burg. Es wurde dort ein Mittagsmahl<br />
gereicht, ein Gang um die Basteien mußte infolge der<br />
Witterung ausfallen. Um 3 Uhr fuhr der Kaiser zurück zur<br />
Station Zollern, wo der Militärverein Spalier stand. Um 4.51<br />
Uhr fuhr der Zug zurück nach Sigmaringen« 7.<br />
Die Gleisanlage<br />
Bei der Station Zollern handelt es sich um einen Bahnhof mit<br />
zwei Bahnsteiggleisen, die eine Kreuzung zweier Züge erlauben.<br />
Sie besitzt ferner einen Gleisstumpf zur Verladung.<br />
Im Jahr 1874 war ein Kreuzungsgleis von 163 m Länge eingebaut<br />
worden. 1908 wurden zusätzlich Schutzweichen auf<br />
jeder Seite eingebaut. Man nutzte diesen Umbau auch zur<br />
Verlängerung des Kreuzungsgleises auf 239 m.<br />
Trotzdem war die Nutzlänge des Kreuzungsgleises bald<br />
wieder für die sichere Durchführung der Züge zu kurz.<br />
25
Grundriß der Station Zollern<br />
1906, an der linken Seite der 1929<br />
abgebrochene Turm.<br />
Eisenbahndirektion Stuttgart<br />
Wenn man bedenkt, daß der Stückgut- und der Wagenladungsverkehr<br />
sich seit 1913 auf das neunfache gesteigert<br />
hatte, kann man verstehen, daß es auf der Station Zollern<br />
immer größere Platzprobleme gab. Vielfach mußten Wagen<br />
in Balingen abgestellt werden, oder man mußte sogar Züge<br />
in Hechingen und Bisingen zurückhalten.<br />
Es wurde mehrmals eine Verlängerung des Kreuzungsgleises<br />
auf mindestens 550 m gefordert sowie der Bau eines neuen<br />
Verladegleises, um den Wagenladungsverkehr vernünftig<br />
durchführen zu können. Es ist aber nichts geschehen Im<br />
Jahr 1930 wurde dann endlich reagiert und das Kreuzungsgleis<br />
verlängert.<br />
Am Ende der sechziger Jahre begann der Rückbau. 1967<br />
wurde die Weiche Richtung Balingen ausgebaut und damit<br />
die Kreuzungsmöglichkeit genommen. 1972 folgte dann der<br />
endgültige Abbau der Gleisanlagen.<br />
Die Sonderfahrt von 1972<br />
Am 13. September 1972 hatte Herzogin Viktoria Luise<br />
ihren achtzigsten Geburtstag. Anläßlich dieses Ereignisses<br />
lud Prinz Louis Ferdinand zu einer Nachfeier auf die Burg<br />
Hohenzollern ein. Das nutzte man zu einer sogenannten<br />
»Adels-Rallye«. In Bad Imnau wurden die Damen abgesetzt.<br />
Von hier aus fuhr ein Museumszug der Gesellschaft<br />
zur Erhaltung von Schienenfahrzeugen (GES), der Zug<br />
wurde von der GES Lok 11 gezogen. Diese Lok war 1911<br />
von der Maschinenfabrik Esslingen für die Hohenzollerische<br />
Landesbahn gebaut worden.<br />
Anmerkungen<br />
1 Staatsarchiv Ludwigsburg E 79III Bü 330,331; E 79 III Bü 576,577.<br />
2 Volksfreund 23.7.1874.<br />
3 Staatsarchiv Ludwigsburg E 79 Bü 1009.<br />
4 Volksfreund 15.1.1874.<br />
5 HZ 9.7.1966.<br />
6 HBL 11.6.1929.<br />
7 HBL 14.11.1929.<br />
8 Heimatbücherei Hechingen, HZ 28.09./ 02.10.1972; Gemeinde<br />
Bisingen, Schwabo 02.10.1972.<br />
Quellen und Literatur:<br />
Kreisarchiv Zollernalbkreis<br />
Stadtarchiv Balingen<br />
Stadtarchiv Hechingen<br />
Notariat Hechingen<br />
Hohenzollerische Blätter (HBL)<br />
Hohenzollerische Zeitung (HZ)<br />
26<br />
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Der Publikumsandrang auf den Bahnhöfen war groß, denn<br />
viele wollten Herzogin Viktoria Luise und Prinz Louis Ferdinand<br />
sehen. Bis Hechingen fuhr der Zug auf den Gleisen<br />
der Hohenzollerischen Landesbahn und wurde dann dort<br />
auf die Gleise der Bundesbahn umgesetzt. Er fuhr nun auf<br />
der Hohenzollernbahn bis zur Station Zollern. Dort warteten<br />
der Bisinger Bürgermeister Haasis, die Stadtkapelle Hechingen,<br />
sowie viele Presseleute und Schaulustige. Nach<br />
dem Empfang im Kaisersaal der Station fuhren Herzogin<br />
Viktoria Luise und Prinz Louis Ferdinand in einem offenen<br />
Landauer zur Burg Hohenzollern 8.<br />
Ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung<br />
Bis 1972 war die Station Zollern besetzt und wurde danach<br />
noch bis 1977 als unbesetzter Haltepunkt bedient. Die Züge<br />
hielten aber nur noch unplanmäßig, besonders für Reisegruppen,<br />
die auf die Burg Hohenzollern wollten.<br />
Im Jahre 1976 wurde die Station als Kulturdenkmal von besonderer<br />
Bedeutung eingestuft. Im gleichen Jahr wurde das<br />
Bahnhofsgebäude zum Kauf angeboten. Zunächst fand sich<br />
niemand, der sich um die Station kümmerte, so daß sie immer<br />
mehr verkam. Das machte sich besonders an eingeschlagenen<br />
Fenstern und demolierten Räumen bemerkbar.<br />
Schließlich fand sich 1981 doch ein Kaufwilliger, der bereit<br />
war, das Stationsgebäude wieder instand zu setzen und die<br />
Auflagen des Denkmalamtes zu berücksichten.<br />
Der Volksfreund (Volksfreund)<br />
Schwarzwälder Bote (Schwabo)<br />
Baudirektor von Morlok, Rückschau auf die Erbauung der Königlich<br />
Württembergischen Eisenbahn, Stuttgart 1890 (Nachdruck 1986).<br />
Stefan Hammer, Rolf Arbogast, Alte Bahnhöfe in Württemberg,<br />
Stuttgart Edition Erdmann.<br />
Guido Motika/Balingen, Grundriß und Skizze Informationen über<br />
die Gleisanlagen.<br />
Conzelmann August GmbH & Co./Bisingen, Bild aus dem Jahr<br />
1910.<br />
Hohenzollerische Zeitung, Bilder aus dem Jahr 1979.<br />
Gesellschaft zur Erhaltung von Schienenfahrzeugen e. V. Stuttgart,<br />
GES Lok 11.<br />
Jürgen Herre/Balingen, Bilder vom Preußen-Adel.<br />
Hans Kobschätzky, Streckenatlas der deutschen Eisenbahnen<br />
1835-1892, Alba Verlag Düsseldorf.<br />
Deutsche Reichsbahn Gesellschaft, Amtliches Bahnhofsverzeichnis<br />
der Deutschen Reichsbahn, Berlin 1933.
Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau<br />
Vortragsveranstaltung am Samstag, 16. Oktober 1999, ab<br />
9.30 Uhr in Schömberg-Schörzingen, Hohenberghalle (siehe<br />
auch »Mitteilungen aus dem <strong>Geschichtsverein</strong>« in diesem<br />
Heft).<br />
Weite Landstriche an oberem Neckar und oberer Donau<br />
gehörten bis 1806 zu Vorderösterreich. Die jahrhundertelange<br />
Zugehörigkeit zum Hause Habsburg war prägend für<br />
die Region. Heute finden sich zahlreiche Gebietsteile dieses<br />
ehemals österreichischen Territoriums in den Landkreisen<br />
Rottweil, Tuttlingen, Sigmaringen und dem Zollernalbkreis<br />
wieder.<br />
Mit der Vortragsveranstaltung »Vorderösterreich an oberem<br />
Neckar und oberer Donau« wird die Thematik der Landesausstellung<br />
zu Neckar/obere Donau vertieft. Die Vortragsthemen<br />
spiegeln die Vielfalt wider, die für Vorderösterreich<br />
charakteristisch ist: Zu Vorderösterreich gehörten<br />
Herrschaften und Städte, die sich direkt unter österreichischer<br />
Hoheit befanden, wie auch Territorien, die als Lehen<br />
oder Pfandschaften an Adlige vergeben waren. Letzteres<br />
war beispielsweise bei den Grafschaften Sigmaringen und<br />
Veringen der Fall, welche die Grafen und Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen<br />
seit 1535 als österreichische Lehen<br />
inne hatten. Habsburg fungierte für die vorderösterreichischen<br />
Untertanen sowohl als direkter Landesherr, der seine<br />
Landeskinder relativ milde regierte, wie auch als »Schutzflügel«,<br />
der über solche Untertanen gebreitet wurde, die<br />
WOLFGANG SCHAFFER<br />
von nachgeordneten Herren bedrängt wurden. Habsburg<br />
mußte aber auch politische Rücksichten auf ein weit gespanntes<br />
Klientelsystem von Adel und Klöstern, und damit<br />
auch auf die Lehens- oder Pfandinhaber nehmen. Nicht zuletzt<br />
wurden dabei eigene, österreichische Interessen verfolgt.<br />
Der gesamte Südwesten wurde als wichtiges habsburgisches<br />
Einflußgebiet angesehen. Insgesamt blieb die habsburgische<br />
Regentschaft recht lange in guter Erinnerung.<br />
Mit den Vorträgen sollen zentrale Aspekte Vorderösterreichs<br />
am regionalen Beispiel herausgearbeitet werden. Zugleich<br />
sollen Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge, die<br />
für die Region konstitutiv waren, deutlich werden.<br />
Der Tagungsort in Schömberg-Schörzingen liegt am Fuße<br />
des Oberhohenbergs, wo sich die Stammburg der Hohenberger<br />
befand. Von hier dehnten die Hohenberger ihr Herrschaftsgebiet<br />
aus, das 1381 an Habsburg verkauft wurde.<br />
Bis 1806 war die Grafschaft Hohenberg österreichisch.<br />
Die Landkreise Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen und der<br />
Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong><br />
laden alle Geschichtsfreunde ein zum Besuch der Vortragsveranstaltung.<br />
Die Veranstaltung findet mit freundlicher Unterstützung<br />
der Stadt Schömberg und der Ortschaftsverwaltung Schörzingen<br />
statt.<br />
Dr. Andreas Zekorn<br />
Sittliche Mißstände in der Mitte des 19. Jahrhunderts -<br />
zwei Beispiele aus Hohenzollern (Inneringen und Heiligenzimmern)<br />
Noch für das vergangene Jahrhundert gehört es zu den<br />
Merkmalen dörflicher Existenz, daß der weltlichen Autorität<br />
wie z. B. dem Bürgermeister die geistliche Autorität in<br />
Form eines Priesters, sei er nun Pfarrer, Pfarrverwalter, Vikar<br />
oder Kaplan, zur Seite stand. Beide waren auf örtlicher<br />
Ebene verantwortlich für das Funktionieren von Ordnung,<br />
der Bürgermeister »von Amts wegen« für die öffentliche<br />
Ordnung und der Geistliche für die erfolgreiche Vermittlung<br />
christlich-katholischen Gedankenguts unter den Gläubigen.<br />
Als solcher aber war der Geistliche auch zuständig<br />
für die Einhaltung sittlich-moralischer Normen, eine Aufgabe,<br />
die ihn mitunter in einen deutlichen Gegensatz zu den<br />
tatsächlichen Verhältnissen in seiner Gemeinde bringen<br />
konnte. Auf dem Hintergrund einer staatlichen Politik, die<br />
im 19. Jahrhundert noch immer mehr auf den Untertanen<br />
denn auf den mündigen Staatsbürger abzielte, die dabei zumal<br />
auch durch die Kirche unterstützt wurde, konnte es<br />
nicht ausbleiben, daß es auch Abweichungen und Abweichler<br />
gab, die sich ihre eigenen Freiheiten nahmen und damit<br />
zum Objekt der Kritik wurden. Die beiden im folgenden zu<br />
schildernden Fälle zeigen auf der anderen Seite in ihrem<br />
Verlauf, daß gerade die Durchsetzung sittlicher Normen<br />
vor Ort durch den Vertreter der katholischen Kirche angesichts<br />
konkret obwaltender Verhältnisse eines nicht unbeträchtlichen<br />
Fingerspitzengefühls bedurfte, um Aussicht<br />
auf Erfolg zu haben. Beide Beispiele repräsentieren sicher-<br />
lich nicht die Regel, verweisen aber darauf, daß sich dörfliche<br />
Strukturen keineswegs immer so idyllisch darstellten,<br />
wie sie manchmal aus historischer Distanz zu sein scheinen.<br />
1<br />
Auf diesem Hintergrund hatte z. B. auch Karl Jordan<br />
Glatz 1), der 1857-1858 für wenige Monate die damals bereits<br />
seit eineinhalb Jahrzehnten vakante Pfarrei Inneringen zu<br />
verwalten hatte, erhebliche Probleme mit seiner kleinen<br />
Pfarrgemeinde. Als Priester der Diözese Rottenburg war<br />
Glatz zwischen 1855 und 1860 als Aushilfe an das Erzbistum<br />
Freiburg »ausgeliehen« worden und wurde in dieser Funktion<br />
in den hohenzollerischen Dekanaten eingesetzt. Seine<br />
insgesamt recht kurzfristigen Einsätze mögen dazu beigetragen<br />
haben, daß er nicht immer Zeit fand, einen guten Kontakt<br />
zu seiner Pfarrgemeinde herzustellen. Glatz empfand jedenfalls<br />
noch in seiner späteren Funktion als Kaplaneiverwalter<br />
in Bingen, also schon nicht mehr in Inneringen tätig,<br />
die dortigen Verhältnisse als so eklatant, daß er meinte, unbedingt<br />
das Freiburger Ordinariat hierüber in Kenntnis setzen<br />
zu müssen. Andererseits betonte er in seinem Schreiben vom<br />
16. Juni 1858 an die kirchliche Oberbehörde ausdrücklich,<br />
mit seiner Schilderung auf keinen Fall eine neue Untersuchung<br />
provozieren zu wollen - es hatte also vielleicht schon<br />
einmal eine solche gegeben, die indes nicht mehr dokumen-<br />
27
tiert ist. Seinem nur wenige Seiten umfassenden Bericht über<br />
»die sittlichen Zustände in der Gemeinde Inneringen«, - unter<br />
diesem Titel wurde die Akte durch das Freiburger Ordinariat<br />
abgelegt 2) - wollte Glatz nur als eine Mittheilung verstanden<br />
wissen, die eigentlich an das Dekanat in Ringingen<br />
hätte geschickt werden müssen, wenn ihm - wie er zugab -<br />
der Weg nicht zu weit gewesen wäre und er durch Vorbereitung<br />
auf das Pfarrer-Examen und andere Dinge davon abgehalten<br />
worden wäre. Eine Reaktion des Ordinariates liegt<br />
denn auch nicht vor. Gleichwohl ergibt sich aus der Schilderung<br />
von Glatz ein kleiner Blick in vergangene Zustände, die<br />
dem gestrengen und auf Einhaltung von Sitte, Ordnung und<br />
Moral ausgerichteten Blick eines Geistlichen durchaus<br />
mißfallen konnten.<br />
Als einen der Hauptverantwortlichen für die von ihm festgestellten<br />
mißlichen Zustände in Inneringen machte Glatz an<br />
erster Stelle den Lehrer Schmid aus. Traditionellerweise bestand<br />
in Preußen eine ausgesprochen enge Beziehung zwischen<br />
Kirche und Schule, was u. a. dadurch zum Ausdruck<br />
kam, daß Pfarrer und Kapläne nicht nur den Religionsunterricht<br />
in der Elementarschule übernahmen, sondern auch die<br />
Schulaufsicht durch Geistliche wahrgenommen wurde. Dieser<br />
enge Konnex zwischen Schule und Kirche wurde in jenen<br />
Jahren nicht in Frage gestellt, sondern galt geradezu als<br />
staatstragend. Lehr- und Lernziele in der Elementarschule (=<br />
Grundschule) waren darüber hinaus in jenen Jahren weitgehend<br />
durch religiöse Bezüge geprägt und die Person des Lehrers<br />
häufig durch gleichzeitige Wahrnehmung des Amtes eines<br />
Mesners und/oder Organisten mit dem kirchlichen<br />
Dienst verwoben. Um so mehr mußte es einem Geistlichen<br />
vor Ort auffallen, wenn Schule sich nicht so vollzog, wie er<br />
dies gerne gesehen hätte. Der Lehrer Schmid jedenfalls hatte,<br />
kaum daß Glatz im Schulunterricht tätig geworden war, dessen<br />
Kritik durch seinen elitär anmutenden Grundsatz hervorgerufen,<br />
weniger begabte Kinder solle man ruhig gehen<br />
lassen. Diesen keineswegs väterlich-pädagogischen Grundsatz<br />
tadelte Glatz schwer. Auch der damals übliche werktägige<br />
Kirchenbesuch der Kinder ließ nach seiner Ansicht deutlich<br />
zu wünschen übrig, doch wollte er hier bewußt nicht zu<br />
energisch durchgreifen, da dies offensichtlich einer gewissen<br />
Nachlässigkeit in der Erfüllung der religiösen Pflichten im<br />
Orte selbst entsprach: Glatz hatte festgestellt, daß von 190<br />
Bürgern und Familienvätern am Sonntagmorgen überhaupt<br />
nur etwa 80 den Gottesdienst besuchten.<br />
Glatz versuchte daher, durch Reduzierung der Zahl der kirchenpflichtigen<br />
Werktage für Schüler auf zwei bis drei die<br />
Besuchsfrequenz zum Gottesdienst zu steigern, diese aber<br />
dafür strenger zu kontrollieren. Dies trug ihm nach eigener<br />
Darstellung im Orte größte Unannehmlichkeiten ein. So<br />
bemerkte er über einen längeren Zeitraum hinweg, daß in<br />
der Sonntagmorgen-Messe in den Kirchenbänken der oberen<br />
Schulklasse bedeutende Lücken waren. Seine weiteren<br />
Untersuchungen ergaben einen Zusammenhang damit, daß<br />
um jene Uhrzeit herum den ganzen Winter hindurch etwa<br />
20 Kinder nach Veringen(stadt) geschickt wurden, um dort<br />
»Tarmburinarbeit« 3) zu holen.<br />
Ein solches Verhalten wurde in der Inneringer Bevölkerung<br />
in keinster Weise hinterfragt; sogar der Lehrer als Autorität<br />
in Sachen Erziehung der Jugend hatte offenbar nichts dagegen<br />
einzuwenden, kamen doch die Kinder jeweils unmittelbar<br />
am Hause Schmids vorbei. Glatz wandte sich daraufhin<br />
sogar mit einer entsprechenden Anzeige an das Oberamt<br />
und versuchte von Amts wegen neue Zeiten für die Abgabe<br />
von Arbeiten festlegen zu lassen - eine Reaktion erhielt er<br />
jedoch nicht.<br />
Lehrer Schmid erfuhr nicht nur wegen seiner Nachlässigkeit<br />
im Schulunterricht die Kritik des Pfarrverwalters. Dieser<br />
28<br />
konstatierte vielmehr auch im Hinblick auf die Führung der<br />
Mesnerei bei Schmid Nachlässigkeit, Mangel an Reinlichkeit,<br />
Pünktlichkeit, Anstand und Würde, vermißte darüber<br />
hinaus in Orgeldienst und Kirchenmusik einige Qualität.<br />
Schmid selbst nutzte nach den Recherchen von Glatz seine<br />
Freizeit in leidenschaftlichem Spiel, wobei es an Flüchen und<br />
Schwüren nicht fehlt. Schmid stand offenbar an der Spitze einer<br />
Gruppe von Gleichgesinnten - Glatz bezeichnet sie als<br />
Spielgesellschaft -, die sich bis über die Polizeistunde hinaus<br />
trafen. Nach eigenem Bekunden hatte Schmid schon einmal<br />
an einem Nachmittag den erheblichen Betrag von 16 Gulden<br />
verloren, bzw. am nächsten Tag einen solchen von 18 Gulden<br />
gewonnen. Glatz hatte bereits amtliche Anzeige gemacht,<br />
damit jedoch offenbar erneut nichts bewirkt.<br />
Neben Schmid machte Glatz als zweiten Hauptverantwortlichen<br />
für die sittlichen Mißstände den Inneringer Chirurgen<br />
Knaupp aus. Zwischen Oktober 1857 und Mai 1858<br />
hatte Glatz diesen nur drei- bis viermal in der Kirche ausgemacht,<br />
charakterisierte ihn darüber hinaus als der Trunksucht<br />
verfallen. Gefahr sah Glatz in dem Chirurgen nicht<br />
zuletzt auch deshalb, weil dieser aus seiner nicht-kirchlichen<br />
Haltung öffentlich kein Hehl machte und dadurch den<br />
Glauben, den Begriff von Unschuld und guter Sitten aus<br />
den Herzen der Leute anfocht. Im Orte selbst hatte Knaupp<br />
schon deswegen nichts zu befürchten, als niemand teils wegen<br />
Verschuldung an ihn, teils wegen voraussichtlicher Notwendigkeit<br />
seiner Dienste entgegenzutreten wagte. Überhaupt<br />
sah Glatz das unmäßige mit Flüchen verbundene<br />
Spielen als den eigentlichen Krebsschaden der Gemeinde<br />
an. Die Väter seien hier ihren Söhnen ein schlechtes Beispiel,<br />
die Söhne wiederum verschafften sich durch heimliche<br />
Fruchtverkäufe die Mittel für ihre Spielsucht. Schließlich<br />
war das allabendliche Herumschwärmen dem Pfarrverwalter<br />
ein großes Ärgernis und Indiz für sittlichen<br />
Mißstand, um so mehr, als dies in vermischter Weise geschah.<br />
Die Tatsache, daß im Jahre 1857 dessen ungeachtet in Inneringen<br />
kein uneheliches Kind getauft worden war, sah<br />
Glatz nicht als Entlastung an. Er verwies darauf, daß er das<br />
Thema von der Kanzel zur Sprache gebracht hatte und besonders<br />
gegenüber den Christenlehrpflichtigen zwei ernste<br />
Ansprachen gehalten hatte.<br />
Wir wissen leider nicht, wie sich die Situation in Inneringen<br />
weiter entwickelt hat. Es ist natürlich nicht auszuschließen,<br />
daß Glatz in der Umsetzung seiner seelsorglichen Funktionen<br />
vielleicht nicht immer glückliche Hand gehabt hat. Andererseits<br />
klagt er über Mißstände, die in jenen Jahren in<br />
vielen Gemeinden weit verbreitet waren: Herumschwärmerei<br />
der Jugend, Alkoholismus und Spielsucht tauchen immer<br />
wieder in den kirchlichen Visitationsberichten auf und<br />
sind als Bestandteil der dörflichen Gesellschaft nicht zu<br />
leugnen. Es vermag gleichfalls nicht zu verwundern, daß eine<br />
Gemeinde, die seit Jahren keinen ordentlichen Pfarrer<br />
hatte, sondern jeweils nur vertretungsweise pastoriert wurde,<br />
zu einem gewissen Teil dem kirchlich-moralischen Zugriff<br />
entglitt. Für Inneringen fehlen die Quellen, um uns<br />
weitere Schlüsse zu ermöglichen. Immerhin wissen die aus<br />
späteren Jahren erhaltenen Visitationsberichte von den hier<br />
beschriebenen Mißständen nichts mehr.<br />
II<br />
Mit einem ganz anderen sittlichen Mißstand hatte sich zwischen<br />
1864 und 1866 der Pfarrer in Heiligenzimmern Maximilian<br />
Schnell 4) auseinanderzusetzen, nämlich dem »ärgerlichen<br />
Leben des Anton K.« 5). In einer Gesellschaft, die lange<br />
Jahre die Aufnahme eines Gewerbes, die Erlangung des<br />
Bürgerrechts oder auch die Gründung einer Familie bewußt<br />
eingeschränkt und nicht zuletzt von einem Mindestvermö-
gen abhängig gemacht hatte, waren Verstöße, wie z. B. in<br />
der Form des Konkubinats, zwar bestraft worden, gehörten<br />
aber durchaus zur dörflichen Realität. Immer wieder gibt es<br />
Fälle, in denen Dorfbewohner, die nicht die Erlaubnis zur<br />
Heirat erhalten hatten, dennoch mit ihrem Partner zusammenlebten<br />
und dann auch - naturgemäß uneheliche - Kinder<br />
in die Welt setzten. Von Staats wegen war dies ein Gesetzesverstoß,<br />
aus dem Blickwinkel der Kirche ein sittlichmoralischer<br />
Mißstand, der immer wieder in Wort und<br />
Schrift gegeißelt wurde. In der Pfarrei Heihgenzimmern eskalierte<br />
Anfang der 1860er Jahre ein Fall, der in seiner Art<br />
deutlich über die angedeuteten Verhältnisse hinausging,<br />
gleichzeitig aber auch nicht uninteressante Einblicke im<br />
Hinblick auf die Tolerierung auch sittlich-moralischen Abweichens<br />
im dörflichen Umfeld gewährt. Immerhin ging es<br />
um den Vorwurf des Inzests, und es ist bezeichnend, daß<br />
eben nicht durch eine amtliche Untersuchung ermittelt<br />
wurde, sondern versucht wurde, durch die dem Pfarrer zur<br />
Verfügung stehenden Mittel die Angelegenheit aus der Welt<br />
zu schaffen.<br />
Der beschuldigte Anton K., geboren am 19. Februar 1802,<br />
hatte, wie Pfarrer Maximilian Schell am 21. April 1864 dem<br />
Freiburger Ordinariat berichtete, schon von jeher einen ärgerlichen<br />
Lebenswandel geführt. Obwohl nie verheiratet,<br />
zeugte er im Jahre 1828 eine Tochter, Franziska K., die es bis<br />
zur Ortsbötin in Heiligenzimmern brachte. Im Jahre 1840<br />
wurde K. zum zweitenmal Vater, diesmal einer Tochter<br />
Magdalena von einer anderen ledigen Frau. Ein 1857 wiederum<br />
von einer anderen Frau geborener Knabe wurde im<br />
Ort gleichfalls K. zugeschrieben. Anfang der 1860er Jahre<br />
wohnte K. mit einer ledigen Frau namens Magdalena K. zusammen,<br />
die 1863 ein Mädchen gebar. Als Pfarrer Schnell<br />
die Mutter deswegen befragte, erklärte diese, sie sei auf einer<br />
Reise vergewaltigt worden. Schnell bezeichnete dies als Lüge<br />
und mahnte sie, das Zusammenleben aufzugeben, da sie<br />
in der ganzen Pfarrgemeinde Ärgernis errege.<br />
Bewegte sich diese Mahnung des Seelsorgers noch im Rahmen<br />
des zu Erwartenden, so erreichte der Fall doch eine andere<br />
Dimension, als die erste Tochter des Anton K., die<br />
Ortsbötin Franziska, dem Pfarrer berichtete, daß ihr Vater<br />
vor einigen Jahren mit ihrer Halbschwester Magdalena Inzest<br />
getrieben habe, dessen sie anläßlich eines Besuches in<br />
deren Haus gewahr geworden sei. Schnell verzichtete auf<br />
die Schilderung weiterer Details, denn: Die Zartheit des Gegenstandes<br />
verbot eine weitere Inquisition, zitierte nunmehr<br />
aber den K. zu sich. Da K. einige Jahre zuvor sich gegenüber<br />
dem damaligen Pfarrverwalter Bürkle Rohheiten erlaubt<br />
hatte, zog Schnell den Bürgermeister Maier als Zeugen hinzu.<br />
Der Pfarrer wies darauf hin, daß K. durch sein Zusammenleben<br />
mit der Magdalena K. im Orte großen Verdacht<br />
wider sich errege; K. bestritt das Konkubinat nicht, wohl<br />
aber, der Vater der Magdalena zu sein. Als Schnell ihm den<br />
§ 141 des preußischen Strafgesetzbuches vorlas, der von der<br />
Bestrafung des Inzests handelte, zeigte sich K. sichtlich betroffen.<br />
Auf Vorhaltung gab er schließlich zu, der Vater des<br />
1863 geborenen Kindes zu sein.<br />
Schnell befahl ihm nun, das Haus der Magdalena K. zu meiden,<br />
doch kehrte er nach einiger Zeit zunächst heimlich,<br />
dann auch öffentlich, immer wieder dorthin zurück. Im Dezember<br />
1863 stellte ihn der Pfarrer vor die Alternative, entweder<br />
mit Sack und Pack in ein anderes Haus zu ziehen, andernfalls<br />
er bei der Staatsanwaltschaft Klage einleiten werde.<br />
K. zog daraufhin tatsächlich aus und nahm zudem eine<br />
Beleidigungsklage gegen einen Dritten vor Gericht zurück,<br />
nachdem dieser ihm gedroht hatte: Wenn Du die Klage nicht<br />
zurücknimmst und die Kosten bezahlst, so sage ich bei Gericht,<br />
was die Pfarrei von Dir weiß. Bald zeigte sich indes,<br />
daß K. von seinen Besuchen im Haus der Magdalena nicht<br />
abließ. Pfarrer Schnell nutzte daraufhin die Gelegenheit der<br />
Verlesung des Ehepatents nach dem Fest Epiphania, insbesondere<br />
mit Verweis auf das dort ausgesprochene Verbot<br />
des Zusammenwohnens, dazu, von der Kanzel darauf hinzuweisen,<br />
daß ein ebensolches ärgerliches Verhältnis in der<br />
Pfarrgemeinde bestand. Desgleichen erklärte er, bei Fortsetzung<br />
dieses Verhältnisses der bischöflichen Behörde Anzeige<br />
machen zu wollen, um das äußerste kirchliche Mittel der<br />
Exkommunizierung zu bewirken. Noch zögerte Schnell<br />
aber selbst und verweigerte Ostern 1864 dem K. die Kommunion<br />
noch nicht. Auf die Unterstützung der Bevölkerung<br />
konnte Schnell nicht hoffen: einige Bürger fürchteten<br />
die Rache Ks., der als zorniger Säufer galt, wenn sie gegen<br />
ihn auftreten würden, andere würden propter affines maculas<br />
die Nicht-Bestrafung von K. wünschen. Schnell, überzeugt,<br />
daß es Aufgabe der Kirche sein müsse, gegen solche<br />
Zustände vorzugehen, sah daher im Ordinariat die letzte Instanz,<br />
die hier etwas würde ausrichten können. Er verwies<br />
darauf, daß K. eine Anklage wegen Inzest sehr scheuen<br />
würde, da der daraus entstehende Skandal in Heiligenzimmern<br />
doch zu sehr Aufsehen erregen würde.<br />
Auch Dekan Johann Baptist Göggel in Stetten bei Haigerloch<br />
war um einen guten Rat verlegen. Einerseits sollte K.<br />
eben nicht wegen Inzest angeklagt werden, andererseits war<br />
in Preußen Konkubinat kein Straftatbestand. Die Ortsbehörde<br />
in Heiligenzimmern zeigte sich in der Angelegenheit<br />
weitestgehend passiv, zumal sie höheren Ortes keine<br />
Unterstützung fand. Von der Verhängung eines Kirchenbanns<br />
aber riet Göggel ausdrücklich ab, indem der Gebannte<br />
möglicherweise zum Luthertum übergehen würde, womit<br />
man eine protestantische Station in Zimmern hätte, die bei<br />
den Lutheranern allein Schutz und Beistand fände. Das<br />
Freiburger Ordinariat entschied, mit der Anwendung härterer<br />
Maßregeln noch zu warten und über Pfarrer Schnell<br />
vielmehr noch eine Zeitlang seelsorgerlich auf K. einwirken<br />
zu lassen, in der Hoffnung, dies würde eine Abstellung des<br />
Übels nach sich ziehen. Schnell zitierte daraufhin das Paar<br />
getrennt voneinander zu sich und ermahnte beide, die ihr<br />
Verhältnis nicht leugneten, nochmals eindringlich, davon<br />
abzulassen. Nur zu bald wurde aber offenbar, daß K. sein<br />
Lasterleben fortsetzte und bei ihm obendrein noch ein paar<br />
ledige Leute bekanntschaftshalber Unterkommen fanden,<br />
was den Skandal nur noch mehr verstärkte.<br />
Der Pfarrer hielt nunmehr eine zweite oberhirtliche Mahnung<br />
für angebracht, ganz im Sinne seines Dekans, der sich<br />
immer noch nicht für eine Exkommunikation aussprechen<br />
wollte. Göggel schlug allerdings vor, K. anzudrohen, daß<br />
ihm eine eventuell notwendig werdende dritte Ermahnung<br />
während des öffentlichen Gottesdienstes von der Kanzel<br />
mitgeteilt werden würde. Am 1. Februar 1864 erging daraufhin<br />
eine offizielle oberhirtliche Ermahnung an K. Als<br />
auch diese fruchtlos blieb, griff Schnell zu stärkeren Maßnahmen:<br />
von Neujahr 1866 bis Passionssonntag ließ er für<br />
das ärgernisgebende Paar an Sonn- und Festtagen das allgemeine<br />
Gebet dergestalt durchführen, daß zwar keine Namen<br />
genannt wurden, wohl aber jeder wußte, welches Paar<br />
gemeint war. Hierdurch enthob sich der Pfarrer der Gefahr,<br />
daß gegen ihn gerichtliche Klage wegen Beleidigung eingeleitet<br />
wurde. Als sich K. über dieses Vorgehen in der Gemeinde<br />
beschwerte, sprach Schnell, der sich zuvor<br />
nochmals mit seinen Amtsbrüdern besprach, den Ausschluß<br />
des Paares von der Osterkommunion aus. Als Magdalena<br />
K. bald darauf mit Sack und Pack nach Amerika auswanderte,<br />
so daß nun die Leute sagen, das öffentliche Gebet<br />
habe geholfen, war das Ärgernis, wie Schnell am 4. Juni<br />
1866 dem Ordinariat Gott sei Dank mitteilen konnte, endlich<br />
aus der Welt.<br />
29
Anmerkungen<br />
1 Karl Jordan Glatz, geb. 28.1.1827 Rottweil, Priesterweihe Rottenburg<br />
10.8.1852, Vikar Oberndorf, 1855 Kooperator Hechingen,<br />
1857 Pfarrverwalter Inneringen, 1858 Pfarrverwalter Klosterwald,<br />
Pfarrverwalter Bärenthal, Kaplaneiverwalter Bingen,<br />
1859 Pfarrverwalter Wiblingen, 1860 Rückkehr in die Diözese<br />
Rottenburg, 1867 Pfarrer Neufra bei Rottweil, 1878 Pfarrer<br />
Wiblingen, gest. 5.9.1880.<br />
2 Archiv des Erzbistums Freiburg, Ordinariat 14543. Das umfangreiche<br />
Werk von Johannes Maier/Siegfried Krezdorn, Die<br />
Geschichte des Ortes Inneringen (Schussenried 1966) kennt die<br />
hier beschriebene Szenerie nicht. Auch die Durchsicht zeitgenössischer<br />
Visitationsprotokolle im Freiburger Archiv ergab<br />
keine weiteren Hinweise.<br />
3 Gemeint ist die Tambourierstickerei, eine Zierstickerei, die statt<br />
mit einer Nadel mit einem Häkchen durchgeführt wurde. Sie<br />
gehört in den Kontext der im 19. Jahrhundert auf der Schwäbischen<br />
Alb weit verbreiteten sog. Hausindustrie, mit der sich ein<br />
großer Teil der Bevölkerung, durch die kargen Einkünfte aus der<br />
Landwirtschaft nur unzureichend unterhalten, einen Nebenver-<br />
BOTHO WALLDORF<br />
Was aus den rußgeschwärzten Lokomotiv-Remisen wurde.<br />
dienst verschaffte. Besonders im Winterhalbjahr fanden hier<br />
Frauen und Kinder Beschäftigung. Weit verbreitet war z. B. im<br />
ehemaligen Amtsbezirk Straßberg die Weißstickerei (Mousselinoder<br />
Trommelstickerei), die seit Anfang des 19. Jahrhunderts vor<br />
allem für Schweizer Handelshäuser durchgeführt wurde. Sog.<br />
Stickferker lieferten im Namen der Schweizer »Verleger« Rohstoffe<br />
an Stickerinnen aus, sammelten die fertigen Stücke wieder<br />
ein und rechneten unter Abzug einer Vermittlungsgebühr mit<br />
beiden Parteien wieder ab. Seit den 1860er Jahren erfolgte eine<br />
deutliche Zurückdrängung des personalintensiven Einsatzes der<br />
Weißstickerei durch die zunehmende Verbreitung von Maschinen.<br />
4 Maximilian August Hermann Schnell, geb. 20.6.1824 Sigmaringen,<br />
Priesterweihe 10.8.1848, Kaplanei-und Präzeptoratsverweser<br />
Haigerloch, 1854 Hofkaplan Haigerloch, 1857 Pfarrer Heiligenzimmern,<br />
Kammerer des Dekanats Haigerloch, 1866 Dekan<br />
Haigerloch, 1869 Pfarrer Haigerloch, 1886 Erzbischöflicher<br />
Geistlicher Rat, gest. 22.7.1900.<br />
5 Archiv des Erzbistums Freiburg, Ordinariat 14486; der Namen<br />
wurde durch den Verfasser dieser Zeilen abgekürzt.<br />
Das Schicksal der vier Lokomotivschuppen der Hohenzollerischen Landeshahn von 1901<br />
Im Juli 1899 ist mit dem Bahnbau in Hohenzollern begonnen<br />
worden. Am 5. Juli 1899 wurde die Hohenzollerische<br />
Landesbahn AG [HzL] als Aktiengesellschaft ins Handelsregister<br />
in Sigmaringen eingetragen. Diese Ereignisse sind<br />
der Anlaß, am 9.-11. Juli das 100-jährige Bestehen dieses bedeutenden<br />
süddeutschen Verkehrsunternehmens zu feiern.<br />
Bekanntlich wurden in den Jahren 1900/01 die vier Stichbahnen<br />
gebaut, die in Stetten bei Haigerloch, Burladingen,<br />
Gammertingen und Bingen endeten. An diesen vier Endstationen<br />
wurde auch jeweils ein zweiständiger Fachwerklokschuppen<br />
mitsamt Wasser- und Kohlenstation gebaut. Die<br />
Lokomotiv-Remise, wie der damalige Sprachgebrauch lautete,<br />
bot zwei kleinen, zweiachsigen Dampf-Lokomotiven<br />
der Type »d« der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft<br />
Köln Platz. Anläßlich des Centenariums der HzL ist es interessant,<br />
dem Schicksal dieser vier Lokomotivschuppen<br />
nachzugehen. Am wenigsten überliefert ist uns vom Lokschuppen<br />
in Stetten bei Haigerloch. Es gibt davon keine Fotos<br />
und keine Archivalien. Der Stettener Bürgermeister<br />
wollte die Entfernung des Lokschuppens nicht hinnehmen,<br />
sah er doch darin ein Stück Infrastruktur seines Dorfes.<br />
Langfristig sollte er recht behalten. Wie froh wäre die HzL<br />
heute, wenn für ihre Kleinlok ein Lokschuppen in Stetten<br />
noch vorhanden wäre.<br />
In Burladingen, dem Endpunkt der Killertalbahn bis 1908,<br />
wurde der Lokschuppen auf Fotos und Ansichtskarten<br />
meist beiläufig abgebildet, so daß sein Aussehen bildlich<br />
überliefert ist. Das Betriebsbuch der Dampflok Betriebsnummer<br />
C 2 (erbaut 1899, verschrottet 1938) weist uns typische<br />
Dampflokarbeiten archivalisch nach, die in Burladingen<br />
durchgeführt wurden. Das waren Auswaschen des Kessels,<br />
Rohre blasen, sowie Frisitarbeiten, die sogenannten<br />
Revisionen. Mit der Fertigstellung des Gesamtnetzes der<br />
HzL im Jahre 1912 verloren die Lokschuppen in Burladingen<br />
und Stetten ihre Funktion. Sie wurden 1914 an den neuen,<br />
zusätzlichen Betriebstmittelpunkt umgesetzt und hintereinander<br />
stehend wieder aufgebaut. Diese Schuppen<br />
30<br />
dienten bis September 1962 den in Haigerloch stationierten<br />
Dampfloks und Triebwagen als Stellplatz, sowie den in Haigerloch<br />
bis 1966 be<strong>heimat</strong>eten Dieselloks ebenfalls. Die<br />
Schuppen sind heute noch vorhanden und dienen Abstellzwecken,<br />
beispielsweise für die nunmehr historische,<br />
1957 erbaute Landesbahn-Diesellok V 81.<br />
Bis in die 1940er Jahre hatte die HzL in Bingen zwei ihrer<br />
kleineren Dampfloks für den planmäßigen Betrieb stationiert.<br />
Wegen der oft befahrenen Steigung Sigmaringen-<br />
Hanfertal waren die Loks sogar in die andere Fahrtrichtung<br />
gedreht, damit über der Kante der Feuerbüchse immer<br />
genügend Wasser war. Später wurden die Gleise entfernt<br />
und der Lokschuppen als Unterstellplatz für die Landesbahn-Omnibusse<br />
umgebaut und durch einen einfachen<br />
Bretterschuppen erweitert. Im Januar 1947 hatte die HzL<br />
mit einem gemieteten Bus den Kraftverkehr aufgenommen.<br />
1987 wurde in Bingen eine moderne Omnibus-Abstellhalle<br />
errichtet und der alte Lokschuppen - weil funktionslos geworden<br />
- abgebrochen. In Bingen erinnert noch im Jubiläumsjahr<br />
1999 ein funktionsfähiger Wasserkran an die<br />
1900-1947 hier planmäßig be<strong>heimat</strong>eten Dampflokomotiven.<br />
Interessant ist die Feststellung, daß die ehemaligen<br />
Lokschuppen-Standorte Bingen und Burladingen (ab 1955,<br />
erweitert 1962) auch zu Stützpunkten des Hzl-Kraftverkehrs<br />
wurden.<br />
Uberlebt hat äußerlich im Originalzustand nur der Lokschuppen<br />
in Gammertingen. Was bei historisch werdenden<br />
Gebäuden immer wichtig ist: Es war in den letzten 100 Jahren<br />
immer eine Nutzung für das Bauwerk gefunden worden.<br />
Als der Lokschuppen 1901 in Betrieb genommen wurde,<br />
hatte die preußische Oberamtsstadt Gammertingen<br />
noch keine öffentliche Wasserversorgung. Die Loks Betriebsnummer<br />
4d oder 6d sogen mit Hilfe eines Pulsometers<br />
das Quellwasser aus dem Boden in einen Wasserbehälter,<br />
der sich im Schuppen befand. Diese Technik ist heute längst<br />
vergessen. Sie ist nur noch auf Bauplänen dargestellt. Nach<br />
Einführung des Dieselbetriebes ab 19 mußten immer mehr
Ersatzteile auf Lager gehalten werden. Der alte Lokschuppen<br />
diente zeitweise als Lackierschuppen und wird bis heute<br />
als Magazin benutzt. Magazinverwalter war in den 1930er<br />
Jahren Otto Götz (1889-1975). Ihm folgte Max Liener, gelernter<br />
Hufschmied aus Hettingen. Im Jubiläumsjahr 1999<br />
werden in dem Lokschuppen Ersatz-Drehstelle für die 1997<br />
eingeführten Triebwagen vom Typ »Regio-Shuttle« aufbewahrt.<br />
So schließt sich der Kreis von den ersten Loks der<br />
s Moiaglöckle<br />
Hzl, den zweiachsigen Dampflokomotiven der Type »d«<br />
bis zu den modernsten Triebfahrzeugen Baujahr 1937. So ist<br />
uns wenigstens einer der vier Lokschuppen durch viele Zufälle<br />
weitgehend im Originalzustand erhalten geblieben.<br />
Das Schicksal der vier Lokomotiv-Remisen zeigt, daß der<br />
Landesbahnbetrieb ein ständiger technischer Innovationsund<br />
Anpassungsprozeß ist.<br />
Moiaglöckle, Moiaglöckle und dei lanzaörmegs Fräckle<br />
läutescht aus da Früahleng ei jo sogar da letschta Schnai<br />
mit deim scheena weißa Röckle O wia blüahscht du so bescheida,<br />
dur dees Buachawäldle rei. schtill vrlassa und so zart,<br />
Moiaglöckle, dei süaß Gschmäckle, Moiablum, ällz ka de leida,<br />
dees vrdreibt olm d'Ploog und d' Waih Glöckle hold vo edler Art.<br />
Maria Leibold<br />
Mitgliederversammlung des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
Die Jahresversammlung des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
e. V. fand am 10. Mai 1999 im Spiegelsaal des Prinzenbaus<br />
(Staatsarchiv) in Sigmaringen statt. Nach der Begrüßung<br />
der Anwesenden und dem Verlesen der Totentafel, wozu sich<br />
die Teilnehmer von ihren Sitzen erhoben, legte der Vorsitzende<br />
Dr. Otto Becker einen umfangreichen Bericht über die<br />
Vereinsarbeit seit der Mitgliederversammlung am 6. Oktober<br />
1998 in Hechingen vor. Danach bildeten wie in den vergangenen<br />
Jahren Vortragsveranstaltungen einen Schwerpunkt in<br />
der Tätigkeit des <strong>Geschichtsverein</strong>s. Auf eine außerordentlich<br />
gute Resonanz war das Kolloquium über die Revolution<br />
1848/49 in den Fürstentümern Hohenzollern gestoßen, das<br />
am 10. Oktober 1998 im Zoller-Hof in Sigmaringen von den<br />
Kreisarchiven Sigmaringen und Zollernalbkreis sowie vom<br />
Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong> gemeinsam veranstaltet<br />
wurde. Auf dieser Veranstaltung händigte der Vorsitzende<br />
Herrn Prof. Dr. Fritz Kallenberg übrigens die Urkunde über<br />
seine Wahl zum Ehrenmitglied aus.<br />
Im Herbst wurde in Zusammenarbeit mit dem Haus der<br />
Heimat Baden-Württemberg in Stuttgart als Begleitprogramm<br />
zu der im Staatsarchiv Sigmaringen gezeigten Ausstellung<br />
»Weit in die Welt hinaus ... Historische Beziehungen<br />
zwischen Südwestdeutschland und Schlesien« ein Block<br />
von insgesamt drei Vorträgen angeboten. Zuerst sprach das<br />
Ehrenmitglied Prof. Dr. Gregor Richter über das Wirken<br />
des Hofkapellmeisters Thomas Täglichsbeck in Hechingen<br />
und in Löwenberg in Schlesien (27. Oktober). Es folgte ein<br />
Vortrag des Stuttgarter Publizisten und Historikers Harald<br />
Schukraft über die Verbindungen der Häuser Württemberg<br />
und Hohenlohe mit Schlesien (10. November). Abschließend<br />
referierte Dr. Otto Becker über die Entstehung und<br />
die Entwicklung des ehemaligen Besitzes der Fürstlichen<br />
Häuser Hohenzollern in Brandenburg, Schlesien, Pommern<br />
und in Posen (8. Dezember).<br />
Anschließend sprach Herr Michael Hakenmüller in Sigmaringen<br />
(1. Februar) und in Hechingen (15. März 1999) über<br />
die Bildungsreise der Fürstin Pauline von Hohenzollern-<br />
Hechingen durch Hohenzollern und Oberschwaben nach<br />
Tirol im Jahre 1811. Ebenfalls in Hechingen und in Sigmaringen<br />
(22./23. Februar 1999) referierte Beiratsmitglied Dr.<br />
Andreas Zekorn über das Thema »Österreich in Schwaben:<br />
Ein Abriß der Geschichte Vorderösterreichs«. Dieser Einführung<br />
war es wohl vor allem zu verdanken, daß der Halbtagesexkursion<br />
am 27. Februar 1999 zur Landesausstellung<br />
»Vorderösterreich - nur die Schwanzfeder des Kaiseradlers?«<br />
ein solcher Erfolg beschieden war. Hierfür sprach der<br />
Vorsitzende dem Archivarskollegen Dr. Zekorn seinen aufrichtigen<br />
Dank aus. Demgegenüber wurden die vereinbarten<br />
Termine des Vortrags »Der ferne Nachbar Europas -<br />
Kulturelle Tradition und Gesellschaft in der Türkei« vom<br />
Referenten abgesagt.<br />
Auf große Resonanz stieß ferner der Vortrag von Prof. Dr.<br />
Götz Schneider vom geophysikalischen Institut der Universität<br />
Stuttgart mit dem Thema »Warum gibt es Erdbeben auf<br />
der Zollernalb?«, der am 8. Mai 1999 vom Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong> und von der Gemeinde Jungingen<br />
im Feuerwehrgerätehaus der Killertalgemeinde veranstaltet<br />
wurde. Beiratsmitglied Otto Bogenschütz, der den Vortrag<br />
vorgeschlagen und auch die Organisation und die Werbung<br />
übernommen hatte, stattete Dr. Becker hierfür seinen Dank<br />
und seine Anerkennung aus.<br />
Ebenfalls sehr gut angekommen sind die vom Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong> und vom Verein für Familien- und<br />
Wappenkunde in Württemberg und Baden gemeinsam angebotenen<br />
Archivseminare für <strong>heimat</strong>- und familienkundlich<br />
Interessierte. Das Interesse an diesen Ganztagsveranstaltungen<br />
im Staatsarchiv Sigmaringen war so groß, daß das<br />
Seminar nach dem Termin am 26. September am 7. November<br />
1998 und dann am 24. April 1999 wiederholt werden<br />
mußte. Diese Veranstaltung findet übrigens am 23. Juli noch<br />
einmal statt.<br />
31
Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />
E 3828<br />
PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />
Leider konnte die Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte<br />
34 (1998) noch nicht ausgeliefert werden, obwohl<br />
die Zweitkorrektur Ende Februar 1999 beim Verlag abgegeben<br />
werden konnte. Die vierteljährlich erscheinende Hohenzollerische<br />
Heimat konnte demgegenüber stets termingerecht<br />
ausgeliefert werden. Der Vorsitzende sprach dem<br />
Schriftleiter, Herrn Dr. med. Herbert Burkarth, hierfür seinen<br />
aufrichtigen Dank aus. Es folgte eine kurze Vorschau<br />
auf das Vereinsprogramm in den kommenden Monaten.<br />
Anschließend legte Schatzmeister Hans Joachim Dopfer einen<br />
positiven Bericht über die Finanzsituation und den<br />
Kassenstand zum 31. Dezember 1998 vor. Die Herren Fritz<br />
Schöttgen und Alois Schleicher bescheinigten in ihrem Prüfungsbericht<br />
eine ordnungsgemäße Rechnungsführung. Beanstandungen<br />
gab es keine. Auf Antrag des Vorsitzenden<br />
wurde der Schatzmeister daraufhin von der Mitgliederversammlung<br />
einhellig entlastet. Der Vorsitzende sprach Herrn<br />
Dopfer seinen Dank für die dem Verein in der Vergangenheit<br />
geleistete Arbeit aus. Es folgte die Entlastung des Vorstands<br />
insgesamt.<br />
Dr. Becker nahm die Entlastung zum Anlaß, den Kollegen<br />
im Vorstand und Beirat für ihre Mitarbeit und Unterstützung<br />
zu danken. Sein besonderer Dank galt dem Schriftleiter<br />
der Hohenzollerischen Heimat, Herrn Dr. med. Herbert<br />
Burkarth, dem Mitschriftleiter der Zeitschrift für Hohenzollerische<br />
Geschichte Dr. Zekorn und Frau Liebhaber, die mit<br />
viel Engagement und Umsicht die laufenden Geschäfte des<br />
Vereinssekretariats wahrnimmt, vor allem auch den Versand<br />
der Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte, der Tauschexemplare,<br />
der Sonderdrucke sowie vierteljährlich auch<br />
den Versand der Hohenzollerischen Heimat bewerkstelligt.<br />
Es folgte als weiterer Tagesordnungspunkt die Wahl des<br />
stellvertretenden Vorsitzenden für die Dauer der laufenden<br />
Amtsperiode des Vorstands, die infolge des Rücktritts von<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 16 38, 72486<br />
Sigmaringen.<br />
ISSN 0018-3253<br />
Erscheint vierteljährlich.<br />
Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />
ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />
besonders die Bevölkerung im alten Land<br />
Hohenzollern und den angrenzenden Landesteilen<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat<br />
vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge.<br />
Bezugspreis:<br />
Für Mitglieder des Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s ist der Bezugspreis im<br />
Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />
DM 13,00 jährlich.<br />
Abonnements und Einzelnummern (DM<br />
3,25) können beim Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
(s. o.) bestellt werden.<br />
32<br />
Die Autoren dieser Nummer:<br />
Gerd Bantle<br />
Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen<br />
Dr. Otto H. Becker<br />
Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen<br />
Walter Kempe<br />
Silcherstraße 11, 88356 Ostrach<br />
Maria Leibold<br />
Zollerstraße 3, 72939 Burladingen<br />
Hans Peter Müller<br />
Weiherplatz 7, 72186 Empfingen<br />
Dr. Wolfgang Schaffer<br />
Erkelenzer Straße 15, 50933 Köln<br />
Hannes Schneider<br />
Auf Schmieden 52/1, 72336 Balingen<br />
Karl Werner Steim<br />
Berliner Straße 72, 88499 Riedlingen<br />
Botho Walldorf<br />
Lenaustraße 23, 72127 Wannweil<br />
Dr. Andreas Zekorn<br />
Landratsamt, Hirschbergerstraße 29,<br />
72334 Balingen<br />
Herrn Dr. Vees notwendig geworden war. Als Kandidaten<br />
schlug die Vorstandschaft Rektor a. D. Otto Werner aus<br />
Hechingen vor. Aus den Reihen der Anwesenden wurden<br />
keine weiteren Vorschläge gemacht. Herr Werner wurde<br />
daraufhin ohne Gegenstimme zum stellvertretenden Vorsitzenden<br />
gewählt. Der Vorsitzende gratulierte Herrn Werner<br />
zur Wahl und verband damit seinen Wunsch auf gute Zusammenarbeit.<br />
Unter dem Tagesordnungspunkt »Verschiedenes« bedankte<br />
sich Prof. Dr. Eberhard Gönner, Präsident der Landesarchivdirektion<br />
Baden-Württemberg a. D., für die Verleihung<br />
der Ehrenmitgliedschaft durch die Mitgliederversammlung<br />
am 6. Oktober 1998, an der er aus gesundheitlichen<br />
Gründen nicht hatte teilnehmen können. In seiner<br />
Ansprache berichtete das Ehrenmitglied u. a. auch darüber,<br />
welch großen Eindruck die führenden Hechinger Vereinsmitglieder<br />
in den 30er Jahren, wie z. B. Dr. med. Ernst Senn,<br />
Studienrat Heinrich Faßbender, Willy Baur oder Maximilian<br />
Schaitel, auf ihn als Heranwachsenden gemacht und damit<br />
auch seine Berufswahl beeinflußt hätten. Der Vorsitzende<br />
dankte dem Ehrenmitglied Prof. Gönner einmal dafür,<br />
daß er die weite Reise von Stuttgart auf sich genommen habe,<br />
um an der Mitgliederversammlung teilzunehmen, und<br />
zum andern für seine anerkennenden Worte über die Arbeit<br />
des Vereins.<br />
An die Mitgliederversamlung schloß sich traditionsgemäß<br />
ein öffentlicher Vortrag an. Es sprach Dr. Jürgen Klöckler,<br />
Universität Konstanz, über das Thema »Königreich Schwaben<br />
oder schwäbisch-alemannische Demokratie? Pläne zur<br />
staatlichen Neugliederung Südwestdeutschlands unmittelbar<br />
nach 1945«. Der kenntnisreiche, vor allem aber gut<br />
strukturierte und exzellent dargebotene Vortrag stieß bei<br />
den Anwesenden auf großes Interesse, wie durch die anschließende<br />
Diskussion deutlich wurde. Otto H. Becker<br />
Gesamtherstellung:<br />
Jan Thorbecke Verlag,<br />
70173 Stuttgart, Eberhardstraße 69-71<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth,<br />
Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />
Telefon 07574/4407<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />
diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />
verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />
sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />
Heimat« weiterzuempfehlen.
DER ilXZrCr Sr. MAJE S TAT BKS TONTOS DURCH! Bl£ EHRENPFORTE<br />
zir iromriirtXLô or;<br />
Einzug des neuen Landesherrn König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen am 24. August 1851 in<br />
Sigmaringen, durch eine am westlichen Stadteingang errichtete Ehrenpforte (Zeichnung W. Laur,<br />
Lithographie J.F. Lutz)
EDWIN ERNST WEBER<br />
Hohenzollern wurde vor 150 Jahren preußisch<br />
Ein »Gewaltstreich« gegen Volk und Verfassung<br />
»Die Besetzung der beiden Fürstenthiimer Sigmaringen und<br />
Hechingen durch preußische Truppen, wovon man längst in<br />
öffentlichen Blättern gesprochen, tritt nun wirklich ein. Wie<br />
man sagt, sollen 3000 Mann zu diesem Zwecke morgen hier<br />
einrücken. Daß die Besitznahme der Fürstenthümer durch<br />
die Preußen ein Gewaltstreich sei, liegt offen am Tage. (...)<br />
Nach dem Verfahren Preußens in Baden und der völligen<br />
Besiznahme (!) unserer Fürstenthümer scheint es wahr werden<br />
zu wollen, daß Deutschland in Preußen aufgehen werde.«<br />
Mit diesen Sätzen informierte der »Sigmaringer<br />
Erzähler«, das Sprachrohr der Demokraten und Republikaner<br />
im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen am<br />
3. August 1849 seine Leser vom unmittelbar bevorstehenden<br />
Einmarsch preußischer Truppen in die beiden hohenzollerischen<br />
Fürstentümer. Noch am selben Tag rückten<br />
tatsächlich unter dem Befehl von Oberst von Kußnow zwei<br />
Bataillone des 26. preußischen Linieninfanterieregiments,<br />
zwei Eskadronen Ulanen vom 8. Regiment und eine halbe<br />
Batterie Artillerie im Sigmaringer Fürstentum ein. Zwei Tage<br />
später erschien dem preußischen Befehlshaber die Ruhe<br />
im Ländchen soweit hergestellt, daß er mit dem Gros seiner<br />
Truppen zur Besetzung des benachbarten Fürstentums Hohenzollern-Hechingen<br />
abmarschierte und in Sigmaringen<br />
lediglich eine Besatzung von 210 Mann mit zwei Geschützen<br />
zurückließ.<br />
Die Hintergründe dieser Militäraktion, die in unmittelbarem<br />
Anschluß an die blutige Niederwerfung der demokratischen<br />
Volkserhebung in Baden durch die Preußen erfolgte,<br />
hatte der »Sigmaringer Erzähler« bereits in seiner Ausgabe<br />
vom 31. Juli 1849 ebenso respektlos wie korrekt geschildert:<br />
Zu erwarten sei »eine Mediatisirung der Fürstenthümer zu<br />
Gunsten Preußens« und damit »wieder einmal ein Staatsstreich«,<br />
der »gegen Recht und Verfassung das Volk wie eine<br />
Waare verschacher(t).« Der König von Preußen gewinne<br />
mit der Einverleibung der hohenzollerischen Fürstentümer<br />
»einen guten militärischen Punkt« im Süden Deutschlands,<br />
der Fürst von Sigmaringen dagegen behalte unter preußischem<br />
Schutz seine Domänen.<br />
Die militärische Besetzung der hohenzollerischen Fürstentümer<br />
Anfang August 1849 bildete gleichsam einen<br />
Vorgriff auf die spätere Angliederung der beiden südwestdeutschen<br />
Duodezstaaten an das Königreich Preußen, die in<br />
einem Vertrag vom 7. Dezember 1849 zwischen König<br />
Friedrich Wilhelm IV. und seinen beiden hohenzollerischen<br />
Vettern, Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen<br />
und Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin von Hohenzollern-Hechingen,<br />
sodann formell vereinbart wurde. Die beiden<br />
Fürsten treten darin die Souveränität über ihre Territorien<br />
an den stammverwandten König von Preußen ab und<br />
erhalten als Gegenleistung Jahresrenten von 25000 bzw.<br />
10000 Taler zugesichert. Die sog. Domänen, hinter denen<br />
sich in erster Linie die 1803 von den hohenzollerischen Fürsten<br />
säkularisierten Kirchengüter verbergen, werden diesen<br />
vom neuen Landesherrn als fürstlicher Privatbesitz anerkannt<br />
und garantiert. Während die Landtage der beiden hohenzollerischen<br />
Fürstentümer unter Bruch der Landesverfassungen<br />
von 1833 bzw. 1848 zu dieser Einverleibung<br />
durch Preußen nicht gehört werden und der Ubergang der<br />
Landesherrschaft damit ohne Zustimmung des Volkes erfolgt,<br />
wird in den beiden preußischen Kammern am<br />
12. März 1850 ein »Gesetz über die Vereinigung der Hohen-<br />
34<br />
zollernschen Fürstentümer mit dem Preußischen Staatsgebiet«<br />
beschlossen. Nur wenige Wochen später findet am 6.<br />
April 1850 in Sigmaringen und am 8. April in Hechingen die<br />
feierliche Übergabe der Regierungsgewalt an die preußischen<br />
Behörden statt. Die schwäbischen Hohenzollern am<br />
oberen Neckar und an der oberen Donau waren damit zu<br />
Preußen geworden und blieben es bis nach dem Ende des<br />
Zweiten Weltkriegs.<br />
Die preußische Übernahme von 1849/50 gibt dem hohenzollerischen<br />
»Sonderweg« in der Geschichte Südwestdeutschlands<br />
eine neue Richtung und verlängert ihn um einhundert<br />
Jahre. Begonnen hatte diese Sonderentwicklung<br />
1806, als die beiden hohenzollerischen Zwerg-Fürstentümer<br />
gegen alle Wahrscheinlichkeit vor allem dank der exzellenten<br />
persönlichen Beziehungen der Sigmaringer Fürstin<br />
Amalie Zephyrine in die politischen Führungsschichten des<br />
napoleonischen Frankreich der Mediatisierung entgangen<br />
waren und neben den neugeschaffenen Mittelstaaten Baden,<br />
Württemberg und Bayern zu souveränen Mitgliedern<br />
zunächst im Rheinbund und seit 1815 sodann im Deutschen<br />
Bund wurden.<br />
Das 40000 Einwohner zählende Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />
präsentiert sich am Vorabend der Revolution<br />
als Verfassungsstaat mit liberalem Regierungschef, vergleichsweise<br />
»moderner« Herrschafts- und Verwaltungspraxis<br />
und mit entwickelter politischer Partizipation und<br />
Öffentlichkeit. Auffallend rückständig erscheint demgegenüber<br />
das unter einer drückenden Verschuldung leidende<br />
Fürstentum Hohenzollern-Hechingen mit seinen<br />
knapp 20000 Einwohnern. Im Unterschied zu Sigmaringen<br />
entsteht hier im Vormärz kein Verfassungsstaat, vielmehr<br />
bleibt es bei dem 1798 am Ende von 200jährigen Untertanenkonflikten<br />
abgeschlossenen Landesvergleich, dessen seit<br />
1835 nach einer neuen Wahlordnung rekrutierte zwölfköpfige<br />
Landesdeputation ohne eigentliche konstitutionelle<br />
Verankerung bleibt. Die Landesverwaltung galt als schlampig<br />
und wenig kompetent, der seit 1838 regierende Fürst<br />
Friedrich Wilhelm Konstantin war eher den Musen und zumal<br />
der Musikpflege denn Regierungs- und Verwaltungsgeschäften<br />
in seinem Ländchen zugetan.<br />
In beiden Fürstentümern löst die Nachricht von den Revolutionsereignissen<br />
in Frankreich und in Baden im März<br />
1848 eine lebhafte politische Bewegung aus. In Hechingen<br />
kommt es am 11. März 1848 zu einer tumulthaften Massenversammlung<br />
von rund 1500 teilweise mit Sensen, Stöcken<br />
und Pistolen bewaffneten Landbewohnern, die lautstark<br />
von ihrem Fürsten die Abschaffung der Frondienste und<br />
der Zehnten, die Aufhebung der bäuerlichen Lehensverhältnisse,<br />
eine gerechtere Besteuerung, die auch die fürstlichen<br />
und geistlichen Güter einbezieht, sowie eine Beschränkung<br />
des Schacherhandels der Juden verlangen. Die<br />
zeitgemäßen bürgerlich-liberalen Forderungen wie Pressefreiheit,<br />
Volksbewaffnung oder ein deutsches Parlament<br />
spielen kaum eine Rolle. Es ist mithin eine bäuerliche Revolte<br />
in der Tradition der jahrhundertelangen Hechinger<br />
Untertanenkonflikte, die den Fürsten schließlich am Abend<br />
dieses für ihn traumatischen Tages nach mancherlei<br />
Demütigungen und zuguterletzt massiven Drohungen zur<br />
vorbehaltlosen Einwilligung in alle Petitionspunkte nötigt.<br />
Nach diesem dramatischen Auftakt nimmt das Hechinger<br />
Revolutionsgeschehen in der Folge indessen einen ange-
oUettföe Conbc 'V<br />
Mitteilungen aus dem <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Veranstaltungen im 3. Quartal 1999<br />
I. Exkursion<br />
Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> e.V veranstaltet<br />
am Samstag, 23. Oktober, eine Ganztagesexkursion mit<br />
Diözesankonservator Wolfgang Urban, Rottenburg<br />
a.N., zur<br />
Reichenau und nach Konstanz.<br />
Vormittags werden auf der Reichenau unter der kundigen<br />
Führung von Herrn Urban Oberzell und Mittelzell<br />
mit dem Münsterschatz besucht. Nach dem Mittagessen<br />
wird Herr Urban die Gruppe in Niederzell führen. Danach<br />
erfolgt die Weiterreise nach Kosntanz, wo Herr Urban<br />
auf einem Rundgang durch die historische Innenstadt<br />
den Mitreisenden u.a. das Münster mit seiner Mauritiusrotunde<br />
und der Krypta, das Augustinerkloster, die<br />
Bürgerschaftskirche St. Stefan und das Haus des Johannes<br />
Hus zeigen und erläutern wird.<br />
Abfahrt: Hechingen um 7.00 Uhr Haltestelle Obertorplatz<br />
Sigmaringen um 8.00 Uhr Haltestelle gegenüber<br />
der Marstallpassage.<br />
Rückkehr: Sigmaringen ca. 18.30 Uhr, Hechingen<br />
ca. 19.30 Uhr.<br />
Anmeldungen sind bis spätestens 19. Oktober an Frau<br />
Liebhaber zu richten (Tel. 07571/101-558). Die Teilnehmerzahl<br />
ist auf 50 Personen begrenzt.<br />
II. Einzelvorträge<br />
Pfr. Klaus Frank, Ettlingen:<br />
Aus christlichem Glauben für Menschenwürde und<br />
Freiheit: Reinhold Franks Widerstand gegen den<br />
Nationalsozialismus.<br />
Montag, 22. Nov., um 20 Uhr im Hohenzollernsaal des<br />
Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechingen.<br />
Montag, 29. November, um 20 Uhr im Spiegelsaal des<br />
Prinzenbaus (Staatsachiv) in Sigmaringen.<br />
Prof. Dr. Utz Jeggle, Universität Tübingen:<br />
Erinnerungen an die Haigerlocher Juden.<br />
Montag, 6. Dezember, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal<br />
des Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechin-<br />
gen.<br />
III. Vortragsveranstaltung<br />
Die Landkreise Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen und<br />
Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische Geschichts-<br />
verein e.V laden alle Geschichtsfreunde zu der Vortrags-<br />
veranstaltung<br />
Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau<br />
am Samstag, 16. Oktober, ab 9.30 Uhr in die Hohenberghalle<br />
in Schömberg-Schörzingen ein.<br />
Programm:<br />
9.30 Uhr Grußworte<br />
10.00 Uhr Bernhard Rüth: Der Übergang der Herrschaft<br />
Schramberg an Österreich.<br />
10.40 Uhr Kaffeepause<br />
11.00 Uhr Hans Peter Müller: Oberndorf als vorderösterreichische<br />
Stadt.<br />
11.40 Uhr Dr. Hans-Joachim Schuster: Fridingen<br />
und Spaichingen, die »Hauptorte« Oberhohenbergs,<br />
ca. 12.20 Uhr Mittagspause<br />
14.00 Uhr Dr. Edwin Ernst Weber: Landeshoheit von<br />
»oben« versus Herrschaftsverdichtung<br />
von »unten«. Territorialherrschaft in Vorderösterreich<br />
und Fürstenberg-Meßkirch<br />
am Beispiel der Untertanendörfer Engelswies<br />
und Kreenheinstetten.<br />
14.40 Uhr Dr. Andreas Zekorn: Unter dem Schutzflügel<br />
des Kaiseradlers: Die Grafschaften<br />
Sigmaringen und Veringen als österreichische<br />
Lehen.<br />
15.20 Uhr Kaffeepause<br />
15.45 Uhr Karlheinz Geppert M.A.: Die vorderösterreichischen<br />
Städte Schömberg und Binsdorf.<br />
16.25 Uhr Dr. Martin Zürn: Die vorderösterreichische<br />
Herrschaft Kallenberg,<br />
ca. 17.15 Uhr Ende der Nachmittagsveranstaltung<br />
18.00 Uhr Empfang des Zollernalbkreises und der<br />
Stadt Schömberg (mit Abendessen).<br />
Musikalische Umrahmung: Volkstanzmusik<br />
Frommern<br />
20.00 Uhr Grußworte<br />
20.15 Uhr Prof. Dr. Franz Quarthai: Habsburg am<br />
oberen Neckar und der oberen Donau.<br />
IV. Seminar<br />
Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> e.V. und der<br />
Verein für Familien- und Wappenkunde in Württemberg<br />
und Baden e.V. veranstalten am Freitag, 5. November<br />
1999, von 13.00 Uhr bis ca. 17.30 Uhr im Staatsarchiv<br />
Sigmaringen ein Nutzerseminar Einführung in die Archivbestände<br />
zur Geschichte Oberschwabens.<br />
Das Fürstlich Thum und Taxis'sche Depositum<br />
Obermarchthal im Staatsarchiv Sigmaringen<br />
(STAS Dep. 30).<br />
Programm:<br />
13.00 Uhr<br />
13.15 Uhr<br />
14.00 Uhr<br />
15.00 Uhr<br />
Begrüßung<br />
Die Fürsten von Thum und Taxis in Oberschwaben<br />
(Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch)<br />
Teilbestände des Depositums (Birgit<br />
Kirchmaier)<br />
Archivalientypen und Dokumentationsinhalte<br />
(Josef Adam, Birgit Kirchmaier,<br />
Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch)<br />
35
16.30 Uhr Archivführung<br />
Teilnehmergebühr: 15 DM (für Mitglieder eines der veranstaltenden<br />
Vereine: 10 DM). Kto. des HGV 803.843 bei<br />
der Hohen. Landesbank, BLZ 653 510 50.<br />
Nähere Auskünfte über das Seminar erteilt Frau Liebhaber<br />
im Staatsarchiv Sigmaringen (Tel. 07571/101-558).<br />
V. Vorankündigung<br />
Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> und das Kreis-<br />
sichts des enormen Konfliktpotentials überraschend moderaten<br />
Verlauf, dessen weitere Stationen die Wahl einer Deputierten-Versammlung<br />
des sog. »Achtundfünfzigers«, die<br />
Abschaffung zahlreicher Feudallasten durch Vereinbarung<br />
mit der fürstlichen Regierung und schließlich am 16. Mai<br />
die öffentliche Verkündigung einer Verfassung sind. Zu verdanken<br />
ist die Mäßigung in erster Linie dem Einfluß von<br />
Pfarrer Josef Blumenstetter aus Burladingen, der zum<br />
Wortführer der liberalen Bewegung im Fürstentum wird<br />
und in aller Schärfe die Beachtung der Gesetze und die Absage<br />
an jede Art von Gewalt verlangt.<br />
Ganz anders entwickeln sich 1848 die Dinge in Hohenzollern-Sigmaringen.<br />
Zumal in der Residenzstadt mit ihrer politisch<br />
aktiven Bürgerschaft kommt es im Sommer 1848 zu<br />
einer wachsenden Radikalisierung unter demokratischen<br />
und republikanischen Vorzeichen. Deren spektakulären<br />
Höhepunkt bildet am 26. September eine - zeitlich synchron<br />
zu den Aufständen von Struve in Südbaden und von<br />
Rau in Württemberg einberufene - riesige Volksversammlung<br />
mit 3000 Teilnehmern auf dem Sigmaringer Karlsplatz,<br />
die auf Antrag des Demokratenführers Dr. Karl Otto<br />
Würth mit »Stimmeneinheit« die Einsetzung eines revolutionären<br />
Sicherheitsausschusses und die Entwaffnung des<br />
fürstlichen Militärs beschließt. Fürst Karl Anton und seine<br />
Regierung fliehen daraufhin ins badische Überlingen und<br />
bitten die Frankfurter Zentralgewalt um Wiederherstellung<br />
der Ordnung im Fürstentum. Dies geschieht zwei Wochen<br />
später tatsächlich, als 2000 Mann bayerischer Truppen in<br />
Sigmaringen einmarschieren und der - allerdings nie formell<br />
ausgerufenen - hohenzollerischen Republik ein freilich unblutiges<br />
Ende bereiten. Im Unterschied zur bäuerlichen<br />
Sensen- und Mistgabelrevolte in Hechingen trägt die Sigmaringer<br />
Revolution eindeutig bürgerliche Züge und befindet<br />
sich mit ihren Forderungen nach Pressefreiheit, Religionsund<br />
Gewissensfreiheit, Volksbewaffnung, Schwurgerichten,<br />
deutschem Parlament und schließlich sogar nach Einführung<br />
der Republik absolut auf der Höhe der Zeit. Die<br />
wichtigste lokalspezifische Forderung ist die Übergabe der<br />
fürstlichen Domänen an das Land.<br />
Die demütigende Erfahrung der Ohnmacht gegenüber<br />
ihren revolutionären Untertanen und der drohende Verlust<br />
der Domänen ist für die hohenzollerischen Fürsten bereits<br />
im Frühjahr 1848 der Ausgangspunkt für Verhandlungen<br />
mit Preußen und zeitweise sogar Württemberg und der<br />
Frankfurter Zentralgewalt über eine Abgabe der Souveränität<br />
gegen Garantie der Domänen als Privatbesitz. Nach<br />
langem Sträuben aufgrund von Legitimitätsbedenken findet<br />
sich 1849 schließlich König Friedrich Wilhelm IV. zu einer<br />
Übernahme der beiden Fürstentümer durch Preußen bereit.<br />
Letztlich ausschlaggebend für den Meinungswandel des<br />
Königs ist ein vom späteren Oberhofzeremonienmeister<br />
von Stillfried genährter dynastischer Geschichtskult, der die<br />
Stammverwandtschaft zwischen den schwäbischen und<br />
36<br />
archiv Zollernalbkreis werden voraussichtlich im Frühjahr<br />
2000 ein Seminar<br />
Einführung in die altdeutsche Schrift<br />
veranstalten. Das Seminar soll ca. 4 bis 5 Doppelstunden<br />
umfassen. Das Programm wird noch rechtzeitig in vorliegender<br />
Zeitschrift bekanntgegeben.<br />
gez.: Dr. Becker<br />
Vorsitzender<br />
fränkisch-brandenburgischen Linien der Hohenzollern verklärt<br />
und die südwestdeutschen Fürstentümer mit dem Zoller<br />
als das »Stammland« der preußischen Könige und späteren<br />
deutschen Kaiser romantisiert.<br />
Seinen historisch nachweisbaren Kern hat die spätere »Kaiserstammland«-Legende<br />
in der Belehnung der schwäbischen<br />
Zollern 1192 mit der Burggrafschaft Nürnberg, in deren<br />
Gefolge sich im 13. Jahrhundert ein eigener Zweig des<br />
Hauses in Franken etabliert, von dem wiederum die fränkischen<br />
Markgrafen, die Markgrafen und Kurfürsten von<br />
Brandenburg (1415/17), die preußischen Könige (1701) und<br />
die deutschen Kaiser (1871) abstammen. Ungeachtet des<br />
konfessionellen Auseinanderdriftens in der Reformation,<br />
als die fränkischen und brandenburgischen Linien protestantisch<br />
wurden, die schwäbischen Hohenzollern aber<br />
katholisch blieben, wurde das Bewußtsein von der gemeinsamen<br />
Herkunft wachgehalten und durch Erbvereinbarungen<br />
von 1695 und 1707 gestützt, die eine Eventualsukzession<br />
für den brandenburgischen Familienchef (»Caput familiae«)<br />
im Fall des Aussterbens des schwäbischen Hauses<br />
vorsehen. Der Souveränitätsverzicht der beiden hohenzollerischen<br />
Fürsten von 1849 gilt vor diesem Hintergrund<br />
rechtlich als Antizipation, d.h. Vorwegnahme des durch die<br />
älteren Familienverträge begründeten brandenburgischpreußischen<br />
Erbfolgeanspruchs.<br />
Ihren zu Stein gewordenen Ausdruck findet diese romantische<br />
Verklärung der Stammverwandtschaft im bereits 1846<br />
von den schwäbischen Hohenzollern-Fürsten und dem<br />
preußischen König beschlossenen gemeinsamen Wiederaufbau<br />
der weitgehend verfallenen Burg Hohenzollern, die sodann<br />
in den Jahren 1850 bis 1867 als monumentaler neogotischer<br />
Neubau auf den Grundmauern der alten Stammfeste<br />
ersteht. Geradezu folgerichtig erscheint es, wenn Friedrich<br />
Wilhelm IV. die Erbhuldigung seiner neuen schwäbischen<br />
Untertanen am 23. August 1851 in der »Wiege des schwarzen<br />
Adlers«, auf dem zu dieser Zeit noch ruinösen Zollerberg,<br />
inszenieren läßt.<br />
Daß die Begeisterung der neuen preußischen Untertanen<br />
über ihren von »oben«, ohne ihre Einwilligung verfügten<br />
Herrschaftswechsel freilich über den Kreis der von Maßregelung<br />
und Verfolgung bedrohten Demokraten und Republikanern<br />
hinaus durchaus ihre Grenzen hatte, offenbart eine<br />
aus jener Zeit überlieferte Anekdote: Demzufolge verkündete<br />
ein hohenzollerischer Pfarrer seiner Gemeinde in<br />
der ihm aufgetragenen Kirchenpredigt, er werde heute darüber<br />
zu sprechen haben, »wie sehr wir uns freuen sollen,<br />
daß wir preußisch geworden sind, und darüber, daß wir dies<br />
um unserer Sünden willen auch nicht besser verdient haben«.<br />
Literaturhinweise<br />
Otto H. Becker u.a. (Bearb.): Preußen in Hohenzollern. Begleitband<br />
zur Ausstellung. Sigmaringen 1995.
Eberhard Gönner: Die Revolution von 1848/49 in den Hohenzollerischen<br />
Fürstentümern und deren Anschluß an Preußen. Hechingen<br />
1952 (= Arbeiten zur Landeskunde Hohenzollerns 2).<br />
Fritz Kallenberg (Hg.): Hohenzollern. Stuttgart 1996 (= Schriften<br />
zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 23).<br />
HERBERT RÄDLE<br />
Eine Madonna Ulmer Herkunft in Dettingen (Hohenz.),<br />
vielleicht von Nikiaus Weckmann<br />
In der Zeit kurz vor und um 1500 sind in Ulm neben einigen<br />
anderen, die bloße Namen bleiben - als klare Persönlichkeiten<br />
mit fest umrissenem Œuvre faßbar die Bildhauer<br />
Michel Erhart und Nikiaus Weckmann (letzterer bisher<br />
meist mit Jörg Syrlin gleichgesetzt).<br />
In den 1470er Jahren, als Weckmann lernte, wurde die Ulmer<br />
Skulptur von einigen Multscher-Schülern, vor allem<br />
aber von Michel Erhart geprägt.<br />
Für die Zuordnung der Dettinger Madonna (Abb. 1) ist insbesondere<br />
ein Motiv interessant, das Weckmann (Meister in<br />
Abb. 1: Mutteigottes in Dettingen bei Horb (ehemals Dejungen/Hohenz.).<br />
Wohl von Nikolaus Weckmann. Bildnachweis: Katalog<br />
wie Anm. 1, S. 127<br />
Für die Sache der Freiheit, des Volkes und der Republik. Die Revolution<br />
1848/49 im Gebiet des heutigen Landkreises Sigmaringen.<br />
Hg. v. Landkreis Sigmaringen. Sigmaringen 1998 (= Heimatkundliche<br />
Schriftenreihe des Landkreises Sigmaringen<br />
Bd. 7).<br />
Abb. 2: Schutzmantel-Madonna von Michael Erhart, Berlin Staad.<br />
Museen, Skulpturengalerie. Bildnachweis: Katalog wie Anm. 1,<br />
S. 127<br />
Ulm seit 1481) von Erhart übernommen hat. Es handelt sich<br />
um das bei spätgotischen Darstellungen der Gottesmutter<br />
auch sonst vielfach übliche Requisit des Kopftuchs, das zumeist<br />
vom Mantel deutlich unterschieden und auch farblich<br />
abgesetzt ist.<br />
Michel Erhart läßt es mit einer Art Wirbel auf der einen<br />
Kopfseite beginnen und führt es dann über den Kopf, um es<br />
auf der anderen herunter- und meist in großer Kurve quer<br />
aber die Brust zu führen, wie z. B. bei der Schutzmantel-<br />
Madonna in der Skulpturengalerie Berlin (Abb. 2).<br />
Nikiaus Weckmann greift dieses Motiv auf, variiert es jedoch,<br />
indem er das Kopftuch nicht herunterfallen läßt, sondern<br />
hinter dem Kopf um den Nacken führt, wie wir es bei<br />
den Madonnen in Ochsenhausen (Abb. 3) oder Ennetach<br />
sehen 1.<br />
Bei der Dettinger Figur ist das Kopftuch deutlich auf die<br />
Weckmannsche Art gelegt, während die Manteldrapierung<br />
eher eine diagonale, auf das Kind zuführende Anlage zeigt -<br />
37
ähnlich Kompositionen Michel Erharts (etwa in Blaustein-<br />
Ehrenstein) 2. Doch weist der Mantelsaum mit dem Detail<br />
des vom Wind hochgewehten »Ohrleins« wiederum ein<br />
sehr typisches Motiv der Weckmann-Werkstatt auf 3.<br />
Die Dettinger Madonna nimmt also formal eine Zwischenstellung<br />
zwischen Erhartschen Schöpfungen wie der<br />
Madonna in Blaustein-Ehrenstein und Weckmann-Figuren<br />
wie der Ennetacher Madonna ein.<br />
Erklären ließe sich dies durch einen Bildhauer, der nacheinander<br />
in beiden Ulmer Werkstätten tätig war. Der Kunstwissenschaftler<br />
Heribert Meurer möchte allerdings wegen<br />
der »ausgesprochen Weckmannschen Gesichtszüge« eine<br />
Zuschreibung an Weckmann vorziehen 4.<br />
Anmerkungen<br />
1 Die Ennetacher Madonna ist abgebildet bei Manfred Hermann,<br />
Kunst im LKr. Sigmaringen, 1986, S. 95, ebenso in dem Ausstellungskatalog<br />
»Meisterwerke massenhaft«, Stuttgart 1993, S. 100.<br />
2 Die Blaustein-Ehrensteiner Madonna von Michel Erhart ist abgebildet<br />
im Katalog wie Anm. 1, S. 128.<br />
3 Dieselbe Gestaltung des Mantelsaums - mit »Ohrlein« - findet<br />
sich z. B. auch bei der Figur des Bischofs Ambrosius am Westportal<br />
des Ulmer Münsters (um 1500. Abb. im Katalog wie<br />
Anm. 1, S. 80) oder bei der Madonna im Adelberger Retabel<br />
(Adelberg LKr. Göppingen, Ulrichskapelle). Abb. im Katalog<br />
Nr. 78.<br />
4 Sämtliche Informationen sind dem in Anm. 1 genannten Ausstellungskatalog<br />
entnommen, bes. S. 125ff. Zu erwähnen bleibt<br />
noch, daß in dem Kunstdenkmäler-Band Kreis Hechingen von<br />
1939 die Dettinger Madonna dem (neckarschwäbischen?) Meister<br />
des Oberndorfer Altars zugewiesen wurde. Vgl. Meurer, wie<br />
Anm. 17, S. 133, Katalog »Meisterwerke ...«, wie Anm. 1.<br />
EDWIN ERNST WEBER<br />
Abb. 3: Madonna in der Klosterkirche Ochsenhausen von Nikolaus<br />
Weckmann, Ulm. Bildnachweis: Beuroner Kunstverlag<br />
750 Jahre Sigmaringendorf - Ein Blick in die Geschichte des Ortes<br />
Der »großen Politik«, konkret dem weltgeschichtlich bedeutsamen<br />
Streit zwischen Kaiser und Papst um die Vorherrschaft<br />
im christlichen Abendland hat Sigmaringendorf<br />
seine urkundliche Ersterwähnung vor fast genau 750 Jahren<br />
zu verdanken. Mit einer am 17. September 1249 in Lyon<br />
ausgefertigten Urkunde stellt der damalige Papst Innozenz<br />
IV. das bei Bregenz am Bodensee gelegene Benediktinerkloster<br />
Mehrerau unter seinen besonderen Schutz und bestätigt<br />
dessen umfangreichen, von Vorarlberg, Liechtenstein und<br />
der Schweiz über das Allgäu und Oberschwaben bis an die<br />
obere Donau nach Sigmaringendorf reichenden Besitz an<br />
Gütern und Herrschaftsrechten. Im Jahr zuvor war das zur<br />
päpstlichen Partei gerechnete Kloster von Anhängern des<br />
Stauferkönigs Konrad IV. überfallen, geplündert und verbrannt<br />
worden und hatte dabei wohl auch seine Besitz- und<br />
Rechtsdokumente eingebüßt. Die Papsturkunde von 1249<br />
stärkte nun zum einen die Stellung der Mehrerau gegen ihre<br />
Gegner und rekonstruierte zum anderen die klösterlichen<br />
Besitzrechte in insgesamt mehr als 60 Orten. Sigmaringendorf<br />
bildet dabei einen absoluten Außenposten der Mehrerauer<br />
Besitzungen, die nächstgelegenen Klostergüter finden<br />
sich in Ruschweiler bei Pfullendorf sowie in Tüfingen<br />
und Siggingen bei Salem.<br />
»Sigemaeringen« in der Papsturkunde von 1249<br />
Nicht verschwiegen werden sollte, daß die Zuweisung der<br />
urkundlichen Ortsnennung von 1249 nach Sigmaringendorf<br />
historiographischem Scharfsinn zuzuschreiben ist und auf<br />
den ersten Blick durchaus überraschend erscheinen muß.<br />
38<br />
Im Papstdiplom Innozenz IV. wird nämlich unter den Mehrerauer<br />
Besitztümern ein Ort namens »Sigemaeringen« aufgeführt,<br />
wo das Kloster das Patronatsrecht, die Zehnten<br />
und andere Einkünfte der örtlichen Kirche und darüber<br />
hinaus noch weitere Besitzungen innehat. Schmücken sich<br />
damit die »Dorfer« etwa mit fremden Federn, konkret mit<br />
jenen der nahegelegenen Kreisstadt Sigmaringen, deren<br />
Burg im Zusammenhang mit einer kriegerischen Auseinandersetzung<br />
im sog. Investiturstreit bereits im Jahr 1077 erstmals<br />
erwähnt wird? Die Sigmaringendorfer dürfen beruhigt<br />
sein - sie feiern ihr Jubiläum in diesem Jahr völlig zu Recht<br />
und nehmen den benachbarten Kreisstädtern auch nichts<br />
weg!<br />
Des Rätsels Lösung bringt der Blick auf die kirchlichen Verhältnisse:<br />
Das Kirchenpatronat samt Zehnten und anderen<br />
Einkünften der Pfarrkirche kann das Kloster Mehrerau in<br />
der Mitte des 13. Jahrhunderts nur in dem alten Pfarrort<br />
Sigmaringendorf, nicht aber in der zu dieser Zeit erst aus einer<br />
Burgsiedlung hervorgehenden Stadt Sigmaringen besitzen.<br />
Sigmaringen nämlich ist vor 750 Jahren noch nach Laiz<br />
eingepfarrt, und in der entstehenden städtischen Siedlung<br />
besteht zunächst nur eine dem Hl. Johann Evangelist geweiht<br />
Burgkapelle, die erst 1359 einen ständigen Priester erhält<br />
und wo mit bischöflicher Erlaubnis erst seit 1464 auch<br />
an Sonn- und Feiertagen Gottesdienst gehalten werden<br />
darf. Ihre Toten müssen die Sigmaringenstädter sogar noch<br />
bis 1744 auf dem Kirchhof der Mutterpfarrei Laiz bestatten.<br />
Die Pfarrei Sigmaringendorf, die mit ihrem Petruspatrozinium<br />
erstmals 1317 namentlich genannt wird, zählt dem-
gegenüber wohl zu den ältesten Pfarreien im Kreisgebiet.<br />
Nach den Befunden der Frühmittelalterforschung setzt die<br />
Konsekrierung von Peterskirchen in Südwestdeutschland<br />
um 700 ein und weist damit ähnlich wie die noch älteren<br />
Martinspatrozirrien in die fränkische Zeit zurück. Das Sigmaringendorfer<br />
Doppelpatrozinium mit den hll. Petrus und<br />
Paulus wird erstmals 1354 genannt.<br />
Ein Ort der ältesten Besiedlungsschicht<br />
Für die Kreisstädter kommt es indessen noch dicker: Die<br />
richtigen, will heißen die ursprünglichen Sigmaringer sind<br />
nicht sie, sondern die benachbarten »Dorfer«. Die historische<br />
Forschung geht nämlich davon aus, daß das heutige<br />
Sigmaringendorf eine Siedlung der sog. alemannischen<br />
Landnahmezeit und damit der ältesten Besiedlungsschicht<br />
des Frühmittelalters ist. Unter den etwa 30 im Sigmaringer<br />
Kreisgebiet bislang aufgefundenen alemannischen Reihengräberfeldern<br />
mit Körperbestattungen aus der sog. Merowingerzeit,<br />
also dem Zeitraum vom frühen 6. bis zum Beginn<br />
des 8. Jahrhunderts, ist neben anderen Orten vorzugsweise<br />
in den Tallagen von Donau und Laudiert auch<br />
Sigmaringendorf anzutreffen. Zum anderen verweist auch<br />
die Endung des Ortsnamens auf -ingen nach dem Befund<br />
der historischen Ortsnamensforschung auf eine Entstehung<br />
in der ältesten alemannischen Besiedlungsphase bis zum 6.<br />
Jahrhundert. Das in Sigmaringendorf ansässige Hochadelsgeschlecht<br />
verlegte, dem allgemeinen Trend zur Errichtung<br />
befestigter Burgen folgend, vermutlich in der zweiten Hälfte<br />
des 11. Jahrhunderts seinen Sitz auf den militärstrategisch<br />
günstiger gelegenen Donaufelsen flußaufwärts am Standort<br />
des heutigen Sigmaringer Hohenzollernschlosses. Die verstorbene<br />
Archivdirektorin Dr. Maren Kuhn-Rehfus vermutete<br />
die namentlich bislang unbekannten Erbauer der Sig-<br />
maringer Burg im Verwandtenkreis der miteinander zusammenhängenden<br />
benachbarten Grafen von Pfullendorf-<br />
Ramsberg, Bregenz, Altshausen und Rohrdorf. Zusammen<br />
mit dem Adelssitz »wanderte« auch der Ortsname Sigmaringen<br />
donauaufwärts mit und bezeichnete fortan sowohl<br />
die neue Burg und die sich bald daran anschließende Burgsiedlung<br />
wie auch das ältere Dorf.<br />
Eben darin, in dieser teilweise bis in das Spätmittelalter hinein<br />
fehlenden namentlichen Differenzierung zwischen der<br />
jüngeren Burg- und der älteren Dorfsiedlung liegt die große<br />
Schwierigkeit bei der zuverlässigen Lokalisierung der in den<br />
Quellen begegnenden Ortsbenennungen von Sigmaringen.<br />
Nahezu stets bedarf es der interpretatorischen Oberprüfung,<br />
ob sich die jeweilige Nennung auf die Adelsburg und<br />
die entstehende Stadtsiedlung auf dem Donaufeisen oder<br />
aber auf das Bauerndorf an der Einmündung der Lauchert<br />
in die Donau bezieht. Die älteste Nennung von »Sigimaringin«<br />
aus dem Jahr 1077, die sich mit dieser Namensangabe<br />
in den allerdings erst ein gutes Jahrhundert später entstandenen<br />
Klosterchroniken von Petershausen und St. Gallen<br />
findet, meint eindeutig die befestigte Burg und damit die<br />
spätere Stadt, wo im Investiturstreit Anhänger von König<br />
Heinrich IV. erfolglos durch den Gegenkönig Rudolf von<br />
Rheinfelden belagert wurden. Demgegenüber beziehen sich<br />
die Nennungen eines Sigmaringen in der erwähnten Papsturkunde<br />
von 1249 und gleichermaßen im sog. »Liber decimationis«<br />
von 1274 ebenso eindeutig auf Sigmaringendorf,<br />
da es in beiden Fällen um die - in der späteren Stadt zu dieser<br />
Zeit noch nicht vorhandene - Pfarrkirche geht. Die erste<br />
zuverlässige Unterscheidung zwischen der dörflichen und<br />
der städtischen Siedlung gleichen Namens gibt das sog.<br />
Habsburgische Urbar von 1306. In dieser Zusammenstellung<br />
der den Herzögen von Osterreich als den damaligen<br />
In monatelanger Arbeit wurden zum Sigmaringer Ortsjubiläum verschiedene markante historische Gebäude der Gemeinde - die Meinradskapelle<br />
in Laucherthal, das Rathaus, die Pfarrkirche St. Peter und Paul, die Bruckkapelle sowie, nicht auf dem Bild, das Laucherthaler<br />
Hochofengebäude von 1707 und das Schlößchen Ratzenhofen als Modelle nachgebaut. Auf dem Bild die Gruppe der Modellbauer (von<br />
links nach rechts): Walter Speker, Norbert Nägele, Oskar Guide, Achim Speker, Wilhelm Gemalzick, Egon Fischer, Willi Schneider und<br />
Albert Rebholz Foto: Ludwig Speh<br />
39
Inhabern auch der Herrschaft Sigmaringen zustehenden Besitzungen<br />
und Einkünfte wird erstmals differenziert zwischen<br />
der »bürg (...) und stat ze Sigmeringin« einerseits und<br />
»Sigmeringen in dem dorfe« andererseits. Diese Bezeichnung<br />
»Sigmaringen das dorff« bürgert sich sodann ab dem<br />
14. Jahrhundert zunehmend zur Unterscheidung von der<br />
namensgleichen Stadt ein.<br />
Die Verbindung Sigmaringendorfs zum Vorarlberger Benediktinerkloster<br />
Mehrerau, die ausweislich eines Nekrologeintrags<br />
auf die Schenkung durch einen Mönch namens<br />
Chuno zurückgeht, besteht bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts<br />
fort. Seit 1397 übt der Mehrerauer Abt nicht mehr<br />
nur die Patronats- und Zehntherrschaft aus, sondern fungiert<br />
mit der sog. Inkorporation, d.h. der Einverleibung der<br />
Pfarrei und ihres Pfründvermögens in sein Kloster nominell<br />
sogar als Ortspfarrer. Dieses Amt übt er verständlicherweise<br />
aber nicht persönlich aus, sondern läßt sich durch einen<br />
Pfarrvikar, seit der Mitte des 17. Jahrhunderts durchgehend<br />
Ordenspriester aus Mehrerau, vertreten. Nach der Säkularisation<br />
des Benediktinerklosters 1806 gehen das Sigmaringendorfer<br />
Patronat samt Zehntherrschaft auf Bayern und<br />
sodann auf Österreich über, von dem sodann 1826 Hohenzollern-Sigmaringen<br />
diese kirchlichen Herrschaftsrechte erwirbt.<br />
Fragt man nach den Besonderheiten Sigmaringendorfs, die<br />
seine geschichtliche Entwicklung von der anderer, benachbarter<br />
Ortschaften unterscheiden, so stößt man alsbald auf<br />
seine schiere Größe und zum anderen auf seine gewerbliche<br />
Dynamik. Soweit sich dies bis in das 17. Jahrhundert<br />
zurückverfolgen läßt, ist Sigmaringendorf stets neben der<br />
Residenzstadt Sigmaringen und zeitweise Bingen und<br />
Krauchenwies der bevölkerungsreichte und auch wirtschaftlich<br />
und steuerlich ertragreichste Ort der gesamten<br />
Grafschaft Sigmaringen. In den Jahren von 1690 bis 1750<br />
trägt Sigmaringendorf stattliche 12,34 Prozent des gesamten<br />
überterritorialen Steueraufkommens der sog. Mediatorte<br />
der Grafschaft Sigmaringen einschließlich des Amtes Wald<br />
und damit weitaus mehr als jedes andere Untertanendorf.<br />
An dieser wichtigen Funktion des Ortes als Steuerzahler hat<br />
sich im Grunde genommen bis heute wenig geändert: Der<br />
Sigmaringer Kreiskämmerer beispielsweise weiß bei der alljährlichen<br />
Berechnung der Kreisumlage sehr genau, was er<br />
an Sigmaringendorf hat.<br />
Rasanter Bevölkerungszuwachs<br />
Liegt Sigmaringendorf 1806 mit 629 Einwohnern noch<br />
annähernd gleichauf mit Bingen und Rulfingen, so vergrößert<br />
sich in den folgenden eineinhalb Jahrhunderten der<br />
Bevölkerungs-Vorsprung zunehmend, um 1961 mit 3005<br />
Einwohnern schließlich die doppelten Werte sogar der<br />
größeren Nachbardörfer wie Bingen, Krauchenwies und<br />
Ostrach zu erreichen. Im gesamten 20. Jahrhundert bis zur<br />
Kreisreform ist Sigmaringendorf hinter der Kreisstadt und<br />
deutlich vor allen anderen Städten und Gemeinden der bevölkerungsmäßig<br />
zweitgrößte Ort des hohenzollerischen<br />
Landkreises Sigmaringen. Während die Einwohnerzahl von<br />
1875 bis 1970 im Durchschnitt des Kreisgebietes um 71,4<br />
Prozent ansteigt, beträgt der Zuwachs bei Sigmaringendorf<br />
stolze 168,2 Prozent. Die Ursachen sowohl für diese vergleichsweise<br />
rasante Bevölkerungsentwicklung wie auch für<br />
die Finanzstärke des Ortes liegen in der besonderen wirtschaftlichen<br />
Entwicklung, die Sigmaringendorf bis weit in<br />
die Nachkriegszeit hinein vor allen anderen Kommunen der<br />
Umgebung auszeichnet und ihm sein spezifisches Gepräge<br />
gibt.<br />
Am Anfang dieser bemerkenswerten ökonomischen Entwicklung<br />
stehen indessen bittere Not und Armut eines<br />
40<br />
Großteils der Dorfbevölkerung. Einer im 17. und 18. Jahrhundert<br />
weitgehend gleichbleibenden Gruppe von<br />
ca. 25 wohlhabenden Mittel- und Großbauern, die im Besitz<br />
der grundherrschaftlich gebundenen Lehensgüter sind,<br />
steht eine stetig wachsende Schicht von unterbäuerlichen<br />
Kleinstelleninhabern und Tagelöhnern gegenüber, die sich<br />
in einer heute kaum noch vorstellbaren Armut mit ihren<br />
häufig großen Familien zu zweien oder gar dreien ihre zumeist<br />
elenden und schäbigen Katen teilen müssen. Vom Ertrag<br />
ihrer vielfach winzigen Anwesen können diese Dorfarmen<br />
in der Regel nicht leben, und so bleiben sie auf zusätzlichen<br />
Verdienst außerhalb der eigenen Landwirtschaft<br />
angewiesen - entweder als Tagelöhner und saisonale Hilfskräfte<br />
auf den Höfen der größeren Bauern und den fürstlichen<br />
Domänen oder aber durch die Ausübung eines Handwerks.<br />
Es kann daher nur wenig überraschen, wenn Sigmaringendorf<br />
bereits im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert<br />
eine für oberschwäbische Verhältnisse eher überdurchschnittliche<br />
Gewerbedichte aufweist. Wurden 1745 in der<br />
Ortschaft 22 Handwerker ermittelt, so hat sich deren Anzahl<br />
bis 1804 auf 53 Handwerksmeister sowie neun Gesellen<br />
erhöht. Bei 125 Ehen und 136 Bürgern im Dorf geht damit<br />
rund die Hälfte aller Familienväter einer handwerklichgewerblichen<br />
Neben- oder Hauptbeschäftigung nach.<br />
Zu diesen weit in die Geschichte zurückreichenden gewerblichen<br />
Aktivitäten gehört an der Lauchert auch die Eisengewinnung<br />
aus den auf der Alb vorhandenen Bohnerzen mit<br />
Hilfe von sog. Rennfeuern. Dieser Gewerbezweig gewinnt<br />
1707 eine neue Qualität, als der Sigmaringer Fürst<br />
Meinrad II. nach dem Vorbild benachbarter Territorialherrschaften<br />
- etwa der Fürstenberger 1670 im Thiergarten - im<br />
heutigen Ortsteil Laucherthal ein Hüttenwerk mit Hochofen<br />
errichten läßt. Trotz des imposanten und kürzlich vorbildlich<br />
sanierten Hochofengebäudes bleiben die Größenverhältnisse<br />
dieses Betriebes verglichen mit der späteren<br />
Entwicklung lange Zeit durchaus bescheiden: Einer vom<br />
damaligen Ortspfarrer erstellten Bevölkerungsstatistik zufolge<br />
lebten 1802 in dem als »Schmelze« bezeichneten Sigmaringendorfer<br />
Ortsteil 92 Bewohner, darunter 40 Männer<br />
über 14 Jahren, die wohl zum allergrößten Teil einer Beschäftigung<br />
als »Laboranten« im fürstlichen Hüttenwerk<br />
nachgegangen sein dürften. Ausschlaggebend für die Entwicklung<br />
des Werks von einer eher bescheidenen Bohnerzhütte<br />
zu einem enorm expandierenden industriellen Großbetrieb<br />
im Laufe des 19. und dann vor allem des 20. Jahrhunderts<br />
ist die mit den Namen fähiger Betriebsleiter wie<br />
Bergverwalter Maximilian Haller oder Hüttenverwalter<br />
Egon Sauerland verbundene kontinuierliche Modernisierung<br />
und vor allem Diversifizierung der Produktion. Nicht<br />
zuletzt dank seines - heute würde man sagen - fähigen Managements<br />
und stetiger technischer Innovationen überwindet<br />
das Hüttenwerk Laucherthal seine Standortnachteile<br />
abseits der großen Verkehrswege und der Erz- und Kohlevorkommen<br />
und übersteht auch letztlich mit Bravour die<br />
diversen Stahlkrisen in den 1860/80er Jahren, in den 1920er<br />
Jahren und zuletzt in den 1960/70er Jahren.<br />
Wohlstand und Abhängigkeit vom Hüttenwerk<br />
Dank des Hüttenwerks Laucherthal wird Sigmaringendorf<br />
seit der Jahrhundertwende zur einzigen Industriegemeinde<br />
und zum wichtigsten Beschäftigungsstandort im alten hohenzollerischen<br />
Landkreis Sigmaringen, wo zeitweise<br />
(1971) ein Viertel aller industriellen Berufstätigen des Kreisgebietes<br />
ihre Arbeitsstätte haben. Während die Gemeinde<br />
und ihre Bewohner einerseits dem Hüttenwerk ihren öffentlichen<br />
wie auch privaten Wohlstand zu verdanken haben,<br />
befinden sie sich andererseits aber auch in einer weit-
gehenden Abhängigkeit von diesem bis vor kurzem größten<br />
Industriebetrieb des Landkreises und zumal den wirtschaftlichen<br />
Konjunkturentwicklungen. »Wohl und Wehe der<br />
Gemeinde war im Laufe der letzten 250 Jahre weitgehend<br />
mit der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Betriebs verbunden«,<br />
ist ebenso nüchtern wie korrekt in einer 1971 erstellten<br />
Gemeinde-Darstellung von Sigmaringendorf zu lesen.<br />
Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen macht diese<br />
Abhängigkeit mehr als deutlich: Einem Tiefpunkt in den<br />
1880er Jahren mit nur noch 37 Mitarbeitern folgt bis zum<br />
Ersten Weltkrieg ein Anstieg auf 350 und schließlich dank<br />
der Rüstungskonjunktur während des Krieges auf 709<br />
Werktätige, darunter erstmals auch ausländische Kriegsgefangene<br />
und Frauen, die die Lücken der an die Front gerufenen<br />
Männer schließen sollten. Einem drastischen Rückgang<br />
der Beschäftigenzahl in der Weimarer Zeit schließt sich,<br />
wiederum vor allem als Folge von Rüstungsaufträgen, ein<br />
erneuter Anstieg in der NS-Zeit auf 780 und sodann<br />
während des Zweiten Weltkriegs auf 2100 Arbeiter an, die<br />
sich zeitweise zum größeren Teil aus ausländischen<br />
Zwangsarbeitern zusammensetzen. Nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg wiederholt sich dieses Auf und Ab, als auf einen<br />
Niedergang in der französischen Besatzungszeit mit zeitweise<br />
nur noch 180 Beschäftigten während des bundesdeutschen<br />
»Wirtschaftswunders« ein Anstieg auf über 2000 Mitarbeiter<br />
zu Beginn der 1960er Jahre und in der Folge vor<br />
dem Hintergrund der Stahlkrise und einer beständigen Umstrukturierung<br />
und Rationalisierung ein kontinuierlicher<br />
Rückgang auf heute noch etwa 800 Beschäftigte im Stammwerk<br />
Laucherthal folgen.<br />
Die bemerkenswerte Gewerbegeschichte Sigmaringendorfs<br />
beschränkt sich allerdings keineswegs auf das Hüttenwerk<br />
Laucherthal. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war der<br />
größte Arbeitgeber des Ortes nicht etwa die »Schmelze«,<br />
sondern eine 1839 in einem neuerbauten Fabrikgebäude an<br />
der Lauchert eröffnete mechanische Baumwollspinnerei<br />
und Weberei, die ausweislich des Hof- und Adress-Handbuchs<br />
des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen 1844<br />
6000 Spindein und 100 Webstühle in Betrieb hatte und rund<br />
150 Mitarbeiter beschäftigte. Dem Textilunternehmen war<br />
in Sigmaringendorf indessen kein dauerhafter Erfolg beschieden,<br />
nach einem Brand 1876 wurde das Betriebsgelände<br />
von dem Fabrikanten Schaal aus dem württembergischen<br />
Scheer erworben, der in der Folge hier eine Filial-Holzstoffabrik,<br />
den Vorgängerbetrieb des heute auf die Galvanisierung<br />
und das »Shielding« (Metallisierung von Kunststoffgehäusen<br />
zur Abschirmung von elektromagnetischer Strahlung)<br />
spezialisierten Unternehmens, errichtete. Im<br />
Windschatten des Großbetriebs im Laucherthal entwickelte<br />
sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Sigmaringendorf<br />
eine ganze Reihe mittelständischer Unternehmen vor<br />
allem in den Bereichen Holz- und Metallverarbeitung, Maschinenbau<br />
und Textilherstellung, die zusammengenommen<br />
Mitte der 1960er Jahren rund 250 und heute immerhin etwa<br />
600 Arbeitsplätze bei insgesamt etwas über 1400 Stellen im<br />
produzierenden Gewerbe der Gemeinde anbieten können.<br />
Dank dieser aufstrebenden Mittelbetriebe konnte der<br />
Arbeitsplatz-Abbau im Laucherthal zumindest teilweise<br />
ausgeglichen werden und ist Sigmaringendorf neben Pfullendorf,<br />
Saulgau und Krauchenwies einer der wichtigsten<br />
industriellen Produktionsstandorte im Landkreis Sigmaringen<br />
geblieben.<br />
Rote Insel im schwarzen Meer<br />
Die starke gewerbliche Ausrichtung des Ortes und der hohe<br />
Arbeiteranteil an der Wohnbevölkerung haben Sigmaringendorf<br />
seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein spezifi-<br />
sches soziales, politisches und kulturelles Gepräge verliehen,<br />
das sich bis vor kurzem markant von den ländlich-konservativen<br />
Verhältnissen in den Dörfern und Städten der<br />
Umgebung abhob. Innerhalb Hohenzollerns, das seit dem<br />
»Kulturkampf« der 1870er Jahre eine unverrückbare<br />
Domäne zunächst der Zentrumspartei und sodann der<br />
CDU ist, erscheint Sigmaringendorf und zumal sein Teilort<br />
Laucherthal als rote Insel im schwarzen Meer. In der Arbeitersiedlung<br />
rund um das Hüttenwerk besitzen die beiden<br />
Arbeiterparteien SPD und KPD vor allem in der Weimarer<br />
Republik eine treue Anhängerschaft und erreichen Wahlergebnisse<br />
bis nahe an die 50 Prozent, während sie im Mittel<br />
des gesamten Kreisgebietes zumeist unter zehn Prozent<br />
bleiben. Sigmaringendorf und das Laucherthal sind denn<br />
auch unter der NS-Gewaltherrschaft das Zentrum des antifaschistischen<br />
Widerstandes im Landkreis, wo beispielsweise<br />
am sog. Führer-Geburtstag des Jahres 1933 eine Hakenkreuzfahne<br />
vom Masten gerissen und im Gasthaus »Eisenhammer«<br />
antinazistische Lieder gesungen werden. Vier<br />
Arbeiter werden für dieses »Verbrechen« postwendend in<br />
das Konzentrationslager Heuberg eingeliefert. Als nach<br />
Kriegsende die KZ-Häftlinge im Landkreis Sigmaringen ermittelt<br />
werden, kann Sigmaringendorf mit acht von insgesamt<br />
27 Personen den mit weitem Abstand höchsten Anteil<br />
einer Einzelgemeinde aufweisen. Auch in der Nachkriegszeit<br />
halten die kommunistischen Sympathien der Laucherthaler<br />
Arbeiter noch über lange Jahre hinweg an. Eine<br />
höchst aktive Ortsgruppe hält bis zum Verbot der KPD in<br />
den 1950er Jahren allmonatliche Versammlungen mit teilweise<br />
mehr als 50 Besuchern in den Gasthäusern »Fridolin«<br />
oder »Eisenhammer« ab und arbeitet mit ihren 30 Mitgliedern<br />
unverdrossen für die »Verwirklichung des Marxismus«,<br />
wie in einer Befragung 1948 der Vereinszweck umschrieben<br />
wird. Es überrascht unter diesen Umständen<br />
nicht, daß der einzige Kommunist, der je in einem Sigmaringer<br />
Kreistag saß, 1946 in Gestalt des KPD Kreissekretärs<br />
Mühl aus Sigmaringendorf kommt.<br />
»Multikulturelle« Gesellschaft im Laucherthal<br />
Die Industrialisierung und der beständige Zuzug von Arbeitskräften<br />
haben in Sigmaringendorf und besonders im<br />
Laucherthal die dörfliche Welt vergleichsweise früh nach<br />
außen geöffnet und seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert<br />
eine für das Oberland eher untypische »multikulturelle«<br />
Gesellschaft entstehen lassen. Kamen die Zuwanderer anfänglich<br />
ganz überwiegend aus anderen deutschen Staaten,<br />
vor allem dem Ruhrgebiet und den sächsischen Bergbaugebieten,<br />
wo auch gezielt Fachleute für die Produktion im<br />
Hüttenwerk angeworben wurden, so stieg im weiteren Verlauf<br />
dieses Jahrhunderts beständig der Anteil ausländischer<br />
Beschäftigter. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei dem<br />
massenweisen Einsatz ausländischer Kriegsgefangener und<br />
Zwangsarbeiter im Ersten und dann vor allem im Zweiten<br />
Weltkrieg in der Rüstungsproduktion des Hüttenwerks zu.<br />
Am Ende des Zweiten Weltkriegs sind im Laucherthal unter<br />
den annähernd eintausend ausländischen Arbeitskräften<br />
nicht weniger als 14 Nationalitäten vertreten, die unter teilweise<br />
unwürdigen Bedingungen und schlechter Versorgung<br />
in insgesamt 14 Baracken untergebracht sind. Gräber auf<br />
dem Sigmaringendorfer Friedhof erinnern bis heute an dieses<br />
eher düstere Kapitel der örtlichen Industriegeschichte.<br />
Der Normalfall im Umgang mit den beständig zuziehenden<br />
Fremden sind in Sigmaringendorf und im Laucherthal indessen<br />
nicht Ausgrenzung und Ausbeutung, sondern die<br />
selbstverständliche Aufnahme und die verhältnismäßig rasche<br />
Integration der Zuzügler in die dörfliche Gesellschaft.<br />
Es mag an der mittlerweile mehr als hundertjährigen Erfah-<br />
41
ung mit der Arbeitsmigration liegen, daß in Sigmaringendorf<br />
die aus anderen Dörfern bekannte Differenzierung in<br />
Alteingesessene und »Reingschmeckte« eine weitaus geringere<br />
Rolle spielt und Zuzügler sowohl im politischen Leben<br />
wie vor allem auch in den Vereinen eine durchaus wichtige<br />
und anerkannte Rolle spielen. »Bei uns im Laucherthal ist<br />
die Mentalität gegenüber Fremden einfach offener«, lautet<br />
eine häufig zu hörende Beschreibung dieser Haltung, die<br />
den Zuwanderer nicht primär als Bedrohung, sondern mit<br />
Neugierde und Interesse sowie als mögliche Bereicherung<br />
sieht. Auch die Verbindung von Sigmaringendorf zu seiner<br />
argentinischen Partnerstadt Rafaela ist letztlich eine Folge<br />
der Arbeitsimmigration: Diethelm Lehmann und seine Ehefrau<br />
Regula, die Eltern des 1840 in Sigmaringendorf geborenen<br />
Wilhelm Lehmann, des späteren Gründers von Rafaela<br />
und 17 weiterer Siedlungen in Argentinien, führte die Tätigkeit<br />
in der erwähnten Baumwollspinnerei aus der Schweiz<br />
an die obere Donau.<br />
Bliebe zum Schluß noch der Blick auf eine letzte und wohl<br />
gleichfalls auf die spezifische Sozialstruktur zurückgehende<br />
Besonderheit von Sigmaringendorf, das geradezu legendäre<br />
»Dorfer« Vereinsleben. Mit ziemlicher Sicherheit ist Sigmaringendorf<br />
im Kreisgebiet die Ortschaft mit der höchsten<br />
Vereinsdichte. Auch dies hat bereits eine lange Tradition:<br />
Bei einer Erhebung im Jahr 1940 wurden dem Landratsamt<br />
aus Sigmaringendorf stolze 19 Vereine gemeldet, während<br />
es die benachbarten Landgemeinden und selbst Städte wie<br />
Quellen und Literatur<br />
Urbar Sigmaringendorf 1731 (STAS Ho 80 Bd. 1 B.q. Nr. 3).<br />
Statistik des Kreises Sigmaringen 1926-1956 (STAS Ho 199 Bd. 4<br />
Nr. 454).<br />
Chronik Sigmaringendorf - Berichte und Materialsammlung zur<br />
Ortsgeschichte und Ortsentwicklung 1929-1991 (GA Sigmaringendorf).<br />
Politische Betätigung in der Gemeinde 1946-1955 (Gemeindeverwaltung<br />
Sigmaringendorf - laufende Registratur Az. 004.00).<br />
Karl Dehner, Bernhard Eisele, Hans Hinger und Anton Speh<br />
(Bearb.): Chronik von Sigmaringendorf 1249-1981. Sigmaringendorf<br />
1982.<br />
Adolf Helbok (Bearb.): Regesten von Vorarlberg und Liechtenstein<br />
WALTER KEMPE<br />
Das alte Amtshaus zu Ostrach (Fortsetzung)<br />
Ostrach und sein Oberamtshaus am Ende der salemischen<br />
Herrschaft<br />
Infolge des Lüneviller Friedensschlusses vom 9. Februar<br />
1801 und nach den Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses<br />
vom 15.2.1803, wurden die umfangreichen<br />
Besitzungen der Klöster säkularisiert. So sollte das Haus<br />
Baden das Gebiet des Reichsstifts Salem erhalten, ausser den<br />
Herrschaften Ostrach, Schemmerberg und der Pflege Ehingen.<br />
Diese Ländereien sollten dem Fürstl. Hause von Thum<br />
und Taxis zufallen, das bereits einige Zeit vorher Herr der<br />
Reichsgrafschaft Friedberg-Scheer geworden war. Allgemeine<br />
Gesichtspunkte zur praktischen Durchführung des<br />
Beschlusses wurden in einer Konvention von Ulm schon<br />
am 31. Oktober 1802 festgelegt. Ein Monat vorher, am 29.<br />
September 1802, war bereits der Thum und Taxis'sche Regierungspräsident<br />
Alexander Graf von Westerholt vorsorglich<br />
in Ostrach eingezogen. Das Haus Thum und Taxis bereitete<br />
die endgültige Übernahme vor. Oberamtmann<br />
Grimm aus der benachbarten Reichsgrafschaft Friedberg-<br />
Scheer erstellte für seinen Regierungspräsidenten von We-<br />
42<br />
Gammertingen durchgehend auf nicht einmal zehn Vereine<br />
brachten. Einigermaßen mithalten konnte mit 13 Vereinen<br />
allenfalls noch Bingen, während der Vereinsbestand in der<br />
Kreisstadt Sigmaringen mit 21 Nennungen angesichts der<br />
dreifachen Einwohnerzahl als eher bescheiden erscheinen<br />
muß. Auch wenn die Nachbarschaft seither stark aufgeholt<br />
hat, dürfte der Sigmaringendorfer Vorsprung mit mittlerweile<br />
rund 30 Vereinen bei 3700 Einwohnern bis heute fortbestehen.<br />
Die besondere Leistung der Sigmaringendorfer<br />
Vereine liegt in ihrer bemerkenswerten sozialintegrativen<br />
Funktion, deren Bedeutung für den Zusammenhalt und das<br />
Zusammenwachsen der »multikulturellen« Gesellschaft der<br />
Industriegemeinde im zurückliegenden Jahrhundert gar<br />
nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Welchen<br />
Schatz Sigmaringendorf in seiner höchst vitalen Vereinskultur<br />
besitzt, offenbart sich besonders deutlich in diesem Jahr<br />
beim Ortsjubiläum, das zu einem wesentlichen Teil von den<br />
Vereinen und ihren ehrenamtlichen Mitgliedern gestaltet<br />
wird. Es ist der Gemeinde und ihren Bewohnern zu wünschen,<br />
daß die gemeinsame Besinnung auf ihre Geschichte<br />
und Herkunft das Gemeinschaftsbewußtsein als Grundlage<br />
für die Bewältigung der Zukunft weiter stärkt.<br />
(Leicht überarbeitete Fassung des bei der Jubiläumsfeier am<br />
2. Juli 1999 gehaltenen Festvortrags. Zur Geschichte von<br />
Sigmaringendorf erscheint voraussichtlich bis Sommer 2000<br />
ein vom Kreisarchiv Sigmaringen redaktionell betreuter<br />
Aufsatz-Sammelband.)<br />
bis zum Jahre 1260. Innsbruck 1920-25 (Urkunde Nr. 445).<br />
Maren Kuhn-Rehfus: Sigmaringen 1077-1977. Ein Abriß seiner<br />
Geschichte. In: 900 Jahre Sigmaringen 1077-1977. Hg. v. d. Stadt<br />
Sigmaringen. Sigmaringen 1977, S. 11-66.<br />
Hans-Peter Meier-Dallach (Hrsg.): 900 Jahre Zukunft. Augenblicke<br />
der Ewigkeit. Zeitschwellen am Bodensee. Sommerausstellung<br />
des Landes Vorarlberg im Kloster Mehrerau 1999. Lindenberg/A<br />
1999.<br />
Andreas Zekorn: Zwischen Habsburg und Hohenzollern. Verfassungs-<br />
und Sozialgeschichte der Stadt Sigmaringen im 17. und<br />
18. Jahrhundert. Sigmaringen 1996 (= Arbeiten zur Landeskunde<br />
Hohenzollerns Bd. 16).<br />
sterholt von 1802 bis 1803 unter der Adresse »Fürstliches<br />
Rentamt Ostrach« einen äusserst präzisen Bericht mit mehreren<br />
Abteilungen über alle verfügbaren Daten des bisher<br />
reichsstift-salemischen Oberamtes Ostrach. Mit diesem Bericht<br />
von 1802/1803, der Archivgut der Fürsten von Thum<br />
und Taxis ist, dürften wir die beste Darstellung unseres<br />
Ostracher Raumes mit detaillierter Grenzbeschreibung und<br />
geometrischen Angaben sowie Zuständigkeiten in Händen<br />
haben. Interessant ist hier die Übersicht über die Orte des<br />
Oberamtes Ostrach von 1802. Im Oberamtsbezirk liegen<br />
1802 folgende Orte:<br />
Ostrach, ein Pfarrort u. Sitz des Oberamtes,<br />
Tafertsweiler, ein Pfarrort,<br />
Bachhaupten,<br />
Eschendorf,<br />
Günzenhausen,<br />
Einhart, Pfarrort,<br />
Levertsweiier, Pfarrort,<br />
Magenbuch, Pfarrort,<br />
Lausheim,
Kalkreute,<br />
Spöck und Arnoldsberg, ein Hof,<br />
Junghof oder Sandhäusle.<br />
In diesem Hoheitsgebiet liegen einige Ortschaften, über<br />
welche der Herrschaft Ostrach nur bechränkte Rechte zustehen:<br />
Jenkofen<br />
Wirnsweiler<br />
Wangen<br />
Dichtenhausen<br />
Burgweiler (z.T.)<br />
Stadtbann Pfullendorf (z.T.)<br />
Mottschieß (z.T.)<br />
In der 3. Abt. des Grimmschen Berichts von 1803 sind unten<br />
die Gebäude aufgezeichnet, die damals das Rentamt im<br />
Oberamt Ostrach unmittelbar zu unterhalten hatte (ausser<br />
in anderen Ortschaften).<br />
Die von Ostrach:<br />
das Amtshaus nebst Scheuer und 3 Gärten,<br />
die Zehntscheuer,<br />
die Wohnung des Forstrates nebst Garten (ehemaliges<br />
Haus im Bereich Pfullendorfer Straße 17),<br />
die Wohnung des Amtsknechts nebst Garten (ehem.<br />
Gefängnisgebäude, Rentamtstraße 1/5, heute Privatbesitz)<br />
die Pfarrkirche (Patronat Salem, später Fürstl. Thum<br />
und Taxis)<br />
der Pfarrhof nebst Scheuer,<br />
das Benefiziat (Kaplaneihaus),<br />
das Messmerhaus, welches zugleich Schulhaus ist (inzwischen<br />
abgerissen) (die kirchlichen Pflegschaften<br />
hatten einen besonderen Etat<br />
Des weiteren werden wir in der 6. Abt. des Berichtes »Civil<br />
Liste« 1803 über die Verwaltung der Herrschaft Ostrach<br />
durch ein eigenes Oberamt informiert, das seinen Sitz in<br />
dem Dorfe Ostrach hatte, die Oberaufsicht in Forst- und<br />
Jagdsachen führte und das Rentamt mitbesorgte.<br />
Das Dienstpersonal bestand aus 1 Oberamtmann, 1 Oberamtsrat,<br />
1 Forstrat, 4 Revierjägern, 1 Kastenknecht, 1 Amtsknecht,<br />
1 Scharfrichter, den herrschaftlichen Schultheissen<br />
der einzelnen Orte und Zolleinnehmer.<br />
Weiter wurde hier Näheres über diese Personen und ihren<br />
Wohnsitz festgehalten. Wir möchten hier nur über die drei<br />
Haupt-Amtsträger kurz berichten.<br />
Da wird uns der 1803 amtierende Hofrat und Oberamtmann<br />
(Friedrich) Stehle vorgestellt. Er wurde 1802 mit seinem<br />
Sohn nach Ostrach versetzt. Zuvor war er 21 Jahre<br />
Oberamtmann bei den oberen salemischen Pflegeämtern<br />
Ulm, Singen und Schemmerberg. Er war der letzte salemische<br />
Oberamtmann, der vor dem Besitzwechsel das salemische<br />
Amtshaus zu Ostrach bewohnte. In dieser Dienststellung<br />
wurde er von Thum und Taxis nach der Übernahme<br />
der Herrschaft Ostrach weiter beschäftigt und konnte aufgrund<br />
seiner örtlichen Kenntnisse seinem neuen Fürstl.<br />
Herren wertvolle Dienste leisten. Stehle starb in Ostrach am<br />
24.08.1809.<br />
HANS PETER HAULER<br />
Der Glockenguß zu Dürmentingen im Jahre 1655<br />
Der Dreißigjährige Krieg ging im Jahre 1648 mit dem Westfälischen<br />
Frieden zu Ende, doch zeigten sich Folgen der<br />
Not und des Elends noch einige Jahre danach. Nur langsam<br />
besserten sich die Lebensverhältnisse in den Dörfern.<br />
Der Sohn (Friedrich) Stehles, Carl Theodor, wurde nach<br />
Ankunft in Ostrach zum Sekretär ernannt und dann im August<br />
1803 zum Oberamtsrat erhoben. Er wohnte im Amtshaus<br />
zu Ostrach bei seinen Eltern, weil in Ostrach ausser<br />
dem Amts- und dem Forsthaus kein »Beamtungshaus« war.<br />
Als nächstes wird uns über Forstrat Anselm Sutor berichtet<br />
und seine Aufgaben in Forst- und Jagdsachen des Oberamtes<br />
Ostrach. Er wohnte zu dieser Zeit noch in dem inzwischen<br />
abgegangenen Forsthaus in Nähe des Oberamtshauses<br />
(Grundstück Pfullendorfer Str. 17) und betreute zugleich<br />
das Ostracher Jagdrevier als Revierjäger. Wichtige<br />
Entscheidungen jedoch traf auch hier das Oberamt.<br />
Forstrat Anselm Sutor war bereits seit 1787 in salemischem<br />
Dienst. Nach 1803 wohnte er dann wohl in Bachhaupten,<br />
wo er das Lehengut, »Zwibel« genannt, erhalten hatte. 1821<br />
überließ er dieses Gut bei der Heirat seiner Tochter seinem<br />
Schwiegersohn Ignatz Köberle.<br />
Als die Fürstliche Verwaltung von Thum und Taxis im Jahre<br />
1803 dann das Amtshaus zu Ostrach vom Reichsstift Salem<br />
übernahm, wurde der Bauzustand sehr genau geprüft<br />
und in den Akten festgehalten. Hinzugezogen wurde der<br />
Ostracher Zimmermann A. Riedle und der Maurermeister<br />
J. Birkner. Ihr Bericht ist auch heute noch nach fast 200 Jahren<br />
interessant und aufschlußreich. Am 13. November 1803<br />
gaben sie zu Protokoll (auszugsweise):<br />
Das Amtshaus ist ein altes, »vergangenes« Haus, das schon<br />
viele Hauptveränderungen erlitten hat. Im Jahre 1801 wurde<br />
es soweit wie möglich renoviert. Die Türen und Fenster<br />
samt Läden u.a. wurden angestrichen und die Wand zu der<br />
Kammer neben der Kanzlei durchgebrochen, um sie zu vergrössern.<br />
Der Fussboden der Zimmer über der Kanzlei hing in einer<br />
eisernen Vorrichtung, die an das obere Gebälk befestigt war.<br />
Von Zeit zu Zeit gab er ein wenig nach, so daß der Ofen im<br />
oberen Zimmer sich von der Wand neigte und Schäden verursachte.<br />
Neuanstriche und Reparaturen waren dann erforderlich.<br />
Der Hauptfehler, der die meisten Reparaturkosten in diesem<br />
Haus verursachte, ist der Übergang der Fassaden vom<br />
Erdgeschoß zu den Fachwerk-Stockwerken, die Simsen bilden.<br />
Bei starkem Wind gaben die Balken nach und brachten<br />
das Glas in den Fensterrahmen zum Zerspringen. Eine weitere<br />
Ursache für zersprungenes Fensterglas waren die<br />
schlechten Halterungen der Fensterläden, die bei starkem<br />
Wind aufgerissen wurden.<br />
In der Kanzlei und im Archiv hatten 1803 die tragenden Bodenbalken<br />
keine feste Verbindung mit der Mauer. Sie sollten<br />
wenigstens im Archiv mit eisernen Stangen festgemacht<br />
werden. Die im Fürstl. Thum und Taxis'schen Amtshaus<br />
am 13. November 1803 festgestellten Mängel, z.B. an den<br />
Fenstern, wurden offenbar erst 1813 endgültig beseitigt.<br />
Glasermeister Joseph-Anton Schmid in Ostrach erhielt<br />
nach ausführlicher Korrespondenz zwischen dem Taxis'schen<br />
Oberamt Ostrach und der Taxis'schen Regierung den<br />
Auftrag, neue Kanzleifenster einzubauen.<br />
CFortsetzung folgt)<br />
Schritt für Schritt begann man die zerstörten und verlassenen<br />
Hofstellen wieder aufzubauen und neu zu besetzen. In<br />
dieser Wiederaufbauphase wurden auch Kirchen, Pfarrhäuser<br />
und andere den Heiligenpflegen der Ortschaften gehörige<br />
43
Gebäude und Güter wieder hergerichtet, Schadhaftes erneuert<br />
und Fehlendes ergänzt.<br />
Da und dort hatten die durchziehenden Truppen während<br />
des Kriegs die Kirchenglocken von den Türmen geholt, um<br />
Kanonen daraus gießen zu lassen. In dieser Nachkriegszeit<br />
mußte in vielen Ortschaften das Geläut in den Glockenstühlen<br />
wiederbeschafft oder ergänzt werden.<br />
Die damaligen üblen Straßen- und Wegeverhältnisse verhinderten<br />
einen Glockentransport über weite Strecken und<br />
veranlaßten die Glockengießer ihren Arbeitsaufträgen<br />
nachzuziehen. An geeigneten Orten, dort wo man das Material<br />
für die Herstellung von Glockenformen antraf, wurden<br />
Schmelzöfen errichtet und, wenn möglich, gleich mehrere<br />
Aufträge an diesen Orten durchgeführt. Von einem solchen<br />
Glockenguß, bei dem in Dürmentingen fünf kleinere<br />
Glocken gegossen wurden, erfahren wir aus dem dortigen<br />
Amtsprotokoll 1. Nicht der Glockenguß selber war Anlaß<br />
für die Niederschrift dieses Ereignisses, sondern vielmehr<br />
die Untersuchung eines vermuteten Metalldiebstahls.<br />
Am 2. Dezember 1655 erschien vor dem Dürmentinger<br />
Oberamt Andreas Miller, Oberwirt allda, und klagte gegen<br />
den Herrn Pfarrer Michael Visel, daß im ganzen Ort herum<br />
erzählt werde, er, der Wirt, habe vor etlichen Wochen, als<br />
die Glockengießer in Dürmentingen waren, ein Stück Metall<br />
gestohlen. Auf sein Nachfragen hin habe er feststellen<br />
müssen, daß diese Reden vom Herrn Pfarrer im Dorf ausgegeben<br />
worden sein sollen. Er bitte daher, man möge den<br />
Herrn Pfarrer zum Beweis seiner Aussagen anhalten.<br />
Nachdem von Seiten des Amtes Erkundigungen im Dorf<br />
eingeholt worden waren, führte man am 11. Dez. eine Zeugenbefragung<br />
in der vermeintlichen Diebstahlsache durch.<br />
Als erster Zeuge wurde Matheis Binder, der alte Hirt von<br />
Dürmentingen, vernommen. Er berichtete, daß er sich<br />
während des Glockengusses mit noch anderen in der Ziegelhütte<br />
in Dürmentingen befunden habe, wo ein Schmelzofen<br />
errichtet worden war.<br />
Das Metall im Ofen war bereits geschmolzen und es sollte<br />
keine Viertelstunde mehr dauern, bis die fünf Glocken gegossen<br />
werden sollten. Erwartungsvoll starrten alle auf den<br />
Ofen.<br />
Die Dunkelheit der Nacht und das leuchtende, flüssige Metall<br />
scheinen eine gespenstische Atmosphäre in der<br />
Gießhütte erzeugt zu haben. So sehr die Schmelze die<br />
Blicke der Umstehenden auch angezogen haben mag, so<br />
achteten doch mehrere Personen, einschließlich der vernommenen<br />
Zeugen, auf ein größeres Stück Metall, das auf<br />
dem Teil des Ofens lag, der zur Lehmgrube hinzeigte.<br />
Zwei Glockengießer waren am Werk, der Altmeister Christoph<br />
Reble und der »junge Glockengießer«, bei dem es sich<br />
um dessen Schwiegersohn Joachim Grüninger handelte, der<br />
1645 Christoph Rebles Tochter geheiratet hatte. Sie kamen<br />
aus Villingen im Schwarzwald und betrieben die dortige<br />
Gießhütte.<br />
Altmeister Christoph Reble fragte den Oberwirt Miller<br />
dreimal: »Andreas, ist das Metall alles im Ofen?« Worauf<br />
der Wirt die Frage jedesmal bejahte.<br />
Kurz vor dem Ofenanstich ergriff Andreas Miller unversehens<br />
eine Holzstange, fuhr damit in die Schmelze und rührte<br />
darin herum. Das Holzstück begann sofort zu brennen<br />
und wurde vom Hirten Matheis Binder und dem Bannwart<br />
sofort mit Wasser und Lehm gelöscht. Glockengießer Christoph<br />
Reble schimpfte »Hei der Teufel - Andreas, was<br />
macht ihr im Ofen, habt nichts darin zu schaffen!«<br />
In dieser kurzen Zeit des Löschens hatte niemand auf das<br />
Stück Metall geachtet und anschließend war es weg. Des<br />
44<br />
Millers Bub sei kurz zuvor bei dem Metallstück gestanden,<br />
weiß Binder zu berichten, auch daß er gleich in den Ofen<br />
gesehen habe, da so ein großes Stück Metall nicht so schnell<br />
in der Schmelze hätte aufgehen können. - Allein er habe<br />
keine Spur von diesem Stück im Ofen entdecken können.<br />
Obiger Zeuge erzählt weiter, daß er am nächsten Morgen<br />
den Pfarrer Visel beim jungen Glockengießer habe stehen<br />
sehen. Die beiden hätten leise miteinander geredet. Da habe<br />
er gesagt: »Ei, Herr Pfarrer, was habt ihr Heimliches?«<br />
»Matheis wenn Du's errätst, will ich's Dir sagen« gab der<br />
Pfarrer zur Antwort.<br />
Darauf habe er zum Herrn Pfarrer gesagt, »es sei nächtens<br />
etwas vorbei geloffen, sie sagen gewiß davon«. Da gab der<br />
Pfarrer zu, daß er es erraten habe und forderte ihn auf, ihm<br />
alles zu berichten, was er darüber wisse.<br />
Als weiterer Zeuge wurde M(eister) Janco Benda, wohl<br />
auch ein »Neubürger« in Dürmentingen, befragt. Er wiederholte<br />
weitgehend die Angaben des ersten Zeugen und<br />
meinte, wenn er nicht ein so scharfes Auge auf das Metallstück<br />
gehabt hätte, wäre es wohl schon früher weggekommen.<br />
Auch er sei durch das brennende Holzstück abgelenkt<br />
worden. Als er aber anschließend auf den Wirt Andreas<br />
Miller gesehen habe, habe dieser »seine Hosen in den Händen<br />
gehabt und sie mit der Hand hinter sich geschoben, er<br />
habe sich gebogen und mit so grimmigen Augen um sich gesehen,<br />
daß er sich gefürchtet habe«. Der Wirt sei dann zur<br />
Hütte hinaus gegangen.<br />
Benda eilte ins Pfarrhaus um Pfarrer Visel von dem Hergang<br />
Bericht zu erstatten. Der Pfarrer war der Meinung,<br />
man solle dem verdächtigen Wirt hinterhergehen, Benda dagegen<br />
gab zu bedenken, es sei finstere Nacht, selbst wenn<br />
der das Metallstück habe, könne er es jederzeit wegwerfen<br />
und den Diebstahl ableugnen. Er wolle wetten, Andreas<br />
Miller komme wieder in die Gießhütte zurück. Und so geschah<br />
es auch; kurze Zeit später stand er wieder ganz unbefangen<br />
neben den Glockengießern. Des Millers Buben allerdings<br />
habe man in dieser Nacht nicht mehr gesehen. Der<br />
Zeuge beschloß seine Aussage mit der Feststellung, daß kein<br />
Mensch außer dem Miller und dessen Buben die Gießhütte<br />
während des Glockengusses verlassen habe.<br />
Die weitere Untersuchung des Falles scheint keine neuen<br />
Erkenntnisse erbracht zu haben.<br />
Aus einem etwas späteren Protokollbucheintrag kann man<br />
vermuten, daß bei Andreas Miller eine Hausdurchsuchung<br />
stattgefunden hat, die aber bezüglich des vermißten Metallstücks<br />
ergebnislos geblieben zu sein scheint. Man hat die Sache<br />
damit auf sich beruhen lassen.<br />
Interessant ist die Geschichte und der Verbleib und der damals<br />
gegossenen Glocken:<br />
Die Glockenweihe wurde zu einem großen Festtag. Der<br />
Prälat Matthias Binder vom Kloster Schussenried kam nach<br />
Dürmentingen, um die Glocken zu weihen 2.<br />
Zwei dieser Glocken waren für die Kirche in Dürmentingen<br />
bestimmt, eine größere zu Ehren des hl. Johann Bapt., eine<br />
kleinere zu Ehren der hl. Anna. Von diesen beiden Dürmentinger<br />
Glocken ist heute keine mehr vorhanden, sie sind mit<br />
größter Sicherheit im Jahre 1877, als Dürmentingen vier<br />
neue Glocken gießen ließ 3, vom Glockengießer Konrad<br />
Zoller in Biberach eingeschmolzen worden. Auch diese vier<br />
neuen Glocken gibt es übrigens nicht mehr, sie wurden Opfer<br />
der beiden Weltkriege 4. Eine dritte Glocke ging nach<br />
Andelfingen, sie hatte einen Durchmesser von 85 cm, war<br />
72 cm hoch und 375 kg schwer und wies eine zweizeilige<br />
Majuskelinschrift auf:<br />
»S. MATTHÄVS - S. LVCAS - S. MARCVS - S. JOHAN-
NES . CHRISTOPH REBLE VND JOACHIM<br />
GRENINGER VON VILLINGEN COS MICH ZV<br />
DIERMATINGEN M + D + C + LV.«<br />
Diese Glocke wurde wegen der bedeutenden Inschrift und<br />
ihrem relativ hohen Alter im Ersten Weltkrieg von der Ablieferung<br />
zurückgestellt, fiel jedoch dem Zweiten Weltkrieg<br />
zum Opfer. Die vierte und letzte Glocke, von der wir wissen,<br />
ist glücklicherweise noch vorhanden. Sie hängt außen<br />
an der Friedhofskapelle in Bad Schussenried und war der<br />
Anmerkungen<br />
1 Staatsarchiv Sigmaringen - Dep. 30 Rep. VIII Amtsprotokolle<br />
Dürmentingen.<br />
2 Der Bussen - Beilage zur Riedlinger Zeitung vom 1. Nov. 1931.<br />
- Th. Selig: Aus dem Leben des Pfarrers Michael Visel in Dür-<br />
KARL WERNER STEIM<br />
Grund für die Reise des Prälaten von Schussenried zur<br />
Glockenweihe gewesen.<br />
Haigerlocher Brauchtum im Jahreslauf (Fortsetzung)<br />
Apostel Johannes - 27. Dezember<br />
Sehr alt ist das Fest des hl. Johannes, Apostels und Evangelisten.<br />
Er wird gewöhnlich am Herzen Jesu ruhend dargestellt.<br />
Auch in Haigerloch gab es früher den Brauch der Segnung<br />
und Austeilung von Johannes-Wein. 1879 verkündete<br />
der Pfarrer, er nehme die letztmals 1836 erfolgte Segnung<br />
dieses Weines wieder auf 12. Der Wein wurde nach der Messe<br />
an der Kommunionbank ausgeteilt.<br />
Fest der Unschuldigen Kinder -28. Dezember<br />
Dieses Fest ist im Abendland schon im 5. Jahrhundert bezeugt.<br />
In St. Paul vor den Mauern Roms werden die Reliquien<br />
der heiligen Unschuldigen Kinder verehrt, die wegen<br />
ihres Zeugnisses für Christus sterben mußten. Es ist überliefert,<br />
daß in Haigerloch 1896 an diesem Tag in St. Anna ein<br />
Rosenkranz um Abwendung von Kinderkrankheiten gebetet<br />
wurde 13.<br />
Silvester und Neujahr<br />
In Haigerloch gab es die unterschiedlichsten Silvester- und<br />
Neujahrsbräuche. Schon aus dem letzten Jahrhundert überliefert<br />
ist das »Paschen«, das Auswürfeln von Silvester-Brezeln.<br />
Dieser heute noch geübte Brauch fand früher vor allem<br />
im Gasthaus »Bürgerstüble« und in der »Krone« statt,<br />
wobei man um große Brezeln und Hefezöpfe würfelte. Später<br />
hat sich diese Sitte auch in anderen Gasthäusern der<br />
Stadt eingebürgert.<br />
Ein alter Brauch ging im Jahre 1861/62 zu Ende: das Neujahrssingen<br />
der Nachtwächter 14: »Nachdem durch Anordnung<br />
der K. Regierung das Singen in der Neujahrsnacht den<br />
Nachtwächtern untersagt ist, und denselben hiedurch ihre<br />
bisherigen Geschenke von den hiesigen Einwohnern entgehen,<br />
wird beschlossen, jedem der beiden hiesigen Nachtwächter<br />
soll eine Entschädigung für die Geschenke auf das<br />
neue Jahr 1862 mit 5 fl aus der Gemeindekasse gewährt ...<br />
werden.« Vorausgegangen war eine Verfügung des Sigmaringer<br />
Regierungspräsidenten Seydel vom 26. Oktober<br />
1861: »Wie uns zur Kenntnis gekommen, hat in letzter Zeit<br />
das Abbrennen von Feuergewehren und dergleichen in der<br />
Neujahrsnacht eine das öffentliche Interesse gefährdende<br />
Ausdehnung genommen und muß deshalb auf eine genauere<br />
Beobachtung der ... des Strafgesetzbuches vorgesehenen<br />
Bestimmungen gehalten werden. Für die dießfallsige Wirksamkeit<br />
der Polizei ist es aber ein sehr hinderlicher Um-<br />
Sie hat einen Durchmesser von 52 cm und ist 41 cm hoch.<br />
Auf ihr findet sich u. a. der Name des Schussenrieder Prälaten<br />
Binder, eine Kreuzigungsgruppe und der hl. Martin zu<br />
Pferde. Ihre Herkunft wird folgendermaßen angegeben:<br />
»IOACHAM "GRIENINGER * VON * VILLINGEN *<br />
GOS * MICH - ZV * DIRMATINGEN :' « 5.<br />
mentingen.<br />
3 Württ. Jahrbücher für Statistik und Landeskunde 1919/20.<br />
4) A. Nägele: Die Glocken des Oberamtes Riedlingen.<br />
5 G. Grundmann: Deutscher Glockenatlas, 1959.<br />
stand, daß an manchen Orten noch die Sitte herrscht, wonach<br />
Gemeindebedienstete (Polizeidiener und Nachtwächter)<br />
in der Neujahrsnacht herumziehen, vor den Häusern<br />
singen, die Einwohner beglückwünschen und des andern<br />
Tages von Haus zu Haus Geschenke sammeln. Es ist diese<br />
Sitte wohl an den meisten Orten abgestellt, wie sie dann an<br />
sich als eine Ungehörigkeit erscheint. Mit Rücksicht darauf,<br />
daß auch die Polizeibediensteten am wenigsten in der Neujahrsnacht<br />
der Ausübung ihrer Pflicht entzogen werden<br />
dürfen, beauftragen wir die Königl. Oberämter an den Orten,<br />
wo die erwähnte Sitte noch herrscht, mit den Amtsvorständen<br />
sich darüber ins Vernehmen zu setzen, daß dieselbe<br />
abgestellt und den Gemeindebediensteten dafür eine angemessene<br />
Entschädigung aus der Gemeindekasse gewährt<br />
werde...« 15.<br />
Sehr alt ist natürlich auch das Schießen in der Neujahrsnacht.<br />
1857 haben zwei Mann die Gendarmerie beim Patrouillieren<br />
»in der Stadt wegen unnützen Schüßens unterstützt«,<br />
wofür jeder einen Gulden bekam 16. 1860 waren es<br />
sogar vier Mann, die »in der Neujahrs Nacht gewacht wegen<br />
unnützen Schüßen 17. »Die Sylvesternacht ist hier ruhiger<br />
als in früheren Jahren abgelaufen. Wohl hörte man hier<br />
und da einen Schuß, die Gendarmerie und Polizei scheint<br />
aber kurzen Prozeß mit den Schießlustigen gemacht zu haben,<br />
denn sie haben den Ruhestörern einfach die Pistolen<br />
abgenommen, was ein Radikal-Mittel sein dürfte, wenn<br />
nicht Rückgabe der Waffen stattfinden würde«, schrieb die<br />
Zeitung im Jahre 1865 aus Haigerloch 18. 1873 wurde ein lediger<br />
Bürger von Haigerloch mit 1 Gulden 45 Kreuzer bestraft,<br />
weil er »in der letzten Neujahrsnacht in der Nähe von<br />
Gebäuden geschoßen«. Die Ersatzstrafe betrug einen Tag<br />
Gefängnis 19. »In der letzten Neujahrsnacht ist auch hier ein<br />
kleines Unglück passiert, indem einem jungen Burschen ein<br />
Stück aus dem Daumen geschossen wurde«, berichtete die<br />
Zeitung im Jahre 1878 aus Haigerloch 20.<br />
Als ob die Haigerlocher das Herannahen des Weltkrieges<br />
geahnt hätten, feierten sie den Jahresbeginn 1913 nochmals<br />
sehr groß 21: »Die Sylvesternacht war hier recht lebendig.<br />
Der Würfelbecher wurde in allen Wirtschaften sehr fleißig<br />
herum gereicht, und die Brezeln und Hefekränze zierten so<br />
manchen Arm eines liebenden Gatten, der nach Becherklang<br />
und frohem Gesang im alten oder im neuen Jahr seinem<br />
Heim zusteuerte. Die Freudenschüsse krachten an allen<br />
Ecken, besonders auf dem Marktplatz war ein Knattern<br />
von übergroßer Liebenswürdigkeit, und die Feuergarben<br />
45
schössen jäh in die Luft mit ihrem goldenen Schweife die<br />
Nacht erleuchtend. 12 Uhr schlug's vom Turm her, und die<br />
Sylvesterglocken vom evang. Kirchlein gaben dem Totenstündchen<br />
des alten Jahres das stimmungsvolle Geleite hinaus<br />
in den Strom der Zeit, der alles mitreißt und in seinen<br />
erbarmungslosen Wellen vergräbt.« In den kommenden<br />
Jahren war es dann an Silvester/Neujahr sehr ruhig, auch<br />
1918, wie der Haigerlocher Bote berichtete: »Die Sylvesternacht<br />
ist im allgemeinen ruhig verlaufen. Die Wirtschaften<br />
waren größtenteils um 22 Uhr schon zu. Um Mitternacht<br />
begrüßte das Glöcklein von der Ev. Kirche das junge Jahr.<br />
Warum wird denn in der Silvesternacht nicht auch auf dem<br />
Römerturm geläutet?«<br />
Allmählich kehrte das alte Brauchtum wieder zurück. Der<br />
Bericht von Silvester 19 1 9 22: »Um den Übergang vom alten<br />
zum neuen Jahr recht wirkungsvoll zu gestalten, wurden in<br />
der Neujahrsnacht eine große Anzahl von Fröschen und<br />
Kanonenschlägen zur Entladung gebracht. An dieser Knallerei<br />
hatten besonders die Jungen eine Freude, die in dem<br />
letzten Jahre nie einen Kanonenschlag gehört hatten.« Einschränkungen,<br />
die das Schießen betrafen, gab es im Dritten<br />
Reich. Bürgermeister Rein gab Ende 1939 bekannnt 23: »Das<br />
Schießen in der Neujahrsnacht sowie das Abbrennen von<br />
Feuerwerk und ähnlichen Erzeugnissen im Freien ist verboten.<br />
Zuwiderhandlungen werden mit Strafe bis zu 150 RM<br />
bestraft.«<br />
Ein neuerer Brauch ist das Blasen vom Römerturm in der<br />
Silvesternacht. Vom Jahreswechsel 1923/24 ist überliefert:<br />
»Sehr stimmungsvoll verkündeten zwei hiesige Trompeter<br />
vom Kranze des Römerturms herab das Scheidestündchen<br />
des alten Jahres« 24. Dies wurde auch im folgenden Jahr fortgesetzt.<br />
1926 erweiterte die Stadtkapelle das Spielen vom<br />
Turm noch um eine Variante. Dentist Thomas Back schrieb<br />
an den Bürgermeister 25: »Die Stadtkapelle, unterstützt von<br />
einigen hiesigen Männern, beabsichtigt in der Neujahrsnacht<br />
eine Beleuchtung des Römerturmes vorzunehmen,<br />
verbunden mit Spielen der Kapelle und dem Glockengeläute.<br />
Zur Deckung der Unkosten beabsichtigen wir eine<br />
Haussammlung vorzunehmen.« Wie sich Gertrud Zimmermann<br />
erinnerte, war das Spielen auf dem Römerturm in der<br />
Silvester- bzw. Neujahrsnacht in den 20er und 30er Jahren<br />
abhängig vom Bestehen einer Stadtkapelle.<br />
Kirchliche Silvesterfeiern gibt es in Haigerloch schon lange<br />
und wurden im letzten Jahrhundert als »Jahresschlußandacht«<br />
bezeichnet. Sie fanden - beispielsweise 1931 - in der<br />
Unterstadt- und in der evangelischen Kirche statt 26. Laut<br />
Rosa Trenkle wurde die Silvesterandacht wohl nach dem<br />
Krieg von der Unterstadt- in die Schloßkirche verlegt. Sogar<br />
Evangelische hätten oft daran teilgenommen. Sitte war es<br />
auch, daß der Pfarrer allen einzeln dankte, die während des<br />
Jahres irgendwie für die Kirche tätig waren.<br />
Dreikönig - 6. Januar<br />
Dreikönig war bis zum 4. Jahrhundert der altchristliche<br />
Jahresbeginn und ist heute noch ein wichtiger Termin im<br />
Kirchenjahr. In den katholischen Kirchen werden an diesem<br />
Tag Wasser, Salz und Kreide geweiht. Viele Gläubige halten<br />
diese Weihe für besonders segenskräftig und bewahren etwas<br />
von dem Wasser für Notfälle auf. 1896 verkündete der<br />
Haigerlocher Pfarrer, er führe die vor 60 Jahren abgeschaffte<br />
feierliche Weise der Dreikönigwasserweihe wieder ein 27.<br />
Die geweihte Kreide dient den Sternsingern, den Heiligen<br />
Drei Königen, dazu, die Buchstaben C-M-B an die Türen<br />
der Häuser zu schreiben. Diese Buchstaben können die Initialen<br />
der König sein - Caspar, Melchior, Balthasar -; sie<br />
können aber auch bedeuten: »Christus mansionem benedicat«<br />
- Christus segne dieses Haus. Das Salz wurde früher<br />
46<br />
dem Vieh gegeben. »Die alte, schöne, sinnvolle Sitte, am<br />
Dreikönigstag, wo Salz und Kreide in der Kirche geweiht<br />
werden, mit der Kreide die Anfangsbuchstaben der Namen<br />
der Heiligen drei Könige (K + M + B) samt der Jahreszahl<br />
an die Türen des Hauses zu schreiben, ist heute fast gänzlich<br />
abgegangen«, schrieb 1928 die Oberamtsbeschreibung. Dieser<br />
Brauch wurde aber in den letzten Jahrzehnten wieder<br />
belebt.<br />
Rosa Trenkle erinnerte sich, daß früher am Dreikönigstag<br />
Sänger aus Rangendingen nach Haigerloch kamen, die das<br />
neue Jahr ansangen, wobei auch der »Sand-Michel« diesen<br />
Brauch ausübte.<br />
St. Sebastian - 20. Januar<br />
Sebastian, nach der Legende kaiserlicher Offizier, wurde<br />
um das Jahr 289 wegen seines christlichen Bekenntnisses auf<br />
Befehl des Kaisers Diokletian mit Pfeilen durchbohrt. Der<br />
hl. Sebastian wird als Patron gegen die Pest verehrt. Deshalb<br />
fehlt seine Darstellung auch in kaum einer alten Kirche. In<br />
der Haigerlocher Unterstadtkirche wurde früher traditionell<br />
am Sebastianstag eine hl. Messe an seinem Altar gelesen<br />
(z. B. noch um 1875) und um Abwendung ansteckender<br />
Krankheiten ein Rosenkranz mit Litanei gebetet 28.Der Altar<br />
ist inzwischen abgegangen, in der Kirche vorhanden ist<br />
noch die Plastik des Heiligen.<br />
Maria Lichtmeß - 2. Februar<br />
Papst Sergius führte das Fest Ende des 7. Jahrhunderts in<br />
den Kirchenkalender ein; es erinnert an Marias Besuch mit<br />
ihrem Kind im Tempel, 40 Tage nach der Geburt des Sohnes.<br />
Der 2. Februar fällt in den ausgehenden Winter und bezeichnete<br />
früher, in einer weithin bäuerlichen Gesellschaft,<br />
den allmählichen Beginn des Arbeitsjahres. Dazu brauchte<br />
man die Knechte und Mägde wieder, die an Martini entlassen<br />
worden waren. An Lichtmeß gingen also die Dienstboten<br />
wieder in Stellung. Auf Lichtmeß wurden auch, wie auf<br />
Martini, Zahlungen geleistet. Und mit diesen Tag hörten<br />
auch die winterlichen Zusammenkünfte auf, die Licht- oder<br />
Kunkelstuben. Traditionell fand an Lichtmeß die Kerzenweihe<br />
statt, 1875 zum Beginn des Hauptgottesdienstes in<br />
der Schloßkirche.<br />
Fastnacht<br />
Am Dreikönigstag - und nicht am 11. November! - pflegt<br />
die schwäbische Fastnacht zu beginnen. Brauch und Wort<br />
müssen schon im 12. Jahrhundert bekannt gewesen sein.<br />
Fastnacht bedeutet sprachlich den Vorabend oder Vortag<br />
der großen Fastenzeit. Die mittelalterliche Fastenordnung<br />
war streng: Vom Aschermittwoch an durfte man sich täglich,<br />
mit Ausnahme der Sonntage, nur einmal satt essen. Die<br />
40tägige Fastenzeit erklärt somit die Lust der Menschen,<br />
sich vorher nochmal mit Speise und Trank, mit Tanz und<br />
Dummheiten usw. auszutoben.<br />
Über die Fastnacht in Haigerloch gibt es ein eigenes<br />
Buch 29. Näheres ist - wie auch der nachstehende Text -<br />
dort nachzulesen. Über die Haigerlocher Fasnet in preußischer<br />
Zeit gibt es interessante Belege. Wie in Rottweil und<br />
anderswo trug die Fastnacht damals ziemlich karnevalistische<br />
Züge.<br />
Im »Hohenz. Wochenblatt« des Jahres 1857 entrüstete sich<br />
ein Mitarbeiter über das »Hexenspringen« der Schulkinder<br />
und löste damit sogar ein behördliches Einschreiten aus. In<br />
der Zeitung stand aus dem Eyachtal zu lesen: »Die Faschingstage<br />
machen sich an manchen Orten durch einen<br />
Unfug bemerkbar, durch das sog. >Hexenspringen< der
Schulkinder, welche am Dienstag und Donnerstag maskiert<br />
auf der Gasse ihr Unwesen zu treiben sich erlauben. Es be-<br />
darf keiner Beweise, daß hierdurch der Keim der Verwilde-<br />
rung und Rohheit in diejugendlichen Herzen gelegt wird,<br />
Anmerkungen<br />
12 Pfarrarchiv Haigerloch (PfA.) Nr. 1317 7.<br />
13 PfA. Nr. 1319.<br />
14 StA, Bände, Nr. 218.<br />
13 StA: Akten, Nr. 69.<br />
16 StA: Bände, Nr. 214.<br />
17 Ebd,Nr. 218.<br />
18 Hohenz. Wochenblatt, Nr. 3, 1863.<br />
19 StA: Bände, Nr. 230.<br />
20 Hohenz. Blätter, Nr. 3, 10.1.1878.<br />
21 Haigerlocher Bote, Nr. 1,3.1.1913.<br />
Buchbesprechungen<br />
Ostrach 1799, die Schlacht, der Ort, das Gedenken, herausgegeben<br />
von Edwin Ernst Weber im Auftrag der Gemeinde<br />
Ostrach.<br />
Das Buch erschien zum 200. Gedenkjahr der Schlacht bei<br />
Ostrach. Am Gründonnerstag 1799, dem 21. März, stießen<br />
im Gebiet Hohentengen-Ostrach-Hoßkirch österreichische<br />
und französische Truppen zusammen und lieferten sich<br />
blutige Kämpfe. Es gelang den Österreichern, die Franzosen<br />
über den Bach Ostrach Richtung Westen zurückzudrängen.<br />
Obwohl die »Schlacht bei Ostrach« im Verlauf der<br />
Koalitionskriege nur von geringer Bedeutung war, ist sie<br />
doch der Bevölkerung von Ostrach und Umgebung lebhaft<br />
im Gedächtnis geblieben.<br />
Über die Ereignisse von 1799 wurde schon viel geschrieben.<br />
Auf Anregung des Kreisarchives Sigmaringen sollten die<br />
Gedenkveranstaltungen durch eine umfassende Aufarbeitung<br />
des Themas auf wissenschaftlicher Grundlage ergänzt<br />
werden.<br />
Fünf Autoren berichten nicht nur von der Schlacht, von<br />
Krieg und Politik, sondern auch über den Schauplatz des<br />
Geschehens, die Herrschafts- und Lebensverhältnisse<br />
Ostrachs und seiner Umgebung.<br />
Herausgeber Dr. Edwin Ernst Weber schreibt über das Salemische<br />
Oberamt Ostrach im 18. Jahrhundert. In mehreren<br />
Kapiteln werden die Verhältnisse der Klosterherrschaft und<br />
der Untertanen eingehend dargestellt.<br />
Die Entwicklung nach der Säkularisation, Übergang an<br />
Thum und Taxis und Mediatisierung durch das Fürstentum<br />
Hohenzollern-Sigmaringen werden von Staatsarchivdirektor<br />
Dr. Volker Trugenberger geschildert.<br />
Militärhistoriker Heinrich Bücheler aus Inzigkofen bringt<br />
eine Darstellung der französischen Revolutionskriege insgesamt.<br />
Er stellt die Schlacht bei Ostrach in den Zusammenhang<br />
der französischen Revolutionskriege und der militärischen<br />
Operationen in Oberschwaben im Frühjahr 1799.<br />
Viele der handelnden Personen werden in Bildern gezeigt.<br />
Den Verlauf der Schlacht anhand von Augenzeugenberichten<br />
und anderen zeitgenössischen Quellen zeichnet Oberstudienrat<br />
Gerhard Fetscher, Leiter des Ostracher Heimatmuseums,<br />
nach.<br />
Kulturwissenschaftler Armin Heim aus Meßkirch berichtet<br />
über mehrere kleinere Denkmäler aus verschiedenen Zeiten<br />
wenn nicht die Schulbehörde ein wachsames Auge darauf<br />
gerichtet hält. Übrigens wäre es die Pflicht der Eltern, einen<br />
derartigen Fanatismus ihrer Kinder mit ernster Strenge von<br />
Hause aus zu verbieten und zu unterdrücken.«<br />
22 Der Zoller, Nr. 2, 3.1.1920.<br />
23 StA Akten Nr. 389.<br />
24 Haigerlocher Bote, Nr. 2,1924.<br />
23 StA 577.<br />
26 PfA 1315.<br />
27 Ebd. 1319.<br />
28 Ebd. 1317.<br />
29 Karl Werner Steim, Fastnacht in Haigerloch. Hechingen 1987.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
und über Planung, Errichtung und Einweihung des Denkmals<br />
auf dem Buchbühl. Er weist auf den kulturgeschichtlichen<br />
Sonderfall hin, daß in der wilhelminischen Zeit (1903)<br />
hier nicht eines Sieges gedacht wurde, sondern eher der Leiden<br />
der Bevölkerung und der Schwäche des damaligen<br />
Deutschland, auf dessen Boden sich auswärtige Mächte<br />
bekämpften.<br />
Das Buch ist mit ca. 50, zum großen Teil farbigen Abbildungen<br />
ausgestattet. Der Umschlag zeigt ein Ölgemälde des Biberacher<br />
Malers Joh. Bapt. Pflug. Abgebildet ist ein weiteres<br />
Schlachtenbild aus den fürstlichen Sammlungen in Sigmaringen,<br />
das von einem bisher nicht bekannten Maler<br />
stammt. Eine Fülle von historischen Karten, graphischen<br />
Darstellungen und Fotos veranschaulichen den Text.<br />
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die wissenschaftliche<br />
Aufarbeitung der »Schlacht bei Ostrach« einen wesentlichen<br />
Beitrag zur lokalen Geschichte darstellt.<br />
Das Buch ist im Selbstverlag der Gemeinde Ostrach erschienen<br />
und kann bei der Gemeindeverwaltung Ostrach<br />
und bei den Buchhandlungen bestellt werden (ISBN 3-00-<br />
004325-X) DM 35,-.<br />
Aus Freude am Wort<br />
1898 veröffentlichte der Haigerlocher Franz Xaver Hodler das<br />
Buch »Dichterstimmen aus Hohenzollern«. Vom Landratsamt<br />
Zollernalbkreis herausgegeben (ISBN 3-927249-12-2), ist nun,<br />
von Kohlhammer & Wallishauser, Hechingen, hergestellt, das<br />
von Alfred Münz bearbeitete 217seitige Buch »Zollernalb-<br />
Profile - Aus Freude am Wort« erschienen. 41 Schreibende<br />
aus dem Zollernalbkreis lieferten zu diesem Werk, bei dem<br />
ein Redaktionsteam unter Leitung von Kreisarchivar Dr.<br />
Andreas Zekorn mit Hand anlegte, Gedichte und Prosatexte.<br />
Es soll, wie einst Hodlers Band, so Landrat Willi Fischer<br />
im Vorwort, »einen guten Querschnitt des aktuellen schriftstellerischen<br />
Schaffens in unserem Landkreis vermitteln«.<br />
Horst Schaudt hat das als Band 4 in der Schriftenreihe des<br />
Zollernalbkreises erschienene Buch mit einem farbigen<br />
Umschlagbild und Schwarz-Weiß-Skizzen liebevoll illustriert.<br />
Die Autoren werden auf den letzten Seiten kurz vorgestellt<br />
(meist mit Bild), und Alfred Münz schreibt in seiner<br />
Einleitung: »Sehr bunt ... ist die Sammlung geworden, eine<br />
Art Blumenstrauß ... In der Anthologie soll ... wie in einer<br />
47
Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />
E 3828<br />
PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />
Quellfassung ans Licht der Öffentlichkeit gelangen, was in<br />
scheuen und versonnenen oder flotten und weltgewandten<br />
Schreibern wie ein Grundwasser verborgen war ... Und<br />
schließlich will das Buch alle Schreibenden ermutigen, im<br />
Bemühen um sprachliche Gestaltung ihres Erlebens nicht<br />
nachzulassen.«<br />
So unterschiedlich die Lebensläufe der Autoren, so unterschiedlich<br />
sind auch die Themen ihrer Texte und die Qualität.<br />
Da findet der Leser Tiefsinniges und Erheiterndes, er<br />
wird konfrontiert mit Erfahrungsberichten und Gefühlvollem,<br />
mit Befürchtungen, Wunschträumen und Hoffnungen.<br />
Er entdeckt Meisterhaftes und »Versuacherle«, hin und wieder<br />
auch Stilblüten im Blumigen. So wird Lesen zur spannenden<br />
Entdeckungsreise, die Freude der Autoren am Wort<br />
wird spürbar (ein treffender Buchtitel) und zudem sehr viel<br />
Heimatliebe.<br />
Das Buch könnte Ansporn sein für die Sigmaringer Landratsamt-Verwaltung,<br />
den Anstoß zu einem ähnlichen Werk<br />
in ihrer Region zu geben. Bislang existiert im Kreis Sigmaringen<br />
lediglich eine 102seitige Broschüre, im Jahr 1991 von<br />
der Pädagogischen Arbeitsstelle für Erwachsenenbildung<br />
unter dem Titel »So isch's bei ons« herausgegeben und beschränkt<br />
auf schwäbische Mundartbeiträge. Dabei gäbe es<br />
weitaus mehr zu entdecken.<br />
Auf 237 Seiten enthält das Buch »Einsteigen bitte!« (Verlag<br />
Schwäbisches Tagblatt, Tübingen; ISBN 3-928011-32-4) jede<br />
Menge lehrreiche Informationen zur Geschichte des<br />
Zugverkehrs allgemein und zu der der Hohenzollerischen<br />
Landesbahn, die seit 100 Jahren besteht, im Besonderen.<br />
Wolfgang Alber, Utz Jeggle und Botho Walldorf haben das<br />
mit historisch bedeutsamen Schwarz-Weiß-Fotos versehene<br />
Buch herausgegeben. Kurzbeiträge beleuchten das Thema<br />
»Bahn« aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Da wird<br />
beispielsweise die spannende Lebensgeschichte des Reutlinger<br />
»Weichenstellers« Friedrich List skizziert, eines genia-<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638, 72486<br />
Sigmaringen.<br />
ISSN 0018-3253<br />
Erscheint vierteljährlich.<br />
Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />
ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />
besonders die Bevölkerung im alten Land<br />
Hohenzollern und den angrenzenden Landesteilen<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat<br />
vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge.<br />
Bezugspreis:<br />
Für Mitglieder des Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s ist der Bezugspreis im<br />
Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />
DM 13,00 jährlich.<br />
Abonnements und Einzelnummern (DM<br />
3,25) können beim Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
(s. o.) bestellt werden.<br />
48<br />
Die Autoren dieser Nummer:<br />
len Querdenkers und Ideenschmieds, dessen tragisches Dasein<br />
im Freitod endete. Da wird auch der oftmals steinige<br />
Weg beschrieben vom Ende der Postkutschenzeit hin zum<br />
Zeitalter, in dem sich die Bahn als modernes Verkehrsunternehmen<br />
bewährte. Da gibt es bedenkenswerte Überlegungen<br />
zum Schauerlebnis und Wartefrust von Bahngästen, zur<br />
Sinnlichkeit des Bahnfahrens und natürlich zu den Faktoren<br />
Zeit und Raum. Erfahrungen werden geschildert und viel<br />
Geschichtliches wird aufgerollt. Zu letzterem gehören unter<br />
anderem die Rückblende auf große und kleine Unglücke,<br />
die Darlegung der Verbundenheit zwischen <strong>Hohenzollerischer</strong><br />
Landesbahn und Salzwerk Stetten bei Haigerloch, die<br />
mit großer Eindringlichkeit geschilderte Juden-Deportation,<br />
die Pilgerreisen, organisiert von Pfarrer Wessner und<br />
Prälat Kramer, sowie vieles andere mehr. Das Buch ist eine<br />
wahre Fundgrube, keineswegs nur für Eisenbahnfreunde,<br />
zumal die einzelnen Themen, obwohl kompakt gehalten<br />
und prägnant formuliert, so aufbereitet wurden, so daß man<br />
mit viel Gewinn und ständig erneuertem Interesse liest, ba<br />
Grenzgängerin<br />
Gerd Bantle<br />
Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen<br />
Hans-Peter Hauler<br />
Hopfengartenweg 12,<br />
88499 Riedingen-Grüningen<br />
Walter Kempe<br />
Silcherstraße 11, 88356 Ostrach<br />
Dr Herbert Rädle<br />
Veit-Jung-Straße 13a, 92318 Neumarkt<br />
Karl Werner Steim,<br />
Berliner Straße 72, 88499 Riedlingen<br />
Dr. Edwin Ernst Weber;<br />
Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />
Zu den dunklen Seiten unserer Heimatgeschichte zählten<br />
die Armut und die oft damit einhergehende Kriminalität.<br />
1818 wurde auf dem Marktplatz in Calw letztmals eine Frau<br />
öffentlich hingerichtet. Raubmord wurde ihr zur Last gelegt.<br />
Uli Rothfuss hat die bewegte und bewegende Lebensgeschichte<br />
dieser einstigen Vagantin im Buch »Gertrude,<br />
Grenzgängerin« (Silberbuch-Verlag Tübingen, ISBN<br />
3-87407-312-2) in zwölf dramatischen Szenen skizziert, die<br />
nachdenklich machen und sich zur theatralischen Aufführung<br />
eignen. Passend dazu hat Dieter Huthmacher aus<br />
Bad Teinach 14 Lieder geschrieben und komponiert und auf<br />
einer CD herausgegeben, die über ihn (Postfach 1147) bezogen<br />
werden kann. ba<br />
Gesamtherstellung:<br />
Jan Thorbecke Verlag,<br />
70173 Stuttgart, Eberhardstraße 69-71<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth,<br />
Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />
Telefon 07574/4407<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />
diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />
verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />
sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />
Heimat« weiterzuempfehlen.
HÖH ENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
Erbhuldigung der Hohenzollernschen Lande<br />
für König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1851<br />
E 3828<br />
Herausgegeben vom<br />
Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
49. Jahrgang Nr. 4 / Dezember 1999<br />
Den feierlich inszenierten Höhepunkt des im August 1849 mit dem Einmarsch preußischer Truppen eingeleiteten Ubergangs<br />
der Fürstentümer Sigmaringen und Hechingen an das Königreich Preußen bildete am 23. August 1851 die Erbhuldigung<br />
der Deputierten der hohenzollerischen Städte und Gemeinden für den neuen Landesherrn, König Friedrich Wilhelm<br />
IV., auf dem Zollerberg. Der symbolträchtige Akt auf der zu dieser Zeit im Wiederaufbau befindlichen Stammburg der Zollern<br />
und damit auch des preußischen Königshauses wurde, neben anderen Künstlern, auch von dem Nürnberger Architekten,<br />
Maler und Lithographen Georg Eberlein (1819-1884) bildlich festgehalten: Ein heute im Sigmaringer Verwaltungsgericht<br />
befindliches Ölgemälde und eine inhaltlich damit übereinstimmende Lithographie zeigen im Zentrum der Darstellung<br />
den im Burginnenhof aufgestellten Baldachinthron mit dem sitzenden König und seinem Bruder Prinz Wilhelm, dem späteren<br />
preußischen König und deutschen Kaiser, stehend links daneben. Rechts vom Thron sind die Fürsten von Thum und<br />
Taxis sowie Fürstenberg zu sehen, die dem König als hohenzollerische Standesherren die Huldigung per Handschlag leisten.<br />
Auf den Stufen vor dem Thron finden sich höchste Repräsentanten des preußischen Königshauses und Staates, darunter Ministerpräsident<br />
von Manteuffel und Vizeoberhofzeremonienmeister Freiherr Rudolf von Stillfried, der geistige Urheber der
späteren Kaiserstammland-Legende, rechts unterhalb Hof- und Staatsbeamte der bisherigen hohenzollerischen Fürstentümer<br />
und links vom Thron die Vertreter der Geistlichkeit beider Konfessionen mit dem Freiburger Generalvikar Buchegger<br />
und Domkapitular Staudenmaier, beide in weiß-roten Chorröcken, an der Spitze. Gegenüber dem Thron hinter einer rotbetuchten<br />
Abschrankung sind die insgesamt 300 namentlich bekannten Deputierten sämtlicher hohenzollerischer Städte und<br />
Gemeinden mit dem Sigmaringer Hofgerichts-Advokaten und Gemeinderat Friedrich Bürkle als Sprecher versammelt, die<br />
mit erhobener Hand den Huldigungseid für den neuen Landesherrn nachsprechen. Unter den zahlreichen weiteren Teilnehmern<br />
an der Huldigungsfeier fallen vorne links noch Trachtenmädchen mit goldverbrämten Schappeln aus Zimmern und<br />
Wessingen auf. Im Hintergrund des Bildes ist die gotische Michaelskapelle zu erkennen, das letzte noch intakte Gebäude der<br />
älteren, im 18. Jahrhundert verfallenen Burganlage, die nunmehr bis 1867 nach preußischen Plänen zum grandiosen »nationaldynastischen<br />
Monument« wiederaufgebaut wird.<br />
Text: Edwin Ernst Weber Bildvorlage: Verwaltungsgericht Sigmaringen<br />
Rolf Vogt<br />
Der Knödel aus der Asche<br />
Ein Phantom der Geschichtswissenschaft: Der demokratische Verein im Hechingen des Jahres 1848<br />
Opfer weitgehend unüberwindlicher Widrigkeiten wurde<br />
vor gar nicht mal so langer Zeit ein Schulleiter in Hechingen.<br />
Gerade neu in der Stadt, schlich sich in einen Zeitungsartikel<br />
ein falscher Vorname ein, der nicht mehr aus der Welt<br />
zu schaffen war. Redakteur um Redakteur und Schreiber<br />
um Schreiber, denen sich der richtige Name noch nicht eingeprägt<br />
hatte, griff auf den Artikel mit dem falschen Vornamen<br />
zurück, und es dauerte lange Monate, ja Jahre, bis die<br />
Folgen des ersten Fehlgriffs auskuriert waren.<br />
Hatte der Schulleiter noch Zeit und Gelegenheit, immer mal<br />
wieder darauf hinzuweisen, welcher Tort ihm geschehe, fällt<br />
diese Korrektur naturgemäß um so schwerer, je länger<br />
zurück die Dinge liegen, die von einem Autor zum anderen<br />
kolportiert werden. Mißverständnisse in der Geschichtswissenschaft<br />
zu beseitigen, kann mühselig sein. Bevor der<br />
Schleier des Vergessens wieder über die Revolutionsjahre<br />
von 1848/49 fällt, ist ein Versuch jedoch überfällig. Denn<br />
auch in den Veröffentlichungen der zurückliegenden Monate<br />
unterstellt die Forschung eine schier ungewöhnliche<br />
Konstellation von politischen Vereinen im Fürstentum Hohenzollern-Hechingen<br />
und in seiner Residenzstadt. Sie geht<br />
schon für den Frühsommer des Jahres 1848 von der Existenz<br />
eines demokratischen Zielen verpflichteten »Märzvereins«<br />
aus, der im Gegensatz zum Vaterländischen Verein in<br />
Hechingen gestanden haben soll.<br />
Die Altlast Egler<br />
Begonnen hatte mit dieser Sicht Ludwig Egler, der in der<br />
Erstausgabe seiner Chronik für das Jahr 1848, aber ohne genauere<br />
Datumsangabe, von einem Märzverein berichtet, der<br />
»zur Wahrung der politischen Rechte« gegründet wurde<br />
und »die freisinnigen Elemente in der Stadt und auf dem<br />
Lande« zusammengefaßt habe. Demgegenüber hätten sich<br />
die konservativen Kräfte im Vaterländischen Verein wiedergefunden.<br />
In der von Rudolf von Ehrenberg bearbeiteten<br />
Neuauflage blieb es bei diesem Hinweis. Als die Egler-<br />
Chronik Ende der 70er Jahre für eine weitere Neuauflage<br />
durchgesehen wurde, verließen die Bearbeiter den vorgegebenen<br />
Kurs. Sie wandelten die Vorlage ab und strichen den<br />
Märzverein aus dem Jahr 1848. Stattdessen ließen sie nur einen<br />
Vaterländischen Verein gelten, in dem sich konservative<br />
Bürger Hechingens Anfang Juli 1848 zusammengeschlossen<br />
hätten, um konstitutionelle Zielsetzungen zu propagieren.<br />
50<br />
Die Spottanzeige<br />
Um so bedauerlicher ist die jüngste Rückkehr zur Ausgangsstellung.<br />
Sie geht auf Eberhard Gönner zurück, desssen<br />
1952 veröffentlichter Dissertation über die Revolution<br />
von 1848/49 die Geschichtswissenschaft, die sich mit Hohenzollern<br />
beschäftigt, nahezu Handbuch-Charakter zugewiesen<br />
hat. Tatsächlich überzeugt Gönners Darstellung hinsichtlich<br />
der Entwicklung im Fürstentum Hohenzollern-<br />
Sigmaringen mit Glanz, aber es ist doch nicht zu übersehen,<br />
daß er die Ereignisse im Fürstentum Hohenzollern-Hechingen<br />
- wenn auch aus vermutlich verständlichen Gründen<br />
- nachrangig behandelt. Gönner berichtet von einem<br />
»demokratische(n) Verein in der Residenzstadt« Hechingen,<br />
der Ende Juli 1848 erwähnt werde, aber anscheinend<br />
»kein großes Echo gefunden« habe. Der demokratische<br />
Verein sei nach dem »konstitutionelle(n) Verein« entstanden.<br />
Als einzigen Beleg für den demokratischen Verein<br />
nennt Gönner die Ausgabe des Verordnungs- und Anzeigeblatts<br />
für das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen vom 2.<br />
August 1848. Dort allerdings findet sich eine etwas zweifelhaft<br />
anmutende Spottanzeige, in der sich ein Inserent als<br />
»provisorische(s) Comite des demokratischen Knödel-Vereins«<br />
ausweist und zu einer Versammlung »zur vollständigen<br />
Gründung« dieses demokratischen Knödelvereins »in<br />
das bekannte Lokal« einlädt. »Auch für aristokratische Mägen<br />
sind die demokratischen Knödel-Vorträge durchaus<br />
nicht schädlich«, hebt der Inserent hervor und empfiehlt,<br />
»das zur Bearbeitung der Vorträge nöthige Material« -<br />
Brechmittel wohl - rechtzeitig bei einem Apotheker zu besorgen.<br />
Außer dem demokratischen Knödelverein des Verordnungsblatts<br />
und dem »Märzverein« der ersten Egler-Chronik<br />
gibt es offenbar keine weiteren Hinweise auf diese frühe<br />
Spaltung der liberalen Bewegung in Hohenzollern-Hechingen.<br />
Im Stadtarchiv Hechingen oder im Staatsarchiv Sigmaringen<br />
scheint noch kein Forscher entsprechende Aktenfunde<br />
gemacht zu haben. Trotzdem ist die Legende langlebig.<br />
Dabei läßt allein der Name »Märzverein« für den Frühsommer<br />
des Jahres 1848 stutzen. Die Welle der Gründungen<br />
von Märzvereinen setzte im Deutschen Bund erst nach der<br />
Gründung des Zentralmärzvereins in Frankfurt ein. Dort<br />
schlossen sich am 21. November 1848 Abgeordnete der Nationalversammlung<br />
aus mehreren Fraktionen zusammen,
^ftglj^ do^cnsoUertf^c Conbc '^¡gjjj<br />
Mitteilungen aus dem <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Veranstaltungen im 1. Quartal 2000<br />
I. Vorträge<br />
Bodo Walldorf, Wannweil<br />
100 Jahre Hohenzollerische Landesbahn<br />
Montag, 31. Januar, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal des<br />
Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechingen.<br />
Montag, 7. Februar, um 20 Uhr im Spiegelsaal des Prin-<br />
zenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen.<br />
Ulrich Feldhahn M. A., Stuttgart<br />
Residenzarchitektur in Fürstenberg und Hohenzollern.<br />
Die Schlösser in Donaueschingen, Hechingen und<br />
Sigmaringen (mit Dias)<br />
Montag, 28. Februar, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal<br />
des Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechin-<br />
gen.<br />
Dienstag, 29. Februar, um 20 Uhr im Spiegelsaal des<br />
Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen.<br />
Der geplante Vortrag von Prof. Dr. Hubert Krins,<br />
Außenstelle des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg<br />
in Tübingen, über den Denkmalschutz wird noch<br />
rechtzeitig in der Hechinger und Sigmaringer Presse angekündigt.<br />
II. Seminar<br />
Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> und das Kreis-<br />
archiv Zollernalbkreis veranstalten das Seminar<br />
Einführung in die altdeutsche Schrift<br />
Die Veranstaltung unter der Leitung von Dr. Becker und<br />
Dr. Zekorn umfaßt vier Doppelstunden (90 Minuten); sie<br />
eine Art Einheitsfront der Demokraten, die nach dem<br />
Scheitern ihrer politischen Anstrengungen im Herbst 1848<br />
die Wahrung der sogenannten Märzerrungenschaften des<br />
Jahres 1848 als Minimalziel fanden. Ihr einigendes Band<br />
wurde die Forderung nach Annahme der in Frankfurt ausgearbeiteten<br />
Reichsverfassung durch die deutschen Bundesstaaten.<br />
Auch in Hohenzollern-Hechingen entstand um die Jahreswende<br />
1848/1849 ein Märzverein. Er verstand sich als<br />
Zweigverein des Frankfurter Zentralmärzvereins und hatte<br />
seine treibende Kraft in Pfarrer Josef Blumenstetter, der bis<br />
zum September 1848 Abgeordneter in Frankfurt gewesen<br />
war und zu einer der Fraktionen - Westendhall - gehört<br />
hatte, die sich im Zentralmärzverein wiederfanden. Der Hechinger<br />
Märzverein wurde am 6. Januar 1849 in Stetten gegründet<br />
und gab sich im Februar 1849 im traditionell linken<br />
Gasthaus Löwen in Hechingen einen Vorstand.<br />
Der Vaterländische Verein<br />
Im Frühsommer 1848 hatte Hechingen in Wirklichkeit keinen<br />
Märzverein, aber sehr wohl ein politisches Leben, das<br />
findet am 15., 22. und 29. März sowie am 5. April jeweils<br />
um 20 Uhr in der Städtischen Volkshochschulen Hechingen<br />
(Münzgasse 4) statt. Der Unkostenbeitrag pro<br />
Person beträgt 20 DM.<br />
Anmeldungen zum Seminar, das auf 20 Teilnehmer begrenzt<br />
ist, nimmt Frau Liebhaber vom Vereinssekretariat<br />
des <strong>Geschichtsverein</strong>s (Tel. 07571/101-558) entgegen.<br />
Bei Bedarf kann die Veranstaltung zu einem späteren<br />
Zeitpunkt wiederholt werden.<br />
III. Halbtagswanderung<br />
Der <strong>Geschichtsverein</strong> lädt ein zu einer<br />
Wanderung auf der Grenze der Freien Pürsch<br />
am 25. März unter der Leitung von Herrn Gewerbeleh-<br />
rer i.R. Gottlob Ast, Onstmettingen, ein. Treffpunkt ist<br />
um 14 Uhr am Zollersteighof bei Onstmettingen.<br />
IV. Vorankündigung<br />
Der <strong>Geschichtsverein</strong> plant eine viertägige Exkursion<br />
(22. bis 25. Juni) mit dem Thema<br />
Die hohenzollerische Markgrafschaft Ansbach<br />
Unter der Leitung des Baiinger Fachschriftstellers Wolf-<br />
gang Willig sollen u.a. Nürnberg, die Residenz Ansbach<br />
und Heilsbronn (Grablege der fränkischen Hohenzol-<br />
lern) besucht werden.<br />
Die Fahrtkosten werden etwa 700 DM (Fahrt, Übernachtungen<br />
mit Halbpension, Erintrittsgelder, Führungen)<br />
betragen.<br />
Voranmeldungen zur Studienreise - das genaue Programm<br />
soll im 1. Heft der Hohenzollerischen Hemat<br />
2000 abgedruckt werden - nimmt Frau Liebhaber (Tel.<br />
07571/101-558)entgegen.<br />
gez.: Dr. Becker<br />
Vorsitzender<br />
weitaus aufregender war, als es die Forscher bislang glauben<br />
machen wollen. Das hatte nicht nur mit den Neuigkeiten zu<br />
tun, die aus Frankfurt, aus Baden, aus dem gesamten Deutschen<br />
Bund sowie dem europäischen Ausland in die Residenz<br />
kamen, sondern auch mit den Veränderungen im Alltag.<br />
Die Demonstration der Bauern aus den Landgemeinden<br />
am 11. März 1848, die Hechingen zittern machte,<br />
brachte der Stadt eine neue Kommunalordnung und damit<br />
ein neues Stadtoberhaupt und einen neuen Gemeinderat, eine<br />
Bürgerwehr, ein Parlament - jedenfalls tagte es mitten in<br />
der Stadt - und eine ganze Menge offizieller Veranstaltungen.<br />
Auch ein wenigstens kurzlebiger Handwerker-Ausschuß<br />
läßt erkennen, daß das öffentliche Leben ähnlich bewegt<br />
war wie in anderen vergleichbaren Städten.<br />
Tatsächlich wurde im Juli 1848 in Hechingen ein Vaterländischer<br />
Verein gegründet. Die Initiative - soweit nachvollziehbar<br />
- ging von einem anonymen Beitrag im Verordnungsblatt<br />
des Fürstentums aus, der dem »mehrfach ausgesprochenen<br />
Wunsch vieler Bürger« ein Sprachrohr gab und<br />
den Verlag des Verordnungsblatts, die Riblersche Hofbuchdruckerei,<br />
als Kontaktadresse angab. In dem Beitrag wurde<br />
vorgeschlagen, die Gründung ähnlicher Vereine »in unsern<br />
51
Nachbarstaaten« zum Vorbild zu nehmen und die »Festhaltung<br />
an der konstitutionellen Monarchie, mit den freisinnigsten<br />
Institutionen, Aufrechterhaltung der Ordnung, somit<br />
Schutz der persönlichen Sicherheit und des Eigenthums<br />
und thätiges Zusammenwirken, um dem gedrückten Verkehr,<br />
dem Handel und den Gewerben nach Möglichkeit<br />
aufzuhelfen« zu den »obersten Grundsätze(n) des Vereins«<br />
zu machen. Angeregt wurde die Einrichtung von Ortsvereinen<br />
mit Lokalvorständen und in der Residenzstadt ein<br />
»Central-Comite«. Das Zentralkomitee solle »die ganze<br />
Leitung des Vereins« übernehmen.<br />
Einige Tage nach diesem Aufruf reagierten »im Auftrag vieler<br />
Bürger« W Daniel, F. Gförer, J. Kohler, C. Lorch und<br />
J. F. Mayer mit der Ankündigung einer Gründungsversammlung<br />
im Hechinger Rathaus. Alle Einwohner - nicht<br />
nur die Bürger - wurden mit Datum vom 30. Juni unter<br />
Hinweis auf den kurz zuvor erschienenen anonymen Aufruf<br />
für den 6. Juli 1848, 19 Uhr, zu einer Zusammenkunft<br />
eingeladen. Die Zusammenkunft wurde von einer nicht<br />
näher bekannten Zahl von Interessenten besucht, die offenbar<br />
den Vaterländischen Verein konstituierten und ein »provisorisches<br />
Comité« bildeten, das noch am selben Abend zu<br />
einer zweiten Sitzung am 10. Juli »zur Berathung der Statuten«<br />
einlud. Auch diese Versammlung sollte - erneut um 19<br />
Uhr - im Rathaus stattfinden. Zugleich werde acht Tage<br />
lang im Rathaus eine »Liste zu weiterer Einzeichnung« ausgelegt.<br />
Am 10. Juli 1848 verabschiedete die Mitgliederversammlung<br />
eine 14 Artikel umfassende Satzung und faßte den Beschluß,<br />
die Vorstandswahlen in einer weiteren Versammlung<br />
am 16. Juli vorzunehmen. Bis dahin amtierte das provisorische<br />
Komitee weiter. Dem Verein hatten sich bislang 97<br />
Mitglieder angeschlossen, die Mitgliederwerbung mit der<br />
im Rathaus ausliegenden Liste sollte bis zur nächsten Versammlung<br />
verlängert werden.<br />
Als Zweck des Vereins wurde in der im Verordnungsblatt<br />
abgedruckten Satzung »die Berathung vaterländischer Angelegenheiten<br />
Behufs gesetzlich selbstthätiger Mitwirkung<br />
des Volkes« bestimmt. »Hauptaufgabe« des Vereins sollte<br />
sein, »sowohl für Aufrechterhaltung der bestehenden<br />
Staatsform und der gegenwärtigen Gesetze nach Kräften zu<br />
wirken, als auch jegliches Anstreben gegen die freie Entwicklung<br />
unserer politischen Zustände entschieden zurück<br />
zu weisen«. Mit »allen Kräften« wollte der Verein zudem<br />
darauf hinwirken, »den darniederliegenden Gewerben und<br />
dem stockenden Handel nach Möglichkeit aufzuhelfen«.<br />
Die Vereinsmitglieder wurden »auf Manneswort« verpflichtet,<br />
»in keiner Weise an Verbindungen Theil zu nehmen,<br />
welche einen gewaltsamen Umsturz der bestehenden Gesetze<br />
und Ordnung bezwecken«. Die Leitung der Vereinsgeschäfte<br />
hatte nach der Satzung ein siebenköpfiger Vorstand,<br />
der Ausschuß. Der Ausschuß hatte Vorstand, Stellvertreter<br />
und Schriftführer, die »aus seiner Mitte« ernannt werden<br />
sollten. Die Amtszeit des Ausschusses sollte ein Jahr betragen,<br />
eine Wiederwahl war zugelassen. Beschlußfähig war<br />
der Ausschuß bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte -<br />
vier mithin - seiner Mitglieder. Die Mitgliederversammlung<br />
setzte sich als Quorum für die Gültigkeit ihrer Beschlüsse<br />
die »Stimmenmehrheit« der anwesenden Mitglieder. Eine<br />
bestimmte Anzahl von anwesenden Mitgliedern war zur<br />
Beschlußfassung nicht notwendig. Der Zugang zum Verein<br />
stand »jedem unbescholtenen Einwohner Hechingens« offen,<br />
der das 18. Lebensjahr vollendet hatte.<br />
Die Mitgliederversammlung am 16. Juli, einem Sonntag,<br />
nach dem Gottesdienst scheint nicht zustande gekommen<br />
zu sein oder kein Ergebnis gebracht zu haben, denn am Wochenende<br />
darauf erschien im Verordnungsblatt eine weitere<br />
52<br />
Anzeige, in der »die Ausschußwahl für den vaterländischen<br />
Verein« für den 23. Juli, diesmal nach dem »nachmittägigen<br />
Gottesdienste«, angekündigt wurde. Diese Versammlung<br />
kam zustande, über ihr Ergebnis unterrichtete das provisorische<br />
Comité in einer Anzeige im nächsten Verordnungsblatt.<br />
Danach wurden in den Ausschuß Kaufmann Carry,<br />
Medizinalrat Dr. Gfrörer, Hoftierarzt Kohler, Medizinalrat<br />
Dr. Koller, Regierungssekretär Lorch, Goldarbeiter Mayer<br />
und Lehrer Sauter gewählt.<br />
Medizinalrat Dr. Franz Gfrörer, Hoftierarzt J. Kohler, Regierungssekretär<br />
C. Lorch und der Juwelier J. F. Mayer hatten<br />
zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufs gehört,<br />
die vermutlich seitdem als provisorisches Komitee amtierten.<br />
Nicht mehr in der Führungsriege war der Geschäftsführer<br />
der Riblerschen Hofbuchdruckerei Wilhelm Daniel,<br />
neu hinzugekommen waren Kaufmann Carry, Medizinalrat<br />
Kajetan Koller und der Lehrer C. Sauter.<br />
Elan verpufft<br />
Danach scheint ein Großteil des Elans der Gründungsphase<br />
bereits vorüber gewesen zu sein - wie es die Literatur, diesmal<br />
richtig, wiedergibt. Jedenfalls tritt der Verein mit seinem<br />
Namen im Sommer des Jahres 1848 nicht weiter in Erscheinung.<br />
Offenbar noch vor der Wahl des Ausschusses<br />
hatte er allerdings eine Petition verabschiedet, die dem Abgeordneten<br />
des Fürstentums Hohenzollern-Hechingen in<br />
der Frankfurter Nationalversammlung, Pfarrer Josef Blumenstetter,<br />
zugeleitet wurde. Blumenstetter lag die Petition<br />
wohl bis zum 16. Juli vor, jedenfalls wandte er sich an jenem<br />
Tag in Frankfurt an seine »liebe(n) Mitbürger« mit einem<br />
besorgt klingenden Brief, der am 19. Juli im Hechinger Verordnungsblatt<br />
veröffentlicht wurde. Der Abgeordnete<br />
übergab die Petition aus Hechingen dem Frankfurter Parlament<br />
und trat ihr mit einem eigenen Dringlichkeitsantrag<br />
bei, der für den 18. Juli auf die Tagesordnung der Nationalversammlung<br />
gesetzt wurde.<br />
»Hohe Nationalversammlung wolle durch Beschluß das<br />
Reichsministerium zu der öffentlichen Bekanntmachung<br />
veranlassen«, hieß es in dem Antrag, »daß das Volk durch<br />
die neuesten Ereignisse weder von den gesetzlichen Beiträgen<br />
zur Bestreitung des Staatsbedarfs, noch von seinen privatrechtlichen<br />
Verbindlichkeiten entbunden sey; und daß<br />
den Maaßnahmen der Regierungen, sofern dieselben nicht<br />
mit der Landesverfassung, mit den Errungenschaften der<br />
Neuzeit und den Beschlüssen der Nationalversammlung im<br />
Widerspruche stehen, von allen Staatsangehörigen Folge geleistet<br />
werden müße.« Diese Klarstellung, gestützt von der<br />
Autorität der neuen Regierung, war den Kreisen, die dem<br />
Vaterländischen Verein Hechingens nahe standen, wichtig.<br />
Die Einhaltung der Spielregeln nämlich war Hechingens<br />
wirkliches Problem im Sommer 1848: Seit dem 11. März<br />
zahlten die Bauern in den Dörfern rings um die Residenzstadt<br />
ihre Rechnungen nicht mehr, nicht die Steuern an den<br />
Fürst und wohl auch nicht die Lieferungen der Kaufleute<br />
aus der Stadt. Mitte September 1848 sah sich die Fürstliche<br />
Landesregierung zu einem Kraftakt veranlaßt. Sie schickte<br />
Militär nach Grosselfingen, um die Steuereintreibung sicherzustellen.<br />
Mit einer offiziellen Bekanntmachung der sogenannten<br />
Zentralgewalt in Frankfurt hätte vielleicht vorher<br />
schon Eindruck in den Dörfern erzielt werden können.<br />
Schließlich beriefen sich die Bauern in dem, was sie taten,<br />
immer wieder auf die neuen Zeitumstände, die angebrochen<br />
seien. Aber die Frankfurter Abgeordneten verwiesen den<br />
Antrag Blumenstetters nur zur weiteren Beratung an den<br />
Prioritäts- und Petitionsausschuß.
Nächtliche Exzesse<br />
Eine Woche nach der Bekanntmachung der Ausschußbesetzung<br />
lenkte Anfang August 1848 die besagte Spottanzeige<br />
im Verordnungsblatt noch einmal den Blick auf die Vorgänge.<br />
Bis zum Vorliegen einer besseren Erklärung muß sie<br />
wohl auf den Vaterländischen Verein bezogen werden, der<br />
bis zur »vollständigen Gründung« wirklich mehrere Anläufe<br />
benötigte und ein Programm verfolgte, daß »auch für aristokratische<br />
Mägen« bekömmlich sein konnte.<br />
In der Anzeige macht sich jemand lustig über die Probleme<br />
des Hechinger Bürgertums, seine Position zu den unverhofft<br />
auftretenden Entwicklungen zu finden. Indirekt<br />
kommt auf diesem Wege vielleicht doch demokratisches<br />
Gedankengut zutage, denn die Anzeige setzt einen deutlichen<br />
Kontrapunkt zu der Auffassung des Vaterländischen<br />
Vereins. Der abtrünnige Inserent könnte zwar ein spottender<br />
Aristokrat, aber sehr wohl auch ein von der Regierungstreue<br />
der Hechinger enttäuschter Demokrat gewesen sein.<br />
Sie gab es, keine Frage. Der »Erzähler«, das in Sigmaringen<br />
zweimal wöchentlich erscheinende Organ der Demokraten<br />
um Carl Otto Würth, hatte in Hechingen einen Korrespondenten,<br />
der in der Zeitung berichtete, und wahrscheinlich<br />
auch Leser. Polarisierend wirkten Mitte August insbesondere<br />
die Abreise Fürst Friedrich Wilhelm Konstantins und<br />
im September die Ereignisse im Deutschen Bund, so daß ein<br />
regierungstreuer Leserbriefschreiber im Verordnungsblatt<br />
schließlich besorgt feststellte, »daß in der That auch bei uns<br />
eine republikanische Partei thätig, daß auch bei uns auf den<br />
gewaltsamen Umsturz der bestehenden Verhältnisse hingearbeitet<br />
wird«.<br />
OTTO H. BECKER<br />
Verschiedentliche Meldungen im Amtsblatt der Regierung<br />
deuten darauf hin, daß sich ein Brennpunkt in den Gasthäusern<br />
bildete, wo die Menschen zusammenkamen und heftig<br />
miteinander debattierten. Politischer Meinungsstreit kennt<br />
keine Sperrstunde, so daß die Ordnungshüter ihre liebe Not<br />
mit dem hatten, was sie als öffentliche Sicherheit betrachteten.<br />
Das Stadtschultheißenamt etwa machte im August 1848<br />
bekannt, »daß die Polizeistunde genau einzuhalten sey«<br />
und das »Polizei-Personal« strikte Anweisung habe, Zuwiderhandlungen<br />
anzuzeigen. Anlaß für die Bekanntmachung<br />
war, »daß häufig in den Wirthshäusern über die Polizeistunde<br />
gezecht werde, und daß die verspäteten Gäste oft nicht<br />
zum Nachhausegehen zu bewegen seyen«. Es kam sogar<br />
vor, »daß muthwillige junge Leute die Gendarmen und sonstige<br />
Polizeibedienstete in Ausübung ihrer Pflicht durch rohe<br />
Angriffe und Verfolgungen zu hindern suchten, um ihre<br />
nächtlichen Excesse zum Aerger der Gutgesinnten fortsetzen<br />
zu können«. Das fürstliche Oberamt sah sich deshalb<br />
gezwungen, die Behörden auf äußerste Pflichterfüllung zu<br />
drängen.<br />
Aber das war eben im Herbst und weist den Weg zur Grün-<br />
dung des Märzvereins im Winter, dem sich die Neugrün-<br />
dung des Vaterländischen Vereins bekanntlich anschloß. Im<br />
Sommer 1848 gab es in Hechingen den bürgerlichen Dis-<br />
sens zwar wohl auch schon, aber er war nicht trennend ge-<br />
nug, um Raum für neue Vereine zu schaffen - für einen de-<br />
mokratischen Verein schon gar nicht, aber letztlich auch<br />
nicht für einen Vaterländischen Verein.<br />
Die Ubersiedlung des Fürsten Friedrich Wilhelm Konstantin nach Schlesien<br />
aus archivischer Sicht<br />
Recherchen zur Geschichte des Fürstenpaares Friedrich<br />
Wilhelm Konstantin (1801-1869) und Eugenie (1808-1847)<br />
von Hohenzollem-Hechingen im Bestand Hausarchiv Hohenzollern-Hechingen<br />
des seit 1978 unter Eigentumsvorbehalt<br />
im Staatsarchiv Sigmaringen hinterlegten Fürstlich Hohenzollenschen<br />
Haus- und Domänenarchivs führen sehr<br />
häufig zu keinen positiven Ergebnissen. So werden beispielsweise<br />
von der Fürstin Eugenie geb. Prinzessin von<br />
Leuchtenberg in dem nach zeitgenössischen Vorbildern von<br />
den Archivaren Eduard Schwarzmann und Eugen Schnell in<br />
den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts künstlich gebildeten<br />
Hausarchiv Hohenzollern-Hechingen nur jeweils<br />
ein Aktenfaszikel mit Unterlagen über deren Ableben, deren<br />
Testament mit Schriftgut über dessen Eröffnung aus den<br />
Jahren 1847/48 und Korrespondenz aus der Zeit von 1835<br />
bis 1847 verwahrt. Auch der Bau der von dem damaligen<br />
Erbprinzenpaar 1833/34 errichteten Villa Eugenia im<br />
Domänenarchiv Hohenzollern-Hechingen des Depositums<br />
ist nur sehr fragmentarisch dokumentiert.<br />
Diese Dokumentationslücke beruht sicherlich nicht auf einem<br />
Zufall oder auf Nachlässigkeit. Der Befund läßt vielmehr<br />
vermuten, daß Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin<br />
Unterlagen privaten Charakters nach Schlesien verbringen<br />
ließ, wohin er sich nach der Abgabe der Fideikommißgüter<br />
des Hauses Hohenzollern-Hechingen an die Sigmaringer<br />
Linie der schwäbischen Hohenzollen und der Übergabe sei-<br />
ner Regierungsrechte an die Krone Preußen 1850 endgültig<br />
zurückgezogen hatte.<br />
Die geäußerte Vermutung bezüglich der Dokumentationsdefizite<br />
in den Beständen Hausarchiv und Domänenarchiv<br />
Hohenzollern-Hechingen durch archivalische Quellen<br />
im Bestand Ho 1 des Staatsarchivs belegt. So wies Fürst<br />
Friedrich Wilhelm Konstantin mit Erlaß, gegeben am<br />
25. Febr. 1850 auf Schloß Hohlstein in Niederschlesien, den<br />
Chef der Landesregierung in Hechingen, seinen Wirklichen<br />
Geheimen Rat Franz Gustav Frank von Fürstenwerth, an:<br />
»Nachdem mit der bevorstehenden Niederlegung Meiner<br />
Regierung in die Hände S[eine]r Majestät des Königs von<br />
Preußen Meine Cabinetskanzlei in Hechingen außer<br />
Thätigkeit tritt, so beauftrage ich Sie, die demgemäß erforderliche<br />
Actenausscheidung zu veranlaßen und die Behändigung<br />
jener Aktenstücke, welche Mich und Meine Familie<br />
persönlich betreffen und weder auf Regierungs- noch Fideikommiß-Angelegenheiten<br />
Bezug haben - an Meinen Cabinetssecretär<br />
Stettmund, den ich zur Entgegen-Nahme der<br />
betreffenden Acten hiemit anweise und bevollmächtige,<br />
einzuleiten«.<br />
Am 30. März stellte der Kabinettsekretär Stettmund der<br />
Landesregierung in Hechingen den folgenden Revers aus:<br />
»Der Unterzeichnete bescheinigt hiemit durch Vermittlung<br />
F. Landesregierungs-Canzlei eine Kiste mit 2 Anhängeschlössem<br />
und mit der Ueberschrift »Privatangelegenheiten<br />
53
Serenissimi< versehen, heute aus dem fürstl. Archive erhalten<br />
zu haben«. Ein Verzeichnis der ausgefolgten Akten liegt<br />
dem Vorgang nicht bei.<br />
Unter dem Schriftgut, das damals nach Schlesien geschickt<br />
wurde, könnten sich auch Unterlagen über den Bau der Villa<br />
Eugenia befunden haben. So wurden in dem am 3. Februar<br />
1850 zwischen den beiden hohenzollenschen Fürsten abgeschlossenen<br />
Haus- und Familienvertrag über die Abtretung<br />
der hohenzollen-hechingischen Fideikommißgüter an<br />
Fürst Karl Anton von Hohenzollen-Sigmaringen, der am 1.<br />
Mal 1850 in Kraft trat, dieses Palais und auch das Museum<br />
in Hechingen davon ausdrücklich ausgenommen. Diese allodialen<br />
Besitzungen Friedrich Wilhelm Konstantins gelangten<br />
vielmehr erst mit dem am 2. Februar 1862 abgeschlossenen<br />
Ȇbereignungsvertrag wegen der Herrschaft<br />
Beutnitz und des Ritterguts Leitersdorf« an die Sigmaringer<br />
Linie der schwäbischen Hohenzollern.<br />
Mit dieser Aktenausfolgung hatte es offensichtlich nicht<br />
sein Bewenden. Im Hinblick auf die bevorstehende Abtretung<br />
seiner Regierungsrechte an Preußen schuf Fürst Friedrich<br />
Wilhelm Konstantin, wie wir aus einem Erlaß vom 11.<br />
Februar erfahren, für die noch verbleibenden »Verwaltungsgeschäfte«<br />
eine neue Behörde mit der Bezeichnung<br />
»Hofhaltung«, mit deren Leitung der Hofrat Speidel betraut<br />
wurde. In einem weiteren Erlaß vom 11. März 1850<br />
wurden der Hofmarschall Heinrich von Crousaz und der<br />
Oberjägermeister Baron von Hiller angewiesen, ihre bisherige<br />
»Geschäftsverwaltung« an Hofrat Speidel abzugeben<br />
und »die betr. Accten etc. etc. zu übergeben«.<br />
Diese Transaktion dürfte die Hauptursache für die auffallend<br />
dürftige Dokumentation der Hechinger Regierungsund<br />
Verwaltungsbehörden im 19. Jahrhundert, vornehmlich<br />
der Geheimen Konferenz, der Landesregierung, des Forstamts<br />
und auch der Hofkammer im Staatsarchiv bzw. im Depositum<br />
Fürstlich Hohenzollensches Haus- und Domänenarchiv<br />
gewesen sein. Über den Umfang der Aktenausfol-<br />
gungen an die Hofverwaltung des Fürsten Friedrich Wilhehn<br />
Konstantin können, da die entsprechenden Verzeichnisse<br />
fehlen, freilich nur Spekulationen angestellt werden.<br />
Über das Schicksal des im ehemaligen Fürstentum Hohenzollem-Hechingen<br />
erwachsenen Schriftguts in Schlesien liegen<br />
uns keine Informationen vor. Vermutlich sind diese Unterlagen<br />
zusammen mit den schlesischen Herrschaften Polnisch-Nettkow,<br />
Kölmchen und Schlanphof sowie den<br />
Rittergütern Petrowitz nach dem Ableben des Fürsten<br />
Friedrich Wilhelm Konstantin am 9. September 1869 an<br />
dessen aus nicht standesmäßiger Ehe mit dem Freifräulein<br />
Amalie Schenk von Geyern zu Syrburg stammenden Sohn,<br />
den Grafen Friedrich von Rothenburg, gelangt. Jedenfalls<br />
wird in dem am 11. Oktober 1869 ausgefertigten Vertrag<br />
über die Übernahme der zur Verlassenschaft des Fürsten<br />
Friedrich Wilhelm Konstantin gehörigen Herrschaft Hohlstein<br />
im damaligen Kreis Löwenberg seitens des Fürsten<br />
Karl Anton von Hohenzollern-Sigrnaringen nur die Übergabe<br />
aller die Verwaltung und Verpachtung dieser Herrschaft<br />
bezüglichen Unterlagen an das Rentamt Hohlstein<br />
vereinbart.<br />
Über das Archiv der Grafen von Rothenburg in Schlesien<br />
liegen im Fürstlichen Archiv in Sigmaringen keine Unterlagen<br />
vor. Entsprechende Anfragen bei polnischen Archiven<br />
blieben bisher unbeantwortet.<br />
Quellennachweise:<br />
STAS Ho 1 Nr. 800 (C-l-1 Nr. 65), FAS HS NZ 53,1405, DS Auswärtige<br />
Besitzungen Nr. 333 und 341.<br />
Literatur:<br />
Ausgewählte Schriften und Gedichte von Ludwig Egler<br />
Ein Gedenkbuch, herausgegeben von der Stadt Hechingen, Redaktion Thomas Jauch<br />
Als Ludwig Egler »von seinen Volksgenossen aufrichtig betrauert,<br />
von Gelehrten und Dichtern anerkannt und geehrt,<br />
in seiner lieben Vaterstadt Hechingen« am 2. August 1898,<br />
drei Wochen vor seinem 70. Geburtstag, starb, ging ein erfülltes<br />
und vor allem arbeitsames Leben zu Ende. Beinahe<br />
mit Unglauben reagiert man angesichts der langen Liste seiner<br />
beruflichen, privaten, schriftstellerischen und öffentlichen<br />
Tätigkeiten.<br />
Nach seiner Jugendzeit, diese ist im ersten Teil des vorliegenden<br />
Bandes beschrieben, arbeitete Egler weiterhin als<br />
gelernter Seifensieder im Geschäft seines Vaters, das er nach<br />
dessen Tod 1861 übernahm. Erst im fortgeschrittenen Alter,<br />
mit 38 Jahren, heiratete Ludwig Egler die 1843 geborene<br />
Magdalena Käßmodel, eine Tochter des vormaligen fürstlichen<br />
Hofgärtners Karl Käßmodel. Das Paar hatte drei<br />
Töchter Antonia, verheiratet mit dem Lithograph, Photograph<br />
und Kaufmann Hermann Daiker, Lina, verheiratet<br />
mit dem Lehrer Karl Haiß und Luise, verheiratet mit dem<br />
Hechinger Stadtpfleger Wilhelm Klaiber.<br />
In seinem Geschäft Am Rain 6, das Haus ziert heute eine im<br />
Rahmen der Albvereinstagung 1953 angebrachte Gedenktafel<br />
für Ludwig Egler, fertigte und verkaufte er u. a. Seife,<br />
Wasch- und Bleichmittel und Talgkerzen. Darüber hinaus<br />
54<br />
Otto H. Becker: Die Herrschaft Hohlstein, ein ehemaliger Besitz<br />
der Fürsten von Hohenzollern in Schlesien. In: »Weit in die Welt<br />
hinaus...« Historische Beziehungen zwischen Südwestdeutschland<br />
und Schlesien. Ausstellungskatalog. Hrg. Haus der Heimat<br />
des Landes Baden-Württemberg. Bearb. von Annemarie Röder<br />
und Karl-Peter Krauss. Calw 1998. S. 31-39.<br />
betätigte er sich als Versicherungs- und Auswanderungsagent.<br />
Von 1871 bis zu seinem Tode war Egler verantwortlicher<br />
Redakteur der Hohenzollerischen Blätter, deren nationalliberale<br />
Ausrichtung er prägte. Seine politische Einstellung<br />
führte zu Zeiten des Kulturkampfes zu zahlreichen<br />
Auseinandersetzungen mit den Vertretern der ultramontanen<br />
Kirchenpolitik, was unzählige, oft polemisch geführte<br />
Seitenhiebe zwischen den Hohenzollerischen Blättern und<br />
dem konservativ ausgerichteten Konkurrenzblatt »Der Zoller«<br />
nach sich zog.<br />
Im besonderen Maße hat Egler das öffentliche Leben Hechingens<br />
über Jahrzehnte mitgestaltet und geprägt.<br />
Während vieler Jahre war er als Mitglied im Bürgerausschuß<br />
und im Stadtrat in der Kommunalpolitik tätig. Egler wirkte<br />
in zahlreichen Vereinen und öffentlichen Gremien, u. a. war<br />
er Schriftführer und Chronist der Hechinger Feuerwehr,<br />
Schriftführer und Rechner des Landesausschusses der hohenzollerischen<br />
Feuerwehren, Vorsitzender der ersten Hechinger<br />
Krankenkasse, der »Krankenkasse in Hechingen für<br />
Arbeiter, Dienstboten, Gesellen und Lehrlinge«, er war<br />
Mitglied im Verwaltungsrat der Höheren Töchterschule<br />
und der Frauenarbeitsschule und im Kuratorium der Königlichen<br />
Realschule, der Vorgängerin des heutigen Gymna-
siums. Aktiv betätigte sich Egler in den Vorständen des<br />
Landwirtschaftlichen Vereins, des Gewerbevereins, des<br />
Deutschen Vereins, des Abendvereins und des Verschönerungsvereins,<br />
daneben war er der Hechinger Vertrauensmann<br />
des Schwäbischen Albvereins und Mitglied im Musikverein<br />
sowie im Hohenzollerischen Altertums- und <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />
Fast unvorstellbar erscheint es in der heutigen Zeit, daß Egler<br />
neben seinen beruflichen, familiären und öffentlichen<br />
Pflichten auch ein umfangreiches literarisches und wissenschaftliches<br />
Werk hinterlassen hat. »Es waren die Geister<br />
unserer Dichter und Denker«, so schreibt Ludwig Egler in<br />
seiner Autobiographie, »mit welchen ich mein ganzes Leben<br />
hindurch im engren Verkehr gestanden.« Daß ihm dies<br />
nicht leicht gemacht wurde, davon zeugt seine Autobiographie.<br />
Sein Wunsch nach einem Studium konnte ihm von den<br />
Eltern nicht erfüllt werden, die Hoffnung auf eine Ausbildung<br />
als Buchbinder zerschlug sich. Seine Begierde nach<br />
Geschriebenem wußte er jedoch auf vielfältige Art und Weise<br />
zu befriedigen, wenn er heimlich im Kuhstall oder nachts<br />
auf seinem Zimmer literarische, philosophische und historische<br />
Werke las oder sich selbst Latein beibrachte.<br />
Erstmals konnte Egler 1847 ein Gedicht im Verordnungsund<br />
Anzeigeblatt für das Fürstenthum Hohenzollern-Hechingen<br />
veröffentlichen, es folgte eine lange Reihe von Publikationen,<br />
darunter 12 Buchveröffentlichungen, sowie<br />
unzählige Gedichte und historische Aufsätze in Zeitungen,<br />
Zeitschriften und Anthologien, mit denen sich der Schriftsteller<br />
und Forscher auseinandersetzte. Beeinflußt von der<br />
eben erst sich formierenden Wissenschaft der Germanistik,<br />
sammelte und bearbeitete er die Sagen und Mythen Hohenzollerns,<br />
der Fürstin Eugenie von Hohenzollern-Hechingen<br />
widmete er eine Lebensbeschreibung und einen Sonettenkranz.<br />
Dem im 19. Jahrhundert im Entstehen begriffe-<br />
KARL WERNER STEIM<br />
Haigerlocher Brauchtum im Jahreslauf (Fortsetzung)<br />
Schon einen Tag nach dieser Veröffentlichung sah sich der<br />
Haigerlocher Oberamtmann veranlaßt, ein Rundschreiben<br />
folgenden Inhalts an alle Bürgermeisterämter zu richten:<br />
»Durch Nro. 19 des Hohenzollerischen Wochenblattes und<br />
anderwerts ist hieher zur Kenntniß gelangt, daß in den Faschingstagen<br />
von Schulkindern Unwesen getrieben werde,<br />
und daß gegen dieses Unwesen eingeschritten werden sollte.<br />
Wenn es nun auch zunächst Sache der Eltern und der<br />
Lehrer etc. ist, ... so ist doch hiemit der Thätigkeit der Polizei<br />
insbesondere da, wo jene ... ihren Pflichten nur wenig<br />
nachkommen, keineswegs ausgeschlossen, vielmehr werde<br />
das Bürgermeisteramt hiemit aufs Ernsteste angewiesen, einem<br />
sich etwa zeigenden derartigen Unwesen mit aller Energie<br />
entgegen zu treten und nicht nur Kinder, sondern auch<br />
Erwachsene auf Grund des 340 Nro. 9 in die Schranken der<br />
Ordnungen des Gesetzes...« zu verweisen.<br />
Der Haigerlocher Bürgermeister Stehle teilte - wohl wegen<br />
der erwähnten Vorkommnisse - am 19. Januar 1857 dem<br />
Regierungspräsidenten in Sigmaringen mit, er sei veranlaßt,<br />
betreffs der Fastnachtsbelustigungen eine polizeiliche Verfügung<br />
zu erlassen. Diese war dann sogar der Regierung zu<br />
geharnischt. Außerdem betonte die Regierung, sie setze<br />
voraus, es werde nur wirklichem Unfug entgegengetreten,<br />
da es nicht Absicht sein könne, harmlose und unschädliche<br />
nen Tourismus boten seine Führer durch Hechingen und<br />
die Burg Hohenzollern sowie für Bad Imnau mit Umgebung<br />
und der Stadt Haigerloch eine Handreichung. Als<br />
Auswahl seiner Mundartgedichte konnte Egler 1881 die<br />
Sammlung »Aus'm Zollerländle« vorlegen. Für diese Gedichte<br />
gilt, was Hermann Fischer, der profundeste Kenner<br />
der schwäbischen Mundart, über Dialektdichtung allgemein<br />
geäußert hat, nämlich daß sie »von der Ueberkultur, welcher<br />
eine lang vom Volke getrennt lebende Literatur und<br />
Bildung leicht verfällt, sehr weit entfernt ist, daß [sie] innerliche<br />
Wahrheit hat«.<br />
Besonders hervorzuheben ist die 1887 erschienene »Chronik<br />
der Stadt Hechingen«. Es ist kaum zu ermessen, welche<br />
Leistung es im 19. Jahrhundert, wohlgemerkt für einen Autodidakten,<br />
angesichts der unzureichenden Verfügbarkeit<br />
von Quellen und historischen Untersuchungen darstellte,<br />
mehr als 1000 Jahre Hechinger Geschichte in so kenntnisreicher<br />
Weise zu behandeln. Die heute in dritter überarbeiteter<br />
und erweiterter Auflage vorliegende Chronik ist nach<br />
wie vor eine unverzichtbare Quelle für Forschungen über<br />
die Stadt Hechingen.<br />
In der vorliegenden Auswahl aus den Werken Ludwig Eglers,<br />
die im übrigen mit Ausnahme der Chronik sämtlich<br />
vergriffen sind, sind Auszüge aus seiner Autobiographie,<br />
aus der Beschreibung von Hechingen und seiner Umgebung,<br />
aus der Darstellung der Sagen und Mythen Hohenzollerns<br />
und eine Auswahl seiner Mundartgedichte zusammengefaßt.<br />
Die Texte bieten einen Einblick in das Hechingen<br />
des 19. Jahrhunderts und reichen gleichzeitig über<br />
dieses hinaus, sind sie doch Grundlage für die Auseinandersetzung<br />
mit unserer Geschichte. Und nicht zuletzt erkennt<br />
man in den Mundartgedichten immer wieder alltägliche<br />
Wahrheiten, die auch heute noch gültig sind.<br />
Thomas Jauch<br />
Volksbelustigungen zu unterdrücken. Nachträglich wurde<br />
nun von der Stadt eine Geldstrafe von mindestens sechs<br />
Kreuzern, eventuell eine 24stündige Arreststrafe festgesetzt.<br />
Bürgermeister Stehle schrieb an die Regierung, daß<br />
man »keineswegs unschuldige Vergnügungen verbieten,<br />
sondern einen großen Unfug, der sehr viel zur Verwilderung<br />
der Jugend beigetragen, entfernen wolle 30. Endlich<br />
nahm die Stadt sogar ihre Polizeiverordnung wieder ganz<br />
zurück. Somit waren einmal preußische Behörden nachsichtiger<br />
als die Stadt.<br />
Zehn Jahre nach dem angeprangerten »Hexenspringen« der<br />
Kinder war 1867 vom »Butzenspringen« der Kinder und<br />
Erwachsenen »aus dem Haigerloch'schen« in der Zeitung<br />
zu lesen: »Es herrscht im ganzen Bezirk der große Unfug,<br />
daß an den Dienstagen und Donnerstagen von Dreikönig<br />
bis zum Fasching Schulkinder und der Schule Entwachsene<br />
»Butzenspringen«, d. h. sich in alte Weiberunterröcke,<br />
schmutzige Hüte und ekelhafte Kleidungsstücke aller Art<br />
verhüllen, mit Besen, Peitschen, Stöcken etc. bewaffnet die<br />
Gassen durchschwärmen, Rohheiten und Scandale aller Art<br />
verfuhren und die Straßen für jeden anständigen Menschen<br />
unsicher machen. Kann man diesem beispiellos rohen<br />
Überrest aus dem Heidenthum nicht entgegentreten? Gibt<br />
es kein Mittel, das Maskenvergnügen in die Grenzen des<br />
55
Anstandes zurückzuführen? Gibt es überhaupt keinen Ersatz<br />
für diese ungezogene Freude? Zunächst halten wir<br />
dafür, daß da, wo die erziehende Kraft der Schule an der Indolenz<br />
der Eltern scheitert und nach außen ihre Schranken<br />
findet, die Polizei einschreiten und im Interesse der öffentlichen<br />
Sicherheit und Sittlichkeit den Straßenunfug einfach<br />
unmöglich machen müßte. Bis jetzt - d. h. in früheren Jahren<br />
und heuer - ist es noch nicht geschehen, weshalb wir<br />
diese Angelegenheit öffentlich zur Sprache bringen möchten.«<br />
Nach den alten Zeitungsberichten hatte vor allem die Vereinsfastnacht<br />
im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ihre<br />
große Zeit, wobei überwiegend Theater gespielt wurde.<br />
Auch in dieser Beziehung verlief die Fastnacht gleich wie etwa<br />
in Rottenburg am Neckar oder in Rottweil. Im übrigen<br />
war man natürlich von Umständen wie Krieg, Geldmangel<br />
usw. abhängig. Wichtigste Träger der Fasnet waren die 1843<br />
gegründete Casinogesellschaft, aus der 1846 die Museumsgesellschaft<br />
oder »Herrenmuseum« hervorging. Als Gegenstück<br />
dazu wurde später von der Bürgerschaft ein »Bürgermuseum«<br />
gegründet, das sich ebenfalls der Fastnacht widmete.<br />
Sängerbund (1879) und Turnverein (1865)<br />
veranstalteten ebenfalls ihre Fasnetsbälle, wie auch die Musikkapelle.<br />
Ursprünglich waren also die Vereine Träger des<br />
närrischen Geschehens in der Eyachstadt.<br />
Von einem Narrenverein oder Narrenvorstand ist erstmals<br />
1885 zu lesen, der eine »Bauernhochzeit« aufführte. Damals<br />
war der Verein ziemlich lose und konstituierte sich jährlich<br />
zur Fasnet neu. Erst im Jahre 1906 kam es zur Gründung eines<br />
Karnevalvereins mit eigenen Statuten. Von da an lief das<br />
wichtigste Geschehen über ihn ab. 1925 wurde der Verein<br />
wiedergegründet. Er besteht - heute als Narrenzunft Haigerloch<br />
- noch immer. Zum wichtigsten Brauchtum entwickelte<br />
sich das alle Schaltjahr abgehaltene Bräuteln um<br />
den Marktplatzbrunnen.<br />
Schmerzensfreitag - Freitag vor Palmsonntag<br />
Ein beliebter Wallfahrtstag in der Schloßkirche war der<br />
Schmerzensfreitag. Unter der Schmerzensmutter von Johann<br />
Georg Weckenmann am Chorgitter wurde eigens ein<br />
Altar aufgebaut. Die Wallfahrer kamen aus dem ganzen<br />
näheren und weiteren Raum Haigerloch, auch aus der Gegend<br />
von Binsdorf und Erlaheim.<br />
Palmsonntag<br />
Schon aus dem 4. Jahrhundert ist aus Jerusalem ein Prozessionsaufzug<br />
überliefert, der das biblische Geschehen darstellte,<br />
und aus dem 10. Jahrhundert stammt der älteste entsprechende<br />
Beleg aus Deutschland. Solche Aufzüge waren<br />
später weit verbreitet: Geistliche und Ministranten spielten<br />
den Einzug in Jerusalem nach, indem sie, von palmenschwingenden<br />
Gläubigen begrüßt, auf Eseln ritten. Manchmal<br />
waren diese Esel aus Holz geschnitzt und auf Räder<br />
montiert. Die Palmen werden aus Weidenkätzchen, die ja<br />
auch Palmkätzchen genannt werden, Haselzweigen, Wacholder,<br />
Buchsbaum, Stechpalmen u. a. zusammengestellt.<br />
Solche Palmen können einfache, kleine Sträußchen sein, die<br />
in der Kirche geweiht werden, aber auch die reinsten Kunstwerke,<br />
mehrere Meter hoch, verziert mit hölzernen Kreuzchen<br />
oder solchen aus Holundermark. Die geweihten Palmen<br />
werden ans Scheunentor oder neben die Haus- und<br />
Stalltüren gestellt.<br />
In der Jugendzeit von Gertrud Zimmermann war es der Stolz<br />
der Haigerlocher Buben, möglichst große Palmen zu basteln.<br />
Drei oder vier Kinder mußten die langen Stangen in die<br />
Schloßkirche tragen, damit sie unterwegs nicht abbrachen.<br />
56<br />
In der Gärtnerei Haas/Zimmermann holte man die Zutaten,<br />
die es auf dem freien Feld nicht gab: Buchs, Thuja usw. Geziert<br />
wurden die Palmen früher auch mit Kastanienblüten,<br />
die schon drei bis vier Wochen vorher geschnitten wurden,<br />
damit sie rechtzeitig zum Palmsonntag blühten. Wer als letzter<br />
die Kirche mit seinem Palmen betrat, der wurde in der<br />
Stadt als Palmesel verspottet. Deshalb standen die Buben am<br />
Palmsonntag sehr früh auf, trugen ihre Palmen zur<br />
Schloßkirche hinauf, wo sie an die Mauer gelehnt wurden.<br />
Dann ging man wieder heim und kehrte rechtzeitig vor dem<br />
Gottesdienst zurück. Während es sehr große Palmen in Haigerloch<br />
nicht mehr gibt, hat sich der Brauch, daß man auch<br />
verschiedene kleine Palmbüschel macht, weihen läßt und<br />
dann an Verwandte und Nachbarn gegen ein kleines Taschengeld<br />
verteilt, bis heute erhalten. Diese werden dann in<br />
der Regel an das Kruzifix in der Wohnstube gesteckt.<br />
Karwoche<br />
Die Fastenzeit beginnt am Aschermittwoch und dauert bis<br />
Ostern, 40 Tage. Diese »Quadragese«, wie sie in der katholischen<br />
Kirche genannt wird, ist seit dem 4. Jahrhundert bekannt;<br />
ihr Vorbild ist das Fasten Christi. Fasten war viele<br />
Jahrhunderte lang voller wirklich harter Einschränkungen -<br />
Fleischspeisen waren nicht erlaubt. Auch der Fisch, das typische<br />
Fastengericht, durfte in den ersten Jahrhunderten der<br />
Quadragese nicht verzehrt werden. Heute sind die Fastengebote<br />
gelockert und werden auch von vielen Katholiken<br />
nicht allzu streng beachtet - mit Ausnahme der Karwoche,<br />
in der zunächst der Gründonnerstag noch Anklänge an alte<br />
Fastengewohnheiten bewahrt hat. Besonders am Karfreitag<br />
werden von vielen Menschen Fastenregeln beachtet, und<br />
zwar von Protestanten wie von Katholiken. Auf jeden Fall<br />
verzichtet man auf Fleisch.<br />
Von Gründonnerstag bis zum Gloria im Gottesdienst am<br />
Karsamstag schweigen die Glocken. Dafür wurde in dieser<br />
Zeit früher eine große Rätsche auf dem Römerturm benutzt.<br />
Diese Aufgabe übenahm Luise Vogt, die sonst auch<br />
die Römerturmglocken läutete, später die Familie Trenkle.<br />
Schon um die Jahrhundertwende sagten die Eltern in Haigerloch<br />
ihren Kindern, wenn am Karfreitag die Glocken<br />
läuteten, drehe sich der Römerturm oder das Kapf. Vergeblich<br />
warteten dann die Kinder auf das Drehen, da ja die<br />
Glocken am Karfreitag stumm blieben. Am Mittwoch,<br />
Gründonnerstag und Karfreitag waren Metten in der<br />
Schloßkirche mit dem Singen der Leidensgeschichte, wobei<br />
sich ältere Haigerlocher noch an die markanten Stimmen<br />
von Karl Steim und anderen erinnern. Am Karsamstag fand<br />
die Auferstehungsfeier statt, der Priester weiht Wasser und<br />
die Osterkerze. Diese wird am Osterfeuer entzündet.<br />
Ostern<br />
Ostern ist das älteste und höchste Fest der Christenheit, das<br />
der Auferstehung des Herrn und der Überwindung des Todes.<br />
Es fällt auf den ersten Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond;<br />
dabei gilt als Frühlingsanfang immer der 21.<br />
März. Das hat das Konzil von Nicaea im Jahre 325 festgelegt,<br />
und dazu noch, daß das Fest frühestens auf den 22.<br />
März, spätestens auf den 25. April fallen soll. Mindestens<br />
seit dem 12. Jahrhundert war die Weihe von Eiern in das liturgische<br />
Ritual der Kirche aufgenommen worden; zur gleichen<br />
Zeit erscheint Ostern als Abgabetermin für Zinseier.<br />
Damit sind wir schon auf den Spuren der Ostereier. Eier<br />
spielen in der Osterzeit deshalb eine so große Rolle, weil im<br />
Frühjahr die Hühner besonders fleißig legen. Wie der Hase<br />
zum Eierbringer wurde, wird eine Streitfrage bleiben. Die<br />
Volkskundler glauben, daß es diesen Brauch frühestens seit
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gibt. Man geht auch<br />
davon aus, daß die Gebildbrote in Form von Lämmern, wie<br />
sie heute noch überall gebacken und oft an Kinder verschenkt<br />
werden, als Hasen mißverstanden wurden. Es versteht<br />
sich, daß die bunt gefärbten oder bemalten Ostereier<br />
immer noch für die Kinder im Garten oder sonstwo versteckt<br />
werden.<br />
Die Sitte der gefärbten Ostereier ist im Oberamt Haigerloch<br />
ebenso heimisch wie anderwärts. Früher war es<br />
Brauch, dem Pfarrer in Haigerloch und auch vielfach auf<br />
dem Lande, zu Ostern von jedem Kommunikanten ein Ei<br />
zu reichen. Noch im 19. Jahrhundert fand in Haigerloch am<br />
Ostersonntag vor dem Amt die Schinkenweihe statt.<br />
Ostereierfarben, »garantiert giftfrei«, bot 1910 die Haigerlocher<br />
Apotheke in der Zeitung an. Schon in ihrer Jugend<br />
gab es Osterhasen aus Zuckerguß, die Conditor Anton Maier<br />
selbst herstellte, berichtete Gertrud Zimmermann; erst<br />
später kamen Schokoladehasen dazu. (Fortsetzung folgt)<br />
Josefstag -19. März<br />
Am Josefstag gab es früher jeweils einen Festgottesdienst in<br />
der Schloßkirche. Die »Josefs« und »Josefinen« trafen sich<br />
an diesem Tag traditionell bei Josef und Josefine Kost im<br />
Gasthaus »Krone« oder bei Josef Schindler im »Löwen« 31.<br />
Aufgrund eines Vermächtnisses des aus Haigerloch stammenden<br />
Geistlichen Rats Josef Marmon erhielt ab 1935 jedes<br />
Schulkind am Josefstag eine Brezel, die in der Unterrichtspause<br />
verteilt wurde. 1936 übernahm Marmons<br />
Schwester Angela die Bezahlung. Die Kindergartenkinder<br />
waren einbezogen. Insgesamt zählte man damals 176 Kinder<br />
in der katholischen, evangelischen und jüdischen Schule<br />
sowie im Kindergarten. Die Verteilung besorgte der Amtsdiener.<br />
Der Bürgermeister wies die Lehrer an, »die Schüler<br />
auf den Spender geeignet hinzuweisen« 32.<br />
1. April<br />
»Der Brauch, am 1. April Neckereien zu verüben, das heißt<br />
Bekannte >in den April zu schickem, herrscht heute noch,<br />
WALTER KEMPE<br />
besonders bei der Jugend«, formulierte die Oberamtsbeschreibung<br />
1928. Daran hat sich nichts geändert. Kinder<br />
versuchen, sich etwa gegenseitig zu überreden, ein<br />
Päckchen »lbidum« (»Ich bin dumm«) in der Apotheke zu<br />
holen oder ähnliches. Den Hereingefallenen erwarten<br />
Spottverse: »Aprilakueh, mach d'Auge zue« oder »Aprilagaas<br />
hot Dreck an d'r Nas«. Die Volkskunde geht davon<br />
aus, daß es sich dabei um Reste eines Frühlingsbrauches<br />
handelt.<br />
Schon früher wurden in der örtlichen Presse manchmal<br />
mehr oder weniger gelungene April-Scherze veröffentlicht.<br />
So war vor Jahrzehnten angeblich eine Orgel auf dem Römerturm<br />
aufgestellt worden, die zur Unterhaltung der<br />
Stadtbevölkerung spielen sollte. Tatsächlich sollen sich Leute<br />
von der Unter- in die Oberstadt begeben haben, um die<br />
Orgel zu hören.<br />
Georgitag - 23. April<br />
Am Tag des hl. Georg wurden vielerorts Ritte und Pferdemärkte<br />
abgehalten. Das ist darauf zurückzuführen, daß<br />
der heilige Georg, meist auf einem Pferd sitzend und als<br />
Drachenkämpfer dargestellt, als Pferdeheiliger gilt. Davon<br />
ist aber hier nichts überliefert.<br />
Die früher üblichen Schülerfeste, wie z. B. am Georgitag,<br />
aber auch sonst, sind heute fast ganz in Abgang gekommen.<br />
»In Haigerloch bewegte sich am Georgitag der Zug der<br />
Schulkinder unter klingendem Spiel der türkischen Musik<br />
mit fliegenden Fahnen vom Schulhaus zum Festplatz, d. h.<br />
dem St. Anna-Hof, wo fröhlicher Gesang und heitere Spiele<br />
abwechselten.« So steht es in der Oberamtsbeschreibung. In<br />
der Tat lassen sich solche Schülerfeste bis ins 18. Jahrhundert<br />
zurückverfolgen.<br />
Anmerkungen<br />
Das alte Amtshaus zu Ostrach (Fortsetzung u. Schluß)<br />
Die Fürstl. Thum und Taxis'sche Führung der Herrschaft<br />
Ostrach und Nutzung des Amtshauses<br />
Nicht lange dauerte das uneingeschränkte Verfügungsrecht<br />
des Fürsten von Thum und Taxis über Ostrach. Bereits<br />
1806 wurde durch den Rheinbundakt dem Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen<br />
die Landesherrschaft zugesprochen.<br />
Beim Hause Thum und Taxis verblieben jedoch standesherrschaftliche<br />
Rechte und der Grundbesitz. Verwaltungssitz<br />
blieb das ehemalige salemische Oberamtsgebäude,<br />
Rentamtstraße 1, Ostrach, in dem auch der jetzt Thum und<br />
Taxis'sche Oberamtmann Stehle wohnte. Ostrach erhielt jedoch<br />
noch ein weiteres Oberamt, das die Rechte des Fürsten<br />
von Hohenzollern-Sigmaringen als Landesherr vertrat.<br />
Mit Hohenzollern wurde 1850 dieses Amt preussisch. 1862<br />
löste Preussen sein Oberamt in Ostrach, wie auch in Wald,<br />
auf und teilte beide verwaltungsmäßig dem Oberamt Sigmaringen<br />
zu. Mit dem Abzug des preussischen Oberamtes<br />
30 0AB,S. 884, 301.<br />
31 Z.B. Haigerlocher Bote, Nr. 32, 18.3.1897; Ebd. Nr. 42,<br />
18.3.1911.<br />
aus Ostrach erfolgten auch weitere Veränderungen im Bereich<br />
der Thum und Taxis'schen Behörden. Federführend<br />
wurde jetzt das Fürstl. Thum und Taxis'sche Rentamt in<br />
Ostrach. Man löste hierbei das Rentamt in Scheer auf und<br />
vereinte es mit dem in Ostrach. Das Rentamtsgebäude in<br />
Scheer wurde verkauft. Der dortige Rentmeister Maximilian<br />
zum Tobel erhielt die Weisung, sich nach Ostrach zu begeben<br />
und das vergrösserte Fürstl. Thum und Taxis'sche<br />
Rentamt Ostrach - Scheer zu übernehmen. Er erhielt seinen<br />
Sitz im ehemaligen salemischen Oberamtsgebäude, jetzt altes<br />
Rentamtsgebäude genannt.<br />
Die Ubersiedlung des Rentmeisters zum Tobel bereitete einige<br />
Schwierigkeiten. Ein längerer Briefwechsel mit seiner<br />
vorgesetzten Dienststelle erfolgte. So schrieb er u. a. am<br />
23.06.1862 an die Hochlöbliche Domänen- Oberadministration<br />
in Regensburg: »Wegen des festgesetzten Übergabetermins<br />
in Ostrach bin ich bereit, so schmerzlich es mir<br />
57
ankommt, meine Familie verlassen zu müssen, in das alte<br />
Rentamtsgebäude einzuziehen und mich mit 2 Zimmern zu<br />
begnügen, damit der kontraktierende Amtsschreiber Schlee<br />
daselbst auch provisorisch untergebracht werden kann.<br />
Meine Familie kann, wegen der Krankheit meiner Frau, erst<br />
dann übersiedeln, wenn die Baulichkeiten im neuen Rentamtsgebäude<br />
( wohl Pfullendorfer Straße 15, ehem. Gebäudenr.<br />
8 mit Waschhaus Nr. 133 ) vollendet sind. Die Lokalitäten<br />
im alten Rentamtsgebäude werden zum größten Teil<br />
als Arbeitslokale (Kanzlei) und zur Unterbringung der hiesigen<br />
Akten (Archiv) dienen müssen.« Die Frau des Rentmeisters<br />
zum Tobel starb am 27. April 1869 in Ostrach nach<br />
ihrer Übersiedlung. Eine gußeiserne Grabtafel an der Friedhofsmauer<br />
in Ostrach erinnert noch heute an sie.<br />
serhalb der Scheuer zur Gasse hin. Heute kommt man über<br />
die Kellertreppe seitlich der Zehntscheuer direkt aus dem<br />
gewölbten Kellerraum ins Freie. Der Kellerraum selber ist<br />
jetzt einmal unterteilt. Vor Übernahme durch Thum und<br />
Taxis lagerte hier das Reichsstift Salem die Erzeugnisse seiner<br />
eigenen Weinberge, die zur Verteilung im Bereich<br />
Ostrach als sogenannter Besoldungswein für die Beamten<br />
und Geistlichen sowie zum Verkauf an die Wirte bestimmt<br />
waren. Der Keller konnte bis zu 60 Hektoliter Wein fassen<br />
(= 150 Eimer ä ca. 40 Liter). Da nun die fürstlichen Bediensteten<br />
und die Geistlichen diesen Teil ihres Unterhalts nicht<br />
mehr als »Besoldungswein«, sondern in klingender Münze<br />
erhielten und auch kein Wein mehr zum Verkauf eingelagert<br />
wurde, blieb der Keller leer und konnte zunächst auch vom<br />
Die alte Zehntscheuer von Ostrach mit der Jahreszahl 1595. Vorlage: Mitteilungsblatt der Gemeinde Ostrach.<br />
Rentmeister zum Tobel und Amtsschreiber Schlee dürften<br />
bis zur Auflösung des Fürstl. Thum und Taxis'schen Rentamts<br />
Ostrach-Scheer im Jahre 1877 in Ostrach tätig gewesen<br />
sein, wie zahlreiche Unterschriften unter Amtsschreiben<br />
und Pachtverträgen beweisen, so für die Fürstl. Thum<br />
und Taxis'sche Zehntscheuer und für die Oberamtsscheuer,<br />
die dann 1869 zum Abbruch verkauft wurde.<br />
Sie stand im rechten Winkel an der rechten Seite der Zehntscheuer,<br />
wie Grundrissplänen von 1849 und 1705 zu ersehen<br />
ist.<br />
Der Keller der Zehntscheuer<br />
Bereits 1822 berichtete das Fürstliche Rentamt Ostrach<br />
über die Absicht, »den Keller beim Oberamtshaus dahier<br />
unter der Zehntscheuer« zu verpachten. Nach der Beschreibung<br />
hatte dieser Keller eine gewölbte Decke und war ca.<br />
12,9 m lang, 3,3 m breit und 2,44 m hoch. Ein separater,<br />
ebenfalls gewölbter Kellerausgang mit Treppe führte aus-<br />
58<br />
Rentamt nicht genutzt werden. 1822 pachtete der Adlerwirt<br />
Willibald Böhm den Keller zur versuchsweisen Lagerung<br />
seines Braunbieres (nur 1-2 % Alkohol, schwach gehopft,<br />
wenig vergoren und oft etwas gesüßt).<br />
Unter Rentmeister zum Tobel wurde er später auch an andere<br />
Ostracher Wirte verpachtet, die darin ihr Bier lagerten.<br />
Um 1835 versuchten Adlerwirt Böhm durch Neubau eines<br />
eigenen Braunbierkellers und Bruckwirt Knoll durch Ausbau<br />
eines solchen Kellers im eigenen Wohnhaus eine Pachterneuerung<br />
für den Zehntscheuerkeller überflüssig zu machen.<br />
Er wurde vom Bruckwirt jedoch weiterhin in Anspruch<br />
genommen.<br />
Die Lagerung von Bier, wie man zumindest aus dem häufigen<br />
Wechsel der Pächter schließen kann, scheint nicht besonders<br />
erfolgreich gewesen zu sein. Dies mag aber nicht<br />
nur an der Qualität des Kellers, sondern auch an der für eine<br />
längere Lagerung fehlenden Eignung der damals gebrauten,<br />
meist obergärigen Biere gelegen haben.
Tatsächlich erfolgte der entscheidende Durchbruch zu einer hohen<br />
Lagerfähigkeit von Bier erst später in Wien, wo Anton Dreher I<br />
einmal durch die Umstellung auf untergäriges Bier (1839), durch<br />
die Verbesserung von dessen Qualität und vor allem durch die notwendige<br />
Reifung in natureisgekühlten Kellern (1840/42) eine<br />
ganzjährige Versorgung mit qualitativ gutem Bier möglich machte.<br />
Er gilt als der eigentliche Erfinder des »Lagerbieres«. Sein Vater<br />
Franz Anton Dreher (1736-1820) stammte von der »Krone« in<br />
Pfullendorf, war 1760 ziemlich mittellos nach Osterreich ausgewandert,<br />
wo er als Bierkellner anfing und 1796 das Brauhaus Klein-<br />
Schwechat um 19 000 fl. erwerben konnte. Der Sohn Anton machte<br />
mit der Einführung des Lagerbieres und durch den Erwerb weiterer<br />
Brauereien das Unternehmen zum größten seiner Art in der k.k.<br />
Donaumonarchie. Dessen Sohn Anton Dreher II (1849-1921)<br />
konnte das Unternehmen zum damals größten Brauereiunternehmen<br />
der Welt ausbauen. (Grober, Joseph, »Pfullendorf im Linzgau«,<br />
E.A. Schmidt Verlag Pfullendorf, 1988) Obwohl die Dreher<br />
im Mannesstamm ausgestorben sind, ist der Name Dreher auch<br />
heute noch mit der Brauereiwelt verbunden. Auf den Schildern des<br />
Schwechater Bieres prangt immer noch das Bild des Lagerbier-Erfinders<br />
Anton Dreher I, in Italien kann man Birra Dreher, in Ungarn<br />
Dreher Lager Bier trinken. Und wenn man von Wien nach<br />
Schwechat fährt, kommt man durch die Anton Dreher Strasse. Die<br />
Anton Dreher Gedächtnis Schenkung für medizinische Forschung<br />
unterstützt bis heute diese Forschungsrichtung in Osterreich. Der<br />
Brauführer des Anton Dreher I in den entscheidenden Jahren um<br />
1840 ist ebenfalls ein Sohn unserer Heimat. Es war der erst 24jährige<br />
Johann Götz aus Langenenslingen. Er gründete 1845 im damals<br />
österreichischen Galizien in der Nähe von Krakau eine eigene<br />
Brauerei. Er kam zu hohen Ehren und wurde vom Kaiser in den<br />
Freiherrenstand erhoben. Die von ihm gegründete Brauerei besteht<br />
im heutigen Polen auch heute noch und soll die größte des Landes<br />
sein. (Kommentar Dr. Hermann Frank)<br />
Nach Wegfall der Zehntabgaben in Naturalien wurden vom<br />
Fürstlichen Rentamt Ostrach (später von der Fürstlichen<br />
Rentkammer Obermarchtal) auch Teile der Zehntscheuer<br />
selber an Ostracher Bürger zur Lagerung von Getreide und<br />
anderen Gütern verpachtet. Pacht- und später Mietverträge<br />
für die herrschaftliche«Zehntscheuer« liegen uns bis 1932<br />
vor.<br />
1865 informierte das Rentamt Ostrach die Fürstl. Domänen<br />
Oberadministration in Regensburg u.a. über das hiesige<br />
Feuerlöschwesen. Eine fahrbare Feuerspritze steht im Rathaus<br />
der Gemeinde. Die beiden anderen Feuerspritzen,<br />
nämlich die kleine Handspritze in der Rentamtskanzlei und<br />
die größere tragbare im Archivraum der Zehntscheuer sind<br />
anbefohlenerweise dort aufgestellt. Im »Zehntscheuerarchiv«<br />
waren zu der Zeit die älteren Registraturbestände des<br />
ehemaligen Rentamts Scheer untergebracht.<br />
Die Auflösung des Fürstlichen Rentamts Ostrach-Scheer<br />
Am 20. Oktober 1877 gab dann der Fürstl. Extraditions-<br />
Commissair in Ostrach, Seeberger, bekannt, daß das Fürstl.<br />
Rentamt Ostrach-Scheer aufgelöst und dem Fürstl. Rentamt<br />
Marchtal einverleibt würde. Es hieß von da an Fürstl.<br />
Rentkammer Obermarchtal. Wieder fanden Veränderungen<br />
im Amtshause Ostrach statt. Künftig wurde das Gebäude<br />
ANDREAS ZEKORN<br />
Das Leprosenhaus in Laiz<br />
In diesem schmuck hergerichteten Häuschen, das nun als<br />
Museum für eine bedeutende Kunstsammlung mit Werken<br />
des Künstlers Josef Henselmann dient, ging es früher höchst<br />
ärmlich zu. Versetzen wir uns drei oder vier Jahrhunderte<br />
zurück. Da gab es einen Holztisch, Holzbänke, ein paar<br />
Strohsäcke mit Bettlade und eine Waschschüssel. Dies war<br />
von der Fürstlich Thum und Taxis'schen Forstverwaltung<br />
genutzt.<br />
Neben den Diensträumen als Oberförsterei wurde die<br />
Dienstwohnung für den jeweiligen Forstbeamten eingerichtet.<br />
Wie die alten Bauakten ausweisen, erfolgte im April<br />
1886 eine Modernisierung des Hauses, hier Forsthaus genannt.<br />
Vom Keller bis zum Dach wurden neue Kamine mit<br />
Anschlüssen für sämtliche Räume eingebaut. Das Baugesuch<br />
wurde im Auftrag der Fürstlich Thum und Taxis'schen<br />
Rentkammer Obermarchtal gestellt. Bauaufseher war der<br />
Ostracher Zimmermann Riedle. Für die Gemeinde Ostrach<br />
unterschrieb Bürgermeister Kerle.<br />
Eine gute Beschreibung des Hauses als »Revierverwaltungsgebäude«<br />
der Fürstlich Thum und Taxis'schen Herrschaft<br />
mit genauer Angabe der Beschaffenheit der Innenwände,<br />
findet sich im Lagerbuch der (Feuer)Versicherungsanstalt,<br />
Oberamt Sigmaringen, Gemeinde Ostrach, vom 7.5.1914.<br />
Das Gebäude war teilweise unterkellert. Genzmer beschrieb<br />
1948 die Oberförsterei wie folgt: Zweigeschossiger,<br />
fünfachsiger Putzbau mit schöner Haustür, unten massiv,<br />
oben Fachwerk mit Satteldach in Biberschwanzdoppeldeckung.<br />
Amtlichen Zwecken diente das Haus bis zur Auflösung der<br />
Fürstlich Thum und Taxis'schen Oberförsterei Ostrach im<br />
Jahre 1952 unter Oberförster Bergan. Zu diesem Zeitpunkt<br />
erfolgte die Zusammenlegung mit der Oberförsterei Siessen<br />
zum Fürstlich Thum und Taxis'schen Forstamt Siessen.<br />
Am 1.7.1978 schließlich wurde das Forstamt Siessen mit<br />
dem Forstamt Littenweiler zum jetzigen Fürstlich Thum<br />
und Taxis'schen Forstamt Saulgau vereint.<br />
Nach 1952 bis etwa 1992 diente das ehemalige Amtshaus<br />
nur noch als Wohnsitz für verschiedene Bedienstete der<br />
FTT Forstverwaltung, unter anderem für den Revierförster<br />
Wilhelm Süß mit seiner Familie. Sie kamen 1958 nach<br />
Ostrach. Er selbst starb 1982.<br />
In den letzen Jahren war das Gebäude nicht mehr bewohnt.<br />
Die dazugehörige »Zehntscheuer« wurde von der Fürstlichen<br />
Forstverwaltung zuletzt noch als Lager für Geräte und<br />
dergleichen verwendet.<br />
Nach Ubergang des ehemaligen Amtshauses und der<br />
»Zehntscheuer« im Jahre 1996 in Gemeindebesitz wäre,<br />
nach dieser beeindruckenden Vergangenheit, die Wiederverwendung<br />
als Amtssitz der Gemeindeverwaltung ein<br />
schöner Traum, wenn heute die modernen technischen Anforderungen<br />
dem nicht entgegenstünden.<br />
Mit der Ausstattung des Gebäudes als Heimatmuseum, neben<br />
weiteren Ausstellungsmöghchkeiten und mit Versammlungsräumen<br />
in der »Zehntscheuer«, würde man der<br />
Tradition jedoch auch gerecht.<br />
Herrn Dr. Hermann Frank besten Dank für die freundliche Unterstützung.<br />
das ganze Mobiliar für die sogenannten Leprosen oder Armen-Leute,<br />
die hier wohnten. Die Leprosen lebten größtenteils<br />
vom Bettel und Almosen.<br />
Die Bezeichnungen Leprose und Lepra muten uns heute<br />
fremdartig an. Wir verbinden die Krankheit in der Regel mit<br />
Ländern der dritten und vierten Welt. Doch auch hier in<br />
59
Europa war die Seuche vornehmlich im Mittelalter bis ins<br />
17. und 18. Jahrhundert hinein verbreitet. Seit der Antike<br />
war die Krankheit von Arabien und Palästina ausgehend im<br />
hohen Mittelalter bis nach Mitteleuropa vorgedrungen. Belege<br />
dafür sind unter anderem die Leprosenhäuser, die vielerorts<br />
eingerichtet wurden. Das Kloster St. Gallen besaß<br />
beispielsweise 763 ein solches Leprosenhaus.<br />
Die Krankheit selbst wird durch ein Bakterium hervorgerufen<br />
und durch Tröpfchen- und Schmierinfektion übertragen.<br />
Sie äußert sich in verschiedenen Formen. Hautflecken<br />
treten auf, knotige Auftreibungen der Nervenstränge und<br />
Geschwüre im Nasen-Rachen-Raum. Die Kranken können<br />
Verstümmelungen erleiden, erblinden und durch Kehlkopfveränderungen<br />
eine rauhe Stimme erhalten. Die Krankheit<br />
kann sich sehr langsam entwickeln.<br />
Der Aussatz wurde als unheilbar angesehen. Als wirksame<br />
Eindämmung der Infektionsgefahr galt die Absonderung<br />
der Kranken, die bereits in der Antike üblich war, in Europa<br />
sich aber erst auf einen Beschluß des 3. Laterankonzils im<br />
Jahre 1179 endgültig durchsetzte. Als Krankenrecht fiel die<br />
Regelung der Verhältnisse der Aussätzigen in die Ordnungskompetenz<br />
der Kirche. Für die Feststellung des Aussatzes<br />
waren im Mittelalter die bischöflichen Sendgerichte<br />
zuständig. Ab dem 13. Jahrhunderten ging die Lepraschau<br />
an vereidigte Wundärzte oder Stadtärzte über. Nach der<br />
Landesordnung für Hohenzollern-Hechingen aus der Mitte<br />
des 16. Jahrhunderts waren bei spielsweise die Uberlinger<br />
Stadtärzte für die Leprosenschau zuständig. Auch die Einwohner<br />
der Grafschaft Sigmaringen, die der Krankheit verdächtigt<br />
wurden, schickte man nach Uberlingen.<br />
Bei Verdacht auf Aussatz war eine genaue Untersuchung<br />
vorgeschrieben. Anhand der beschriebenen Anzeichen für<br />
Lepra konnte sie relativ genau diagnostiziert werden. War<br />
die Krankheit festgestellt, so erfolgte die Abscheidung des<br />
Leprosen nach einem besonderen Ritual: über den Aussätzigen<br />
wurde das Totenamt verlesen. Anschließend wurde er<br />
in einem Sondersiechenhaus untergebracht. Für Unterbringung<br />
und Unterhalt der Leprosen war im Mittelalter die<br />
Pfarrgemeinde bzw. der Landdechant zuständig. Das Bild<br />
der Leprosen in der mittelalterlichen Gesellschaft war doppelgesichtig:<br />
einerseits konnte die Krankheit als Folge der<br />
Sünde und äußeres Zeichen eines unchristlichen Lebenswandels<br />
gelten, vor allem weil man im außerehelichen Beischlaf<br />
eine Übertragungsursache vermutete. Andererseits<br />
wurden die Leprosen von der Kirche wegen ihrer Leiden als<br />
wahre Märtyrer angesehen. Man nannte sie auch »Arme<br />
Leute« oder »Guote Leute«, woher sich die entsprechenden<br />
Bezeichnungen für die Leprosenhäuser als Armeleute- oder<br />
Guteleutehäuser herleiten. Als Märtyrern wurde den verstorbenen<br />
Aussätzigen, denen ja bereits das Totenamt gehalten<br />
worden war, die Messe für Märtyrer gelesen.<br />
Das Leprosenhaus in Laiz trug typische Züge für dererlei<br />
Einrichtungen. Dies zeigt sich bereits an der Namensgebung:<br />
in den Quellen wird es als Leprosen-, Sondersiechenoder<br />
Arme-Leute-Haus bezeichnet. Das Haus war vom<br />
Dorfe Laiz durch die Donau getrennt. Die Absonderung<br />
der Kranken war folglich gewährleistet. Es lag an der Verkehrsstraße<br />
von Laiz nach Vilsingen, vermutlich um den Insassen<br />
das Betteln zu erleichtern. Aus diesem Grunde wurden<br />
Leprosenhäuser häufig an Durchgangsstraßen errichtet.<br />
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wird die Laizer Einrichtung<br />
in den städtischen und herrschaftlichen Quellen greifbar.<br />
Damals befand sich die Lepra im deutschen Südwesten<br />
bereits auf dem Rückzug. Deshalb waren im Laizer Sondersiechenhaus<br />
vermutlich nicht mehr ausschließlich Leprakranke<br />
be<strong>heimat</strong>et. In den Quellen werden die Insassen<br />
zwar wiederholt als »Leproseil bezeichnet, doch ist dies<br />
60<br />
wohl damit zu erklären, daß der Name »Leprosenhaus«<br />
ausschlaggebend für die Benennung seiner Bewohner war.<br />
Im Mittelalter hingegen dürften vorwiegend die Aussätzigen<br />
hier untergebracht gewesen sein. Daß sich später Nichtlepröse<br />
in die Leprosorien einkauften und gesunde Bedienstete<br />
angestellt waren, ist nichts Ungewöhnliches und war<br />
auch andernorts üblich. Dies ist auf die Liberalisierung des<br />
strengen Aussätzigenrechts beim Rückgang der Lepra<br />
zurückzuführen.<br />
Im 17. und 18. Jahrhundert sind Kranke, Alte, Arme und<br />
auch Waisen als Einwohner des Laizer Siechenhauses belegt.<br />
Sie kamen aus unterschiedlichen Orten der Grafschaft<br />
Sigmaringen. Das Laizer Sondersiechenhaus hatte demzufolge<br />
eine zentrale Funktion. Dies ist möglicherweise darin<br />
begründet, daß die Stadt Sigmaringen selbst lange Zeit nur<br />
nominell über ein Spital verfügte. Die Aufgaben eines solchen<br />
Spitals übernahm das Laizer Arme-Leute-Haus. Wie<br />
in andere Leprosenhäuser konnte man sich nach dem Rückgang<br />
der Lepra auch in die Laizer Anstalt einkaufen und eine<br />
Pfründe, d.h. das Anrecht auf Versorgung oder zumindest<br />
Unterkunft, erwerben. Hierin ähnelte die Institution<br />
ebenfalls einem Spital.<br />
Denkbar ist, daß die Sondersiechenpflege bereits im Mittelalter<br />
eine zentrale Einrichtung war. Ihre Ansiedlung in Laiz<br />
dürfte daher rühren, daß sich hier die Mutterpfarrei von<br />
Sigmaringen befand. Das Haus wird zumindest für die Aufnahme<br />
von Aussätzigen aus dem Pfarreisprengel zuständig<br />
gewesen sein, möglicherweise auch für einen größeren Bezirk.<br />
Lebensverhältnisse der Leprosen<br />
Kommen wir zu den Lebensverhältnissen der im Siechenhaus<br />
Untergebrachten. Vom Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert<br />
hinein bildeten die Aussätzigen in einer Leprosenanstalt<br />
eine Art religiöser Genossenschaft, eine Art Bruderschaft,<br />
wie sie in Mittelalter und Früher Neuzeit häufig<br />
vorkamen. Für Neuankömmlinge gab es sogar eine Art Noviziat.<br />
Die Kranken gelobten Gütergemeinschaft, lebten<br />
nach einer Leprosenordnung und wählten aus ihrer Mitte<br />
einen Leprosenmeister. Die Leprosenordnung schrieb in<br />
der Regel Gleichheit von Nahrung und Kleidung vor. Auch<br />
für die Laizer Sondersiechen gab es noch im 18. Jahrhundert<br />
eine Satzung. Und noch 1725 wurde ein Bewohner dazu angehalten,<br />
sich gleich den anderen Leprosen mit einem<br />
schwarzen Mantel zu bekleiden 1. Dies sind Hinweise darauf,<br />
daß die Laizer Leprosen ebenfalls in einer Art Bruderschaft<br />
gelebt haben könnten. Die schwarzen Mäntel dürften<br />
darüber hinaus den Zweck gehabt haben, als äußeres Kennzeichen<br />
und Warnhinweis für die Krankheit zu dienen. Im<br />
allgemeinen mußten die Aussätzigen zur Vermeidung der<br />
Ansteckungsgefahr kennzeichnende Kleidung tragen und<br />
mit akustischen Signalen, etwa mit Glocken oder Klappern,<br />
warnen.<br />
Wie eingangs bemerkt, waren die Verhältnisse im Laizer<br />
Siechenhaus äußerst armselig. Um das Jahr 1600 wurde festgestellt,<br />
daß die »Armen Leute« eine Bank, einen Tisch,<br />
Strohsäcke für die gestifteten Bettladen nebst einer Waschschüssel<br />
benötigen würden, die Graf Karl von Hohenzollern-Sigmaringen<br />
zu bezahlen bereit war. Im Jahre 1716 berichtete<br />
der Leprosenpfleger sogar, daß die Bewohner des<br />
Hauses wegen Mangel an Bettzeug die größte Not leiden<br />
würden und auf dem bloßen Stroh liegen müßten. Nicht<br />
einmal das Allernotwendigste war immer vorhanden. Dies<br />
ist kein Wunder, lebten doch die Leprosen größtenteils vom<br />
Bettel und von Almosen. Seit dem Frühmittelalter besaßen<br />
die Aussätzigen allgemein das Bettelrecht.
Ähnlich verhielt es sich bei den Laizer Sondersiechen. Vor<br />
ihrem Haus, das, wie bemerkt, an einer Durchgangsstraße<br />
lag, war ein Opferstock angebracht. Am Sonntag durften sie<br />
zum Betteln vor die Stadtpfarrkirche in Sigmaringen gehen<br />
und danach in der Stadt sammeln, so bestimmte es Graf<br />
Karl II. um das Jahr 1600 2.<br />
Einmal in der Woche erhielten die Leprosen im Schlofl von<br />
der Herrschaft die Hofsuppe 3.Zu den Einkünften aus dem<br />
Bettel kamen die Almosen hinzu. Bereits im Mittelalter<br />
wurden die Leprosen im allgemeinen bevorzugt vor anderen<br />
Armen mit Spenden bedacht. Mittelalterliche Leprosorien<br />
gelangten durch Schenkungen oder Stiftungen oft zu<br />
beachtlichem Wohlstand. Auch für das Laizer Sondersiechenhaus<br />
gab es eine sogenannte Leprosenpflege, die, wie<br />
andere kirchliche Pflegen, auf Stiftungen zurückzuführen<br />
sein dürfte. Insbesondere die Grafen und Fürsten traten<br />
wiederholt als Almosengeber und Spender von Einrichtungsgegenständen<br />
in Erscheinung. Ferner werden als<br />
Spender solcher Gegenstände die Klöster Gorheim und Hedingen,<br />
einzelne Nonnen dieser Klöster, Geistliche und<br />
Bürgersfrauen faßbar.<br />
Im Zuge der spätmittelalterlichen Kommunalisierung, d.h.<br />
der Übernahme von Kompetenzen durch Städte, ging die<br />
Verwaltung der Sondersiechenhäuser von den aus der Mitte<br />
der Kranken gewählten Leprosenmeistern an nichtaussätzige<br />
Pfleger über. In der Zeit als das Laizer Sondersiechenhaus<br />
in den Quellen faßbar wird, wurde die Leprosenpflege bereits<br />
durch bürgerliche Pfleger verwaltet. Bis 1637 besetzte<br />
der Sigmaringer Stadtrat die Stelle der beiden Leprosenpfleger.<br />
Sogar die Schultheißen übernahmen teilweise dieses<br />
Amt. Nach 1641 zog die fürstliche Herrschaft die Besetzung<br />
der Stelle an sich. Dies ist typisch für die Verhältnisse<br />
in Sigmaringen: die Herrschaft versuchte auch in anderen<br />
Fällen, etwa bei der Heiligenpflege, die für die Vermögensverwaltung<br />
der Stadtpfarrkirche zuständig war, die Kontrolle<br />
an sich zu ziehen. Es waren Bestrebungen, die Herrschaft<br />
zu zentralisieren und zu intensivieren. Mehrfach<br />
wehrten sich die Bürger gegen solche Angriffe auf die städtischen<br />
Selbstverwaltungskompetenzen erfolgreich, zum<br />
Teil mit österreichischer Hilfe.<br />
Bei der Leprosenpflege erlangte der Fürst ohne erkennbaren<br />
Widerstand der Stadt die Kontrolle. Allerdings befand<br />
sich die Verwaltung der Pflege weiterhin in den Händen<br />
bürgerlicher Pfleger, die zugleich Ratsherren waren. Die<br />
Pfleger wurden in der fürstlichen Kanzlei vereidigt, erhielten<br />
dort ihre Instruktionen und waren dem Fürsten rechenschaftspflichtig.<br />
Die fürstliche Verwaltung übte eine relativ<br />
strikte Aufsicht aus.<br />
Die Aufgabe der Leprosenpfleger war es, das Vermögen des<br />
Siechenhauses zu verwalten. Die Übernahme solcher Pflegschaften<br />
war im allgemeinen recht beliebt: zum einen gab es<br />
einen kleinen Nebenverdienst, zum anderen konnte man<br />
sich unter Umständen günstige Kredite verschaffen.<br />
Die Leprosenpflege ging, wie bemerkt, auf Stiftungen<br />
zurück, die bereits im Mittelalter erfolgt waren. Die Haupteinnahmen<br />
flössen aus verliehenem Kapital. Derartige Pflegen,<br />
wie die Leprosenpflege oder die bereits erwähnte Heiligenpflege,<br />
erfüllten in Sigmaringen und anderswo die Aufgabe<br />
von Darlehenskassen. Benötigte jemand von den<br />
Einwohnern der Grafschaft Sigmaringen Geld, so wandte er<br />
sich in der Regel an eine oder mehrere Pflegen, um dort<br />
Geld aufzunehmen. Andere Möglichkeiten der Kreditaufnahme<br />
waren rar. Der Zinssatz bewegte sich meist um die<br />
5 %. Bei der Leprosenpflege können nun Kreditnehmer aus<br />
zahlreichen Orten der Grafschaften Sigmaringen und Veringen<br />
nachgewiesen werden. Die Zinseinnahmen mehrten<br />
das Vermögen der Pflege, und die Pfleger waren gehalten,<br />
zurückbezahltes Geld sofort wieder anzulegen. Auf eine<br />
ausreichende Absicherung durch Unterpfand war dabei zu<br />
achten. Durch die Kreditvergabe wuchs das Kapital der Leprosenpflege<br />
merklich an. 1588/89 lagen die Zinseinnahmen<br />
bei rund 28 fl pro Jahr, 150 Jahre später waren es 87 fl. Das<br />
Kapital dürfte sich damit von ca. 560 fl auf ca. 1.958 fl erhöht<br />
haben.<br />
An regelmäßigen Ausgaben hatte die Pflege zunächst die<br />
Besoldungen zu tragen: die Leprosenmagd erhielt jährlich<br />
3 fl, die beiden Pfleger bekamen ebenfalls je 3 fl. An den Beträgen<br />
wird deutlich, daß die Verwalterstelle etwas abwarf.<br />
Zur Leprosenmagd ist an dieser Stelle zu bemerken, daß sie<br />
für die »Armen Leute« im Siechenhaus sorgte. Neben der<br />
genannten regelmäßigen Besoldung hatte sie noch weitere<br />
kleinere Einkünfte, erhielt wohl freies Essen und vor allem<br />
aus der fürstlichen Kasse nochmals einen erheblichen Besoldungsanteil.<br />
Zeitweilig war für die Kranken sogar ein eigener<br />
Siechenbader angestellt.<br />
Neben den bereits erwähnten Ausgaben trug die Leprosenpflege<br />
die Kosten für den baulichen Unterhalt des Gebäudes.<br />
Auch bekamen die Leprosen selbst Zuwendungen aus<br />
der Kasse. Schließlich übernahm die Pflege Kurkosten für<br />
Leprose oder bezahlte das Begräbnis.<br />
In den Jahren 1777/78 erfolgte gar ein Neubau des Hauses.<br />
Allerdings scheint das Siechenhaus zur Unterbringung von<br />
Kranken und Alten bald nicht mehr notwendig gewesen zu<br />
sein. 1814 wurde es nur noch von dem ehemaligen Jäger Joseph<br />
Rosenzweig bewohnt. Nun verkaufte die fürstliche<br />
Regierung das Gebäude für 700 fl an die Gemeinde Laiz.<br />
Zugleich wurde die Leprosenpflege aufgelöst und das Kapital<br />
in Höhe von 7.500 fl der Landschaftskasse zugeschlagen.<br />
Die Landschaftskasse war die Steuerkasse und die zentrale<br />
Landeskasse für Sigmaringen gewesen 4. Das Gebäude wurde<br />
in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Verkauf nur<br />
noch wenig beachtet. Es diente als Unterkunft für verschiedene<br />
Bewohner. Der Ankauf des Gebäudes durch Professor<br />
Henselmann weckte es quasi aus einem Dornröschenschlaf.<br />
Es ist ein geschmackvolles Haus, das sich uns heute präsentiert.<br />
Armut und Elend, die einst hier zu Hause waren, werden<br />
glücklicherweise nur noch vor unserem geistigen Auge<br />
sichtbar.<br />
(Vortrag anläßlich der Einweihung des Kunst-Museums<br />
Laiz mit Werken des in Laiz geborenen Künstlers Josef Henselmann<br />
am 12. Juni 1999)<br />
Quellen und Literatur (soweit nicht gesondert aufgeführt):<br />
Zum Leprosenhaus in Laiz mit weiteren Belegen:<br />
Andreas Zekorn, Zwischen Habsburg und Hohenzollern. Verfassungs-und<br />
Sozialgeschichte der Stadt Sigmaringen im 17. und<br />
18. Jahrhundert, Sigmaringen 1996 (Arbeiten zur Landeskunde<br />
Hohenzollerns, Bd. 16), S.237-248<br />
Zur Lepra und den Leprosenhäusern allgemein:<br />
- Artikel »Aussatz«, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. I,<br />
Sp.12491257<br />
- Manfred Vasold, Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und<br />
Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991, bes.<br />
S. 35ff., S.99f., S.104f., S.161.<br />
- Arnold Weller, Sozialgeschichte Südwestdeutschlands, Stuttgart<br />
1979, bes. S. 13-24.<br />
Anmerkungen:<br />
1 STAS, Ho 80a, C.II.l.c.Nr. 1., Verhörs-, Amts- und Oberamtsjustizprotokoll<br />
46,p.552 (16.6.1752).<br />
2 STAS, Dep. 1, Akt. 1975.<br />
3 Maximilian Schaitel, Das Sondersiechenhaus in Laiz, in:<br />
Schwarzwälder Bote 1952, Nr. 33.<br />
4 Maximilian Schaitel, Das Sondersiechenhaus in Laiz.<br />
61
GERD BANTLE<br />
Professor Dr. med. Hermann Lieb<br />
Mit der Geschichte des Sigmaringer Fürst-Carl-Landeskrankenhauses<br />
(heute Kreiskrankenhaus) ist ein Name eng<br />
verbunden, der des langjährigen Arztlichen Direktors, Professor<br />
Dr. Hermann Lieb. Er starb 1968.<br />
Auch in Hettingen ist man heute noch stolz auf Professor<br />
Dr. Lieb, der am 6. April 1897 in dem Lauchertstädtchen<br />
zur Welt kam. In Würdigung seiner Verdienste wurde er am<br />
17. November 1954 zum Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde<br />
ernannt. Nach ihm wurde dort auch eine Straße<br />
benannt.<br />
Als der Arztliche Direktor vor 30 Jahren in seinem Sigmaringer<br />
Heim an der Brenzkofer Straße (heute wohnt Bürgermeister<br />
Gerstner dort) gestorben war, wurde sein Lebenswerk<br />
in ehrenden Nachrufen umfangreich gewürdigt.<br />
Hervorgehoben wurden unter anderem seine große ärztliche<br />
und menschliche Einsatzbereitschaft, sein Pflichtbewußtsein<br />
und fachliches Wissen sowie sein Weitblick, der<br />
für die Krankenhaus-Entwicklung förderlich gewesen ist.<br />
Dr. Hermann Lieb wirkte von 1924 bis 1963 im Fürst-Carl-<br />
Landeskrankenhaus, dem er von 1943 an als Arztlicher Direktor<br />
vorstand als Nachfolger von Dr. End. Höhepunkte<br />
in seinem Leben waren außer der Verleihung der Hettinger<br />
Ehrenbürgerwürde 1952 die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes<br />
und 1954 die Ernennung zum Professor.<br />
Der engagierte Mediziner war stets um Fort- und Weiterbildung<br />
bemüht und nutzte sein Wissen zur Weiterentwick-<br />
Buchbesprechungen<br />
Botho Walldorf, 100 Jahre Hohenzollerische Landesbahn<br />
AG 1899-1999, Von Lokomotiv-Lebensläufen und vergangenen<br />
Arbeitswelten.<br />
Der Bau der Hohenzollerischen Landesbahn, damals noch<br />
als Kleinbahn bezeichnet, begann am nördlichen und südlichen<br />
Ende, nämlich mit den Strecken Sigmaringendorf-Bingen<br />
und Eyach-Haigerloch. Gammertingen wurde<br />
schon 1901 mit Kleinengstingen verbunden und Burladingen<br />
mit Hechingen. Diese Strecken wurden von den »Loks<br />
mit dem langen Kamin« befahren. Jede Teilstrecke hatte<br />
auch einige Personenwagen und einen Packwagen. Das<br />
Buch bringt mehrere sehr schöne Abbildungen von diesen<br />
ältesten Landesbahn-Loks, von denen einige noch bis in die<br />
Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zu sehen waren.<br />
1908 wurden die einzelnen Strecken der Landesbahn durch<br />
den Bau der Strecke Burladingen-Gammertingen-Bingen<br />
zusammengeführt und mit dem 1909 erfolgten Anschluß<br />
des Regierungssitzes Sigmaringen fertiggestellt. Die Vergrößerung<br />
des Bahnnetzes und die Steilstrecken Killertal-Burladingen<br />
und Neufra-Gammertingen machten die<br />
Anschaffung von größeren Lokomotiven notwendig: Die<br />
Maschinen wurden größer, die Kamine kürzer. In der Betriebwerkstätte<br />
Gammertingen wurden die Loks gewartet<br />
und ständig modernisiert; auf Heißdampf umgebaut, mit<br />
neuen Bremssystemen, elektrischer Beleuchtung und vielen<br />
anderen Dingen versehen. 1956 fuhr auf der Landesbahn die<br />
erste Diesellok. Nach 1960 wurde der Dampflok-Betrieb<br />
endgültig eingestellt.<br />
Schon um 1934 wurde mit der Umstellung des Personen-<br />
62<br />
lung und Modernisierung des Sigmaringer Krankenhauses.<br />
So kam es nicht zuletzt dank seiner Initiativen zum Verbindungsbau<br />
zwischen dem Hauptgebäude, dem Josefshaus<br />
und dem Wirtschaftstrakt, zum Ausbau der Operationssäle,<br />
zur Einrichtung eines Entbindungsraums und Neugeborenenzimmers<br />
und von Röntgenräumen. Dann erfolgte die<br />
Einrichtung einer geburtshilflichen Abteilung.<br />
Auch an der Aufgliederung der allgemeinen Krankenabteilung<br />
in drei Fachabteilungen (Nervenabteilung, Chirurgie,<br />
Innere Abteilung) war Dr. Lieb maßgebend mitbeteiligt.<br />
Sein späterer Nachfolger, der heutige Sigmaringer Ehrenbürger<br />
Dr. Rudolf Eisele, würdigte Liebs Wirken als Arzt<br />
mit den Worten: »Seine Arbeits- und Einsatzbereitschaft für<br />
die Kranken kannte keine Grenzen.«<br />
Auch außerhalb seines ärztlicher Gebiets hat sich Professor<br />
Dr. Lieb für die Bevölkerung verdient gemacht: Als<br />
langjähriger Vorsitzender beim Kreisverein des Deutschen<br />
Roten Kreuzes und in der Kommunalpolitik, in der er sich<br />
im Kreistag engagierte, in den er auf der CDU-Liste 1953<br />
gewählt worden war. Verheiratet war Dr. Lieb mit Rosa<br />
Schüler, die ihm zwei Söhne und eine Tochter schenkte, die<br />
alle im Bereich der Medizin Fuß faßten. Es war ein schwerer<br />
Schlag für die Familie, als wenige Tage nach dem Tod von<br />
Professor Dr. Lieb auch dessen Sohn, der Zahnarzt<br />
Dr. Günter Lieb, Privatdozent an der Universität Würzburg,<br />
im Alter von erst 36 Jahren starb.<br />
verkehrs auf Triebwagen begonnen. Auch diese hat Walldorf<br />
ausführlich fotografisch dokumentiert. Das Buch<br />
bringt aber nicht nur Bilder von Loks, sondern auch von<br />
vielen anderen Einrichtungen. Es gab mehrere Bahnhöfe<br />
mit Wartesaal, Diensträumen und einer Dienstwohnung im<br />
oberen Stock, kleinere mit einem Dienstraum und Warteraum<br />
und schließlich kleine Fachwerk- oder Wellblechhütten<br />
wie in Mariaberg oder im Hasental in der Haid - Bedarfs-Haltestellen.<br />
Manche sind längst abgerissen, andere<br />
umgebaut. Es gab (und gibt) auch vieles, was die Fahrgäste<br />
nicht sahen, wie z. B. Signalanlagen, Schneeräumen,<br />
Streckenbegehung usw. Vieler Personen wird gedacht, die<br />
ihre Lebensarbeit bei der Landesbahn verbracht haben. Es<br />
gibt in dem Büchlein nicht nur technikgeschichtliche Fotos,<br />
sondern auch ausgesprochen romantische und schöne Bilder<br />
mit Sonne, Schnee, weißem Dampf und großen<br />
schwarzen Rauchwolken.<br />
Das Buch erschien im Selbstverlag des Verfassers: Botho<br />
Walldorf, Lenaustraße 23; 72827 Wannweil (DM 30.-).<br />
Hechingen und Burg Hohenzollern<br />
Herausgegeben von den in Hechingen geborenen Buchhändlerinnen<br />
Teresa Welte (von ihr stammen die meisten<br />
prächtigen Farbfotos) und Dorothea Welte (Text) erschien<br />
im Tübinger Silberburg-Verlag der 72seitige Bildband »Hechingen<br />
und Burg Hohenzollern« (ISBN 3-87407-273-8;<br />
29,80 DM). Es ist ein idealer Band zum Schmökern und<br />
Verschenken. Er informiert kurz und prägnant über die be-
wegte Stadtgeschichte und das Betrachten der Bilder macht<br />
Lust, sich an Ort und Stelle auf Entdeckungsreise zu begeben,<br />
denn Hechingen und die Umgebung haben weitaus<br />
mehr an Sehenswürdigkeiten und Attraktionen zu bieten als<br />
»nur« die Burg Hohenzollern, in der allein es natürlich genug<br />
zu schauen und zu erleben gibt. Textteil und Bilderläuterungen<br />
wurden von Linda Fecker und Hans Welte ins<br />
Englische und Französische übersetzt. Das Buch bringt daher<br />
nicht nur den Einheimischen Gewinn, sondern ist auch<br />
eine Fundgrube und schöne Erinnerung für auswärtige und<br />
ausländische Hechingen-Besucher. ba<br />
Lesegenuß und Rätselraten<br />
Wer sich für Landesgeschichte interessiert und gern Rätsel<br />
löst, sei auf zwei im Silberburg-Verlag erschienene 128seitige<br />
(Preis je 19,80 DM) Bücher aufmerksam gemacht: »Wer<br />
weiß, wer's war?« (ISBN 3-87407-306-8) und »Wer weiß,<br />
wo 's ist?« (ISBN 3-87407-307-6). Im ersten stellt der Journalist<br />
Helmut Engisch 60 baden-württembergische Persönlichkeiten<br />
vor, deren Namen zu erraten sind, und im zweiten<br />
fragt der Journalist und Historiker Dr. Jürgen Heinel<br />
nach 50 Orten, Bauwerken und Gegenden, die in Württemberg<br />
geschichtlich bedeutsam sind. Die Lösungen werden<br />
(im Anhang leicht versteckt) mitgeliefert und enthalten<br />
nochmals vielerlei interessante Informationen. Da auch<br />
Anekdotisches nicht zu kurz kommt, werden Lesen und<br />
Raten zum Genuß. Fotos im einen und Zeichnungen im andern<br />
Band sorgen für zusätzliche Auflockerung. ba<br />
Schwäbisches Paradies<br />
Von dem Ulmer Schriftsteller Manfred Eichhorn ist im Silberburg-Verlag<br />
ein weiteres Mundartstück erschienen: »Das<br />
Schwäbische Paradies« (112 Seiten, 12 Fotos, 19,80 DM;<br />
ISBN 3-87407-339-4). Zugrunde liegt dem Buch »Die<br />
G'schicht vom Brandner Kaspar« von Franz von Kobell<br />
und Kurt Wilhelm. Manfred Eichhorn schuf einen Sechsakter<br />
für Laientheater-Ensembles (19 Rollen; durch Doppelbesetzung<br />
kann das Stück von vier weiblichen und sechs<br />
männlichen Darstellern bewältigt werden), dem es an Witz,<br />
Hintergründigkeit und Dramatik nicht mangelt. Im Inhalt<br />
geht es um die Frage: Gelingt es, dem Tod ein Schnippchen<br />
zu schlagen? ba<br />
Ihren Nachkommen hat Anna Schmidt aus Gauselfingen<br />
das Buch »Und trotzdem scheint die Sonne durch« gewidmet<br />
(Mauer-Verlag, Rottenburg, ISBN 3-931627-50-0). Lesenswert,<br />
weil ehrlich erzählt und anrührend, ist es aber<br />
auch für jenen Leserkreis, der lebensnahe, unverfälschte Lebensgeschichten<br />
aus dem Bereich der Heimat schätzt. Anna<br />
Schmidt beschreibt das wechselvolle Leben ihrer Familie, in<br />
der der Vater die Hauptrolle spielt. Es geht um Not und<br />
Scheitern, aber auch um gegenseitige Hilfe und Gemeinschaftssinn.<br />
Viele Zeitgenossen dürften Ähnliches erlebt haben<br />
und das Buch darum mit Rührung und innerem Gewinn<br />
lesen. Schade ist, daß bei Drucklegung und Buchbindung<br />
nicht gerade mit Sorgfalt gearbeitet wurde.<br />
Anschrift der Verfasserin: Anna Schmidt, Bubenhofenstraße<br />
4; 72393 Burladingen. ba<br />
Tagung »Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau«<br />
Die variantenreiche Vielfältigkeit der habsburgischen Herrschaft<br />
in Südwestdeutschland in Spätmittelalter und Früher<br />
Neuzeit offenbarte eine Vortragsveranstaltung unter dem<br />
Thema »Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer<br />
Donau«, zu der die Landkreise Rottweil, Sigmaringen,<br />
Tuttlingen und Zollernalb sowie der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong><br />
am 16. Oktober 1999 nach Schömberg-<br />
Schörzingen eingeladen hatten. Nach der Begrüßung durch<br />
den Baiinger Landrat Willi Fischer im Namen der veranstaltendn<br />
Landkreise wurden den annähernd 100 Zuhörern in<br />
der Schörzinger Hohenburghalle in insgesamt acht Einzelvorträgen<br />
regionale Fallbeispiele und Erscheinungsformen<br />
der österreichischen Herrschaftspraxis und der damit stets<br />
einhergehenden ausgeprägten Partizipation der bäuerlichen<br />
und bürgerlichen Untertanen vorgestellt.<br />
Der Rottweiler Kreisarchivar Bernhard Rüth stellte den<br />
kaufweisen Übergang der Ritterherrschaft Schramberg an<br />
das Haus Österreich 1583 als geradezu zwangsläufige Konsequenz<br />
einer bereits lange bestehenden Einbindung der<br />
Herrschaftsinhaber in das habsburgische Netzwerk dar.<br />
1648 wurde die an der Nahtstelle zwischen Schwäbisch-<br />
Österreich und den habsburgischen Besitzungen im<br />
Schwarzwald und am Oberrhein gelegene Herrschaft an die<br />
Freiherren und späteren Grafen von Bissingen und Nippenburg<br />
verpfändet und in der Folge sodann als sog. Kunkellehen<br />
unter Vorbehalt der österreichischen Landeshoheit<br />
überlassen. Interessant ist, daß nach Rüths Worten in der<br />
kollektiven Erinnerung der Schramberger die Verbindung<br />
zu den vor Ort ansässigen Bissinger Pfand- und Ortsherren<br />
den österreichischen Zusammenhang weithin überlagert<br />
hat. Durch eine lange und wechselvolle Verpfändungsge-<br />
schichte zeichnet sich auch die benachbarte, von Hans Peter<br />
Müller vorgestellte Herrschaft Oberndorf aus, die 1381<br />
zusammen mit der Grafschaft Hohenberg von Österreich<br />
erworben worden war. Die Bandbreite der Pfandherren<br />
reicht von den schwäbischen Reichsstädten, den Markgrafen<br />
von Baden, den Herren von Zimmern und Württemberg<br />
im Spätmittelalter bis zu den Herren von Hohenberg und<br />
den Herren von Pflummern im 17. und 18. Jahrhundert.<br />
Auf eine lange und überaus vitale Tradition der kommunalen<br />
und landschaftlichen Partizipation und Repräsentation<br />
der Untertanen konnte der Tuttlinger Kreisarchivar Dr. Joachim<br />
Schuster in seinem Vortrag über »Friedlingen und<br />
Spaichingen - die >Hauptorte< Oberhohenbergs« verweisen.<br />
Die Geschichte der Oberhohenberger Landschaft als einer<br />
genossenschaftlichen Interessen- und Leistungsgemeinschaft<br />
der 15 Ortschaften der »oberen« Grafschaft läßt sich<br />
dabei bis ins 15. Jahrhuzndert zurückverfolgen. Über den<br />
ursprünglichen Hauptdaseinszweck im Steuerwesen hinaus<br />
entwickelt sich die Landschaft in der Frühen Neuzeit zu einer<br />
selbstbewußten und streitbaren Korporation, die beispielsweise<br />
zum Nutzen der bäuerlichen Bevölkerung zeitweise<br />
den herrschaftlichen Forst pachtet und sich der Verpfändung<br />
der Herrschaft an die Herren von Ulm<br />
widersetzt. Fridingen, dem einzigen Städtchen und jahrhundertelangen<br />
Amtssitz Oberhohenbergs wurde im Laufe<br />
des 17. und 18. Jahrhunderts von Spaichingen als Wirtschaftszentrum<br />
und sodann auch als Verwaltungsmittelpunkt<br />
der Rang abgelaufen.<br />
Die Risiken der von Habsburg betriebenen Verpfändungspolitik<br />
konnte der Sigmaringer Kreisarchivar Dr. Edwin<br />
Ernst Weber am Beispiel der Herrschaft Gutenstein deut-<br />
63
Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />
E 3828<br />
PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />
lieh machen, geriet hier doch in den eineinhalb Jahrhunderten<br />
der Pfandschaft der Herren und Grafen von Zimmern<br />
die Zugehörigkeit zu Osterreich weitgehend in Vergessenheit.<br />
Zudem nahmen die Meßkircher Pfandherren gegen<br />
den Widerstand ihrer bäuerlichen Untertanen eigenmächtige,<br />
gewaltsame Veränderungen von Gemeindegrenzen vor,<br />
die drei der vier gutensteinischen Ortschaften massive und<br />
lange nachwirkende Konflikte bescherten. Für die österreichisch<br />
lehenbaren Grafschaften Sigmaringen und Veringen<br />
was das Erzhaus in erster Linie als Appellationsinstanz<br />
in den zeitweise massiven Konflikten zwischen der zollerischen<br />
Ortsherrschaft und ihren bäuerlichen und bürgerlichen<br />
Untertanen vom 16. bis ins 18. Jahrhundert von Bedeutung.<br />
Der Baiinger Kreisarchivar Dr. Andreas Zekorn<br />
verwies in seinem »unter dem Schutzflügel des Kaiseradlers«<br />
überschriebenen Beitrag auf die ausgleichende und<br />
konflikteindämmende Wirkung, die Österreich als Lehensund<br />
Landesherrschaft in diesen Auseinandersetzungen ausübte.<br />
Von einer fortschreitenden »Verbauerung«, einem Vordringen<br />
der landwirtschaftlichen Orientierung war nach den<br />
Worten des Rottenburger Stadtarchivars Karlheinz Geppert<br />
M. A., die wirtschaftliche Entwicklung der österreichischen<br />
Städtchen Schömberg und Binsdorf in der Frühneuzeit geprägt.<br />
Von schier endlosen und für die verschiedenen Pfandherren<br />
geradezu ruinösen Untertanenkonflikten berichtete<br />
Dr. Martin Zürn in seinem Vortrag zu der auf dem Heuberg<br />
gelegenen und vier Dörfer umfassenden österreichischen<br />
Herrschaft Kallenberg in der Frühen Neuzeit. Hauptkonfliktpunkte<br />
waren dabei der herrschaftliche Anspruch auf<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638, 72486<br />
Sigmaringen.<br />
ISSN 0018-3253<br />
Erscheint vierteljährlich.<br />
Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />
ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />
besonders die Bevölkerung im alten Land<br />
Hohenzollern und den angrenzenden Landesteilen<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat<br />
vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge.<br />
Bezugspreis:<br />
Für Mitglieder des Hohenzollerischen<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s ist der Bezugspreis im<br />
Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />
DM 13,00 jährlich.<br />
Abonnements und Einzelnummern (DM<br />
3,25) können beim Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
(s. o.) bestellt werden.<br />
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Die Autoren dieser Nummer:<br />
Gerd Bantle<br />
Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen<br />
Dr. Otto H. Becker,<br />
Hedingerstraße 17, 72488 Sigmaringen<br />
Dr. Hermann Frank<br />
Im Wägner 24, 72070 Unterjesingen<br />
Thomas Jauch<br />
Lenauweg 36, 72379 Hechingen<br />
Walter Kempe<br />
Silcherstraße 11, 88356 Ostrach<br />
Karl Werner. Steim<br />
Berliner Straße 72, 88499 Riedlingen<br />
Rolf Vogt<br />
Marktplatz 6, 72379 Hechingen<br />
Dr. Edwin Ernst Weber<br />
Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />
Dr. Andreas Zekorn<br />
Landratsamt, Hirschbergerstraße 29,<br />
72334 Balingen<br />
die Nutzung von Allmenden und Waldungen, gegen den<br />
sich die bäuerlichen Gemeinden in einer langen Widerstandstradition<br />
zur Wehr setzen.<br />
Nach einem von der Volkstanzmusik Frommem umrahmten<br />
Empfang durch den Zollernalbkreis und die Stadt<br />
Schömberg und Grußworten u. a. von Dr. Otto Becker,<br />
dem Vorsitzenden des Hohelzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s,<br />
verwies Prof. Dr. Franz Quarthai in seinem abschließenden<br />
Abendvortrag auf den engen, bis ins 14. Jahrhundert<br />
zurückzuverfolgenden Zusammenhang zwischen<br />
dem Aufbau und Funktionieren der österreichischen Herrschaft<br />
einerseits und der finanziellen Mitwirkung der betroffenen<br />
Untertanen andererseits. Der Erwerb Hohenbergs<br />
beispielsweise gelang Österreich 1381 gegen die Konkurrenz<br />
Württembergs nur dank der außerordentlichen<br />
Unterstützung durch die Untertanen der Grafschaft, die aus<br />
politischem Kalkül unter die Herrschaft des mächtigen Erzhauses<br />
strebten. Nach Quarthals Bewertung ist dieser Vorgang<br />
im ausgehenden 14. Jahrhundert der Ausgangspunkt<br />
für die jahrhundertelange, lebendige Tradition der politischen<br />
Repräsentation und Partizipation der Untertanen und<br />
ihrer Landschaften in Hohenberg.<br />
Bie Beiträge der inhaltlich fruchtbaren Tagung, die die<br />
Kenntnisse über die zeitweise nahezu in Vergessenheit geratende<br />
österreichische Vergangenheit unserer Region beträchtlich<br />
erweitern konnte, werden in einem Sammelband<br />
veröffentlicht, den die beteiligten Landkreise im kommenden<br />
Jahr herausgeben wollten.<br />
Dr. Edwin Ernst Weber<br />
Gesamtherstellung:<br />
Jan Thorbecke Verlag,<br />
70173 Stuttgart, Eberhardstraße 69-71<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth,<br />
Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />
Telefon 07574/4407<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />
diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />
verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />
sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />
Heimat« weiterzuempfehlen.