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Nummer 3, März 2008<br />

<strong>Planet</strong><br />

Olten


Der Industriestrasse entlang.<br />

Auf einen Hamburger im Rathskeller.<br />

Wenn man einen Film in Originalversion sehen will,<br />

geht man nach Aarau.<br />

Titelseite: Blick durch ein Oblicht auf das Rathaus.<br />

Fotos Seite 1 bis 7: Jeannine Hangartner<br />

Heisse Marroni auf dem Weg über die Holzbrücke<br />

in die Altstadt.<br />

«Neue Sachlichkeit» im Strandbad Olten.<br />

Olé!ten – Wir kommen<br />

Normalerweise treffen wir uns um diese Zeit<br />

an einem Samstag zufällig am Graben beim<br />

Gemüse- oder Käsestand, in der Garage,<br />

am Ziegelrain oder im Gossip beim Kaffee;<br />

heute aber ist alles anders. 10:39 (weltgewandte<br />

ZugfahrerInnen wissen jetzt schon,<br />

was der Fahrplan zu dieser Zeit verspricht)<br />

und fünf abenteuerlustige Q-Redaktorinnen<br />

finden sich auf Gleis 4 ein, das Gepäck für<br />

zwei Tage geschultert. Wir fliegen aus. Eine<br />

andere Dimension haben wir uns vorgenommen,<br />

so nah und doch so fern: <strong>Planet</strong> Olten.<br />

Wo normalerweise nur vorbeigefahren wird,<br />

wo man sich nach einem Theater- oder sonst<br />

irgendeinem Besuch in Basel oder Bern beim<br />

Umsteigen auf den letzten Zug in Richtung<br />

Aarau trifft, haben wir ein Hotel gebucht:<br />

Olten Endstation, wir müssen aussteigen.<br />

Noch in der Bahnhofsunterführung, wenden<br />

wir uns mit der Frage, was man denn in<br />

Olten so tut, an eine Passantin: «Man fährt<br />

vorbei», ist die prompte Antwort. Etwas irritiert<br />

schauen wir ein letztes Mal auf die<br />

Anzeigetafeln und prüfen unsere Anschlüsse;<br />

keine Bange, hier kommen wir jederzeit<br />

wieder weg, mehrmals stündlich in alle Himmelsrichtungen.<br />

Wir halten uns für’s erste an die Schienen<br />

und dringen immer tiefer ein ins scheinbare<br />

Brachland der Lagerhallen. Unterhalb der<br />

auf dem Hügel thronenden Kantonsschule,<br />

erstreckt und manifestiert sich eine Seite<br />

Oltens, wo vielfältig und vielerorts angeknüpft<br />

werden kann. Madeleine Rey wird als<br />

Korrespondentin losgeschickt und tippt für<br />

die Daheimgebliebenen ‹Olten und sein Ge -<br />

genüber›. Wir gehen ebenfalls nach Gegenüber,<br />

überqueren die Aare und promenieren<br />

durch das in unseren Augen erfrischend<br />

weltstädtisch anmutende Zentrum der Stadt.<br />

Barbara Schwarz soll für uns auf einem architektonischen<br />

Rundgang die ‹Oltner Abendsonne›<br />

geniessen, während dem Jeannine<br />

Hangartner und Sandra Walti die Stadt ins<br />

Bild rücken.<br />

Unser Hotel liegt, grob lokalisiert, zwischen<br />

Aare und Jura, neben dem zehngeschossigen<br />

Hochhauskörper des Stadthauses<br />

und dem Trendlokal Magazin, wo sich am<br />

Wochenende die Landjugend aus dem Gäu<br />

vergnügt («die Stadt-Oltner zieht’s nach<br />

Zürich, Bern, Basel am Wochenende, die<br />

Leute vom Lande wiederum nach Olten»; der<br />

Eindruck hat also nicht getäuscht). Unsere<br />

Herberge hält, was sie verspricht: ein Bett<br />

zum Schlafen. Sie bietet aber noch mehr: im<br />

obersten Geschoss des Hotel Astoria trifft<br />

man sich im sisième zum Umtrunk mit Sicht<br />

auf die Stadt, doch wo es die Oltener Schickeria<br />

hinzieht, wollen wir weg. Wir verzichten<br />

auf die Übersicht und stürzen uns ins<br />

Getümmel.<br />

Wer Neuland erschliesst, will gestärkt sein<br />

und so begeben wir uns in den Kübel, wie<br />

das Restaurant Rathskeller gemeinhin genannt<br />

wird und be stellen, was dort alle<br />

bestellen: den legendären Hamburger. Die<br />

Szenerie ist beein druckend und wer nicht<br />

gerade mit dem von Saucen triefenden Menü<br />

ringt, zählt die Schiesseisen an der Wand<br />

(«die Oltner sind jederzeit für eine Revolution<br />

vom Kübel aus bereit») oder beobachtet<br />

die Einheimischen, die sich über alle gesellschaftlichen<br />

Schichten hinweg um die Tische<br />

scharen, ihrerseits versuchend, gute Essmanieren<br />

und den anscheinend besten Hamburger<br />

der Schweiz unter einen Hut zu bringen.<br />

Städtereisen lassen sich nur schwer von<br />

der Gastronomie trennen, darum lassen wir<br />

uns sagen, dass das Abendbrot am besten im<br />

Salmen zu geniessen ist und wir auf einen<br />

Schlummertrunk in der Vario Bar vorbeischauen<br />

sollen, was wir natürlich tun, um<br />

dort zu später Stunde als Aarauer Touristen<br />

Aufsehen zu erregen. Zuerst aber entdecken<br />

wir die Waadtländerhalle an der Marktgasse<br />

und bestimmen dieses ‹Sevilla von Olten› auf<br />

Anhieb zur Stammkneipe des Aufenthalts.<br />

Der Tiger, Jörg Binz und wie sie alle heissen,<br />

bemerken unter Gelächter und Augenzwinkern:<br />

«dass sich diese Frauen in eine solche<br />

Spelunke getrauen, wo nur die Räuber<br />

sind!» Wir schauen nicht nur tief ins Glas,<br />

sondern bei anregenden Gesprächen auch<br />

tief in die Seelen unserer Oltner Tischnachbarn<br />

(«da habt ihr ja bereits die Stadtoriginale<br />

getroffen», erklärt man uns später in der<br />

Vario Bar). Obwohl die Luft in Oltens Kneipen<br />

keineswegs dick ist und wir von der<br />

Offenheit der Stammgäste betört sind, treibt<br />

es uns wieder nach draussen, ans Wasser.<br />

«Selbst die Aare würde, wenn es ihr möglich<br />

wäre, einen grösseren Bogen um Olten<br />

machen», titelt eine Fasnachtszeitung, «zum<br />

Glück ist es ihr nicht möglich», denken wir<br />

und sind uns einig, dass mitunter die Nähe<br />

zum Wasser die Oltner Altstadt ausmacht<br />

und diese oltische Version des ‹Röstigrabens›<br />

(in diese Terminologie führten uns die Waadtländerhallen-Gäste<br />

ein) äusserst reizvoll ist.<br />

Nach einem kleinen Flirt mit dem Marronimann,<br />

dessen Kiosk sich in Form eines angenehm<br />

improvisiert erscheinenden Bretterverschlags<br />

müde an die alte Holzbrücke lehnt,<br />

stranden wir in der Oltner Badi, deren Gebäude<br />

wie ein Schiff im Hafen am Westende der<br />

Altstadt ruht. Fantastisch finden wir dieses<br />

Strandbad in allen Belangen und der Tenor<br />

ist einstimmig, das wollen wir auch für Aarau<br />

– übrigens nicht das Einzige, was wir vom<br />

Fleck weg importiert hätten.<br />

Angela Thut<br />

www.magazin-olten.ch, www.rathskeller.ch,<br />

www.salmen-olten.ch, www.variobar.ch<br />

2 Q Zeitung Aarauer Kultur 3/08<br />

Q Zeitung Aarauer Kultur 3/08 3


Aareaufwärts.<br />

Hier beginnt die Westschweiz.<br />

Blick aus dem Hotelzimmer auf die Rathausfassade.<br />

Brachland SüdWest bietet vorerst noch Platz für kulturelle<br />

Grossprojekte.<br />

Im Magazin, wo sich am Wochenende die Jugend<br />

aus dem Gäu vergnügt.<br />

Olten hat die Abendsonne<br />

Die Bahnhofunterführung entlässt einen<br />

gleich auf die Aare hinaus, wunderbar, und<br />

unter dem Niveau des verkehrsreichen Bahnhofquais<br />

führt die Fussgängerprome nade<br />

aareaufwärts und über die Holzbrücke in die<br />

Altstadt. Römisches Castrum einst und im<br />

Mittelalter eine Frohburger Stadt, winzig, in<br />

wenigen Schritten die Hauptgasse hoch und<br />

man steht in einem nächsten Olten und in<br />

der Abendsonne dazu. Hier beginnt die Westschweiz.<br />

Mehrstöckige Häuser in Zeilen und<br />

gebündelt zu Blocks mit Innenhöfen, fassen<br />

die Strassen und Plätze. Sich einmal auf dem<br />

Absatz gedreht, und man hat Baustile aller<br />

Jahrzehnte ab der vorletzten Jahrhundertwende<br />

bis heute gesehen. Nahtlos aneinander<br />

gefügt, sagen Fassaden mit rund geschwungenen<br />

Balkonen, eingelassenen Loggien,<br />

übers Eck gekachelten Streifen, mit je<br />

nach Zeitgeist proportionierten Fensterflächen<br />

zu Hauswänden und deren Rolllädenlamellenmaterialien:<br />

Jurasüdfuss! So gut ist<br />

der Mix, es verträgt da auch gewisse fette<br />

Mocken, wie das Gebäude, beschriftet mit<br />

«Die Mobiliar» an der Baslerstrasse. Mittendrin,<br />

augenfällig und Herzklopfen machend,<br />

das Stadthaus, ein zehnstöckiger Betonbau<br />

auf Pfeilern stehend und mit plastischen<br />

Dachaufbauten, «die Stadtsilhouette tangierend»<br />

– ausserordentlich Olten! – grüsst es<br />

Marseille und Chandigarh, 1966 nach dem<br />

Vorbild Le Corbusiers gebaut. Im obersten<br />

Stock betreibt der Kunstverein einen Ausstellungsraum,<br />

nicht wegen der Aussicht<br />

geht man hin und hat sie aber doch. Davor<br />

das alte Feuerwehrmagazin, ein schlichtes,<br />

lang gezogenes Gebäude aus dem Jahr 1930.<br />

Das Parterre umgebaut zum Lokal Magazin,<br />

ein einziger weitläufiger Raum mit Bar und<br />

Restaurant, jetzt, am Sonntagnachmittag,<br />

stehen, sitzen hundert Leute da, eher mehr,<br />

trinken, schwatzen, füllen die Dimensionen<br />

des Lokals, erstaunlich. Ein Tick zuviel Effizienz<br />

hängt im Ambiente, aber dennoch. In<br />

den oberen Stockwerken zeigt das Historische<br />

Museum zur Zeit «100 Jahre Usego».<br />

Hinreissende Verpackungen, köstlicher Detailhandel,<br />

Banago. Alle Firmennamen mit<br />

O am Schluss deuten auf Olten. Nago, ERO,<br />

Usego. O ist gut.<br />

Stadthaus, Magazin, Hübelischulhaus,<br />

Stadtkirche und die Rückenfassaden von<br />

Kunstmuseum/Naturmuseum umzingeln einen<br />

Platz mit alten Bäumen, den Munzinger<br />

Platz, ein herrlicher Parkplatz, das kann man<br />

sagen.<br />

Vor der Westfassade der Stadtkirche sitzen<br />

auf einer breiten dreistufigen Treppe<br />

die Leute, einen Becher vom gegenüberliegenden<br />

Mc Donalds in der Hand – die Kette<br />

hat sich im Eckhaus der Zeile Chorherrenhäuser<br />

eingemietet, 1701 gebaut, als das Stift<br />

Schönenwerd den Umzug hierher plante –<br />

und durch die Kirchgasse rohren ein paar<br />

Autorowdies, immer noch die Abendsonne.<br />

Das Kunstmuseum war schon viele Besuche<br />

wert. Dieses Mal fällt mir beim Gang<br />

durch die verschachtelten Räume ein, dass<br />

ich von Zukunftsplänen irgendwo gelesen<br />

habe, die Museen der Stadt zu renovieren.<br />

Weg mit dem Charme des Unperfekten,<br />

knarrendes Parkett, Linoleum und Nadelfilz<br />

unter den Füssen, von der Decke her der<br />

Lichtmix aus Neon- und Glühbirnen. Im Parterre<br />

hängt zur Zeit ein Gemälde von Martin<br />

Ziegelmüller, Olten, Blick aus dem Stadthaus<br />

gegen den Bahnhof, 1984, darin eingefangen<br />

purer Oltner Power. Ein Mü davon für den<br />

Umbau nehmen, das wird gut.<br />

Einen Katzensprung machen und man<br />

steht, gleich hinter dem Bahnhof Olten Hammer,<br />

in einer Kiesgrube. Hier wird seit 1890<br />

Kies abgebaut und seit 1928 musste das<br />

Portlandcementwerk Olten, PCO, das ganze<br />

Gheid eingenommen haben, jetzt eben ist es<br />

rückgebaut. Pläne für einen neuen Stadtteil<br />

Olten SüdWest, erste Wettbewerbe wurden<br />

bereits in den 70er Jahren durchgeführt,<br />

haben sich bis heute alle wieder zerschlagen.<br />

Als erstes wird die immense, eingeebnete<br />

Schotterterasse zum Campingplatz für Kultur.<br />

Ab dem 22. Mai richtet sich dort Karls<br />

Kühne Gassenschau ein mit ihrem Programm<br />

Silo8. Ganz am Rand stehen, wohl<br />

zwischendeponiert, Sesselbahngondeln auf<br />

dem Zementplattenboden, beschriftet mit<br />

Tourismuszielen, senfgelbe für Swieradów-<br />

Zdrój, graue mit der Aufschrift XBOX, rote,<br />

grüne, gelbe, blaue für Sigunjang, fabriziert<br />

in Aarburg. Und wenn wir schon bei Theater<br />

sind und der weiten Welt: vom 28. 2. bis<br />

1. 3. 2008 gibt’s im Stadttheater Olten das<br />

zweite Secondo Theaterfestival mit fünfzehn<br />

Produk tionen von und mit Secondos und<br />

Secondas aus der ganzen Schweiz.<br />

Barbara Schwarz<br />

Historisches Museum: «Spurensuche: 100 Jahre<br />

Usego – Union Schweizerische Einkaufs-Gesellschaft<br />

Olten». Bis 30. März 2008.<br />

www.historischesmuseum-olten.ch<br />

www.kunstmuseumolten.ch<br />

www.secondofestival.ch<br />

4 Q Zeitung Aarauer Kultur 3/08<br />

Q Zeitung Aarauer Kultur 3/08 5


Demarkationslinie Eisenbahn.<br />

Rosengasse: Wo mal eine Gärtnerei war, soll bald ein<br />

Hochhaus entstehen.<br />

Olten Transit.<br />

Global Food versus Essen aus der ganzen Welt.<br />

Olten und sein Gegenüber<br />

Olten und Knoten gehört zusammen wie ein<br />

Paar Schuhe. Olten ist Knoten, und Punkt!<br />

Eisenbahnknotenpunkt am Jurasüdfuss. Hier<br />

kreuzen sich die Schienen der Nord-Südund<br />

der West-Ost-Achse. Zwischen Hauenstein-,<br />

Gotthard- und Mittellandlinie öffnet<br />

sich der Transit, ein Durchgangsraum, wo<br />

sich Vieles in dafür bestimmten Lagerräumen<br />

ansammelt und via Verteilzentren wieder<br />

nach aussen spediert wird. Mit dem Aufkommen<br />

des Autoverkehrs entschwinden<br />

Lager und Verteilung hinaus aus der Stadt an<br />

den Autobahnknoten ins Fadenkreuz der A1<br />

und A2.<br />

Da gab es auch einmal einen Kunstknotenpunkt.<br />

Daran erinnert die Publikation<br />

«Olten um 1970: Die gloriosen Jahre». Von<br />

dieser Aufbruchstimmung, die auch den Jazz<br />

und das Theater erfasste, fibrieren noch<br />

Restteilchen. In diese Zeit fiel die Gründung<br />

der Gruppe Olten und die Durchführung<br />

der ersten und einzigen Oltner Literaturtage,<br />

und auch Pink Floyd spielte während<br />

der Europatournee im November 1968 im<br />

Hammer eines von zwei Konzerten in der<br />

Schweiz.<br />

Wer mit dem Zug in Olten ankommt, verlässt<br />

den Bahnhof entweder auf die eine<br />

oder auf die andere Seite hinaus. So ist es<br />

nicht nur die Aare, die das linke und das<br />

rechte Ufer voneinander trennt. Die eigentliche<br />

Demarkationslinie ist die Eisenbahn.<br />

Zueinander gelangt man unterirdisch durch<br />

eine lange Passarelle. Überirdisch findet man<br />

in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof in den<br />

grossen Konferenzsälen zueinander. Im Niemandsland.<br />

Diese Grenzziehung entspreche seit Jahrzehnten<br />

einer sozialen Grenzlinie innerhalb<br />

der Gemeinde. Laut einer Bestandesaufnahme<br />

der Fachhochschule Nordwestschweiz<br />

«Als Ausländer/-in in Olten leben», die der<br />

Stadtrat in Auftrag gab, liegt der Anteil der<br />

ausländischen Bevölkerung mit 27.7% bedeutend<br />

höher als der schweizerische Durchschnittswert.<br />

Und mit der Vermutung liegt<br />

man richtig, dass fast vier Fünftel davon auf<br />

der rechten Aareseite wohnen.<br />

Wenn man also von der Altstadt her zur<br />

Aare hinunter kommt… hinüber gehen Oltner,<br />

die auf der linken Aareseite leben übrigens,<br />

wenn überhaupt, dann vielleicht zwei<br />

Mal pro Jahr… dann also führt kein Weg<br />

gleich am Anfang der Unterführung an<br />

der berüchtigten Bar 97 vorbei, einer Wabe,<br />

deren Fenster ritzenlos mit Vorhängen abgedichtet<br />

sind, der letzte sichere Hafen bis morgens<br />

um 4 Uhr, wo angeblich alle eintreten<br />

dürfen, die nicht gewalttätig sind, ein Biotop,<br />

das einen eigentümlichen Einblick in das<br />

Funktionieren der Gesellschaft erlauben soll.<br />

In der Mitte der Passarelle dann eine Wandmalerei<br />

von Urs Boischambe aus dem Jahre<br />

1988, und «Holzbein» fügte oben an die<br />

Decke an, gemalt «in der wirtschaftlichen<br />

Prosperität, aber kulturlosen Zeit». Dann<br />

hinaus auf die alte Aarauerstrasse, einer Art<br />

Fussgängerzone mit Pizza, Kebap, Sun Set<br />

Cafe Bar. Etwas zurückversetzt beim Berufsbildungszentrum<br />

lohnt sich ein Blick auf die<br />

Skulptur «Der dreibeinige Mondaffe» von<br />

Franz Eggenschwiler. Weiter hinein in die<br />

neue Aarauerstrasse, der Nerv der rechten<br />

Aareseite, eine Art Kultur-Ess-Meile bis<br />

hinauf zum Restaurant Felsenburg. Auf der<br />

Höhe der Klarastrasse führt ein Eingang<br />

gleichzeitig ins Coiffeurgeschäft Graber<br />

Damensalon, in die Brocki für Tierzubehör<br />

und in die Cafe Bar Paraiso. Hier findet hinter<br />

einer Türe zusammen, was der erste<br />

Gedanke für unmöglich hält. Nach der Abzweigung<br />

nach Wil, Starrkirch thronen die<br />

katholischen Kirchenzentren, deren Türme<br />

sich hinauf in den Himmel strecken, als<br />

wollten sie hinüber winken. Und im Spiegel<br />

Gottes meine ich während dem leichten<br />

Anstieg eine Stimme zu hören, die mir da<br />

sagt: Du bist schön, dich kann nichts entstellen.<br />

So habe ich dich gewollt. In meinen<br />

Augen, bist du wunderbar, keine Stadt ist so<br />

wie du.<br />

Benannt nach der Vorkämpferin für das<br />

Frauenstimmrecht und ersten praktizierenden<br />

Ärztin des Kantons Solothurn, die hier<br />

geboren und gestorben ist, und für ihre<br />

Tätigkeit 1972 mit dem Kulturpreis des Kantons<br />

ausgezeichnet wurde, befindet sich am<br />

Fuss der Friedenskirche der Maria-Felchlin-<br />

Platz. Schon von weit unten begleitet einen<br />

der Spruch «Friede mit euch», der gut lesbar<br />

von der Kirchenmauer auf den Platz hinunter<br />

gerichtet ist, wo man stehen bleibt und<br />

kurz an die Aussöhnung der Geschlechter<br />

denkt.<br />

Wieder hinunter, lohnt sich ein Abstecher<br />

in die Rosengasse, und besonders im letzten<br />

Teil beim Isebähnli die kleinen, heruntergekommenen<br />

Häuschen der Arbeitervorstadt<br />

zu betrachten, die dank dem Verein «Rettet<br />

die Rosengasse» noch stehen. Niemand ist<br />

unterwegs. Das liegt wohl an der Kälte Ende<br />

Januar. In einem Hinterhof trocknet Wäsche,<br />

um die Hausecke montiert ein Jugendlicher<br />

sein Töffli und nebenan leert ein älteres Paar<br />

den Kofferraum vor einer Garagenbox und<br />

grüsst freundlich. Selbstbewusst ist die Stadt,<br />

die Oltner fragen einen gar nicht, ob einem<br />

die Stadt gefällt. Sie sagen es einem.<br />

Im Industriequartier, das sich wie ein Keil<br />

zwischen die Eisenbahnschienen und die<br />

Aare schiebt, entfaltet sich die Stadt vor<br />

allem nachts, beim Eindunkeln. Auf dem<br />

Parkplatz geht eine Frau in Berufskleidung<br />

hin und her. Eine kurze Episode wird sich<br />

bald anbahnen und ihren Lauf an einem<br />

öffentlichen Platz nehmen, der von Unbeteiligten<br />

durchquert wird. Etwas weiter hinten<br />

bei der Brücke nach Trimbach beginnt die<br />

zwei Kilometer lange Industriestrasse, einmal<br />

der längste Strassenstrich der Schweiz.<br />

Mit den Anhaltsverboten von acht Uhr<br />

abends bis fünf Uhr morgens hat sich das<br />

Problem in die Haslistrasse verlagert. Wer<br />

hierher kommt, kommt im Auto und muss<br />

keine Fahrpläne auswendig lernen und sich<br />

an keine Abfahrtszeiten halten.<br />

Es riecht nach Salz, nach angebratenen<br />

Fischen. Nach Frittierpfannen, Abgestandenem.<br />

Fremdem. Hier müsste das Meer sein.<br />

Eine Seemeile pro Stunde entspricht einem<br />

Knoten, nur dreizehn Kilometer von Aarau<br />

entfernt, liegt etwas in der Luft. Die Stadt<br />

eine Tigerin, die vor sich hin schlummert,<br />

und beim leisesten Flirren in der Luft den<br />

Kopf hebt und zum Sprung ansetzt. Nur, wo<br />

sie dann landet Vielleicht im Bahnhofbuffet,<br />

wo ich gerade sitze und beobachte, wie sich<br />

zwei Dienstkollegen treffen.<br />

Madeleine Rey<br />

Olten um 1970: Die gloriosen Jahre.<br />

Kunstverein Olten. 2007.<br />

Verein «Rettet die Rosengasse»<br />

www.rosengasse.org<br />

6 Q Zeitung Aarauer Kultur 3/08<br />

Q Zeitung Aarauer Kultur 3/08 7

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