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Kunst geht in die Natur

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e<strong>in</strong> <strong>Kunst</strong>werk lässt <strong>die</strong> Frage ... und das soll <strong>Kunst</strong> se<strong>in</strong> stellen, während e<strong>in</strong><br />

anderes so nahtlos mit der <strong>Natur</strong> im E<strong>in</strong>klang steht, dass es fast unbemerkt<br />

bleibt. Aber alle s<strong>in</strong>d aktuell. Und sie s<strong>in</strong>d nicht immer nur schön. Denn <strong>die</strong><br />

zeitgenössische <strong>Kunst</strong> wird nicht mehr etwas pathetisch durch das Wahre,<br />

Schöne und Gute bestimmt, sondern es s<strong>in</strong>d andere Parameter, <strong>die</strong> sie erklären:<br />

1. Auffällig ist unter anderem <strong>die</strong> Absicht zu schockieren. Dazu gehört das<br />

Zerbrechen traditioneller Regeln, wie sie <strong>die</strong> Tradition gelehrt hatte. Nun<br />

wird Innovation fast um jeden Preis <strong>die</strong> wichtigste Voraussetzung für das, was<br />

als <strong>Kunst</strong> gilt: Man dichtet, malt, komponiert mehr und mehr unorthodox,<br />

zersetzt <strong>die</strong> klassischen Regeln der <strong>Kunst</strong>, <strong>die</strong> auf Harmonie zielten.<br />

Wie unkonventionell e<strong>in</strong> moderner Künstler e<strong>in</strong> klassisches Thema <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

neuen und für den Betrachter ungewohnten Formensprache artikuliert, zeigt<br />

<strong>die</strong> Skulptur „Der Hirte“ von Markus Lüpertz, <strong>die</strong> am E<strong>in</strong>gang des Restaurants<br />

zum Schwe<strong>in</strong>sbräu <strong>in</strong> Herrmannsdorf steht. Es ist ke<strong>in</strong>e nach klassischen Vorbildern<br />

entwickelte Standbe<strong>in</strong>-Spielbe<strong>in</strong>-Skulptur, sondern unproportionierte<br />

Körperteile befremden. Diese Skulptur verleugnet e<strong>in</strong>e konventionelle Ästhetik<br />

und fordert vielleicht gerade dadurch ihre Wahrnehmung heraus.<br />

2. Der Begriff der Realität löst sich auf, und verschiedene Wirklichkeitsebenen<br />

durchdr<strong>in</strong>gen sich. Realität wird der schwierigste Begriff der Geistesgeschichte,<br />

und dessen Relativität macht vor der <strong>Natur</strong>wissenschaft nicht halt. Alles ist<br />

relativ wird zum Kennwort der Moderne.<br />

Realistische aus unserer sichtbaren Welt entnommene Details verfremden<br />

Mimmo Palad<strong>in</strong>os Skulptur „Assediato (Belagerung)“, <strong>die</strong> unübersehbar im<br />

Innenhof des Gutes Sonnenhausen steht (siehe Seite 37). Vieles ist verrätselt<br />

und verweigert sich e<strong>in</strong>er schlüssigen Interpretation. Alles und vor allem <strong>die</strong><br />

Zeichen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Figuren tragen, verweisen auf etwas, was über <strong>die</strong> gewohnte<br />

Realität h<strong>in</strong>aus<strong>geht</strong>, und man ahnt eher e<strong>in</strong>e mögliche Bedeutung, als dass<br />

man sie verbalisieren könnte.<br />

3. Der Hang zur Selbstbefragung und zur Subjektivität wird e<strong>in</strong> weiteres<br />

Kennzeichen e<strong>in</strong>er Modernität. Damit befreit sich <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> von ihrem idealistischen<br />

Anspruch, Wahrheiten zu verkünden, sondern sie formuliert und<br />

artikuliert ihre Aussagen im Bewusstse<strong>in</strong>, dass es stets nur neue und weitere<br />

relative Wahrheiten gibt. Unabhängig von e<strong>in</strong>er Interpretation e<strong>in</strong>es kundigen<br />

Experten erlaubt jedes <strong>Kunst</strong>werk e<strong>in</strong>e eigene subjektive Deutung. Das Erleben<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Kunst</strong>werks hat ke<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Bedeutung als das Wissen um Bedeutung,<br />

Stilistik, Rang <strong>in</strong> der <strong>Kunst</strong>.<br />

4. <strong>Kunst</strong> war zwar immer kommentarbedürftig, aber mit der H<strong>in</strong>wendung<br />

zur Abstraktion und <strong>in</strong>sbesondere zu e<strong>in</strong>er <strong>Kunst</strong>, <strong>die</strong> nichts anderes se<strong>in</strong> will<br />

als „Ausdruck des menschlichen Geistes für den Geist bestimmt“ (Max Bill), ist das<br />

Kommentarbedürfnis größer geworden.<br />

Beim „Kontemplum“ von Leo Zogmayer (siehe Seite 41) kommt man ohne Kommentar<br />

nicht aus. Vier sieben Meter lange, senkrecht aus dem Boden ragende<br />

Vierkantstäbe, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ecken e<strong>in</strong>es Quadrats bestimmen, verraten nicht, dass<br />

weitere sieben Meter von ihnen im Boden verborgen s<strong>in</strong>d. Hier genügt ke<strong>in</strong>e<br />

s<strong>in</strong>nliche Wahrnehmung, um das <strong>Kunst</strong>werk zu erschließen, sondern Erklärungen<br />

s<strong>in</strong>d notwendig. Dann erfährt man, dass <strong>die</strong> vier senkrechten Stäbe<br />

<strong>die</strong> Kanten von zwei Würfeln s<strong>in</strong>d, dessen waagerechte Kanten fehlen: E<strong>in</strong>er<br />

über der Erde, e<strong>in</strong>er unter der Erde – beide unsichtbar, aber unsere Vorstellung<br />

kann sie für uns schaffen.<br />

All <strong>die</strong>se Tendenzen, <strong>die</strong> zur „Moderne“ geführt haben, lassen ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>heitlichen<br />

Stil und ke<strong>in</strong>e alles überwölbende Formel zu. Stilpluralismus und<br />

immer neue, sich gegenseitig ablösende und sich durchdr<strong>in</strong>gende <strong>Kunst</strong>auffassungen,<br />

s<strong>in</strong>d Ausdruck e<strong>in</strong>er neuen Zeit, <strong>die</strong> sich nicht mehr alle<strong>in</strong> der<br />

Darstellung der Schönheit verpflichtet fühlt. Goethes Diktum über das Schöne<br />

und Hässliche wird dabei oft bemüht, dass es ergiebiger sei, „sich mit dem Hässlichen<br />

zu beschäftigen als mit dem Schönen“.<br />

Gegen <strong>die</strong>se Tendenzen, <strong>die</strong> dazu geführt haben, dass viele Künstler geradezu<br />

e<strong>in</strong>e Scheu vor dem schönen Bild entwickelt haben, gab es und gibt es natürlicherweise<br />

Oppositionen, <strong>die</strong> sich von der „Schönheit“, <strong>die</strong> zum menschlichen<br />

Leben gehöre, nicht verabschieden wollen. In e<strong>in</strong>er hässlichen Welt würden<br />

sich <strong>die</strong> Menschen unwohl fühlen. Das sei der Grund, warum <strong>die</strong> Menschen<br />

stets ihre Gebrauchsgegenstände aller Art geschmückt hätten, obwohl der<br />

Schmuck ke<strong>in</strong>em direkten Nutzen <strong>die</strong>ne. Ke<strong>in</strong> Mensch lebt nur von Brot<br />

alle<strong>in</strong>, sondern er bedarf etwas, was darüber h<strong>in</strong>aus<strong>geht</strong>. In unserer zivilisatorischen<br />

Welt wünscht sich jeder für sich und se<strong>in</strong>e Umwelt irgende<strong>in</strong>e Form<br />

von Schönheit: In jedem Haus hängen Bilder; jeder kleidet sich so, wie es ihm<br />

gefällt; man bevorzugt beim Kauf das schön gestaltete Produkt.<br />

Als sich 1998 im italienischen Toblach Wissenschaftler, Politiker und <strong>in</strong>teressierte<br />

Menschen aus unterschiedlichen Ländern trafen, um über <strong>die</strong> Probleme<br />

unserer <strong>Natur</strong>, der Umweltverschmutzung und deren Folgen zu diskutieren,<br />

verabschiedeten sie zwölf Thesen. Ihr Programm stand unter dem Diktum:<br />

„Auch Schönheit ist e<strong>in</strong> Lebens-Mittel.“<br />

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