September 2010 - Editions Etaina Verlag Martina Merks-Krahforst
September 2010 - Editions Etaina Verlag Martina Merks-Krahforst
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<strong>September</strong> <strong>2010</strong><br />
Werkstatt im Historischen Museum Saarbrücken:<br />
Ausstellung: „Kleine Saarländer“ - Kinderfotos aus 100 Jahren<br />
Kommunion, 1934<br />
© Historisches Museum Saar<br />
Junge mit Spielzeugpistole, um 1958<br />
Foto: Manfred Bauer<br />
© Historisches Museum Saar<br />
Motiv 1 und 2 der offiziellen Ausstellungs-Info<br />
Information: www.historisches-museum.org<br />
Anspruch<br />
Kleine Erwachsene<br />
in Pose gesetzt<br />
von der "fotographischen<br />
Kunstanstalt"<br />
Wenig Kunst<br />
Viel Anstalt<br />
Ein Brückenpfeiler<br />
50er Jahre<br />
in Saarbrücken irgendwo<br />
darauf in Kreide-Krakelschrift<br />
„Cornelius ist doof“<br />
Jahrzehnte später<br />
„style“ und „respect“<br />
Graffiti auf der Berliner Mauer<br />
und in einem Jugendbuch<br />
„Lena was here“ und<br />
„Kim & Sascha forever“<br />
Schwarze Fasermalerschrift<br />
im Kino auf einer<br />
Toilettentür<br />
M. MK<br />
K. Sch.<br />
Frauen-Schicksal ...?<br />
Lederhosen-Zeiten<br />
Meine waren rot und<br />
ebenso kurz<br />
Herzchentaschen<br />
mit Mausezähnchenspitze<br />
weiß umkettelt<br />
Auch das Brust-Lätzchen<br />
ein rotes Herz<br />
Gefühl wie Ronja Räubertochter<br />
oder Räuber Grapschs Töchter<br />
mit der Astschleuder in der Tasche<br />
über Stock Stein und Bach<br />
durch Frühjahr Sommer Herbst<br />
und zeitlos wilde Kindertage<br />
Urahnin, Großmutter, Mutter und Kind<br />
vor dem Bergmannshäuschen aufgereiht<br />
Schwarzgewandet, verhärmt das Gesicht<br />
blicken sie auf ihr Leben zurück:<br />
die beiden gestrengen Alten;<br />
Stolz und voller Mutterglück<br />
präsentiert die junge Frau ihr kleines Kind.<br />
Große Erwartungen lasten auf ihr,<br />
der jungen Mutter -<br />
wird sie<br />
aus der Reihe tanzen ...?<br />
K. Sch.<br />
M. MK<br />
Graffito v. Mirko <strong>Krahforst</strong>; in:<br />
Unsere Welt erstrahlt in vielen Farben – Notre monde<br />
rayonne de mille couleurs, ETAINA-<strong>Verlag</strong>, Tholey 2006
Schulklasse anno 1905<br />
So viele abstehende Ohren.<br />
Hörten sie besser?<br />
Sie mussten<br />
ge-horchen<br />
Kriegskinder<br />
K. Sch.<br />
Trautes Heim, Glück ...?<br />
Die Eltern reichen sich<br />
die Hände,<br />
die<br />
wie ein Damokles-Schwert<br />
über den Köpfen<br />
der Kinder<br />
drohen.<br />
kleine Ohren -<br />
zu fein für Bombendonner<br />
kleine Hände -<br />
zu zart für Asche und Schutt<br />
kleine Augen -<br />
zu offen für Not und Tod<br />
kleine Seelen -<br />
weinen<br />
Familien-Ähnlichkeit ?<br />
Die germanische Mutter<br />
trägt auf dem Arm<br />
einen dunklen, ernst<br />
dreinschauenden Knaben.<br />
Wurde dies‘ Kind<br />
Hitler geschenkt?<br />
Monika M.<br />
K .Sch.<br />
K. Sch.<br />
Uniformen<br />
I.<br />
Stolz präsentiert der Vater sich<br />
und seinen Sohn in Uniform<br />
Hält wachend seine Hand<br />
über das Kind<br />
Dreikäsehoch noch<br />
steht es in Uniform<br />
gewünscht als<br />
Abbild seines Vaters<br />
Ernst blickt der Junge<br />
schwer lastet<br />
auf dem Kind<br />
des Vaters Erwartung<br />
II.<br />
In Uniform stehn<br />
Vater und Sohn<br />
Stolz der eine - fühlt sich fast schon als Mann<br />
Der andere ernüchtert - auf Heimaturlaub<br />
Erinnerungsfoto<br />
Bevor<br />
er in den Krieg zog<br />
zog es ihn<br />
ins Foto-Atelier<br />
Beweis der Erfüllung seiner Vaterlandspflicht<br />
Stolz - in Uniform<br />
ein Foto für die Eltern<br />
die jüngeren Geschwister<br />
die junge Verlobte<br />
viel zu oft<br />
das einzige das ihnen blieb<br />
beide: M. MK<br />
Alle Fotos dieser Seite: © M. <strong>Merks</strong>-<strong>Krahforst</strong> (Privatarchiv)
Befehl - Gehorsam<br />
Aus<br />
geheimen Bunkern befehlen<br />
die Regierenden den Krieg<br />
Während sie befehlen<br />
beraten<br />
reden von<br />
großen Taten verrecken auf<br />
den Schlachtfeldern die<br />
Soldaten mit<br />
zerschossener Brust<br />
zerfetztem Bauch<br />
missbraucht und verraten<br />
Ihre Frauen und Kinder zu Haus’<br />
sterben auch im<br />
nächtlichen Bombenfall<br />
Der Verantwortlichen Bunker<br />
sind schallsicher und<br />
A B C - Waffen dicht<br />
Die Schreie<br />
der Sterbenden hört man<br />
hier nicht<br />
Kriegskind<br />
Geboren bei Bombenalarm in<br />
einem Bunker der Angst<br />
Gestillt unter Feuerregen<br />
schliefst du ein unter Sirenengeheul<br />
das deiner Mutter Schlafsummen<br />
erstickte<br />
Verschollen an der Front<br />
dein Vater ein Foto nur<br />
Heldenepen<br />
Märtyrertaten<br />
deine Märchenwelt<br />
Kriegsgesänge<br />
Schlachtparolen<br />
deine Kinderlieder<br />
Deine Spielplätze<br />
Minenfelder<br />
Bombenkrater<br />
Ruinen<br />
Durch alle Zeiten irrt<br />
dein Schrei nach<br />
Frieden<br />
© Foto u. beide<br />
Gedichte: M. MK<br />
Ein Haus für wen<br />
Glückliche Kinderzeit ...?<br />
Schmächtige Jüngelchen in Schwarz.<br />
Ahnten sie den Untertagebergbau?<br />
Zerbrechliche Mägdelein<br />
in dunkler Kittelschürze,<br />
mit 14 als Dienstmädchen<br />
in die Fremde<br />
an die<br />
„bessere Gesellschaft“<br />
verkauft.<br />
War das "die gute alte Zeit" ?<br />
K. Sch.<br />
Urgroßmutter Großmutter Mutter und Kind<br />
auf der Bank vor dem Haus beisammen sind<br />
die Großen präsentieren mit Stolz<br />
sich selbst und ihr Heim mit den Laden aus Holz<br />
den Kleinen berührt das alles nicht<br />
unbeschrieben leuchtet sein Gesicht<br />
er ahnt noch nichts von Planen und Bauen<br />
ihm reichen sein Fläschchen und Mamas Vertrauen<br />
vielleicht sitzt e r irgendwann auf der Bank<br />
blickt stolz auf die spielenden Enkel im Sand<br />
Kriegskinder<br />
vielleicht<br />
Gleißendes Sonnenlicht fällt ins helle Gesicht<br />
einsam gegangen die Wege -<br />
Verlangen spricht<br />
leise verweht der Wind<br />
was ein Kinderherz so sehr wünscht<br />
Sehnsucht nach des Vaters Hand<br />
Flieger und Bomben verwüsten das Land<br />
Fragende Kinderblicke<br />
klagen an -<br />
der Vater begraben<br />
in fernem Land<br />
Monika M.<br />
Irmgard E.
© Historisches Museum SB © M. <strong>Merks</strong>-K.<br />
Kommunion<br />
Wie<br />
sich die Bilder gleichen<br />
und doch ganz anders sind<br />
Blumenkranz im Haar<br />
Weiß leuchten Kleid und Kragen<br />
Damals<br />
lag Ernst im Mädchenblick<br />
gerade aufgerichtet stand es<br />
am Arm den Rosenkranz<br />
Halt boten Gebetbuch nur und<br />
Spitzentuch<br />
Jahre später<br />
lächelt ein Mädchen<br />
unbeschwert sitzend<br />
im Schein der<br />
Kommunionkerzenflamme<br />
M. MK<br />
Antworten auf Gedichte berühmter Dichterinnen<br />
und Dichter zu Kindheit<br />
Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)<br />
Lebenszweck<br />
Hilflos in die Welt gebannt,<br />
Selbst ein Rätsel mir,<br />
In dem schalen Unbestand,<br />
Ach, was soll ich hier?<br />
- Leiden, armes Menschenkind,<br />
Jede Erdennot,<br />
Ringen, armes Menschenkind,<br />
Ringen um den Tod.<br />
Antwort an Mary von Eschenbach<br />
Hilflos in die Welt gebannt,<br />
Selbst ein Rätsel dir,<br />
Fragst du nach dem Lebenszweck<br />
Und was sollst du hier?<br />
Leiden scheint dir hoch im Kurs,<br />
Jede Erdennot;<br />
Ringen willst du armes Kind,<br />
Ringen um den Tod.<br />
Diese Sehnsucht nach All-Eins-Sein<br />
Kann ich gut versteh'n.<br />
Doch bis dahin will ich LIEBEN<br />
Und durch Höh'n und Tiefen geh'n.<br />
Jede Regung in mir spüren<br />
Und mit andern teil'n.<br />
Denn nur das, was ich erfühlt,<br />
Macht der Gottheit buntes Kleid!<br />
Dieses ist mein Lebenszweck<br />
Und nicht allein das Leid!<br />
K.Sch.
Joachim Ringelnatz (1883-1934)<br />
Die sonnige Kinderstraße<br />
Meine frühe Kindheit hat<br />
Auf sonniger Straße getollt;<br />
Hat nur ein Steinchen, ein Blatt<br />
Zum Glücklichsein gewollt.<br />
Jahre verschwelgten. Ich suche matt<br />
Jene sonnige Straße heut,<br />
Wieder zu lernen, wie man am Blatt,<br />
Wie man am Steinchen sich freut.<br />
Lieber Joachim Ringelnatz,<br />
die sonnige Kinderstraße<br />
die glücklichen Kinderjahre -<br />
unwiderruflich Vergangenheit<br />
und doch -<br />
sie pflanzten Kraft<br />
all die Jahre<br />
nach den verschwelgten<br />
zu meistern<br />
das Heute zu sehn.<br />
Schau hin!<br />
Im Jetzt liegen<br />
andere Sonnenstraßen<br />
Blätter und Steinchen<br />
die uns Staunende durch<br />
unsere matten Tage leiten<br />
und erfreun.<br />
Arno Holz (1863-1929)<br />
Lied eines Vogels<br />
Monika M.<br />
Vor meinem Fenster singt ein Vogel.<br />
Still höre ich zu.<br />
Mein Herz vergeht,<br />
Erinnerung klingt,<br />
Abendrot winkt, Dämmerung schwingt.<br />
Er singt, was ich als Kind<br />
So rein errang, so voll bezwang,<br />
So traut durchmaß, so ganz besaß<br />
Und dann vergessen!<br />
Gedanken zu J. Ringelnatz:<br />
Ein Schatz<br />
Eine Murmel ist die Welt<br />
Kiesbahnen werden Sternenstraßen<br />
Der Sandkasten birgt ganze Galaxien<br />
Eidechse Käfer Schmetterling<br />
bevölkern Hosentaschen Träume<br />
Jeder Hamster ist ein Held<br />
Strenge Schulzeit ist noch weit<br />
Zeit hat keine Uhr nur Sonne Mond<br />
Sommer unterm Sternenzelt<br />
Aus Kreide sind Himmel und Hölle<br />
bunter Hüpf-Parcours auf dem Asphalt<br />
Große Straßen-Leinwand Grafitti<br />
Rinnsale staun zum breiten Damm<br />
Baumhäuser baun im Hexenwald<br />
Drachenzeit auf Stoppelfeld<br />
Bergsteiger spielen im Geröll<br />
Auf Schatzsuche gehn am See<br />
Kinder sind Entdecker, Künstler und Piraten<br />
Am Waldrand wohnt die gute Fee -<br />
Verklärung ruht auf dieser Zeit<br />
Märchenland und Poesie<br />
Abendlied<br />
Einst am Kinderbettchen gesungen<br />
von Großmutter Mutter und Tante<br />
„Guten Abend, gut‘ Nacht …“<br />
weit in die Nacht geschwungen -<br />
doch irgendwann verklungen<br />
M. MK<br />
Entwachsen dem Kinderbettchen<br />
das tröstliche Abendlied entschwunden<br />
ging verloren in Zeit und Stunden<br />
bis ich es wieder gefunden<br />
in Herzenstiefen<br />
am Bettchen meines Kindes<br />
sitz‘ ich und sing‘ leise<br />
„Guten Abend, gut‘ Nacht …“<br />
M. MK
Emanuel Geibel (1815-1884)<br />
Mittagszauber<br />
Im Garten wandelt hohe Mittagszeit,<br />
Der Rasen glänzt, die Wipfel schatten breit;<br />
Von oben sieht, getaucht in Sonnenschein<br />
Und leuchtend Blau, der alte Dom herein.<br />
Am Birnbaum sitzt mein Töchterchen im Gras;<br />
Die Märchen liest sie, die als Kind ich las;<br />
Ihr Antlitz glüht, es ziehn durch ihren Sinn<br />
Schneewittchen, Däumling, Schlangenkönigin.<br />
Kein Laut von außen stört; 's ist Feiertag –<br />
Nur dann und wann vom Turm ein Glockenschlag!<br />
Nur dann und wann der mattgedämpfte Schall<br />
Im hohen Gras von eines Apfels Fall!<br />
Da kommt auf mich ein Dämmern wunderbar;<br />
Gleichwie im Traum verschmilzt, was ist und war:<br />
Die Seele löst sich und verliert sich weit<br />
Ins Märchenreich der eignen Kinderzeit.<br />
Erinnerung - Mittagszauber<br />
„Gleich wie im Traum verschmilzt, was ist und war“<br />
Eingefunden in des Mittagszaubers Stille<br />
Erinnerungen einer späten Kinderzeit.<br />
An einem heißen Sommertag, um die Mittagszeit<br />
Von der Schule gekommen, allein sein wollte ich.<br />
Im Garten, unter dem Kirschbaum,<br />
ein schattiges Plätzchen für mich<br />
Die Arme unter dem Kopf verschränkt,<br />
über mir glitzernde Sonnensterne,<br />
die zwischen den Blättern tanzten.<br />
Aus der Küche hörte ich meine Großmutter reden,<br />
sie sprach von mir, ihrem kleinen Mädchen,<br />
auf der Schwelle zum Erwachsen Sein.<br />
Schmerzhaftes und doch Vertrautes klang aus ihrer Stimme.<br />
Unsere Katze schwang sich über den Zaun,<br />
rollte sich ein neben mir im hohen Gras.<br />
Ein Gefühl von Geborgenheit umhüllte mich,<br />
ich fühlte den Abschied vom Märchenreich,<br />
von den Geschichten meiner Kinderzeit<br />
Sehnen erfasste mich, beklemmend - beglückend zugleich.<br />
Meine Seele schwang weit über die Wipfel der Bäume hinaus.<br />
Meiner Mutter Ruf erst<br />
weckte mich aus meinem Traum<br />
Irmgard E.<br />
Schreiben zu einem eigenen Kinder-/Jugendfoto<br />
Foto 1:<br />
Vor langer Zeit<br />
I.<br />
Zwei Schwestern im Jahr 1952<br />
„herzliche Grüße sendet Hilda und Lisa“<br />
Hilda - kurzes Faltenröckchen<br />
Lisa - langer Glockenrock<br />
und Zöpfe, die zur Hüfte reichten<br />
Beide keck lachend - schlendernd<br />
die Schultasche in der Hand<br />
Augen und Mund sprechen Bände:<br />
endlich Schule passé<br />
endlich tanzen und lachen<br />
II.<br />
Der Erinnerung die Hand gereicht -<br />
Irmgard und Marlene - 1952<br />
zwei Schwestern dem Photografen gestellt<br />
große Augen - ernste Pose<br />
lange Zöpfe zu Schleifen gebunden<br />
möchten Grüße senden, dem Vater<br />
ein Foto ging verloren in der Weite<br />
verschollen in Stalingrad<br />
Ich, fünf Jahre alt<br />
allein<br />
für dieses Foto aufgeputzt:<br />
frisch geschnittenes glänzendes Haar<br />
fein besticktes Blümchenkleid<br />
geschmückt mit Mamas Perlenkette<br />
ein wichtiger Moment -<br />
bestimmt!<br />
Ich bin mir dessen Ernst bewusst<br />
Foto 2:<br />
Ich, fünf Jahre alt -<br />
nicht mehr allein<br />
in vertrauter Zweisamkeit<br />
mit meinem Bruder<br />
schützend seine Hand<br />
auf meiner Schulter<br />
Mamas Perlenkette ist nicht wichtig -<br />
ich hab’ doch meinen Bruder!<br />
Fröhlich grüßen wir die Welt<br />
Irmgard E.<br />
beide Gedichte u. Fotos:<br />
© Monika M.
Damals -<br />
eine eigene Gitarre<br />
sehnlichster Weihnachtswunsch<br />
„Michelle“ und<br />
„Have you ever seen the rain“<br />
im Mädchensinn<br />
Zu Heiligabend<br />
ganz besonders fein gemacht<br />
Samtrock schwarz kniekurz<br />
mit Blümchendruck<br />
schwarzer Pullunder selbstgestrickt<br />
und weiße Bluse spitzer Kragen<br />
glänzend gebürstet langes Haar<br />
So unterm Weihnachtsbaum<br />
songversunken klangentrückt<br />
die Gitarre in Händen -<br />
Teenager-Weihnachtsglück<br />
M. MK