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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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DerProzeß-------------------------------------------------------------------------<br />

selbst einmal in Verdacht kommen zu können.<br />

Die Juristen müssen dieses Prinzip aber<br />

um der möglichst großen Freiheit aller willen<br />

gewährleisten.<br />

Somit ist in der StPO als Obersatz über<br />

den Haftgründen der Haftzweck dahingehend<br />

festzulegen, daß die U-Haft nur das<br />

Strafverfahren sichern darf. Jede kriminalpolitische<br />

Zwecksetzung ist sogar verfassungswidrig.<br />

Der VfGH hat denn auch entschieden,<br />

daß eine Verhaftung nur "den Zweck,<br />

den die vorläufige Verwahrungshaft (Untersuchungshaft)<br />

allein im Auge hat, nämlich die<br />

Durchführung des Strafverfahrens zu sichern<br />

", verfolgen darf (JBI1956, 120). Solange<br />

das nicht ausdrücklich gesetzlich fixiert<br />

wird, wird es nicht gelingen, die Haftgründe<br />

von unterschwelligen Sinngebungen (sog.<br />

"apokryphen Haftgründen") zu entlasten.<br />

Schließlich zwingt auch Art. 1 Abs. 3 des<br />

Freiheitsschutzgesetzes 1988 zu einer solchen<br />

Vorschrift, denn er erlaubt Freiheitseingriffe<br />

nur, "wenn und soweit das nicht<br />

zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis<br />

steht". Wenn die StPO aber den Zweck nicht<br />

eindeutig festlegt, hängt dieser Verfassungssatz<br />

in der Luft. Die StPO muß bei der U­<br />

Haft-Reform zu den verschiedenen Sichtweisen<br />

der Haft endlich klare Stellung beziehen,<br />

sonst wird sich an der exzessiven österreichischen<br />

Haftpraxis, die sie eindämmen will,<br />

nichts ändern. Treffend hat der Vizepräsident<br />

des OGH Piska schon vor Jahren einmal darauf<br />

hingewiesen, daß es "mit einer Reform<br />

unseres Haft<strong>recht</strong>s allein nicht getan" ist.<br />

Und er fährt fort, "ebenso wichtig wäre eine<br />

allgemeine Besinnung auf Wesen und eigentlichen<br />

Zweck der Untersuchungshaft, um die<br />

unbestreitbare Kluft zwischen Gesetz und<br />

Rechtsanwendung zu schließen und die derzeit<br />

geübte Haftpraxis wirklich zu ändern. ':<br />

Ist nur die Verfahrenssicherung ein legitimer<br />

Haftzweck, so ist es insbesondere unzulässig,<br />

die Clamorosität der Tat bei der<br />

Verhaftung in Betracht zu ziehen. Das entsprechende<br />

Verbot durch das Freiheitsschutzgesetz<br />

1862 ist weithin unbekannt geblieben.<br />

Jenes alte Verfassungsgesetz wurde<br />

unlängst in das Freiheitsschutzgesetz von<br />

1988 (in Kraft seit 1. 1. 1991) eingearbeitet<br />

und aufgehoben. Im neuen Gesetz findet<br />

sich jedoch das Haftverbot bei großem öffentlichen<br />

Ärgernis nicht mehr. Die Begründung<br />

der Regierungsvorlage (6) führt dazu<br />

aus, das "konnte unterbleiben, weil der dort<br />

erwähnte Freiheitsentzug schon aufgrund der<br />

geltenden strafprozessualen Vorschriften<br />

nicht zulässig ist" und im übrigen auch in den<br />

im neuen Freiheitsschutzgesetz (Art. 2) aufgelisteten<br />

ausschließlichen Haftgründen<br />

nicht enthalten ist. Diese Feststellung ist<br />

zwar richtig, läßt jedoch die besagte unterschwellige<br />

Fortgeltung dieses vorkonstitutionellen<br />

Haftgrundes und die kriminalpolitische<br />

Sinngebung der Haftgründe in der Praxis<br />

völlig außer acht. Nun kann man sich<br />

nicht mehr auf ein außdrückliches Verbot berufen,<br />

um deutlich zu machen, daß die Einbeziehung<br />

des öffentlichen Ärgernisses un.<br />

Seite 38<br />

zulässig ist. Um so nötiger ist es, daß die St­<br />

PO durch eine Festlegung des alleinigen<br />

Haftzwecks der Verfahrenssicherung solche<br />

Mißdeutungen ausschließt.<br />

Zur Unschuldsvermutung gehört auch,<br />

daß der Eingriff in die Freiheit eines Beschuldigten<br />

trotz vorliegens des Tatverdachts<br />

und der Haftgründe unterbleiben sollte,<br />

wenn diese Grund<strong>recht</strong>sbeschränkungen<br />

außer Verhältnis zur Schwere der Straftat<br />

bzw. der zu erwartenden Strafe steht. Dieses<br />

Verhältnismäßigkeitsprinzip findet bereits<br />

bei der Einschränkung der Haftgründe im<br />

bezirksgerichtlichen Verfahren Anerkennung<br />

(§ 452 Z. 1 u. 3 StPO). Nach der bisherigen<br />

Gesetzesfassung hat der Haftrichter keinerlei<br />

Ermessensspielraum. Trotzdem läßt sich die<br />

Praxis von differenzierenden Überlegungen<br />

im Hinblick auf das Strafmaß leiten. Die Verknüpfung<br />

von Haft und Strafzweck ist insoweit<br />

zulässig, als sie zur Haftverschonung<br />

dient, denn dann sind kriminalpolitische Erfordernisse<br />

kein heimlicher Haftgrund. Es<br />

geht um das Ermessen nach unten oder m. a.<br />

W. um die U nverhältnismäßigkeit der Haft.<br />

Dieses Prinzip liegt schon jetzt der zeitlichen<br />

Haftbegrenzung und der Ersetzung der Haft<br />

durch gelindere Mittel zugrunde (§ 180 Abs.<br />

2 bis 6 und § 193 StPO). Was bislang noch<br />

fehlt, ist eine allgemeine Regel, wonach die<br />

U-Haft nicht verhängt oder auf<strong>recht</strong>erhalten<br />

werden darf, wenn sie zur Bedeutung der Sache<br />

oder der zu erwartenden Strafe außer<br />

Verhältnis steht. Es ist sehr zu begrüßen, daß<br />

der kürzlich versendete Ministerialentwurf<br />

über eine Neuregelung der U-Haft eine solche<br />

Ergänzung des § 180 Abs. 1 StPO vorsieht<br />

(so auch Jesionek, KB 1991, Heft 72/73,<br />

29). Darüber hinaus sollten in Nutzanwen.<br />

dung dieser Regel bestimmte Sanktions bereiche<br />

gesetzlich ausdrücklich von der Verhaftung<br />

ausgenommen werden, nämlich bei<br />

voraussichtlicher Verfahrenseinstellung wegen<br />

Geringfügigkeit oder eines Außergerichtlichen<br />

Tatausgleichs und bei voraussichtlicher<br />

Verhängung einer Geldstrafe oder bedingten<br />

Freiheitsstrafe. In diesen Begriffen<br />

steckt noch genügend Ermessen. Die völlig<br />

klaren derartigen Fälle <strong>recht</strong>fertigen aber die<br />

Haft nicht.<br />

Mit der Unschuldsvermutung, dem Fairnessgebot<br />

(Art. 6 Abs. 1 EMRK) und dem<br />

Anklagegrundsatz (Art. 90 Abs. 2 B-VG) verbindet<br />

sich außerdem der Grundsatz, daß der<br />

Beschuldigte keinen Maßnahmen unterworfen<br />

werden darf, die ihn dazu veranlassen<br />

könnten, sich selbst zu bezichtigen (nemo<br />

tenetur se ipsum accussare). Dieses sog. Netenetur-Prinzip,<br />

das in jüngster Zeit sowohl<br />

in der Literatur (vgl. Pallin ÖJZ 1991, 550;<br />

Thienel, JBI 1992, 484) als auch in. der<br />

Rechtssprechung (EvBI 1992/88; JUS EX­<br />

TRA 1992/91/968) zunehmend Beachtung<br />

findet, bedeutet für die U-Haft, daß sie nicht<br />

dazu dienen darf, einen Beschuldigten deshalb<br />

zu verhaften, weil er durch sein Leugnen<br />

das Verfahren behindert. Das zu tun ist<br />

vielmehr sein Recht. Der Beschuldigte selbst<br />

ist kein Beweisobjekt. Zur KlarsteIlung, daß<br />

JURIDIKUM<br />

der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, der<br />

aus diesen Gründen ohnehin problematisch,<br />

in der Praxis aber sehr beliebt ist, nicht zur<br />

Geständniserlangung herangezogen werden<br />

darf, ist in § 175 Abs. 1 Z. 3 und in § 180 Abs.<br />

2 Z. 3 StPO der Zusatz "oder sonst die Ermitlung<br />

der Wahrheit zu erschweren" ersatzlos<br />

zu streichen. Er stimmt auch nicht mit der<br />

engeren verfassungs<strong>recht</strong>lichen Grundlage<br />

nach Art. 2 Abs. 1 Z. 2b des Freiheitsschutzgesetzes<br />

von 1988 überein, der nur auf die<br />

Beeinträchtigung der Beweismittel, nicht<br />

aber auf die Wahrheitserforschung schlechthin<br />

abstellt.<br />

Ferner verträgt sich der sog. obligatorische<br />

Haftgrund der Schwerstverbrechen nach<br />

§ 175 Abs. 2 bzw. § 180 Abs. 7 StPO nicht mit<br />

der Beschränkung auf die Verfahrenssicherung<br />

und mit dem Verbot der Clamorosität<br />

als Haftgrund. Die normalen Haftgründe<br />

müssen auch hier genügen. 1971 wurde diese<br />

Vorschrift deshalb dahingehend modifiziert,<br />

daß die übrigen Haftgründe nur widerleglich<br />

vermutet werden und im Falle ihres Ausschlusses<br />

dieser Haftgrund entfällt. Die Praxis<br />

hat von dieser Bedingung leider keine<br />

Kenntnis genommen, die Haft wird schematisch<br />

stets verhängt (kritisch Moos, Stb 1980,<br />

Folge 5,17; Laurer, in: Verfassungsänderungen<br />

1988, hrsg. von Walter, 48). Es ist längst<br />

an der Zeit diesen Haftgrund ersatzlos zu<br />

streichen. Der Entwurf eines Straf<strong>recht</strong>sänderungsgesetzes<br />

1992 (Art. II Z. 23) sieht das<br />

auch vor. Das gehört. allerdings eigentlich<br />

noch in den Gesetzesentwurf zur Neuregelung<br />

der UcHaft.<br />

Schließlich steht der Haftgrund der<br />

Wiederholungs- oder Tatbegehungsgefahr<br />

von vornherein außerhalb der Verfahrenssicherung.<br />

Es handelt sich um eine dem Richter<br />

übertragene polizeiliche Präventivmaßnahme<br />

eigener Art. Die Vermeidung einer<br />

Erschwerung des laufenden Verfahrens kann<br />

niIr eine Nebenwirkung dieser Haft, nicht<br />

aber ihr Zweck sein. An die Abschaffung dieses<br />

1983 eingschränkten Haftgrundes ist zwar<br />

nicht zu denken, im Gesetz sollte aber klar<br />

zum Ausdruck kommen, daß es sich nicht um<br />

eine Form der U-Haft, sondern vielmehr um<br />

eine Vorbeugehaft handelt. Für diesen Haftgrund<br />

ist darum - wenigstens bei der ordentlichen<br />

U-Haft - ein eigener § 180a StPO vorzusehen<br />

und seine unterschiedliche Zwecksetzung<br />

eigens zu erwähnen. Das dürfte dem<br />

Gesetzgeber nicht schwer fallen, weil § 180<br />

StPO ohnehin schon viel zu lang ist. Wenn<br />

dieser Haftgrund dagegen wie bisher in einem<br />

Atemzug mit den übrigen Haftgründen<br />

geregelt wird, färbt sein präventiver Zweck<br />

unweigerlich auf die übrigen Haftgründe ab.<br />

Auch stimmt dann die allgemeine Definition<br />

der Zwecksetzung der Haft als Verfahrenssicherung,<br />

die den Sinn des § 180 StPO erläutern<br />

soll, nicht mehr. Es bedarf somit jedenfalls<br />

eiq.er Sonderregelung des Haftgrundes<br />

der Wiederholungsgefahr .•••••• 111<br />

Dr. Reinhard Moos ist Professor für Strafredlt an der<br />

Universität Unz.<br />

Nr4/92

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