BDA Informationen 1-2009.indd - Bund Deutscher Architekten BDA
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<strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong><br />
Landesverband Bayern<br />
1 2009<br />
Sprache und Architektur
Inhalt<br />
Thema Sprache und Architektur<br />
5<br />
6<br />
11<br />
19<br />
21<br />
27<br />
Prolog<br />
Monica Hoffmann<br />
Tumbe Toren<br />
Erwien Wachter<br />
Architekendeutsch – eine unsäglich<br />
scheußliche Sprache<br />
Max Bächer<br />
Sprechende Architektur<br />
Wilhelm Kücker<br />
Stütze und Fenster – Anmerkungen zu<br />
zwei Vokabeln der Sprache Architektur<br />
Cornelius Tafel<br />
In eigener Sache<br />
29<br />
33<br />
34<br />
Landesverband<br />
Kreisverband<br />
Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz<br />
Kreisverband<br />
Würzburg-Unterfranken
37<br />
44<br />
49<br />
53<br />
56<br />
57<br />
59<br />
62<br />
Kritik der Kritik III<br />
Baugeschichten<br />
Leute und Bauten<br />
Veranstaltungen<br />
Gehört – gelesen<br />
Man sollte darüber sprechen<br />
Aktion – Reaktion<br />
Impressum
Thema<br />
Sprache und Architektur<br />
Die Sprache der Architektur und das Sprechen<br />
über Architektur. Zwei Aspekte des Themas in<br />
dieser Ausgabe, dem sich Erwien Wachter in einem<br />
kurzen historischen Abriss versucht anzunähern.<br />
Zumindest in den Hochkulturen erweise<br />
sich die Beziehung von Architektur und Sprache<br />
als ein die architektonische Entwicklung bedingender,<br />
hochkomplexer Dialog. Wobei sich ihm<br />
heute die Frage stellt, was angesichts der derzeitigen<br />
Vermittlungsverwirrungen auf der Strecke<br />
zu bleiben droht. (Seite 6)<br />
Architektur ist eine äußerst sinnliche Sache. Das<br />
bringt Wilhelm Kücker auf den Punkt. Wenn er<br />
von sprechender Architektur schreibt, erinnert<br />
er an die Tatsache, dass sie wahrgenommen<br />
werden will. Man fragt sich kopfschüttelnd,<br />
wieso dies überhaupt je in den Hintergrund gedrängt<br />
werden konnte und man sich in der Moderne<br />
sogar darauf etwas zugute hielt, wenn<br />
Formen nichtssagend waren. (Seite 19)<br />
Sinnlichkeit, Gefühl und Verstand, sie gehören<br />
zusammen in unserer Wahrnehmung von Welt.<br />
Und man kann wohl sagen, je vielfältiger die<br />
Bezüge zwischen Mensch und Bauwerk sind,<br />
desto intensiver wird sich der Dialog zwischen<br />
beiden gestalten. Stütze und Fenster: Was für<br />
eine lebendige Sprache allein diese zwei Vokabeln<br />
der Architektursprache im Laufe ihrer Geschichte,<br />
zum Beispiel bei Mies van der Rohe<br />
und Le Corbusier, erzählen können, erfährt der<br />
Leser von Cornelius Tafel und wird anschließend<br />
eine Straße oder ein Bauwerk wahrscheinlich<br />
bewusster in den Blick nehmen. (Seite 21)<br />
Auch an <strong>Architekten</strong> ließe sich die Aussage von<br />
Paul Valéry adressieren, wenn er schreibt: „Die<br />
meisten Leute nehmen viel häufiger mit dem<br />
Verstand als mit den Augen wahr. Anstelle farbiger<br />
Räume nehmen sie Begriffe in sich auf.<br />
Eine kubische weißliche Form, die hochsteht<br />
und mit Reflexen von Glasscheiben durchschossen<br />
ist, nennen sie mir nichts, dir nichts ein<br />
Haus, was für sie soviel heißt wie: Das Haus!<br />
Vielschichtige Idee, Zusammenklang abstrakter<br />
Eigenschaften! Wenn sie den Standort wechseln,<br />
entgeht ihnen die Bewegung der Fensterreihen,<br />
die Verschiebung der Flächen, die den<br />
sinnlichen Eindruck ständig verändern; denn<br />
der Begriff ändert sich nicht. Sie nehmen eher<br />
wie nach einem Wörterbuch als aufgrund ihrer<br />
Netzhaut wahr, ...“ Und wundern sich dann,<br />
wenn sie von Laien nicht verstanden werden.<br />
Aus dem gleichen Grund kommt es sogar vor,<br />
dass der Begleittext in einer Architekturzeit-<br />
5
schrift mit dem abgebildeten Gebäude nicht viel<br />
zu tun hat und man sich fragt, ob der Kritiker<br />
das Bauwerk überhaupt gesehen, geschweige<br />
denn betreten habe. Aber nicht nur das lässt<br />
einen manchmal die Augen reiben, wenn über<br />
Architektur gesprochen und geschrieben wird.<br />
In seiner unnachahmlich kurzweiligen und humorvollen<br />
Diktion führt Max Bächer dem Leser<br />
vor, welche Blüten das <strong>Architekten</strong>deutsch inzwischen<br />
treibt: von normaler Sprachschlamperei<br />
bis zu verbaler Hochstapelei. Bei seinem<br />
Beitrag kommen alle auf ihre Kosten, denen es<br />
ebenso ein wenig Angst und Bange wird um<br />
unsere Sprachkultur. (Seite 11)<br />
Die Sprache der Architektur und das Sprechen<br />
über Architektur, damit beides seine Adressaten<br />
erreicht, bedarf es im Prozess des Entstehens<br />
nicht nur eines guten Verstandes, sondern<br />
ebenso der Lust und der Leidenschaft, die ihren<br />
Ursprung in emotional geprägten Erfahrungen<br />
haben. Sind sie beteiligt, kann ein Bauwerk inspirierend<br />
sein und seine Beschreibung begeisternd.<br />
Dann kann beim Anderen Neugierde<br />
entfacht werden, Architektur entdecken und zu<br />
einer eigenen Erfahrung machen zu wollen.<br />
Monica Hoffmann<br />
Tumbe Toren<br />
„Wenn man mit einem Ziegelstein spricht und<br />
ihn fragt, was er sich wünscht, wird er sagen:<br />
einen Bogen. Und wenn man dann erwidert:<br />
Schau mal, Bögen sind teuer, und einfacher<br />
ist ein Fenstersturz aus Beton, sagt der Ziegelstein:<br />
ich weiß, dass es teuer ist, und ich fürchte,<br />
es lässt sich zur Zeit wahrscheinlich nicht<br />
bauen, aber wenn du mich fragst, was ich mir<br />
wirklich wünsche, so bleibt es beim Bogen.“<br />
Louis I. Kahn<br />
Wer sich zum Thema „Sprache und Architektur“<br />
zu äußern gedenkt, begibt sich auf unsicheres<br />
Terrain. Da nun der Autor der Meinung<br />
ist, etwas Sinnfälliges in diesem Zusammenhang<br />
erschließen zu können, wagt er sich auf den<br />
Weg. „Architektur ist nicht Sprache und Sprache<br />
ist nicht Architektur,“ konstatiert Friedrich<br />
Achleitner in einem Statement und zwingt damit<br />
zu einer genaueren Betrachtung. Eine weitere<br />
Erschwernis der Klärung eines möglichen<br />
Zusammenhangs liefert der britische Sprachwissenschaftler<br />
John Lyons, der notiert: „Sprache<br />
ist eine ausschließlich dem Menschen eigene,<br />
nicht im Instinkt wurzelnde Methode zur Übermittlung<br />
von Gedanken, Gefühlen und Wünschen<br />
mittels eines Systems von frei geschaf-<br />
6
fenen Symbolen.“ Diese Sprache beherrscht<br />
die Architektur sicher nicht, und stimmten diese<br />
Aussagen umfänglich, wäre das gewählte<br />
Thema schon eingangs ad absurdum geführt.<br />
Entgegenzuhalten ist dabei, dass es doch fatal<br />
wäre, die Sprache auf ein menschentypisches<br />
biologisches Organ oder ein „zweckorientiertes<br />
Handlungssystem mit mentaler Verankerung“<br />
zu reduzieren. Bedeutete dies doch, das Medium<br />
der Gedankenbildung schlechthin, wie<br />
Wilhelm von Humboldt Sprache definierte, im<br />
weiteren Sinne als Kommunikationssystem, das<br />
der Verständigung dient, zu entwerten. Schlösse<br />
es nicht aus, dass zur Sprache auch das Hören<br />
und Sehen, nicht zuletzt das Lesen gehört,<br />
dass es auch Anderes gibt, das unsere Aufmerksamkeit<br />
wecken und uns im wörtlichen Sinne<br />
etwas sagen kann Sprechen nicht Städte und<br />
Gebäude ihre eigene Sprache, die aus zahllosen<br />
Gedanken, Büchern und Texten über Gebautes<br />
hervordringt Und warum schließt Lyons auch<br />
noch den Instinkt aus, der ebenso einen erheblichen<br />
Anteil an der Verständigung, an jeglicher<br />
Form von Kommunikation hat<br />
Achleitner räumt im oben genannten Statement<br />
wohl Analogien zwischen Architektur und Sprache<br />
ein, wenn auch eher in der Rezeption als<br />
in der Konzeption, also gewissermaßen im Unterscheiden<br />
zwischen Empfänger und Sender.<br />
Ist es aber nicht doch ein Geben und Nehmen,<br />
das eine Verständigung über einen Zusammenhang<br />
von Sprache und Architektur zulässt<br />
Wie entstanden denn überhaupt die Behausungen<br />
und Kultstätten von Frühmenschen vor der<br />
Entwicklung der ersten Hochkulturen Waren<br />
es Instinkte, die sie bauen ließen, oder waren<br />
es erste sprachliche Vereinbarungen, auf deren<br />
Basis einfachste Baugefüge entstanden Wir<br />
wissen es nicht. Der Homo erectus verbreitete<br />
sich von Afrika nach Europa und hinterließ<br />
im thüringischen Bilzingsleben schon vor ca.<br />
350.000 Jahren Spuren von Schutzhütten und<br />
Feuerstellen.<br />
Vor ca. 200.000 Jahren bescherte uns die Anthropologie<br />
den Homo sapiens neandertalensis,<br />
den Neandertaler mit erwiesenen Anlagen zur<br />
Sprachfähigkeit, und erst vor etwa 40.000 Jahren<br />
folgte schließlich der moderne Mensch: der<br />
Cro-Magnon-Mensch, der Homo sapiens fossilis,<br />
der uns und unseren Zeitgenossen schon<br />
sehr ähnlich war. Seine Felszeichnungen, zum<br />
Beispiel in der Höhle von Lascaux vor ca. 20.000<br />
Jahren, hinterlassen erste Botschaften in Form<br />
abstrakter Zeichen, die wohl magischen und<br />
symbolischen Charakter hatten. Zeichen, die als<br />
Nachhall des Gesprochenen erste Ausdrucks-<br />
7
formen der Verständigung vermitteln und die<br />
Jahrtausende lang übliche mündliche Überlieferung<br />
wesentlicher Inhalte ergänzen. Sie verweisen<br />
auf überlebenswichtige <strong>Informationen</strong>,<br />
auf geheimes Wissen, auf Rituale, Mythen,<br />
Legenden oder Sagen. In der Folge beginnen<br />
diese Zeichen überall zu sprechen: mit Beginn<br />
der frühen Hochkulturen in Sumer, in Ägypten,<br />
am Indus, im Reich der Mitte, in Mittelamerika.<br />
Die Zeichen wandeln sich zur Schrift und diese<br />
wird zur wichtigsten Errungenschaft unserer<br />
Zivilisation. Sie garantiert über die tradierende<br />
Sprache hinaus zuverlässig den Erhalt von Wissen<br />
und bewahrt so Gesprochenes über Raum<br />
und Zeit.<br />
Sei auch der Versuch vermessen, Frühmenschen<br />
mit Sprache zu verbinden und deren einfachste<br />
Hütten in die Nähe von Architektur zu rücken.<br />
Doch Geschichte, das wissen wir, wurzelt in unserer<br />
menschlichen Fähigkeit, Geschichten zu<br />
erzählen, also „Zeitwahrheiten“ auf den Weg<br />
zu bringen. Architekturen sind solche Zeitwahrheiten<br />
und um ihre „Bedeutung“ zu hinterfragen,<br />
ist eine sprachliche Interpretation in jeder<br />
Zeit wohl unausweichlich. Kann Architektur<br />
also ohne Sprache kaum verstanden werden,<br />
drängt sich gewissermaßen eine notwendige<br />
Beziehung auf, die mit der Entwicklung von<br />
Sprache, von Schrift und Architektur zumindest<br />
im Raum der Hochkulturen Hand in Hand geht.<br />
Nach und nach erweitern sich Sprache und Architektur<br />
aus den alltäglichen Notwendigkeiten<br />
des Überlebens und des Schutzes mit Ausdrucksmitteln<br />
des Geistigen, des Wohlstands<br />
und der Macht.<br />
Die archäologischen Funde der Antike erzählen<br />
uns die Geschichten der Hochkulturen der letzten<br />
Jahrtausende vor der christlichen Zeitrechnung.<br />
Die Darstellung von Mythen und erste<br />
Schriften erfüllen die Mauerreste überragender<br />
Stätten mit dem Geist ihrer Zeit, mit Darstellungen<br />
der Mächtigen, der Heroen, der Sitten<br />
und Gebräuche und bilden die Grundlage für<br />
unsere Kultur. Nach und nach wird auch ein<br />
Plan gemacht, ehe an das Werk zu gehen ist.<br />
In der griechischen Antike begründet sich darüber<br />
hinaus die Vorstellung von der Dichtung<br />
als einem Bauwerk und vom Dichter als <strong>Architekten</strong>,<br />
wie der Germanist Ulrich Ernst schreibt,<br />
und durchdringt seit dieser Zeit die gesamte europäische<br />
Poetik, prägt das Verhältnis von Literatur<br />
und Kunst, folglich auch von Literatur und<br />
Architektur.<br />
Machen wir nun einen Sprung in den deutschen<br />
Sprachraum des Mittelalters. Der Benediktiner-<br />
8
abt Gozbert machte St. Gallen während seiner<br />
Amtszeit von 816 bis 837 n. Chr. zu einem kulturellen<br />
Zentrum. Diese Zeit beschert uns das<br />
älteste Buch der deutschen Sprache: den St.<br />
Galler Abrogans, ein Glossar 765 n. Chr. datiert<br />
und den St. Galler Klosterplan, der um 826 in<br />
Reichenau entstand. Beide Schätze geistiger<br />
Haltung vereinen das Bewahren von Wissen der<br />
Gelehrten mit dessen Vermittlung an die Gesellschaft.<br />
Hier wird der Gedanke geboren, Gebäude<br />
als Klangkörper geistiger und religiöser<br />
Welten zu entwickeln. Weiter in der Geschichte<br />
von der Romanik, zur Gotik, zur Renaissance<br />
über den Barock bis heute können wir uns deren<br />
suggestiver Kraft der Klänge, Bilder und Farben<br />
nicht entziehen. Wenn wir eine Klosterkirche<br />
betreten, erinnern wir uns der liturgischen<br />
Gesänge und lesen an den Wänden biblische<br />
Geschichten, vernehmen Botschaften, die uns<br />
zwischen Himmel und Hölle den Glauben lehren<br />
und erfahren im Widerhall unserer Schritte<br />
vom Zwiegespräch Mensch und Architektur.<br />
Im Laufe der Geschichte ist die Sprache auch<br />
der Architektur eine Sprache des Glaubens, der<br />
Macht, der Ohnmacht, eine Sprache der Armut<br />
und des Reichtums. Die Sprache der Architektur<br />
berichtet vom unerreichten Himmel in Babylon<br />
ebenso wie von der Menschenverachtung in<br />
Auschwitz. Das Labyrinth des Minotaurus, das<br />
himmlische Jerusalem im gotischen Dom, der<br />
Spiegelsaal im Schloss von Versailles, sie alle<br />
stehen für emotionale Wahrnehmungen, stehen<br />
für Kleinheit und Größe, für die Einsamkeit,<br />
für Ängste und Wünsche. Unsere Straßen und<br />
Plätze erzählen die Geschichten von Menschen<br />
und Häusern, von Kriegen und von Wohlstand,<br />
von Glanz und Niedergang. Wir schauen in die<br />
Gesichter der Häuser und sehen die Lichter ihrer<br />
Bewohner, wie ihre Seelen leuchten, wir verlieren<br />
uns im Netzwerk entleerter nächtlicher Straßen,<br />
umgeben von den Geräuschen zuschlagender<br />
Türen, hallender Schritte im irgendwo,<br />
Stimmen schattenhaft Eilender.<br />
Der Sprache der Architekturen vergangener Zeiten<br />
zu lauschen, ist ein Baustein für die Weiterentwicklung<br />
unserer Welt. Und wenn heute in<br />
einer globalisierten Zeit durch Architekturen die<br />
Städte austauschbar gemacht werden, wenn<br />
uns zunehmend modisch inszenierte Ornamentik<br />
lockt und jede zum Event stilisierte Hülle<br />
jeglichem Wert ursprünglich immanenter Ganzheitlichkeit<br />
spottet, verkommen Sprache und<br />
Architektur zum Selbstzweck eines scheinbaren<br />
Andersseins, eines vordergründigen Strebens<br />
nach Unverwechselbarkeit. Oft stellt sich die<br />
Frage, warum es labyrinthischer Sprachelabora-<br />
9
te bedarf, um Gesehenes in Sprache zu übertragen.<br />
Wie in Hans Christian Andersens Märchen<br />
„Des Kaisers neue Kleider“ wird den Superstars<br />
gehuldigt und der Reinfall auf deren modischen<br />
Kulissendekor mutlos verdrängt. So bleibt vom<br />
Dialog zwischen Architektur und Sprache nur<br />
jenes babylonische Sprachgewirr, das einst das<br />
himmelhohe Ziel grenzenloser Anmaßung in<br />
sprachlichem Nirwana enden ließ.<br />
Oskar Maria Graf mahnte schon Dichter und<br />
Literaten, „dass die Handhabung der Sprache<br />
und des Wortes nicht dazu da sind, um unter<br />
euresgleichen fortwährend nur künstlerisch damit<br />
zu experimentieren.“ Und weiter: „Empfindet<br />
denn nie einer von euch, dass der Dichter<br />
wie kein anderer dazu verpflichtet ist, ein beständiger<br />
Mahner des öffentlichen Gewissens,<br />
der Schöpfer von Klarheit und Vernunft und<br />
der Entdecker des Guten und Schönen im Menschen<br />
zu sein“ Und trifft er an anderer Stelle<br />
nicht auch einen wunden Punkt, wenn er sie als<br />
„die geborenen Sprüchemacher und Scharlatane“<br />
bezeichnet „Sie leben von der Einbildung<br />
und erheben sich immer über den anderen.“<br />
Wäre Oskar Maria Graf Architekt gewesen, hätte<br />
er bestimmt den Dichter mit dem <strong>Architekten</strong><br />
vertauscht und diesen ebenso getroffen.<br />
<strong>Architekten</strong> und Dichter haben sicherlich unterschiedliche<br />
Sujets, aber wie Oskar Maria Graf<br />
sich verpflichtete, seine Kollegen zu rügen, stellt<br />
sich die Frage, wieso <strong>Architekten</strong> dazu neigen,<br />
sich über andere zu erheben und mit ihrer Sprache<br />
durch sinnentleerte Wortgefüge Vermittlungsverwirrungen<br />
zu provozieren statt verantwortliche<br />
Mittler zu sein Sprache ist ein Werkzeug<br />
der Verständigung; jeglicher Missbrauch<br />
und jegliche Verschwendug hieße, eine Chance<br />
unserer zivilisierten Welt nicht zu nutzen. Eine<br />
Unterlassung solcher Art gäbe Erika Fuchs Recht,<br />
der Übersetzerin der Donald-Duck-Geschichten,<br />
die einmal sagte: „Das beste Werkzeug ist ein<br />
Tand in eines tumben Toren Hand.“<br />
Wie fein und einfühlsam dagegen lesen sich bei<br />
Max Frisch in „Bin oder Die Reise nach Peking“<br />
die Empfindungen des <strong>Architekten</strong>: „So steht<br />
es denn da, unser Werk, so steinern und fremd,<br />
so eigenmächtig, so ein für allemal. Es sieht<br />
dich an, ohne zu nicken, ohne zu lächeln, so,<br />
als hätte man sich nie gekannt; ohne zu danken<br />
und ohne zu verzeihen. Nachdem man es<br />
lange betrachtet und auch die ersten Schrecken<br />
überwunden hat, sagt man sogar: Es ist nicht<br />
schlecht, man kann nicht sagen, es ist schlecht!<br />
Es erinnert an dieses und jenes, was uns im<br />
Entwerfen, da es noch ein Einfall war, erfreut<br />
10
und beglückt hat...“ Natürlich sind <strong>Architekten</strong><br />
selten Literaten wie Max Frisch, aber einleuchtende<br />
Beschreibungen ihrer Projekte, konstruktiv-kritische<br />
Anmerkungen zu Gebautem und<br />
nachvollziehbare Erläuterungen ihrer Konzepte<br />
– das könnte doch auch ihres sein.<br />
Der Prozess des Bauens geht nie zu Ende. Alles<br />
Fertige, so schreibt Max Frisch, hört auf, die<br />
Behausung unseres Geistes zu sein. Gerade im<br />
Unfertigen liegt der Reiz des Wahrnehmens, des<br />
Entdeckens, des Entwickelns. Das aufzuschließen,<br />
bedarf der Sprache. Ein gutes Konzept,<br />
eine wirkliche Erkenntnis, spürbarer Respekt<br />
und die Angemessenheit der Mittel sind immer<br />
beschreibbar, und gut anfühlen im architektonischen<br />
Konnex täte es sich allemal. Oder<br />
Erwien Wachter<br />
<strong>Architekten</strong>deutsch – eine unsäglich<br />
scheußliche Sprache<br />
„Hat er ein Alibi“<br />
„Er drückte sich sehr unbestimmt aus, Sir.“<br />
„Das beweist, daß er ein richtiger Architekt<br />
ist“, erklärte Hercule Poirot.<br />
Agatha Christie, Wiedersehen mit Mrs. Oliver<br />
<strong>Architekten</strong> ratlos vor dem Papier. Zugegeben,<br />
sie können besser zeichnen als schreiben. Es<br />
gibt andere Berufsgruppen, die sich präziser<br />
ausdrücken. Man sagt, die Sprache sei der Spiegel<br />
unserer Gedanken. Erst in ihr nehme das<br />
Denken Form an, und Schopenhauer meint, undeutlich<br />
oder schlecht schreiben, heiße dumpf<br />
und konfus denken. Sollten <strong>Architekten</strong> wirklich<br />
so denken, wie sie sich oft ausdrücken Das<br />
glaube ich nicht. <strong>Architekten</strong> denken anders.<br />
Ihre primären Verständigungsmittel sind nicht<br />
Sprache oder Schrift, sondern die Skizze, da sich<br />
die Komplexität divergierender Erwägungen<br />
anders gar nicht ausdrücken lässt. Die Verbindung<br />
von <strong>Informationen</strong> im heuristischen Prozess<br />
des Entwerfens ist höchst kompliziert und<br />
geht überwiegend im vorsprachlichen Bereich<br />
vor sich. Erst die Notwendigkeit der Erklärung<br />
zwingt uns, unser Metier der Zeichnung zu verlassen<br />
und auf die der Sprache umzusteigen,<br />
11
wie auch der bildende Künstler oder der Komponist,<br />
wenn er etwas über seine Kunst sagen<br />
soll. Nur beim Schriftsteller sind Denkform und<br />
Ausdrucksform deckungsgleich. Sein Medium<br />
ist die Sprache. Der Architekt muss sich eines<br />
Mediums aus zweiter Hand bedienen, und damit<br />
beginnt das Elend.<br />
Betrachtet man das <strong>Architekten</strong>kauderwelsch<br />
näher, dann fallen ja nicht nur die heute gebräuchlichen<br />
Sprachschlampereien auf, die wir<br />
mit allen anderen teilen, sondern ein unbezähmbarer<br />
Hang zu verbaler Hochstapelei. Denken<br />
<strong>Architekten</strong>, man erwarte von ihnen eine eigentümliche<br />
Ausdrucksweise, oder halten sie es für<br />
angebracht, durch bedeutsame Wortbildungen<br />
staunende Aufmerksamkeit zu heischen Wäre<br />
es sogar möglich, dass <strong>Architekten</strong> als eine<br />
Zunft, die eher dem gestaltenden Handwerk<br />
als den Geistesarbeitern zugerechnet wurde<br />
und erst relativ spät eine akademische Ausbildung<br />
erhielt, unter Komplexen leiden, die sie<br />
durch sprachliche Hypertonie zu kompensieren<br />
versuchen Wie anders soll man sich erklären,<br />
dass ein Berufsstand, der mit Form und Gestalt<br />
umgeht, ein so unglückliches Verhältnis zur<br />
Sprache hat, von dem die vielzitierten Preisgerichtsprotokolle<br />
nur ein kurioses Indiz sind Da<br />
werden von qualifizierten Kolleginnen und Kollegen<br />
Satzungetüme von monströser Banalität<br />
gebastelt, Leerformeln und Füllworte verschüttet,<br />
lächerliche Großworte kreiert, als ob wir die<br />
Hofschneider für des Kaisers neue Kleider wären.<br />
Dabei geht es nicht um schulmeisterliche<br />
Kritik am Umgang mit Grammatik, Syntax oder<br />
Orthographie – wer werfe da den ersten Stein<br />
Es geht um die Wiedergewinnung einer verlorenen<br />
sprachlichen Kultur.<br />
„Wenn dein Bisschen an sich nichts Sonderbares<br />
ist, so sage es wenigstens ein bisschen<br />
sonderbar.“<br />
Georg Christoph Lichtenberg<br />
„Mäßig“ hat gerade maßlos Konjunktur. Fragte<br />
man früher jemanden, wie‘s geht, und er antwortete:<br />
„Mäßig!“, dann wusste man Bescheid:<br />
nicht schlecht, nicht gut, halt den Umständen<br />
entsprechend. Die Antwort bezog sich auf die<br />
Verhältnismäßigkeit. Heute ist „mäßig“ ein<br />
Mädchen für alles. Der Grundriss sei „wohnmäßig“<br />
in Ordnung, aber „erschließungsmäßig“<br />
problematisch. Beton, so meinte der Student,<br />
hätte er sich „Tadao-Ando-mäßig“ vorgestellt.<br />
„Verkehrsmäßig“ hielt mein Taxichauffeur die<br />
Innenstadt für chaotisch. Dann schilderte er mir<br />
ein neues Restaurant; es sei innen so „japanischmäßig“.<br />
Schön zu hören, dass die Sprache<br />
12
des Volkes sich nicht von der seiner akademischen<br />
Elite unterscheidet, deren exzellente<br />
Schulbildung ihr immerhin die Überwindung<br />
des NC erlaubte.<br />
Viele Begriffe sind nur solange konsensfähig,<br />
als sie ungeöffnet bleiben. Dazu gehören Wörter<br />
wie „Maßstäblichkeit“, die sich immer gut<br />
machen, aber mit denen man nichts anfangen<br />
kann, solange man nicht weiß, worauf diese<br />
sich beziehen. Dann schwirren sie frei im Raum<br />
herum; aber sobald sie sich irgendwo niedergelassen<br />
haben, verunreinigen sie jedes Gespräch,<br />
denn wenn von „Maßstäblichkeit“ die Rede ist,<br />
so ist dies keine qualifizierende Feststellung, da<br />
der Vergleich fehlt. Wenn das hässliche Wort<br />
„Maßstäblichkeit“ angesagt ist, nickt jeder mit<br />
dem Kopf und keiner weiß, was der andere<br />
darunter versteht. Von welchem Maßstab ist<br />
die Rede 1:500, 1:100, oder 1:20 Oder heißt<br />
es, dass bestimmte Maße zu bevorzugen seien<br />
Vielleicht meint man ja Kleinteiligkeit, Proportion<br />
oder Rhythmus. Aber diese Worte kommen<br />
im Repertoire der <strong>Architekten</strong> kaum noch<br />
vor. Und von Schönheit zu reden grenzt fast an<br />
Verrat. Was heißt also maßstabsgerecht Die<br />
Diskussionen darüber sind entnervend: „Maßstabsgerecht,<br />
also nicht monumental“ Aha!<br />
„Hat ein Monument keinen Maßstab“ „Doch,<br />
aber einen falschen.“ „Was wäre dann ein<br />
richtiger Maßstab“ „Ein menschlicher!“ Welcher<br />
bitte Der von Albert Schweizer oder von<br />
Sadam Hussein<br />
Was sagt uns das Modewort „Transparenz“,<br />
das noch immer als Alibi für demokratische Gesinnung<br />
missbraucht wird Der Begriff „Transparenz“<br />
ist so wenig gut oder böse wie das<br />
deutsche Wort „Durchsichtigkeit“. Da man nie<br />
genau weiß, was damit gemeint ist, und es je<br />
nach dem Zusammenhang seine Bedeutung<br />
ändert, wird die sprachliche Kommunikation<br />
erschwert. Man sollte deshalb lieber ganz auf<br />
prätentiöse Metaphern verzichten, denn sie gehen<br />
meistens daneben.<br />
„Wenn ich ein Wort gebrauche“, sagte Goggelmoggel<br />
in recht hochmütigem Ton, „dann<br />
heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht<br />
mehr und nicht weniger.“ „Es fragt sich nur“,<br />
sagte Alice, „ob man Wörter einfach etwas<br />
anderes heißen lassen kann.“ „Es fragt sich<br />
nur“, sagte Goggelmoggel, „wer der Stärkere<br />
ist, weiter nichts.“<br />
Lewis Carroll, Alice im Wunderland<br />
Fest verankert im architektonischen „Wortstoff“<br />
sind Unwörter wie „Fußläufigkeit“ und<br />
13
„Geschossigkeit“. Erstere ließe sich vielleicht<br />
mit einer Salbe behandeln. Ich stelle mir das jedenfalls<br />
sehr lästig vor, fußläufig zu sein, auch<br />
für die anderen, und man sollte etwas dagegen<br />
tun. Fußgänger sind mir zwar bekannt. Fußläufer<br />
weniger. Aber es ist sicher nur eine Frage der<br />
Zeit, bis wir in unseren Städten Fußläuferzonen<br />
einrichten. Ich schaue mir immer die Gesichter<br />
an, wenn einer sagt: „Der Bahnhof ist fußläufig<br />
zu erreichen.“ Aber keiner lacht. Auch nicht<br />
wenn einer von der „Geschossigkeit“ redet. Im<br />
Gegenteil. Das wird von Gemeinderäten und<br />
Journalisten für einen authentischen Fachausdruck<br />
gehalten. Wie kommt es nur, dass das<br />
einfache Wort “Geschosszahl“ verdrängt werden<br />
konnte SOS, liebe Freunde und Freundinnen:<br />
nicht nur unsere Sprache ist gefährdet.<br />
Das sitzt tiefer! Ist denn unser Sprachgefühl für<br />
falsche Töne schon so abgestumpft, dass wir<br />
uns nicht mehr bodenlos schämen – oder einfach<br />
darüber schallend lachen Aber die Infektionsgefahr<br />
ist groß. Ich las soeben in einem Bericht<br />
über eine Stadtbilduntersuchung von der<br />
„Sprossigkeit“ der Altstadt! Wem sich da nicht<br />
der Magen rumdreht! Nun, wenn‘s schon fußläufig<br />
zugeht, dann wird‘s bald auch „fenstrig,<br />
stufig und treppig“ zugehen. Traurig, schaurig.<br />
Und so nachhaltig.<br />
„Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem<br />
Punkt, wo sie verkörpert werden.“<br />
Georg Büchner, Dantons Tod<br />
<strong>Architekten</strong> sollten davon ablassen, die deutsche<br />
Sprache um weitere Phrasen und Platituden<br />
zu bereichern. Dabei muss man anstandshalber<br />
den „Planern“ das Urheberrecht für die<br />
meisten verquasten Neuschöpfungen einräumen.<br />
Das hat Tradition. Ernst Neufert, der Banale<br />
grande unter den <strong>Architekten</strong> seiner Zeit,<br />
taufte sein Büro etwas gespreizt „Planerhof“<br />
und sein privates Refugium „Planerklause“.<br />
Einen Höhepunkt erreichte die Reform der Fachsprache<br />
im Windschatten der 68er Bewegung,<br />
in der sich einige Kollegen verbissen um die Erfindung<br />
einer neuen Fachsprache bemühten:<br />
„lch gehe in die Planung!“ Was dabei herauskam<br />
war das elitäre Planersanskrit, das schließlich<br />
an den „Beplanten“ scheiterte, die sich gegen<br />
den unverständlichen Sprachenkrampf zur<br />
Wehr und manchen Planer an die Luft setzten.<br />
Es lohnt sich, der Herkunft und Bedeutung von<br />
Wörtern nachzugehen, um deren Missbrauch<br />
zu entlarven. Etwa das Wort „Raum“. Der<br />
Dichter Hans Grimm lieferte mit seinem Buchtitel<br />
„Volk ohne Raum“ (1926) den Nationalsozialisten<br />
ein wichtiges Propagandawort. Ein<br />
14
Ausschnitt der zweidimensionalen Erdoberfläche<br />
wurde durch eine fiktive dritte Dimension<br />
zum globalen „Raum“ erhöht. Von nun an war<br />
vom politischen und vom völkischen „Raum“<br />
die Rede, was den Expansionsanspruch deutlich<br />
machen sollte. Der „Raumplaner“ wurde geboren<br />
und auch bald von Innenarchitekten in<br />
Anspruch genommen. Eigentlich müsse man sie<br />
„Flachplaner“ nennen, schlug ein prominenter<br />
Städtebauer vor, da ihnen die dritte Dimension<br />
fehle. Der Tapezier avancierte zum „Raumgestalter“,<br />
die Putzfrau zur „Raumpflegerin“.<br />
Aber aus Spaß wurde Ernst und man mag daran<br />
erkennen, wie leicht sich Sprache als Werkzeug<br />
der Psycholinguistik missbrauchen lässt.<br />
„Werdaustik wars, und glasse Wieben<br />
rotterten gorkicht im Gemank;<br />
Gar elump war der Puckerwank,<br />
Und die gabben Schweiselfrieben.“<br />
Lewis Carroll, Alice im Wunderland<br />
Jedes Jahrzehnt ist durch fragwürdige Wortschöpfungen<br />
charakterisiert, mit der sich die<br />
sogenannte Fachsprache datieren lässt. Der<br />
günstige Standort wurde zur „Standortgunst“,<br />
als ob ein Ort jemandem Gunst erweise. Ein fatales<br />
Leitwort war die „Flächensanierung“. Mit<br />
der Hoffnung auf Wohlfahrt wurde damit der<br />
Abriss ganzer Stadtquartiere in Gang gesetzt.<br />
Zugleich wurde der Beruf des „Advokatenplaners“<br />
erfunden, ein blödes Wort, da der ja<br />
keine Advokaten plante. Das „städtebauliche<br />
Szenario“ nahm sich wichtig und dann kam die<br />
Translozierung, ein Begriff, mit dem man bald<br />
auch die Umsiedlung von Menschen beschönigte.<br />
Neueren Datums sind jene sprachlichen<br />
Missgeburten, die wie die „Bekunstung“, die<br />
„Verlärmung“ einer Straße, die „Verortung“<br />
oder gar die „Verstetigung“ einer Planung bis<br />
hin zur „Entbaumung“, was ich naiverweise<br />
für einen missratenen Scherz hielt. Das gab solchen<br />
Kunstworten schon immer jenen Hauch<br />
von Unredlichkeit, der ihnen bis heute anhängt.<br />
Manch engagiertem Kollegen gelang sogar die<br />
Zeugung völlig neuer Fremdworte, deren Herkunft<br />
und Sinn allerdings im mystischen Dunkel<br />
blieb. Ich empfehle daher, sich die Sprachrevolutionäre<br />
gut zu merken, damit man sich später<br />
an sie erinnert. Die <strong>BDA</strong>-Zeitschrift „der architekt“<br />
könnte vielleicht einen „Sprachpranger“<br />
zur Rettung der Sprachhygiene einrichten.<br />
In dem fachspezifischen Missbrauch der Sprache<br />
schlummert brisanter Stoff für eine Dissertation,<br />
die weit mehr aufdecken würde als nur<br />
wichtigtuerisches Gehabe. Die „Verknappung“<br />
der Sprache, wie wir sie aus Polizeiberichten<br />
15
und vom Kasernenhof her kennen, wird auch<br />
von Verwaltung und Politik bevorzugt. Es ist die<br />
kategorische Sprache von Erlassen und Verfügungen,<br />
die sich der rigorosen Substantivierung<br />
bedient, um sich Autorität zu verleihen: „Beeilung-Beeilung!“<br />
Es wird nicht durchgeführt,<br />
sondern „zur Durchführung“ gebracht, nicht<br />
bewiesen, sondern „unter Beweis gestellt“.<br />
Und es sind dieselben sprachlichen Mittel, derer<br />
sich die Nazis bedienten. Was mich irritiert, ist<br />
die Wiederkehr solcher Tendenzen und ihre unkritische<br />
Nachahmung auch in der jungen Generation.<br />
Mir machen diese mediokren Schlagworte<br />
wie „Entsorgung“ mehr Angst als eine<br />
Horde von Skinheads!<br />
Sie konnten so etwas noch nie feststellen<br />
Dann studieren Sie doch einmal aufmerksam<br />
eine Wettbewerbsausschreibung. Da wird „gefordert“<br />
und „verlangt“, es „ist einzureichen“,<br />
der Verfasser „hat zu liefern“! Merkt denn keiner<br />
was Manche Ausschreibungen nehmen<br />
sich aus wie Stellungsbefehle. Seit Jahren wehre<br />
ich mich vergeblich gegen diesen autoritären<br />
Umgangston. Welcher Arzt oder Anwalt würde<br />
sich diese Form von Anweisungen bieten lassen<br />
Wer will denn hier seine Macht beweisen Der<br />
Auslober, seine Berater, oder sind es nicht die<br />
<strong>Architekten</strong>kammern mit ihren Wettbewerbsausschüssen,<br />
die noch nicht gemerkt haben,<br />
dass sie nicht unsere Vorgesetzten sind und<br />
dass wir unsere Leistungen freiwillig und ohne<br />
Honorierung für die Öffentlichkeit erbringen.<br />
Mephistofeles:<br />
Im ganzen – haltet euch an Worte!<br />
Dann geht ihr durch die sichre Pforte zum<br />
Tempel der Gewißheit ein.<br />
Schüler:<br />
Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.<br />
Mephistofeles:<br />
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu<br />
ängstlich quälen;<br />
Denn eben wo Begriffe fehlen,<br />
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.<br />
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,<br />
Mit Worten ein System bereiten,<br />
An Worte läßt sich trefflich glauben,<br />
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.<br />
Johann Wolfgang von Goethe, Faust<br />
In der Wortwahl und im Sprachgebrauch<br />
drücken sich schonungslos aktuelle Ideologien<br />
und damit auch das Verhältnis zu unseren<br />
Mitmenschen aus. Von denen ist meist dann<br />
die Rede, wenn man ihnen etwas verkaufen<br />
will. Aber warum halten es manche <strong>Architekten</strong><br />
für nötig, ständig die“ Menschlichkeit“ ihrer<br />
16
Bauten zu betonen Mir kommt das so vor,<br />
als wenn ein Arzt sich ständig darauf berufen<br />
würde, dass er einen Dienst am Menschen<br />
leiste. Dazu ist er ja eigentlich da. Aber tun<br />
nicht manche so, als sei das Selbstverständliche<br />
etwas Außergewöhnliches Doch gerade wer<br />
mit seinem „menschlichen Bauen“ hausieren<br />
geht, unterstellt den anderen Ignoranz oder<br />
Fahrlässigkeit. Darum sagte Bert Brecht:<br />
„Wenn ich das Wort ‚menschlich’ höre, dann<br />
ist es Zeit, die Maschinenpistole zu entsichern.“<br />
Demgegenüber ist der Fachjargon der Studenten<br />
relativ harmlos. Sie beginnen stets<br />
damit, dass der Verfasser seine Sache „bewusst“<br />
so gemacht habe, wovon man ja<br />
eigentlich ausgeht. Im Augenblick könnte man<br />
allerdings meinen, Architektur sei eine Art von<br />
Transportunternehmen. Baukörper werden „angedockt“,<br />
Räume „angelagert“, Grundrisse<br />
„verschachtelt“. Es ist gewiss auch ein schöner<br />
Zug von uns, sich mit den eigenen Produkten<br />
zu identifizieren: „Also hier habe ich bewusst<br />
meine Treppe verortet, dort finden meine<br />
Wohnaktivitäten statt, und da habe ich meine<br />
Intimzone, daneben meinen Rückzugsbereich.“<br />
Das lässt auf heftige Kämpfe an der Wohnfront<br />
schließen. Die „Nasszelle“ sagt überdeutlich<br />
was sie ist. Aber beide Begriffe erfreuen sich<br />
auch beim Publikum großer Beliebtheit. Es soll<br />
eben alles nach ein bisschen Mehr „tönen“.<br />
Die einst nutzungsneutralen Räume – Zimmer<br />
und Kammer – ließen es offen, wozu sie dienen<br />
konnten. Bezeichnungen der Nutzungen blieben<br />
den Bewohnern überlassen. Mörike, der häufig<br />
umzog, zeichnete mit Sorgfalt seine möblierten<br />
Wohnungen auf und benannte sie nach den<br />
Farben der Wände. An ihre Stelle traten die<br />
Raumfunktionen: Wohnzimmer, Esszimmer,<br />
Schlafzimmer, samt dem Alkoven fürs Personal.<br />
Nach dem Krieg kam der kategorische Imperativ:<br />
Wohnen, Essen, Kochen, Schlafen. Nur beim<br />
Klo wusste man nicht so recht.<br />
„Der Stil erhält die Schönheit vom Gedanken,<br />
statt daß bei jenen Scheindenkern die<br />
Gedanken durch den Stil schön werden sollen.<br />
Daher nun ist die erste, ja schon sich allein<br />
beinahe ausreichende Regel des guten Stils<br />
diese, daß man etwas zu sagen habe: O, damit<br />
kommt man weit!“<br />
Arthur Schopenhauer<br />
Zwischen Tragik und Komik pendeln die Beurteilungen<br />
in den vielzitierten Preisgerichtsprotokollen.<br />
Dabei sollte man sich lieber das Lachen<br />
verkneifen, denn allzu schnell sitzt man selbst<br />
in der Falle und soll einen schlüssigen und flüssigen<br />
Text über etwas so Komplexes wie einen<br />
17
Wettbewerbsentwurf auf einer Schreibmaschinenseite<br />
formulieren, wenn alle anderen drumherum<br />
sitzen. Dann kann leicht so ein pathetischer<br />
Satz wie dieser herauskommen (Originaltext<br />
eines bekannten <strong>Architekten</strong> als Juror):<br />
„Die sich stellende Wettbewerbsaufgabe ist in<br />
ihrer Funktionalität richtig erkannt. Es ist jedoch<br />
den Entwurfsverfassern/innen nicht gelungen,<br />
diese im Sinne der spezifischen Problematik<br />
überzeugend zu lösen.“ Dieser wohltönende<br />
Satz – mit überzeugender Stimme vorgetragen<br />
– sagt überhaupt nichts, beeindruckte<br />
aber das Preisgericht. Würde man ihn in einen<br />
Entsafter stecken, hieße er einfach: „Die Problematik<br />
der Aufgabe wurde erkannt, aber nicht<br />
gelöst.“ Warum hat der Autor nur so viel Verpackungsmaterial<br />
für eine ganz prosaische Aussage<br />
gebraucht Aber damit bildet sich in der<br />
Sprache eben auch ein Stück der Alltagsrealität<br />
ab: Viel „Tara“ für wenig „Netto“.<br />
Schriftliche Beurteilungen sind meist Collagen<br />
nichtssagender Versatzstücke, die nur noch<br />
mit ein paar Wertungen angereichert werden<br />
müssen, wie zum Beispiel: dem Verfasser ist es<br />
gelungen / auf Anhieb besticht / kann nicht befriedigen<br />
/ wird von der Jury gelobt / wird vermisst<br />
/ ist nicht akzeptabel / wird bemängelt / ist<br />
denkbar / ist kritisch zu bewerten / lässt erkennen,<br />
dass … Manche Texte gleichen Hymnen,<br />
manche versteigen sich in neue Wortschöpfungen.<br />
Leider habe ich versäumt, die schönsten<br />
Stilblüten zu sammeln. Aber einige authentische<br />
Fundstücke mögen der Steigerung unseres<br />
Frohsinns dienen:<br />
Schulhauswettbewerb Wildberg: “Die Sekretärin<br />
liegt ungeschickt unter dem Rektor. Auch<br />
der Hausmeister weist kleine Schwächen auf.“<br />
Theater Paderborn: „Dass die Damentoiletten<br />
nur über die Bühne erreichbar sind, wird vom<br />
Nutzer als unpraktisch erkannt.“ Ideen-Wettbewerb<br />
Dresden: „Der Carolaplatz bildet ein<br />
angemessenes Foyer für den Freistaat Sachsen,<br />
da dieser in einer konventionellen Platzwand<br />
verharrt.“<br />
Schließlich tragen auch Diktier- und Schreibfehler<br />
zur Unterhaltung bei. Bürgerhaus Villingen-<br />
Schwenningen: „Der Entwurf besticht durch<br />
seine schönen Seele.“ Bürogebäude Leipzig:<br />
„Der Entwurf zeichnet sich durch unterdurchschnittliche<br />
Planungstaten aus.“ Verlagshaus<br />
Hamburg: „Der umbaute Raum liegt im oberen<br />
Bereich. Dies kann jedoch durch das große Lustvolumen<br />
der Büros kompensiert werden.“<br />
18
„Das König der Biere“<br />
„Weil es schmeckt so gut.“<br />
TV-Werbung<br />
Dass auch die Werbung auf die Fachsprache<br />
abfärbt, kann man nur zähneknirschend zur<br />
Kenntnis nehmen und sich mehr Achtsamkeit<br />
im Umgang mit der Sprache wünschen. Wir<br />
leben in einer Epoche des Etikettenschwindels<br />
mit dem Zeitstil, mehr zu scheinen, als zu sein.<br />
Ein Projekt ist offenbar etwas Besseres als ein<br />
Entwurf, obwohl beides genau dasselbe ist. Der<br />
Schulhof wird zur „Agora“, die Pausenhalle<br />
zum „Forum“, die Auskunft zur „Info-Bar“, die<br />
Vorhalle zur „Loggia“.<br />
Die Korrosion der Sprache durch den Computer<br />
mit seinen dummdeutsch übersetzten Befehlen<br />
ist kaum mehr aufzuhalten. Aber mit dieser<br />
Sprachverblödung werden die kommenden<br />
Generationen leben müssen. Fachbegriffe wie<br />
„Benutzeroberfläche“ oder neue Verben wie<br />
„upgraden“ oder „downloaden“ schmecken<br />
wie Rizinusöl, nur wirken sie leider nicht so.<br />
Aber wenn wir diese Entwicklung schon nicht<br />
mehr aufhalten können, sollten wir uns wenigstens<br />
das homerische Gelächter über solchen<br />
Schwulst nicht nehmen lassen. Gerade weil die<br />
Sprache heute von so vielen Piraten gekapert,<br />
geschunden und gequält wird, sollten wir sie<br />
nicht auch noch persönlich „gestalten“ wollen,<br />
sondern sie einfach in Ruhe lassen und eine<br />
Lanze für die sprachliche Einfachheit brechen.<br />
Was dem <strong>Architekten</strong>deutsch Not tut, ist eine<br />
Entfettungsdiät. Lieber mit wenigen Worten<br />
viel sagen als umgekehrt. Wie sagte doch der<br />
Meister der Sprachverkürzung, Konrad Adenauer<br />
einmal so trefflich: „Je einfacher denken,<br />
ist manchmal ein Vorteil.“ Dem ist in diesem<br />
Fall nichts hinzuzufügen.<br />
Max Bächer<br />
Sprechende Architektur<br />
„Architektur ist eine Sprache mit der Disziplin<br />
einer Grammatik, man kann Sprache im Alltag<br />
als Prosa benutzen, und wenn man sehr gut<br />
ist, kann man ein Dichter sein.“<br />
Mies van der Rohe<br />
Wie verträgt sich das mit „Form follows function“<br />
„Bauen ist ein technischer, kein ästhetischer<br />
Prozeß, so Hannes Meyer, der beinharte<br />
Bauhäusler, und der zweckmäßigsten Funktion<br />
des Hauses widerspricht je und je die künstlerische<br />
Komposition.“ Auf einen Schelm andert-<br />
19
halbe setzt das Enfant terrible unserer Zunft,<br />
Le Corbusier: „Der Grundriß wirkt von Innen<br />
nach Außen. Das Äußere ist das Resultat des<br />
Inneren.“ Punktum. Die Fassaden ergeben sich<br />
automatisch aus dem, was drinnen ist. Voltaire:<br />
„Ein Dummer findet stets einen noch Dümmeren,<br />
der ihn bewundert.“ J.J. Pieter Oud rechnet<br />
jedenfalls nicht dazu. Der Slogan, sagte er, war<br />
nichts als ein „Universalmittel für baukünstlerische<br />
Impotenz“.<br />
„Die Form folgt überhaupt nicht“, sagt Julius<br />
Posener, und Theordor W. Adorno: „Jede Form<br />
symbolisiert ihre Inhalte, keine Form ist gänzlich<br />
aus ihrem Zweck geschöpft.“ Damit ist eigentlich<br />
alles gesagt. Peter Blake gab seiner Abrechnung<br />
mit der Moderne (Why Modern Architecture<br />
Hasn‘t Worked) den Buchtitel „Form Follows<br />
Fiasco“ (1974).<br />
Erst der „Postmoderne“ Robert Venturi musste<br />
kommen und seine Profession daran erinnern,<br />
dass das Äußere eines Gebäudes anders als das<br />
Innere ist. Es bleibt sein Verdienst – Jahrzehnte<br />
nach Mies –, den Sprachcharakter von Architektur<br />
wieder hervorgehoben zu haben (Complexity<br />
and Contradiction in Architecture, 1966).<br />
Die Fassade gehört zum Straßenraum. Die<br />
dichtgereihten Bürgerhäuser hatten nur eine<br />
Schauseite, um als unterscheidbarer Teil zur<br />
Vielfalt in der Einheit beizutragen, ihr Gesicht<br />
zu zeigen. „Fassade“ leitet sich ab von „face“.<br />
Anthropomorphe Bezüge sind in der Architektur<br />
keine Seltenheit. Man denke nur an „skin<br />
and skeleton“ für das moderne Stahlgerüst mit<br />
der vorgeblendeten Metallglashaut.<br />
Eine ganz wesentliche neue Einsicht ist eine<br />
ganz alte, aber von der Moderne ignorierte,<br />
dass Bauten nicht nur genutzt, sondern auch<br />
gesehen und wahrgenommen werden. Ob einer<br />
nun will oder nicht, verhält es sich so. „Architecture<br />
parlante“: das ist ja nicht neu. Sprache<br />
bedeutet Form. Aber erst die Semiotik hat<br />
Architektur als ein Zeichensystem interpretiert,<br />
als Medium der Verständigung.<br />
Die Baukunst der Vergangenheit, die alten<br />
Stadtbilder zeigen deutlich genug, wie sehr<br />
man damit rechnete, dass das Gebaute auch<br />
betrachtet wurde. Man berücksichtigte seine<br />
visuelle und körperlich-räumliche Wirkung. Es<br />
diente den Menschen nicht nur zur Behausung,<br />
es respektierte sie zugleich als sehendes und<br />
wahrnehmendes Wesen.<br />
20
Aber Formen sind anders als Wörter uneindeutig<br />
und können auch nichtssagend sein. Deshalb<br />
klappte ja die Verständigung zwischen Modernen<br />
und den Leuten nicht mehr. „Without rhetoric“<br />
(Peter Smithson): darauf hielt man sich<br />
sogar noch etwas zugute.<br />
Venturi hat die Eigenständigkeit der Fassade betont.<br />
Von Las Vegas gelernt! Den Vergnügungsbuden<br />
dort entlang des „Strip“ sind Billboards<br />
(Reklametafeln) angepappt wie – so Venturi –<br />
dem Palazzo Farnese die Renaissancefassade.<br />
Beide sagen, was drinnen los ist und existieren<br />
unabhängig. Ändert sich der Inhalt, können<br />
sie ausgewechselt werden. Der Palast bekäme<br />
dann vielleicht eine Barockfront verpasst.<br />
Eine andere Einsicht oder Erkenntnis, die wir<br />
der Postmoderne verdanken, ist die „Doppelcodierung“.<br />
Das meint ein Sprechen auf zweierlei<br />
Ebenen. In einer Mischung aus Umgangssprache<br />
und verfeinerter Ausdrucksweise. Venturi<br />
plädiert für die Verwendung von Formen, die<br />
durch langen Gebrauch vertraut sind und das<br />
allgemeine Vokabular bilden. Sie dürfen verändert,<br />
verfremdet werden. In Verbindung mit<br />
Altem habe Neues dann durchaus eine Chance<br />
verstanden zu werden.<br />
Die Mozarts wussten diese Strategie erfolgreich<br />
einzusetzen: Doppelcodierung „avant la<br />
lettre“. 1781 fand bekanntlich die Uraufführung<br />
des „Idomeneo“ im Münchner Hoftheater<br />
statt. Drei Monate zuvor schrieb der besorgte<br />
Vater Leopold dem Amadé: „Ich empfehle dir,<br />
bey der Arbeit nicht einzig und allein für das<br />
musikalische, sondern auch für das ohnmusikalische<br />
Publikum zu denken - du weißt, es sind<br />
100 ohnwissende gegen 10 Kenner - vergiss<br />
also das so genannte Populare nicht, das auch<br />
die langen Ohren kitzelt.“<br />
Wilhelm Kücker<br />
Stütze und Fenster – Anmerkungen zu<br />
zwei Vokabeln der Sprache Architektur<br />
Stütze oder Säule<br />
Stützen gehören zu den traditionell wichtigsten<br />
Bedeutungsträgern in der Architektur. Der<br />
Sprachgebrauch unterscheidet zwischen Stütze<br />
und Säule, eine Differenzierung, die etwa den<br />
Unterschied zwischen dem reinen Tragelement<br />
und einem mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladenen<br />
Bauelement bezeichnet. Die Form einer<br />
dorischen Säule etwa lässt sich zunächst aus<br />
21
konstruktiven und statischen Anforderungen<br />
ableiten, wird aber im Lauf der Architekturgeschichte<br />
zunehmend zu einem Bedeutungsträger.<br />
Wie sehr sich die Bedeutung einer Säule<br />
als Teil eines Zeichensystems verselbständigt<br />
und von der ursprünglichen statischen Funktion<br />
entfernt, zeigen Bauformen wie Lisenen<br />
und Pilaster, die als nur schmale Wandvorlagen<br />
keine Kräfte abtragen oder die Anwendung von<br />
Säulen vor tragenden Wänden als reine Architekturgliederung.<br />
Die ursprüngliche Funktion<br />
einer Säule als Stütze wird hier aufgegeben<br />
zugunsten einer symbolischen Repräsentation<br />
in einer rein grafischen oder skulpturalen<br />
Komposition. Das Wort Komposition darf man<br />
etwa bei der Fassade des Palazzo Rucellai von<br />
Leon Battista Alberti in Florenz, die nach musikalischen<br />
Proportionen aufgebaut ist, durchaus<br />
wörtlich nehmen.<br />
Zu den bewussten Brüchen der Moderne mit<br />
dieser architektonischen Tradition gehört etwa<br />
die Ausformung der Stützen, der so genannten<br />
Pilotis, im Werk Le Corbusiers aus den 20er Jahren.<br />
Diese Pilotis führen die Stütze auf ihre reine<br />
Tragfunktion zurück; sie sollen nur Stützen sein<br />
und sonst nichts. Anders als die Stützen des<br />
Systems Hennebique, deren Kopf noch entfernt<br />
an Kapitelle erinnert, sind bei Le Corbusier alle<br />
derartigen Assoziationen getilgt. (Diese „Ein“-<br />
deutigkeit geht dabei paradoxerweise sogar zu<br />
Lasten statischer Anforderungen: das System<br />
Hennebique ist statisch die bessere Konstruktion<br />
und wesentlich geeigneter als die Pilotis, das<br />
Stützmoment aufzunehmen und ein Durchstanzen<br />
der Stützen durch die Decke zu verhindern.<br />
Paradoxerweise ist also das System Hennebique,<br />
das scheinbar Referenzen an die traditionelle<br />
klassische Architektursprache aufweist, die vom<br />
Tragverhalten her bessere Lösung).<br />
Die <strong>Architekten</strong> der Moderne glaubten, mit der<br />
Reduktion von Bauteilen auf ihre rein konstruktive<br />
und statische Funktion eine architekturspezifische<br />
Formensprache gefunden zu haben, die<br />
ohne Verweisung auf außerarchitektonische<br />
Inhalte unmittelbar verständlich ist, quasi also<br />
eine Eigensprachlichkeit von Architektur, vergleichbar<br />
der absoluten Musik. Hier wird Referentialität<br />
durch Symbol und Metapher geradezu<br />
demonstrativ eine Absage erteilt.<br />
Betrachten wir vor diesem Hintergrund die<br />
Stützen der Neuen Nationalgalerie in Berlin<br />
von Mies van der Rohe: Nur acht Stützen tragen<br />
ein 10.000 m² großes Dach. Sie bestehen<br />
im Grundriss aus einer Art Hybridform, nämlich<br />
zwei rechtwinklig miteinander verschnittenen<br />
22
I-Trägern. Die Form eines I-Trägers zeichnet sich<br />
aus durch ein bezogen auf Querschnitt und Lasteinwirkung<br />
optimiertes Widerstandsmoment.<br />
Die beiden miteinander verschnittenen I-Träger<br />
bieten also ein in beiden horizontalen Dimensionen<br />
optimiertes Verhältnis von Widerstandskraft<br />
zu Materialaufwand. Die Stützen sind unten<br />
eingespannt und haben oben ein Gelenk,<br />
das gleichermaßen Lasteinleitung wie Aufnahme<br />
von Bewegungen durch Ausdehnung oder<br />
unterschiedliche Lastfälle garantiert. Die Einspannung<br />
wird ablesbar auch an der leicht konischen,<br />
nach oben verjüngten Form, die dem<br />
zum Stützenfuß hin zunehmenden Moment<br />
aus Horizontalkräften entspricht. So weit, so<br />
statisch klar und unanfechtbar.<br />
Zugleich enthält diese Ausformung der Stützen<br />
aber unübersehbare Referenzen an die klassische<br />
Architektur, insbesondere die dorische<br />
Säulenordnung. Die durch die Gestalt des Säulenschaftes<br />
bedingte Anzahl vertikaler Kanten<br />
erinnert an die Kanneluren griechischer Säulen,<br />
die konische Verjüngung an die Entasis<br />
des dorischen Systems. Der Stützenkopf weckt<br />
Assoziationen an die Kapitelle der klassischen<br />
Architektur. Insbesondere die Verbindung von<br />
unvermittelt (ohne „Basis“) aus dem Boden<br />
ragendem Säulenschaft mit einem vermittelnden<br />
Kopfelement beim Übergang zum Dachtragwerk<br />
verweist unmissverständlich auf die<br />
dorische Säulenordnung. Ohne mit nur einem<br />
Detail die rein statische Ausformung der Stütze<br />
zu verraten, gelingt Mies van der Rohe hier<br />
eine hohe Referentialität an den Inbegriff klassischer<br />
Baukunst, den griechischen Tempel mit<br />
dorischer Säulenordnung. Über eine rein formale<br />
Ähnlichkeit hinaus begründet sich damit<br />
auch ein Anspruch auf Klassizität und damit auf<br />
eine von zeitlicher Gebundenheit unabhängige<br />
überzeitliche Gültigkeit.<br />
Beide Lesarten dieser Architektur setzen ein hohes<br />
Maß an Vorkenntnis voraus: zum einen das<br />
Wissen um die statischen Verhältnisse und die<br />
seit der Entwicklung einer rechnerischen Statik<br />
entwickelten Bausysteme, zum anderen eine<br />
Kenntnis der klassischen Bautradition und ihrer<br />
Elemente. Der Bau der Nationalgalerie wendet<br />
sich also an „Leser“, die eine oder möglichst,<br />
zum vollen Verständnis, beide unterschiedlichen<br />
Architektursprachen kennen sollten: die<br />
auf statische Gesetzmäßigkeiten antwortende<br />
Ingenieurbaukunst und die durch Jahrhunderte<br />
tradierte und abgewandelte Sprache einer klassischen<br />
Architektur.<br />
23
Eine vergleichbare Mehrfachcodierung zeigt die<br />
Kuppel des Projekt gebliebenen Parlamentsgebäudes<br />
von Joze Plecnik in Ljubljana; nur entsteht<br />
sie auf umgekehrtem Wege: Die Säulen,<br />
die die Kuppel tragen, folgen ganz dem klassischen<br />
Aufbau, mit Basis, kanelliertem Schaft<br />
und Kapitell. Was sie im Sinne klassischer Architektur<br />
dagegen geradezu zu einem Skandalon<br />
macht, ist die Abweichung vom rechten Winkel:<br />
Alle Säulen stehen, statisch korrekt dem Kraftfluss<br />
entsprechend, schräg. Joze Plecnik verbindet<br />
hier, wie in anderer Weise Mies van der<br />
Rohe, die moderne Auffassung von Konstruktion<br />
mit der Tradition; bei ihm ist, anders als bei<br />
Mies van der Rohe, die Form klassisch, die Anwendung<br />
aber modern. Beiden gemeinsam ist<br />
die Überlagerung verschiedener Bedeutungsebenen<br />
an einem Bauteil – Säule und Stütze.<br />
Bild-Motiv oder Bilder-Rahmen<br />
Zur Vokabel „Fenster“ in der Architektursprache<br />
Le Corbusiers<br />
Fensteröffnungen sind ein wesentliches, wenn<br />
nicht das entscheidende Element einer Fassade:<br />
Sei es als Luke, als Teil einer Lochfassade oder<br />
als verglaste Front. Die Art, Größe, Anordnung<br />
und Lage von Fensteröffnungen geben Auskunft<br />
über die jeweilige Haltung einer Architektur<br />
zum Verhältnis von innen und außen. Als<br />
wichtiges Architekturelement sind Fenster mit<br />
Bedeutung aufgeladen; sie sind die „Augen“<br />
eines Gebäudes und werden oft, gleichsam als<br />
„Make up“, durch Rahmungen, Verdachungen<br />
usw. geschmückt und damit betont. Fenster<br />
scheinen sich, etwa im mittelalterlichen Kirchenbau<br />
oder an Renaissancepalästen, als architektonische<br />
Elemente gelegentlich geradezu<br />
zu verselbständigen. Das von Michelangelo in<br />
den Palazzo Medici-Riccardi eingebaute Fenster<br />
beispielweise bildet eine Architektur für sich;<br />
es enthält alle Elemente eines Hauses im Kleinen.<br />
Dem hohen Bedeutungsgehalt des Motivs<br />
„Fenster“ entsprechend argumentiert Auguste<br />
Perret im Sinne klassischer Metaphorik, wenn er<br />
feststellt: „La fenêtre, c´est un homme.“ In einem<br />
humanistischen Sinne ist hier der Mensch<br />
buchstäblich das Maß der Dinge; wie andere<br />
prominente Architekturglieder, etwa die Säule,<br />
wird auch das Fenster in seinen Proportionen<br />
vom menschlichen Maß abgeleitet. Perret begründete<br />
damit seine Auffassung, dass (ungeachtet<br />
der modernen konstruktiven Möglichkeiten,<br />
auch größere Fensterbreiten herzustellen)<br />
Fenster stehende, menschlichen Proportionen<br />
entsprechende Formate aufweisen sollten.<br />
24
Sein jüngerer Kollege (und Verwandter) Le Corbusier<br />
setzte dem die genau konträre Auffassung<br />
entgegen: Das von ihm propagierte horizontale<br />
Langfenster demonstriert die Möglichkeiten<br />
einer nicht tragenden Fassade vor einem<br />
tragenden Skelett. Zugleich wird das Fenster<br />
von jeder Metaphorik und symbolischen Überhöhung<br />
befreit. Es ist einfach ein Bauteil für Belichtung,<br />
Belüftung und Ausblick. Das Fenster<br />
ist hier nicht primär ein wie auch immer zu rahmendes<br />
oder zu gestaltendes Architekturmotiv,<br />
sondern kann nach Gesichtspunkten wie Belichtung<br />
und räumlicher Orientierung gestaltet<br />
werden. Auch Le Corbusier argumentiert anthropologisch,<br />
allerdings in einem rein physiologischen<br />
Sinn: Das Blickfeld des Menschen sei<br />
aufgrund der nebeneinander liegenden Augen<br />
nun einmal breiter als hoch, ein horizontales<br />
Fensterformat also angemessener. Le Corbusier<br />
bringt hier einen völlig anderen Gesichtspunkt<br />
ins Spiel: Entscheidend ist in seiner Herleitung<br />
nicht, wie das Fenster aussieht, sondern was<br />
man durch das Fenster sieht. Unterstellt man<br />
dabei, dass es Le Corbusier nicht ausschließlich<br />
um eine bessere Ausnutzung des Sichtfeldes im<br />
Sinne einer besseren Orientierung geht, stellt<br />
sich die Frage nach der Bedeutung, die der Ausblick<br />
für die innenräumliche Wirkung hat.<br />
Auch wenn sich der Fensterausschnitt durch die<br />
Stellung und Bewegung des Betrachters verändern<br />
kann, bietet die Wahl der Fensteröffnung<br />
dem <strong>Architekten</strong> die Möglichkeit, nicht nur die<br />
Lichtverhältnisse eines Raumes zu gestalten,<br />
sondern auch den gewünschten Ausblick zu arrangieren<br />
und damit als Bild zu komponieren.<br />
Die Fensteröffnung begrenzt den Ausblick; sie<br />
wird dadurch zum Rahmen und durch diesen<br />
Rahmen wird der Ausblick zum Bild. Anders<br />
ausgedrückt: Der in den Außenraum greifende<br />
Ausblick kann auch als zweidimensionales Bild<br />
aufgefasst werden.<br />
An einem in mehrerer Hinsicht exemplarischen<br />
Bau hat Le Corbusier gleich zweimal die Bedeutung<br />
des zum Bild komponierten Fensterausschnitts<br />
demonstriert. Das Haus, das er für seine<br />
Eltern am Genfer See entwarf (und dem er unter<br />
dem Titel „Une petite maison“ eine eigene<br />
Veröffentlichung widmete), weist ein langes,<br />
die Wohnräume verbindendes Fensterband auf,<br />
das einen Blick auf den See im Breitwandformat<br />
freigibt. Der seitliche Teil des Gartens wird zum<br />
See mit einer hohen Mauer abgeschlossen, aus<br />
der wiederum eine Öffnung als Ausblick ausgeschnitten<br />
ist. Lässt sich im Haus selbst das<br />
Fensterband noch mit einer gleichmäßigen<br />
Belichtung und einer guten Sichtorientierung<br />
25
erklären, so zeigt die Gartenmauer mit ihrer<br />
Öffnung deutlich, dass hier der Ausblick als Bild<br />
inszeniert wird.<br />
Doch was für ein Bild ist das In beiden Fällen<br />
zeigen die Bilder keinen Vordergrund, der eine<br />
tiefenräumliche Orientierung erlauben würde.<br />
Ohne Vermittlung „springt“ der Blick von der<br />
Fensterkante in eine unbestimmbare räumliche<br />
Tiefe, die eine Komposition aus den nur flächig<br />
zu erlebenden Elementen See, Berg und Himmel<br />
bildet. Um diese Bildwirkung zu sichern,<br />
wird eine vergleichsweise umständliche Wegeführung<br />
in Kauf genommen: Die Terrasse zwischen<br />
Haus und See kann nur durch einen seitlichen<br />
Ausgang erreicht werden. Eine direkte<br />
Verbindung, zum Beispiel über eine Fenstertüre<br />
im Wohnzimmer, hätte die Bildwirkung erheblich<br />
gestört.<br />
Untersucht man nun die Anwendung der Langfenster<br />
an anderen Gebäuden Le Corbusiers,<br />
lassen sich die hier gewonnenen Ergebnisse<br />
übertragen: Die Brüstungen sind zumeist vergleichsweise<br />
hoch und geben einen Ausblick<br />
ohne räumliche Tiefenstaffelung frei, besonders<br />
deutlich am Beispiel der Villa Savoye. <strong>Informationen</strong>,<br />
welche die räumliche Tiefe des<br />
Außenraums erlebbar machen würden, werden<br />
dem Betrachter vorenthalten. Ins Surreale gesteigert<br />
ist die Bildregie bei der Dachterrasse<br />
der Wohnung von Dr. Beistegui. Die hier scharf<br />
in etwa Augenhöhe gezogene Oberkante der<br />
Brüstungsmauer schneidet die herausragenden<br />
Pariser Monumente aus ihrem räumlichen<br />
Kontext, so dass etwa der obere Teil des Arc de<br />
Triomphe wie ein liegen gebliebenes Spielzeug<br />
auf der Mauer zu stehen scheint. Dementsprechend<br />
gilt dieses Werk mit seinen zahlreichen<br />
verfremdeten Versatzstücken tatsächlich als<br />
Le Corbusiers einziger Ausflug in die Welt des<br />
Surrealismus. Auch im Spätwerk Le Corbusiers<br />
finden sich Beispiele für genau kalkulierte Fensterausschnitte<br />
mit ungewöhnlichen Bildwirkungen,<br />
etwa in den kaleidoskopartigen Fensteranordnungen<br />
des Kreuzgangs von La Tourette.<br />
Es liegt nahe, unter diesem Gesichtspunkt einen<br />
Zusammenhang zu suchen zwischen den<br />
solcherart zu Bildern komponierten Fensterausschnitten<br />
und den Bildauffassungen der bildenden<br />
Kunst. Als die entscheidende Errungenschaft<br />
der frühen Neuzeit gilt die Entdeckung<br />
der Perspektive in der Renaissance. Hier gelang<br />
es, den dreidimensionalen Raum auf die zweidimensionale<br />
Bildfläche zu bannen. Perspektivische<br />
Bildwirkungen finden von da an Eingang<br />
in die Architektur, sei es als Illusionsmalerei, sei<br />
26
es als räumliche Inszenierung, mit der die tatsächliche<br />
Raumtiefe durch illusionistische Tricks<br />
ins schier Unendliche gedehnt wird. Aber auch<br />
der reale, durch Fensteröffnungen begrenzte<br />
Bildraum wird perspektivisch inszeniert. In Versailles<br />
werden die Ausblicke aus dem Gebäude<br />
durch kulissenartige räumliche Staffelung in<br />
ihrer Dreidimensionalität inszeniert. Der inszenierten<br />
Räumlichkeit der Architektur entspricht<br />
eine auf Räumlichkeit angelegte Bildauffassung<br />
in der bildenden Kunst.<br />
Im Gegensatz dazu gehören der Bruch mit der<br />
klassischen Perspektive und die Wiederentdeckung<br />
der autonomen zweidimensionalen<br />
Fläche zu den zentralen Errungenschaften der<br />
klassischen Moderne. Sei es durch die Abstraktion<br />
der Bildformen oder durch eine Art<br />
Polyperspektivität, die im Kubismus den einen<br />
Bildraum aufbricht und auflöst, die künstlerische<br />
Avantgarde trennt sich auf vielfältige Weise<br />
vom klassischen perspektivischen Bildraum.<br />
So lassen sich durchaus Beziehungen herstellen<br />
zwischen den Tendenzen der modernen<br />
bildenden Kunst und den unperspektivischen<br />
Bildausschnitten Le Corbusiers. Bestätigt wird<br />
der Befund durch seine eigenen zweidimensionalen<br />
Darstellungen seiner Bauten, seien es<br />
Perspektiven oder von ihm zur Veröffentlichung<br />
freigegebene Fotografien. Auf einer Skizze Le<br />
Corbusiers, mit der er den Innenraum und den<br />
Ausblick aus der „petite maison“ darstellte,<br />
wird dieser Ausschnitt zum Bild im Bild: Innerhalb<br />
der Skizze, die den Innenraum durchaus<br />
perspektivisch zeigt, erscheinen im Fensterausschnitt<br />
das gegenüberliegende Seeufer und die<br />
Silhouette des Gebirges ganz ohne erläuternde<br />
Staffage, die die räumliche Tiefe auch in einer<br />
Zeichnung hätte veranschaulichen können. Die<br />
Skizze zeigt, wie der Ausblick wahrgenommen<br />
werden sollte: als veränderliches Gemälde, als<br />
zweidimensionales Bild.<br />
Cornelius Tafel<br />
In eigener Sache<br />
Das Thema der <strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> 2-2009<br />
lautet kurz und knapp „Wert“. Über Beiträge<br />
unserer Leser – seien sie selbst verfasst oder gefunden<br />
– freuen wir uns.<br />
Redaktionsschluss: 25. Mai 2009<br />
27
Landesverband<br />
Petra Schober übernimmt kommissarisch<br />
den Landesvorsitz des <strong>BDA</strong> Bayern<br />
Auf der Mitgliederversammlung des <strong>Bund</strong><br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>BDA</strong> in Bayern hat Karlheinz<br />
Beer an seine bisherige Stellvertreterin<br />
Petra Schober das Amt des Landesvorsitzenden<br />
kommissarisch übergeben. Sie wird den<br />
Verband bis zu dem geplanten Termin für die<br />
Neuwahl einer/eines neuen Vorsitzenden im<br />
Fruḧjahr/Sommer 2009 fuḧren. Petra Schober,<br />
Jahrgang 1959, ist seit 2004 Mitglied im <strong>BDA</strong><br />
Bayern und war seit Herbst 2005 stellvertretende<br />
Landesvorsitzende. Sie leitet in München<br />
das Architekturbüro Schober <strong>Architekten</strong> mit<br />
Schwerpunkt Stadtplanung und ist in verschiedenen<br />
Gremien tätig, unter anderem ist sie<br />
Mitglied der Vertreterversammlung der Bayerischen<br />
<strong>Architekten</strong>kammer, im dortigen Arbeitskreis<br />
Öffentlichkeitsarbeit und im Eintragungsausschuss<br />
aktiv. Sie wird in Ihrer Amtszeit die<br />
anstehenden Projekte des Landesverbandes,<br />
<strong>BDA</strong> Preis Bayern 2010 und Fünfte Architekturwoche<br />
fortfuḧren sowie die Kooperation in<br />
der Bayerischen Klimaallianz weiter begleiten.<br />
Karlheinz Beer hatte 2005 das Amt ebenfalls<br />
kommissarisch von Josef Peter Meier-Scupin<br />
übernommen, wurde im gleichen Jahr bei<br />
der ordentlichen Mitgliederversammlung als<br />
Landesvorsitzender gewählt und im Januar<br />
2008 in diesem Amt bestätigt. Karlheinz Beer,<br />
Jahrgang 1962, fuḧrt in Weiden in der Oberpfalz<br />
das Architekturbüro Beer <strong>Architekten</strong> mit<br />
Professorin Anne Beer. Er wurde 1999 in den<br />
<strong>BDA</strong> berufen und war von Anbeginn im <strong>BDA</strong><br />
<strong>Bund</strong>esverband, zuletzt im <strong>Bund</strong>esvorstand tätig.<br />
Seit 2000 ist er Vorstandsmitglied im Kreisverband<br />
Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz<br />
und gehört seit 2002 dem Landesvorstand des<br />
<strong>BDA</strong> Bayern an. 2005 wurde er in den Vorstand<br />
der Bayerischen <strong>Architekten</strong>kammer gewählt.<br />
Christa Weissenfeldt<br />
Auslobung <strong>BDA</strong> Preis Bayern 2010<br />
Der <strong>Bund</strong> <strong>Deutscher</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>BDA</strong> Landesverband<br />
Bayern lobt in diesem Jahr zum 21.<br />
Mal seit 1967 den „<strong>BDA</strong> Preis Bayern“ aus. Die<br />
Auszeichnung wird für bemerkenswerte Werke<br />
zeitgenössischer Architektur in Bayern vergeben<br />
und zeichnet gleichzeitig das erfolgreiche<br />
Zusammenwirken zwischen Bauherr/innen und<br />
Architekt/innen aus. Auslobungstext, Anmeldebogen<br />
und Formblätter (als PDF- Datei) sowie<br />
alle notwendigen <strong>Informationen</strong> sind auf der<br />
Homepage www.bda-bayern.de unter der Rub-<br />
29
ik Architekturpreise/Preise/<strong>BDA</strong> Preis Bayern zu<br />
finden. Abgabeschluss für die einzureichenden<br />
Arbeiten ist der 22. Juni 2009.<br />
Petra Steinberger<br />
„Wasseranrainer wissen, dass man den<br />
Deich nicht ein wenig öffnen darf … “<br />
Zur Berufung baugewerblich tätiger <strong>Architekten</strong><br />
als ordentliche Mitglieder in den <strong>BDA</strong><br />
Der Titel trifft im Kern die Bedeutung jeglichen<br />
Modernisierungswillens. Dies betrifft insbesondere<br />
einen Verband mit hochgestellten Zielen,<br />
wie es der <strong>BDA</strong> ist. Ein zu lockerer Umgang<br />
mit den Erscheinungen einer sich wandelnden<br />
Berufswelt bedroht merklich das starke Signet<br />
der eigenverantwortlichen, unabhängigen und<br />
weisungsfreien Wahrnehmung freiberuflicher<br />
Aufgaben. Welcher Architekt träumt nicht den<br />
Traum, weisungsfrei seine Ideen verwirklichen<br />
zu können, ein echter Freischaffender zu sein<br />
Ein überflüssiger Traum Gehört Weisungsgebundenheit<br />
denn nicht zum Sprachschatz der<br />
Dienstleistung, die die Bedeutung der Werkleistung<br />
längst verdrängt zu haben scheint Eine<br />
endlose Diskussion. Es ist die Unterscheidung<br />
zwischen „freischaffenden“ und „baugewerblich<br />
tätigen“ <strong>Architekten</strong> und insbesondere deren<br />
jeweilige Stellung in der Öffentlichkeit. Und<br />
nur darum kann es bei allem gehen. Welches<br />
Bild repräsentiert der <strong>BDA</strong> Dies wird sich immer<br />
durch die Qualität der Bauten und auch die<br />
Struktur seiner Mitglieder ausdrücken.<br />
Die <strong>BDA</strong>-Satzung ist inhaltlich weit reichend<br />
genug, um alle denkbaren Formen der Mitgliedschaft<br />
abzudecken. Sie enthält im Grundsatz<br />
keine Verpflichtung, baugewerblich tätige<br />
<strong>Architekten</strong> aufzunehmen, bietet ihnen jedoch<br />
die Möglichkeit einer außerordentlichen<br />
Mitgliedschaft. Zur Sorgfalt im Umgang mit<br />
Satzungsänderungen äußerte sich bereits der<br />
Arbeitskreis Junger <strong>Architekten</strong> im <strong>BDA</strong>: „Die<br />
Satzungsziele des <strong>BDA</strong> werden teilweise uminterpretiert<br />
oder aufgeweicht, statt sie als Wert<br />
und Qualitätsmerkmal offensiv zu vertreten…“<br />
Unsere Satzungsziele sind ernst zu nehmen,<br />
wenn es um Änderungen geht. Zu ergänzen<br />
bleibt, dass neben den hehren Zielen des <strong>BDA</strong><br />
noch drei wichtige Säulen des Berufsstandes zu<br />
schützen sind: die Freiberuflichkeit, das Wettbewerbswesen<br />
und die HOAI. Diese Säulen<br />
werden eine Messlatte sein, an der die Geister<br />
der „Freischaffenden“ und der „Gewerblichen“<br />
bestehen müssen.<br />
Erwien Wachter<br />
30
Sind die Freien Berufe noch zu retten<br />
Ein Plädoyer für eine kulturelle Gemeinschaft<br />
Die Frage nach der Aufnahme gewerblich tätiger<br />
<strong>Architekten</strong> in den <strong>BDA</strong> berührt unmittelbar<br />
und in zentralen Punkten das Selbstverständnis<br />
und Wertegefüge des <strong>Architekten</strong> als Freien Beruf<br />
und wird deshalb so intensiv diskutiert. Vielleicht<br />
lohnt es sich, wenn wir uns erneut vergegenwärtigen,<br />
was die Freien Berufe auszeichnet<br />
und was in der Konsequenz auch von allen beteiligten<br />
Partnern von uns erwartet werden darf<br />
und muss. „Angehörige Freier Berufe erbringen<br />
auf Grund besonderer beruflicher Qualifikation<br />
persönlich, eigenverantwortlich und fachlich<br />
unabhängig geistig-ideelle Leistungen im gemeinsamen<br />
Interesse ihrer Auftraggeber und<br />
der Allgemeinheit. Ihre Berufsausübung unterliegt<br />
in der Regel spezifischen berufsrechtlichen<br />
Bindungen nach Maßgabe der staatlichen<br />
Gesetzgebung oder des von der jeweiligen Berufsvertretung<br />
autonom gesetzten Rechts, welches<br />
die Professionalität, Qualität und das zum<br />
Auftraggeber bestehende Vertrauensverhältnis<br />
gewährleistet und fortentwickelt.“ (<strong>Bund</strong>esverband<br />
der Freien Berufe auf der Basis des §1<br />
(2) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz) Der Freie<br />
Beruf steht also für eine unabhängige geistige<br />
Leistung, unabhängig auch von der individuellen<br />
Gewinnmaximierung. Unsere Partner, die<br />
privaten wie die öffentlichen, können also auf<br />
eine geistig-ideelle Leistung eines besonders<br />
qualifizierten Planers vertrauen, deren Umfang<br />
und Honorierung festgelegt ist.<br />
Warum ist das ein Wert Ich denke, die Freien<br />
Berufe gehören zu einem Gesellschaftsbild, das<br />
sich auf einen Bürger verlässt, der die Entfaltung<br />
seiner „besonderen beruflichen Qualifikation“<br />
im Bereich von Wissenschaft, Kunst, Pädagogik,<br />
Publizistik und vielem mehr zunächst nicht<br />
auf seine persönlichen ökonomischen Belange,<br />
sondern „auf das gemeinsame Interesse ihrer<br />
Auftraggeber und der Allgemeinheit“ bezieht.<br />
Nur so entstehen in meinen Augen kulturelle<br />
Bindung, soziale Gerechtigkeit, stabile Gesundheitsversorgung,<br />
Rechtssicherheit, Bildung<br />
usw., also die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen,<br />
die unter anderem auch unserem<br />
Berufsstand eine gewinnbringende Arbeit erst<br />
ermöglichen.<br />
Die Frage nach der Qualität einzelner Güter lässt<br />
sich mittels gesellschaftlicher Ideale schwer entscheiden.<br />
Qualität im Sinne der Baukunst gibt<br />
es in beiden Berufsfeldern, dem gewerblichen<br />
und dem freien. Ihren Mangel ebenso. Singuläre<br />
baukünstlerische Qualität allein ist demnach<br />
31
für Entscheidungen bezüglich berufsethischer<br />
Fragen von je her ein schlechter Berater. Wenn<br />
jedoch ein Berufsverband darum ringen soll, die<br />
Umstände, die eine baukünstlerische Qualität<br />
ermöglichen, zu verbessern, dann kann er das<br />
ausschließlich auf der Basis des oben geschilderten<br />
Vertrauensverhältnisses tun. Wenn wir<br />
uns also für die HOAI und das Wettbewerbswesen<br />
engagieren, dann bedingt das zwangsläufig<br />
unser Selbstverständnis als Freie <strong>Architekten</strong>.<br />
Darüber hinaus engagieren wir uns dabei immer<br />
auch für eine gesellschaftliche Qualität im<br />
Sinne einer kulturellen Gemeinschaft. Ich finde<br />
das lohnend!<br />
Wolfgang Brune<br />
32
Kreisverband<br />
Regensburg<br />
Niederbayern<br />
Oberpfalz<br />
Auslobung 3. <strong>BDA</strong> Regionalpreis<br />
Niederbayern-Oberpfalz 2009<br />
Bedingt durch den Rhythmuswechsel beim<br />
Bayerischen <strong>BDA</strong> Preis war auch der Regionalpreis<br />
2007 zu einer Pause gezwungen. Heuer<br />
nun lobt der Kreisverband nach 2003 und 2005<br />
den dritten Regionalpreis Niederbayern-Oberpfalz<br />
aus. Der Preis will natürlich keine Konkurrenz<br />
zum Bayerischen <strong>BDA</strong> Preis sein, sondern<br />
hervorragenden regionalen Bauten ein Podium<br />
schaffen. Qualitätsvolle Architektur und gelungener<br />
Städtebau in Niederbayern und der Oberpfalz<br />
sollen ins verdiente Rampenlicht gerückt<br />
werden. Der Preis will zum Dialog und zur Diskussion<br />
über Architektur in den Regionen anregen<br />
sowie unterstützend und fördernd wirken.<br />
Herausragende Beispiele sollen mit Auszeichnungen<br />
honoriert werden.<br />
In den verschiedenen Kategorien wird jeweils<br />
eine Auszeichnung für Niederbayern und die<br />
Oberpfalz verliehen. Die Themenbereiche des<br />
<strong>BDA</strong>-Regionalpreises Niederbayern-Oberpfalz<br />
sind Städtebau, Wohnungsbau, Bauen im Bestand<br />
sowie sonstige Projekte. Dazu kommt ein<br />
Sonderpreis der LBS, die als einer der Sponsoren<br />
den Regionalpreis unterstützt. Eine neue Kategorie<br />
wird die diesjährige Auslobung ergänzen.<br />
Ein weiterer Sonderpreis wird an junge Kollegen<br />
gehen. Damit sollen Projekte aus beiden<br />
Regionen hervorgehoben werden, die von <strong>Architekten</strong><br />
und/oder Architektinnen stammen,<br />
die zum Zeitpunkt der Abgabe nicht älter als 33<br />
Jahre sind.<br />
Auch in der dritten Runde des Regionalpreises<br />
werden alle eingereichten Arbeiten in einer Broschüre<br />
zum Wettbewerb veröffentlicht. Dazu<br />
kommt eine Wanderausstellung, die mit allen<br />
Beiträgen nach der Preisverleihung auf Rundreise<br />
durch Niederbayern und die Oberpfalz geht.<br />
Wer Interesse an dieser Ausstellung hat, kann<br />
sich schon jetzt beim Kreisverband vormerken<br />
lassen. Die Regionalpreise sind nicht dotiert.<br />
Aber durch die breite Öffentlichkeitsarbeit mit<br />
allen eingereichten Arbeiten, wie Wanderausstellung,<br />
Presse und Broschüre, profitieren alle<br />
vom Regionalpreis Niederbayern-Oberpfalz: der<br />
Berufsstand, die Architektur und nicht zuletzt<br />
die Baukultur unserer Regionen. Motivieren sie<br />
also auch ihre Kolleginnen und Kollegen, ihre<br />
Bauherren, gelungene Architektur aus Niederbayern<br />
und der Oberpfalz einzureichen. Alle<br />
Einzelheiten und <strong>Informationen</strong> zum Wettbewerb<br />
finden sie in Kürze auf der Internetseite<br />
des <strong>BDA</strong> Bayern.<br />
Johannes Berschneider<br />
33
Kreisverband<br />
Würzburg<br />
Unterfranken<br />
www.raumlaborberlin.de<br />
Wer mitten auf der Scholle lebt, sitzt vielleicht<br />
langweilig, aber bequem und sicher. Am Rande,<br />
wo die Scholle bröckelt, lauert die Gefahr<br />
des Untergangs. Hier bebt die Erde, entladen<br />
sich Vulkane, doch aus der Tiefe wächst auch<br />
frisches Land. Nur an den Rändern ist Spannung.<br />
Nur an den Grenzen entsteht Neues.<br />
Grenzgänger leben interessanter.<br />
1999 schlossen sich in Berlin neun junge <strong>Architekten</strong><br />
zu raumlaborberlin zusammen, um<br />
die Grenzen von Architektur und Städtebau zu<br />
erkunden und an ihnen zu rütteln. Einer der<br />
Grenzgänger, Matthias Rick, stellte die höchst<br />
erstaunlichen Ergebnisse am 20. November im<br />
Fürstensaal der Residenz vor, gerade von der<br />
jüngsten Baustelle kommend, der Eichbaumoper,<br />
und nach dem Vortrag wieder dorthin zurückkehrend.<br />
Kaum ein Projekt zeigt Gedanken<br />
und Arbeitsweise von raumlaborberlin besser als<br />
die Eichbaumoper. Eine S-Bahnhaltestelle zwischen<br />
Essen und Mühlheim an der Ruhr, ein völlig<br />
verlotterter Angst-Ort wird zur Aufführung<br />
einer Oper gerüstet. Gestapelte Container, Librettisten,<br />
Komponisten und Musiker verzaubern<br />
für kurze Zeit einen von Gott und guten Geistern<br />
verlassenen Platz zum Gesamtkunstwerk.<br />
Ausgehend von Berlin hat raumlaborberlin inzwischen<br />
England, Frankreich, Österreich und<br />
selbst die Biennale 2008 in Venedig erreicht.<br />
Ob es um das auf Stützen ruhende Schweizer<br />
Haus von Le Corbusier in der Cité Universitaire<br />
in Paris geht, dessen offenes Erdgeschoss den<br />
Bewohnern zur freien Verfügung stehen sollte,<br />
von ihnen aber niemals genutzt wurde, oder um<br />
den ausgehöhlten, inzwischen abgerissenen Palast<br />
der Republik in Berlin, raumlaborberlin fand<br />
einen Weg, den Ort mit Leben zu erfüllen. In Paris<br />
hüllte eine riesige, transparente, nach außen<br />
quellende Blase den Raum des Erdgeschosses<br />
ein, der sofort von den Bewohnern zum Feiern<br />
in Beschlag genommen wurde.<br />
In Berlin wuchs im Innern des entkernten Palastes<br />
ein weißes Matterhorn, aus Gerüststangen<br />
und Folien gefügt. Zum „Berg“ führten drei<br />
Aufstiege, jeder mit sieben Stationen, jede von<br />
einem anderen Künstler gestaltet: der Weg des<br />
Philosophen, der den Ort befragt, der des Bergsteigers,<br />
der die Architektur herausfordert und<br />
der des Pilgers, der Geschichten erzählt. Dazu<br />
eine Bergstation mit Kapelle. Klänge füllten den<br />
Raum. Außen dockte ein Hotel mit drei Zimmern<br />
an, ständig ausgebucht von Menschen,<br />
die sich einmal im Angesicht des Domes und<br />
34
des Schinkelschen Museums waschen und rasieren<br />
wollten.<br />
Das Küchenmonument als große mobile Blase<br />
hat seine Raum und Gemeinschaft bildenden<br />
Qualitäten an den verschiedensten Standorten<br />
von Duisburg bis Liverpool bewiesen. Mit dem<br />
Versuch, die von ihren Bewohnern aufgegebene<br />
Neustadt von Halle an der Saale in das Bewusstsein<br />
der Bürger zurückzuholen, eroberte<br />
sich raumlaborberlin den Städtebau. Hotel, Restaurant<br />
und Bar, dazu zahlreiche Spiele und<br />
Aufführungen, alles in einem verlassenen Hochhaus,<br />
zeigten die Potentiale von Gebäuden, die<br />
niemand mehr braucht. Die Zuhörer waren<br />
überrascht und angeregt. Dem Einen oder Anderen<br />
verschlug es die Sprache. Jenseits des<br />
Reißbretts ist die Welt grenzenlos.<br />
Ulrich Karl Pfannschmidt<br />
Vortrag, Ausstellung und Mitgliederversammlungen<br />
Das letzte Vierteljahr des vergangenen Jahres<br />
begann mit einem Vortrag im Rahmen des Klimabündnisses.<br />
Zum Thema „Nachhaltige Architektur“<br />
sprach am 7. Oktober C. Huber, stellvertretender<br />
Leiter des Lehrstuhls von Professor<br />
Hausladen, München. Die Ausführungen schlugen<br />
einen weiten Bogen vom einzelnen Haus<br />
zur städtebaulichen Gesamtsicht, angereichert<br />
mit höchst interessanten und anschaulichen<br />
Statistiken und Plänen.<br />
Einen Monat später folgte das große Ereignis<br />
– die Eröffnung der Ausstellung „Auszeichnung<br />
guter Bauten in Franken 2008“. Die Auslobung<br />
des Preises und die Besetzung der Jury waren<br />
diesmal von Unterfranken ausgegangen. Die im<br />
Vergleich zu früheren Auslobungen hohe Zahl<br />
von Einsendern zeigt neben der guten Konjunktur<br />
auch das Ansehen, das sich der Preis inzwischen<br />
erworben hat. Oberbürgermeister Georg<br />
Rosenthal und die beiden fränkischen Kreisverbandsvorsitzenden<br />
Georg Redelbach und<br />
Andreas Emminger nahmen im Wechsel die Ehrung<br />
der Preisträger vor. Welch glückliche Fügung,<br />
dass auch ein Weingut prämiert wurde.<br />
So konnte sich jedermann davon überzeugen,<br />
wie gut sich Wein und Architektur in der Qualität<br />
entsprachen. Die Ausstellung war bis zum<br />
2. Dezember im Kulturspeicher in Würzburg zu<br />
sehen. Das Heft mit Objekten, Teilnehmern und<br />
Preisträgern ist beim Kreisverband zu erhalten.<br />
35
36<br />
Zwei Mitgliederversammlungen, zu denen wieder<br />
dieselben wie immer an der Teilnahme verhindert<br />
waren, befassten sich im wesentlichen<br />
mit Berichten aus dem Landesverband, Fragen<br />
der HOAI und der Beitragssatzung sowie der<br />
Organisation des Programms.<br />
Ulrich Karl Pfannschmidt
Kritik der Kritik III<br />
Sieben Fragen an Claus Käpplinger<br />
„Architekturkritik gibt es eigentlich gar nicht<br />
mehr“, behaupten viele, teils selbst Kritiker,<br />
wenn man sie danach fragt. Ingeborg Flagge<br />
ließ sich sogar zur Aussage hinreißen, dass nur<br />
„ein Häuflein Irrer“ in Deutschland Architekturkritik<br />
betreibe und diese auch noch „zahnlos“<br />
geworden seien.<br />
Wir fragen diesmal Claus Käpplinger, der in<br />
Berlin als freier Architektur- und Stadtkritiker<br />
tätig ist, unter anderem nach dem Beitrag des<br />
vermeintlich zahnlosen Papiertigers Architekturkritik<br />
zur architektonischen Begriffsbildung,<br />
nach einer möglichen Korrelation der Qualität<br />
von Gebautem und Kritik, nach dem Wert der<br />
einer Architektur zugrundeliegenden Idee bis<br />
zu seiner Einschätzung einer unterhaltsamen,<br />
herausfordernden und entlarvenden Kritik.<br />
1. Friedrich Achleitner schrieb, nicht zur Architekturkritik,<br />
aber zum Entstehen zeitspezifischer<br />
Architekturbegriffe: „Man könnte die<br />
Frage stellen, wieweit der jeweilige Architekturbegriff<br />
einer Zeit ein Produkt der sprachlichen<br />
Kommunikation ist. Damit wäre jede verbale<br />
Äußerung über Architektur ein Bestandteil des<br />
kollektiven Begriffes oder der Anschauung von<br />
Architektur ...“ Wie weit trägt Ihrer Meinung<br />
nach diese rhetorische Frage Achleitners, und<br />
welchen Beitrag leistet die Architekturkritik zu<br />
dieser Begriffsbildung<br />
Interessant wäre es, die Fortsetzung von Fritz’<br />
Aussage zu lesen, die ich trotz guter Kenntnisse<br />
seiner zahlreichen Schriften nicht kenne. Vermutlich<br />
gibt es da noch eine interessante Wendung.<br />
Doch zur Frage: Man sollte die Macht des<br />
Wortes selbst heute nicht unterschätzen, wenn<br />
es auf offene Ohren und neue Interessen trifft.<br />
Immer wieder gab es in bestimmten Zeiten der<br />
Entwicklung Momente, in denen gerade die<br />
Kritiker eine neue Tür durch ihre Begriffsbildungen<br />
öffneten. Der Begriff „Dekonstruktivismus“<br />
war etwa ein Beispiel dafür, von dem jedoch am<br />
Ende jenseits der Popularisierung einiger <strong>Architekten</strong><br />
nur wenige profitiert haben. Die Bildung<br />
von Begriffen zur Verarbeitung neuer Erfahrungen<br />
stellt vor allem eine anthropologische<br />
Notwendigkeit dar. Und der Begriff formt wiederum<br />
unsere Wahrnehmung von dem Gesehenen<br />
wie auch folgender neuer Erfahrungen.<br />
Und eine gute, profunde, ja in gewisser Weise<br />
auch kreative Architekturkritik kann ihren Teil<br />
zu einer Begriffsbildung in weiteren Teilen ihrer<br />
Gesellschaft beitragen – vielleicht sogar mehr<br />
37
als so manche Architekturtheorie. Doch jeder<br />
Begriff ist ein „Überraschungspaket“ – er kann<br />
eine neue Welterfahrung ermöglichen oder sich<br />
als eine „Büchse der Pandora“ erweisen.<br />
2. Wenn der Architekturbegriff, den eine Gesellschaft<br />
entwickelt, nun allgemeiner betrachtet<br />
ein Produkt der Kommunikation über Architektur<br />
ist und die Kritik sicherlich ihrem Wesen<br />
nach ein Akt nicht nur der sprachlichen Kommunikation<br />
über Architektur zwischen Kritiker<br />
und Öffentlichkeit ist, müsste es dann nicht<br />
auch eine Korrelation zwischen der Qualität des<br />
einen und der des anderen geben <br />
Egal welchen Bereich man betrachtet, nur selten<br />
gibt es eine direkte Korrelation zwischen<br />
Praxis und Reflektion. Nur an bestimmten Orten,<br />
unter wenigen Personen und für eine<br />
gewisse Zeit kann sie sich in einer reziproken<br />
Korrelation einstellen. Dies war etwa zu Beginn<br />
der Postmoderne wie auch zu Beginn der „neuen“<br />
Deutschschweizer Architektur der Fall. Ihre<br />
<strong>Architekten</strong> und Gebäude wären ohne die sie<br />
begleitenden und teilweise auch inspirierenden<br />
Intellektuellen kaum so entstanden und verbreitet<br />
worden. Praxis und Kritik forderten sich<br />
wechselseitig heraus, bevor sie von den Marktmechanismen<br />
vereinnahmt wurden. Kurz gefasst:<br />
Wenn sich <strong>Architekten</strong> und Intellektuelle<br />
auf gleicher qualitativer Höhe und Leidenschaften<br />
zusammenfinden, dann können sehr produktive<br />
Korrelationen entstehen, die beiderseits<br />
Qualitäten fördern. Doch wenn die <strong>Architekten</strong><br />
oder andere Leser/Zuhörer nur nach Bestätigung<br />
verlangen, bleiben beide bei sich und mit<br />
ihren vermeintlichen Qualitäten alleine.<br />
3. Manchmal glaubt man – aus der Distanz betrachtet<br />
– Derartiges in Ländern zu finden, die<br />
für gute Architekturpraxis bekannt sind, wie<br />
beispielsweise Österreich. Sie selbst schreiben<br />
unter anderen für die österreichische Fachzeitschrift<br />
„architektur.aktuell“. Können Sie diese<br />
Vermutung bestätigen oder ist das nur ein von<br />
außen projiziertes Wunschbild<br />
Man sollte vorsichtig sein, andere Länder um<br />
ihre vermeintliche architektonische Kultur zu<br />
sehr zu bewundern oder zu beneiden. Auch<br />
in Österreich, Portugal, Norwegen oder Dänemark<br />
entsteht das meiste Gebaute ohne städtebauliche<br />
oder architektonische Qualität. Der<br />
Unterschied besteht oft nur in ein paar Prozent<br />
mehr an besseren Bauten und einer höheren<br />
Wertschätzung durch die eigene Bevölkerung<br />
38
und internationale Rezeption. Diese Wertschätzung<br />
hat oft ihren Grund in zwei Aspekten, die<br />
weiter reichende Auswirkungen haben. Zum<br />
ersten besitzen „kleinere“ europäische Länder<br />
entgegen größeren Ländern keine große ökonomische<br />
oder politische Macht. Viel bewusster<br />
bedient man sich dafür der Kultur, der Architektur<br />
und des Designs, um das Eigene in einer Zeit<br />
der EU-pisierung und Globalisierung zu bewahren<br />
und herauszuarbeiten. Zum zweiten existieren<br />
in vielen „kleineren“ Ländern oder Regionen<br />
noch „traditionellere“ Verhaltensweisen,<br />
die auf persönliche Kontakte, Verbindlichkeiten<br />
und Vertrauen aufbauen, die weniger rationalisiert,<br />
formalisiert und ökonomisiert sind als<br />
etwa in vielen Teilen Deutschlands. Man kennt<br />
sich besser, man ist aufeinander angewiesen<br />
und man vertraut. Wenn dann noch Offenheit<br />
gegenüber Neuem hinzukommt und auch neue<br />
gesellschaftliche Gruppen durchaus mit internationalen<br />
Horizonten mehr Verantwortung<br />
übernehmen wollen, dann kann es zu wirklich<br />
interessanten Entwicklungen in der Architektur<br />
kommen. Und dies alles ist in einigen – bei weitem<br />
nicht allen – Regionen Österreichs der Fall.<br />
Ich selbst habe erlebt, dass mich eine Winzerin<br />
in der Steiermark ansprach, als sie meinen Namen<br />
hörte, ob ich derjenige sei, der für die österreichische<br />
Architekturzeitschrift „architektur.<br />
aktuell“ schreibe. Seit sie und ihr Mann für den<br />
Ausbau ihres Betriebs begannen, Architekturzeitschriften<br />
zu lesen, haben sie sich offenbar<br />
nicht nur die Bilder, sondern auch die Autoren<br />
– Architekt wie Kritiker – wahrgenommen. Wo<br />
gibt es das in Deutschland<br />
4. Architekturkritik findet in vielerlei Formen,<br />
auf vielen Ebenen statt – klassisch im Feuilleton<br />
der Tageszeitung, ebenso in deren Lokalteil, in<br />
Fachzeitschriften und in öffentlichen Veranstaltungen<br />
– alles immer mehr und immer öfter.<br />
Das ergibt schon fast den Eindruck einer beinahe<br />
inflationären Menge, die wiederum auf ein<br />
großes öffentliches Interesse hindeuten kann,<br />
jedoch auch Entwertungstendenzen mit sich<br />
bringt. Wie groß ist einerseits die öffentliche<br />
Aufmerksamkeit und andererseits die Aufnahmebereitschaft<br />
für Architekturkritik<br />
Vorab: Masse bedeutet noch lange nicht Klasse<br />
und wirkliche Architekturkritik gibt es kaum<br />
mehr. „Architekturkritiker sind heute Dinosaurier“,<br />
so der O-Ton eines Kollegen. Der Großteil<br />
des heute über Architektur Publizierten ist „Public-Relation“<br />
oder anders ausgedrückt “Life-<br />
Style-Trend-Berichterstattung“ und/oder „Product-Placement“.<br />
Architektur ist dort primär<br />
39
ein ökonomisches Gut und/oder ein Element<br />
sozialer Distinktion bzw. Oberfläche, nicht mehr<br />
und nicht weniger. Kritik jenseits von Budgets<br />
wollen der größte Teil der Öffentlichkeit und<br />
die Medien nicht hören, zumal letztere primär<br />
um ihre Werbekunden bangen. Verunsichert<br />
ist auch der Großteil der Gesellschaft durch<br />
alle Schichten, die auf keine gemeinsame Basis<br />
mehr zurückgreifen können und nach „neuen“<br />
bzw. „neu-alten“ Werten suchen. Und da wir<br />
heute in keiner Reflektionskultur, sondern in einer<br />
visuellen Kultur leben, geschieht die Suche<br />
vor allem über visuelle Objekte wie Architektur.<br />
Architektur hat so tatsächlich an Bedeutung<br />
gewonnen, wenn auch sklerotisch auf ihre visuell-emotionalen<br />
Aspekte reduziert. Kurzum,<br />
Architektur wurde für viele zum reinen, kurzweiligen<br />
Event der Selbsterfahrung und Selbstversicherung,<br />
die kein Zweifel oder Argument<br />
trüben soll. Und da liegt das ganze Problem aller<br />
Kritiker, wenn sie sich nicht zum Entertainer<br />
wandeln wollen.<br />
5. Zurück zu den Ebenen, auf denen Kritik<br />
stattfindet. Der Schweizer Journalist und Architekturkritiker<br />
Benedikt Loderer meint, dass Architekturkritik<br />
erst dann ihre Druckerschwärze<br />
wirklich wert sei, wenn sie zum Lokaljournalismus<br />
werde. Damit meint er wohl das Durchsickern<br />
einer unterscheidenden Betrachtung von<br />
Architektur in weite bisher nicht in diesem Sinne<br />
mit Architektur befasste Bevölkerungsschichten.<br />
Soweit also ein nachvollziehbarer Gedanke.<br />
Wenn man die Qualität des gängigen Lokaljournalismus<br />
Revue passieren lässt – und das<br />
fängt schon bei renommierten Tageszeitungen<br />
wie unserer SZ an –, dann könnte man auch<br />
zu der Auffassung gelangen, dass gerade die<br />
Verankerung der Architekturkritik im Feuilleton<br />
ein Garant für das erforderliche inhaltliche und<br />
sprachliche Niveau ist. Wie sehen Sie das<br />
Ich stimme Benedikt da völlig zu, der gern Sachverhalte<br />
zuspitzt, um überhaupt noch eine Reaktion<br />
auszulösen. Seine Aussage schließt so<br />
keineswegs die „hohe“ Architekturkritik aus,<br />
sondern relativiert allein ihre Bedeutung in den<br />
„Mühen der Ebenen“ (Brecht-Zitat). Ohne die<br />
„Ebene“ guter Lokalkritik droht der Architekturkritik<br />
ein Dasein im Elfenbeinturm, Einfluss<br />
allein auf Fachleute und „gebildete Kreise“ zu<br />
haben. Wer liest heute noch das Feuilleton oder<br />
Fachzeitschriften Selbst viele <strong>Architekten</strong> tun<br />
dies heute nur noch sehr selektiv. Doch fast<br />
jeder beschäftigt sich mit Nachrichten aus seinem<br />
Umfeld und Lebens- bzw. Arbeitsorten,<br />
insbesondere die Politiker und Investoren. Der<br />
40
Lokaljournalismus hat auf dieser „Ebene“ viel<br />
mehr Gewicht als das Feuilleton, wo <strong>Architekten</strong>,<br />
wenn überhaupt genannt, zumeist nur als<br />
Künstler oder Spinner auftauchen. Deshalb die<br />
Forderung nach mehr Kommunikation zwischen<br />
Feuilleton und Lokalteil, Architekt und Redaktion<br />
sowie letztlich zur breiten Öffentlichkeit.<br />
6. Es gibt sehr viele Forderungen an die Kritik<br />
im Allgemeinen und die Architekturkritik im Besonderen.<br />
Hier eine von Jörn Köppler:„Kritik soll<br />
das Wie des Gebauten mit dem darin enthaltenen<br />
Warum seiner Bedeutung konfrontieren<br />
und damit das Verhältnis des Gemachten zum<br />
Gedachten denkend prüfen.“ Dieses Verhältnis<br />
des Gemachten zum Gedachten und die Prüfung<br />
der Relevanz des Gedachten ist genau der<br />
Zusammenhang, den ich in vielen Rezensionen<br />
schmerzlich vermisse. Wie ist Ihre Einschätzung<br />
der Bedeutung von Wertung in der Rezension<br />
einerseits und der Prüfung sowie Einschätzung<br />
der Relevanz der einer Architektur zugrundeliegenden<br />
Gedanken<br />
Die Aussage erscheint mir etwas zu philosophisch<br />
bzw. auf die Autorenschaft allein verengt<br />
– wenngleich ich auch Philosophie und Kunst<br />
studiert habe. Entgegen dem letzten Venedig-<br />
Biennale-Direktor Aaron Betsky ist für mich<br />
Architektur nicht primär die Idee, sondern der<br />
gebaute, physische Raum. Architektur ist keine<br />
Kunst und der Architekt primär kein Künstler.<br />
Architektur ist im besten Sinne eine praktische<br />
und soziale Kunst, die nur vom Wechselspiel<br />
verschiedener Einflüsse, Personen und Institutionen<br />
erklärbar ist. Die Idee hat dort auch ihre<br />
Bedeutung und keineswegs eine geringe, doch<br />
Architektur muss sich vor allem im gesellschaftlichen<br />
Diskurs und in der Wahrnehmung beweisen.<br />
Viel zu oft wird mir in Rezensionen über<br />
die Ideen der <strong>Architekten</strong> oder ihrer Autoren<br />
geschrieben, die dann zumeist einer Überprüfung<br />
im sozialen und physischen Raum kaum<br />
standhalten. Um es hart auszudrücken, viele<br />
Rezensionen erscheinen mir heute wie eine Art<br />
„intellektueller Selbstbefriedigung“, steril und<br />
autistisch.<br />
7. Es gibt in Deutschland sicherlich eine Handvoll<br />
renommierter Kritiker, die fundiert recherchieren<br />
und engagiert schreiben. Mit dieser Art des<br />
Schreibens kommt man aber noch nicht über<br />
gediegene Langeweile hinaus. Ich wünsche mir<br />
mitunter, neben all den Fundierten, Klugen und<br />
Rechtschaffenen, einen (frühen) Maxim Biller<br />
der Architekturkritik. Wie geht es Ihnen<br />
41
Da sind wir wieder fast beim gehobenen Boulevard<br />
und dem Event, die gewiss auch ihre Berechtigung<br />
und ihren Wert haben. Allein ihre<br />
„Halbwertzeit“ ist wirklich gering. Was interessiert<br />
mich schon morgen das Gerede von gestern<br />
Wer´s benötigt, soll sich´s wünschen. – Ich<br />
jedenfalls nicht. Wenn profunde Kritik heute<br />
nur noch als langweilig empfunden werden<br />
kann, dann tut es mir leid, wenngleich sich der<br />
Kritiker immer auch selbst hinterfragen muss,<br />
wen er wie mit welchen Worten erreichen<br />
kann. Vor Jahren gab es in der „FAZ“ einen Kollegen<br />
mit großem rhetorischem Vermögen, der<br />
aber fast zwangsläufig ein „Wellenreiter“ war,<br />
der mit seiner spitzen Zeitgeistfeder mehr sich<br />
selbst und seine Wogen als den Gegenstand<br />
seines Schreibens im Blick hatte. Das Schielen<br />
nach mehr Resonanz schmeichelt gewiss dem<br />
eigenen Ego und fördert auch die Karriere, aber<br />
verbessert es wirklich etwas<br />
Die Fragen stellte Michael Gebhard.<br />
42
Baugeschichten<br />
Tote Sprachen – Historismus als Problem<br />
Folge 1<br />
In der Prosaskizze „Pierre Menard, Autor des<br />
Quijote“ stellt Jorge Luis Borges den Titelhelden<br />
als einen Mann vor, der den Ritterroman<br />
des Cervantes im beginnenden 20. Jahrhundert<br />
aufs neue schreibt, und zwar, wie Borges betont,<br />
als zeitgenössischer Autor, nicht etwa in<br />
dem Versuch, sich in Cervantes und seine Zeit<br />
zurückzuversetzen. Höhepunkt dieses Textes ist<br />
der Vergleich zweier Textstellen, von denen der<br />
Erzähler die erste, die des Cervantes, gerade<br />
einmal als zeittypisch-konventionell gelten lässt,<br />
die zweite – Wort für Wort mit der ersten identisch<br />
– von der Hand des Autors Pierre Menard<br />
dagegen als kraftvoll archaisierende Reflexion<br />
entsprechend höher bewertet.<br />
Pierre Menard, so lässt sich feststellen, wäre ein<br />
perfekter Historist im Sinne des architektonischen<br />
Historismus: Ihm gelingt das Kunststück,<br />
ein Werk der Vergangenheit als ein neues, zeitgenössisches<br />
erstehen zu lassen. Die wunderbar<br />
ironische Absurdität, mit der Borges seinen Helden<br />
vorstellt, zeigt die Paradoxie eines künstlerischen<br />
Historismus zwischen Geschichtlichkeit<br />
und Zeitgenossenschaft.<br />
In der Nachfolge Giambattista Vicos hatte der<br />
literarisch-philosophische Historismus Herders<br />
die jeweilige Einzigartigkeit jeder historischen<br />
Epoche aufgezeigt und damit das Geschichtsbild<br />
des 19. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. In<br />
Rankes berühmtem Diktum „Alle Epochen sind<br />
gleich nah zu Gott“ ist diese Anschauung auf<br />
eine Formel gebracht. Die Geschichtsauffassung<br />
des Historismus steht in Gegensatz zu einer im<br />
19. Jahrhundert ebenfalls verbreiteten Überzeugung<br />
von historischem Fortschritt und kann<br />
mit diesem am ehesten mit einer Vorstellung<br />
vom jeweils Zeitgemäßen in Einklang gebracht<br />
werden, mit dem die Zeugnisse einer vergangenen<br />
Epoche zwar ihren Wert nicht verlieren,<br />
aber durch die Ergebnisse einer neuen Epoche<br />
im Hegelschen Sinne „aufgehoben“ sind.<br />
Beide Auffassungen, die eines reinen Historismus,<br />
wie die einer stetigen Aufwärtsentwicklung<br />
in der Geschichte, fordern implizit von der<br />
jeweiligen Epoche den zeitgemäßen Ausdruck<br />
– in der Kunst und somit auch in der Architektur.<br />
Gerade dies, ein sich stetig entwickelnder<br />
zeitgemäßer Ausdruck, findet so im architektonischen<br />
Historismus des 19. Jahrhunderts aber<br />
nicht statt. Etwa seit den 1830er Jahren findet<br />
nahezu die gesamte Bautätigkeit Europas ihren<br />
Ausdruck in historischen Stilformen.<br />
44
Der architektonische Historismus umfasst von<br />
seinem Beginn, den ersten neogotischen Entwürfen<br />
und Bauten am Anfang des 19. Jahrhunderts,<br />
bis zu seinem Niedergang ein ganzes<br />
Jahrhundert. Dies entspricht etwa dem Zeitraum<br />
von der politischen Neuordnung Europas<br />
nach dem Wiener Kongress bis zum Ende des<br />
Ersten Weltkriegs. Angesichts der geradezu explosionsartigen<br />
Veränderungen und Entwicklungen<br />
in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft,<br />
in den Naturwissenschaften und auch gerade<br />
auf den Gebieten, die die Architektur unmittelbar<br />
betreffen, wie dem Wachstum von Städten,<br />
Handel und Verkehr, der Entstehung neuer<br />
Bauaufgaben und -typologien, der Entwicklung<br />
von Baumaterialien und Konstruktionsmethoden,<br />
fällt auf, dass all dies weitgehend, wenn<br />
auch mit gewichtigen Ausnahmen, mit dem<br />
Formenrepertoire historischer, zum Teil weit zurückliegenden<br />
Stilepochen bewältigt wurde.<br />
Dies steht im Gegensatz zu der Gestaltung<br />
früherer Architekturepochen (eben jener, die<br />
im Historismus kopiert wurden), die sich selbst<br />
nicht so sehr als Stil verstanden (zu dem es auch<br />
gleichwertige, konkurrierende Alternativen geben<br />
könnte), sondern als die schlechthin zeitgemäße<br />
Form zu bauen.<br />
Wenn dieser Gegensatz hier Thema wird, dann<br />
geht es nicht darum, dem architektonischen<br />
Historismus den Prozess zu machen, wie es<br />
die Reformer der Jahrhundertwende und die<br />
Moderne der 20er Jahre taten, und die Bauten<br />
des Historismus als unoriginell und epigonal<br />
zu verurteilen. Schon lange hat sich eine neue<br />
Wertschätzung der Leistungen des Historismus<br />
etabliert. Seine Protagonisten werden in Publikationen<br />
und Ausstellungen gefeiert, eine Ehrenrettung<br />
erübrigt sich.<br />
Vielmehr soll festgehalten werden, dass historistisches<br />
Entwerfen grundlegend anders „funktioniert“,<br />
anderen Bedingungen unterliegt als die<br />
Epochen davor und auch anders als die Architekturentwicklung<br />
danach. Einige Eigenschaften<br />
historistischen Entwerfens sollen dies verdeutlichen.<br />
Schließlich wird versucht, herauszufinden,<br />
welche Auswirkung dieser grundsätzliche<br />
Unterschied auf die Beurteilung historistischer<br />
Architektur haben könnte. Trotz der intensiven<br />
Beschäftigung mit dem architektonischen Historismus<br />
fällt eine baukünstlerische Bewertung<br />
seiner Leistungen immer noch schwer.<br />
Akzeptiert man eine Auffassung von der Geschichte<br />
und ihren Abläufen im Sinne des philosophischen<br />
Historismus, so ist der architekto-<br />
45
nische Historismus, wie er 100 Jahre lang praktiziert<br />
wurde, in einem künstlerischen Sinne gar<br />
nicht möglich: Eine organische Stilentwicklung,<br />
in der ein Baumeister den aktuellen Stand der<br />
Architekturdiskussion um einen neuen Beitrag<br />
bereichert, vorhandene Tendenzen aufnimmt<br />
oder im Rahmen des Zeitgeistes (oder „Stilwollens“<br />
im Sinne Alois Riegls) Neuerungen wagt,<br />
ist dem historistischen <strong>Architekten</strong> verwehrt.<br />
Die jeweils historischen Randbedingungen des<br />
von ihm gewählten Stils sind für ihn ohne Relevanz:<br />
Die Themen der historischen Diskussionen<br />
sind nicht die seinen, die geistigen und<br />
materiellen Hintergründe, seine konstruktiven<br />
Möglichkeiten und die Anforderungen seiner<br />
Zeitgenossen an ein Bauwerk sind andere als in<br />
der gewählten Stilepoche. In einem historischen<br />
Stil zu bauen bedeutet, von seinem historischen<br />
Rahmen zu abstrahieren und ihn auf ein ästhetisches<br />
Zeichensystem zu reduzieren – paradoxerweise<br />
ist Historismus in der Architektur<br />
und den angewandten Künsten damit also etwas<br />
fundamental Ahistorisches.<br />
Nun sind aber gerade die jeweiligen historischen<br />
Rahmenbedingungen der Hintergrund, vor dem<br />
in der traditionellen Architektur eine Bauleistung<br />
deutlich und gültig wird: wie sich ein Bauwerk<br />
in eine Tradition einfügt (oder davon abweicht),<br />
wie es die Ansprüche erfüllt, die die Gesellschaft<br />
an es stellt. Vor diesem Hintergrund lässt es sich<br />
bewerten. Wo dieser Rahmen fehlt, ist zwar<br />
vieles möglich; doch bietet der Gebrauch dieser<br />
Möglichkeiten kaum die Chance auf Relevanz.<br />
Wenn im 16. Jahrhundert – von Palladio streng<br />
gerügt – gesprengte Giebel als Motiv entwickelt<br />
werden; wenn im Palazzo del Tè mit Lust gegen<br />
die klassische Syntax verstoßen wird; wenn seit<br />
Michelangelo große Säulen- oder Pilasterordnungen<br />
mehrere Geschosse zusammenfassen,<br />
dann sind dies Kühnheiten, in ihrer Zeit mit dramatischer<br />
Wirkung und mit Einfluss auf die Architekturentwicklung.<br />
Im 19. Jahrhundert sind<br />
solche „Erfindungen“, wenn sie denn gemacht<br />
werden, nicht von allgemeiner Bedeutung und<br />
auch nicht unbedingt stilbildend.<br />
Anders als für die <strong>Architekten</strong> der Moderne sind<br />
die Stile für die <strong>Architekten</strong> des Historismus noch<br />
maßgeblich und Vorbild; dabei sind sie aber unwiderruflich<br />
historisch und ohne konkrete Verbindlichkeit;<br />
der Historist hat Stile zur Auswahl,<br />
aber keine Tradition als Ausgangspunkt. Er ist<br />
zwar frei in der Wahl des Stils und innerhalb<br />
des Stils bis zur Beliebigkeit frei in der Wahl der<br />
Formen. Er ist aber zugleich in anderer Weise<br />
gebunden: Innerhalb eines historischen Formenrepertoires<br />
kann er keine eigene Entwick-<br />
46
lung in Gang setzen, wie dies seine historischen<br />
Vorbilder taten. Die Weiterentwicklung hat es<br />
bereits gegeben, der historistische Architekt<br />
weiß bereits, „wie die Geschichte weitergeht“.<br />
Nun ließe sich einwenden, dass die tatsächliche<br />
historische Entwicklung ja nicht ohne Alternativen<br />
bleiben muss. Dann aber muss der<br />
Historist den Boden der Geschichte verlassen:<br />
Die Grundlage des Historismus, der wiedererkennbare<br />
historische Stil, das feststehende Vokabular,<br />
wird dann aufgegeben. Es hat nicht an<br />
Versuchen gefehlt, diesen Weg zu beschreiten;<br />
Beispiele sind die Architektur der Wiener Staatsoper<br />
oder der Maximiliansstil in München. Die<br />
vorwiegend ablehnenden Reaktionen auf solche<br />
Versuche und deren relative Folgenlosigkeit<br />
für die Gesamtentwicklung des Historismus zeigen,<br />
dass aber gerade dieser Versuch, den Historismus<br />
aus sich selbst heraus zu überwinden,<br />
gleichsam aus toten Sprachen eine neue Kunstsprache<br />
zu machen, nicht akzeptiert wurde.<br />
ist der Stil als Formensprache weitgehend resistent<br />
gegen Auflösung und Veränderung. Dies<br />
gilt nicht nur für die einzelne Form als Vokabel,<br />
sondern auch, um bei der Sprachanalogie zu<br />
bleiben, weitgehend für Grammatik und Syntax<br />
der historischen Stile.<br />
Welche Möglichkeiten der Gestaltung bieten<br />
sich aber vor diesem Hintergrund nun dem historistischen<br />
<strong>Architekten</strong> Dazu mehr demnächst<br />
an dieser Stelle.<br />
Cornelius Tafel<br />
Stilpluralismus im Historismus hat also scheinbar<br />
widersprüchliche Konsequenzen: Einerseits<br />
führt die freie Wählbarkeit und die Herauslösung<br />
des Stils aus seinem traditionellen Bedeutungszusammenhang<br />
zu Relativierung und Bedeutungsverlust<br />
der Einzelformen. Andererseits<br />
47
Leute und Bauten Alexander von Branca 90<br />
Er kann nun auf ein langes bewegtes und bewegendes<br />
Leben zurückblicken, Alexander Freiherr<br />
von Branca. „Ein Unangepaßter, der durch die<br />
Wechselfälle der Zeitläufte und seines Schicksals<br />
seinen eigenen Weg gegangen ist, allein,<br />
aufrecht und ohne nach links und rechts zu<br />
schauen“, wie ihn der Freund J. C. Ottow in einer<br />
Buchbesprechung beschrieben hat. Sie galt<br />
den „Facetten eines Lebens“, den anrührenden<br />
Erinnerungen des damals Achtzigjährigen.<br />
In der Zeitspanne eines halben Jahrhunderts hat<br />
von Branca sein beeindruckendes Gesamtwerk<br />
geschaffen, das die unterschiedlichsten Bauaufgaben<br />
einschließt, an dem der Sakralbau jedoch<br />
den gewichtigsten Anteil hat. Als ich zum Studium<br />
nach München kam, war die Klosterkirche<br />
Herz Jesu (in Arbeitsgemeinschaft mit H.<br />
Groethuysen) gerade fertig geworden. In ihrer<br />
Synthese von traditionsverpflichteter Raumidee<br />
und moderner Gestaltung kann sie als erste<br />
Neuinterpretation eines (katholischen) Sakralbaus<br />
der Nachkriegszeit gelten.<br />
In und für München ist Alexander von Branca<br />
vor allem anderen der Architekt der Neuen Pinakothek.<br />
„Der Bau wird heute von zahlreichen<br />
Besuchern um der Präsentation der Bilder willen<br />
gelobt, von offiziellen Kritikern jedoch zerfetzt<br />
wie so oft in meinem Leben“, beklagt er sich.<br />
Mit Stirlings Staatsgalerie in Stuttgart war es<br />
nicht anders: Aufschrei vor allem der im Wettbewerb<br />
zu kurz Gekommenen. Den Leuten<br />
gefiel sie auf Anhieb. Für wen arbeiten wir <strong>Architekten</strong><br />
Zwischen dem Wettbewerb für die<br />
Pinakothek (mit über 200 Einsendungen) und<br />
der Fertigstellung vergingen fast 15 Jahre. Das<br />
geht weder am <strong>Architekten</strong> noch an seinem<br />
Werk spurlos vorüber.<br />
Die Kritik störte sich vornehmlich an den Fassaden.<br />
Hatte der Architekt sich inzwischen zum<br />
Postmodernen gewandelt In den einschlägigen<br />
Publikationen wird er, soweit ich sehe, als ein<br />
solcher nicht geführt. Er schien mir eher von den<br />
Tendenzen der Formerweiterung der sechziger<br />
Jahre in England und Nordamerika beeinflusst<br />
gewesen zu sein. Eine postmoderne „Ironie“<br />
wie bei Stirling war ihm jedenfalls völlig fremd.<br />
Für J. M. Montaner (Neue Museen, 1990) ist<br />
und bleibt die Neue Pinakothek als Kunstmuseum<br />
„ein großartiges Beispiel mit seiner offenen<br />
Form und seinen klaren Raumstrukturen“ und,<br />
so möchte ich ergänzen, der unübertroffenen<br />
Qualität seines Tagesoberlichts.<br />
49
Von Branca war ein Meister im Umgang mit<br />
dem Naturstein als Mauerwerk mit seinen optischen<br />
und haptischen Reizen, wie sonst nur<br />
noch bei historischen Bauten zu erleben. Ich<br />
nenne hier nur die Kapelle auf Schloss Hirschberg<br />
und die Klosterkirche auf dem Berg Schönstatt<br />
bei Koblenz.<br />
Abschließen möchte ich mit einem Zitat aus den<br />
„Facetten“: „Die Architektur, Werk und Leistung,<br />
ist nie die Sache eines Einzelnen. Eine Idee<br />
sicherlich, aber der Weg von der Idee zum Werk<br />
ist weit und abhängig von vielen Bedingtheiten.<br />
Und je schlichter, je einfacher die Architektur<br />
ist – und, wenn man Glück hat, doch noch ein<br />
ansehbares Werk darstellt – , um so mühevoller<br />
kann der Weg zum Ziel sein.“<br />
Wilhelm Kücker<br />
Werner Wirsing 90<br />
Zum Glück sind unsere <strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> bisher<br />
ja ein Familienblättchen geblieben! Und so<br />
darf man, kollegial-freundlich geduldet, auch<br />
Altbekanntes aus der Familiengeschichte immer<br />
wieder hervorkramen.<br />
Dass sich zum Beispiel an Werner Wirsing und<br />
seinem Geburtsdatum nichts verändert hat<br />
seit wieder fünf Jahren – auch nicht an seiner<br />
kraftvollen Teilhabe an unserer <strong>Architekten</strong>gemeinschaft.<br />
Ohne professoral abzuheben, gibt<br />
er weiterhin Anstöße fürs Denken und Tun als<br />
eines unserer wandelnden Wissen und Gewissen.<br />
Real wirkt er zwischen uns und wird jetzt<br />
halt einfach 90 Jahre...<br />
Er verkörpert unsere Idee, wie einfach, grad und<br />
richtig wir und vieles sein könnte, stellt sich vor<br />
die Alten, die Jungen und die ganz Jungen hin<br />
und erzählt, wie die Zeiten so gelaufen sind, ist<br />
selbst ein Stück Zeitgeschichte, und sogar seine<br />
Patina ist echt…<br />
Über seine gebauten Nachhaltigkeiten kann<br />
sicher jemand auch noch ein gescheites Buch<br />
schreiben. Wir aber fassen unsere bisherigen<br />
Jubelrufe in einer fiktiven Sonderausgabe der<br />
<strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> zusammen und brauchen<br />
künftig nur noch selber bei uns abzuschreiben…<br />
Und so sagen wir leichthin zu unserem Mitwanderer<br />
neben uns erneut: Glück für ferner!<br />
Salve Werner!<br />
Franz Lichtblau<br />
50
Walther Betz 80<br />
Walther Betz wurde in Würzburg geboren, das<br />
für ihn immer noch der Mittelpunkt der Welt<br />
ist. Den Barock hat er mit der Muttermilch aufgesogen.<br />
Er hat erlebt, wie im März 1945 die<br />
Stadt zerbombt wurde. Mit dem Fahrrad fuhr<br />
er durch die brennende Residenz, die von niemandem<br />
gelöscht wurde, und er sah wie der<br />
große Lüster unter dem Tiepologemälde auf die<br />
Treppe herunter brach.<br />
Nach dem Krieg machte er seine ersten Erfahrungen<br />
bei Professor Boßlet, hat dann an der<br />
TH München und an der ETH Zürich studiert.<br />
Nach dem Diplom arbeitete er im Büro von Professor<br />
Sep Ruf und schrieb seine Doktorarbeit<br />
bei Professor Friedrich Krauss.<br />
Büro und Ehe mit Kollegin. Erste Familienhäuser<br />
in Franken und am Starnberger See. Bauten in<br />
Würzburg, München, Berlin und die Deutsche<br />
Botschaft London, Auslandsprojekte in Istanbul<br />
und Karachi. Auszeichnungen: 1971 <strong>BDA</strong> Preis<br />
Bayern, 1973 Kulturpreis der Stadt München,<br />
1979 Civic Trust Award, British Concrete Society<br />
Award, 1981 <strong>BDA</strong> Preis Bayern.<br />
Die letzten Projekte, wie das Bürogebäude<br />
„Nymphe“ am Stiglmeierplatz in München,<br />
entstanden zusammen mit Sohn Oliver. Und<br />
immer begleitet ihn die Musik …<br />
Bea Betz<br />
Enno Burmeister 80<br />
Bauwerke als Bühne ihrer selbst, die nach Erneuerung<br />
und Belebung verlangen, stehen seit<br />
jeher für Enno Burmeister im Zentrum seines<br />
Lebens und Tuns. Schon als er 1960 bei Oswald<br />
Hederer in seiner ersten Doktorarbeit das Thema<br />
„Raum – Bühne“ wählte, zeigte sich seine<br />
Leidenschaft zum Kunstwerk Theater, wobei<br />
die atmosphärische Qualität des Zusammenspiels<br />
von szenischer Wahrnehmung im gebauten<br />
Ort als mystische Erfahrung von besonderer<br />
Bedeutung war. Auch in seiner zweiten Doktorarbeit<br />
„Die Wening Schlösser“ bei Norbert<br />
Lieb befasste er sich mit dem Thema der Erforschung<br />
von Bauwerken und ihrer Inszenierung<br />
aus historischer Sicht. Folgerichtig beginnt sein<br />
Weg nach dem Studium an der TH München<br />
mit der Sanierung und Restaurierung von Kirchen<br />
und Schlössern im Auftrag des Landesamtes<br />
für Denkmalpflege. Seine Professur an<br />
51
der FH München für Architekturgeschichte und<br />
Denkmalpflege, deren Einführung als Unterrichtsfächer<br />
seiner Initiative zu verdanken ist,<br />
und seine Lehrtätigkeit am Institut für Theaterwissenschaft<br />
der Universität München im Fach<br />
Geschichte und Theorie der Theaterarchitektur<br />
spiegeln seine Interessen überzeugend wider.<br />
Seine zahlreichen Reisen zu antiken Theatern in<br />
Großgriechenland, Italien und den römischen<br />
Provinzen wurden Bestandteil seiner Lehrveranstaltungen,<br />
und in vielen Publikationen sind die<br />
grundsätzlichen Fragen des Theaterbaus, seiner<br />
Bauteile, seiner Akustik, der Theatermaschinen<br />
sowie der Theaterbetrieb und sogar die Atmosphäre<br />
des besuchten Theaters beschrieben.<br />
Mitten hinein in eine Welt selbstgefälliger Inszenierung<br />
von Architektur macht sich Burmeister<br />
– so scheint es – ein eigenes Geburtstagsgeschenk<br />
in schlichter Schwarzweisheit mit einem<br />
grundlegenden Band mit dem ebenso schlichten<br />
Titel „Antike griechische und römische<br />
Theater“. Was so wenig theatralisch daherkommt,<br />
entpuppt sich als Sammlung von hoher<br />
Detailkenntnis und gibt dem Interessierten<br />
einen schlüssigen Überblick über die Wurzeln<br />
der Theaterarchitektur. Ein Buch wie der Autor<br />
selbst: bescheiden, korrekt, immer sachlich und<br />
zurückhaltend. Diese Haltung prägt seine Person<br />
bis heute, sie prägte seine Lehre und auch<br />
seine Position als Heimatpfleger der Landeshauptstadt<br />
München, in der Enno Burmeister<br />
unermüdlich eine sinnvolle Synthese zwischen<br />
neuem Bauen und Denkmalpflege förderte.<br />
Erwien Wachter<br />
Enno Burmeister, Antike griechische und<br />
römische Theater; Verlag Wissenschaftliche<br />
Buchgesellschaft Darmstadt, ISBN 978-3-534-<br />
18495-8, EUR 42,90<br />
Müncher Stadtbaurätin ist<br />
Honorarprofessorin an der HFT Stuttgart<br />
Der Senat der Hochschule für Technik Stuttgart<br />
hat Frau Dr. Elisabeth Merk zur Honorarprofessorin<br />
ernannt. Nach dem Architekturstudium in<br />
Regensburg und einem weiterführenden Studium<br />
der Architektur an der Universität in Florenz<br />
folgten Promotion und freiberufliche Tätigkeit<br />
in Italien. Von 1995 bis 1999 war sie bei der<br />
Stadt München und bei der Stadt Regensburg<br />
tätig. Von 2000 bis 2005 war sie Leiterin des<br />
Stadtplanungsamtes in Halle an der Saale. Nach<br />
der Berufung als Professorin an die HFT Stuttgart<br />
lehrte sie zwei Jahre an der Fakultät Archi-<br />
52
Veranstaltungen<br />
tektur und Gestaltung Städtebau und Stadtplanung.<br />
Seit 2007 ist sie Stadtbaurätin der<br />
Landeshauptstadt München. Als Honorarprofessorin<br />
wird sie auch zukünftig Workshops<br />
und Wahlfächer in den Master-Studiengängen<br />
Stadtplanung und Architektur anbieten.<br />
aus: muenchenarchitektur.com<br />
Bauherr Kirche. Der Architekt<br />
Karljosef Schattner<br />
Ausstellung vom 19. Juni bis 7. August 2009<br />
in München<br />
Der Architekt Karljosef Schattner vollendet am<br />
24. August 2009 sein 85. Lebensjahr. Aus diesem<br />
Anlass ehrt die DG Deutsche Gesellschaft<br />
für christliche Kunst ihr langjähriges Mitglied<br />
mit einer Ausstellung in ihrer Münchner Galerie<br />
an der Finkenstraße. Von 1957 bis 1992 als Diözesanbaumeister<br />
tätig, bescherte Schattner der<br />
Bischofsresidenz Eichstätt nach den Baumeistern<br />
des Mittelalters und den Meisterarchitekten des<br />
Barock zum dritten Mal einen baukulturellen<br />
Höhepunkt. Die Ausstellung dokumentiert vor<br />
allem seine Bauten für die Katholische Universität<br />
in Eichstätt, die internationale Anerkennung<br />
gefunden haben. Das Hauptthema ist „Neues<br />
Bauen in alter Umgebung“ – moderne Architektur<br />
in der Barockstadt. Schattners Neubauten,<br />
Sanierungen und Erweiterungen werden in<br />
perfekten Fotografien von Klaus Kinold sowie<br />
durch neu gezeichnete Pläne und Schnitte präsentiert.<br />
Es soll gezeigt werden, dass Schattners<br />
Leistungen aktuell und zukunftsweisend geblieben<br />
sind. Zur Ausstellung erscheint in Zusammenarbeit<br />
mit dem Deutschen Kunstverlag<br />
ein Katalogbuch, das ca. 120 Seiten mit ca. 80<br />
Abbildungen enthält. Die Eröffnung der Ausstellung<br />
findet am Donnerstag, 18. Juni 2009,<br />
um 19 Uhr in der Galerie der DG an der Finkenstraße<br />
in München statt.<br />
Wolfgang Jean Stock<br />
Foto: Klaus Kinold, Diözesanmuseum Eichstätt<br />
53
Umbau als Chance<br />
Tagung der Akademie Tutzing in Kooperation<br />
mit dem <strong>BDA</strong> Landesverband Bayern<br />
Demografischer Wandel und schrumpffende<br />
Städte bedingen einen Paradigmenwechsel in<br />
der Stadt- und Landesentwicklungsplanung:<br />
Konsolidierungs- und Konzentrationsstrategien<br />
ersetzen Wachstumskonzepte. Der kreative<br />
Umgang mit dem Bestand wird zur Überlebensfrage<br />
ganzer Regionen.<br />
Die Tagung findet vom 15. bis 17. Mai 2009<br />
statt. Das Programm finden Sie als Beilage zu<br />
diesem Heft oder im Internet unter www.bdabayern.de/Aktuelles/Veranstaltungen.<br />
Christa Weissenfeldt<br />
Klaus Kinold – Der Architekt<br />
photographiert Architektur<br />
Austellung im Architekturmuseum in der<br />
Pinakothek der Moderne in München vom<br />
12. März bis 31. Mai 2009<br />
Diese lohnenswerte Ausstellung beschreibt das<br />
Werk eines Photographen, der Architekturvermittlung<br />
als seine besondere Aufgabe auserwählte.<br />
„ Ich will Architektur zeigen, wie sie<br />
ist“, fast banal erklärt Klaus Kinold seine Zielsetzung<br />
und macht doch gleichzeitig verständlich,<br />
warum ihn manche der Großen der Architektur<br />
zu ihrem bevorzugten Dokumentator wählten.<br />
Die Bilder erzählen davon, dass keine Zeit zu<br />
schade war, die Bauten tiefgreifend zu erfassen<br />
und die angemessenen „Seh-Orte“ zu ergründen,<br />
sie erzählen aber auch davon, dass es gilt,<br />
den Photographen zurücktreten zu lassen und<br />
verführerische Perspektiven zu vermeiden, um<br />
im Frontalen den unverfälschten Charakter der<br />
Bauten zu durchdringen. Dass diese Ausstellung<br />
nur einen Bruchteil des bisherigen Werks<br />
repräsentiert, mindert in keiner Weise ihre Qualität.<br />
Die gezeigten Fotos, analog fotografiert<br />
und von Hand abgezogen, geben in ihrer Auswahl<br />
einen überzeugenden Eindruck, was es<br />
heißt, wenn von erklärendem Sehen und von<br />
dokumentarischer Interpretation die Rede ist.<br />
Von seinem Lehrer Egon Eiermann lernte der<br />
nunmehr Siebzigjährige die klare und nüchterne<br />
Durchdringung architektonischer Probleme<br />
sowie die Präzision des Gestaltens, die er auf<br />
seine Photographien überträgt.<br />
Zur Ausstellung ist ein Katalog in der Edition<br />
Minerva ISBN 978-3-938832-50-9 erschienen.<br />
Erwien Wachter<br />
54
Gehört – gelesen<br />
Lösung der Frage aus den<br />
<strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> 4-2008<br />
1940 hat Veit Harlan, ein damals unter den<br />
Nationalsozialisten weithin bekannter Filmregisseur<br />
den antisemitischen Film „Jud Süß“ gedreht.<br />
Der Film hat das Schicksal des geheimen<br />
Finanzrats Josef Süß-Oppenheimer zum Inhalt.<br />
Süß-Oppenheimer war vom württembergischen<br />
Herzog Karl Alexander (1684-1737) zum Leiter<br />
der Wirtschaft und der Finanzen des Landes<br />
gemacht worden. Er gründete Manufakturen<br />
für Salz, Leder, Wein und Tabak, gründete Kaffeehäuser<br />
und eine Lotterie. Die solchermaßen<br />
erzielten Gewinne kamen ihm selbst, aber auch<br />
dem Land und seinem Herzog zugute.<br />
Nach dem Tode des Herzogs wurde Süß-<br />
Oppenheimer verhaftet, misshandelt und<br />
schließlich zum Tode verurteilt, obgleich ein<br />
berühmter württembergischer Jurist die Verurteilung<br />
als ungerecht bezeichnete. Das Schicksal<br />
des Finanzrats ist Inhalt einer Novelle von<br />
Hauff und eines Romans von Feuchtwanger<br />
und schließlich auch des eingangs erwähnten<br />
nazistischen Films.<br />
Die neue Frage lautet<br />
Zwei bedeutende Länder entschlossen sich,<br />
Besitzungen, die ihnen gehörten, zu tauschen.<br />
Obgleich diese Besitztümer, sowohl was ihre<br />
Größe anging, als auch im Hinblick auf ihre<br />
Situation und ihre sonstigen Eigenschaften,<br />
höchst unterschiedlich waren, glaubten beide<br />
Länder, zunächst einen guten Tausch gemacht<br />
zu haben, einer Überzeugung, der sie auch<br />
nach heftigsten Auseinandersetzungen in den<br />
inzwischen verstrichenen Zeiträumen (und hoffentlich<br />
auch in Zukunft) anhängen werden.<br />
Um welche Besitzungen welcher Länder handelt<br />
es sich<br />
Peter C. von Seidlein<br />
56
Man sollte darüber<br />
sprechen<br />
Vom <strong>Architekten</strong>- zum Planerwettbewerb<br />
„Novellierung“ bedeutet in der politischen<br />
Praxis meist eine Verschlimmbesserung (HOAI,<br />
GRW). Besser für den Gesetzgeber, schlimmer<br />
für den Gesetznehmer. Im Hinblick auf die gegenwärtige<br />
Handhabung unseres Wettbewerbwesens<br />
ist das für Letzteren allerdings kaum<br />
noch möglich. Tatsächlich mahnt denn auch die<br />
neue Richtlinie das Einhalten geltender Grundsätze<br />
an, die von den Verantwortlichen ständig<br />
unterlaufen werden.<br />
Was mich irritiert ist allerdings die Umbenennung<br />
des <strong>Architekten</strong>wettbewerbs in einen Planungswettbewerb.<br />
Was verbirgt sich dahinter<br />
Soll der Teilnehmerkreis erweitert werden Und<br />
sollen statt wie bisher Entwürfe, also Grundlagen<br />
für eine Planung, gleich die Planungen<br />
(komplett) eingereicht werden Dazu § 1 (1)<br />
Definition: Wettbewerbe dienen dazu, dem<br />
Auftraggeber eine Planung zu verschaffen. Das<br />
darf doch nicht wahr sein!<br />
Nun aber zu den Details: Es gibt nur offene und<br />
nicht offene Wettbewerbe. Ein sogenannter<br />
begrenzt offener Wettbewerb verstieß schon<br />
gegen die GRW. Alle Teilnehmer sind gleich zu<br />
behandeln. Dieser GRW-Grundsatz ist mit dem<br />
„begrenzt offenen“ Verfahren permanent missachtet<br />
worden. Es darf keine Diskriminierung<br />
geben. Genau das jedoch geschieht durch den<br />
„begrenzt offenen“ Wettbewerb fortwährend.<br />
Die Auswahl erfolgte nicht mehr nach „aufgabenbezogenen<br />
qualitativen Kriterien“ (RPW<br />
2008), sondern ausschließlich nach quantitativen.<br />
Das ist Apartheitpolitik. Zweiklassensystem<br />
der Kammermitgliedschaft (A- und B-Klasse)<br />
bei gleichem Mitgliedsbeitrag.<br />
„Der Grundsatz eines transparenten und anonymen<br />
Verfahrens besteht nach wie vor.“<br />
(Minister Tiefensee in „wettbewerbe aktuell“<br />
12/2008). Aber nicht bei uns. Hier entscheidet<br />
eine „vorgeschaltete Kommission“ – durch<br />
nichts legitimiert – über die Teilnahme und<br />
übernimmt damit zugleich eine Quasi-Jury-<br />
Funktion vorneweg.<br />
In der Bekanntmachung einer Auslobung haben<br />
sämtliche am Verfahren Beteiligte benannt<br />
zu werden. Nichts davon geschah. Die Vorgeschalteten<br />
blieben anonym. Das war mit „anonymen“<br />
Verfahren allerdings nicht gemeint<br />
(siehe Transparenz!). Sehr zu hoffen bleibt nun,<br />
dass es mit diesem gefinkelten Procedere und<br />
der Klüngelei ein Ende hat.<br />
Wilhelm Kücker<br />
57
Sanieren heißt Heilen, nur in Ingolstadt<br />
nicht<br />
In dem Standardwerk „Teatri e Auditori“ von<br />
Roberto Aloi (Milano 1972) nimmt das Ingolstädter<br />
Theater von Hardt-Waltherr Hämer<br />
breiten Raum ein. Der Autor rühmt seine Verbindung<br />
mit der historischen Umgebung, den<br />
einladenden Terrassen und Ebenen, die sich<br />
bis in die Gebäudefiguration fortsetzen, und<br />
scheut sich nicht, dieser Interaktion „grandiosità“<br />
nicht abzusprechen. Für mich ist es vor<br />
allem die organische Einbindung des „Bühnenturms“<br />
in die expressive Bauskulptur, die sonst<br />
nie so richtig gelingen will. Das Gebäude wird<br />
intensiv genutzt, ist kultureller Mittelpunkt der<br />
Stadt, also von den Leuten „angenommen“.<br />
Mit dem Sichtbeton, der einmal hohe Wellen<br />
der Abneigung schlug, haben sich die meisten<br />
Ingolstädter wohl abgefunden. „Beton“ ist ja<br />
nicht zuletzt ein Synonym für alles Schlechte<br />
in der Architektur, auch wenn keiner zu sehen<br />
ist. Gibt es aber für eine Bauplastik wie diese<br />
einen anderen die Homogenität ermöglichenden<br />
Baustoff<br />
Dass nach vierzig Jahren eine Dachsanierung<br />
nötig geworden war, versteht sich. Auch der<br />
Brandschutz musste nachgebessert werden.<br />
Kein Thema. Nun aber geht‘s ans Eingemachte.<br />
Trend deutscher Stadtbaupolitik, merkt „der architekt“<br />
dazu an, sei es, Bauten der Nachkriegszeit<br />
bis zur Unkenntlichkeit zu überformen.<br />
Auch in Ingolstadt denkt man schon darüber<br />
nach, ob man die Außenwände nicht dämmen<br />
müsse und dann mit einem gefälligeren<br />
Material verkleiden. Ich zitiere in solchem Zusammenhang<br />
gern den gewesenen Stadtbaurat<br />
von Leipzig: „Vom Volk der Denker und Dichter<br />
zum Volk der Dämmer und Abdichter.“ Auch<br />
die großen Glasflächen werden schon mal zur<br />
Disposition gestellt mit Rücksicht auf „ecologycal<br />
correctness“.<br />
Jetzt ist erst einmal die Überholung des Inneren<br />
angesagt. Sie wird sich über Jahre erstrecken.<br />
Aber ein Gesamtkonzept gibt es nicht.<br />
Das wird ein Gewurschtel aus lauter unzusammenhängenden<br />
Maßnahmen und – na klar<br />
– ohne Beteiligung des <strong>Architekten</strong>. Den hat<br />
man trickreich ausgeschaltet. Die ganze Zeit<br />
seit der Dachsanierung, erzählte er mir, hat er<br />
versucht, „den Finger hineinzukriegen“. Aber<br />
man hat ihn quasi „rausgeschmissen“ mit dem<br />
„Angebot“ unzumutbarer Konditionen („Hungerlohn“),<br />
die er schon allein aus rechtlichen<br />
Gründen (Haftung) gar nicht akzeptieren konnte.<br />
So wird das gemacht: Er hat ja nicht wol
Aktion – Reaktion<br />
len... Und wer ist nun zuständig Kaum zu<br />
glauben, aber Ingolstadt hat nicht einmal einen<br />
Stadtbaurat!!! Die Stelle ist schon eine Weile<br />
nicht mehr besetzt worden. Was verschlägt‘s:<br />
Das schaffen wir doch allein („und heimlich<br />
weiter mit fremden Büros“).<br />
Urheberrecht Denkmalschutz Seit 2002 ist<br />
Hämers Theater ein Baudenkmal. Dass die Vertreter<br />
der Landesdenkmalpflege wie auch der<br />
prominent besetzte Gestaltungsbeirat einen<br />
„Masterplan“ anmahnen, bleibt da ohne Wirkung.<br />
Vom Stadtrat ist keine Initiative zu erwarten.<br />
Nur eine Stadträtin von der SPD engagiert<br />
sich vernehmlich, findet aber anscheinend kein<br />
Gehör. Theater in Ingolstadt Ein Trauerspiel.<br />
Wilhelm Kücker<br />
Verlustmeldung.<br />
<strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> 4-2008, Seite 28<br />
Sehr geehrter Herr Professor Kücker, in Ihrem<br />
Beitrag „Verlustmeldung“ setzen Sie sich kritisch<br />
mit dem Berufsbild des <strong>Architekten</strong> und<br />
der Rolle der <strong>Architekten</strong>kammern, insbesondere<br />
der Fort- und Weiterbildungseinrichtungen<br />
der Kammern, auseinander. Hierzu gestatten<br />
Sie mir bitte folgende Anmerkungen: Gleich<br />
zu Beginn Ihres Artikels führen Sie aus, dass Ihr<br />
Berufsbild „nicht das der <strong>Architekten</strong>kammer“<br />
sei. Der Ausschuss „Berufsordnung“ der Bayerischen<br />
<strong>Architekten</strong>kammer ist derzeit intensiv<br />
mit der Erarbeitung eines Berufsbildes befasst,<br />
das im Wesentlichen auf der Ausarbeitung einer<br />
Gruppe von Kollegen unter Führung von<br />
Prof. Werner Wirsing aus dem Jahr 1993 beruht,<br />
allerdings aufgrund der Entwicklung der<br />
politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen,<br />
innerhalb derer <strong>Architekten</strong>, Innenarchitekten<br />
und Landschaftsarchitekten tätig<br />
sind, der Aktualisierung bedarf. Die Verabschiedung<br />
ist für die nächste Sitzung der Vertreterversammlung<br />
im Juni 2009 vorgesehen. Auch<br />
der <strong>BDA</strong> ist intensiv in die Beratungen eingebunden.<br />
Ich würde mich deshalb freuen, wenn<br />
Sie sich über Ihren Berufsverband ebenfalls einbringen<br />
würden, damit Sie sich künftig mit dem<br />
Berufsbild der Kammer identifizieren können.<br />
Neu ist mir, dass Sie Mitglied einer „Handelskammer“*<br />
sind – es sei denn, Sie sind inzwischen<br />
gewerblich tätig. Nach wie vor vertreten<br />
die <strong>Architekten</strong>kammern ausschließlich die Interessen<br />
des freien Berufs des <strong>Architekten</strong>. Dass<br />
die Führung eines Architekturbüros auch entsprechende<br />
betriebswirtschaftliche Kenntnisse<br />
59
erfordert, ändert daran nichts – im Gegenteil:<br />
Es ist nicht zuletzt Pflicht der Kammern, Fortund<br />
Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten,<br />
die ihre Mitglieder in die Lage versetzen, ihren<br />
Beruf – auch wirtschaftlich – erfolgreich auszuüben.<br />
In der täglichen Beratungspraxis der Geschäftsstelle<br />
wird leider nur allzu oft deutlich,<br />
dass es gerade an diesen Kenntnissen und Fähigkeiten<br />
vielfach mangelt.<br />
Dagegen hat der Präsident der Bayerischen<br />
<strong>Architekten</strong>kammer entgegen Ihren Ausführungen<br />
zu keiner Zeit geäußert, „dass Entwerfen<br />
nur mehr Nebensache“ sei; dies entspricht<br />
weder seiner persönlichen Auffassung noch ist<br />
dies die Haltung der Kammer.<br />
Schließlich setzen Sie sich mit dem Angebot<br />
der Akademie für Fort- und Weiterbildung der<br />
Bayerischen <strong>Architekten</strong>kammer auseinander.<br />
Ihren Angaben zufolge soll der Personalstand<br />
der Akademie „zwischen ein und zwei Dutzend<br />
betragen“. Richtig ist, dass gerade einmal 4,5<br />
Stellen innerhalb der Geschäftsstelle auf die<br />
Akademie entfallen, die Arbeitskraft des Geschäftsführers<br />
„Architektur und Technik“, der<br />
diesen Bereich mitverantwortet, nicht mitgerechnet.<br />
Allein 2007 wurden mit diesem verhältnismäßig<br />
kleinen Team 271 Veranstaltungstage<br />
in ganz Bayern organisiert und durchgeführt<br />
– ein Volumen, das mit den Anfängen der Kammer<br />
in den Siebzigerjahren nicht ansatzweise<br />
vergleichbar ist.<br />
Auch Ihre Aussage, dass sich der „traditionelle“<br />
Architekt im Programm nicht mehr berücksichtigt<br />
findet, ist in keiner Weise zutreffend:<br />
Seminare zu Planung und Entwurf, zu Baukonstruktion<br />
und Bautechnik finden sich ebenso<br />
wie Veranstaltungen zum Vertragswesen sowie<br />
zum Planungs- und Baurecht – alles „klassische“<br />
<strong>Architekten</strong>themen. Dass sich die Akademie<br />
darüber hinaus neuen Bereichen widmet,<br />
um auch diese ihren Mitgliedern zugänglich zu<br />
machen, entspricht dem gesetzlichen Auftrag<br />
der Kammer, das Gesamtinteresse ihrer Mitglieder<br />
zu wahren: Nicht alle <strong>Architekten</strong> sehen sich<br />
ausschließlich als Entwurfsplaner – immer mehr<br />
entdecken „Nischen“ der <strong>Architekten</strong>tätigkeit<br />
für sich. Die Akademie nimmt für sich in Anspruch,<br />
eine so breit gefächerte Veranstaltungspalette<br />
anzubieten, dass jedes Mitglied Nutzen<br />
daraus ziehen kann – sofern es dazu bereit ist.<br />
Lassen Sie mich abschließend noch kurz zu der<br />
von Ihnen kritisch beleuchteten Fortbildungspflicht<br />
für <strong>Architekten</strong> Stellung nehmen: Diese<br />
Verpflichtung ist seit jeher für alle Kammermit-<br />
60
glieder in den jeweiligen Berufsordnungen der<br />
Länderkammern festgeschrieben und damit<br />
ohnehin zwingend zu beachten. Neu ist seit<br />
einigen Jahren, dass einzelne Länderkammern<br />
eine Überwachung und Sanktionierung dieser<br />
Verpflichtung eingeführt haben. Die von Ihnen<br />
der <strong>Architekten</strong>- und Stadtplanerkammer Hessen<br />
unterstellte Motivation, auf diesem Weg<br />
die Existenz ihrer „besonders aufgeblähten“<br />
Akademie zu sichern, erweist sich bei näherem<br />
Hinsehen als unzutreffend. Vielmehr sehen die<br />
betroffenen Kammern darin ein Instrument zur<br />
Qualitätssicherung der Leistungen des Berufsstandes,<br />
um das Vertrauen der Bauherren in die<br />
Qualifikation der <strong>Architekten</strong> zu rechtfertigen.<br />
Ob dieses Ziel mittels einer Überwachung der<br />
Fortbildung erreicht werden kann, mag bezweifelt<br />
werden. Der Vorstand der Bayerischen <strong>Architekten</strong>kammer<br />
ist der Auffassung, dass die<br />
Bereitschaft zum lebenslangen Lernen nicht<br />
durch die Kammer erzwungen werden kann. An<br />
deren Notwendigkeit zweifelt er keineswegs.<br />
Sabine Fischer, Bayerische <strong>Architekten</strong>kammer<br />
*Anmerkung der Redaktion: Damit meinte<br />
Wilhelm Kücker in seinem Beitrag die <strong>Architekten</strong>kammer.<br />
Auf der Suche nach der verlorenen<br />
Wahrheit<br />
<strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> 4-2008, Seite 10<br />
In Krisenzeiten wird gelegentlich Hand in Hand<br />
von notwendigen Opfern geredet, die jene zu<br />
erbringen haben, die meist nicht die Verursacher<br />
der Krisen sind. Der Gewinnmaximierung<br />
fallen Ethik und Moral zum Opfer, deren Deutung<br />
mehr und mehr den ökonomisch Mächtigen<br />
unterliegt. Also, was wundert es, wenn sogar<br />
ohne ersichtliche Krisensituation im Zusammenhang<br />
mit der Neubebauung des ehemaligen<br />
SZ-Geländes der verantwortlich Planende<br />
in einer öffentlichen Informationsveranstaltung<br />
bekundet, dass für seine neue Planung nun mal<br />
ein Opfer zu erbringen sei. Vom Abriss des sogenannten<br />
Schwarzen Hauses ist die Rede. Das<br />
Opfer, das hier leichtfüßig genannt ist, meint<br />
schlichtweg das Verschwinden eines architektonischen<br />
Erbes und mit ihm den Verlust eines<br />
Zeugen der Ideale und des Selbstverständnisses<br />
seiner Zeit.<br />
Ob sich dieses Opfer – an welche „höheren<br />
Wesen“ auch immer gerichtet – überhaupt jemals<br />
lohnen wird, ist für mich jedenfalls mehr<br />
als fraglich.<br />
Erwien Wachter<br />
61
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