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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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Recht. & Gesellschaft<br />

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SCHULUNG<br />

BERATUNG<br />

noch eine Woche, bei "offensichtlich unbegründeten"<br />

Anträgen zwei Wochen. Dabei<br />

muß die Klage innerhalb einer Woche mit<br />

allen Tatsachen und Beweismitteln begründet<br />

sein (§ 36). Weder die Flüchtlinge noch<br />

die Anwälte sind in der Lage diese Rechtsfristen<br />

einzuhalten. Nur wenige Flüchtlinge<br />

dürften in Zukunft die Möglichkeit haben,<br />

Klage bei der Außenstelle des Verwaltungsgerichtes<br />

im Lager einzureichen. Kann dene<br />

noch geklagt werden, ist die Entscheidung<br />

des "Lagerrichters" unanfechtbar (§ 78).<br />

Hierbei kann er allein aufgrund der Aktenlage,<br />

ohne persönliches <strong>recht</strong>liches Gehör,<br />

entscheiden.<br />

Auch die Bestimmungen über Asylfolgeanträge<br />

werden in Zukunft verschärft: Innerhalb<br />

eines Jahres kann kein zweites Mal<br />

ein Asylantrag gestellt werden.<br />

deren Antrag bei der Erstanhörung als "offensichtlich<br />

unbegründet" eingeschätzt wird.<br />

Nach einem Gespräch mit den Flüchtlingen<br />

wurde festgestellt, daß diese sich ihrer Gesamtsituation<br />

nicht bewußt waren, und die<br />

Anhörungen und die Übersetzungen oberflächlich<br />

und ungenau waren. Sie konnten<br />

ihre Asylentscheide nicht lesen, die sich ausnahmslos<br />

der Einschätzung bei der Erstanhörung<br />

anschlossen. In einem Fall wurden<br />

Photographien, Röntgenbilder, ärztliches Attest<br />

und politische Flugblätter als Beweismittel<br />

zurückgewiesen, der Flüchtling erhielt<br />

seinen Ablehnungsbescheid und wird<br />

nach Rumänien abgeschoben.<br />

Düstere<br />

Zukunftsperspektiven<br />

Seite 24<br />

SUPPORT<br />

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Massenabschiebungen -<br />

anonym und reibungslos<br />

Über "Abschiebehindernisse" (§ 54 Ausländergesetz)<br />

entscheiden nicht mehr, wie bisher<br />

die Ausländerbehörden, sondern ebenfalls<br />

die Lagerbeamten des Bundesamtes.<br />

Schon heute können nur noch in Einzelfällen,<br />

unter massivem Druck von Anwälten<br />

oder der Öffentlichkeit, solche Abschiebehindernisse<br />

geltend gemacht werden. Für<br />

<strong>recht</strong>sunkundige Flüchtlinge die sich bereits<br />

in Abschiebehaft befinden, dürfte es ohne<br />

Hilfe von "außen" nahezu unmöglich sein,<br />

ihre Abschiebung zu verhindern. Rechtsberatung<br />

oder soziale Betreuung wird es in den<br />

neuen Sammellagern nicht mehr geben. Die<br />

Wohlfahrtsverbände haben eine Weiterarbeit<br />

inzwischen wegen "unzumutbarer Bedingungen"<br />

verweigert. Bisher hatten die<br />

Flüchtlinge in den SozialarbeiterInnen wenigstens<br />

noch unabhängige Ansprechpartner,<br />

die in Notfällen Anwälte, Beratung und Betreuung<br />

organisieren konnten.<br />

Jetzt bleiben die Flüchtlinge ohne jegliche<br />

Unterstützung der Willkür von Lagerleitung<br />

und Polizei ausgeliefert. Erinnert sei in<br />

diesem Zusammenhang an den Foltervorwurf<br />

gegen Bremer Polizisten. Ihnen wird<br />

vorgeworfen Flüchtlinge aufs Schwerste,<br />

u. a. mit elektrischen Viehtreibern, mißhandelt<br />

zu haben (TAZ 01. 04. 92). Inwieweit<br />

Außenstehende noch ein Zutritts<strong>recht</strong> zu<br />

den Lagern erhalten ist fraglich, denn nur<br />

hinter verschlossenen Türen kann die geplante<br />

Abschiebemaschinerie anonym und<br />

reibungslos funktionieren. Schon jetzt wird<br />

"Unbefugten" der Zutritt zur Asylbezirksstelle<br />

Reutlingen, in der z. Z. 200 rumänische<br />

Flüchtlinge untergebracht sind, verweigert.<br />

Bei einem Besuch von ai- und Freundeskreismitgliedern<br />

am 1. September 92 in<br />

der Asylbezirksstelle Reutlingen erhielten<br />

diese nur nach Angabe ihrer Personalien und<br />

Namensnennung eines bestimmten Flüchtlings<br />

Zutritt in das Sammellager. In Reutlingen<br />

werden Asylsuchende untergebracht,<br />

JURIDIKUM<br />

Vor dem Hintergrund brennender Flüchtlingsunterkünfte<br />

und eines eskalierenden<br />

Nationalismus ist die SPD-Führungsspitze<br />

unter Björn Engholm in der Frage Änderung<br />

des Grundgesetzes Art. 16 Absatz 2: "Politisch<br />

Verfolgte genießen Asyl" schließlich<br />

umgefallen. Für Flüchtlinge, die keine oder<br />

falsche Pässe haben, für Flüchtlinge, die keine<br />

oder falsche Angaben zur Person machen,<br />

für Flüchtlinge, die aus sogenannten "verfolgungsfreien<br />

Ländern" kommen, soll das<br />

Recht auf individuelle Prüfung eines Asylbegehrens,<br />

welches im Grundgesetz der<br />

BRD ausdrücklich verankert ist, keine Gel"<br />

tung mehr haben.<br />

Im Zuge der europäischen Harmonisierung<br />

des Asyl<strong>recht</strong>s sollen Hoheits<strong>recht</strong>e der<br />

BRD auf europäische Gremien übertragen<br />

werden (Art. 24). Flüchtlinge, deren Asylbegehren<br />

bereits in einem anderen europäischen<br />

Land geprüft wurden, sollen keinen<br />

Antrag mehr stellen können. Mit den "Petersberger<br />

Beschlüssen ", einem Sofortprogramm<br />

zur Asyl<strong>recht</strong>sfrage, hat die SPD inzwischen<br />

die CDU <strong>recht</strong>s überholt. Es wird<br />

z. B. gefordert, straffällige Flüchtlinge sofort<br />

abzuschieben, und die Sozialhilfeleistungen<br />

für Asylbewerber um 30% zu kürzen. Auf<br />

dem Bremer Parteitag letztes Jahr hatte die<br />

SPD beschlossen, vom bisherigen Art. 16<br />

nicht abzurücken. Große Teile der SPD Basis<br />

fordern nun einen Sonderparteitag. Sollte<br />

sich die SPD Führung mit ihrer jetzigen Position<br />

durchsetzen, könnte das Grundgesetz<br />

der BRD mit den Stimmen der Opposition<br />

geändert werden. hi0ISS;1!~_I!i!il~Jiiii!JlsS;,~1l:1!1il,ijl!ll!ili<br />

Auskunft und Information:<br />

"Pro Asyl", 6000 Frankfurt a. M., Neue Schlesingergasse<br />

22.<br />

"Arbeitskreis Asyl Baden-Würtfemberg", Vogelsangstr.<br />

60, 1000 Stuttgart I.<br />

Doris Künzel ist Mitglied des Sprecherrates des Asylrates<br />

Baden-Wüttemberg und arbeitet bei der grenzüberschreitenden<br />

Initiative (Ö, BRD, eH) "Asyl­<br />

D.A.c'H.-Bodensee.<br />

Siehe auch JURIDIKUM-Dokumente-Service:<br />

JUR-DOK 12/02/02-06<br />

Nr 4/92

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