26.12.2014 Aufrufe

BDA Informationen 1-2009.indd - Bund Deutscher Architekten BDA

BDA Informationen 1-2009.indd - Bund Deutscher Architekten BDA

BDA Informationen 1-2009.indd - Bund Deutscher Architekten BDA

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong><br />

Landesverband Bayern<br />

1 2009<br />

Sprache und Architektur


Inhalt<br />

Thema Sprache und Architektur<br />

5<br />

6<br />

11<br />

19<br />

21<br />

27<br />

Prolog<br />

Monica Hoffmann<br />

Tumbe Toren<br />

Erwien Wachter<br />

Architekendeutsch – eine unsäglich<br />

scheußliche Sprache<br />

Max Bächer<br />

Sprechende Architektur<br />

Wilhelm Kücker<br />

Stütze und Fenster – Anmerkungen zu<br />

zwei Vokabeln der Sprache Architektur<br />

Cornelius Tafel<br />

In eigener Sache<br />

29<br />

33<br />

34<br />

Landesverband<br />

Kreisverband<br />

Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz<br />

Kreisverband<br />

Würzburg-Unterfranken


37<br />

44<br />

49<br />

53<br />

56<br />

57<br />

59<br />

62<br />

Kritik der Kritik III<br />

Baugeschichten<br />

Leute und Bauten<br />

Veranstaltungen<br />

Gehört – gelesen<br />

Man sollte darüber sprechen<br />

Aktion – Reaktion<br />

Impressum


Thema<br />

Sprache und Architektur<br />

Die Sprache der Architektur und das Sprechen<br />

über Architektur. Zwei Aspekte des Themas in<br />

dieser Ausgabe, dem sich Erwien Wachter in einem<br />

kurzen historischen Abriss versucht anzunähern.<br />

Zumindest in den Hochkulturen erweise<br />

sich die Beziehung von Architektur und Sprache<br />

als ein die architektonische Entwicklung bedingender,<br />

hochkomplexer Dialog. Wobei sich ihm<br />

heute die Frage stellt, was angesichts der derzeitigen<br />

Vermittlungsverwirrungen auf der Strecke<br />

zu bleiben droht. (Seite 6)<br />

Architektur ist eine äußerst sinnliche Sache. Das<br />

bringt Wilhelm Kücker auf den Punkt. Wenn er<br />

von sprechender Architektur schreibt, erinnert<br />

er an die Tatsache, dass sie wahrgenommen<br />

werden will. Man fragt sich kopfschüttelnd,<br />

wieso dies überhaupt je in den Hintergrund gedrängt<br />

werden konnte und man sich in der Moderne<br />

sogar darauf etwas zugute hielt, wenn<br />

Formen nichtssagend waren. (Seite 19)<br />

Sinnlichkeit, Gefühl und Verstand, sie gehören<br />

zusammen in unserer Wahrnehmung von Welt.<br />

Und man kann wohl sagen, je vielfältiger die<br />

Bezüge zwischen Mensch und Bauwerk sind,<br />

desto intensiver wird sich der Dialog zwischen<br />

beiden gestalten. Stütze und Fenster: Was für<br />

eine lebendige Sprache allein diese zwei Vokabeln<br />

der Architektursprache im Laufe ihrer Geschichte,<br />

zum Beispiel bei Mies van der Rohe<br />

und Le Corbusier, erzählen können, erfährt der<br />

Leser von Cornelius Tafel und wird anschließend<br />

eine Straße oder ein Bauwerk wahrscheinlich<br />

bewusster in den Blick nehmen. (Seite 21)<br />

Auch an <strong>Architekten</strong> ließe sich die Aussage von<br />

Paul Valéry adressieren, wenn er schreibt: „Die<br />

meisten Leute nehmen viel häufiger mit dem<br />

Verstand als mit den Augen wahr. Anstelle farbiger<br />

Räume nehmen sie Begriffe in sich auf.<br />

Eine kubische weißliche Form, die hochsteht<br />

und mit Reflexen von Glasscheiben durchschossen<br />

ist, nennen sie mir nichts, dir nichts ein<br />

Haus, was für sie soviel heißt wie: Das Haus!<br />

Vielschichtige Idee, Zusammenklang abstrakter<br />

Eigenschaften! Wenn sie den Standort wechseln,<br />

entgeht ihnen die Bewegung der Fensterreihen,<br />

die Verschiebung der Flächen, die den<br />

sinnlichen Eindruck ständig verändern; denn<br />

der Begriff ändert sich nicht. Sie nehmen eher<br />

wie nach einem Wörterbuch als aufgrund ihrer<br />

Netzhaut wahr, ...“ Und wundern sich dann,<br />

wenn sie von Laien nicht verstanden werden.<br />

Aus dem gleichen Grund kommt es sogar vor,<br />

dass der Begleittext in einer Architekturzeit-<br />

5


schrift mit dem abgebildeten Gebäude nicht viel<br />

zu tun hat und man sich fragt, ob der Kritiker<br />

das Bauwerk überhaupt gesehen, geschweige<br />

denn betreten habe. Aber nicht nur das lässt<br />

einen manchmal die Augen reiben, wenn über<br />

Architektur gesprochen und geschrieben wird.<br />

In seiner unnachahmlich kurzweiligen und humorvollen<br />

Diktion führt Max Bächer dem Leser<br />

vor, welche Blüten das <strong>Architekten</strong>deutsch inzwischen<br />

treibt: von normaler Sprachschlamperei<br />

bis zu verbaler Hochstapelei. Bei seinem<br />

Beitrag kommen alle auf ihre Kosten, denen es<br />

ebenso ein wenig Angst und Bange wird um<br />

unsere Sprachkultur. (Seite 11)<br />

Die Sprache der Architektur und das Sprechen<br />

über Architektur, damit beides seine Adressaten<br />

erreicht, bedarf es im Prozess des Entstehens<br />

nicht nur eines guten Verstandes, sondern<br />

ebenso der Lust und der Leidenschaft, die ihren<br />

Ursprung in emotional geprägten Erfahrungen<br />

haben. Sind sie beteiligt, kann ein Bauwerk inspirierend<br />

sein und seine Beschreibung begeisternd.<br />

Dann kann beim Anderen Neugierde<br />

entfacht werden, Architektur entdecken und zu<br />

einer eigenen Erfahrung machen zu wollen.<br />

Monica Hoffmann<br />

Tumbe Toren<br />

„Wenn man mit einem Ziegelstein spricht und<br />

ihn fragt, was er sich wünscht, wird er sagen:<br />

einen Bogen. Und wenn man dann erwidert:<br />

Schau mal, Bögen sind teuer, und einfacher<br />

ist ein Fenstersturz aus Beton, sagt der Ziegelstein:<br />

ich weiß, dass es teuer ist, und ich fürchte,<br />

es lässt sich zur Zeit wahrscheinlich nicht<br />

bauen, aber wenn du mich fragst, was ich mir<br />

wirklich wünsche, so bleibt es beim Bogen.“<br />

Louis I. Kahn<br />

Wer sich zum Thema „Sprache und Architektur“<br />

zu äußern gedenkt, begibt sich auf unsicheres<br />

Terrain. Da nun der Autor der Meinung<br />

ist, etwas Sinnfälliges in diesem Zusammenhang<br />

erschließen zu können, wagt er sich auf den<br />

Weg. „Architektur ist nicht Sprache und Sprache<br />

ist nicht Architektur,“ konstatiert Friedrich<br />

Achleitner in einem Statement und zwingt damit<br />

zu einer genaueren Betrachtung. Eine weitere<br />

Erschwernis der Klärung eines möglichen<br />

Zusammenhangs liefert der britische Sprachwissenschaftler<br />

John Lyons, der notiert: „Sprache<br />

ist eine ausschließlich dem Menschen eigene,<br />

nicht im Instinkt wurzelnde Methode zur Übermittlung<br />

von Gedanken, Gefühlen und Wünschen<br />

mittels eines Systems von frei geschaf-<br />

6


fenen Symbolen.“ Diese Sprache beherrscht<br />

die Architektur sicher nicht, und stimmten diese<br />

Aussagen umfänglich, wäre das gewählte<br />

Thema schon eingangs ad absurdum geführt.<br />

Entgegenzuhalten ist dabei, dass es doch fatal<br />

wäre, die Sprache auf ein menschentypisches<br />

biologisches Organ oder ein „zweckorientiertes<br />

Handlungssystem mit mentaler Verankerung“<br />

zu reduzieren. Bedeutete dies doch, das Medium<br />

der Gedankenbildung schlechthin, wie<br />

Wilhelm von Humboldt Sprache definierte, im<br />

weiteren Sinne als Kommunikationssystem, das<br />

der Verständigung dient, zu entwerten. Schlösse<br />

es nicht aus, dass zur Sprache auch das Hören<br />

und Sehen, nicht zuletzt das Lesen gehört,<br />

dass es auch Anderes gibt, das unsere Aufmerksamkeit<br />

wecken und uns im wörtlichen Sinne<br />

etwas sagen kann Sprechen nicht Städte und<br />

Gebäude ihre eigene Sprache, die aus zahllosen<br />

Gedanken, Büchern und Texten über Gebautes<br />

hervordringt Und warum schließt Lyons auch<br />

noch den Instinkt aus, der ebenso einen erheblichen<br />

Anteil an der Verständigung, an jeglicher<br />

Form von Kommunikation hat<br />

Achleitner räumt im oben genannten Statement<br />

wohl Analogien zwischen Architektur und Sprache<br />

ein, wenn auch eher in der Rezeption als<br />

in der Konzeption, also gewissermaßen im Unterscheiden<br />

zwischen Empfänger und Sender.<br />

Ist es aber nicht doch ein Geben und Nehmen,<br />

das eine Verständigung über einen Zusammenhang<br />

von Sprache und Architektur zulässt<br />

Wie entstanden denn überhaupt die Behausungen<br />

und Kultstätten von Frühmenschen vor der<br />

Entwicklung der ersten Hochkulturen Waren<br />

es Instinkte, die sie bauen ließen, oder waren<br />

es erste sprachliche Vereinbarungen, auf deren<br />

Basis einfachste Baugefüge entstanden Wir<br />

wissen es nicht. Der Homo erectus verbreitete<br />

sich von Afrika nach Europa und hinterließ<br />

im thüringischen Bilzingsleben schon vor ca.<br />

350.000 Jahren Spuren von Schutzhütten und<br />

Feuerstellen.<br />

Vor ca. 200.000 Jahren bescherte uns die Anthropologie<br />

den Homo sapiens neandertalensis,<br />

den Neandertaler mit erwiesenen Anlagen zur<br />

Sprachfähigkeit, und erst vor etwa 40.000 Jahren<br />

folgte schließlich der moderne Mensch: der<br />

Cro-Magnon-Mensch, der Homo sapiens fossilis,<br />

der uns und unseren Zeitgenossen schon<br />

sehr ähnlich war. Seine Felszeichnungen, zum<br />

Beispiel in der Höhle von Lascaux vor ca. 20.000<br />

Jahren, hinterlassen erste Botschaften in Form<br />

abstrakter Zeichen, die wohl magischen und<br />

symbolischen Charakter hatten. Zeichen, die als<br />

Nachhall des Gesprochenen erste Ausdrucks-<br />

7


formen der Verständigung vermitteln und die<br />

Jahrtausende lang übliche mündliche Überlieferung<br />

wesentlicher Inhalte ergänzen. Sie verweisen<br />

auf überlebenswichtige <strong>Informationen</strong>,<br />

auf geheimes Wissen, auf Rituale, Mythen,<br />

Legenden oder Sagen. In der Folge beginnen<br />

diese Zeichen überall zu sprechen: mit Beginn<br />

der frühen Hochkulturen in Sumer, in Ägypten,<br />

am Indus, im Reich der Mitte, in Mittelamerika.<br />

Die Zeichen wandeln sich zur Schrift und diese<br />

wird zur wichtigsten Errungenschaft unserer<br />

Zivilisation. Sie garantiert über die tradierende<br />

Sprache hinaus zuverlässig den Erhalt von Wissen<br />

und bewahrt so Gesprochenes über Raum<br />

und Zeit.<br />

Sei auch der Versuch vermessen, Frühmenschen<br />

mit Sprache zu verbinden und deren einfachste<br />

Hütten in die Nähe von Architektur zu rücken.<br />

Doch Geschichte, das wissen wir, wurzelt in unserer<br />

menschlichen Fähigkeit, Geschichten zu<br />

erzählen, also „Zeitwahrheiten“ auf den Weg<br />

zu bringen. Architekturen sind solche Zeitwahrheiten<br />

und um ihre „Bedeutung“ zu hinterfragen,<br />

ist eine sprachliche Interpretation in jeder<br />

Zeit wohl unausweichlich. Kann Architektur<br />

also ohne Sprache kaum verstanden werden,<br />

drängt sich gewissermaßen eine notwendige<br />

Beziehung auf, die mit der Entwicklung von<br />

Sprache, von Schrift und Architektur zumindest<br />

im Raum der Hochkulturen Hand in Hand geht.<br />

Nach und nach erweitern sich Sprache und Architektur<br />

aus den alltäglichen Notwendigkeiten<br />

des Überlebens und des Schutzes mit Ausdrucksmitteln<br />

des Geistigen, des Wohlstands<br />

und der Macht.<br />

Die archäologischen Funde der Antike erzählen<br />

uns die Geschichten der Hochkulturen der letzten<br />

Jahrtausende vor der christlichen Zeitrechnung.<br />

Die Darstellung von Mythen und erste<br />

Schriften erfüllen die Mauerreste überragender<br />

Stätten mit dem Geist ihrer Zeit, mit Darstellungen<br />

der Mächtigen, der Heroen, der Sitten<br />

und Gebräuche und bilden die Grundlage für<br />

unsere Kultur. Nach und nach wird auch ein<br />

Plan gemacht, ehe an das Werk zu gehen ist.<br />

In der griechischen Antike begründet sich darüber<br />

hinaus die Vorstellung von der Dichtung<br />

als einem Bauwerk und vom Dichter als <strong>Architekten</strong>,<br />

wie der Germanist Ulrich Ernst schreibt,<br />

und durchdringt seit dieser Zeit die gesamte europäische<br />

Poetik, prägt das Verhältnis von Literatur<br />

und Kunst, folglich auch von Literatur und<br />

Architektur.<br />

Machen wir nun einen Sprung in den deutschen<br />

Sprachraum des Mittelalters. Der Benediktiner-<br />

8


abt Gozbert machte St. Gallen während seiner<br />

Amtszeit von 816 bis 837 n. Chr. zu einem kulturellen<br />

Zentrum. Diese Zeit beschert uns das<br />

älteste Buch der deutschen Sprache: den St.<br />

Galler Abrogans, ein Glossar 765 n. Chr. datiert<br />

und den St. Galler Klosterplan, der um 826 in<br />

Reichenau entstand. Beide Schätze geistiger<br />

Haltung vereinen das Bewahren von Wissen der<br />

Gelehrten mit dessen Vermittlung an die Gesellschaft.<br />

Hier wird der Gedanke geboren, Gebäude<br />

als Klangkörper geistiger und religiöser<br />

Welten zu entwickeln. Weiter in der Geschichte<br />

von der Romanik, zur Gotik, zur Renaissance<br />

über den Barock bis heute können wir uns deren<br />

suggestiver Kraft der Klänge, Bilder und Farben<br />

nicht entziehen. Wenn wir eine Klosterkirche<br />

betreten, erinnern wir uns der liturgischen<br />

Gesänge und lesen an den Wänden biblische<br />

Geschichten, vernehmen Botschaften, die uns<br />

zwischen Himmel und Hölle den Glauben lehren<br />

und erfahren im Widerhall unserer Schritte<br />

vom Zwiegespräch Mensch und Architektur.<br />

Im Laufe der Geschichte ist die Sprache auch<br />

der Architektur eine Sprache des Glaubens, der<br />

Macht, der Ohnmacht, eine Sprache der Armut<br />

und des Reichtums. Die Sprache der Architektur<br />

berichtet vom unerreichten Himmel in Babylon<br />

ebenso wie von der Menschenverachtung in<br />

Auschwitz. Das Labyrinth des Minotaurus, das<br />

himmlische Jerusalem im gotischen Dom, der<br />

Spiegelsaal im Schloss von Versailles, sie alle<br />

stehen für emotionale Wahrnehmungen, stehen<br />

für Kleinheit und Größe, für die Einsamkeit,<br />

für Ängste und Wünsche. Unsere Straßen und<br />

Plätze erzählen die Geschichten von Menschen<br />

und Häusern, von Kriegen und von Wohlstand,<br />

von Glanz und Niedergang. Wir schauen in die<br />

Gesichter der Häuser und sehen die Lichter ihrer<br />

Bewohner, wie ihre Seelen leuchten, wir verlieren<br />

uns im Netzwerk entleerter nächtlicher Straßen,<br />

umgeben von den Geräuschen zuschlagender<br />

Türen, hallender Schritte im irgendwo,<br />

Stimmen schattenhaft Eilender.<br />

Der Sprache der Architekturen vergangener Zeiten<br />

zu lauschen, ist ein Baustein für die Weiterentwicklung<br />

unserer Welt. Und wenn heute in<br />

einer globalisierten Zeit durch Architekturen die<br />

Städte austauschbar gemacht werden, wenn<br />

uns zunehmend modisch inszenierte Ornamentik<br />

lockt und jede zum Event stilisierte Hülle<br />

jeglichem Wert ursprünglich immanenter Ganzheitlichkeit<br />

spottet, verkommen Sprache und<br />

Architektur zum Selbstzweck eines scheinbaren<br />

Andersseins, eines vordergründigen Strebens<br />

nach Unverwechselbarkeit. Oft stellt sich die<br />

Frage, warum es labyrinthischer Sprachelabora-<br />

9


te bedarf, um Gesehenes in Sprache zu übertragen.<br />

Wie in Hans Christian Andersens Märchen<br />

„Des Kaisers neue Kleider“ wird den Superstars<br />

gehuldigt und der Reinfall auf deren modischen<br />

Kulissendekor mutlos verdrängt. So bleibt vom<br />

Dialog zwischen Architektur und Sprache nur<br />

jenes babylonische Sprachgewirr, das einst das<br />

himmelhohe Ziel grenzenloser Anmaßung in<br />

sprachlichem Nirwana enden ließ.<br />

Oskar Maria Graf mahnte schon Dichter und<br />

Literaten, „dass die Handhabung der Sprache<br />

und des Wortes nicht dazu da sind, um unter<br />

euresgleichen fortwährend nur künstlerisch damit<br />

zu experimentieren.“ Und weiter: „Empfindet<br />

denn nie einer von euch, dass der Dichter<br />

wie kein anderer dazu verpflichtet ist, ein beständiger<br />

Mahner des öffentlichen Gewissens,<br />

der Schöpfer von Klarheit und Vernunft und<br />

der Entdecker des Guten und Schönen im Menschen<br />

zu sein“ Und trifft er an anderer Stelle<br />

nicht auch einen wunden Punkt, wenn er sie als<br />

„die geborenen Sprüchemacher und Scharlatane“<br />

bezeichnet „Sie leben von der Einbildung<br />

und erheben sich immer über den anderen.“<br />

Wäre Oskar Maria Graf Architekt gewesen, hätte<br />

er bestimmt den Dichter mit dem <strong>Architekten</strong><br />

vertauscht und diesen ebenso getroffen.<br />

<strong>Architekten</strong> und Dichter haben sicherlich unterschiedliche<br />

Sujets, aber wie Oskar Maria Graf<br />

sich verpflichtete, seine Kollegen zu rügen, stellt<br />

sich die Frage, wieso <strong>Architekten</strong> dazu neigen,<br />

sich über andere zu erheben und mit ihrer Sprache<br />

durch sinnentleerte Wortgefüge Vermittlungsverwirrungen<br />

zu provozieren statt verantwortliche<br />

Mittler zu sein Sprache ist ein Werkzeug<br />

der Verständigung; jeglicher Missbrauch<br />

und jegliche Verschwendug hieße, eine Chance<br />

unserer zivilisierten Welt nicht zu nutzen. Eine<br />

Unterlassung solcher Art gäbe Erika Fuchs Recht,<br />

der Übersetzerin der Donald-Duck-Geschichten,<br />

die einmal sagte: „Das beste Werkzeug ist ein<br />

Tand in eines tumben Toren Hand.“<br />

Wie fein und einfühlsam dagegen lesen sich bei<br />

Max Frisch in „Bin oder Die Reise nach Peking“<br />

die Empfindungen des <strong>Architekten</strong>: „So steht<br />

es denn da, unser Werk, so steinern und fremd,<br />

so eigenmächtig, so ein für allemal. Es sieht<br />

dich an, ohne zu nicken, ohne zu lächeln, so,<br />

als hätte man sich nie gekannt; ohne zu danken<br />

und ohne zu verzeihen. Nachdem man es<br />

lange betrachtet und auch die ersten Schrecken<br />

überwunden hat, sagt man sogar: Es ist nicht<br />

schlecht, man kann nicht sagen, es ist schlecht!<br />

Es erinnert an dieses und jenes, was uns im<br />

Entwerfen, da es noch ein Einfall war, erfreut<br />

10


und beglückt hat...“ Natürlich sind <strong>Architekten</strong><br />

selten Literaten wie Max Frisch, aber einleuchtende<br />

Beschreibungen ihrer Projekte, konstruktiv-kritische<br />

Anmerkungen zu Gebautem und<br />

nachvollziehbare Erläuterungen ihrer Konzepte<br />

– das könnte doch auch ihres sein.<br />

Der Prozess des Bauens geht nie zu Ende. Alles<br />

Fertige, so schreibt Max Frisch, hört auf, die<br />

Behausung unseres Geistes zu sein. Gerade im<br />

Unfertigen liegt der Reiz des Wahrnehmens, des<br />

Entdeckens, des Entwickelns. Das aufzuschließen,<br />

bedarf der Sprache. Ein gutes Konzept,<br />

eine wirkliche Erkenntnis, spürbarer Respekt<br />

und die Angemessenheit der Mittel sind immer<br />

beschreibbar, und gut anfühlen im architektonischen<br />

Konnex täte es sich allemal. Oder<br />

Erwien Wachter<br />

<strong>Architekten</strong>deutsch – eine unsäglich<br />

scheußliche Sprache<br />

„Hat er ein Alibi“<br />

„Er drückte sich sehr unbestimmt aus, Sir.“<br />

„Das beweist, daß er ein richtiger Architekt<br />

ist“, erklärte Hercule Poirot.<br />

Agatha Christie, Wiedersehen mit Mrs. Oliver<br />

<strong>Architekten</strong> ratlos vor dem Papier. Zugegeben,<br />

sie können besser zeichnen als schreiben. Es<br />

gibt andere Berufsgruppen, die sich präziser<br />

ausdrücken. Man sagt, die Sprache sei der Spiegel<br />

unserer Gedanken. Erst in ihr nehme das<br />

Denken Form an, und Schopenhauer meint, undeutlich<br />

oder schlecht schreiben, heiße dumpf<br />

und konfus denken. Sollten <strong>Architekten</strong> wirklich<br />

so denken, wie sie sich oft ausdrücken Das<br />

glaube ich nicht. <strong>Architekten</strong> denken anders.<br />

Ihre primären Verständigungsmittel sind nicht<br />

Sprache oder Schrift, sondern die Skizze, da sich<br />

die Komplexität divergierender Erwägungen<br />

anders gar nicht ausdrücken lässt. Die Verbindung<br />

von <strong>Informationen</strong> im heuristischen Prozess<br />

des Entwerfens ist höchst kompliziert und<br />

geht überwiegend im vorsprachlichen Bereich<br />

vor sich. Erst die Notwendigkeit der Erklärung<br />

zwingt uns, unser Metier der Zeichnung zu verlassen<br />

und auf die der Sprache umzusteigen,<br />

11


wie auch der bildende Künstler oder der Komponist,<br />

wenn er etwas über seine Kunst sagen<br />

soll. Nur beim Schriftsteller sind Denkform und<br />

Ausdrucksform deckungsgleich. Sein Medium<br />

ist die Sprache. Der Architekt muss sich eines<br />

Mediums aus zweiter Hand bedienen, und damit<br />

beginnt das Elend.<br />

Betrachtet man das <strong>Architekten</strong>kauderwelsch<br />

näher, dann fallen ja nicht nur die heute gebräuchlichen<br />

Sprachschlampereien auf, die wir<br />

mit allen anderen teilen, sondern ein unbezähmbarer<br />

Hang zu verbaler Hochstapelei. Denken<br />

<strong>Architekten</strong>, man erwarte von ihnen eine eigentümliche<br />

Ausdrucksweise, oder halten sie es für<br />

angebracht, durch bedeutsame Wortbildungen<br />

staunende Aufmerksamkeit zu heischen Wäre<br />

es sogar möglich, dass <strong>Architekten</strong> als eine<br />

Zunft, die eher dem gestaltenden Handwerk<br />

als den Geistesarbeitern zugerechnet wurde<br />

und erst relativ spät eine akademische Ausbildung<br />

erhielt, unter Komplexen leiden, die sie<br />

durch sprachliche Hypertonie zu kompensieren<br />

versuchen Wie anders soll man sich erklären,<br />

dass ein Berufsstand, der mit Form und Gestalt<br />

umgeht, ein so unglückliches Verhältnis zur<br />

Sprache hat, von dem die vielzitierten Preisgerichtsprotokolle<br />

nur ein kurioses Indiz sind Da<br />

werden von qualifizierten Kolleginnen und Kollegen<br />

Satzungetüme von monströser Banalität<br />

gebastelt, Leerformeln und Füllworte verschüttet,<br />

lächerliche Großworte kreiert, als ob wir die<br />

Hofschneider für des Kaisers neue Kleider wären.<br />

Dabei geht es nicht um schulmeisterliche<br />

Kritik am Umgang mit Grammatik, Syntax oder<br />

Orthographie – wer werfe da den ersten Stein<br />

Es geht um die Wiedergewinnung einer verlorenen<br />

sprachlichen Kultur.<br />

„Wenn dein Bisschen an sich nichts Sonderbares<br />

ist, so sage es wenigstens ein bisschen<br />

sonderbar.“<br />

Georg Christoph Lichtenberg<br />

„Mäßig“ hat gerade maßlos Konjunktur. Fragte<br />

man früher jemanden, wie‘s geht, und er antwortete:<br />

„Mäßig!“, dann wusste man Bescheid:<br />

nicht schlecht, nicht gut, halt den Umständen<br />

entsprechend. Die Antwort bezog sich auf die<br />

Verhältnismäßigkeit. Heute ist „mäßig“ ein<br />

Mädchen für alles. Der Grundriss sei „wohnmäßig“<br />

in Ordnung, aber „erschließungsmäßig“<br />

problematisch. Beton, so meinte der Student,<br />

hätte er sich „Tadao-Ando-mäßig“ vorgestellt.<br />

„Verkehrsmäßig“ hielt mein Taxichauffeur die<br />

Innenstadt für chaotisch. Dann schilderte er mir<br />

ein neues Restaurant; es sei innen so „japanischmäßig“.<br />

Schön zu hören, dass die Sprache<br />

12


des Volkes sich nicht von der seiner akademischen<br />

Elite unterscheidet, deren exzellente<br />

Schulbildung ihr immerhin die Überwindung<br />

des NC erlaubte.<br />

Viele Begriffe sind nur solange konsensfähig,<br />

als sie ungeöffnet bleiben. Dazu gehören Wörter<br />

wie „Maßstäblichkeit“, die sich immer gut<br />

machen, aber mit denen man nichts anfangen<br />

kann, solange man nicht weiß, worauf diese<br />

sich beziehen. Dann schwirren sie frei im Raum<br />

herum; aber sobald sie sich irgendwo niedergelassen<br />

haben, verunreinigen sie jedes Gespräch,<br />

denn wenn von „Maßstäblichkeit“ die Rede ist,<br />

so ist dies keine qualifizierende Feststellung, da<br />

der Vergleich fehlt. Wenn das hässliche Wort<br />

„Maßstäblichkeit“ angesagt ist, nickt jeder mit<br />

dem Kopf und keiner weiß, was der andere<br />

darunter versteht. Von welchem Maßstab ist<br />

die Rede 1:500, 1:100, oder 1:20 Oder heißt<br />

es, dass bestimmte Maße zu bevorzugen seien<br />

Vielleicht meint man ja Kleinteiligkeit, Proportion<br />

oder Rhythmus. Aber diese Worte kommen<br />

im Repertoire der <strong>Architekten</strong> kaum noch<br />

vor. Und von Schönheit zu reden grenzt fast an<br />

Verrat. Was heißt also maßstabsgerecht Die<br />

Diskussionen darüber sind entnervend: „Maßstabsgerecht,<br />

also nicht monumental“ Aha!<br />

„Hat ein Monument keinen Maßstab“ „Doch,<br />

aber einen falschen.“ „Was wäre dann ein<br />

richtiger Maßstab“ „Ein menschlicher!“ Welcher<br />

bitte Der von Albert Schweizer oder von<br />

Sadam Hussein<br />

Was sagt uns das Modewort „Transparenz“,<br />

das noch immer als Alibi für demokratische Gesinnung<br />

missbraucht wird Der Begriff „Transparenz“<br />

ist so wenig gut oder böse wie das<br />

deutsche Wort „Durchsichtigkeit“. Da man nie<br />

genau weiß, was damit gemeint ist, und es je<br />

nach dem Zusammenhang seine Bedeutung<br />

ändert, wird die sprachliche Kommunikation<br />

erschwert. Man sollte deshalb lieber ganz auf<br />

prätentiöse Metaphern verzichten, denn sie gehen<br />

meistens daneben.<br />

„Wenn ich ein Wort gebrauche“, sagte Goggelmoggel<br />

in recht hochmütigem Ton, „dann<br />

heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht<br />

mehr und nicht weniger.“ „Es fragt sich nur“,<br />

sagte Alice, „ob man Wörter einfach etwas<br />

anderes heißen lassen kann.“ „Es fragt sich<br />

nur“, sagte Goggelmoggel, „wer der Stärkere<br />

ist, weiter nichts.“<br />

Lewis Carroll, Alice im Wunderland<br />

Fest verankert im architektonischen „Wortstoff“<br />

sind Unwörter wie „Fußläufigkeit“ und<br />

13


„Geschossigkeit“. Erstere ließe sich vielleicht<br />

mit einer Salbe behandeln. Ich stelle mir das jedenfalls<br />

sehr lästig vor, fußläufig zu sein, auch<br />

für die anderen, und man sollte etwas dagegen<br />

tun. Fußgänger sind mir zwar bekannt. Fußläufer<br />

weniger. Aber es ist sicher nur eine Frage der<br />

Zeit, bis wir in unseren Städten Fußläuferzonen<br />

einrichten. Ich schaue mir immer die Gesichter<br />

an, wenn einer sagt: „Der Bahnhof ist fußläufig<br />

zu erreichen.“ Aber keiner lacht. Auch nicht<br />

wenn einer von der „Geschossigkeit“ redet. Im<br />

Gegenteil. Das wird von Gemeinderäten und<br />

Journalisten für einen authentischen Fachausdruck<br />

gehalten. Wie kommt es nur, dass das<br />

einfache Wort “Geschosszahl“ verdrängt werden<br />

konnte SOS, liebe Freunde und Freundinnen:<br />

nicht nur unsere Sprache ist gefährdet.<br />

Das sitzt tiefer! Ist denn unser Sprachgefühl für<br />

falsche Töne schon so abgestumpft, dass wir<br />

uns nicht mehr bodenlos schämen – oder einfach<br />

darüber schallend lachen Aber die Infektionsgefahr<br />

ist groß. Ich las soeben in einem Bericht<br />

über eine Stadtbilduntersuchung von der<br />

„Sprossigkeit“ der Altstadt! Wem sich da nicht<br />

der Magen rumdreht! Nun, wenn‘s schon fußläufig<br />

zugeht, dann wird‘s bald auch „fenstrig,<br />

stufig und treppig“ zugehen. Traurig, schaurig.<br />

Und so nachhaltig.<br />

„Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem<br />

Punkt, wo sie verkörpert werden.“<br />

Georg Büchner, Dantons Tod<br />

<strong>Architekten</strong> sollten davon ablassen, die deutsche<br />

Sprache um weitere Phrasen und Platituden<br />

zu bereichern. Dabei muss man anstandshalber<br />

den „Planern“ das Urheberrecht für die<br />

meisten verquasten Neuschöpfungen einräumen.<br />

Das hat Tradition. Ernst Neufert, der Banale<br />

grande unter den <strong>Architekten</strong> seiner Zeit,<br />

taufte sein Büro etwas gespreizt „Planerhof“<br />

und sein privates Refugium „Planerklause“.<br />

Einen Höhepunkt erreichte die Reform der Fachsprache<br />

im Windschatten der 68er Bewegung,<br />

in der sich einige Kollegen verbissen um die Erfindung<br />

einer neuen Fachsprache bemühten:<br />

„lch gehe in die Planung!“ Was dabei herauskam<br />

war das elitäre Planersanskrit, das schließlich<br />

an den „Beplanten“ scheiterte, die sich gegen<br />

den unverständlichen Sprachenkrampf zur<br />

Wehr und manchen Planer an die Luft setzten.<br />

Es lohnt sich, der Herkunft und Bedeutung von<br />

Wörtern nachzugehen, um deren Missbrauch<br />

zu entlarven. Etwa das Wort „Raum“. Der<br />

Dichter Hans Grimm lieferte mit seinem Buchtitel<br />

„Volk ohne Raum“ (1926) den Nationalsozialisten<br />

ein wichtiges Propagandawort. Ein<br />

14


Ausschnitt der zweidimensionalen Erdoberfläche<br />

wurde durch eine fiktive dritte Dimension<br />

zum globalen „Raum“ erhöht. Von nun an war<br />

vom politischen und vom völkischen „Raum“<br />

die Rede, was den Expansionsanspruch deutlich<br />

machen sollte. Der „Raumplaner“ wurde geboren<br />

und auch bald von Innenarchitekten in<br />

Anspruch genommen. Eigentlich müsse man sie<br />

„Flachplaner“ nennen, schlug ein prominenter<br />

Städtebauer vor, da ihnen die dritte Dimension<br />

fehle. Der Tapezier avancierte zum „Raumgestalter“,<br />

die Putzfrau zur „Raumpflegerin“.<br />

Aber aus Spaß wurde Ernst und man mag daran<br />

erkennen, wie leicht sich Sprache als Werkzeug<br />

der Psycholinguistik missbrauchen lässt.<br />

„Werdaustik wars, und glasse Wieben<br />

rotterten gorkicht im Gemank;<br />

Gar elump war der Puckerwank,<br />

Und die gabben Schweiselfrieben.“<br />

Lewis Carroll, Alice im Wunderland<br />

Jedes Jahrzehnt ist durch fragwürdige Wortschöpfungen<br />

charakterisiert, mit der sich die<br />

sogenannte Fachsprache datieren lässt. Der<br />

günstige Standort wurde zur „Standortgunst“,<br />

als ob ein Ort jemandem Gunst erweise. Ein fatales<br />

Leitwort war die „Flächensanierung“. Mit<br />

der Hoffnung auf Wohlfahrt wurde damit der<br />

Abriss ganzer Stadtquartiere in Gang gesetzt.<br />

Zugleich wurde der Beruf des „Advokatenplaners“<br />

erfunden, ein blödes Wort, da der ja<br />

keine Advokaten plante. Das „städtebauliche<br />

Szenario“ nahm sich wichtig und dann kam die<br />

Translozierung, ein Begriff, mit dem man bald<br />

auch die Umsiedlung von Menschen beschönigte.<br />

Neueren Datums sind jene sprachlichen<br />

Missgeburten, die wie die „Bekunstung“, die<br />

„Verlärmung“ einer Straße, die „Verortung“<br />

oder gar die „Verstetigung“ einer Planung bis<br />

hin zur „Entbaumung“, was ich naiverweise<br />

für einen missratenen Scherz hielt. Das gab solchen<br />

Kunstworten schon immer jenen Hauch<br />

von Unredlichkeit, der ihnen bis heute anhängt.<br />

Manch engagiertem Kollegen gelang sogar die<br />

Zeugung völlig neuer Fremdworte, deren Herkunft<br />

und Sinn allerdings im mystischen Dunkel<br />

blieb. Ich empfehle daher, sich die Sprachrevolutionäre<br />

gut zu merken, damit man sich später<br />

an sie erinnert. Die <strong>BDA</strong>-Zeitschrift „der architekt“<br />

könnte vielleicht einen „Sprachpranger“<br />

zur Rettung der Sprachhygiene einrichten.<br />

In dem fachspezifischen Missbrauch der Sprache<br />

schlummert brisanter Stoff für eine Dissertation,<br />

die weit mehr aufdecken würde als nur<br />

wichtigtuerisches Gehabe. Die „Verknappung“<br />

der Sprache, wie wir sie aus Polizeiberichten<br />

15


und vom Kasernenhof her kennen, wird auch<br />

von Verwaltung und Politik bevorzugt. Es ist die<br />

kategorische Sprache von Erlassen und Verfügungen,<br />

die sich der rigorosen Substantivierung<br />

bedient, um sich Autorität zu verleihen: „Beeilung-Beeilung!“<br />

Es wird nicht durchgeführt,<br />

sondern „zur Durchführung“ gebracht, nicht<br />

bewiesen, sondern „unter Beweis gestellt“.<br />

Und es sind dieselben sprachlichen Mittel, derer<br />

sich die Nazis bedienten. Was mich irritiert, ist<br />

die Wiederkehr solcher Tendenzen und ihre unkritische<br />

Nachahmung auch in der jungen Generation.<br />

Mir machen diese mediokren Schlagworte<br />

wie „Entsorgung“ mehr Angst als eine<br />

Horde von Skinheads!<br />

Sie konnten so etwas noch nie feststellen<br />

Dann studieren Sie doch einmal aufmerksam<br />

eine Wettbewerbsausschreibung. Da wird „gefordert“<br />

und „verlangt“, es „ist einzureichen“,<br />

der Verfasser „hat zu liefern“! Merkt denn keiner<br />

was Manche Ausschreibungen nehmen<br />

sich aus wie Stellungsbefehle. Seit Jahren wehre<br />

ich mich vergeblich gegen diesen autoritären<br />

Umgangston. Welcher Arzt oder Anwalt würde<br />

sich diese Form von Anweisungen bieten lassen<br />

Wer will denn hier seine Macht beweisen Der<br />

Auslober, seine Berater, oder sind es nicht die<br />

<strong>Architekten</strong>kammern mit ihren Wettbewerbsausschüssen,<br />

die noch nicht gemerkt haben,<br />

dass sie nicht unsere Vorgesetzten sind und<br />

dass wir unsere Leistungen freiwillig und ohne<br />

Honorierung für die Öffentlichkeit erbringen.<br />

Mephistofeles:<br />

Im ganzen – haltet euch an Worte!<br />

Dann geht ihr durch die sichre Pforte zum<br />

Tempel der Gewißheit ein.<br />

Schüler:<br />

Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.<br />

Mephistofeles:<br />

Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu<br />

ängstlich quälen;<br />

Denn eben wo Begriffe fehlen,<br />

Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.<br />

Mit Worten läßt sich trefflich streiten,<br />

Mit Worten ein System bereiten,<br />

An Worte läßt sich trefflich glauben,<br />

Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.<br />

Johann Wolfgang von Goethe, Faust<br />

In der Wortwahl und im Sprachgebrauch<br />

drücken sich schonungslos aktuelle Ideologien<br />

und damit auch das Verhältnis zu unseren<br />

Mitmenschen aus. Von denen ist meist dann<br />

die Rede, wenn man ihnen etwas verkaufen<br />

will. Aber warum halten es manche <strong>Architekten</strong><br />

für nötig, ständig die“ Menschlichkeit“ ihrer<br />

16


Bauten zu betonen Mir kommt das so vor,<br />

als wenn ein Arzt sich ständig darauf berufen<br />

würde, dass er einen Dienst am Menschen<br />

leiste. Dazu ist er ja eigentlich da. Aber tun<br />

nicht manche so, als sei das Selbstverständliche<br />

etwas Außergewöhnliches Doch gerade wer<br />

mit seinem „menschlichen Bauen“ hausieren<br />

geht, unterstellt den anderen Ignoranz oder<br />

Fahrlässigkeit. Darum sagte Bert Brecht:<br />

„Wenn ich das Wort ‚menschlich’ höre, dann<br />

ist es Zeit, die Maschinenpistole zu entsichern.“<br />

Demgegenüber ist der Fachjargon der Studenten<br />

relativ harmlos. Sie beginnen stets<br />

damit, dass der Verfasser seine Sache „bewusst“<br />

so gemacht habe, wovon man ja<br />

eigentlich ausgeht. Im Augenblick könnte man<br />

allerdings meinen, Architektur sei eine Art von<br />

Transportunternehmen. Baukörper werden „angedockt“,<br />

Räume „angelagert“, Grundrisse<br />

„verschachtelt“. Es ist gewiss auch ein schöner<br />

Zug von uns, sich mit den eigenen Produkten<br />

zu identifizieren: „Also hier habe ich bewusst<br />

meine Treppe verortet, dort finden meine<br />

Wohnaktivitäten statt, und da habe ich meine<br />

Intimzone, daneben meinen Rückzugsbereich.“<br />

Das lässt auf heftige Kämpfe an der Wohnfront<br />

schließen. Die „Nasszelle“ sagt überdeutlich<br />

was sie ist. Aber beide Begriffe erfreuen sich<br />

auch beim Publikum großer Beliebtheit. Es soll<br />

eben alles nach ein bisschen Mehr „tönen“.<br />

Die einst nutzungsneutralen Räume – Zimmer<br />

und Kammer – ließen es offen, wozu sie dienen<br />

konnten. Bezeichnungen der Nutzungen blieben<br />

den Bewohnern überlassen. Mörike, der häufig<br />

umzog, zeichnete mit Sorgfalt seine möblierten<br />

Wohnungen auf und benannte sie nach den<br />

Farben der Wände. An ihre Stelle traten die<br />

Raumfunktionen: Wohnzimmer, Esszimmer,<br />

Schlafzimmer, samt dem Alkoven fürs Personal.<br />

Nach dem Krieg kam der kategorische Imperativ:<br />

Wohnen, Essen, Kochen, Schlafen. Nur beim<br />

Klo wusste man nicht so recht.<br />

„Der Stil erhält die Schönheit vom Gedanken,<br />

statt daß bei jenen Scheindenkern die<br />

Gedanken durch den Stil schön werden sollen.<br />

Daher nun ist die erste, ja schon sich allein<br />

beinahe ausreichende Regel des guten Stils<br />

diese, daß man etwas zu sagen habe: O, damit<br />

kommt man weit!“<br />

Arthur Schopenhauer<br />

Zwischen Tragik und Komik pendeln die Beurteilungen<br />

in den vielzitierten Preisgerichtsprotokollen.<br />

Dabei sollte man sich lieber das Lachen<br />

verkneifen, denn allzu schnell sitzt man selbst<br />

in der Falle und soll einen schlüssigen und flüssigen<br />

Text über etwas so Komplexes wie einen<br />

17


Wettbewerbsentwurf auf einer Schreibmaschinenseite<br />

formulieren, wenn alle anderen drumherum<br />

sitzen. Dann kann leicht so ein pathetischer<br />

Satz wie dieser herauskommen (Originaltext<br />

eines bekannten <strong>Architekten</strong> als Juror):<br />

„Die sich stellende Wettbewerbsaufgabe ist in<br />

ihrer Funktionalität richtig erkannt. Es ist jedoch<br />

den Entwurfsverfassern/innen nicht gelungen,<br />

diese im Sinne der spezifischen Problematik<br />

überzeugend zu lösen.“ Dieser wohltönende<br />

Satz – mit überzeugender Stimme vorgetragen<br />

– sagt überhaupt nichts, beeindruckte<br />

aber das Preisgericht. Würde man ihn in einen<br />

Entsafter stecken, hieße er einfach: „Die Problematik<br />

der Aufgabe wurde erkannt, aber nicht<br />

gelöst.“ Warum hat der Autor nur so viel Verpackungsmaterial<br />

für eine ganz prosaische Aussage<br />

gebraucht Aber damit bildet sich in der<br />

Sprache eben auch ein Stück der Alltagsrealität<br />

ab: Viel „Tara“ für wenig „Netto“.<br />

Schriftliche Beurteilungen sind meist Collagen<br />

nichtssagender Versatzstücke, die nur noch<br />

mit ein paar Wertungen angereichert werden<br />

müssen, wie zum Beispiel: dem Verfasser ist es<br />

gelungen / auf Anhieb besticht / kann nicht befriedigen<br />

/ wird von der Jury gelobt / wird vermisst<br />

/ ist nicht akzeptabel / wird bemängelt / ist<br />

denkbar / ist kritisch zu bewerten / lässt erkennen,<br />

dass … Manche Texte gleichen Hymnen,<br />

manche versteigen sich in neue Wortschöpfungen.<br />

Leider habe ich versäumt, die schönsten<br />

Stilblüten zu sammeln. Aber einige authentische<br />

Fundstücke mögen der Steigerung unseres<br />

Frohsinns dienen:<br />

Schulhauswettbewerb Wildberg: “Die Sekretärin<br />

liegt ungeschickt unter dem Rektor. Auch<br />

der Hausmeister weist kleine Schwächen auf.“<br />

Theater Paderborn: „Dass die Damentoiletten<br />

nur über die Bühne erreichbar sind, wird vom<br />

Nutzer als unpraktisch erkannt.“ Ideen-Wettbewerb<br />

Dresden: „Der Carolaplatz bildet ein<br />

angemessenes Foyer für den Freistaat Sachsen,<br />

da dieser in einer konventionellen Platzwand<br />

verharrt.“<br />

Schließlich tragen auch Diktier- und Schreibfehler<br />

zur Unterhaltung bei. Bürgerhaus Villingen-<br />

Schwenningen: „Der Entwurf besticht durch<br />

seine schönen Seele.“ Bürogebäude Leipzig:<br />

„Der Entwurf zeichnet sich durch unterdurchschnittliche<br />

Planungstaten aus.“ Verlagshaus<br />

Hamburg: „Der umbaute Raum liegt im oberen<br />

Bereich. Dies kann jedoch durch das große Lustvolumen<br />

der Büros kompensiert werden.“<br />

18


„Das König der Biere“<br />

„Weil es schmeckt so gut.“<br />

TV-Werbung<br />

Dass auch die Werbung auf die Fachsprache<br />

abfärbt, kann man nur zähneknirschend zur<br />

Kenntnis nehmen und sich mehr Achtsamkeit<br />

im Umgang mit der Sprache wünschen. Wir<br />

leben in einer Epoche des Etikettenschwindels<br />

mit dem Zeitstil, mehr zu scheinen, als zu sein.<br />

Ein Projekt ist offenbar etwas Besseres als ein<br />

Entwurf, obwohl beides genau dasselbe ist. Der<br />

Schulhof wird zur „Agora“, die Pausenhalle<br />

zum „Forum“, die Auskunft zur „Info-Bar“, die<br />

Vorhalle zur „Loggia“.<br />

Die Korrosion der Sprache durch den Computer<br />

mit seinen dummdeutsch übersetzten Befehlen<br />

ist kaum mehr aufzuhalten. Aber mit dieser<br />

Sprachverblödung werden die kommenden<br />

Generationen leben müssen. Fachbegriffe wie<br />

„Benutzeroberfläche“ oder neue Verben wie<br />

„upgraden“ oder „downloaden“ schmecken<br />

wie Rizinusöl, nur wirken sie leider nicht so.<br />

Aber wenn wir diese Entwicklung schon nicht<br />

mehr aufhalten können, sollten wir uns wenigstens<br />

das homerische Gelächter über solchen<br />

Schwulst nicht nehmen lassen. Gerade weil die<br />

Sprache heute von so vielen Piraten gekapert,<br />

geschunden und gequält wird, sollten wir sie<br />

nicht auch noch persönlich „gestalten“ wollen,<br />

sondern sie einfach in Ruhe lassen und eine<br />

Lanze für die sprachliche Einfachheit brechen.<br />

Was dem <strong>Architekten</strong>deutsch Not tut, ist eine<br />

Entfettungsdiät. Lieber mit wenigen Worten<br />

viel sagen als umgekehrt. Wie sagte doch der<br />

Meister der Sprachverkürzung, Konrad Adenauer<br />

einmal so trefflich: „Je einfacher denken,<br />

ist manchmal ein Vorteil.“ Dem ist in diesem<br />

Fall nichts hinzuzufügen.<br />

Max Bächer<br />

Sprechende Architektur<br />

„Architektur ist eine Sprache mit der Disziplin<br />

einer Grammatik, man kann Sprache im Alltag<br />

als Prosa benutzen, und wenn man sehr gut<br />

ist, kann man ein Dichter sein.“<br />

Mies van der Rohe<br />

Wie verträgt sich das mit „Form follows function“<br />

„Bauen ist ein technischer, kein ästhetischer<br />

Prozeß, so Hannes Meyer, der beinharte<br />

Bauhäusler, und der zweckmäßigsten Funktion<br />

des Hauses widerspricht je und je die künstlerische<br />

Komposition.“ Auf einen Schelm andert-<br />

19


halbe setzt das Enfant terrible unserer Zunft,<br />

Le Corbusier: „Der Grundriß wirkt von Innen<br />

nach Außen. Das Äußere ist das Resultat des<br />

Inneren.“ Punktum. Die Fassaden ergeben sich<br />

automatisch aus dem, was drinnen ist. Voltaire:<br />

„Ein Dummer findet stets einen noch Dümmeren,<br />

der ihn bewundert.“ J.J. Pieter Oud rechnet<br />

jedenfalls nicht dazu. Der Slogan, sagte er, war<br />

nichts als ein „Universalmittel für baukünstlerische<br />

Impotenz“.<br />

„Die Form folgt überhaupt nicht“, sagt Julius<br />

Posener, und Theordor W. Adorno: „Jede Form<br />

symbolisiert ihre Inhalte, keine Form ist gänzlich<br />

aus ihrem Zweck geschöpft.“ Damit ist eigentlich<br />

alles gesagt. Peter Blake gab seiner Abrechnung<br />

mit der Moderne (Why Modern Architecture<br />

Hasn‘t Worked) den Buchtitel „Form Follows<br />

Fiasco“ (1974).<br />

Erst der „Postmoderne“ Robert Venturi musste<br />

kommen und seine Profession daran erinnern,<br />

dass das Äußere eines Gebäudes anders als das<br />

Innere ist. Es bleibt sein Verdienst – Jahrzehnte<br />

nach Mies –, den Sprachcharakter von Architektur<br />

wieder hervorgehoben zu haben (Complexity<br />

and Contradiction in Architecture, 1966).<br />

Die Fassade gehört zum Straßenraum. Die<br />

dichtgereihten Bürgerhäuser hatten nur eine<br />

Schauseite, um als unterscheidbarer Teil zur<br />

Vielfalt in der Einheit beizutragen, ihr Gesicht<br />

zu zeigen. „Fassade“ leitet sich ab von „face“.<br />

Anthropomorphe Bezüge sind in der Architektur<br />

keine Seltenheit. Man denke nur an „skin<br />

and skeleton“ für das moderne Stahlgerüst mit<br />

der vorgeblendeten Metallglashaut.<br />

Eine ganz wesentliche neue Einsicht ist eine<br />

ganz alte, aber von der Moderne ignorierte,<br />

dass Bauten nicht nur genutzt, sondern auch<br />

gesehen und wahrgenommen werden. Ob einer<br />

nun will oder nicht, verhält es sich so. „Architecture<br />

parlante“: das ist ja nicht neu. Sprache<br />

bedeutet Form. Aber erst die Semiotik hat<br />

Architektur als ein Zeichensystem interpretiert,<br />

als Medium der Verständigung.<br />

Die Baukunst der Vergangenheit, die alten<br />

Stadtbilder zeigen deutlich genug, wie sehr<br />

man damit rechnete, dass das Gebaute auch<br />

betrachtet wurde. Man berücksichtigte seine<br />

visuelle und körperlich-räumliche Wirkung. Es<br />

diente den Menschen nicht nur zur Behausung,<br />

es respektierte sie zugleich als sehendes und<br />

wahrnehmendes Wesen.<br />

20


Aber Formen sind anders als Wörter uneindeutig<br />

und können auch nichtssagend sein. Deshalb<br />

klappte ja die Verständigung zwischen Modernen<br />

und den Leuten nicht mehr. „Without rhetoric“<br />

(Peter Smithson): darauf hielt man sich<br />

sogar noch etwas zugute.<br />

Venturi hat die Eigenständigkeit der Fassade betont.<br />

Von Las Vegas gelernt! Den Vergnügungsbuden<br />

dort entlang des „Strip“ sind Billboards<br />

(Reklametafeln) angepappt wie – so Venturi –<br />

dem Palazzo Farnese die Renaissancefassade.<br />

Beide sagen, was drinnen los ist und existieren<br />

unabhängig. Ändert sich der Inhalt, können<br />

sie ausgewechselt werden. Der Palast bekäme<br />

dann vielleicht eine Barockfront verpasst.<br />

Eine andere Einsicht oder Erkenntnis, die wir<br />

der Postmoderne verdanken, ist die „Doppelcodierung“.<br />

Das meint ein Sprechen auf zweierlei<br />

Ebenen. In einer Mischung aus Umgangssprache<br />

und verfeinerter Ausdrucksweise. Venturi<br />

plädiert für die Verwendung von Formen, die<br />

durch langen Gebrauch vertraut sind und das<br />

allgemeine Vokabular bilden. Sie dürfen verändert,<br />

verfremdet werden. In Verbindung mit<br />

Altem habe Neues dann durchaus eine Chance<br />

verstanden zu werden.<br />

Die Mozarts wussten diese Strategie erfolgreich<br />

einzusetzen: Doppelcodierung „avant la<br />

lettre“. 1781 fand bekanntlich die Uraufführung<br />

des „Idomeneo“ im Münchner Hoftheater<br />

statt. Drei Monate zuvor schrieb der besorgte<br />

Vater Leopold dem Amadé: „Ich empfehle dir,<br />

bey der Arbeit nicht einzig und allein für das<br />

musikalische, sondern auch für das ohnmusikalische<br />

Publikum zu denken - du weißt, es sind<br />

100 ohnwissende gegen 10 Kenner - vergiss<br />

also das so genannte Populare nicht, das auch<br />

die langen Ohren kitzelt.“<br />

Wilhelm Kücker<br />

Stütze und Fenster – Anmerkungen zu<br />

zwei Vokabeln der Sprache Architektur<br />

Stütze oder Säule<br />

Stützen gehören zu den traditionell wichtigsten<br />

Bedeutungsträgern in der Architektur. Der<br />

Sprachgebrauch unterscheidet zwischen Stütze<br />

und Säule, eine Differenzierung, die etwa den<br />

Unterschied zwischen dem reinen Tragelement<br />

und einem mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladenen<br />

Bauelement bezeichnet. Die Form einer<br />

dorischen Säule etwa lässt sich zunächst aus<br />

21


konstruktiven und statischen Anforderungen<br />

ableiten, wird aber im Lauf der Architekturgeschichte<br />

zunehmend zu einem Bedeutungsträger.<br />

Wie sehr sich die Bedeutung einer Säule<br />

als Teil eines Zeichensystems verselbständigt<br />

und von der ursprünglichen statischen Funktion<br />

entfernt, zeigen Bauformen wie Lisenen<br />

und Pilaster, die als nur schmale Wandvorlagen<br />

keine Kräfte abtragen oder die Anwendung von<br />

Säulen vor tragenden Wänden als reine Architekturgliederung.<br />

Die ursprüngliche Funktion<br />

einer Säule als Stütze wird hier aufgegeben<br />

zugunsten einer symbolischen Repräsentation<br />

in einer rein grafischen oder skulpturalen<br />

Komposition. Das Wort Komposition darf man<br />

etwa bei der Fassade des Palazzo Rucellai von<br />

Leon Battista Alberti in Florenz, die nach musikalischen<br />

Proportionen aufgebaut ist, durchaus<br />

wörtlich nehmen.<br />

Zu den bewussten Brüchen der Moderne mit<br />

dieser architektonischen Tradition gehört etwa<br />

die Ausformung der Stützen, der so genannten<br />

Pilotis, im Werk Le Corbusiers aus den 20er Jahren.<br />

Diese Pilotis führen die Stütze auf ihre reine<br />

Tragfunktion zurück; sie sollen nur Stützen sein<br />

und sonst nichts. Anders als die Stützen des<br />

Systems Hennebique, deren Kopf noch entfernt<br />

an Kapitelle erinnert, sind bei Le Corbusier alle<br />

derartigen Assoziationen getilgt. (Diese „Ein“-<br />

deutigkeit geht dabei paradoxerweise sogar zu<br />

Lasten statischer Anforderungen: das System<br />

Hennebique ist statisch die bessere Konstruktion<br />

und wesentlich geeigneter als die Pilotis, das<br />

Stützmoment aufzunehmen und ein Durchstanzen<br />

der Stützen durch die Decke zu verhindern.<br />

Paradoxerweise ist also das System Hennebique,<br />

das scheinbar Referenzen an die traditionelle<br />

klassische Architektursprache aufweist, die vom<br />

Tragverhalten her bessere Lösung).<br />

Die <strong>Architekten</strong> der Moderne glaubten, mit der<br />

Reduktion von Bauteilen auf ihre rein konstruktive<br />

und statische Funktion eine architekturspezifische<br />

Formensprache gefunden zu haben, die<br />

ohne Verweisung auf außerarchitektonische<br />

Inhalte unmittelbar verständlich ist, quasi also<br />

eine Eigensprachlichkeit von Architektur, vergleichbar<br />

der absoluten Musik. Hier wird Referentialität<br />

durch Symbol und Metapher geradezu<br />

demonstrativ eine Absage erteilt.<br />

Betrachten wir vor diesem Hintergrund die<br />

Stützen der Neuen Nationalgalerie in Berlin<br />

von Mies van der Rohe: Nur acht Stützen tragen<br />

ein 10.000 m² großes Dach. Sie bestehen<br />

im Grundriss aus einer Art Hybridform, nämlich<br />

zwei rechtwinklig miteinander verschnittenen<br />

22


I-Trägern. Die Form eines I-Trägers zeichnet sich<br />

aus durch ein bezogen auf Querschnitt und Lasteinwirkung<br />

optimiertes Widerstandsmoment.<br />

Die beiden miteinander verschnittenen I-Träger<br />

bieten also ein in beiden horizontalen Dimensionen<br />

optimiertes Verhältnis von Widerstandskraft<br />

zu Materialaufwand. Die Stützen sind unten<br />

eingespannt und haben oben ein Gelenk,<br />

das gleichermaßen Lasteinleitung wie Aufnahme<br />

von Bewegungen durch Ausdehnung oder<br />

unterschiedliche Lastfälle garantiert. Die Einspannung<br />

wird ablesbar auch an der leicht konischen,<br />

nach oben verjüngten Form, die dem<br />

zum Stützenfuß hin zunehmenden Moment<br />

aus Horizontalkräften entspricht. So weit, so<br />

statisch klar und unanfechtbar.<br />

Zugleich enthält diese Ausformung der Stützen<br />

aber unübersehbare Referenzen an die klassische<br />

Architektur, insbesondere die dorische<br />

Säulenordnung. Die durch die Gestalt des Säulenschaftes<br />

bedingte Anzahl vertikaler Kanten<br />

erinnert an die Kanneluren griechischer Säulen,<br />

die konische Verjüngung an die Entasis<br />

des dorischen Systems. Der Stützenkopf weckt<br />

Assoziationen an die Kapitelle der klassischen<br />

Architektur. Insbesondere die Verbindung von<br />

unvermittelt (ohne „Basis“) aus dem Boden<br />

ragendem Säulenschaft mit einem vermittelnden<br />

Kopfelement beim Übergang zum Dachtragwerk<br />

verweist unmissverständlich auf die<br />

dorische Säulenordnung. Ohne mit nur einem<br />

Detail die rein statische Ausformung der Stütze<br />

zu verraten, gelingt Mies van der Rohe hier<br />

eine hohe Referentialität an den Inbegriff klassischer<br />

Baukunst, den griechischen Tempel mit<br />

dorischer Säulenordnung. Über eine rein formale<br />

Ähnlichkeit hinaus begründet sich damit<br />

auch ein Anspruch auf Klassizität und damit auf<br />

eine von zeitlicher Gebundenheit unabhängige<br />

überzeitliche Gültigkeit.<br />

Beide Lesarten dieser Architektur setzen ein hohes<br />

Maß an Vorkenntnis voraus: zum einen das<br />

Wissen um die statischen Verhältnisse und die<br />

seit der Entwicklung einer rechnerischen Statik<br />

entwickelten Bausysteme, zum anderen eine<br />

Kenntnis der klassischen Bautradition und ihrer<br />

Elemente. Der Bau der Nationalgalerie wendet<br />

sich also an „Leser“, die eine oder möglichst,<br />

zum vollen Verständnis, beide unterschiedlichen<br />

Architektursprachen kennen sollten: die<br />

auf statische Gesetzmäßigkeiten antwortende<br />

Ingenieurbaukunst und die durch Jahrhunderte<br />

tradierte und abgewandelte Sprache einer klassischen<br />

Architektur.<br />

23


Eine vergleichbare Mehrfachcodierung zeigt die<br />

Kuppel des Projekt gebliebenen Parlamentsgebäudes<br />

von Joze Plecnik in Ljubljana; nur entsteht<br />

sie auf umgekehrtem Wege: Die Säulen,<br />

die die Kuppel tragen, folgen ganz dem klassischen<br />

Aufbau, mit Basis, kanelliertem Schaft<br />

und Kapitell. Was sie im Sinne klassischer Architektur<br />

dagegen geradezu zu einem Skandalon<br />

macht, ist die Abweichung vom rechten Winkel:<br />

Alle Säulen stehen, statisch korrekt dem Kraftfluss<br />

entsprechend, schräg. Joze Plecnik verbindet<br />

hier, wie in anderer Weise Mies van der<br />

Rohe, die moderne Auffassung von Konstruktion<br />

mit der Tradition; bei ihm ist, anders als bei<br />

Mies van der Rohe, die Form klassisch, die Anwendung<br />

aber modern. Beiden gemeinsam ist<br />

die Überlagerung verschiedener Bedeutungsebenen<br />

an einem Bauteil – Säule und Stütze.<br />

Bild-Motiv oder Bilder-Rahmen<br />

Zur Vokabel „Fenster“ in der Architektursprache<br />

Le Corbusiers<br />

Fensteröffnungen sind ein wesentliches, wenn<br />

nicht das entscheidende Element einer Fassade:<br />

Sei es als Luke, als Teil einer Lochfassade oder<br />

als verglaste Front. Die Art, Größe, Anordnung<br />

und Lage von Fensteröffnungen geben Auskunft<br />

über die jeweilige Haltung einer Architektur<br />

zum Verhältnis von innen und außen. Als<br />

wichtiges Architekturelement sind Fenster mit<br />

Bedeutung aufgeladen; sie sind die „Augen“<br />

eines Gebäudes und werden oft, gleichsam als<br />

„Make up“, durch Rahmungen, Verdachungen<br />

usw. geschmückt und damit betont. Fenster<br />

scheinen sich, etwa im mittelalterlichen Kirchenbau<br />

oder an Renaissancepalästen, als architektonische<br />

Elemente gelegentlich geradezu<br />

zu verselbständigen. Das von Michelangelo in<br />

den Palazzo Medici-Riccardi eingebaute Fenster<br />

beispielweise bildet eine Architektur für sich;<br />

es enthält alle Elemente eines Hauses im Kleinen.<br />

Dem hohen Bedeutungsgehalt des Motivs<br />

„Fenster“ entsprechend argumentiert Auguste<br />

Perret im Sinne klassischer Metaphorik, wenn er<br />

feststellt: „La fenêtre, c´est un homme.“ In einem<br />

humanistischen Sinne ist hier der Mensch<br />

buchstäblich das Maß der Dinge; wie andere<br />

prominente Architekturglieder, etwa die Säule,<br />

wird auch das Fenster in seinen Proportionen<br />

vom menschlichen Maß abgeleitet. Perret begründete<br />

damit seine Auffassung, dass (ungeachtet<br />

der modernen konstruktiven Möglichkeiten,<br />

auch größere Fensterbreiten herzustellen)<br />

Fenster stehende, menschlichen Proportionen<br />

entsprechende Formate aufweisen sollten.<br />

24


Sein jüngerer Kollege (und Verwandter) Le Corbusier<br />

setzte dem die genau konträre Auffassung<br />

entgegen: Das von ihm propagierte horizontale<br />

Langfenster demonstriert die Möglichkeiten<br />

einer nicht tragenden Fassade vor einem<br />

tragenden Skelett. Zugleich wird das Fenster<br />

von jeder Metaphorik und symbolischen Überhöhung<br />

befreit. Es ist einfach ein Bauteil für Belichtung,<br />

Belüftung und Ausblick. Das Fenster<br />

ist hier nicht primär ein wie auch immer zu rahmendes<br />

oder zu gestaltendes Architekturmotiv,<br />

sondern kann nach Gesichtspunkten wie Belichtung<br />

und räumlicher Orientierung gestaltet<br />

werden. Auch Le Corbusier argumentiert anthropologisch,<br />

allerdings in einem rein physiologischen<br />

Sinn: Das Blickfeld des Menschen sei<br />

aufgrund der nebeneinander liegenden Augen<br />

nun einmal breiter als hoch, ein horizontales<br />

Fensterformat also angemessener. Le Corbusier<br />

bringt hier einen völlig anderen Gesichtspunkt<br />

ins Spiel: Entscheidend ist in seiner Herleitung<br />

nicht, wie das Fenster aussieht, sondern was<br />

man durch das Fenster sieht. Unterstellt man<br />

dabei, dass es Le Corbusier nicht ausschließlich<br />

um eine bessere Ausnutzung des Sichtfeldes im<br />

Sinne einer besseren Orientierung geht, stellt<br />

sich die Frage nach der Bedeutung, die der Ausblick<br />

für die innenräumliche Wirkung hat.<br />

Auch wenn sich der Fensterausschnitt durch die<br />

Stellung und Bewegung des Betrachters verändern<br />

kann, bietet die Wahl der Fensteröffnung<br />

dem <strong>Architekten</strong> die Möglichkeit, nicht nur die<br />

Lichtverhältnisse eines Raumes zu gestalten,<br />

sondern auch den gewünschten Ausblick zu arrangieren<br />

und damit als Bild zu komponieren.<br />

Die Fensteröffnung begrenzt den Ausblick; sie<br />

wird dadurch zum Rahmen und durch diesen<br />

Rahmen wird der Ausblick zum Bild. Anders<br />

ausgedrückt: Der in den Außenraum greifende<br />

Ausblick kann auch als zweidimensionales Bild<br />

aufgefasst werden.<br />

An einem in mehrerer Hinsicht exemplarischen<br />

Bau hat Le Corbusier gleich zweimal die Bedeutung<br />

des zum Bild komponierten Fensterausschnitts<br />

demonstriert. Das Haus, das er für seine<br />

Eltern am Genfer See entwarf (und dem er unter<br />

dem Titel „Une petite maison“ eine eigene<br />

Veröffentlichung widmete), weist ein langes,<br />

die Wohnräume verbindendes Fensterband auf,<br />

das einen Blick auf den See im Breitwandformat<br />

freigibt. Der seitliche Teil des Gartens wird zum<br />

See mit einer hohen Mauer abgeschlossen, aus<br />

der wiederum eine Öffnung als Ausblick ausgeschnitten<br />

ist. Lässt sich im Haus selbst das<br />

Fensterband noch mit einer gleichmäßigen<br />

Belichtung und einer guten Sichtorientierung<br />

25


erklären, so zeigt die Gartenmauer mit ihrer<br />

Öffnung deutlich, dass hier der Ausblick als Bild<br />

inszeniert wird.<br />

Doch was für ein Bild ist das In beiden Fällen<br />

zeigen die Bilder keinen Vordergrund, der eine<br />

tiefenräumliche Orientierung erlauben würde.<br />

Ohne Vermittlung „springt“ der Blick von der<br />

Fensterkante in eine unbestimmbare räumliche<br />

Tiefe, die eine Komposition aus den nur flächig<br />

zu erlebenden Elementen See, Berg und Himmel<br />

bildet. Um diese Bildwirkung zu sichern,<br />

wird eine vergleichsweise umständliche Wegeführung<br />

in Kauf genommen: Die Terrasse zwischen<br />

Haus und See kann nur durch einen seitlichen<br />

Ausgang erreicht werden. Eine direkte<br />

Verbindung, zum Beispiel über eine Fenstertüre<br />

im Wohnzimmer, hätte die Bildwirkung erheblich<br />

gestört.<br />

Untersucht man nun die Anwendung der Langfenster<br />

an anderen Gebäuden Le Corbusiers,<br />

lassen sich die hier gewonnenen Ergebnisse<br />

übertragen: Die Brüstungen sind zumeist vergleichsweise<br />

hoch und geben einen Ausblick<br />

ohne räumliche Tiefenstaffelung frei, besonders<br />

deutlich am Beispiel der Villa Savoye. <strong>Informationen</strong>,<br />

welche die räumliche Tiefe des<br />

Außenraums erlebbar machen würden, werden<br />

dem Betrachter vorenthalten. Ins Surreale gesteigert<br />

ist die Bildregie bei der Dachterrasse<br />

der Wohnung von Dr. Beistegui. Die hier scharf<br />

in etwa Augenhöhe gezogene Oberkante der<br />

Brüstungsmauer schneidet die herausragenden<br />

Pariser Monumente aus ihrem räumlichen<br />

Kontext, so dass etwa der obere Teil des Arc de<br />

Triomphe wie ein liegen gebliebenes Spielzeug<br />

auf der Mauer zu stehen scheint. Dementsprechend<br />

gilt dieses Werk mit seinen zahlreichen<br />

verfremdeten Versatzstücken tatsächlich als<br />

Le Corbusiers einziger Ausflug in die Welt des<br />

Surrealismus. Auch im Spätwerk Le Corbusiers<br />

finden sich Beispiele für genau kalkulierte Fensterausschnitte<br />

mit ungewöhnlichen Bildwirkungen,<br />

etwa in den kaleidoskopartigen Fensteranordnungen<br />

des Kreuzgangs von La Tourette.<br />

Es liegt nahe, unter diesem Gesichtspunkt einen<br />

Zusammenhang zu suchen zwischen den<br />

solcherart zu Bildern komponierten Fensterausschnitten<br />

und den Bildauffassungen der bildenden<br />

Kunst. Als die entscheidende Errungenschaft<br />

der frühen Neuzeit gilt die Entdeckung<br />

der Perspektive in der Renaissance. Hier gelang<br />

es, den dreidimensionalen Raum auf die zweidimensionale<br />

Bildfläche zu bannen. Perspektivische<br />

Bildwirkungen finden von da an Eingang<br />

in die Architektur, sei es als Illusionsmalerei, sei<br />

26


es als räumliche Inszenierung, mit der die tatsächliche<br />

Raumtiefe durch illusionistische Tricks<br />

ins schier Unendliche gedehnt wird. Aber auch<br />

der reale, durch Fensteröffnungen begrenzte<br />

Bildraum wird perspektivisch inszeniert. In Versailles<br />

werden die Ausblicke aus dem Gebäude<br />

durch kulissenartige räumliche Staffelung in<br />

ihrer Dreidimensionalität inszeniert. Der inszenierten<br />

Räumlichkeit der Architektur entspricht<br />

eine auf Räumlichkeit angelegte Bildauffassung<br />

in der bildenden Kunst.<br />

Im Gegensatz dazu gehören der Bruch mit der<br />

klassischen Perspektive und die Wiederentdeckung<br />

der autonomen zweidimensionalen<br />

Fläche zu den zentralen Errungenschaften der<br />

klassischen Moderne. Sei es durch die Abstraktion<br />

der Bildformen oder durch eine Art<br />

Polyperspektivität, die im Kubismus den einen<br />

Bildraum aufbricht und auflöst, die künstlerische<br />

Avantgarde trennt sich auf vielfältige Weise<br />

vom klassischen perspektivischen Bildraum.<br />

So lassen sich durchaus Beziehungen herstellen<br />

zwischen den Tendenzen der modernen<br />

bildenden Kunst und den unperspektivischen<br />

Bildausschnitten Le Corbusiers. Bestätigt wird<br />

der Befund durch seine eigenen zweidimensionalen<br />

Darstellungen seiner Bauten, seien es<br />

Perspektiven oder von ihm zur Veröffentlichung<br />

freigegebene Fotografien. Auf einer Skizze Le<br />

Corbusiers, mit der er den Innenraum und den<br />

Ausblick aus der „petite maison“ darstellte,<br />

wird dieser Ausschnitt zum Bild im Bild: Innerhalb<br />

der Skizze, die den Innenraum durchaus<br />

perspektivisch zeigt, erscheinen im Fensterausschnitt<br />

das gegenüberliegende Seeufer und die<br />

Silhouette des Gebirges ganz ohne erläuternde<br />

Staffage, die die räumliche Tiefe auch in einer<br />

Zeichnung hätte veranschaulichen können. Die<br />

Skizze zeigt, wie der Ausblick wahrgenommen<br />

werden sollte: als veränderliches Gemälde, als<br />

zweidimensionales Bild.<br />

Cornelius Tafel<br />

In eigener Sache<br />

Das Thema der <strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> 2-2009<br />

lautet kurz und knapp „Wert“. Über Beiträge<br />

unserer Leser – seien sie selbst verfasst oder gefunden<br />

– freuen wir uns.<br />

Redaktionsschluss: 25. Mai 2009<br />

27


Landesverband<br />

Petra Schober übernimmt kommissarisch<br />

den Landesvorsitz des <strong>BDA</strong> Bayern<br />

Auf der Mitgliederversammlung des <strong>Bund</strong><br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>BDA</strong> in Bayern hat Karlheinz<br />

Beer an seine bisherige Stellvertreterin<br />

Petra Schober das Amt des Landesvorsitzenden<br />

kommissarisch übergeben. Sie wird den<br />

Verband bis zu dem geplanten Termin für die<br />

Neuwahl einer/eines neuen Vorsitzenden im<br />

Fruḧjahr/Sommer 2009 fuḧren. Petra Schober,<br />

Jahrgang 1959, ist seit 2004 Mitglied im <strong>BDA</strong><br />

Bayern und war seit Herbst 2005 stellvertretende<br />

Landesvorsitzende. Sie leitet in München<br />

das Architekturbüro Schober <strong>Architekten</strong> mit<br />

Schwerpunkt Stadtplanung und ist in verschiedenen<br />

Gremien tätig, unter anderem ist sie<br />

Mitglied der Vertreterversammlung der Bayerischen<br />

<strong>Architekten</strong>kammer, im dortigen Arbeitskreis<br />

Öffentlichkeitsarbeit und im Eintragungsausschuss<br />

aktiv. Sie wird in Ihrer Amtszeit die<br />

anstehenden Projekte des Landesverbandes,<br />

<strong>BDA</strong> Preis Bayern 2010 und Fünfte Architekturwoche<br />

fortfuḧren sowie die Kooperation in<br />

der Bayerischen Klimaallianz weiter begleiten.<br />

Karlheinz Beer hatte 2005 das Amt ebenfalls<br />

kommissarisch von Josef Peter Meier-Scupin<br />

übernommen, wurde im gleichen Jahr bei<br />

der ordentlichen Mitgliederversammlung als<br />

Landesvorsitzender gewählt und im Januar<br />

2008 in diesem Amt bestätigt. Karlheinz Beer,<br />

Jahrgang 1962, fuḧrt in Weiden in der Oberpfalz<br />

das Architekturbüro Beer <strong>Architekten</strong> mit<br />

Professorin Anne Beer. Er wurde 1999 in den<br />

<strong>BDA</strong> berufen und war von Anbeginn im <strong>BDA</strong><br />

<strong>Bund</strong>esverband, zuletzt im <strong>Bund</strong>esvorstand tätig.<br />

Seit 2000 ist er Vorstandsmitglied im Kreisverband<br />

Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz<br />

und gehört seit 2002 dem Landesvorstand des<br />

<strong>BDA</strong> Bayern an. 2005 wurde er in den Vorstand<br />

der Bayerischen <strong>Architekten</strong>kammer gewählt.<br />

Christa Weissenfeldt<br />

Auslobung <strong>BDA</strong> Preis Bayern 2010<br />

Der <strong>Bund</strong> <strong>Deutscher</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>BDA</strong> Landesverband<br />

Bayern lobt in diesem Jahr zum 21.<br />

Mal seit 1967 den „<strong>BDA</strong> Preis Bayern“ aus. Die<br />

Auszeichnung wird für bemerkenswerte Werke<br />

zeitgenössischer Architektur in Bayern vergeben<br />

und zeichnet gleichzeitig das erfolgreiche<br />

Zusammenwirken zwischen Bauherr/innen und<br />

Architekt/innen aus. Auslobungstext, Anmeldebogen<br />

und Formblätter (als PDF- Datei) sowie<br />

alle notwendigen <strong>Informationen</strong> sind auf der<br />

Homepage www.bda-bayern.de unter der Rub-<br />

29


ik Architekturpreise/Preise/<strong>BDA</strong> Preis Bayern zu<br />

finden. Abgabeschluss für die einzureichenden<br />

Arbeiten ist der 22. Juni 2009.<br />

Petra Steinberger<br />

„Wasseranrainer wissen, dass man den<br />

Deich nicht ein wenig öffnen darf … “<br />

Zur Berufung baugewerblich tätiger <strong>Architekten</strong><br />

als ordentliche Mitglieder in den <strong>BDA</strong><br />

Der Titel trifft im Kern die Bedeutung jeglichen<br />

Modernisierungswillens. Dies betrifft insbesondere<br />

einen Verband mit hochgestellten Zielen,<br />

wie es der <strong>BDA</strong> ist. Ein zu lockerer Umgang<br />

mit den Erscheinungen einer sich wandelnden<br />

Berufswelt bedroht merklich das starke Signet<br />

der eigenverantwortlichen, unabhängigen und<br />

weisungsfreien Wahrnehmung freiberuflicher<br />

Aufgaben. Welcher Architekt träumt nicht den<br />

Traum, weisungsfrei seine Ideen verwirklichen<br />

zu können, ein echter Freischaffender zu sein<br />

Ein überflüssiger Traum Gehört Weisungsgebundenheit<br />

denn nicht zum Sprachschatz der<br />

Dienstleistung, die die Bedeutung der Werkleistung<br />

längst verdrängt zu haben scheint Eine<br />

endlose Diskussion. Es ist die Unterscheidung<br />

zwischen „freischaffenden“ und „baugewerblich<br />

tätigen“ <strong>Architekten</strong> und insbesondere deren<br />

jeweilige Stellung in der Öffentlichkeit. Und<br />

nur darum kann es bei allem gehen. Welches<br />

Bild repräsentiert der <strong>BDA</strong> Dies wird sich immer<br />

durch die Qualität der Bauten und auch die<br />

Struktur seiner Mitglieder ausdrücken.<br />

Die <strong>BDA</strong>-Satzung ist inhaltlich weit reichend<br />

genug, um alle denkbaren Formen der Mitgliedschaft<br />

abzudecken. Sie enthält im Grundsatz<br />

keine Verpflichtung, baugewerblich tätige<br />

<strong>Architekten</strong> aufzunehmen, bietet ihnen jedoch<br />

die Möglichkeit einer außerordentlichen<br />

Mitgliedschaft. Zur Sorgfalt im Umgang mit<br />

Satzungsänderungen äußerte sich bereits der<br />

Arbeitskreis Junger <strong>Architekten</strong> im <strong>BDA</strong>: „Die<br />

Satzungsziele des <strong>BDA</strong> werden teilweise uminterpretiert<br />

oder aufgeweicht, statt sie als Wert<br />

und Qualitätsmerkmal offensiv zu vertreten…“<br />

Unsere Satzungsziele sind ernst zu nehmen,<br />

wenn es um Änderungen geht. Zu ergänzen<br />

bleibt, dass neben den hehren Zielen des <strong>BDA</strong><br />

noch drei wichtige Säulen des Berufsstandes zu<br />

schützen sind: die Freiberuflichkeit, das Wettbewerbswesen<br />

und die HOAI. Diese Säulen<br />

werden eine Messlatte sein, an der die Geister<br />

der „Freischaffenden“ und der „Gewerblichen“<br />

bestehen müssen.<br />

Erwien Wachter<br />

30


Sind die Freien Berufe noch zu retten<br />

Ein Plädoyer für eine kulturelle Gemeinschaft<br />

Die Frage nach der Aufnahme gewerblich tätiger<br />

<strong>Architekten</strong> in den <strong>BDA</strong> berührt unmittelbar<br />

und in zentralen Punkten das Selbstverständnis<br />

und Wertegefüge des <strong>Architekten</strong> als Freien Beruf<br />

und wird deshalb so intensiv diskutiert. Vielleicht<br />

lohnt es sich, wenn wir uns erneut vergegenwärtigen,<br />

was die Freien Berufe auszeichnet<br />

und was in der Konsequenz auch von allen beteiligten<br />

Partnern von uns erwartet werden darf<br />

und muss. „Angehörige Freier Berufe erbringen<br />

auf Grund besonderer beruflicher Qualifikation<br />

persönlich, eigenverantwortlich und fachlich<br />

unabhängig geistig-ideelle Leistungen im gemeinsamen<br />

Interesse ihrer Auftraggeber und<br />

der Allgemeinheit. Ihre Berufsausübung unterliegt<br />

in der Regel spezifischen berufsrechtlichen<br />

Bindungen nach Maßgabe der staatlichen<br />

Gesetzgebung oder des von der jeweiligen Berufsvertretung<br />

autonom gesetzten Rechts, welches<br />

die Professionalität, Qualität und das zum<br />

Auftraggeber bestehende Vertrauensverhältnis<br />

gewährleistet und fortentwickelt.“ (<strong>Bund</strong>esverband<br />

der Freien Berufe auf der Basis des §1<br />

(2) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz) Der Freie<br />

Beruf steht also für eine unabhängige geistige<br />

Leistung, unabhängig auch von der individuellen<br />

Gewinnmaximierung. Unsere Partner, die<br />

privaten wie die öffentlichen, können also auf<br />

eine geistig-ideelle Leistung eines besonders<br />

qualifizierten Planers vertrauen, deren Umfang<br />

und Honorierung festgelegt ist.<br />

Warum ist das ein Wert Ich denke, die Freien<br />

Berufe gehören zu einem Gesellschaftsbild, das<br />

sich auf einen Bürger verlässt, der die Entfaltung<br />

seiner „besonderen beruflichen Qualifikation“<br />

im Bereich von Wissenschaft, Kunst, Pädagogik,<br />

Publizistik und vielem mehr zunächst nicht<br />

auf seine persönlichen ökonomischen Belange,<br />

sondern „auf das gemeinsame Interesse ihrer<br />

Auftraggeber und der Allgemeinheit“ bezieht.<br />

Nur so entstehen in meinen Augen kulturelle<br />

Bindung, soziale Gerechtigkeit, stabile Gesundheitsversorgung,<br />

Rechtssicherheit, Bildung<br />

usw., also die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen,<br />

die unter anderem auch unserem<br />

Berufsstand eine gewinnbringende Arbeit erst<br />

ermöglichen.<br />

Die Frage nach der Qualität einzelner Güter lässt<br />

sich mittels gesellschaftlicher Ideale schwer entscheiden.<br />

Qualität im Sinne der Baukunst gibt<br />

es in beiden Berufsfeldern, dem gewerblichen<br />

und dem freien. Ihren Mangel ebenso. Singuläre<br />

baukünstlerische Qualität allein ist demnach<br />

31


für Entscheidungen bezüglich berufsethischer<br />

Fragen von je her ein schlechter Berater. Wenn<br />

jedoch ein Berufsverband darum ringen soll, die<br />

Umstände, die eine baukünstlerische Qualität<br />

ermöglichen, zu verbessern, dann kann er das<br />

ausschließlich auf der Basis des oben geschilderten<br />

Vertrauensverhältnisses tun. Wenn wir<br />

uns also für die HOAI und das Wettbewerbswesen<br />

engagieren, dann bedingt das zwangsläufig<br />

unser Selbstverständnis als Freie <strong>Architekten</strong>.<br />

Darüber hinaus engagieren wir uns dabei immer<br />

auch für eine gesellschaftliche Qualität im<br />

Sinne einer kulturellen Gemeinschaft. Ich finde<br />

das lohnend!<br />

Wolfgang Brune<br />

32


Kreisverband<br />

Regensburg<br />

Niederbayern<br />

Oberpfalz<br />

Auslobung 3. <strong>BDA</strong> Regionalpreis<br />

Niederbayern-Oberpfalz 2009<br />

Bedingt durch den Rhythmuswechsel beim<br />

Bayerischen <strong>BDA</strong> Preis war auch der Regionalpreis<br />

2007 zu einer Pause gezwungen. Heuer<br />

nun lobt der Kreisverband nach 2003 und 2005<br />

den dritten Regionalpreis Niederbayern-Oberpfalz<br />

aus. Der Preis will natürlich keine Konkurrenz<br />

zum Bayerischen <strong>BDA</strong> Preis sein, sondern<br />

hervorragenden regionalen Bauten ein Podium<br />

schaffen. Qualitätsvolle Architektur und gelungener<br />

Städtebau in Niederbayern und der Oberpfalz<br />

sollen ins verdiente Rampenlicht gerückt<br />

werden. Der Preis will zum Dialog und zur Diskussion<br />

über Architektur in den Regionen anregen<br />

sowie unterstützend und fördernd wirken.<br />

Herausragende Beispiele sollen mit Auszeichnungen<br />

honoriert werden.<br />

In den verschiedenen Kategorien wird jeweils<br />

eine Auszeichnung für Niederbayern und die<br />

Oberpfalz verliehen. Die Themenbereiche des<br />

<strong>BDA</strong>-Regionalpreises Niederbayern-Oberpfalz<br />

sind Städtebau, Wohnungsbau, Bauen im Bestand<br />

sowie sonstige Projekte. Dazu kommt ein<br />

Sonderpreis der LBS, die als einer der Sponsoren<br />

den Regionalpreis unterstützt. Eine neue Kategorie<br />

wird die diesjährige Auslobung ergänzen.<br />

Ein weiterer Sonderpreis wird an junge Kollegen<br />

gehen. Damit sollen Projekte aus beiden<br />

Regionen hervorgehoben werden, die von <strong>Architekten</strong><br />

und/oder Architektinnen stammen,<br />

die zum Zeitpunkt der Abgabe nicht älter als 33<br />

Jahre sind.<br />

Auch in der dritten Runde des Regionalpreises<br />

werden alle eingereichten Arbeiten in einer Broschüre<br />

zum Wettbewerb veröffentlicht. Dazu<br />

kommt eine Wanderausstellung, die mit allen<br />

Beiträgen nach der Preisverleihung auf Rundreise<br />

durch Niederbayern und die Oberpfalz geht.<br />

Wer Interesse an dieser Ausstellung hat, kann<br />

sich schon jetzt beim Kreisverband vormerken<br />

lassen. Die Regionalpreise sind nicht dotiert.<br />

Aber durch die breite Öffentlichkeitsarbeit mit<br />

allen eingereichten Arbeiten, wie Wanderausstellung,<br />

Presse und Broschüre, profitieren alle<br />

vom Regionalpreis Niederbayern-Oberpfalz: der<br />

Berufsstand, die Architektur und nicht zuletzt<br />

die Baukultur unserer Regionen. Motivieren sie<br />

also auch ihre Kolleginnen und Kollegen, ihre<br />

Bauherren, gelungene Architektur aus Niederbayern<br />

und der Oberpfalz einzureichen. Alle<br />

Einzelheiten und <strong>Informationen</strong> zum Wettbewerb<br />

finden sie in Kürze auf der Internetseite<br />

des <strong>BDA</strong> Bayern.<br />

Johannes Berschneider<br />

33


Kreisverband<br />

Würzburg<br />

Unterfranken<br />

www.raumlaborberlin.de<br />

Wer mitten auf der Scholle lebt, sitzt vielleicht<br />

langweilig, aber bequem und sicher. Am Rande,<br />

wo die Scholle bröckelt, lauert die Gefahr<br />

des Untergangs. Hier bebt die Erde, entladen<br />

sich Vulkane, doch aus der Tiefe wächst auch<br />

frisches Land. Nur an den Rändern ist Spannung.<br />

Nur an den Grenzen entsteht Neues.<br />

Grenzgänger leben interessanter.<br />

1999 schlossen sich in Berlin neun junge <strong>Architekten</strong><br />

zu raumlaborberlin zusammen, um<br />

die Grenzen von Architektur und Städtebau zu<br />

erkunden und an ihnen zu rütteln. Einer der<br />

Grenzgänger, Matthias Rick, stellte die höchst<br />

erstaunlichen Ergebnisse am 20. November im<br />

Fürstensaal der Residenz vor, gerade von der<br />

jüngsten Baustelle kommend, der Eichbaumoper,<br />

und nach dem Vortrag wieder dorthin zurückkehrend.<br />

Kaum ein Projekt zeigt Gedanken<br />

und Arbeitsweise von raumlaborberlin besser als<br />

die Eichbaumoper. Eine S-Bahnhaltestelle zwischen<br />

Essen und Mühlheim an der Ruhr, ein völlig<br />

verlotterter Angst-Ort wird zur Aufführung<br />

einer Oper gerüstet. Gestapelte Container, Librettisten,<br />

Komponisten und Musiker verzaubern<br />

für kurze Zeit einen von Gott und guten Geistern<br />

verlassenen Platz zum Gesamtkunstwerk.<br />

Ausgehend von Berlin hat raumlaborberlin inzwischen<br />

England, Frankreich, Österreich und<br />

selbst die Biennale 2008 in Venedig erreicht.<br />

Ob es um das auf Stützen ruhende Schweizer<br />

Haus von Le Corbusier in der Cité Universitaire<br />

in Paris geht, dessen offenes Erdgeschoss den<br />

Bewohnern zur freien Verfügung stehen sollte,<br />

von ihnen aber niemals genutzt wurde, oder um<br />

den ausgehöhlten, inzwischen abgerissenen Palast<br />

der Republik in Berlin, raumlaborberlin fand<br />

einen Weg, den Ort mit Leben zu erfüllen. In Paris<br />

hüllte eine riesige, transparente, nach außen<br />

quellende Blase den Raum des Erdgeschosses<br />

ein, der sofort von den Bewohnern zum Feiern<br />

in Beschlag genommen wurde.<br />

In Berlin wuchs im Innern des entkernten Palastes<br />

ein weißes Matterhorn, aus Gerüststangen<br />

und Folien gefügt. Zum „Berg“ führten drei<br />

Aufstiege, jeder mit sieben Stationen, jede von<br />

einem anderen Künstler gestaltet: der Weg des<br />

Philosophen, der den Ort befragt, der des Bergsteigers,<br />

der die Architektur herausfordert und<br />

der des Pilgers, der Geschichten erzählt. Dazu<br />

eine Bergstation mit Kapelle. Klänge füllten den<br />

Raum. Außen dockte ein Hotel mit drei Zimmern<br />

an, ständig ausgebucht von Menschen,<br />

die sich einmal im Angesicht des Domes und<br />

34


des Schinkelschen Museums waschen und rasieren<br />

wollten.<br />

Das Küchenmonument als große mobile Blase<br />

hat seine Raum und Gemeinschaft bildenden<br />

Qualitäten an den verschiedensten Standorten<br />

von Duisburg bis Liverpool bewiesen. Mit dem<br />

Versuch, die von ihren Bewohnern aufgegebene<br />

Neustadt von Halle an der Saale in das Bewusstsein<br />

der Bürger zurückzuholen, eroberte<br />

sich raumlaborberlin den Städtebau. Hotel, Restaurant<br />

und Bar, dazu zahlreiche Spiele und<br />

Aufführungen, alles in einem verlassenen Hochhaus,<br />

zeigten die Potentiale von Gebäuden, die<br />

niemand mehr braucht. Die Zuhörer waren<br />

überrascht und angeregt. Dem Einen oder Anderen<br />

verschlug es die Sprache. Jenseits des<br />

Reißbretts ist die Welt grenzenlos.<br />

Ulrich Karl Pfannschmidt<br />

Vortrag, Ausstellung und Mitgliederversammlungen<br />

Das letzte Vierteljahr des vergangenen Jahres<br />

begann mit einem Vortrag im Rahmen des Klimabündnisses.<br />

Zum Thema „Nachhaltige Architektur“<br />

sprach am 7. Oktober C. Huber, stellvertretender<br />

Leiter des Lehrstuhls von Professor<br />

Hausladen, München. Die Ausführungen schlugen<br />

einen weiten Bogen vom einzelnen Haus<br />

zur städtebaulichen Gesamtsicht, angereichert<br />

mit höchst interessanten und anschaulichen<br />

Statistiken und Plänen.<br />

Einen Monat später folgte das große Ereignis<br />

– die Eröffnung der Ausstellung „Auszeichnung<br />

guter Bauten in Franken 2008“. Die Auslobung<br />

des Preises und die Besetzung der Jury waren<br />

diesmal von Unterfranken ausgegangen. Die im<br />

Vergleich zu früheren Auslobungen hohe Zahl<br />

von Einsendern zeigt neben der guten Konjunktur<br />

auch das Ansehen, das sich der Preis inzwischen<br />

erworben hat. Oberbürgermeister Georg<br />

Rosenthal und die beiden fränkischen Kreisverbandsvorsitzenden<br />

Georg Redelbach und<br />

Andreas Emminger nahmen im Wechsel die Ehrung<br />

der Preisträger vor. Welch glückliche Fügung,<br />

dass auch ein Weingut prämiert wurde.<br />

So konnte sich jedermann davon überzeugen,<br />

wie gut sich Wein und Architektur in der Qualität<br />

entsprachen. Die Ausstellung war bis zum<br />

2. Dezember im Kulturspeicher in Würzburg zu<br />

sehen. Das Heft mit Objekten, Teilnehmern und<br />

Preisträgern ist beim Kreisverband zu erhalten.<br />

35


36<br />

Zwei Mitgliederversammlungen, zu denen wieder<br />

dieselben wie immer an der Teilnahme verhindert<br />

waren, befassten sich im wesentlichen<br />

mit Berichten aus dem Landesverband, Fragen<br />

der HOAI und der Beitragssatzung sowie der<br />

Organisation des Programms.<br />

Ulrich Karl Pfannschmidt


Kritik der Kritik III<br />

Sieben Fragen an Claus Käpplinger<br />

„Architekturkritik gibt es eigentlich gar nicht<br />

mehr“, behaupten viele, teils selbst Kritiker,<br />

wenn man sie danach fragt. Ingeborg Flagge<br />

ließ sich sogar zur Aussage hinreißen, dass nur<br />

„ein Häuflein Irrer“ in Deutschland Architekturkritik<br />

betreibe und diese auch noch „zahnlos“<br />

geworden seien.<br />

Wir fragen diesmal Claus Käpplinger, der in<br />

Berlin als freier Architektur- und Stadtkritiker<br />

tätig ist, unter anderem nach dem Beitrag des<br />

vermeintlich zahnlosen Papiertigers Architekturkritik<br />

zur architektonischen Begriffsbildung,<br />

nach einer möglichen Korrelation der Qualität<br />

von Gebautem und Kritik, nach dem Wert der<br />

einer Architektur zugrundeliegenden Idee bis<br />

zu seiner Einschätzung einer unterhaltsamen,<br />

herausfordernden und entlarvenden Kritik.<br />

1. Friedrich Achleitner schrieb, nicht zur Architekturkritik,<br />

aber zum Entstehen zeitspezifischer<br />

Architekturbegriffe: „Man könnte die<br />

Frage stellen, wieweit der jeweilige Architekturbegriff<br />

einer Zeit ein Produkt der sprachlichen<br />

Kommunikation ist. Damit wäre jede verbale<br />

Äußerung über Architektur ein Bestandteil des<br />

kollektiven Begriffes oder der Anschauung von<br />

Architektur ...“ Wie weit trägt Ihrer Meinung<br />

nach diese rhetorische Frage Achleitners, und<br />

welchen Beitrag leistet die Architekturkritik zu<br />

dieser Begriffsbildung<br />

Interessant wäre es, die Fortsetzung von Fritz’<br />

Aussage zu lesen, die ich trotz guter Kenntnisse<br />

seiner zahlreichen Schriften nicht kenne. Vermutlich<br />

gibt es da noch eine interessante Wendung.<br />

Doch zur Frage: Man sollte die Macht des<br />

Wortes selbst heute nicht unterschätzen, wenn<br />

es auf offene Ohren und neue Interessen trifft.<br />

Immer wieder gab es in bestimmten Zeiten der<br />

Entwicklung Momente, in denen gerade die<br />

Kritiker eine neue Tür durch ihre Begriffsbildungen<br />

öffneten. Der Begriff „Dekonstruktivismus“<br />

war etwa ein Beispiel dafür, von dem jedoch am<br />

Ende jenseits der Popularisierung einiger <strong>Architekten</strong><br />

nur wenige profitiert haben. Die Bildung<br />

von Begriffen zur Verarbeitung neuer Erfahrungen<br />

stellt vor allem eine anthropologische<br />

Notwendigkeit dar. Und der Begriff formt wiederum<br />

unsere Wahrnehmung von dem Gesehenen<br />

wie auch folgender neuer Erfahrungen.<br />

Und eine gute, profunde, ja in gewisser Weise<br />

auch kreative Architekturkritik kann ihren Teil<br />

zu einer Begriffsbildung in weiteren Teilen ihrer<br />

Gesellschaft beitragen – vielleicht sogar mehr<br />

37


als so manche Architekturtheorie. Doch jeder<br />

Begriff ist ein „Überraschungspaket“ – er kann<br />

eine neue Welterfahrung ermöglichen oder sich<br />

als eine „Büchse der Pandora“ erweisen.<br />

2. Wenn der Architekturbegriff, den eine Gesellschaft<br />

entwickelt, nun allgemeiner betrachtet<br />

ein Produkt der Kommunikation über Architektur<br />

ist und die Kritik sicherlich ihrem Wesen<br />

nach ein Akt nicht nur der sprachlichen Kommunikation<br />

über Architektur zwischen Kritiker<br />

und Öffentlichkeit ist, müsste es dann nicht<br />

auch eine Korrelation zwischen der Qualität des<br />

einen und der des anderen geben <br />

Egal welchen Bereich man betrachtet, nur selten<br />

gibt es eine direkte Korrelation zwischen<br />

Praxis und Reflektion. Nur an bestimmten Orten,<br />

unter wenigen Personen und für eine<br />

gewisse Zeit kann sie sich in einer reziproken<br />

Korrelation einstellen. Dies war etwa zu Beginn<br />

der Postmoderne wie auch zu Beginn der „neuen“<br />

Deutschschweizer Architektur der Fall. Ihre<br />

<strong>Architekten</strong> und Gebäude wären ohne die sie<br />

begleitenden und teilweise auch inspirierenden<br />

Intellektuellen kaum so entstanden und verbreitet<br />

worden. Praxis und Kritik forderten sich<br />

wechselseitig heraus, bevor sie von den Marktmechanismen<br />

vereinnahmt wurden. Kurz gefasst:<br />

Wenn sich <strong>Architekten</strong> und Intellektuelle<br />

auf gleicher qualitativer Höhe und Leidenschaften<br />

zusammenfinden, dann können sehr produktive<br />

Korrelationen entstehen, die beiderseits<br />

Qualitäten fördern. Doch wenn die <strong>Architekten</strong><br />

oder andere Leser/Zuhörer nur nach Bestätigung<br />

verlangen, bleiben beide bei sich und mit<br />

ihren vermeintlichen Qualitäten alleine.<br />

3. Manchmal glaubt man – aus der Distanz betrachtet<br />

– Derartiges in Ländern zu finden, die<br />

für gute Architekturpraxis bekannt sind, wie<br />

beispielsweise Österreich. Sie selbst schreiben<br />

unter anderen für die österreichische Fachzeitschrift<br />

„architektur.aktuell“. Können Sie diese<br />

Vermutung bestätigen oder ist das nur ein von<br />

außen projiziertes Wunschbild<br />

Man sollte vorsichtig sein, andere Länder um<br />

ihre vermeintliche architektonische Kultur zu<br />

sehr zu bewundern oder zu beneiden. Auch<br />

in Österreich, Portugal, Norwegen oder Dänemark<br />

entsteht das meiste Gebaute ohne städtebauliche<br />

oder architektonische Qualität. Der<br />

Unterschied besteht oft nur in ein paar Prozent<br />

mehr an besseren Bauten und einer höheren<br />

Wertschätzung durch die eigene Bevölkerung<br />

38


und internationale Rezeption. Diese Wertschätzung<br />

hat oft ihren Grund in zwei Aspekten, die<br />

weiter reichende Auswirkungen haben. Zum<br />

ersten besitzen „kleinere“ europäische Länder<br />

entgegen größeren Ländern keine große ökonomische<br />

oder politische Macht. Viel bewusster<br />

bedient man sich dafür der Kultur, der Architektur<br />

und des Designs, um das Eigene in einer Zeit<br />

der EU-pisierung und Globalisierung zu bewahren<br />

und herauszuarbeiten. Zum zweiten existieren<br />

in vielen „kleineren“ Ländern oder Regionen<br />

noch „traditionellere“ Verhaltensweisen,<br />

die auf persönliche Kontakte, Verbindlichkeiten<br />

und Vertrauen aufbauen, die weniger rationalisiert,<br />

formalisiert und ökonomisiert sind als<br />

etwa in vielen Teilen Deutschlands. Man kennt<br />

sich besser, man ist aufeinander angewiesen<br />

und man vertraut. Wenn dann noch Offenheit<br />

gegenüber Neuem hinzukommt und auch neue<br />

gesellschaftliche Gruppen durchaus mit internationalen<br />

Horizonten mehr Verantwortung<br />

übernehmen wollen, dann kann es zu wirklich<br />

interessanten Entwicklungen in der Architektur<br />

kommen. Und dies alles ist in einigen – bei weitem<br />

nicht allen – Regionen Österreichs der Fall.<br />

Ich selbst habe erlebt, dass mich eine Winzerin<br />

in der Steiermark ansprach, als sie meinen Namen<br />

hörte, ob ich derjenige sei, der für die österreichische<br />

Architekturzeitschrift „architektur.<br />

aktuell“ schreibe. Seit sie und ihr Mann für den<br />

Ausbau ihres Betriebs begannen, Architekturzeitschriften<br />

zu lesen, haben sie sich offenbar<br />

nicht nur die Bilder, sondern auch die Autoren<br />

– Architekt wie Kritiker – wahrgenommen. Wo<br />

gibt es das in Deutschland<br />

4. Architekturkritik findet in vielerlei Formen,<br />

auf vielen Ebenen statt – klassisch im Feuilleton<br />

der Tageszeitung, ebenso in deren Lokalteil, in<br />

Fachzeitschriften und in öffentlichen Veranstaltungen<br />

– alles immer mehr und immer öfter.<br />

Das ergibt schon fast den Eindruck einer beinahe<br />

inflationären Menge, die wiederum auf ein<br />

großes öffentliches Interesse hindeuten kann,<br />

jedoch auch Entwertungstendenzen mit sich<br />

bringt. Wie groß ist einerseits die öffentliche<br />

Aufmerksamkeit und andererseits die Aufnahmebereitschaft<br />

für Architekturkritik<br />

Vorab: Masse bedeutet noch lange nicht Klasse<br />

und wirkliche Architekturkritik gibt es kaum<br />

mehr. „Architekturkritiker sind heute Dinosaurier“,<br />

so der O-Ton eines Kollegen. Der Großteil<br />

des heute über Architektur Publizierten ist „Public-Relation“<br />

oder anders ausgedrückt “Life-<br />

Style-Trend-Berichterstattung“ und/oder „Product-Placement“.<br />

Architektur ist dort primär<br />

39


ein ökonomisches Gut und/oder ein Element<br />

sozialer Distinktion bzw. Oberfläche, nicht mehr<br />

und nicht weniger. Kritik jenseits von Budgets<br />

wollen der größte Teil der Öffentlichkeit und<br />

die Medien nicht hören, zumal letztere primär<br />

um ihre Werbekunden bangen. Verunsichert<br />

ist auch der Großteil der Gesellschaft durch<br />

alle Schichten, die auf keine gemeinsame Basis<br />

mehr zurückgreifen können und nach „neuen“<br />

bzw. „neu-alten“ Werten suchen. Und da wir<br />

heute in keiner Reflektionskultur, sondern in einer<br />

visuellen Kultur leben, geschieht die Suche<br />

vor allem über visuelle Objekte wie Architektur.<br />

Architektur hat so tatsächlich an Bedeutung<br />

gewonnen, wenn auch sklerotisch auf ihre visuell-emotionalen<br />

Aspekte reduziert. Kurzum,<br />

Architektur wurde für viele zum reinen, kurzweiligen<br />

Event der Selbsterfahrung und Selbstversicherung,<br />

die kein Zweifel oder Argument<br />

trüben soll. Und da liegt das ganze Problem aller<br />

Kritiker, wenn sie sich nicht zum Entertainer<br />

wandeln wollen.<br />

5. Zurück zu den Ebenen, auf denen Kritik<br />

stattfindet. Der Schweizer Journalist und Architekturkritiker<br />

Benedikt Loderer meint, dass Architekturkritik<br />

erst dann ihre Druckerschwärze<br />

wirklich wert sei, wenn sie zum Lokaljournalismus<br />

werde. Damit meint er wohl das Durchsickern<br />

einer unterscheidenden Betrachtung von<br />

Architektur in weite bisher nicht in diesem Sinne<br />

mit Architektur befasste Bevölkerungsschichten.<br />

Soweit also ein nachvollziehbarer Gedanke.<br />

Wenn man die Qualität des gängigen Lokaljournalismus<br />

Revue passieren lässt – und das<br />

fängt schon bei renommierten Tageszeitungen<br />

wie unserer SZ an –, dann könnte man auch<br />

zu der Auffassung gelangen, dass gerade die<br />

Verankerung der Architekturkritik im Feuilleton<br />

ein Garant für das erforderliche inhaltliche und<br />

sprachliche Niveau ist. Wie sehen Sie das<br />

Ich stimme Benedikt da völlig zu, der gern Sachverhalte<br />

zuspitzt, um überhaupt noch eine Reaktion<br />

auszulösen. Seine Aussage schließt so<br />

keineswegs die „hohe“ Architekturkritik aus,<br />

sondern relativiert allein ihre Bedeutung in den<br />

„Mühen der Ebenen“ (Brecht-Zitat). Ohne die<br />

„Ebene“ guter Lokalkritik droht der Architekturkritik<br />

ein Dasein im Elfenbeinturm, Einfluss<br />

allein auf Fachleute und „gebildete Kreise“ zu<br />

haben. Wer liest heute noch das Feuilleton oder<br />

Fachzeitschriften Selbst viele <strong>Architekten</strong> tun<br />

dies heute nur noch sehr selektiv. Doch fast<br />

jeder beschäftigt sich mit Nachrichten aus seinem<br />

Umfeld und Lebens- bzw. Arbeitsorten,<br />

insbesondere die Politiker und Investoren. Der<br />

40


Lokaljournalismus hat auf dieser „Ebene“ viel<br />

mehr Gewicht als das Feuilleton, wo <strong>Architekten</strong>,<br />

wenn überhaupt genannt, zumeist nur als<br />

Künstler oder Spinner auftauchen. Deshalb die<br />

Forderung nach mehr Kommunikation zwischen<br />

Feuilleton und Lokalteil, Architekt und Redaktion<br />

sowie letztlich zur breiten Öffentlichkeit.<br />

6. Es gibt sehr viele Forderungen an die Kritik<br />

im Allgemeinen und die Architekturkritik im Besonderen.<br />

Hier eine von Jörn Köppler:„Kritik soll<br />

das Wie des Gebauten mit dem darin enthaltenen<br />

Warum seiner Bedeutung konfrontieren<br />

und damit das Verhältnis des Gemachten zum<br />

Gedachten denkend prüfen.“ Dieses Verhältnis<br />

des Gemachten zum Gedachten und die Prüfung<br />

der Relevanz des Gedachten ist genau der<br />

Zusammenhang, den ich in vielen Rezensionen<br />

schmerzlich vermisse. Wie ist Ihre Einschätzung<br />

der Bedeutung von Wertung in der Rezension<br />

einerseits und der Prüfung sowie Einschätzung<br />

der Relevanz der einer Architektur zugrundeliegenden<br />

Gedanken<br />

Die Aussage erscheint mir etwas zu philosophisch<br />

bzw. auf die Autorenschaft allein verengt<br />

– wenngleich ich auch Philosophie und Kunst<br />

studiert habe. Entgegen dem letzten Venedig-<br />

Biennale-Direktor Aaron Betsky ist für mich<br />

Architektur nicht primär die Idee, sondern der<br />

gebaute, physische Raum. Architektur ist keine<br />

Kunst und der Architekt primär kein Künstler.<br />

Architektur ist im besten Sinne eine praktische<br />

und soziale Kunst, die nur vom Wechselspiel<br />

verschiedener Einflüsse, Personen und Institutionen<br />

erklärbar ist. Die Idee hat dort auch ihre<br />

Bedeutung und keineswegs eine geringe, doch<br />

Architektur muss sich vor allem im gesellschaftlichen<br />

Diskurs und in der Wahrnehmung beweisen.<br />

Viel zu oft wird mir in Rezensionen über<br />

die Ideen der <strong>Architekten</strong> oder ihrer Autoren<br />

geschrieben, die dann zumeist einer Überprüfung<br />

im sozialen und physischen Raum kaum<br />

standhalten. Um es hart auszudrücken, viele<br />

Rezensionen erscheinen mir heute wie eine Art<br />

„intellektueller Selbstbefriedigung“, steril und<br />

autistisch.<br />

7. Es gibt in Deutschland sicherlich eine Handvoll<br />

renommierter Kritiker, die fundiert recherchieren<br />

und engagiert schreiben. Mit dieser Art des<br />

Schreibens kommt man aber noch nicht über<br />

gediegene Langeweile hinaus. Ich wünsche mir<br />

mitunter, neben all den Fundierten, Klugen und<br />

Rechtschaffenen, einen (frühen) Maxim Biller<br />

der Architekturkritik. Wie geht es Ihnen<br />

41


Da sind wir wieder fast beim gehobenen Boulevard<br />

und dem Event, die gewiss auch ihre Berechtigung<br />

und ihren Wert haben. Allein ihre<br />

„Halbwertzeit“ ist wirklich gering. Was interessiert<br />

mich schon morgen das Gerede von gestern<br />

Wer´s benötigt, soll sich´s wünschen. – Ich<br />

jedenfalls nicht. Wenn profunde Kritik heute<br />

nur noch als langweilig empfunden werden<br />

kann, dann tut es mir leid, wenngleich sich der<br />

Kritiker immer auch selbst hinterfragen muss,<br />

wen er wie mit welchen Worten erreichen<br />

kann. Vor Jahren gab es in der „FAZ“ einen Kollegen<br />

mit großem rhetorischem Vermögen, der<br />

aber fast zwangsläufig ein „Wellenreiter“ war,<br />

der mit seiner spitzen Zeitgeistfeder mehr sich<br />

selbst und seine Wogen als den Gegenstand<br />

seines Schreibens im Blick hatte. Das Schielen<br />

nach mehr Resonanz schmeichelt gewiss dem<br />

eigenen Ego und fördert auch die Karriere, aber<br />

verbessert es wirklich etwas<br />

Die Fragen stellte Michael Gebhard.<br />

42


Baugeschichten<br />

Tote Sprachen – Historismus als Problem<br />

Folge 1<br />

In der Prosaskizze „Pierre Menard, Autor des<br />

Quijote“ stellt Jorge Luis Borges den Titelhelden<br />

als einen Mann vor, der den Ritterroman<br />

des Cervantes im beginnenden 20. Jahrhundert<br />

aufs neue schreibt, und zwar, wie Borges betont,<br />

als zeitgenössischer Autor, nicht etwa in<br />

dem Versuch, sich in Cervantes und seine Zeit<br />

zurückzuversetzen. Höhepunkt dieses Textes ist<br />

der Vergleich zweier Textstellen, von denen der<br />

Erzähler die erste, die des Cervantes, gerade<br />

einmal als zeittypisch-konventionell gelten lässt,<br />

die zweite – Wort für Wort mit der ersten identisch<br />

– von der Hand des Autors Pierre Menard<br />

dagegen als kraftvoll archaisierende Reflexion<br />

entsprechend höher bewertet.<br />

Pierre Menard, so lässt sich feststellen, wäre ein<br />

perfekter Historist im Sinne des architektonischen<br />

Historismus: Ihm gelingt das Kunststück,<br />

ein Werk der Vergangenheit als ein neues, zeitgenössisches<br />

erstehen zu lassen. Die wunderbar<br />

ironische Absurdität, mit der Borges seinen Helden<br />

vorstellt, zeigt die Paradoxie eines künstlerischen<br />

Historismus zwischen Geschichtlichkeit<br />

und Zeitgenossenschaft.<br />

In der Nachfolge Giambattista Vicos hatte der<br />

literarisch-philosophische Historismus Herders<br />

die jeweilige Einzigartigkeit jeder historischen<br />

Epoche aufgezeigt und damit das Geschichtsbild<br />

des 19. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. In<br />

Rankes berühmtem Diktum „Alle Epochen sind<br />

gleich nah zu Gott“ ist diese Anschauung auf<br />

eine Formel gebracht. Die Geschichtsauffassung<br />

des Historismus steht in Gegensatz zu einer im<br />

19. Jahrhundert ebenfalls verbreiteten Überzeugung<br />

von historischem Fortschritt und kann<br />

mit diesem am ehesten mit einer Vorstellung<br />

vom jeweils Zeitgemäßen in Einklang gebracht<br />

werden, mit dem die Zeugnisse einer vergangenen<br />

Epoche zwar ihren Wert nicht verlieren,<br />

aber durch die Ergebnisse einer neuen Epoche<br />

im Hegelschen Sinne „aufgehoben“ sind.<br />

Beide Auffassungen, die eines reinen Historismus,<br />

wie die einer stetigen Aufwärtsentwicklung<br />

in der Geschichte, fordern implizit von der<br />

jeweiligen Epoche den zeitgemäßen Ausdruck<br />

– in der Kunst und somit auch in der Architektur.<br />

Gerade dies, ein sich stetig entwickelnder<br />

zeitgemäßer Ausdruck, findet so im architektonischen<br />

Historismus des 19. Jahrhunderts aber<br />

nicht statt. Etwa seit den 1830er Jahren findet<br />

nahezu die gesamte Bautätigkeit Europas ihren<br />

Ausdruck in historischen Stilformen.<br />

44


Der architektonische Historismus umfasst von<br />

seinem Beginn, den ersten neogotischen Entwürfen<br />

und Bauten am Anfang des 19. Jahrhunderts,<br />

bis zu seinem Niedergang ein ganzes<br />

Jahrhundert. Dies entspricht etwa dem Zeitraum<br />

von der politischen Neuordnung Europas<br />

nach dem Wiener Kongress bis zum Ende des<br />

Ersten Weltkriegs. Angesichts der geradezu explosionsartigen<br />

Veränderungen und Entwicklungen<br />

in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft,<br />

in den Naturwissenschaften und auch gerade<br />

auf den Gebieten, die die Architektur unmittelbar<br />

betreffen, wie dem Wachstum von Städten,<br />

Handel und Verkehr, der Entstehung neuer<br />

Bauaufgaben und -typologien, der Entwicklung<br />

von Baumaterialien und Konstruktionsmethoden,<br />

fällt auf, dass all dies weitgehend, wenn<br />

auch mit gewichtigen Ausnahmen, mit dem<br />

Formenrepertoire historischer, zum Teil weit zurückliegenden<br />

Stilepochen bewältigt wurde.<br />

Dies steht im Gegensatz zu der Gestaltung<br />

früherer Architekturepochen (eben jener, die<br />

im Historismus kopiert wurden), die sich selbst<br />

nicht so sehr als Stil verstanden (zu dem es auch<br />

gleichwertige, konkurrierende Alternativen geben<br />

könnte), sondern als die schlechthin zeitgemäße<br />

Form zu bauen.<br />

Wenn dieser Gegensatz hier Thema wird, dann<br />

geht es nicht darum, dem architektonischen<br />

Historismus den Prozess zu machen, wie es<br />

die Reformer der Jahrhundertwende und die<br />

Moderne der 20er Jahre taten, und die Bauten<br />

des Historismus als unoriginell und epigonal<br />

zu verurteilen. Schon lange hat sich eine neue<br />

Wertschätzung der Leistungen des Historismus<br />

etabliert. Seine Protagonisten werden in Publikationen<br />

und Ausstellungen gefeiert, eine Ehrenrettung<br />

erübrigt sich.<br />

Vielmehr soll festgehalten werden, dass historistisches<br />

Entwerfen grundlegend anders „funktioniert“,<br />

anderen Bedingungen unterliegt als die<br />

Epochen davor und auch anders als die Architekturentwicklung<br />

danach. Einige Eigenschaften<br />

historistischen Entwerfens sollen dies verdeutlichen.<br />

Schließlich wird versucht, herauszufinden,<br />

welche Auswirkung dieser grundsätzliche<br />

Unterschied auf die Beurteilung historistischer<br />

Architektur haben könnte. Trotz der intensiven<br />

Beschäftigung mit dem architektonischen Historismus<br />

fällt eine baukünstlerische Bewertung<br />

seiner Leistungen immer noch schwer.<br />

Akzeptiert man eine Auffassung von der Geschichte<br />

und ihren Abläufen im Sinne des philosophischen<br />

Historismus, so ist der architekto-<br />

45


nische Historismus, wie er 100 Jahre lang praktiziert<br />

wurde, in einem künstlerischen Sinne gar<br />

nicht möglich: Eine organische Stilentwicklung,<br />

in der ein Baumeister den aktuellen Stand der<br />

Architekturdiskussion um einen neuen Beitrag<br />

bereichert, vorhandene Tendenzen aufnimmt<br />

oder im Rahmen des Zeitgeistes (oder „Stilwollens“<br />

im Sinne Alois Riegls) Neuerungen wagt,<br />

ist dem historistischen <strong>Architekten</strong> verwehrt.<br />

Die jeweils historischen Randbedingungen des<br />

von ihm gewählten Stils sind für ihn ohne Relevanz:<br />

Die Themen der historischen Diskussionen<br />

sind nicht die seinen, die geistigen und<br />

materiellen Hintergründe, seine konstruktiven<br />

Möglichkeiten und die Anforderungen seiner<br />

Zeitgenossen an ein Bauwerk sind andere als in<br />

der gewählten Stilepoche. In einem historischen<br />

Stil zu bauen bedeutet, von seinem historischen<br />

Rahmen zu abstrahieren und ihn auf ein ästhetisches<br />

Zeichensystem zu reduzieren – paradoxerweise<br />

ist Historismus in der Architektur<br />

und den angewandten Künsten damit also etwas<br />

fundamental Ahistorisches.<br />

Nun sind aber gerade die jeweiligen historischen<br />

Rahmenbedingungen der Hintergrund, vor dem<br />

in der traditionellen Architektur eine Bauleistung<br />

deutlich und gültig wird: wie sich ein Bauwerk<br />

in eine Tradition einfügt (oder davon abweicht),<br />

wie es die Ansprüche erfüllt, die die Gesellschaft<br />

an es stellt. Vor diesem Hintergrund lässt es sich<br />

bewerten. Wo dieser Rahmen fehlt, ist zwar<br />

vieles möglich; doch bietet der Gebrauch dieser<br />

Möglichkeiten kaum die Chance auf Relevanz.<br />

Wenn im 16. Jahrhundert – von Palladio streng<br />

gerügt – gesprengte Giebel als Motiv entwickelt<br />

werden; wenn im Palazzo del Tè mit Lust gegen<br />

die klassische Syntax verstoßen wird; wenn seit<br />

Michelangelo große Säulen- oder Pilasterordnungen<br />

mehrere Geschosse zusammenfassen,<br />

dann sind dies Kühnheiten, in ihrer Zeit mit dramatischer<br />

Wirkung und mit Einfluss auf die Architekturentwicklung.<br />

Im 19. Jahrhundert sind<br />

solche „Erfindungen“, wenn sie denn gemacht<br />

werden, nicht von allgemeiner Bedeutung und<br />

auch nicht unbedingt stilbildend.<br />

Anders als für die <strong>Architekten</strong> der Moderne sind<br />

die Stile für die <strong>Architekten</strong> des Historismus noch<br />

maßgeblich und Vorbild; dabei sind sie aber unwiderruflich<br />

historisch und ohne konkrete Verbindlichkeit;<br />

der Historist hat Stile zur Auswahl,<br />

aber keine Tradition als Ausgangspunkt. Er ist<br />

zwar frei in der Wahl des Stils und innerhalb<br />

des Stils bis zur Beliebigkeit frei in der Wahl der<br />

Formen. Er ist aber zugleich in anderer Weise<br />

gebunden: Innerhalb eines historischen Formenrepertoires<br />

kann er keine eigene Entwick-<br />

46


lung in Gang setzen, wie dies seine historischen<br />

Vorbilder taten. Die Weiterentwicklung hat es<br />

bereits gegeben, der historistische Architekt<br />

weiß bereits, „wie die Geschichte weitergeht“.<br />

Nun ließe sich einwenden, dass die tatsächliche<br />

historische Entwicklung ja nicht ohne Alternativen<br />

bleiben muss. Dann aber muss der<br />

Historist den Boden der Geschichte verlassen:<br />

Die Grundlage des Historismus, der wiedererkennbare<br />

historische Stil, das feststehende Vokabular,<br />

wird dann aufgegeben. Es hat nicht an<br />

Versuchen gefehlt, diesen Weg zu beschreiten;<br />

Beispiele sind die Architektur der Wiener Staatsoper<br />

oder der Maximiliansstil in München. Die<br />

vorwiegend ablehnenden Reaktionen auf solche<br />

Versuche und deren relative Folgenlosigkeit<br />

für die Gesamtentwicklung des Historismus zeigen,<br />

dass aber gerade dieser Versuch, den Historismus<br />

aus sich selbst heraus zu überwinden,<br />

gleichsam aus toten Sprachen eine neue Kunstsprache<br />

zu machen, nicht akzeptiert wurde.<br />

ist der Stil als Formensprache weitgehend resistent<br />

gegen Auflösung und Veränderung. Dies<br />

gilt nicht nur für die einzelne Form als Vokabel,<br />

sondern auch, um bei der Sprachanalogie zu<br />

bleiben, weitgehend für Grammatik und Syntax<br />

der historischen Stile.<br />

Welche Möglichkeiten der Gestaltung bieten<br />

sich aber vor diesem Hintergrund nun dem historistischen<br />

<strong>Architekten</strong> Dazu mehr demnächst<br />

an dieser Stelle.<br />

Cornelius Tafel<br />

Stilpluralismus im Historismus hat also scheinbar<br />

widersprüchliche Konsequenzen: Einerseits<br />

führt die freie Wählbarkeit und die Herauslösung<br />

des Stils aus seinem traditionellen Bedeutungszusammenhang<br />

zu Relativierung und Bedeutungsverlust<br />

der Einzelformen. Andererseits<br />

47


Leute und Bauten Alexander von Branca 90<br />

Er kann nun auf ein langes bewegtes und bewegendes<br />

Leben zurückblicken, Alexander Freiherr<br />

von Branca. „Ein Unangepaßter, der durch die<br />

Wechselfälle der Zeitläufte und seines Schicksals<br />

seinen eigenen Weg gegangen ist, allein,<br />

aufrecht und ohne nach links und rechts zu<br />

schauen“, wie ihn der Freund J. C. Ottow in einer<br />

Buchbesprechung beschrieben hat. Sie galt<br />

den „Facetten eines Lebens“, den anrührenden<br />

Erinnerungen des damals Achtzigjährigen.<br />

In der Zeitspanne eines halben Jahrhunderts hat<br />

von Branca sein beeindruckendes Gesamtwerk<br />

geschaffen, das die unterschiedlichsten Bauaufgaben<br />

einschließt, an dem der Sakralbau jedoch<br />

den gewichtigsten Anteil hat. Als ich zum Studium<br />

nach München kam, war die Klosterkirche<br />

Herz Jesu (in Arbeitsgemeinschaft mit H.<br />

Groethuysen) gerade fertig geworden. In ihrer<br />

Synthese von traditionsverpflichteter Raumidee<br />

und moderner Gestaltung kann sie als erste<br />

Neuinterpretation eines (katholischen) Sakralbaus<br />

der Nachkriegszeit gelten.<br />

In und für München ist Alexander von Branca<br />

vor allem anderen der Architekt der Neuen Pinakothek.<br />

„Der Bau wird heute von zahlreichen<br />

Besuchern um der Präsentation der Bilder willen<br />

gelobt, von offiziellen Kritikern jedoch zerfetzt<br />

wie so oft in meinem Leben“, beklagt er sich.<br />

Mit Stirlings Staatsgalerie in Stuttgart war es<br />

nicht anders: Aufschrei vor allem der im Wettbewerb<br />

zu kurz Gekommenen. Den Leuten<br />

gefiel sie auf Anhieb. Für wen arbeiten wir <strong>Architekten</strong><br />

Zwischen dem Wettbewerb für die<br />

Pinakothek (mit über 200 Einsendungen) und<br />

der Fertigstellung vergingen fast 15 Jahre. Das<br />

geht weder am <strong>Architekten</strong> noch an seinem<br />

Werk spurlos vorüber.<br />

Die Kritik störte sich vornehmlich an den Fassaden.<br />

Hatte der Architekt sich inzwischen zum<br />

Postmodernen gewandelt In den einschlägigen<br />

Publikationen wird er, soweit ich sehe, als ein<br />

solcher nicht geführt. Er schien mir eher von den<br />

Tendenzen der Formerweiterung der sechziger<br />

Jahre in England und Nordamerika beeinflusst<br />

gewesen zu sein. Eine postmoderne „Ironie“<br />

wie bei Stirling war ihm jedenfalls völlig fremd.<br />

Für J. M. Montaner (Neue Museen, 1990) ist<br />

und bleibt die Neue Pinakothek als Kunstmuseum<br />

„ein großartiges Beispiel mit seiner offenen<br />

Form und seinen klaren Raumstrukturen“ und,<br />

so möchte ich ergänzen, der unübertroffenen<br />

Qualität seines Tagesoberlichts.<br />

49


Von Branca war ein Meister im Umgang mit<br />

dem Naturstein als Mauerwerk mit seinen optischen<br />

und haptischen Reizen, wie sonst nur<br />

noch bei historischen Bauten zu erleben. Ich<br />

nenne hier nur die Kapelle auf Schloss Hirschberg<br />

und die Klosterkirche auf dem Berg Schönstatt<br />

bei Koblenz.<br />

Abschließen möchte ich mit einem Zitat aus den<br />

„Facetten“: „Die Architektur, Werk und Leistung,<br />

ist nie die Sache eines Einzelnen. Eine Idee<br />

sicherlich, aber der Weg von der Idee zum Werk<br />

ist weit und abhängig von vielen Bedingtheiten.<br />

Und je schlichter, je einfacher die Architektur<br />

ist – und, wenn man Glück hat, doch noch ein<br />

ansehbares Werk darstellt – , um so mühevoller<br />

kann der Weg zum Ziel sein.“<br />

Wilhelm Kücker<br />

Werner Wirsing 90<br />

Zum Glück sind unsere <strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> bisher<br />

ja ein Familienblättchen geblieben! Und so<br />

darf man, kollegial-freundlich geduldet, auch<br />

Altbekanntes aus der Familiengeschichte immer<br />

wieder hervorkramen.<br />

Dass sich zum Beispiel an Werner Wirsing und<br />

seinem Geburtsdatum nichts verändert hat<br />

seit wieder fünf Jahren – auch nicht an seiner<br />

kraftvollen Teilhabe an unserer <strong>Architekten</strong>gemeinschaft.<br />

Ohne professoral abzuheben, gibt<br />

er weiterhin Anstöße fürs Denken und Tun als<br />

eines unserer wandelnden Wissen und Gewissen.<br />

Real wirkt er zwischen uns und wird jetzt<br />

halt einfach 90 Jahre...<br />

Er verkörpert unsere Idee, wie einfach, grad und<br />

richtig wir und vieles sein könnte, stellt sich vor<br />

die Alten, die Jungen und die ganz Jungen hin<br />

und erzählt, wie die Zeiten so gelaufen sind, ist<br />

selbst ein Stück Zeitgeschichte, und sogar seine<br />

Patina ist echt…<br />

Über seine gebauten Nachhaltigkeiten kann<br />

sicher jemand auch noch ein gescheites Buch<br />

schreiben. Wir aber fassen unsere bisherigen<br />

Jubelrufe in einer fiktiven Sonderausgabe der<br />

<strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> zusammen und brauchen<br />

künftig nur noch selber bei uns abzuschreiben…<br />

Und so sagen wir leichthin zu unserem Mitwanderer<br />

neben uns erneut: Glück für ferner!<br />

Salve Werner!<br />

Franz Lichtblau<br />

50


Walther Betz 80<br />

Walther Betz wurde in Würzburg geboren, das<br />

für ihn immer noch der Mittelpunkt der Welt<br />

ist. Den Barock hat er mit der Muttermilch aufgesogen.<br />

Er hat erlebt, wie im März 1945 die<br />

Stadt zerbombt wurde. Mit dem Fahrrad fuhr<br />

er durch die brennende Residenz, die von niemandem<br />

gelöscht wurde, und er sah wie der<br />

große Lüster unter dem Tiepologemälde auf die<br />

Treppe herunter brach.<br />

Nach dem Krieg machte er seine ersten Erfahrungen<br />

bei Professor Boßlet, hat dann an der<br />

TH München und an der ETH Zürich studiert.<br />

Nach dem Diplom arbeitete er im Büro von Professor<br />

Sep Ruf und schrieb seine Doktorarbeit<br />

bei Professor Friedrich Krauss.<br />

Büro und Ehe mit Kollegin. Erste Familienhäuser<br />

in Franken und am Starnberger See. Bauten in<br />

Würzburg, München, Berlin und die Deutsche<br />

Botschaft London, Auslandsprojekte in Istanbul<br />

und Karachi. Auszeichnungen: 1971 <strong>BDA</strong> Preis<br />

Bayern, 1973 Kulturpreis der Stadt München,<br />

1979 Civic Trust Award, British Concrete Society<br />

Award, 1981 <strong>BDA</strong> Preis Bayern.<br />

Die letzten Projekte, wie das Bürogebäude<br />

„Nymphe“ am Stiglmeierplatz in München,<br />

entstanden zusammen mit Sohn Oliver. Und<br />

immer begleitet ihn die Musik …<br />

Bea Betz<br />

Enno Burmeister 80<br />

Bauwerke als Bühne ihrer selbst, die nach Erneuerung<br />

und Belebung verlangen, stehen seit<br />

jeher für Enno Burmeister im Zentrum seines<br />

Lebens und Tuns. Schon als er 1960 bei Oswald<br />

Hederer in seiner ersten Doktorarbeit das Thema<br />

„Raum – Bühne“ wählte, zeigte sich seine<br />

Leidenschaft zum Kunstwerk Theater, wobei<br />

die atmosphärische Qualität des Zusammenspiels<br />

von szenischer Wahrnehmung im gebauten<br />

Ort als mystische Erfahrung von besonderer<br />

Bedeutung war. Auch in seiner zweiten Doktorarbeit<br />

„Die Wening Schlösser“ bei Norbert<br />

Lieb befasste er sich mit dem Thema der Erforschung<br />

von Bauwerken und ihrer Inszenierung<br />

aus historischer Sicht. Folgerichtig beginnt sein<br />

Weg nach dem Studium an der TH München<br />

mit der Sanierung und Restaurierung von Kirchen<br />

und Schlössern im Auftrag des Landesamtes<br />

für Denkmalpflege. Seine Professur an<br />

51


der FH München für Architekturgeschichte und<br />

Denkmalpflege, deren Einführung als Unterrichtsfächer<br />

seiner Initiative zu verdanken ist,<br />

und seine Lehrtätigkeit am Institut für Theaterwissenschaft<br />

der Universität München im Fach<br />

Geschichte und Theorie der Theaterarchitektur<br />

spiegeln seine Interessen überzeugend wider.<br />

Seine zahlreichen Reisen zu antiken Theatern in<br />

Großgriechenland, Italien und den römischen<br />

Provinzen wurden Bestandteil seiner Lehrveranstaltungen,<br />

und in vielen Publikationen sind die<br />

grundsätzlichen Fragen des Theaterbaus, seiner<br />

Bauteile, seiner Akustik, der Theatermaschinen<br />

sowie der Theaterbetrieb und sogar die Atmosphäre<br />

des besuchten Theaters beschrieben.<br />

Mitten hinein in eine Welt selbstgefälliger Inszenierung<br />

von Architektur macht sich Burmeister<br />

– so scheint es – ein eigenes Geburtstagsgeschenk<br />

in schlichter Schwarzweisheit mit einem<br />

grundlegenden Band mit dem ebenso schlichten<br />

Titel „Antike griechische und römische<br />

Theater“. Was so wenig theatralisch daherkommt,<br />

entpuppt sich als Sammlung von hoher<br />

Detailkenntnis und gibt dem Interessierten<br />

einen schlüssigen Überblick über die Wurzeln<br />

der Theaterarchitektur. Ein Buch wie der Autor<br />

selbst: bescheiden, korrekt, immer sachlich und<br />

zurückhaltend. Diese Haltung prägt seine Person<br />

bis heute, sie prägte seine Lehre und auch<br />

seine Position als Heimatpfleger der Landeshauptstadt<br />

München, in der Enno Burmeister<br />

unermüdlich eine sinnvolle Synthese zwischen<br />

neuem Bauen und Denkmalpflege förderte.<br />

Erwien Wachter<br />

Enno Burmeister, Antike griechische und<br />

römische Theater; Verlag Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft Darmstadt, ISBN 978-3-534-<br />

18495-8, EUR 42,90<br />

Müncher Stadtbaurätin ist<br />

Honorarprofessorin an der HFT Stuttgart<br />

Der Senat der Hochschule für Technik Stuttgart<br />

hat Frau Dr. Elisabeth Merk zur Honorarprofessorin<br />

ernannt. Nach dem Architekturstudium in<br />

Regensburg und einem weiterführenden Studium<br />

der Architektur an der Universität in Florenz<br />

folgten Promotion und freiberufliche Tätigkeit<br />

in Italien. Von 1995 bis 1999 war sie bei der<br />

Stadt München und bei der Stadt Regensburg<br />

tätig. Von 2000 bis 2005 war sie Leiterin des<br />

Stadtplanungsamtes in Halle an der Saale. Nach<br />

der Berufung als Professorin an die HFT Stuttgart<br />

lehrte sie zwei Jahre an der Fakultät Archi-<br />

52


Veranstaltungen<br />

tektur und Gestaltung Städtebau und Stadtplanung.<br />

Seit 2007 ist sie Stadtbaurätin der<br />

Landeshauptstadt München. Als Honorarprofessorin<br />

wird sie auch zukünftig Workshops<br />

und Wahlfächer in den Master-Studiengängen<br />

Stadtplanung und Architektur anbieten.<br />

aus: muenchenarchitektur.com<br />

Bauherr Kirche. Der Architekt<br />

Karljosef Schattner<br />

Ausstellung vom 19. Juni bis 7. August 2009<br />

in München<br />

Der Architekt Karljosef Schattner vollendet am<br />

24. August 2009 sein 85. Lebensjahr. Aus diesem<br />

Anlass ehrt die DG Deutsche Gesellschaft<br />

für christliche Kunst ihr langjähriges Mitglied<br />

mit einer Ausstellung in ihrer Münchner Galerie<br />

an der Finkenstraße. Von 1957 bis 1992 als Diözesanbaumeister<br />

tätig, bescherte Schattner der<br />

Bischofsresidenz Eichstätt nach den Baumeistern<br />

des Mittelalters und den Meisterarchitekten des<br />

Barock zum dritten Mal einen baukulturellen<br />

Höhepunkt. Die Ausstellung dokumentiert vor<br />

allem seine Bauten für die Katholische Universität<br />

in Eichstätt, die internationale Anerkennung<br />

gefunden haben. Das Hauptthema ist „Neues<br />

Bauen in alter Umgebung“ – moderne Architektur<br />

in der Barockstadt. Schattners Neubauten,<br />

Sanierungen und Erweiterungen werden in<br />

perfekten Fotografien von Klaus Kinold sowie<br />

durch neu gezeichnete Pläne und Schnitte präsentiert.<br />

Es soll gezeigt werden, dass Schattners<br />

Leistungen aktuell und zukunftsweisend geblieben<br />

sind. Zur Ausstellung erscheint in Zusammenarbeit<br />

mit dem Deutschen Kunstverlag<br />

ein Katalogbuch, das ca. 120 Seiten mit ca. 80<br />

Abbildungen enthält. Die Eröffnung der Ausstellung<br />

findet am Donnerstag, 18. Juni 2009,<br />

um 19 Uhr in der Galerie der DG an der Finkenstraße<br />

in München statt.<br />

Wolfgang Jean Stock<br />

Foto: Klaus Kinold, Diözesanmuseum Eichstätt<br />

53


Umbau als Chance<br />

Tagung der Akademie Tutzing in Kooperation<br />

mit dem <strong>BDA</strong> Landesverband Bayern<br />

Demografischer Wandel und schrumpffende<br />

Städte bedingen einen Paradigmenwechsel in<br />

der Stadt- und Landesentwicklungsplanung:<br />

Konsolidierungs- und Konzentrationsstrategien<br />

ersetzen Wachstumskonzepte. Der kreative<br />

Umgang mit dem Bestand wird zur Überlebensfrage<br />

ganzer Regionen.<br />

Die Tagung findet vom 15. bis 17. Mai 2009<br />

statt. Das Programm finden Sie als Beilage zu<br />

diesem Heft oder im Internet unter www.bdabayern.de/Aktuelles/Veranstaltungen.<br />

Christa Weissenfeldt<br />

Klaus Kinold – Der Architekt<br />

photographiert Architektur<br />

Austellung im Architekturmuseum in der<br />

Pinakothek der Moderne in München vom<br />

12. März bis 31. Mai 2009<br />

Diese lohnenswerte Ausstellung beschreibt das<br />

Werk eines Photographen, der Architekturvermittlung<br />

als seine besondere Aufgabe auserwählte.<br />

„ Ich will Architektur zeigen, wie sie<br />

ist“, fast banal erklärt Klaus Kinold seine Zielsetzung<br />

und macht doch gleichzeitig verständlich,<br />

warum ihn manche der Großen der Architektur<br />

zu ihrem bevorzugten Dokumentator wählten.<br />

Die Bilder erzählen davon, dass keine Zeit zu<br />

schade war, die Bauten tiefgreifend zu erfassen<br />

und die angemessenen „Seh-Orte“ zu ergründen,<br />

sie erzählen aber auch davon, dass es gilt,<br />

den Photographen zurücktreten zu lassen und<br />

verführerische Perspektiven zu vermeiden, um<br />

im Frontalen den unverfälschten Charakter der<br />

Bauten zu durchdringen. Dass diese Ausstellung<br />

nur einen Bruchteil des bisherigen Werks<br />

repräsentiert, mindert in keiner Weise ihre Qualität.<br />

Die gezeigten Fotos, analog fotografiert<br />

und von Hand abgezogen, geben in ihrer Auswahl<br />

einen überzeugenden Eindruck, was es<br />

heißt, wenn von erklärendem Sehen und von<br />

dokumentarischer Interpretation die Rede ist.<br />

Von seinem Lehrer Egon Eiermann lernte der<br />

nunmehr Siebzigjährige die klare und nüchterne<br />

Durchdringung architektonischer Probleme<br />

sowie die Präzision des Gestaltens, die er auf<br />

seine Photographien überträgt.<br />

Zur Ausstellung ist ein Katalog in der Edition<br />

Minerva ISBN 978-3-938832-50-9 erschienen.<br />

Erwien Wachter<br />

54


Gehört – gelesen<br />

Lösung der Frage aus den<br />

<strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> 4-2008<br />

1940 hat Veit Harlan, ein damals unter den<br />

Nationalsozialisten weithin bekannter Filmregisseur<br />

den antisemitischen Film „Jud Süß“ gedreht.<br />

Der Film hat das Schicksal des geheimen<br />

Finanzrats Josef Süß-Oppenheimer zum Inhalt.<br />

Süß-Oppenheimer war vom württembergischen<br />

Herzog Karl Alexander (1684-1737) zum Leiter<br />

der Wirtschaft und der Finanzen des Landes<br />

gemacht worden. Er gründete Manufakturen<br />

für Salz, Leder, Wein und Tabak, gründete Kaffeehäuser<br />

und eine Lotterie. Die solchermaßen<br />

erzielten Gewinne kamen ihm selbst, aber auch<br />

dem Land und seinem Herzog zugute.<br />

Nach dem Tode des Herzogs wurde Süß-<br />

Oppenheimer verhaftet, misshandelt und<br />

schließlich zum Tode verurteilt, obgleich ein<br />

berühmter württembergischer Jurist die Verurteilung<br />

als ungerecht bezeichnete. Das Schicksal<br />

des Finanzrats ist Inhalt einer Novelle von<br />

Hauff und eines Romans von Feuchtwanger<br />

und schließlich auch des eingangs erwähnten<br />

nazistischen Films.<br />

Die neue Frage lautet<br />

Zwei bedeutende Länder entschlossen sich,<br />

Besitzungen, die ihnen gehörten, zu tauschen.<br />

Obgleich diese Besitztümer, sowohl was ihre<br />

Größe anging, als auch im Hinblick auf ihre<br />

Situation und ihre sonstigen Eigenschaften,<br />

höchst unterschiedlich waren, glaubten beide<br />

Länder, zunächst einen guten Tausch gemacht<br />

zu haben, einer Überzeugung, der sie auch<br />

nach heftigsten Auseinandersetzungen in den<br />

inzwischen verstrichenen Zeiträumen (und hoffentlich<br />

auch in Zukunft) anhängen werden.<br />

Um welche Besitzungen welcher Länder handelt<br />

es sich<br />

Peter C. von Seidlein<br />

56


Man sollte darüber<br />

sprechen<br />

Vom <strong>Architekten</strong>- zum Planerwettbewerb<br />

„Novellierung“ bedeutet in der politischen<br />

Praxis meist eine Verschlimmbesserung (HOAI,<br />

GRW). Besser für den Gesetzgeber, schlimmer<br />

für den Gesetznehmer. Im Hinblick auf die gegenwärtige<br />

Handhabung unseres Wettbewerbwesens<br />

ist das für Letzteren allerdings kaum<br />

noch möglich. Tatsächlich mahnt denn auch die<br />

neue Richtlinie das Einhalten geltender Grundsätze<br />

an, die von den Verantwortlichen ständig<br />

unterlaufen werden.<br />

Was mich irritiert ist allerdings die Umbenennung<br />

des <strong>Architekten</strong>wettbewerbs in einen Planungswettbewerb.<br />

Was verbirgt sich dahinter<br />

Soll der Teilnehmerkreis erweitert werden Und<br />

sollen statt wie bisher Entwürfe, also Grundlagen<br />

für eine Planung, gleich die Planungen<br />

(komplett) eingereicht werden Dazu § 1 (1)<br />

Definition: Wettbewerbe dienen dazu, dem<br />

Auftraggeber eine Planung zu verschaffen. Das<br />

darf doch nicht wahr sein!<br />

Nun aber zu den Details: Es gibt nur offene und<br />

nicht offene Wettbewerbe. Ein sogenannter<br />

begrenzt offener Wettbewerb verstieß schon<br />

gegen die GRW. Alle Teilnehmer sind gleich zu<br />

behandeln. Dieser GRW-Grundsatz ist mit dem<br />

„begrenzt offenen“ Verfahren permanent missachtet<br />

worden. Es darf keine Diskriminierung<br />

geben. Genau das jedoch geschieht durch den<br />

„begrenzt offenen“ Wettbewerb fortwährend.<br />

Die Auswahl erfolgte nicht mehr nach „aufgabenbezogenen<br />

qualitativen Kriterien“ (RPW<br />

2008), sondern ausschließlich nach quantitativen.<br />

Das ist Apartheitpolitik. Zweiklassensystem<br />

der Kammermitgliedschaft (A- und B-Klasse)<br />

bei gleichem Mitgliedsbeitrag.<br />

„Der Grundsatz eines transparenten und anonymen<br />

Verfahrens besteht nach wie vor.“<br />

(Minister Tiefensee in „wettbewerbe aktuell“<br />

12/2008). Aber nicht bei uns. Hier entscheidet<br />

eine „vorgeschaltete Kommission“ – durch<br />

nichts legitimiert – über die Teilnahme und<br />

übernimmt damit zugleich eine Quasi-Jury-<br />

Funktion vorneweg.<br />

In der Bekanntmachung einer Auslobung haben<br />

sämtliche am Verfahren Beteiligte benannt<br />

zu werden. Nichts davon geschah. Die Vorgeschalteten<br />

blieben anonym. Das war mit „anonymen“<br />

Verfahren allerdings nicht gemeint<br />

(siehe Transparenz!). Sehr zu hoffen bleibt nun,<br />

dass es mit diesem gefinkelten Procedere und<br />

der Klüngelei ein Ende hat.<br />

Wilhelm Kücker<br />

57


Sanieren heißt Heilen, nur in Ingolstadt<br />

nicht<br />

In dem Standardwerk „Teatri e Auditori“ von<br />

Roberto Aloi (Milano 1972) nimmt das Ingolstädter<br />

Theater von Hardt-Waltherr Hämer<br />

breiten Raum ein. Der Autor rühmt seine Verbindung<br />

mit der historischen Umgebung, den<br />

einladenden Terrassen und Ebenen, die sich<br />

bis in die Gebäudefiguration fortsetzen, und<br />

scheut sich nicht, dieser Interaktion „grandiosità“<br />

nicht abzusprechen. Für mich ist es vor<br />

allem die organische Einbindung des „Bühnenturms“<br />

in die expressive Bauskulptur, die sonst<br />

nie so richtig gelingen will. Das Gebäude wird<br />

intensiv genutzt, ist kultureller Mittelpunkt der<br />

Stadt, also von den Leuten „angenommen“.<br />

Mit dem Sichtbeton, der einmal hohe Wellen<br />

der Abneigung schlug, haben sich die meisten<br />

Ingolstädter wohl abgefunden. „Beton“ ist ja<br />

nicht zuletzt ein Synonym für alles Schlechte<br />

in der Architektur, auch wenn keiner zu sehen<br />

ist. Gibt es aber für eine Bauplastik wie diese<br />

einen anderen die Homogenität ermöglichenden<br />

Baustoff<br />

Dass nach vierzig Jahren eine Dachsanierung<br />

nötig geworden war, versteht sich. Auch der<br />

Brandschutz musste nachgebessert werden.<br />

Kein Thema. Nun aber geht‘s ans Eingemachte.<br />

Trend deutscher Stadtbaupolitik, merkt „der architekt“<br />

dazu an, sei es, Bauten der Nachkriegszeit<br />

bis zur Unkenntlichkeit zu überformen.<br />

Auch in Ingolstadt denkt man schon darüber<br />

nach, ob man die Außenwände nicht dämmen<br />

müsse und dann mit einem gefälligeren<br />

Material verkleiden. Ich zitiere in solchem Zusammenhang<br />

gern den gewesenen Stadtbaurat<br />

von Leipzig: „Vom Volk der Denker und Dichter<br />

zum Volk der Dämmer und Abdichter.“ Auch<br />

die großen Glasflächen werden schon mal zur<br />

Disposition gestellt mit Rücksicht auf „ecologycal<br />

correctness“.<br />

Jetzt ist erst einmal die Überholung des Inneren<br />

angesagt. Sie wird sich über Jahre erstrecken.<br />

Aber ein Gesamtkonzept gibt es nicht.<br />

Das wird ein Gewurschtel aus lauter unzusammenhängenden<br />

Maßnahmen und – na klar<br />

– ohne Beteiligung des <strong>Architekten</strong>. Den hat<br />

man trickreich ausgeschaltet. Die ganze Zeit<br />

seit der Dachsanierung, erzählte er mir, hat er<br />

versucht, „den Finger hineinzukriegen“. Aber<br />

man hat ihn quasi „rausgeschmissen“ mit dem<br />

„Angebot“ unzumutbarer Konditionen („Hungerlohn“),<br />

die er schon allein aus rechtlichen<br />

Gründen (Haftung) gar nicht akzeptieren konnte.<br />

So wird das gemacht: Er hat ja nicht wol


Aktion – Reaktion<br />

len... Und wer ist nun zuständig Kaum zu<br />

glauben, aber Ingolstadt hat nicht einmal einen<br />

Stadtbaurat!!! Die Stelle ist schon eine Weile<br />

nicht mehr besetzt worden. Was verschlägt‘s:<br />

Das schaffen wir doch allein („und heimlich<br />

weiter mit fremden Büros“).<br />

Urheberrecht Denkmalschutz Seit 2002 ist<br />

Hämers Theater ein Baudenkmal. Dass die Vertreter<br />

der Landesdenkmalpflege wie auch der<br />

prominent besetzte Gestaltungsbeirat einen<br />

„Masterplan“ anmahnen, bleibt da ohne Wirkung.<br />

Vom Stadtrat ist keine Initiative zu erwarten.<br />

Nur eine Stadträtin von der SPD engagiert<br />

sich vernehmlich, findet aber anscheinend kein<br />

Gehör. Theater in Ingolstadt Ein Trauerspiel.<br />

Wilhelm Kücker<br />

Verlustmeldung.<br />

<strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> 4-2008, Seite 28<br />

Sehr geehrter Herr Professor Kücker, in Ihrem<br />

Beitrag „Verlustmeldung“ setzen Sie sich kritisch<br />

mit dem Berufsbild des <strong>Architekten</strong> und<br />

der Rolle der <strong>Architekten</strong>kammern, insbesondere<br />

der Fort- und Weiterbildungseinrichtungen<br />

der Kammern, auseinander. Hierzu gestatten<br />

Sie mir bitte folgende Anmerkungen: Gleich<br />

zu Beginn Ihres Artikels führen Sie aus, dass Ihr<br />

Berufsbild „nicht das der <strong>Architekten</strong>kammer“<br />

sei. Der Ausschuss „Berufsordnung“ der Bayerischen<br />

<strong>Architekten</strong>kammer ist derzeit intensiv<br />

mit der Erarbeitung eines Berufsbildes befasst,<br />

das im Wesentlichen auf der Ausarbeitung einer<br />

Gruppe von Kollegen unter Führung von<br />

Prof. Werner Wirsing aus dem Jahr 1993 beruht,<br />

allerdings aufgrund der Entwicklung der<br />

politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen,<br />

innerhalb derer <strong>Architekten</strong>, Innenarchitekten<br />

und Landschaftsarchitekten tätig<br />

sind, der Aktualisierung bedarf. Die Verabschiedung<br />

ist für die nächste Sitzung der Vertreterversammlung<br />

im Juni 2009 vorgesehen. Auch<br />

der <strong>BDA</strong> ist intensiv in die Beratungen eingebunden.<br />

Ich würde mich deshalb freuen, wenn<br />

Sie sich über Ihren Berufsverband ebenfalls einbringen<br />

würden, damit Sie sich künftig mit dem<br />

Berufsbild der Kammer identifizieren können.<br />

Neu ist mir, dass Sie Mitglied einer „Handelskammer“*<br />

sind – es sei denn, Sie sind inzwischen<br />

gewerblich tätig. Nach wie vor vertreten<br />

die <strong>Architekten</strong>kammern ausschließlich die Interessen<br />

des freien Berufs des <strong>Architekten</strong>. Dass<br />

die Führung eines Architekturbüros auch entsprechende<br />

betriebswirtschaftliche Kenntnisse<br />

59


erfordert, ändert daran nichts – im Gegenteil:<br />

Es ist nicht zuletzt Pflicht der Kammern, Fortund<br />

Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten,<br />

die ihre Mitglieder in die Lage versetzen, ihren<br />

Beruf – auch wirtschaftlich – erfolgreich auszuüben.<br />

In der täglichen Beratungspraxis der Geschäftsstelle<br />

wird leider nur allzu oft deutlich,<br />

dass es gerade an diesen Kenntnissen und Fähigkeiten<br />

vielfach mangelt.<br />

Dagegen hat der Präsident der Bayerischen<br />

<strong>Architekten</strong>kammer entgegen Ihren Ausführungen<br />

zu keiner Zeit geäußert, „dass Entwerfen<br />

nur mehr Nebensache“ sei; dies entspricht<br />

weder seiner persönlichen Auffassung noch ist<br />

dies die Haltung der Kammer.<br />

Schließlich setzen Sie sich mit dem Angebot<br />

der Akademie für Fort- und Weiterbildung der<br />

Bayerischen <strong>Architekten</strong>kammer auseinander.<br />

Ihren Angaben zufolge soll der Personalstand<br />

der Akademie „zwischen ein und zwei Dutzend<br />

betragen“. Richtig ist, dass gerade einmal 4,5<br />

Stellen innerhalb der Geschäftsstelle auf die<br />

Akademie entfallen, die Arbeitskraft des Geschäftsführers<br />

„Architektur und Technik“, der<br />

diesen Bereich mitverantwortet, nicht mitgerechnet.<br />

Allein 2007 wurden mit diesem verhältnismäßig<br />

kleinen Team 271 Veranstaltungstage<br />

in ganz Bayern organisiert und durchgeführt<br />

– ein Volumen, das mit den Anfängen der Kammer<br />

in den Siebzigerjahren nicht ansatzweise<br />

vergleichbar ist.<br />

Auch Ihre Aussage, dass sich der „traditionelle“<br />

Architekt im Programm nicht mehr berücksichtigt<br />

findet, ist in keiner Weise zutreffend:<br />

Seminare zu Planung und Entwurf, zu Baukonstruktion<br />

und Bautechnik finden sich ebenso<br />

wie Veranstaltungen zum Vertragswesen sowie<br />

zum Planungs- und Baurecht – alles „klassische“<br />

<strong>Architekten</strong>themen. Dass sich die Akademie<br />

darüber hinaus neuen Bereichen widmet,<br />

um auch diese ihren Mitgliedern zugänglich zu<br />

machen, entspricht dem gesetzlichen Auftrag<br />

der Kammer, das Gesamtinteresse ihrer Mitglieder<br />

zu wahren: Nicht alle <strong>Architekten</strong> sehen sich<br />

ausschließlich als Entwurfsplaner – immer mehr<br />

entdecken „Nischen“ der <strong>Architekten</strong>tätigkeit<br />

für sich. Die Akademie nimmt für sich in Anspruch,<br />

eine so breit gefächerte Veranstaltungspalette<br />

anzubieten, dass jedes Mitglied Nutzen<br />

daraus ziehen kann – sofern es dazu bereit ist.<br />

Lassen Sie mich abschließend noch kurz zu der<br />

von Ihnen kritisch beleuchteten Fortbildungspflicht<br />

für <strong>Architekten</strong> Stellung nehmen: Diese<br />

Verpflichtung ist seit jeher für alle Kammermit-<br />

60


glieder in den jeweiligen Berufsordnungen der<br />

Länderkammern festgeschrieben und damit<br />

ohnehin zwingend zu beachten. Neu ist seit<br />

einigen Jahren, dass einzelne Länderkammern<br />

eine Überwachung und Sanktionierung dieser<br />

Verpflichtung eingeführt haben. Die von Ihnen<br />

der <strong>Architekten</strong>- und Stadtplanerkammer Hessen<br />

unterstellte Motivation, auf diesem Weg<br />

die Existenz ihrer „besonders aufgeblähten“<br />

Akademie zu sichern, erweist sich bei näherem<br />

Hinsehen als unzutreffend. Vielmehr sehen die<br />

betroffenen Kammern darin ein Instrument zur<br />

Qualitätssicherung der Leistungen des Berufsstandes,<br />

um das Vertrauen der Bauherren in die<br />

Qualifikation der <strong>Architekten</strong> zu rechtfertigen.<br />

Ob dieses Ziel mittels einer Überwachung der<br />

Fortbildung erreicht werden kann, mag bezweifelt<br />

werden. Der Vorstand der Bayerischen <strong>Architekten</strong>kammer<br />

ist der Auffassung, dass die<br />

Bereitschaft zum lebenslangen Lernen nicht<br />

durch die Kammer erzwungen werden kann. An<br />

deren Notwendigkeit zweifelt er keineswegs.<br />

Sabine Fischer, Bayerische <strong>Architekten</strong>kammer<br />

*Anmerkung der Redaktion: Damit meinte<br />

Wilhelm Kücker in seinem Beitrag die <strong>Architekten</strong>kammer.<br />

Auf der Suche nach der verlorenen<br />

Wahrheit<br />

<strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> 4-2008, Seite 10<br />

In Krisenzeiten wird gelegentlich Hand in Hand<br />

von notwendigen Opfern geredet, die jene zu<br />

erbringen haben, die meist nicht die Verursacher<br />

der Krisen sind. Der Gewinnmaximierung<br />

fallen Ethik und Moral zum Opfer, deren Deutung<br />

mehr und mehr den ökonomisch Mächtigen<br />

unterliegt. Also, was wundert es, wenn sogar<br />

ohne ersichtliche Krisensituation im Zusammenhang<br />

mit der Neubebauung des ehemaligen<br />

SZ-Geländes der verantwortlich Planende<br />

in einer öffentlichen Informationsveranstaltung<br />

bekundet, dass für seine neue Planung nun mal<br />

ein Opfer zu erbringen sei. Vom Abriss des sogenannten<br />

Schwarzen Hauses ist die Rede. Das<br />

Opfer, das hier leichtfüßig genannt ist, meint<br />

schlichtweg das Verschwinden eines architektonischen<br />

Erbes und mit ihm den Verlust eines<br />

Zeugen der Ideale und des Selbstverständnisses<br />

seiner Zeit.<br />

Ob sich dieses Opfer – an welche „höheren<br />

Wesen“ auch immer gerichtet – überhaupt jemals<br />

lohnen wird, ist für mich jedenfalls mehr<br />

als fraglich.<br />

Erwien Wachter<br />

61


Impressum<br />

Herausgegeben vom Arbeitskreis für Presse und<br />

Information im Landesverband Bayern des <strong>BDA</strong><br />

Die <strong>BDA</strong>-<strong>Informationen</strong> erscheinen in unregelmäßiger<br />

Folge viermal im Jahr und können im Jahresabonnement<br />

für EUR 16,00 incl. Porto beim Arbeitskreis für Presse und<br />

<strong>Informationen</strong>, Geschäftsstelle des <strong>BDA</strong>-Landesverbandes<br />

Bayern, Blutenburgstraße 88, 80636 München, Telefon<br />

089-186061 bezogen werden.<br />

Redaktion:<br />

Dipl.-Ing. Michael Gebhard, Prof. Dr.-Ing. E.h. Dipl.-Ing.<br />

Peter C. von Seidlein, Dr.-Ing. Cornelius Tafel, Dipl.-Ing.<br />

Erwien Wachter, Prof. Dipl.-Ing. Werner Wirsing<br />

Externe Mitglieder der Redaktion:<br />

Dipl.-Päd. Monica Hoffmann, Prof. Dr.-Ing. Wilhelm<br />

Kücker<br />

Autoren:<br />

Prof. Dr. h.c. Dipl.-Ing. Max Bächer, Darmstadt; Dipl.-Ing.<br />

Bea Betz, München; Dipl.-Ing. FH Johannes Berschneider,<br />

Pilsach/Neumarkt; Dipl.-Ing. Wolfgang Brune, München;<br />

Dipl.-Ing. Franz Lichtblau; Dipl.-Ing. Ulrich Karl<br />

Pfannschmidt, Gerbrunn; Petra Steinberger, München;<br />

Wolfgang Jean Stock, München; Christa Weissenfeldt,<br />

München<br />

Verantwortlich für dieses Heft:<br />

Dipl.-Ing. Erwien Wachter<br />

Die vom Autor vertretene Auffassung ist nicht unbedingt<br />

mit der des Herausgebers identisch.<br />

Textredaktion und Gestaltung: Monica Hoffmann<br />

Druck: Ortmaier Druck GmbH, Frontenhausen<br />

Einsendungen werden an den Arbeitskreis für Presse<br />

und Information erbeten als Word-Datei per E-Mail an<br />

sekretariat@bda-bayern.de, per Fax an 089-184148 oder<br />

per Post an den <strong>BDA</strong> Bayern, Blutenburgstraße 88,<br />

80636 München.<br />

62

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!